Gefährliche Nähe – verbotene Küsse

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Ein schnittiger Sportwagen, ein luxuriöses Penthouse in Manhattan, umschwärmt von schönen Frauen: Seth McCallan ist überzeugter Junggeselle! So soll es auch bleiben. Bis Harper, die Witwe seines besten Freundes, überraschend bei ihm auftaucht. Komplett mittellos ist die alleinerziehende Mutter - Seth beschließt, sie bei sich aufzunehmen. Auch wenn plötzlich eine Wiege in seinem Penthouse steht und es ihn fast verrückt macht, Harper Tag und Nacht um sich zu haben! Sie weckt den gefährlichen Wunsch, seinen Schwur zu brechen: sich niemals zu binden …


  • Erscheinungstag 18.06.2019
  • Bandnummer 132019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712273
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Harper Sloan Hargraves betrachtete das Gebäude mit den teuren Eigentumswohnungen, das hoch vor ihr aufragte. Mitten im Herzen von Manhattan gelegen, schimmerte das Haus im Sonnenlicht dieses warmen Septembermorgens. Schwarze Zierleisten brachten die grauen Ziegelsteinmauern noch besser zur Geltung. Üppige grüne Bäume und sorgsam geschnittene Rosen in riesigen Keramiktöpfen schmückten den Eingangsbereich.

Elegant gekleidete Männer und Frauen traten durch die breite Tür aus getöntem Glas ins Freie und gingen selbstbewusst die Straße entlang, hin zu ihren zweifelsfrei anspruchsvollen und gut bezahlten Jobs. Taxis, teure Privatwagen und Limousinen fuhren vorbei – nahezu lautlos, als wollten sie die ruhige, dezente Atmosphäre nicht zerstören.

Harper widerstand dem Drang, an ihrem schlichten T-Shirt und der abgetragenen Jeans herunterzusehen. Stattdessen packte sie den Griff des Kinderwagens ihrer kleinen Tochter noch fester und schob ihn entschlossen in Richtung Tür, die sich automatisch öffnete. Harper betrat eine Lobby, die man eigentlich in einem Luxus-Urlaubsresort erwarten würde. Offenbar hatte man sich das Design für die wenigen Mitglieder der aufstrebenden Schicht in New York City abgeguckt. In der Mitte der Halle plätscherte ein Springbrunnen, weiß-graue Teppiche hellten einen schwarzen Schieferboden auf. Die mondäne Treppe hinauf verlief ein Geländer aus Edelstahl, Fahrstuhltüren und Fensterrahmen waren aus dem gleichen Material gefertigt. Grüne Topfpflanzen und Vasen voller roter und lila Blumen brachten Farbe ins Spiel.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Ein Pförtner, natürlich. Harper hatte es nicht anders erwartet. Es hatte eine Zeit gegeben, als sie selber in eine Umgebung wie diese gehört hatte. Sie war mit ihren Eltern im Luxus aufgewachsen, bis sie ihn irgendwann abgelehnt hatte. Dann hatte sie Clark Hargraves geheiratet und wieder im Wohlstand gelebt – und schließlich alles verloren, als er tödlich verunglückte.

Sie ging auf die glänzend schwarze Rezeption zu, von der aus der Pförtner sie beobachtete. „Ich würde gern zu Seth McCallan.“

Der Pförtner, der einen roten Pullover mit dem grauen Logo des Gebäudes trug, musterte sie. „Mr. McCallan wird in wenigen Minuten zur Arbeit fahren. Erwartet er Ihren Besuch?“

Sie hatte gewusst, dass es nicht leicht sein würde, zu Seth vorzudringen. Er war einer der McCallans. Der Familie gehörten so viele Immobilien in der Stadt, dass sie inoffiziell als Monarchen galten, auch wenn er ein mittelloser Student gewesen war, als Clark und er sich kennengelernt hatten. Seth hatte sich von seiner Familie und deren Vermögen losgesagt und war zu Clark in dessen heruntergekommene Wohnung gezogen.

Zwei Jahre, nachdem sie die Uni abgeschlossen hatten, war es Seth gelungen, Clark zu überreden, gemeinsam eine Investmentfirma zu gründen. Nach fünf erfolgreichen Jahren an Seth’ Seite hatte Clark sich daran gewöhnt, in der New Yorker Geschäftswelt einen Namen zu haben. Dann hatte Seth beschlossen, seinen Bruder Jake bei der Führung des Familienunternehmens zu unterstützen, und seinen Anteil an der Investmentfirma an Clark verkauft.

Damals war das Angebot ihnen großzügig erschienen. Das Problem war nur, dass Clark alles Geld ausgegeben hatte, um den Anschein zu erwecken, er und Harper wären genauso wohlhabend wie Seth. Er hatte überhaupt nicht die Mittel gehabt, Seth’ Anteil aufzukaufen, also hatte er einen Kredit aufgenommen und seine und Harpers Eigentumswohnung mit einer Hypothek belastet.

Und die hatte Harper nach seinem Tod verkaufen müssen, um die Schulden bei der Bank zu begleichen, zusammen mit der Firma.

„Er weiß nicht, dass ich hier bin, aber wir sind alte Freunde.“

Und er schuldet mir etwas, dachte sie trotzig und reckte das Kinn. Wenn er seinen Firmenanteil nicht verkauft hätte, wäre Clark nicht gezwungen gewesen, eine Hypothek aufzunehmen, und sie nicht in der verzweifelten Lage, in der sie sich jetzt befand.

Ohne den Blick von ihr zu nehmen, griff der Pförtner nach dem Haustelefon.

„Sie haben eine Besucherin, Mr. McCallan. Harper Hargraves.“ Er schwieg einen Moment. „Ja. Ich schicke sie zu Ihnen hoch.“

Er wies zum Aufzug. Sie hielt auf die glänzende Stahltür zu, und er folgte ihr. Als die Tür sich öffnete, ließ er Harper den Vortritt und trat hinter ihr in den Lift.

Er bewachte sie – sorgte dafür, dass diese zauselige Frau mit dem kleinen Baby auch dorthin ging, wo sie erwartet wurde.

Harper fühlte sich gedemütigt.

Im neunten Stock angekommen, verzichtete er darauf, sie noch weiter zu begleiten, wartete aber, bis sie mit dem Kinderwagen Seth’ Tür erreicht hatte und anklopfte.

Als Seth ihr aufmachte, vergaß Harper den Pförtner. Vor ihr stand der einst beste Freund ihres Mannes. Er trug eine graue, tief sitzende Jogginghose, sein Kopf steckte in einem T-Shirt, das er gerade überstreifte, was ihr Gelegenheit gab, seine imposanten Brustmuskeln und den Waschbrettbauch zu bewundern.

Sprachlos sah sie ihn an. Er wirkte größer, schlanker und durchtrainierter als noch vor fünf Jahren.

Aber mit seinem Lächeln und dem strubbligen schwarzen Haar war er noch genauso atemberaubend attraktiv wie damals, als sie nebeneinander gewohnt hatten. Und diese Augen … Schwarz wie die Nacht und aufregend geheimnisvoll. Als wüsste er mehr als andere, als hätten die Jahre ihn gelehrt, wachsam zu sein, ihn weise gemacht und sehr selbstbewusst.

Jetzt verstand Harper, warum die Klatschpresse ihn regelmäßig mit einer anderen Frau an seiner Seite ablichtete. Er war selbstsicher. Reich. Gut aussehend. Sportlich. Er hatte alles …

Na ja, ihr konnte es egal sein. Sie hatte die Liebe ihres Lebens gefunden. Ihre Ehe war perfekt gewesen. Sie vermisste Clark jede Sekunde.

„Hey, Seth.“

Er ließ den Blick über ihr kurz geschnittenes Haar, das einfache T-Shirt, die verschlissene Jeans wandern.

„Harper?“

Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ja, ich bin es. Ich weiß, dass ich mich ein bisschen verändert habe.“

Die Untertreibung des Jahres. In der Zeit nach Clarks Beerdigung hatte sie ein Kind zur Welt gebracht, ihr langes schwarzes Haar kurz schneiden lassen und mehrere Kilo abgenommen. Fast war sie dem hochmütigen Pförtner dankbar. Hätte er sie nicht angekündigt, hätte Seth sie vermutlich gar nicht wiedererkannt.

Er machte eine unbeholfene Geste. „Das Baby habe ich noch gar nicht kennengelernt.“

„Sie heißt Crystal.“ Harpers Stimme bebte leicht. Jetzt nur schnell raus mit ihrem Anliegen, bevor der Mut sie verließ. „Ich brauche Hilfe.“

„Das habe ich mir schon gedacht, wenn du an einem Dienstag um acht Uhr morgens vor meiner Tür stehst.“ Er trat einen Schritt zurück, um sie hereinzulassen.

Er hielt die Tür für den Kinderwagen auf. Während Harper hineinschlüpfte, fiel ihr Blick erneut auf seinen Oberkörper. Seth sah so gut aus in diesem T-Shirt. Fit und sehr lebendig.

Vielleicht auch etwas einschüchternd.

Das machte es ihr jetzt nicht leichter. Sie hatte noch nie jemanden um Hilfe bitten müssen, hatte es immer allein geschafft.

Sie schob den Kinderwagen in den Wohnbereich des offen geschnittenen, modernen Apartments.

Seth bedeutete ihr, auf dem blauen Sofa Platz zu nehmen, und setzte sich zu ihr in einen Sessel. Vom Sofa aus konnte sie die weißen Küchenschränke sehen und einen restaurierten Esstisch aus Holz, um den herum sechs Stühle standen, deren Sitzpolster die gleiche Farbe wie das Sofa hatten. Über dem Tisch hing ein moderner Kronleuchter. Das Ganze wirkte schlicht, aber dennoch luxuriös. Exquisite Stoffe. Teures Holz. Selbst wenn ein McCallan einfach lebte, tat er das mit unübersehbarer Eleganz.

„Tut mir leid, dass ich dich belästige, aber ich sitze einigermaßen in der Klemme. Ich habe unsere Wohnung gestern verkauft, doch der Käufer will Montag schon einziehen.“

„Ist das wunderbar? Gut? Oder furchtbar?“ Seth schüttelte den Kopf. „Es ist zu lange her. Ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll.“

Harper lachte. Seth machte sie so nervös, dass sie in seiner Gegenwart nicht sie selbst war. „Es könnte wunderbar sein, wenn ich wüsste, wo ich wohnen soll.“

„Oh.“

„Der Käufer hat bar bezahlt. Innerhalb einer Woche einziehen zu können, war Teil der Abmachung, und ich brauchte das Geld wirklich … also habe ich eingewilligt.“

„Du brauchst Geld?“ Seth runzelte die Stirn. „Du besitzt eine Investmentfirma.“

Jetzt wurde es schwierig. Ihr wundervoller, witziger, kluger Ehemann hatte getan, was nötig war, um Seth’ Anteil kaufen zu können. Wäre er nicht tödlich verunglückt, wäre dieser Kredit nicht mehr als eine Fußnote in seinem Leben gewesen. Doch so, wie es gekommen war, hatte Clark sie ruiniert. Das Letzte, was sie wollte, war, seinem besten Freund zu gestehen, dass Clark versagt hatte.

Nein, das Letzte, was sie wirklich wollte, war es, ihren Eltern zu erzählen, dass Clark versagt hatte. Seth würde versuchen, Verständnis für Clark aufzubringen. Ihre Eltern – insbesondere ihre Mutter – würden vollkommen ausrasten und Clark runtermachen, wann immer Harper seinen Namen erwähnte.

„Ich musste die Firma verkaufen. Clark hat sich verschuldet, um dich auszuzahlen, und dann ist der Markt eingebrochen. Es war wie ein Erdbeben, Seth. Ich konnte den Kredit nicht abbezahlen und die Firma nicht verkaufen, bis ich nicht im Preis sehr weit runtergegangen bin.“ Sie lenkte Seth’ Enttäuschung über Clark auf sich selber. „Das Geld, das ich schließlich bekommen habe, habe ich in der Zeit bis zur Geburt und bis ich unsere Wohnung verkaufen konnte, so gut wie aufgebraucht.“

Mehr würde Harper nicht sagen. Seth würde Clark vielleicht nicht verurteilen, wie ihre Mutter es tun würde, aber er entstammte noch immer einer reichen Familie. Von der er sich zwar eine Zeit lang losgesagt hatte, doch nachdem er und Clark die Universität abgeschlossen hatten, war es Seth gewesen, der seine Verbindungen genutzt hatte, um ins Investmentgeschäft einzusteigen.

Als die Firma dann schwarze Zahlen schrieb, hatte er Geld aufgetrieben, um die Investoren auszuzahlen. Und als er nach dem Tod seine Vaters in dem Familienunternehmen der Mc­Callans gebraucht wurde, hatte er die Investmentfirma einfach Clark überlassen. Es war Seth egal gewesen, etwas aufzugeben, das für ihn und Clark eine Goldmine hätte sein können.

Seth mochte ein paar Jahre an der Uni mit wenig Geld ausgekommen sein, aber er hatte keine Ahnung, was ein echter, lebenslanger Kampf ums Überleben bedeutete. Harper würde es nicht zulassen, dass er schlecht über Clark dachte, weil der vernichtet hatte, was er und Seth zusammen aufgebaut hatten.

Nach einer Weile seufzte Seth auf. „Und du musstest die Wohnung verkaufen, weil die auch belastet war?“

„Erst nach Clarks Tod ist mir aufgegangen, dass wir jeden Cent, den er verdient hat, auch ausgegeben haben.“ Sie ließ Seth Zeit, diese Information zu verdauen, und fügte dann hinzu: „Er hat dich wirklich gemocht. Dich und die Welt, die du ihm eröffnet hast. Ich weiß, warum er den Bogen in finanzieller Hinsicht überspannt hat. Und ich nehme es ihm auch nicht übel, dass er das kurze Leben, das er hatte, auf diese Weise gelebt hat. Trotzdem brauche ich jetzt Hilfe, aus dieser Situation herauszukommen. Einen guten Rat.“

„Selbst wenn du eine Mietwohnung suchst, wirst du länger als eine Woche brauchen, um etwas zu finden.“

Die drei Monate alte Crystal reckte sich. Sie steckte das Köpfchen aus den Decken hervor, die sie warm hielten, und ihr winziges rosa Gesichtchen und der kurze schwarze Haarschopf waren zu sehen. Harper stand auf und nahm die Babytasche aus dem Netz an der Rückseite des Kinderwagens. „Ich muss ein Fläschchen aufwärmen.“

„Ist sie aufgewacht?“, fragte Seth überflüssigerweise.

„Ja. Aber wenn ich ihr Milch gebe, bleibt sie ruhig.“

Er erhob sich ebenfalls, wirkte plötzlich nervös. „Okay.“

Harper ging mit der Flasche in die Küche. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Seth sich aus sicherer Entfernung über das Baby beugte.

„Du kannst auch näher rangehen, um sie dir anzusehen.“

Seth verzog das Gesicht. „Nie und nimmer. Ich habe eine Nichte, die nur ein paar Monate älter als Crystal ist, und ich habe sie noch nie im Arm gehabt.“

Harper schnalzte mit der Zunge. „Seth! Babys sind etwas Wunderbares!“

„Äußerlich schon. Mein Bruder betet seine Tochter an. Aber sie sind klein und zerbrechlich, und sie sondern ständig irgendwelche Flüssigkeiten ab. Ich betrachte sie lieber aus der Ferne.“

Sie nickte, dankbar für die kleine Gnadenfrist, die sie erhalten hatte, bevor sie weiter über ihre Zwangslage sprechen musste. Harper füllte einen Kaffeebecher mit heißem Wasser, in das sie das Fläschchen stellte. Es würde ein paar Minuten dauern, bis die Milch warm war, also kehrte sie zurück zur Sitzecke.

„Sie ist richtig hübsch“, bemerkte Seth. „Sie sieht meiner Nichte sehr ähnlich. Dunkles Haar, helle Augen.“

„Scheint nach deinem Bruder zu kommen.“

Er lachte. „Ja, er ist gut darin, sich durchzusetzen.“ Dann wurde er wieder ernst und richtete den Blick aus nachdenklichen braunen Augen auf Harper. „Du steckst in einem ganz schönen Schlamassel.“

„Erzähl mir jetzt bloß nicht, meine einzige Option wäre es, wieder zu meinen Eltern zu ziehen.“ Harper schüttelte den Kopf. „Das will ich nicht. Bis Clark sich geschäftlich mit dir zusammengetan hat, war meine Mutter absolut widerlich zu ihm. Und auch danach war er ihr nie gut genug, sollte immer mehr Geld verdienen. Wenn ich ihr jetzt erzählen muss, dass ich nicht nur die Firma, sondern auch unsere Wohnung verkaufen musste, um die Bank zu bedienen, verliert sie auch den allerletzten Respekt vor ihm.“

Schweigend betrachtete Seth Harper. Sie war noch immer bildschön und verlockend. Und ihre finanzielle Lage war so vertrackt, dass er nicht wusste, wozu er ihr raten sollte.

Er war daran gewöhnt, mit Baufirmen zu feilschen, mit cleveren Geschäftsleuten Verträge abzuschließen und dafür zu sorgen, dass McCallan, Inc. der Branchenstar blieb. Doch jetzt hatte er nicht die leiseste Ahnung, was er der zierlichen Frau vor ihm sagen sollte.

Wäre es nicht ausgerechnet Harper, so würde er ihr raten, es zu vergessen und zu den Eltern zurückzukehren.

Aber Harper hielt sich nicht ohne Grund von ihnen fern. Wahrscheinlich wollte sie warten, bis sie finanziell wieder auf eigenen Füßen stand, bevor sie ihren Eltern eröffnete, dass Clark sie in Schulden gestürzt hatte. Sie beschützte ihn.

Wie sollte jemand, der sein Leben lang gegen den eigenen herablassenden Vater angekämpft hatte, dieser Tatsache keinen Respekt zollen?

Das Baby meldete sich erneut, und Harper ging in die Küche, um das Fläschchen zu holen.

Gerade als das Kind unruhig zu werden begann, kehrte Harper mit der Milch zurück, setzte sich Crystal auf den Schoß und fütterte sie.

Es sah alles so leicht aus. Seth hatte das Gleiche schon bei seiner Schwägerin Avery beobachtet. Aber die hatte jede Menge Unterstützung – seine und Jakes Mutter, ihre eigenen Eltern und ein Kindermädchen. Er hatte immer gedacht, dass es an Avery lag, dass alles so einfach wirkte, aber jetzt dämmerte ihm, dass ihm in all den Jahren, in denen der den Umgang mit Babys gemieden hatte, einiges zum Thema Elternschaft entgangen war.

„Na schön, ich bin also ziemlich pleite, aber nicht ganz“, sagte Harper, während sie dem Baby die Milch gab. „Durch den Wohnungsverkauf habe ich etwas Geld zur Verfügung. Das kann ich entweder als Anzahlung für eine neue Wohnung benutzen oder davon leben, bis ich einen Job gefunden habe.“

Seth lehnte sich zurück. „Wenn du nicht in sechs Tagen auf der Straße stehen würdest, würde ich ja sagen, dass die Jobsuche absolute Priorität haben sollte.“

„Aber in diesen sechs Tagen muss ich packen, ein Umzugsunternehmen organisieren und eine neue Bleibe finden. Du hast nicht zufällig ein Gästezimmer?“

Die Frage hatte sie als Scherz gemeint, doch Seth hatte tatsächlich eines. Harper würde sogar ihr eigenes Badezimmer haben. Es gab nur zwei Haken an der Sache: Zum einen fühlte er sich in der Gegenwart eines Babys wirklich nicht wohl. Das ging vermutlich den meisten Single-Männern so, aber ihn machten sie regelrecht nervös. Bestimmt würde er, mit den Gedanken wie so oft ganz wo anders, auf Crystal treten, über sie stolpern oder sie versehentlich umschubsen.

Außerdem wollte er nicht, dass Harper Sloan Hargraves bei ihm einzog.

Denn eigentlich sollte sie seine Frau sein.

Seth hatte sie vom ersten Moment an angebetet. Aber er war nicht der Typ für eine feste Beziehung. Die Farce, die die Ehe seiner Eltern gewesen war, hatte ihn für alle Zeiten von dem Glauben an ein glückliches Leben zu zweit kuriert. Und der seelische Missbrauch durch seinen manipulativen Vater hatte ihn so zynisch und misstrauisch gemacht, dass er keine Beziehung eingehen wollte.

Also hatte er zugelassen, dass Clark Harpers Herz eroberte.

Er selber hatte sich für ein Leben als Playboy entschieden. Mit wie vielen Frauen er zusammen gewesen war, wusste er nicht mehr. Er reiste gern, war regelmäßig zu Gast in Las Vegas und konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal eine Samstagnacht allein verbracht hatte.

„Das mit dem Gästezimmer war ein Witz, Seth. Dir hat es ja die Sprache verschlagen!“

Er schüttelte den Kopf. Hier ging es nicht um ihn und genau genommen auch nicht um Harper. Hier ging es um Clark. Er war Seth’ bester Freund gewesen. Als er damals seinem grausamen Vater und seiner ganzen Familie den Rücken gekehrt hatte, war ihm Clark in der Bibliothek begegnet. Seth war einsam gewesen, ohne einen Cent in der Tasche. Und naiv. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass er sich nicht einfach zwischen den Bücherregalen verstecken konnte, um darauf zu warten, dass allmählich die Lichter ausgingen und er die Nacht in dem Gebäude verbringen konnte. An die Überwachungskameras und Sicherheitsleute hatte er nicht gedacht.

Clark hatte ihm ein paar gezielte Fragen gestellte und ihn dann mit in seine heruntergekommene Wohnung genommen, die er sich mit seinem Freund Ziggy teilte und die direkt neben der von Harper lag. Er hatte Seth gesagt, er könne so lange bei ihnen wohnen, bis er wieder Boden unter den Füßen hatte. Seth fand einen Job als Kellner, teilte sich ein Zimmer mit Ziggy, bezahlte Studiengebühren und teure Bücher und versuchte, sich so gut wie möglich an den Lebenshaltungskosten zu beteiligen.

Sein Leben lang hatte sein Vater ihm eingeredet, Seth habe keine Ahnung vom wirklichen Leben, hatte ihm den Unterhalt gestrichen, ihn erniedrigt und in Verlegenheit gebracht. Das, was sein Vater ihm nicht hatte beibringen können, hatte er in den drei Jahren, in denen er für sich selbst sorgte, von Clark gelernt.

Und jetzt saß er hier in seiner Eigentumswohnung und schickte Clarks Witwe auf die Straße, weil er früher für sie geschwärmt hatte?

Das war einfach lächerlich. Er war ein erwachsener Mann, dazu noch reich, und führte genau das Leben, das er wollte. Es mangelte ihm nicht an Frauen, und er hatte nicht vor, eine feste Bindung einzugehen.

Harper hatte nichts zu befürchten … und er auch nicht.

„Du kannst das Zimmer haben.“

„Wie bitte?“

Er erhob sich aus dem Sessel. „Du kannst in meinem Gästezimmer wohnen. Lass deine Möbel einlagern und Crystals Kinderbett hierher bringen.“ Und genau wie Clark vor vielen Jahren fügte er hinzu: „Du kannst das Zimmer haben, solange du es brauchst.“

2. KAPITEL

Blinzelnd sah Harper ihn an. „Was?“

„Ich biete dir ein Dach über dem Kopf an. Als ich auf der Straße stand, hat Clark mich aufgenommen. Ich bin ihm etwas schuldig.“

„Okay, Seth. Aber so schön deine Wohnung auch ist, sie ist nicht besonders groß, und Crystal kann sehr laut sein.“

Er ging in den Küchenbereich zur Kaffeemaschine. „So oft bin ich nicht zu Hause. Ich arbeite von neun Uhr morgens bis abends um sechs, danach bin ich meistens mit Geschäftspartnern zum Essen, oder ich habe ein Date. Du wirst die Wohnung mehr oder weniger für dich haben.“

Harper wusste selber nicht, warum dieser Gedanke ihr ein eigentümliches Gefühl verursachte.

Seth nahm sich einen Kaffee und sah auf seine Armbanduhr. „Ich muss mich langsam fertig machen. Fahr du nach Hause, regel deinen Auszug und komm wieder, wenn du so weit bist. Ich lasse dir einen Schlüssel anfertigen.“

Sie legte Crystal in den Kinderwagen. „Bist du dir ganz sicher?“

Er lächelte, und Harpers Herz begann wild zu hämmern. Die erwachsene Ausgabe von Clarks bestem Freund war absolut umwerfend.

„Keine große Sache.“

Da war Harper anderer Ansicht. Noch vor zehn Minuten hatte Seth sich ihrer Tochter nicht einmal genähert. Und jetzt glaubte er, mit ihr zusammenleben zu können? Davon abgesehen war Seth furchtbar attraktiv, und ihr Körper reagierte ganz unmissverständlich auf ihn. Sie war einsam und verletzlich. Sie vermisste Clark, und Seth war nicht eben für Zurückhaltung bei Frauen bekannt.

Mit ihm zusammenzuwohnen, schien nicht gerade eine gute Idee zu sein.

Er ging den Flur entlang, vermutlich auf dem Weg in sein Zimmer. „Sobald du eingezogen bist, schreiben wir dir eine Bewerbung, suchen einen Job für dich und fangen mit der Wohnungssuche an.“

Das sind genau die Dinge, bei denen Clark ihm geholfen hat.

Seth musste es nicht aussprechen, Harper wusste auch so, dass er sich auf diese Weise bei Clark revanchieren wollte, und sie war dankbar dafür. Wenn ihre Mutter wüsste, dass Harper in sechs Tagen obdachlos war, würde sie Clark für immer verdammen.

Und das würde Harper nicht zulassen.

„Okay“, sagte sie, doch Seth war schon halb in seinem Zimmer verschwunden.

Seufzend stieß Harper die Luft aus. Das hier würde nicht leicht werden, aber es war immer noch besser, als auf der Straße zu stehen.

Zu Hause versuchte sie telefonisch, ein Umzugsunternehmen zu organisieren. Nach etwa einer Stunde hatte sie Glück – eine Firma hatte für den nächsten Tag eine Absage erhalten und konnte ihren Umzug einschieben. Den Rest des Tages und den nächsten Vormittag verbrachte sie mit Packen. Crystals Kinderbett, Taschen mit Babysachen und Koffer mit ihren eigenen Dingen brachte sie in ihrem SUV unter. Den Rest verstauten die Möbelpacker zur verabredeten Zeit in einem LKW, mit dem sie zu dem von Harper angemieteten Lager fuhren.

Als sie bei Seth’ Wohnung ankam, war es fast fünf Uhr. Da er gesagt hatte, er würde bis sechs Uhr arbeiten, wusste sie, dass er nicht zu Hause sein würde. Sie hatte also ausreichend Zeit, sich einzurichten.

Der Pförtner weigerte sich allerdings, sie in Seth’ Wohnung einzulassen. Sie machte ihm keine Vorwürfe, war aber davon ausgegangen, Seth hätte Vorkehrungen für ihren Einzug getroffen. Anscheinend hatte sie sich geirrt.

Missmutig griff der Pförtner zum Telefon und rief Seth an. Nachdem sie kurz miteinander geredet hatten, reichte er Harper den Hörer.

„Er möchte mit Ihnen sprechen.“

Oje. Vermutlich hatte Seth nicht vor Sonntag mit ihr gerechnete. Genug Zeit, um sich an den Gedanken an ihr Zusammenleben zu gewöhnen oder es sich anders zu überlegen. Stattdessen stand sie nur einen Tag später mit dem Wagen voller Kindersachen vor seiner Tür.

Was sollte ein Playboy mit einem Baby und einer bankrotten Witwe anfangen?

„Hallo Seth.“ Um ihm keine Gelegenheit für einen Rückzieher zu geben, fuhr sie eilig fort: „Ich hatte Glück und habe schon für heute ein Umzugsunternehmen gefunden. Jetzt ist alles, was ich besitze – bis auf Crystals Sachen und ein paar Koffer von mir – verstaut und eingelagert.“

Sie hatte nicht verzweifelt klingen wollen, doch das schaffte sie nicht wirklich. Gegen die Tränen anblinzelnd, kniff sie die Augen zusammen, doch Seth sagte nur freundlich: „Okay.“

Harpers Herzschlag normalisierte sich wieder.

„Ich habe noch ein Meeting, aber ich rufe meine Nachbarin an, Mrs. Petrillo. Sie hat einen Schlüssel und wird dich reinlassen. Fahr einfach schon nach oben.“

„Soll ich bei ihr klopfen?“

Seth lachte. „Nein. Sie ist ziemlich neugierig. Deshalb ist es mir auch lieber, sie lässt dich rein statt George. Immer wenn der Aufzug kommt, guckt sie durchs Schlüsselloch. So weiß sie wenigstens, dass ich über deine Anwesenheit im Bilde bin.“

Harper lachte ebenfalls – zum ersten Mal, seit sie das wahre Ausmaß ihrer Probleme erkannt hatte. Ihr gefiel der Gedanke an eine neugierige Nachbarin. Es gab ihr das Gefühl, dass sie und Seth nicht allein miteinander waren.

Und das waren sie ja auch nicht. Sie hatten Crystal, die Nachbarin und vermutlich hunderte weitere Menschen, die in diesem Gebäude lebten.

Sie würden nicht allein sein.

„Außerdem habe ich noch einen Stellplatz in der Tiefgarage. George wird dir eine Einfahrtkarte geben.“

„Gut, danke.“ Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, reichte George ihr die Karte. „Steht Ihr Auto vor der Tür?“

„Ja. Ich hatte Glück mit dem Parkplatz.“

„Ich kümmere mich darum, dass Ihr Gepäck nach oben gebracht wird. Danach bringe ich Ihren Wagen in die Tiefgarage.“

Harper balancierte Crystal auf der Hüfte und fragte sich im Stillen, wie viel Seth dem Portier versprochen hatte, dass der plötzlich so zuvorkommend war. Sie gab ihm den Autoschlüssel. „Vielen Dank. Es ist der blaue Explorer SUV.“

George nickte kurz. „Ihre Sachen werden in wenigen Minuten oben sein.“

Sie fuhr mit dem Fahrstuhl zu Seth’ Wohnung, und wie vorausgesagt, wartete eine kleine, grauhaarige Frau neben der Tür auf Harper.

„Mrs. Petrillo?“

„Ja. Und Sie müssen Harper sein.“

„Ja.“ Sie hielt das Baby hoch. „Und das ist Crystal.“

Autor

Susan Meier
<p>Susan Meier wuchs als eines von 11 Kindern auf einer kleinen Farm in Pennsylvania auf. Sie genoss es, sich in der Natur aufzuhalten, im Gras zu liegen, in die Wolken zu starren und sich ihren Tagträumen hinzugeben. Dort wurde ihrer Meinung nach auch ihre Liebe zu Geschichten und zum Schreiben...
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