Gefährliche Romanze für die schöne Gouvernante

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Was bildet Alex Arrandale, Earl of Davenport, sich ein? Gouvernante Diana lässt nicht zu, dass er ihre beiden Mündel aus ihrem Zuhause vertreibt, nur um dort zügellose Junggesellenpartys zu feiern! Während sie sich erregte Wortgefechte mit ihm liefert, sprühen immer stärker die Funken zwischen ihnen. Als er sie bei einem Bad im Mondlicht überrascht und verlangend in die Arme zieht, erwidert sie gegen jede Vernunft seinen Kuss. Doch wenn sie seine Geliebte wird, und sei es nur für eine Nacht, setzt sie alles aufs Spiel: ihren Ruf, ihre Stellung - und ihr Herz!


  • Erscheinungstag 12.01.2021
  • Bandnummer 609
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502566
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Eine strahlende Aprilsonne schien vom Himmel herunter, und während Alexander Arrandale sein schnittiges Curricle die Straße entlangkutschierte, stellte er fest, dass die Bedrückung der letzten Monate von ihm zu weichen begann – jene Bedrückung, die auf ihm lastete seit dem Moment, da er erfahren hatte, dass sein Bruder James bei einem Schiffsunglück ertrunken war und er infolgedessen den Titel erben und der achte Earl of Davenport werden würde. Auf die Erbfolge war er weder vorbereitet gewesen, noch hatte er sie angestrebt.

Mit gerade einmal dreißig Jahren hatte sein nur zwei Jahre älterer Bruder keinen Anlass gesehen, sich mit der Zeugung eines Erben zu beeilen. Gleichwohl waren er und seine Gattin dem Rat des Arztes gefolgt und hatten eine Seereise in wärmere Gefilde angetreten, um Margarets Gesundheitszustand so weit zu kräftigen, dass sie ein gesundes Kind – möglichst einen Knaben – zur Welt bringen konnte. Das Paar hatte bereits eine kleine Tochter, doch nach den anschließenden Fehlgeburten war die Countess körperlich erschöpft und geschwächt.

James und sie hatten das Mittelmeer niemals erreicht. Bei einem Oktobersturm vor der Küste von Gibraltar war ihr Schiff mit Mann und Maus untergegangen. Die Nachricht hatte Alex erst Wochen später erreicht und ihn in tiefe Trauer gestürzt. Selbst jetzt, ein halbes Jahr danach, trug er immer noch ein schwarzes Krawattentuch als Zeichen seines Verlusts. In jeder anderen Hinsicht erlebten seine Freunde ihn als unverändert. Er hatte den Winter wie gewöhnlich als Gast diverser Hauspartys verbracht, bei denen Jagd, Glücksspiel und ausgiebiges Flirten auf der Tagesordnung standen. Nur seinen engsten Freunden fiel auf, dass mit seiner fieberhaften Suche nach Vergnügungen etwas nicht stimmte.

„Die Leute glauben, dass der Tod deines Bruders dich kaltlässt“, hatte Gervase Wollerton ihm in einem Anfall untypischer Hellsicht mitgeteilt. „Ich dagegen bin der Auffassung, dass er dir viel zu nahegeht.“

Was womöglich zutraf. Alex zügelte die hochgezüchteten Grauschimmel und lenkte das Gespann durch das Tor in die Auffahrt von Chantreys. Er trug den Titel nun schon seit einer Weile, und es war Zeit, ein paar Dinge zu ändern.

Die Auffahrt führte unter Bäumen hindurch, die noch nicht voll belaubt waren, und das Sonnenlicht tupfte helle Sprenkel auf die Fahrbahn. Alex drosselte das Tempo, da nach dem Winter mit Schlaglöchern und tiefen Rillen zu rechnen war. Kurz darauf lag das Waldstück hinter ihm, und als er den Blick über die ausgedehnte Parklandschaft schweifen ließ, entdeckte er nicht weit entfernt vom Wegrand eine Gestalt auf einem umgestürzten Baumstamm. Es war eine junge Frau mit einem Zeichenblock. Sie hatte ihren Hut abgesetzt, und ihr rotblondes Haar leuchtete im Sonnenlicht. Alex erkannte sie auf Anhieb, denn auch wenn er ihr jahrelang nicht mehr begegnet war, ließ die Haarfarbe keinen Zweifel zu. Es war Diana Grensham, die Schwester der ertrunkenen Countess, gleichzeitig Gouvernante ihres einzigen Kindes und der anderen kleinen Waise, die im Haushalt des verstorbenen Earls Aufnahme gefunden hatte. Miss Grensham war so vertieft in ihr Tun, dass sie seine Ankunft nicht bemerkte. Alex brachte das Curricle zum Stehen und betrachtete sie, eine zierliche Frau in einem praktischen gelb-grün karierten Kleid, deren ungebändigte rotgoldene Haarpracht ihren Kopf umglänzte wie ein Heiligenschein.

„Guten Tag, Miss Grensham.“

Sie sah hoch, betrachtete ihn mit ihrem offenen, unverwandten Blick. Im hellen Sonnenlicht wirkten ihre haselnussbraunen Augen ungewöhnlich grün, und obwohl sie nicht als Schönheit gelten konnte, hatte sie einnehmend lebendige Züge. Ihre Lippen waren leicht aufwärtsgebogen, und sie sah aus, als wolle sie jeden Moment lächeln.

„Oje.“ Ihre Stimme war sanft, melodisch und klang nach einem Anflug von Lachen. „Wie spät ist es denn eigentlich?“

„Sie sind nicht überrascht, mich zu sehen?“

Diana Grensham schloss ihren Skizzenblock und erhob sich von dem Baumstamm.

„Ich wusste, dass Sie irgendwann kommen würden, Mylord“, entgegnete sie ruhig. „Es wäre besser gewesen, Sie hätten uns benachrichtigt, aber ich bin sicher, dass Mrs. Wallace auch so ein paar geeignete Erfrischungen für Sie zusammenstellen kann. Ich gehe los und sage ihr Bescheid.“

Sie machte ein paar zögernde, ungleichmäßige Schritte, und er rief ihr hinterher.

„Gestatten Sie mir, Sie zum Haus mitzunehmen. Stark“, setzte er mit einem kurzen Seitenblick auf seinen Pferdeknecht hinzu, „steigen Sie ab und helfen Sie der Dame auf die Sitzbank.“

Miss Grensham hielt inne und wandte sich um. „Weil ich ein Krüppel bin?“, fragte sie herausfordernd.

„Nein“, erwiderte Alex milde. „Weil ich mit Ihnen reden will.“

Sie reichte dem Pferdeknecht ihr Skizzenbuch und die Stifte, kletterte ohne Hilfe und dabei mühelos, wie es schien, auf den Sitz, wobei Alex einen Blick auf die bestickten weißen Strümpfe unter ihren Röcken erhaschte. Er erinnerte sich nicht, je erfahren zu haben, weshalb sie hinkte, doch ihre schön geformten Fesseln und die zierlichen Füße in den adretten, praktischen Stiefeletten wiesen eindeutig keine Missbildung auf.

Als sie ihre Zeichenutensilien an sich nehmen wollte, hielt er sie davon ab.

„Stark kann die Sachen zum Haus bringen. Es ist ein schöner Tag, lassen Sie uns eine Rundfahrt durch den Park machen, ehe wir hineingehen. Ich möchte mit Ihnen über die Kinder sprechen.“ Ohne auf ihre Zustimmung zu warten, setzte er die Grauschimmel in Bewegung. „Es macht Ihnen doch nichts aus?“

„Habe ich eine Wahl?“

„Ich fand, dass es vielleicht einfacher sein würde, hier draußen zu reden als im Haus.“

„Sie haben wahrscheinlich recht“, erwiderte sie nach einem Moment. „Die Mädchen mögen Sie sehr, und sicher wollen die beiden Sie für sich haben, sobald sie erfahren, dass Sie da sind. Obwohl Meggie Sie vielleicht fragen wird, warum Sie nicht schon früher gekommen sind.“

„Ich war sehr beschäftigt.“

„Zu beschäftigt, um Ihre Nichte zu trösten?“ Als er nicht antwortete, fuhr sie fort: „Meggie und Florence wurden unserer gemeinsamen Fürsorge anvertraut, Mylord.“

„Daran müssen Sie mich nicht erinnern.“ Ihre Worte hatten ihn getroffen. Doch was sollte er sagen? Natürlich war sein Verhalten verachtenswürdig, aber wenn er zurückblickte und sich den Tod seines Bruders in Erinnerung rief, musste er sich eingestehen, dass er den Kummer eines anderen Menschen zusätzlich zu seinem eigenen nicht ausgehalten hätte. Er war ein bewunderter Jäger, ein ausgezeichneter Reiter, ein hervorragender Fechter und Schütze und ein namhafter Faustkämpfer, dennoch hatte er sich nicht dazu durchringen können, James’ Tochter einen Besuch abzustatten und Zeuge ihrer Trauer zu werden. Ihre Tante, so hatte er sich eingeredet, war besser in der Lage, Meggie zu trösten. Diana war seit vier Jahren ihre Gouvernante und die von Florence Arrandale, einer Verwandten, deren Mutter früh gestorben war und deren Vater das Land unter rätselhaften Umständen verlassen hatte. Die beiden Mädchen waren beinahe wie Schwestern erzogen worden, seit James die kleine Florence als Gefährtin für Meggie bei sich aufgenommen hatte. Von Florence’ Vater nahm man an, dass er nicht mehr am Leben war, und James hatte testamentarisch für das Kind gesorgt, nicht zuletzt, indem er es der Obhut seines Bruders anvertraut hatte. Die beiden achtjährigen Mädchen, so vermutete Alex, vermissen ihre Eltern gewiss schmerzlich. Er war der Lieblingsonkel der Kinder, der gelegentlich zu Besuch kam, Süßigkeiten mitbrachte und ein, zwei Stunden mit ihnen spielte, ehe er sein vergnügungssüchtiges Leben wieder aufnahm. Und auch wenn er nun ihr Vormund war, was wusste er schon darüber, wie man Kinder erzog und ihnen Trost spendete? Tief im Innern war ihm klar, dass dies kein Argument war, doch es fiel ihm leicht, seine Gewissensbisse beiseitezuschieben.

„Wenigstens haben Sie mir geschrieben“, sagte Diana in seine Gedanken hinein. „Und ich sollte vermutlich dankbar sein, dass Sie diese Aufgabe nicht Ihrem Verwalter überlassen haben.“

„James’ Gattin war Ihre Schwester, Ihr Kummer dürfte meinem in nichts nachgestanden haben, und ich wollte Ihnen meine tief empfundene Anteilnahme aussprechen.“

Ein schwarz gerandeter Briefbogen mit ein paar wenigen abgedroschenen Sätzen. Wie kalt und hart sie ihr erschienen sein mussten.

Sie hob die Hand, wie um einen Schlag abzuwehren. „Ja, danke.“

Alex kam der Gedanke, dass sie offen gezeigte Gefühle genauso wenig mochte wie er, daher verzichtete er darauf, die Angelegenheit weiter zu verfolgen, und fragte nur nach den Mädchen.

„Es geht ihnen den Umständen entsprechend, aber sie vermissen ihre Eltern. Und obwohl Florence nur eine entfernte Verwandte ist, trauert sie genauso wie Meggie, das kann ich Ihnen versichern.“

„Es tut mir sehr leid, dass ich nicht früher gekommen bin und sie besucht habe.“ Sein Bedauern war echt.

„Aber jetzt sind Sie ja da, und die Mädchen werden sich freuen, Sie zu sehen. Was war es, das Sie mit mir besprechen wollten?“

„Ich habe mir überlegt, dass Meggie und Florence vielleicht zur Schule gehen sollten.“

Miss Grensham antwortete nicht sofort. „Ihnen ist gewiss bewusst“, begann sie nach einer Weile vorsichtig, „dass die Erziehung der Mädchen in meiner Verantwortung liegt? Ihr Bruder war in diesem Punkt ganz und gar unmissverständlich.“

„Ich weiß. Doch das bedeutet nicht, dass ich mir keine Gedanken über das Thema machen darf.“

„Das ist richtig. Aber meiner Meinung nach ist eine Schule nicht das Richtige für die Kinder. Jedenfalls derzeit noch nicht, so kurz nach dem Verlust.“

„Stimmt. Allerdings wäre ihnen ein anderes Zuhause vielleicht lieber, ein Ort mit weniger schmerzlichen Erinnerungen.“

„Es geht ihnen gut hier, Mylord. Chantreys ist ihr Zuhause.“

Alex verspürte einen Anflug von Ärger. Er würde nicht umhinkommen, ihr zu sagen, warum er wollte, dass sie auszogen.

„Aber Chantreys gehört jetzt mir, Miss Grensham, und ich möchte das Haus bewohnen.“

„Nun, es gibt nichts, was Sie davon abhalten könnte“, erwiderte sie ungerührt. „Im Gegenteil, die Mädchen wären entzückt, Sie häufiger zu sehen.“

„Darum geht es nicht. Ich möchte Freunde einladen, und es wäre nicht … schicklich, wenn Kinder im Haus wohnen.“

„Was wollen Sie damit sagen?“

Alex seufzte ungeduldig. „Muss ich noch deutlicher werden? Ich bin Junggeselle.“

Er sah geradeaus auf die Fahrbahn, war sich jedoch ihres forschenden Blicks auf verstörende Weise bewusst.

„Soll ich das so verstehen, dass Sie und Ihre Gäste sich … dass Sie sich unziemlich zu benehmen gedenken?“

„Es ist nicht ausgeschlossen.“ In Gedanken ging er seine Freunde durch. „Ganz und gar nicht.“

„Es spricht für Sie, dass Sie die Kinder vor solchen Eindrücken schützen wollen.“ Sie machte eine Pause. „Aber ich glaube, in dem Fall wäre es besser, wenn Sie Ihre Partys an einem anderen Ort geben würden. Es befinden sich etliche sehr repräsentative Anwesen im Besitz des Earl of Davenport.“

„Das weiß ich“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Aber ich habe mich für Chantreys entschieden.“

Er sah stur geradeaus, wobei er ihren fragenden Blick auf sich gerichtet fühlte.

„Warum ist es Ihnen so wichtig, dass es dieses Haus ist?“

Weil James und er den größten Teil ihrer Kindheit auf Chantreys verbracht hatten. Weil sie hier am glücklichsten gewesen waren. Doch wenn er das sagte, würde sie seine Gründe gegen ihn wenden, an seine Güte appellieren und ihn bitten, die Mädchen bleiben zu lassen. Dabei hat er das Gute in sich lange begraben. So tief, dass es außer Reichweite war. Er reckte das Kinn.

„Miss Grensham, Ihnen ist anscheinend nicht klar, welcher Druck auf dem Oberhaupt einer Familie lastet, wenn es darum geht, zu heiraten und einen Erben zu zeugen. Sämtliche alten Freunde der Familie, Verwandte, von denen ich noch nie etwas gehört habe, sie alle halten sich für berechtigt, sich in mein Leben einzumischen.“ Er grinste schief. „Man hat sich darauf geeinigt, dass ich, ehe das Jahr zu Ende ist, eine Frau gefunden habe, und es ist meinen fester Vorsatz, der Welt zu zeigen, dass ich mich nicht in eine Ehe zwingen lassen. Ich werde die größte, skandalöseste Party meines Lebens auf Chantreys abhalten und, da das Anwesen nahe genug bei der Stadt liegt, die gesamte gute Gesellschaft einladen, damit sie sich überzeugen kann, wie verkommen ich bin, und ein für alle Mal aufhört, mich verkuppeln zu wollen!“

Na also. Eine grimmige Genugtuung machte sich in ihm breit. Das sollte reichen. Doch als er einen flüchtigen Blick auf die zierliche Gestalt neben sich riskierte, konnte er keinerlei Anzeichen von Entsetzen oder Entrüstung entdecken. Stattdessen besaß Diana Grensham die Frechheit, ihn auszulachen.

„Etwas so Albernes habe ich noch nie gehört, und ich werde die Mädchen ganz sicher nicht von Chantreys fortbringen, damit Sie sich einer solchen Selbstsucht hingeben können.“

Er hielt seinen Ärger im Zaum, brachte das Curricle zum Stehen und wandte sich schwungvoll zu ihr um. „Miss Grensham“, sagte er trügerisch ruhig. „Sie scheinen vergessen zu haben, dass ich der Earl bin. Chantreys gehört mir, und ich kann damit machen, was ich will.“

Sie begegnete seinem Blick, ohne mit der Wimper zu zucken, in keiner Weise eingeschüchtert von seinem herrischen Ton.

„Und Sie, Mylord, scheinen Ihre Einwilligung vergessen zu haben, dass die Mädchen auf Chantreys bleiben können.“ Ihr Lächeln tat nichts dazu, seine Laune zu bessern. „Sie gaben mir die Zusage schriftlich, erinnern Sie sich?“

„Es ist mir nicht entfallen.“

Er musste sich zwingen, die Worte zu sagen. Diana Grenshams Brief mit der Frage, welches seine Absichten in Bezug auf ihre beiden Schützlinge seien, hatte ihn kurz nach der Nachricht von dem Schiffbruch erreicht. Er erinnerte sich an seine schmerzerfüllte Antwort, die Versicherung, dass die beiden Mädchen so lange auf Chantreys bleiben könnten, wie sie es für nötig erachtete. Der letzte Wille seines Bruders in dieser Angelegenheit war sehr konkret formuliert. Diana Grensham und er sollten gemeinsam die Vormundschaft über Meggie und Florence ausüben, doch James hatte einen Passus hinzugefügt, der besagte, dass die Verantwortung für die Erziehung der Mädchen Diana als der am besten geeigneten Person alleine zufiel.

„Ich habe Ihren Brief gut aufbewahrt, Sir.“

„Der Teufel soll Sie holen!“

Er schloss die Finger fester um die Zügel, und die Pferde begannen auf der Stelle zu tänzeln.

„Vielleicht sollten wir weiterfahren.“ Bei der Freundlichkeit in ihrer Stimme biss er die Zähne zusammen. „Es wird langsam kalt, und ich würde es bedauern, wenn Ihre Pferde einen Schaden davontrügen.“

Als der Earl die Zügel knallen ließ, verschränkte Diana die Hände auf dem Schoß und widerstand der Versuchung, sich an der Seite des Curricles festzuhalten. Alex Arrandale galt als ausgezeichneter Fahrer, und es war unwahrscheinlich, dass die Kutsche sich überschlagen würde. Gleichwohl konnte sie nicht leugnen, dass es sie ziemlich durcheinanderbrachte, neben ihm zu sitzen. Schon jetzt hatte sie Gewissensbisse wegen ihrer Frage nach dem Grund seines Angebots, sie mitzunehmen. Es war eine höfliche Einladung gewesen, und sie hatte kindisch reagiert und genau das getan, was sie am meisten hasste, nämlich Aufmerksamkeit auf ihre Behinderung gelenkt. Ihre einzige Entschuldigung war, dass seine Ankunft sie überrumpelt hatte. Völlig überraschend war sie von einem Mann angesprochen worden, den sie bis dahin nur aus der Entfernung gekannt hatte, einem für seine Stärke und Tatkraft gefeierten Adligen. Aufzublicken und ihn in seinem schnittigen Gefährt sitzen zu sehen, die beiden temperamentvollen Grauen mühelos in Schach haltend, hatte ihre eigenen Unzulänglichkeiten umso deutlicher hervortreten lassen. Sie war sicher, dass er Mitleid empfunden hatte, wenn nicht Verachtung, als er Zeuge ihrer ersten humpelnden Schritte geworden war.

Nicht dass er etwas dergleichen gesagt hätte. Nein, sie kam nicht umhin, sich Überempfindlichkeit vorzuwerfen. Angesichts dessen war es eine Erleichterung gewesen, ihre Gedanken der Zukunft von Meggie und Florence zuwenden zu können. Bei dem Thema fühlte sie sich auf sicherem Terrain, auch wenn es gewiss kein verheißungsvoller Beginn war, dem neuen Earl Widerstand entgegengesetzt zu haben. Doch das Wohlergehen ihrer Schützlinge war ihre vorrangige Pflicht, und dass der neue Lord Davenport sich als genauso selbstsüchtig und herzlos erwies wie die meisten reichen und mächtigen Adligen, überraschte sie nicht. Womit sie indes nicht gerechnet hatte, war die Anziehung, die er auf sie ausübte; eine Anziehung, die sie zutiefst erschreckte, weil sie so machtvoll war, dass sie sie fast körperlich spürte. Wenn er in der Vergangenheit seinen Bruder besucht hatte, hatte sie meistens dafür gesorgt, dass sie im Schulzimmer bleiben konnte, und hatte die Mädchen mit ihrer Kinderfrau nach unten zu den anderen geschickt. James und Margaret wären froh gewesen, sie bei Familientreffen dabeizuhaben, aber sie wussten auch, wie sehr sie sich ihrer Missbildung schämte, und respektierten ihren Wunsch nach Zurückgezogenheit, wenn Gäste kamen.

Bislang hatte sie Alex ein einziges Mal aus der Nähe gesehen, und zwar bei der Hochzeit von James und Margaret, doch der vor Vitalität strotzende junge Mann hatte für die elfjährige Schwester der Braut kaum mehr als einen flüchtigen Blick übriggehabt. Seit damals war Diana ihm aus dem Weg gegangen, doch sie hatte seinen Werdegang verfolgt und kannte seinen Ruf als unternehmungslustiger, weltgewandter Gentleman, der kein Vergnügen ausließ. Er galt als Paradebeispiel der berüchtigten Arrandales und als das genaue Gegenteil seines bodenständigen, respektablen älteren Bruders. Nun, da sie neben ihm in dem Curricle saß, wurden ihr die körperliche Kraft und Größe des Mannes erst richtig bewusst. Er hatte so breite Schultern, dass es fast unmöglich war, nicht gegen ihn zu stoßen, wenn das Gefährt auf dem unebenen Fahrweg hin und her holperte, und das, obwohl er nicht einmal einen jener modischen Reitmäntel trug, deren stufenweise übereinanderliegende Pelerinen sie ausladender wirken ließen, sondern lediglich einen eng geschnittenen Paletot, der sich an seinen athletischen Körper schmiegte. Seine Hände steckten in weichen Ziegenlederhandschuhen, und er lenkte die Kutsche mit der Mühelosigkeit eines Könners. Seine hirschledernen Breeches und die hohen Stiefel betonten, wie kraftvoll seine langen Beine waren.

Dabei konnte man ihn nicht wirklich als gut aussehend bezeichnen. Zu diesem Schluss kam sie nach eingehender Überlegung. Seine Züge waren zu streng und kantig, die Nase leicht schief, möglicherweise durch einen Boxhieb, und um seine linke Braue und das Kinn herum entdeckte sie Narben, die möglicherweise von Duellen herrührten. Sein dunkles Haar war unordentlich, eher vom Wind zerzaust als von der Hand eines Kammerdieners gekämmt, und die Augen unter den schwarzen Brauen wirkten undurchdringlich wie Schiefer.

Nein, dachte Diana, als er das Gespann vor dem Haupteingang zum Stehen brachte, man kann ihn nicht als gut aussehend bezeichnen, als beunruhigend hingegen schon. Vielleicht weil er jetzt den Titel trug und ihr Dienstherr war, obwohl sein Bruder sie als gleichberechtigte Vormunde für Meggie und Florence bestimmt hatte. Alex Arrandale konnte ihr das Leben schwer machen, wenn er wollte, also würde sie vorsichtig sein müssen.

„Schaffen Sie es, auszusteigen?“, fragte er in ihre Gedanken hinein. „Ich kann die Zügel nicht loslassen.“

„Selbstverständlich.“ Sie sprang vom Sitz. „Ich bringe Meggie und Florence in den Empfangssalon, während Sie zu den Stallungen fahren.“

Sie rechnete damit, dass er ihr widersprechen würde und das Gespräch mit ihr im Haus fortsetzen wollte, doch zu ihrer Erleichterung fuhr er an, ohne ein Wort zu sagen, und sie hinkte die Treppe zum Eingang hinauf.

Dem Pferdeknecht Seiner Lordschaft war es zu verdanken, dass die Nachricht von der Ankunft des neuen Earls ihr vorausgeeilt war, und kaum hatte Diana die Halle betreten, kam ihr eine höchst geschäftige Mrs. Wallace entgegen. Als die Haushälterin sie erblickte, blieb sie stehen und lächelte strahlend.

„Da sind Sie ja, Miss Grensham. Ich habe mir erlaubt, Limonade und Kuchen in den Salon zu bringen, und außerdem Fingle losgeschickt, damit er Ale zapft, denn wir wissen ja, dass Mr. Alex, ich meine natürlich Lord Davenport, einem Krug selbst gebrautem Bier nicht abgeneigt ist.“

„Vielen Dank, Mrs. Wallace. Ich gehe hinauf zu den Mädchen.“

„Die Kinderfrau ist bei ihnen.“ Die Haushälterin lachte in sich hinein. „Sie ließen sich kaum davon abhalten, nach draußen zu laufen, um Seine Lordschaft zu empfangen, so aufgeregt waren sie, als sie hörten, dass er auf dem Weg hierher ist. Aber ich habe sie erst einmal nach oben geschickt, damit sie sich die Hände und das Gesicht waschen.“

Lächelnd begab Diana sich ins oberste Stockwerk, wo ihre beiden Schutzbefohlenen sich widerwillig den Säuberungsbemühungen der Kinderfrau unterzogen.

„Diana! Diana! Onkel Alex kommt zu Besuch!“ Laut rufend kam Meggie auf sie zugerannt.

„Ich weiß, und sobald du und Florence fertig seid, nehme ich euch mit in den Empfangssalon.“ Diana lächelte dem blonden braunäugigen Mädchen zu, das seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war. Würde Alex die Ähnlichkeit ebenfalls sehen und sie als tröstlich empfinden, so wie sie selbst es tat? Ein Zupfen an ihrem Kleid lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ihre andere kleine Schutzbefohlene. Im Gegensatz zu Meggie war Florence dunkelhaarig, aber nicht weniger lebhaft. Ihre grauen Augen funkelten.

„Dürfen wir ihn noch Onkel Alex nennen, nun, da er der Earl ist?“

„Natürlich dürfen wir“, bestimmte Meggie selbstbewusst. „Er ist immer noch mein Onkel, und du hast ihn auch stets Onkel Alex genannt. Daran ändert sich nichts, nicht wahr, Diana?“

Diana nickte. Zwar lächelte sie, doch wenn sie ehrlich war, befürchtete sie, dass sich alles ändern würde.

Der neue Lord Davenport war bereits da, als sie den Salon betraten. Den Arm auf den Sims gestützt, stand er vor dem Kamin und blickte gedankenverloren auf die leere Feuerstelle herunter. Beim Klang der Kinderstimmen verschwand seine düstere Miene. Lächelnd nahm er auf der Chaiselongue Platz und lud die Mädchen mit einer Handbewegung ein, sich zu ihm zu setzen. Sie flitzten durch den Raum, begrüßten ihn mit einer Umarmung und einem Kuss auf die Wange. Diana folgte ihnen langsam, innerlich beschäftigt mit dem überraschenden Wechsel vom Autokraten zum freundlichen, zugänglichen Onkel. Die Mädchen ließen sich zu beiden Seiten neben ihn plumpsen, ohne Unterbrechung plappernd, und schließlich fragte Meggie ihn, warum er so lange nicht gekommen war.

„Ich hatte einen Berg wichtiger Angelegenheiten zu erledigen“, erwiderte er ernst. „Trotzdem war es ein Fehler, dass ich euch nicht früher besucht habe, und ich bitte um Entschuldigung.“

„Diana sagte uns, dass du viel zu tun hast.“ Florence nickte verständnisvoll. „Und außerdem sagte sie, dass du wahrscheinlich sehr traurig bist, weil dein Bruder tot ist.“

„Hast du geweint?“ Meggie schluckte, ehe sie leise fortfuhr. „Florence und ich mussten schrecklich weinen, als wir hörten, dass Mama und Papa ertrunken sind. Diana hat auch geweint.“

„Nein, geweint habe ich nicht“, erwiderte Alex ernst. „Aber ich war sehr traurig.“

„Diana hat uns in den Arm genommen, um uns zu trösten.“ Meggie zog die Stirn kraus. „Schade, dass du nicht hier warst, Onkel Alex, sonst hätte sie dich auch in den Arm nehmen können.“

Diana hüstelte, um das Lachen, das in ihr aufstieg, zu kaschieren, und wandte sich ab. Wahrscheinlich war sie knallrot vor Verlegenheit. Auch wenn sie den neuen Earl selbstsüchtig und herzlos fand, so war sie ihm doch dankbar, dass er geschickt das Thema wechselte.

„Ich glaube, wir sollten den köstlichen Kuchen probieren, den Mrs. Wallace gebacken hat“, schlug er munter vor. „Ob eine von euch beiden jungen Damen mir wohl ein Stück abschneiden könnte?“

Als sie sich einigermaßen von ihrer Verlegenheit erholt hatte, trat Diana an den Tisch, um den Mädchen beim Servieren der Erfrischungen zu helfen. Zu ihrer Erleichterung machte Lord Davenport keine Anstalten, in Anwesenheit ihrer Schutzbefohlenen zu streiten, und im Übrigen war sie zufrieden damit, zu schweigen, während er die beiden fragte, was sie den Tag über machten und was sie im Schulzimmer lernten. Meggie und Florence waren aufgeweckt und hatten genauso viel Spaß am Lernen wie sie selbst am Unterrichten, und begeistert führten sie den Earl hinauf in das Schulzimmer, um ihm zu zeigen, was sie durchgenommen hatten. Diana blieb allein zurück. Es würde Seiner Lordschaft nicht schaden, ein wenig Zeit in der Gesellschaft seiner Mündel zu verbringen. Mit ihrem Stickrahmen begab sie sich ins Morgenzimmer, um die Rückkehr der drei zu erwarten.

Eine Weile später kam Lord Davenport ohne die Mädchen zurück, und Diana konnte nicht widerstehen, ihm eine neckende Frage zu stellen.

„Haben die beiden Sie erschöpft?“

„Keineswegs, aber die Kinderfrau sagte mir, dass Judd im Hof vor den Stallungen auf sie wartet, um ihnen ihre Reitstunde zu erteilen, und mit einem solchen Vergnügen konnte ich nicht mithalten.“

„Das glaube ich. Sie lieben ihre Ponys, und bei Judd sind sie in guten Händen.“

„Absolut. Er hob mich auf mein erstes Pony und ist der Familie zutiefst ergeben.“

Die gute Laune des Earls ermutigte sie, an die vorausgegangene Diskussion anzuknüpfen.

„Sie sehen, wie glücklich die beiden hier sind, Mylord.“

Augenblicklich wurde er abweisend.

„Sie könnten woanders genauso glücklich sein.“

„Irgendwann vielleicht, aber jetzt noch nicht.“ Diana fühlte sich im Nachteil, wenn er vor ihr stand, daher legte sie ihre Stickarbeit beiseite und erhob sich. „Tagsüber geht es ihnen gut, aber sie schlafen immer noch unruhig. Und nachdem sie von dem Schiffbruch erfuhren, hatten sie eine Zeit lang Albträume. Chantreys ist ihr Zuhause, es ist ihnen vertraut, und sie fühlen sich hier wohl. Sie zu diesem Zeitpunkt zu entwurzeln wäre grausam.“

„Ich habe mir sagen lassen, dass es sehr gute Internate gibt, wo sie Freundschaften mit Kindern ihres Alters und ihrer gesellschaftlichen Stellung knüpfen könnten.“

„Das können sie auch hier“, erwiderte Diana fest. „Sie haben Freunde. Unter den Kindern der ortsansässigen Familien, und die Dienerschaft würde alles für die Mädchen tun. Sie leiden keinen Mangel an menschlicher Zuwendung.“

„Aber vielleicht würde ihnen eine breit gefächerte Bildung guttun. Eine Schule hätte den Vorteil, dass es Lehrer für alle Fächer gibt.“

„Mag sein, doch die besten Lehrer findet man in London, und Chantreys liegt in der Nähe der Stadt. Und die Unterhaltungen, die die Hauptstadt zu bieten hat, können ebenfalls lehrreich sein. Die Bildung der Mädchen wird nichts zu wünschen übrig lassen, das versichere ich Ihnen.“

Alex zog finster die Brauen zusammen. Es war eine ungewohnte Erfahrung für ihn, dass jemand ihm die Stirn bot.

„Sie wollen behaupten, dass Sie den Mädchen alles beibringen können, was sie brauchen?“, fragte er ungeduldig.

„Genau. Ich werde meinen Standpunkt nicht ändern, Mylord. Meggie und Florence bleiben hier.“

Eine ruhige Gelassenheit lag in ihrer Stimme, die einen wunden Punkt bei ihm berührte. Glaubte sie, ihm trotzen zu können?

„Was würden Sie dagegenhalten, wenn ich wette, dass ich Sie und die Kinder zum Ende des Sommers aus dem Haus habe?“, fragte er leise.

Herausfordernd reckte sie das Kinn.

„Ich wette nicht auf Gewissheiten, Mylord. Denn Sie werden es nicht tun – außer Sie hätten vor, uns zwangsweise auszuquartieren.“

Ruhig begegnete sie seinem Blick, und ihm wurde klar, dass sie seinen Bluff durchschaut hatte. Er würde nichts tun, was den Mädchen schadete, aber genauso wenig hatte er vor, einfach zu kapitulieren.

„Nein, ich gehe davon aus, dass Sie freiwillig das Haus verlassen.“

„Wovon Sie ausgehen, Lord Davenport, und was tatsächlich geschehen wird, sind zwei verschiedene Paar Schuhe.“

Wut schoss in ihm hoch bei ihrer selbstsicheren Beharrlichkeit.

„Es war eine vorteilhafte Ehe für Ihre Schwester“, hielt er ihr vor. „Mein Bruder heiratete sie, obwohl sie kein Vermögen hatte. Ich nehme an, Sie behielt er aus Barmherzigkeit hier.“

Es war ein Schlag unter die Gürtellinie, und Alex bereute die Worte, sobald er sie gesagt hatte, doch zu seiner Überraschung wirkte sie nicht getroffen von der Bemerkung, sondern richtete sich gerade auf. Ihre Augen blitzten vor Zorn.

„Er behielt mich hier, weil ich eine hervorragende Gouvernante bin!“

Bewunderung stieg in ihm auf. Sie war eine zierliche Person, reichte ihm kaum bis zur Schulter, aber sie scheute sich nicht, ihm mit entschlossenem Blick zu begegnen, wenn er sie durchbohrend ansah. Und als sie weitersprach, blitzte Schalk in ihren Augen auf.

„Margaret war die Schönere von uns beiden, aber ich hatte Verstand.“

Er musste lachen.

„Nun gut, Miss Grensham, einigen wir uns also darauf – für den Moment! –, dass Sie eine passable Gouvernante für Meggie und Florence sind, aber trotzdem ist Chantreys keine geeignete Bleibe für die Kinder, das müssen Sie einsehen. Es gibt nur eine Treppe, und die Kinder würden meinen Gästen über den Weg laufen, sobald sie das Schulzimmer verlassen. Es hilft nichts, die Mädchen müssen umziehen. Ich lasse Ihnen die Wahl, auf welches meiner anderen Anwesen.“

„Ich will auf keins Ihrer anderen Anwesen.“

Alex musterte sie eindringlich. Die meisten Menschen fanden seinen Blick entnervend, doch sie reagierte mit ruhiger Entschlossenheit. „Und wenn Sie darauf bestehen, werde ich Widerstand leisten, Sir.“

Zorn wallte in ihm auf. Sie wagte es, ihre Willenskraft mit seiner zu messen?

„Sie wären schlecht beraten, die Klingen mit mir zu kreuzen, Miss Grensham.“

„Ich hege keinerlei derartige Wünsche, Lord Davenport, aber einen Umzug der Kinder werde ich verhindern, und da ich im Besitz Ihres Schreibens bin, können Sie mich nicht zwingen.“ Sie sah ihn an und setzte herausfordernd hinzu: „Außer Sie hätten die Absicht, den Streit vor Gericht auszutragen?“

2. KAPITEL

Alex brütete noch über seine Niederlage, als er in der Stadt eintraf, und die Tatsache, dass er versprochen hatte, sich an diesem Abend bei Almack’s blicken zu lassen, war nicht dazu angetan, seine Laune zu heben. Die Dowager Marchioness of Hune wollte eine junge Bekannte in den ton einführen und hatte sich mit der Bitte um Unterstützung an ihn gewandt. Lady Hune war seine Großtante und eines der wenigen Mitglieder der Familie Arrandale, die ihn nicht drängten, endlich zu heiraten. Darüber hinaus mochte Alex die alte Dame und hatte sein Kommen fest zugesagt. Sein Wort zurücknehmen konnte er nicht, selbst wenn es bedeutete, den berüchtigten Heiratsmarkt zu betreten.

Nachdem er allein zu Abend gegessen hatte, ging Alex die kurze Entfernung zur King Street zu Fuß. Seine Mission war rasch erledigt. Miss Ellen Tatham erwies sich als eine lebhafte Schönheit, und es fiel ihm nicht schwer, sie zum Tanz aufzufordern. Sobald er seine Pflicht erfüllt hatte, verschwand er und belohnte sich mit einem Besuch in einem unauffälligen Haus in der Nähe der Piccadilly Street, wo er sicher sein konnte, geistesverwandte Gesellschaft zu finden.

Das Haus gehörte Lady Frances Betsford. Sie war die jüngste Tochter eines verarmten Adligen. Obwohl sie eine anerkannte Schönheit war, hatte sie nur einen Baronet geheiratet. Der Mann war innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung gestorben und hatte die Witwe mit einem komfortablen Auskommen zurückgelassen. Seit fünf Jahren lebte sie durchaus stilvoll in London, bewegte sich in allen außer den höchsten Kreisen, von den Damen geduldet und von ihren Ehemännern gesucht. Ihr Name hatte im Zusammenhang mit etlichen prominenten Mitgliedern der Gesellschaft Erwähnung gefunden, und seit Kurzem wurde er auch in Verbindung mit dem neuen Earl of Davenport genannt.

Alex kannte Frances seit Jahren. Sie hatten eine kurze Liaison gehabt, als er seinerzeit in die Stadt gekommen war, und jetzt setzte Frances alles daran, ihn aufs Neue in ihr Bett zu bekommen. Er war sich darüber im Klaren, dass ihr wiedererwachtes Interesse an ihm mit seinem Aufstieg zum Earl zu tun hatte. Was ihn indes nicht sonderlich störte. Er wusste, wie es im Leben zuging, und sein Blick auf die Welt war zynisch gefärbt. Lady Betsford wollte Countess werden, und sie kam für ihn durchaus infrage. Ihre Abkunft war untadelig, sie war schön, gescheit und kein unerfahrenes Mädchen, das ihn nach ein paar Wochen langweilen würde. Entschieden ein Vorteil, wie er befand, als er ihren überfüllten Salon betrat. Er beobachtete, wie sie sich über Sir Sydney Dunfords Schulter beugte, um ihm zu raten, welche Karten er ablegen sollte, und stellte verwundert fest, wie wenig ihm der Gedanke ausmachte, ihre Gunst mit anderen Gentlemen zu teilen. Auch dieser Umstand sprach für sie. Mit ihr würde er ein vernünftiges Arrangement ohne lästige Gefühle treffen können.

Ein hochgewachsener Gentleman in einem eleganten Abendfrack löste sich aus einer Traube von Menschen und begrüßte ihn mit einem lässigen Winken.

„Nun, Alex, hast du die Sommerparty auf Chantreys anberaumt?“

„Ich fürchte nein, Gervase.“

Gervase Wollerton schüttelte den Kopf. „Schade. Lady Betsford wird enttäuscht sein.“

„Das lässt sich nicht ändern …“ Alex verstummte, als er sah, dass die fragliche Dame mit ausgestreckten Händen auf ihn zukam, ein Lächeln auf den karmesinrot geschminkten Lippen.

„Mylord. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben.“

Galant beugte er sich über ihre Hand.

„Ich hatte Sie gewarnt, dass ich spät kommen würde, Frances.“

Sie lachte leise und hakte sich bei ihm unter.

„Und das haben Sie getan. Kommen Sie, gesellen Sie sich zu uns. Was spielen Sie? Loo? L‘Hombre? Commerce? Oder haben Sie Lust auf eine Partie Piquet? Nur Sie und ich?“

Er blickte hinab in ihr bezauberndes lächelndes Gesicht. Nach Diana Grenshams störrischer Weigerung, seinen Plänen zuzustimmen, war die herzliche Einladung in Frances’ himmelblauen Augen Balsam für seine Seele. Was konnte schöner sein, als ein paar Stunden in so angenehmer Gesellschaft zu verbringen? Es würde ihm helfen, den unbefriedigenden Besuch auf Chantreys aus dem Kopf zu bekommen.

„Piquet“, entschied er kurzerhand.

Sie lächelte strahlend und schmiegte sich an ihn. „Und danach?“ Die Frage war so leise gemurmelt, dass nur er sie hören konnte.

Er spürte den Druck ihrer vollen Brüste. Der süße, berauschende Duft ihres Parfüms stieg ihm in die Nase, hüllte ihn ein. Sie war üppig, begehrenswert und wusste einem Mann Vergnügen zu bereiten. Ihre Einladung war höchst verlockend, doch an diesen Abend erfüllte ihn eine sonderbare Ruhelosigkeit, die ihn zögern ließ, sich festzulegen. Aber wahrscheinlich würde er sich in einer Stunde schon ganz anders fühlen.

Er lächelte. „Lassen Sie uns mit dem Spiel beginnen und sehen, was passiert.“

Seine Rastlosigkeit legte sich nicht, und selbst Lady Betsfords Charme konnte ihn nicht dazu bewegen zu bleiben. Kurz nach Mitternacht machte Alex sich auf den Weg zurück zu seinem gemieteten Haus in der Half Moon Street. Am Piccadilly Square herrschte wie immer geschäftiges Treiben. Kutschen rumpelten an ihm vorüber, und der Gehweg war voller Menschen, Gentlemen zumeist, die von einer abendlichen Zerstreuung kamen oder eine besuchen wollten. Ein paar wenige Frauen waren unterwegs, grell gekleidet und unübersehbar darauf aus, jedem Mann mit etwas Zeit und ein wenig Geld in der Tasche ihre Dienste anzubieten. Eine der Frauen näherte sich ihm, doch Alex winkte sie fort. Als sie sich umwandte und davonstolzierte, leuchtete ihr Haar im flackernden Licht einer Fackel rötlich auf. Es sah scheußlich unnatürlich aus, ganz und gar nicht wie das herrliche, von rotgoldenen Glanzlichtern durchsetzte Haar Diana Grenshams, das so gut zu ihren grünlichen Augen passte. Er hätte sie ewig betrachten können, ohne ihres Anblicks jemals müde zu werden.

Kurz durchzuckte ihn ein Schreck, und er beeilte sich, den Gedanken abzuschütteln. Was in Dreiteufelsnamen trieb ihn bloß um heute Nacht? Diana Grensham war überhaupt nicht der Typ Frau, den er bevorzugte, sie war stur und rechthaberisch, und er konnte nicht verstehen, was James sich dabei gedacht hatte, ihr die alleinige Sorge für die Erziehung der Kinder zu überlassen.

Die Antwort war einfach. Sie gehörte nicht zu der für ihren lockeren Lebenswandel bekannten Familie Arrandale. James war die Ausnahme gewesen – ein bodenständiger, nüchterner junger Mann, der seine Verantwortung ernst nahm.

„Das gilt für mich auch, zum Donnerwetter noch eins!“, entfuhr es Alex halblaut, als er in die Half Moon Street einbog. Kaum hatte er die Verwünschung geäußert, kam ihm Dianas Tadel in den Sinn, und er blieb stehen und grinste schief. Wie konnte er so etwas sagen, wo er doch plante, den ton mit einem extravaganten Ball, zu dem er die schlimmsten Wüstlinge einzuladen gedachte, vor den Kopf zu stoßen?

Ja, sein Vorhaben war selbstsüchtig, doch die teuflische Gemeinheit des Plans gefiel ihm. Er würde dieser Bande hochmütiger Schwachköpfe zeigen, dass er sich nicht nötigen ließ, eine Ehe einzugehen. Heiraten würde er dann, wenn er dazu bereit war, und keine Minute früher. Er erreichte sein Haus, eilte die Eingangstreppe hinauf, und sein Lächeln verblasste so rasch, wie es gekommen war, als ihm einfiel, dass er noch keine Lösung für das Problem mit den Mädchen gefunden hatte. Solange sie auf Chantreys wohnten, konnte er dort keine Party abhalten.

Es würde den Kindern nicht schaden, woanders zu leben. Er reichte dem verschlafenen Diener Hut und Handschuhe und ging, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hinauf zu seinem Schlafgemach. Er kam zu dem Schluss, dass es, im Gegenteil, gut wäre für die Mädchen und dass Miss Grensham dies einsehen musste.

Sein Kammerdiener sprang überrascht auf, als Alex ins Zimmer stürmte.

„Mylord, ich hatte Sie nicht so zeitig erwartet …“

„Das ist in Ordnung, Lincoln. Muss ich morgen Vormittag irgendwelche Termine wahrnehmen?“

„Eigentlich nicht, Mylord, außer mit Ihrem Schneider.“

„Der Mann kann warten.“ Alex entledigte sich seines Frackrocks und reichte ihn Lincoln. „Sobald es hell wird, schicken Sie eine Nachricht zum Mietstall. Um neun soll mein Curricle vor dem Eingang bereitstehen.“

Es ging auf Mittag zu, als er vor dem Eingang von Chantreys anhielt. Alex überließ es seinem Pferdeknecht, die Kutsche zu den Stallungen zu fahren, und schlenderte zum Portal. Der Butler stand in der geöffneten Tür und begrüßte ihn.

„Miss Grensham und die Kinder sind im Park.“ Fingle nahm seinen Hut und die Handschuhe entgegen und legte sie auf einem Seitentisch ab. „Soll ich Sie ankündigen lassen, Mylord?“

„Nein, nicht nötig.“

Alex durchquerte die Eingangshalle und ging in den Salon, durch dessen hohe Fenstertüren man ins Freie gelangte. Auf der Terrasse war niemand zu sehen, doch er folgte dem Klang kindlicher Stimmen und trat durch einen Durchlass in der hohen Hecke, die den Figurengarten von den ausgedehnten Rasenflächen mit dem künstlichen See trennte.

Ein lebhaftes Federballmatch war im Gange, mit Meggie und Florence auf der einen und Diana auf der anderen Seite. Die drei waren so vertieft in ihr Spiel, das sie ihn zuerst gar nicht bemerkten und er ihnen ungestört zusehen konnte. Die Mädchen flitzten hin und her, lachten und kreischten vor Vergnügen und schlugen den Federball zu Diana, die so gut wie jeden Ball erreichte. Sie rannte nach rechts, nach links, vollführte Drehungen, deckte ihre Seite des Spielfelds, ohne dass sie ihr Bein nachgezogen hätte wie am Tag zuvor.

„Bravo, Miss Grensham“, rief Alex ihr anerkennend zu, nachdem sie Meggies Federball zurückgeschlagen hatte. „Ein gelungener Return.“

„Onkel Alex!“

Die Mädchen kamen auf ihn zugelaufen. Diana ließ ihren Schläger sinken und blieb abwartend stehen. Wenig überraschend, so befand er, angesichts ihrer gestrigen Begegnung, doch sich über verschüttete Milch zu grämen half gar nichts, also begrüßte er sie fröhlich.

„Wie ich sehe, nutzen Sie das schöne Wetter, Miss Grensham.“

Sie entspannte sich und erwiderte sein Lächeln vorsichtig.

„Meggie und Florence haben sich eine Belohnung verdient. Sie waren heute Morgen im Unterricht ausgesprochen fleißig.“

„Müssen wir jetzt hineingehen?“, fragte Florence hörbar widerwillig.

Alex schüttelte den Kopf.

„Ihr müsst euch meinetwegen keine Umstände machen. Immerhin habe ich euer Spiel unterbrochen.“

„Wir waren nicht sehr gut“, vertraute Meggie ihm an. „Diana spielt viel besser als wir.“

„Nun, dann wollen wir sehen, ob wir nicht für ein wenig Ausgleich sorgen können.“ Alex entdeckte den vierten Schläger auf der Picknickdecke in der Nähe. „Miss Grensham, was halten Sie von einem Doppel, Florence und Sie gegen Meggie und mich?“

Die Mädchen quietschten entzückt, doch Diana schüttelte den Kopf. „Sie sind nicht hergekommen, Mylord, um mit uns zu spielen.“

Ein paar widerspenstige rotgoldene Locken hatten sich aus ihrer Frisur gelöst, und am liebsten hätte er sie ihr hinters Ohr gestrichen. Wären sie allein gewesen, er hätte liebend gerne mit ihr getändelt … Der Gedanke erhitzte sein Blut, und er hatte Mühe, sich in Erinnerung zu rufen, dass es um Federball ging, nicht um Flirten.

Mit Mühe kämpfte er seine fleischlichen Regungen nieder. „Die Ehre der Arrandales steht auf dem Spiel.“

Er entledigte sich seines Gehrocks, enthüllte eine seidene Weste, die besser in die Bond Street gepasst hätte als in einen ländlichen Garten, doch das kümmerte ihn nicht. „Holst du mir den überzähligen Schläger, Meggie?“

Eine rasante halbe Stunde schloss sich an. Zu Anfang wirkte Diana ein wenig verlegen über die Anwesenheit des Hausherrn. Sie belastete ihr linkes Bein und hinkte stark. Alex ging darüber hinweg und schenkte ihr nichts. Zu seiner Genugtuung setzte sich ihr Wettbewerbsgeist schon nach kurzer Zeit durch, und je mehr sie sich in ihrem Spiel verlor, je mehr sie rannte und versuchte, jeden Ball von ihm zu parieren, desto weniger ließ sie irgendwelche Anzeichen des hinkenden Gangs erkennen, den sie sonst zeigte. Das Spiel endete erst, als Fingle mit einem Tablett Erfrischungen und der freundlichen Erinnerung erschien, dass die Köchin dabei war, den Nachmittagsimbiss für die Mädchen zuzubereiten.

„Dann bitten Sie die Haushälterin, ein weiteres Gedeck für mich aufzulegen“, sagte Alex eilig. „Sofern Miss Grensham keine Einwände hat?“

Die Mädchen jubelten vor Freude, und Diana hob die Hände.

„Es wird kindgerechte Kost geben“, warnte sie vorsorglich.

„Dann soll Fingle einen anständigen Claret für mich heraussuchen.“ Alex nickte dem Butler zu.

Fingle verbeugte sich und ging, um der Köchin Bescheid zu sagen. Alex nahm sich den Krug Ale vom Tablett und setzte sich auf die Decke, während Diana den Mädchen Limonade eingoss. Er beobachtete, wie sich ihre Brüste unter dem Mieder ihres Kleides hoben und senkten, und verspürte erneut eine so starke Anziehung, dass er sich zwingen musste, den Blick von ihr abzuwenden. Anziehung stand nicht auf seinem Plan.

„Verbringen Sie jeden Tag so wie heute?“

Diana nickte. „Wann immer das Wetter es zulässt. Frische Luft und Bewegung sind gut für junge Menschen im Wachstum.“

Für erwachsene Menschen auch.

Diana war außerstande, den Blick von der muskulösen Gestalt auf der Picknickdecke abzuwenden – von den langen Beinen in den eng anliegenden Pantalons und den Reitstiefeln. Sie wusste, dass Alexander Arrandale als Mann von Welt galt, als modebewusst und sportlich, was angesichts seiner muskulösen Schenkel, aber auch der breiten Schultern, des starken Brustkorbs und des flachen Bauchs kein Wunder war.

Sie reichte den Mädchen ihre Limonade, nahm sich selbst ein Glas und begab sich zu dem freien Platz auf der Decke. Ihr ungleichmäßiger Gang war ihr bei jedem Nachziehen des verkürzten linken Beins bewusst. Das Hinken war nicht sehr ausgeprägt und hatte sie nie davon abgehalten, sich bei den lebhafteren Spielen mit ihrer Schwester und ihren Cousinen hervorzutun, aber in Anwesenheit anderer war es ihr unmöglich, ihre Behinderung zu vergessen. Sie schaffte es nicht, sich mit der fließenden Eleganz, die man von jungen Damen erwartete, vorwärtszubewegen.

Als ihre Schwester ihr den Vorschlag gemacht hatte, die Gouvernante der beiden kleinen Mädchen zu werden, hatte Diana bereitwillig akzeptiert. Von einer Saison in London und der Präsentation bei Hofe war nicht mehr die Rede gewesen, und Diana hatte die Erleichterung ihrer Mutter sehr wohl bemerkt, als diese begriffen hatte, dass ihr die Einführung ihrer verkrüppelten Tochter in die Gesellschaft erspart bleiben würde.

„Sie wirken sehr ernst, Miss Grensham.“ Die Stimme des Earls riss sie aus ihren Gedanken. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“

„Nein, wie kommen Sie darauf?“ Sie schob die unschönen Erinnerungen beiseite. „Sie fragten danach, wie wir den Tag verbringen. Wir stehen um halb acht auf, und nach dem Frühstück fängt der Unterricht an. Am Nachmittag geht er weiter, oder wir machen einen Spaziergang, wenn das Wetter es erlaubt, oder spielen im Freien. Die Mädchen haben einen vollen Stundenplan, sie lernen Cembalo spielen und all die anderen Fähigkeiten, über die eine junge Dame verfügen muss, wie zum Beispiel Nadelarbeit, Singen und Tanzen, aber mit acht Jahren haben die beiden für letzteres noch viel Zeit.“

„Ich stelle Ihre Befähigung als Gouvernante nicht infrage, Miss Grensham.“

Diana sah sich nach ihren Schützlingen um. Meggie und Florence schienen sich gelangweilt zu haben. Sie waren aufgestanden und spielten wieder Federball. Immerhin war niemand in der Nähe, der mithören konnte.

„Nein?“, fragte sie herausfordernd. „Gestern deuteten Sie an, ich hätte die Stellung womöglich nur deshalb bekommen, weil ich eine arme Verwandte bin.“

Und ein Krüppel.

Sie sprach die Worte nicht aus, doch sie hingen in der Luft.

„Dafür bitte ich Sie um Entschuldigung.“ Alex setzte sich auf. „Weshalb haben Sie die Position angenommen?“

„Bildung und Wissen haben mich schon immer interessiert.“ Sie zuckte die Schultern. „Und als Meggies Tante konnte ich so viel mehr sein als nur eine Gouvernante. Wie Sie wissen“, fuhr sie nach einem Moment des Nachdenkens fort, „pflegten James und Margaret oft zu verreisen, zu Hauspartys, zu denen sie eingeladen waren, und zu Besuchen, die sie machen mussten. Die Kinder konnten hier bleiben, in ihrer vertrauten Umgebung, und auch wenn ihre Eltern abwesend waren, so hatten sie wenigstens mich.“ Sie zupfte ihre Röcke zurecht. „Was sich als Segen erwies, nachdem das Unglück passiert war. Als die Nachricht kam, dass Margaret und James den Tod gefunden hatten, konnte ich die Kinder trösten.“

Schmerz stand in ihren Augen, und Alex wurde aufs Neue klar, dass er nicht der Einzige war, der ein Geschwister verloren hatte, als das Schiff vor der spanischen Küste gesunken war.

„Und wer hat Sie getröstet, Diana?“

Er war nicht sicher, ob sie zusammenzuckte oder nur mit dem Kopf schüttelte, doch sie gab keine Antwort.

„Wir sollten wohl besser hineingehen.“ Sie stand auf und schüttelte ihre Röcke aus. „Meggie, Florence, bringt bitte die Schläger mit, damit wir sie ordentlich weglegen können. Ich sage Fingle Bescheid, dass er die Decke hereinholen lässt und das Tablett. Wenn Sie, Mylord, mit den Mädchen vorausgehen würden? Ich komme gleich nach.“

Alex erwiderte nichts darauf, doch als er die Kinder ins Haus begleitete, kam ihm der Gedanke, dass sie nicht wollte, dass er sie hinken sah.

Das Schulzimmer befand sich im obersten Stockwerk, genau wie früher, doch er erkannte den düsteren Raum seiner Kindheit kaum wieder. Die Wände waren hell gestrichen und mit Drucken und Zeichnungen bedeckt, viele davon von Kinderhand. Die Mädchen trugen die Schläger zum Eckschrank, und er beeilte sich, die Schranktür zu öffnen. Sein Blick streifte einen Gegenstand, der weiter hinten in einem der Fächer lag, und im nächsten Moment zog er einen kleinen Cricket-Schläger hervor.

Autor

Sarah Mallory
<p>Schon immer hat die in Bristol geborene Sarah Mallory gern Geschichten erzählt. Es begann damit, dass sie ihre Schulkameradinnen in den Pausen mit abenteuerlichen Storys unterhielt. Mit 16 ging sie von der Schule ab und arbeitete bei den unterschiedlichsten Firmen. Sara heiratete mit 19, und nach der Geburt ihrer Tochter...
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