Gefühl gegen Vernunft - wie stark ist das Herz?

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NUR EIN GALANTES ABENTEUER?

Niemals! Eine langweilige Ehe ist das Letze, was die temperamentvolle Miss Caroline Holbrook ersehnt! Dennoch soll sie auf den Wunsch ihrer Tante noch in dieser Saison einen Gatten finden. Und prompt lenken Carolines rote Lockenpracht und ihre funkelnden grünen Augen Sir Fredrick Rathbones Blicke auf sich: der begehrteste Junggeselle der Stadt - der alles andere als langweilig ist, wie Caroline nach einem betörenden Kuss atemlos feststellt. Aber will Sir Frederick wirklich den Hafen der Ehe ansteuern? Oder sucht der charmante Herzensbrecher nur ein galantes Abenteuer?

HOCHZEITSGLOCKEN ZUM FEST DER LIEBE

Möglichst schnell soll Harry, der zukünftige Lord Beverley, eine adlige junge Dame heiraten! So verlangt es sein Vater. Aber die Liebe geht ihren eigenen Weg: In Bath begegnet er der entzückenden Pfarrerstochter Josephine Horne. Als er die rotgelockte Schönheit auf einem Weihnachtsball zärtlich küsst, weiß er: Er hat sich in Josephine verliebt, die doch niemals als seine Gattin in Frage kommt! Bis sie gemeinsam ein gefährliches Abenteuer bestehen. Plötzlich beschleichen Harry Zweifel: Ist es wirklich richtig, aus Gründen der Vernunft auf dieses große Glück zu verzichten?

ZWISCHEN PFLICHT UND SEHNSUCHT

Bezaubernd unkonventionell, lebenslustig und voller Esprit: Die junge Künstlerin Sophie Westby ist leider die Falsche zum Heiraten! Denn Charles Alden, Viscount Dayle, will eine möglichst langweilige Debütantin ehelichen. Nur so kann er die bösen Gerüchte zerstreuen, die seine politische Karriere gefährden. Aber je länger Sophie auf seinem Landsitz zu Gast ist, desto mehr begehrt Charles sie. Und als er ihr eines Nachts am See begegnet, ist der Moment der Entscheidung gekommen: Soll er ihr seine Liebe gestehen - oder seinem kühlen Verstand folgen und für immer schweigen?


  • Erscheinungstag 12.11.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733772765
  • Seitenanzahl 672
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Anne Herries, Deb Marlowe

Gefühl gegen Vernunft - wie stark ist das Herz?

IMPRESSUM

MYLADY erscheint vierwöchentlich im CORA Verlag GmbH & Co. KG,

20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

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Redaktionsleitung:

Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)

Cheflektorat:

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Lektorat/Textredaktion:

Ilse Bröhl

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Grafik:

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© 2008 by Anne Herries

Originaltitel: „The Rake’s Rebellious Lady“

erschienen bei: Mills & Boon, London

in der Reihe: HISTORICAL ROMANCE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe MYLADY, Band 529 (8) 2010

by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Übersetzung: Mira Bongard

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 08/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

ISBN-13: 978-3-86295-057-7

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

MYLADY-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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Anne Herries

Nur ein galantes Abenteuer?

1. KAPITEL

London, Mai 1814

„Was für Prachtexemplare!“, rief George Bellingham, als er die reinrassigen Füchse sah, die Sir Frederick Rathbone an diesem Morgen durch den Hyde Park lenkte. „Du hast wirklich ein ausgezeichnetes Gespür für Pferde, Freddie. Beim nächsten Mal, wenn ich meinen Stall aufbessern will, werde ich deinen Rat einholen.“

George war zu Fuß unterwegs. Sir Frederick hielt sofort an und lud ihn ein, in den Phaeton einzusteigen.

„Willst du die Zügel übernehmen?“, fragte er. „Solche Pferde findest du in ganz London nicht. Ich hatte großes Glück, sie zu bekommen. Sie stammen aus Farringdons Stall. Er hat sie mir verkauft, nachdem er beim Spielen eine Pechsträhne hatte.“

„Es können nicht alle so viel Glück haben wie du!“, erwiderte Bellingham. „Dennoch wundert es mich, dass Farringdon sie verkauft hat. Ich dachte, sie wären sein ganzer Stolz.“

„Not kennt kein Gebot.“ Freddie lachte, wobei ein spöttisches Schimmern in seinen dunklen Augen aufblitzte. Er war ein gut aussehender Teufel, arrogant, eigensinnig und der Fluch jeder Mutter, die für ihre Tochter nach einem geeigneten Ehemann Ausschau hielt. Bis jetzt hatte der Achtundzwanzigjährige alle Fallen umgangen, die man für ihn aufgestellt hatte. „Glück im Spiel, Pech in der Liebe, sagt man das nicht so?“

„Nicht in deinem Fall!“, erwiderte Bellingham. „Deine jüngste Eroberung ist eine Schönheit, Freddie. Alle Männer Londons beneiden dich um die bezaubernde Yolanda.“

„Ein kostspieliges Hobby“, bemerkte Freddie missmutig. Seine Geliebte war zwar eine außergewöhnliche Schönheit, doch sie besaß eine übertriebene Vorliebe für teuren Tand. „Ehrlich gesagt, bin ich ihrer überdrüssig. Sie ist zu durchschaubar.“

„Du meine Güte! Was erwartest du? Sie ist eine Kurtisane allerersten Rangs. Man sagt, sie habe mit gekrönten Häuptern Umgang gehabt – sogar von Bonaparte ist die Rede!“

„Was du nicht sagst!“ Freddie zog ein langes Gesicht. Er hatte von den Gerüchten gehört und wusste, dass sie nicht stimmten. „Warum habe ich das bloß nicht vorher gewusst?“ Er schüttelte den Kopf. „Sie ist einfach nicht nach meinem Geschmack.“

„Willst du lieber einen einfältigen Backfisch? Vielleicht die liebliche Miss Avondale, wenn du schon auf Brautschau bist?“

„Gott bewahre! Diese fade Anständigkeit – und dieses Lispeln! Ich würde mich innerhalb weniger Stunden zu Tode langweilen!“ Freddie lachte spöttisch. „Nein, ich denke nicht wirklich an Heirat, George. Trotzdem sehne ich mich manchmal nach einer Frau, mit der ich so reden kann wie mit dir, einer Partnerin in einem mehr als nur körperlichen Sinne.“

„Wenn so eine Dame existiert, gehört sie mir“, entgegnete Bellingham. „Eine solche Frau wäre außergewöhnlich. Da würde sogar ich in Versuchung geraten.“

„Mal halblang, alter Junge“, frotzelte Freddie. Sein Freund war vierunddreißig und nach eigenen Angaben ein eingefleischter Junggeselle. „Da muss sie tatsächlich etwas Besonderes sein, um dich vor den Traualtar zu locken.“

George nickte gedankenverloren. „Wie du sagst, obwohl ich mich erst kürzlich gefragt habe …“ Er schüttelte den Kopf. Die Pferde wurden unruhig, weil sie nicht länger still stehen wollten. „Da keiner von uns einer solchen Dame begegnen wird, ist alles reine Spekulation.“ Er lockerte die Zügel und erlaubte den temperamtvollen Pferden loszutraben. „Wirst du heute Abend bei Almack’s vorbeischauen?“

„Du meine Güte, nein!“, rief Freddie. „Wenn du mich jemals dort antreffen wirst, kannst du sicher sein, dass ich die Herzensdame gefunden habe, von der wir sprachen.“ Er lachte. „Ich glaube allerdings, darauf kannst du warten, bis du schwarz wirst.“

„Oh, am Ende wirst du nachgeben müssen“, erwiderte George, um seinen Begleiter ein wenig aufzuziehen. Er grinste Freddie an. „Du bist sicher nicht geneigt, diese prachtvollen Tiere zu verkaufen, oder?“

„Nein – aber ich würde sie gegen deine Grauen wetten.“

„Um was willst du wetten?“, erkundigte sich George erstaunt. Seine Grauen waren gute Pferde, doch man konnte sie nicht mit den Füchsen vergleichen.

„Dass es keine Frau gibt, die mich zur Heirat verführen kann.“

George grinste. Sie hatten die Angewohnheit, um alle möglichen Dinge Wetten abzuschließen, und meistens ging Freddie als Sieger daraus hervor. Doch George nahm es seinem Freund nie übel. Er konnte sich die Spielerei leisten, und oft war der Einsatz unbedeutend. „Gut, ich setze meine Grauen gegen deine Füchse – aber wir müssen einen Zeitrahmen festlegen.“

„Bis Weihnachten“, sagte Freddie, und seine Augen funkelten schelmisch. Er war die Wette aus reinem Spaß eingegangen, um der Leere etwas entgegenzusetzen, die ihn in der letzten Zeit heimsuchte.

„Top, die Wette gilt!“, rief George sofort. „Aber du musst alle wichtigen Veranstaltungen wahrnehmen. Sich auf dem Land verstecken ist unzulässig, bis du nicht alle neuen Hoffnungsträgerinnen kennengelernt hast.“

„Na schön“, stimmte Freddie zu. „Allerdings ziehe ich die Grenze bei Almack’s. Wenn du mich da siehst, hast du die Wette gewonnen.“

„In Ordnung“, erwiderte Bellingham, der seinen Freund gut kannte. „Ich würde auch nicht hingehen. Aber meine Schwester bringt ihre Tochter in die Stadt, und ich habe versprochen, die beiden zu begleiten. Julia Fairchild ist siebzehn und ein schüchternes Mädchen. Ich werde mich so gut es geht um sie kümmern. Wer weiß, was bis Weihnachten alles passiert.“

„Herzlich wenig, wenn ich von den bisherigen Erfahrungen ausgehen kann“, entgegnete Freddie. Erst jetzt wurde ihm klar, dass ihn die Wette zur Teilnahme an vielen ermüdenden Gesellschaften zwang, die er normalerweise wie die Pest mied.

Er gähnte hinter vorgehaltener Hand und fragte sich, was er an diesem Abend machen sollte. Es ließ sich nicht abstreiten, dass Yolanda ihn langweilte. Er verspürte keinerlei Lust, Zeit mit ihr zu verbringen. Es war besser, Schluss zu machen. Seine Vorlieben hatten sich in der letzten Zeit gewandelt. Er würde der reizenden Yolanda die Diamantkette schenken, auf die sie schon seit vielen Wochen aus war, und der Affäre ein Ende bereiten.

Müssen wir wirklich bei Tante Louisa wohnen, Mama?“, fragte Caroline Holbrook ihre Mutter an diesem Morgen. Vor mehr als zwei Jahren war Carolines Vater, Mr. Anthony Holbrook, gestorben, und erst jetzt begann seine trauernde Witwe, sich mit ihrem Schicksal abzufinden. „Können wir für die Saison nicht ein eigenes Haus mieten?“

„Du weißt doch, dass es unmöglich ist.“ Marianne Holbrook, eine dünne, blasse Dame mit einer gebrechlichen Ausstrahlung, seufzte tief. Sie hatte ihrem Mann zwei Söhne und eine Tochter geschenkt und danach einige Fehlgeburten erlitten, die ihrer Gesundheit schwer zugesetzt hatten. Der Verlust ihres Mannes war ebenfalls nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Und da sie nie eine willensstarke Frau gewesen war, stand sie nun ganz unter dem Einfluss ihrer älteren Schwester Louisa. „Dein Vater hat erhebliche Schulden hinterlassen, weshalb dein Bruder Schwierigkeiten hat, das Anwesen zu halten. Ich kann ihn unmöglich um eine so große Summe bitten.“

„Du hast recht, der arme Tom hat vermutlich nichts übrig“, sagte Caroline niedergeschlagen. Sie mochte ihren ältesten Bruder und wollte ihm das Leben keinesfalls erschweren. Ihre Tante Louisa hatte Lord Taunton geheiratet und war damit eine vorteilhafte Ehe eingegangen. Und auch wenn sie seit ein paar Jahren verwitwet war, verfügte sie über ausreichende Mittel, um nach eigenem Belieben zu leben. Das Angebot ihrer Tante, für ihre Ausgaben aufzukommen, war nett, doch hatte die Schwester der Mutter eine so erdrückende Art an sich, dass es Caroline vor ihrer Gegenwart grauste. „Vielleicht können wir uns einen kurzen Aufenthalt leisten, wenn ich wenig Geld für Kleider ausgebe?“

„Bitte stelle dich nicht an, Caroline“, ermahnte ihre Mutter sie. „Ich bekomme Kopfschmerzen. Du weißt, dass ich gesundheitlich angeschlagen bin. Ich könnte dich ohnehin nicht zu all den Bällen begleiten, die du besuchen möchtest.“

„Verzeih mir, Mama“, bat Caroline, die ihrer Mutter keinen Kummer bereiten wollte. „Ich hoffe bloß, dass Tante Louisa nicht versucht, mir Vorschriften zu machen, insbesondere in Bezug auf meinen künftigen Ehemann.“

„Natürlich nicht, mein Liebes. Allerdings musst du schon jemand Passenden aussuchen – falls du Angebote erhältst, versteht sich.“

Marianne Holbrook betrachtete ihre Tochter mit Sorge. Sie fiel gewiss auf, wenn auch nicht im Sinne des gängigen Ideals, wonach eher schwächliche Mädchen mit zurückhaltenden Umgangsformen bevorzugt wurden. Caroline war eine verführerische Rothaarige mit einer verlockenden Stimme und leuchtenden grünen Augen. Sie war groß und voller Energie. Manchmal wunderte sich die Mutter, dass sie einem so temperamentvollen Wesen das Leben geschenkt hatte. Caroline schlug nach dem alten Marquis, ihrem Großvater, der jetzt zurückgezogen lebte, aber einst als Lebemann und Spieler von sich Reden gemacht hatte. Mit meiner eigenen Familie besitzt Caroline keinerlei Ähnlichkeit, dachte Marianne.

„Du hast doch aus Liebe geheiratet, nicht wahr, Mama?“

„Ja, und das habe ich seitdem bedauert“, bemerkte Marianne. „Louisa hat der gesellschaftlichen Stellung und des Wohlstands wegen geheiratet. Ich habe einen jüngeren Sohn ausgewählt, der nur über wenig Eigentum verfügte, und habe unter den Konsequenzen gelitten.“

„Arme Mama“, sagte Caroline. „Ich dachte, du wärest glücklich gewesen, als Papa noch lebte.“

„Ja, vielleicht …“ Erneut seufzte die Mutter. „Dennoch ertrage ich es kaum, mit anzusehen, mit welchen Sorgen Tom belastet ist. Und Nicolas ist zur Armee gegangen. Ich finde nachts keine Ruhe, weil ich weiß, dass er sich in Gefahr befindet.“

„Der Krieg ist doch zu Ende, Mama, jetzt, wo Bonaparte Elba nicht verlassen darf“, beruhigte Caroline sie. „Außerdem wäre Nicolas zu Hause nicht glücklich. Du weißt ja, wie sehr er schon als Kind das Abenteuer geliebt hat.“

Sie und Nicolas waren nur elf Monate auseinander. Obwohl sie sich nicht besonders ähnelten, denn er schlug nach der Mutter, waren sie doch seelenverwandt. Er hatte ihr gezeigt, wie man auf Bäume klettert, durch den Fluss schwimmt und reitet. All diese wenig damenhaften Fähigkeiten hatten ihr gehörige Schwierigkeiten eingebracht. Mit der Zeit war Caroline vorsichtiger geworden, beneidete ihren Bruder aber insgeheim um dessen Freiheiten.

„Du hast ihn immer zu seinem waghalsigen Verhalten ermutigt“, hielt Marianne ihr ungerechterweise vor. „Aber du hast recht. Eine Mutter kann ihren Sohn nicht ewig an der Leine halten. Allerdings ist es meine Pflicht, dich mit einem guten Ehemann zu versehen. Aus diesem Grund sollten wir Louisas Einladung, bei ihr in der Stadt zu wohnen, annehmen. In der nächsten Woche reisen wir ab.“

Caroline gab den Versuch auf, ihre Mutter umzustimmen. Sie bezog nur selten Position, doch diesmal wirkte sie entschlossen. Ebenso entschlossen war Caroline, sich nicht von ihrer Tante vorschreiben zu lassen, welchen Gentleman sie heiraten würde – vorausgesetzt, dass überhaupt jemand um ihre Hand anhielt.

„Das passt sehr gut“, stellte Lady Taunton fest, während sie das Kleid ihrer Nichte für den Abend begutachtete. „Ja, ich hatte recht, bei deinen Kleidern hauptsächlich auf Weiß zu bestehen, Caroline. Die smaragdgrüne Farbe, die du bevorzugst, sieht in Kombination mit deinen Haaren zu verwegen aus. Schade, dass du nicht nach deiner Mama kommst, aber es ist nicht zu ändern.“

Caroline knirschte mit den Zähnen, behielt jedoch ihre Gedanken für sich. Sie war erst seit drei Tagen in der Stadt und fand die bestimmende Art ihrer Tante bereits unerträglich. Das weiße Abendkleid stand ihr bei Weitem nicht so gut wie das smaragdgrüne, das sie hatte haben wollen. Aber ihre Tante bezahlte den Großteil der Kleidung, sodass ihr nicht viel anderes übrig blieb, als deren Wahl zu akzeptieren. Ihre Mutter versuchte die ganze Zeit, Konflikte zu vermeiden, und Caroline sah sich gezwungen, ihre Zunge zu hüten.

„Nun komm, Caroline“, sagte Lady Taunton und ging ihrer Nichte zur wartenden Kutsche voraus. „Es ist schade, dass deine Mutter sich nicht gut genug fühlt, mit auf den Ball zu kommen. Aber vermutlich ist es besser, wenn sie zu Hause bleibt und sich von ihrer Zofe umsorgen lässt.“

Caroline seufzte. Ihre Mutter hatte sich bereits nach einem Musikabend und zwei kleineren Abendessen als erschöpft bezeichnet. Es war klar, dass sie die Aufgabe, für ihre Tochter einen Ehemann zu finden, an ihre Schwester abgegeben hatte, und sich erst wieder rühren würde, wenn es unbedingt notwendig erschien.

Auf der Fahrt zum Haus von Lady Melbourne, die zu einem der beliebtesten Bälle der Saison einlud, musste Caroline einen weiteren Vortrag ihrer Tante über sich ergehen lassen.

„Du solltest dir kein zu freies Benehmen erlauben, Caroline“, predigte Louisa Taunton. „Diesen Fehler habe ich bei dir beobachtet, als du jünger warst. Doch ich nehme an, du hast inzwischen gelernt, wie man sich benimmt.“

Caroline schwieg missmutig.

„Hast du mich verstanden, Caroline?“

„Ja, natürlich, Tante.“

„Wirklich?“, vergewisserte sich Louisa Taunton und musterte sie misstrauisch. „Ich hoffe, du bist nicht beleidigt. Ich kann eingeschnappte Mädchen nicht ausstehen.“

„Nein, Tante.“ Mit Mühe hielt Caroline ihr Temperament zurück. Wenn ich derlei noch lange ertragen muss, reise ich lieber nach Hause und heirate niemals! Vor Wut kochend fiel es ihr schwer, der Gastgeberin wenig später bei ihrer Ankunft ein höfliches Lächeln zu schenken. Doch ihre Stimmung besserte sich, während sie ihrer Tante durch die Empfangsräume folgte.

Aus dem hintersten Raum erklang Musik, und als Caroline den Ballsaal betrat, konnte sie sich der aufregenden Atmosphäre nicht entziehen. Sie schaute sich um und bewunderte die traumhaften Abendkleider und das Funkeln kostbarer Juwelen. Von den gewaltigen Kronleuchtern fiel funkelndes Licht auf die Tanzgesellschaft.

„Caroline, sei bitte etwas aufmerksamer“, ermahnte Lady Taunton ihre Nichte. „Dieser Gentleman ist Sir Henry Forsythe, und er hat dich gerade um die Ehre gebeten, ihm den nächsten Tanz zu schenken.“

„Oh … danke“, sagte Caroline, die erleichtert war, dass der Gentleman mittleren Alters und halbwegs attraktiv war. Sie machte einen Knicks. „Wie nett von Ihnen.“

„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Miss Holbrook“, entgegnete Sir Henry lächelnd.

Caroline reichte ihm die Hand und spürte, wie ihre Aufregung wuchs, während er sie durch den Ballsaal führte. Als sie in das Gewimmel der Tänzer hineinschwebte, fühlte sie sich mit einem Male wundervoll.

Das Hochgefühl hielt an, denn nachdem Sir Henry sie zurückgeführt hatte, wurde sie von Gentlemen umlagert, die um einen Tanz baten, und ihre Karte füllte sich binnen weniger Minuten. Die meisten ihrer Tanzpartner waren jung und attraktiv.

Die Stunden vergingen wie im Fluge. Den ganzen Abend über stand Caroline im Mittelpunkt. Als man den letzten Tanz vor dem Souper ankündigte, forderte sie ein Gentleman auf, mit dem sie gern bereits vorher getanzt hätte.

„George Bellingham“, sagte er und verneigte sich. „Sie waren so freundlich, mir diesen Tanz zu versprechen.“

„Ja, ich erinnere mich“, entgegnete Caroline strahlend. „Ich habe mich bereits sehr darauf gefreut, Sir.“

„Wirklich?“ Bellingham blickte sie ungläubig an. „Aber Sie haben doch mit all den jungen Hüpfern getanzt, Miss Holbrook. Ich glaube nicht, dass ich mit solchen wie Brackley oder Asbury konkurrieren kann.“

„Ehrlich gesagt, kann ich Ihnen nicht zustimmen, Sir“, erklärte Caroline frei heraus und vergaß die Anweisungen ihrer Tante, sich zurückzuhalten. „Ich glaube nicht, dass Sie einen von ihnen fürchten müssen – es handelt sich um junge Aufschneider, oder nicht? Zweifellos charmant, aber nur an Pferden und Sport interessiert.“

„Aber der eine ist der Erbe eines Earls und der andere der des Marquis of Northbrooke“, bemerkte Bellingham.

„Ach, das!“ Caroline verzog das Gesicht. „Als ob es mir auf solche Dinge ankäme. Ich denke, ein Mann Ihres Formats hat sicher auch Interesse an Poesie und Büchern, ebenso wie an Sport, selbstverständlich. Denken Sie bloß nicht, ich hätte etwas gegen sportliche Ambitionen. Mein Bruder Nicolas ist ein Tausendsassa, und ich habe es sehr genossen, mit ihm Forellen zu angeln.“ Ihre Augen funkelten, als sie ihm von ihren Kindheitsabenteuern erzählte.

„Waren Sie tatsächlich fischen?“ George wurde neugierig. Sie war nicht wie die anderen. Er dachte an seine Wette mit Freddie Rathbone und lächelte vergnügt. „Sie müssen mir mehr erzählen …“ Enttäuscht nahm er zur Kenntnis, dass die Musik verstummte. „Oh … es ist mir wie ein paar Sekunden vorgekommen …“

„Die Zeit verrinnt doch immer wie im Fluge, wenn man sich amüsiert, und schleppt sich dahin, wenn man etwas Lästiges zu tun hat.“

George verbarg sein Lachen hinter einem Husten. Es lag ihm auf der Zunge, sie zu fragen, ob sie mit ihm soupieren wollte, doch sobald sie die Tanzfläche verlassen hatten, war sie von vier attraktiven Jünglingen umringt, die alle dieselbe Frage stellten.

„Miss Holbrook, darf ich Sie zum Essen begleiten?“

„Ignorieren Sie Brent, Miss Holbrook. Ich bin mir sicher, dass Sie mich dafür auserwählt haben.“

„Oh, Asbury, davon hat sie gar nichts gesagt – sie versprach es mir“, behauptete ein anderer Gentleman dreist.

„Nein, nein, meine Herren“, stellte Caroline lachend klar. „Ich habe es niemandem versprochen. Aber ich gebe dem Gentleman den Vorzug, der auswendig Richard Lovelace rezitieren kann.“ Erwartungsvoll blickte sie in die Runde. Erstaunte Blicke wurden gewechselt.

Ein verblüfftes Schweigen befiel die Umstehenden, die lange Gesichter zogen bei dem vergeblichen Versuch, sich an eine Zeile des Dichters aus dem 17. Jahrhundert zu erinnern.

„Nicht Steinwände machen ein Gefängnis aus,

Noch bilden Eisenstäbe einen Käfig;

Unschuldige und stille Geister empfinden

Es als Klause;

Ich werde in meiner Liebe Frieden finden,

Daher ist meine Seele frei;

Nur Engel, die sich gen Himmel schwingen,

Genießen eine solche Freiheit.“

„Großartig, Sir!“ Caroline klatschte in die Hände. „Das war wunderbar …“ Während sie zu dem Neuankömmling mit der tiefen Stimme aufschaute, wurde ihr klar, dass es sich um den mit Abstand attraktivsten Mann handelte, dem sie je begegnet war. Sein Haar leuchtete im Schein der Kronleuchter blau-schwarz wie die Flügel eines Raben, seine tiefdunklen Augen funkelten spöttisch, und sein verlockendes Lächeln ließ ihr Herz rasen.

„Guten Abend, Miss Holbrook“, sagte Freddie Rathbone und bot ihr einen Arm, den sie annahm, während die anderen Gentlemen leise protestierten. „Ich glaube, ich habe die Ehre. Viel Glück beim nächsten Mal – George, meine Herren.“ In einer Mischung aus Spott und Arroganz nickte er ihnen kurz zu, als habe er ein selbstverständliches Anrecht auf den Preis.

Caroline legte ihre Hand auf seinen Arm. „Ich glaube, wir sind einander gar nicht vorgestellt worden, Sir?“

„Sir Frederick Rathbone, zu Ihren Diensten“, sagte er lächelnd. „Ich kam spät, und man versicherte mir, dass ihre Karte voll wäre – der junge Asbury wusste darüber genau Bescheid. Ihnen sollte klar sein, dass Sie bei diesem Gentleman enormen Eindruck gemacht haben, ebenso wie bei einigen anderen.“

„Sie waren alle schrecklich nett zu mir“, entgegnete Caroline und errötete leicht. Sie wurde nicht oft rot, doch der Blick dieses Mannes bereitete ihr ein wenig Unbehagen. Es schien, als könnte er ihre Gedanken lesen, und seine spöttische Art verunsicherte sie.

„Keine falsche Bescheidenheit“, sagte Freddie und sah ihr tief in die Augen. „Sie müssen doch wissen, dass Sie eine Sensation darstellen. Sie sind die Schönheit des Abends, vielleicht sogar der ganzen Saison, auch wenn sie gerade erst begonnen hat.“

„Dies ist mein erster Ball“, erzählte Caroline. „Ich hatte das Glück, noch bei keinem Tanz unaufgefordert herumzusitzen, aber ich glaube nicht, dass ich an diesem Abend die einzige viel gefragte Dame bin.“

„Das mag sein, doch bei den Leuten sind Sie das Gesprächsthema Nummer eins. Jeder möchte erfahren, woher Sie kommen – vielleicht sind Sie ja aus einem fernen Paradies hergeschwebt? Sie sind eine Sirene, die aus den Tiefen des Meeres hochgestiegen ist, um ihren Zauber über uns arme Sterbliche auszubreiten …“

„Sie machen sich über mich lustig, Sir“, tadelte Caroline ihn. Sie fühlte sich ein wenig unbehaglich. Das Funkeln in seinen Augen warnte sie davor, dass es gefährlich sein konnte, sich näher auf ihn einzulassen. Und dennoch fühlte sie sich von ihm angezogen wie eine Motte vom Licht. Sie hob den Kopf und blickte Sir Frederick herausfordernd an. „Wenn wir schon vom Aussehen sprechen, nehme ich an, dass das Ihre für einen ausreichenden Anteil an Damenbewunderung gesorgt haben dürfte. Und wenn Sie auch noch wohlhabend sind, bin ich mir sicher, dass Sie heiß begehrt sind – vorausgesetzt, Sie sind noch nicht verheiratet, versteht sich.“

„Oh, ich bin reich wie Krösus“, bemerkte Freddie grinsend. Ihre kecke Art wirkte auf einen Mann seines Schlags anziehend und machte ihn neugierig. Er überlegte, wie sie auf seine Sticheleien reagieren würde. „Und unverheiratet bin ich obendrein. Eine Tatsache, die viele unverantwortlich finden, denn das erste und oberste Ziel eines Gentleman muss schließlich das Heiraten sein, oder nicht?“

„Ist das so?“ Caroline legte die Stirn in Falten. Er machte sich eindeutig über sie lustig. Sie warf ihm einen trotzigen Blick zu. „Ich sehe das anders. Es ist viel besser, man bleibt unverheiratet, außer es dient dem Glück beider Partner – denken Sie nicht? Es ist falsch, nur um des Heiratens willen eine Ehe einzugehen.“

„Da haben Sie absolut recht“, stimmte Freddie belustigt zu. Eine solch erfrischende Offenherzigkeit hatte er noch bei keiner jungen Dame ihres Standes erlebt. „Unglücklicherweise sind die Mütter der meisten jungen Damen nicht Ihrer Meinung. Übrigens sollten wir jetzt etwas von diesem hervorragenden Buffet auswählen, Miss Holbrook. Bitte sagen Sie nicht, dass Sie nicht hungrig sind. Sie müssen zumindest von diesem herrlichen Schinken probieren – oder möchten Sie lieber Huhn?“

„Ich bevorzuge eine von diesen appetitlichen Pasteten und etwas von der Eiercreme“, erklärte Caroline. „Aber Sie müssen sich unbedingt etwas von der Rinderbrust sichern, Sir. Von meinem Bruder Nicolas und meinem verstorbenen Papa weiß ich, dass die meisten Männer sie am liebsten genau so zubereitet mögen. Auch wenn mein anderer Bruder Tom Roastbeef bevorzugt.“

„Ihr Vater ist tot, Miss Holbrook?“

„Seit zwei Jahren“, berichtete Caroline seufzend. „Ich vermisse ihn sehr, Sir, doch ehrlich gesagt vermisse ich meinen Bruder Nicolas noch mehr. Tom hat das Anwesen übernommen, aber Nicolas ist zur Armee gegangen. Am liebsten wäre ich ihm dorthin gefolgt. Es muss großartig sein, eine schöne Uniform zu tragen und zum Rhythmus der Trommeln zu marschieren.“

„Das hätten Sie gern getan?“ Freddie musste sein Lachen über ihre Naivität verbergen. „Ich habe es hinter mir, Miss Holbrook. Und ich kann Ihnen versichern, dass Getrommel und farbige Uniformen nur ein Teil der Geschichte sind.“

„Waren Sie bei Wellington, als Napoleon geschlagen wurde?“

„Nein, zu diesem Zeitpunkt hatte ich meinen Dienst bereits quittiert, aber ich habe ihn in Salamanca begleitet.“

„Wirklich? Und haben Sie die Armee verlassen, weil Sie verwundet wurden?“

„Ich wurde mehrfach verwundet, den Dienst habe ich jedoch quittiert, weil mein Vater starb und ich zu Hause Verpflichtungen hatte.“

„Ah, Sie sind der älteste Sohn, nehme ich an. Ich denke mir, der arme Tom wäre manchmal gern an Nicolas’ Stelle. Er hat all den Ärger mit dem Anwesen, während Nicolas machen kann, was ihm gefällt.“

„Dafür muss er sich aber sein Vermögen selbst erwerben. Oder hat er viel Besitz?“

„Oh, nein“, erklärte Caroline freimütig, die nicht bemerkte, dass sie ausgefragt wurde. „Das hat keiner von uns. Der arme Papa war nicht gut im Wirtschaften.“

„Verstehe …“ Freddie besaß nun alle Informationen, die Asbury ihm zuvor nicht hatte geben können, und war zufrieden. Miss Holbrook musste einen wohlhabenden Mann heiraten, was in ihrem Falle allerdings auch ohne Vermögen kein großes Problem darstellen würde. Sie war bildhübsch und mit ihrer ungezwungenen Art hatte sie die Herzen der Gentlemen im Sturm erobert. Auch er fand ihre Gesellschaft amüsant, war sich jedoch nicht sicher, ob sich Kalkül hinter ihrer Offenherzigkeit verbarg. Es reizte ihn, mehr über sie herauszufinden. „Jetzt sollten wir essen, Miss Holbrook. Bitte nehmen Sie Platz. Ich kümmere mich um den Rest.“

Caroline setzte sich an einen freien Tisch am Fenster. Bevor Sir Frederick zurückkehrte, gesellte sich Mr. Bellingham zu ihr und sicherte sich einen dritten Stuhl.

„Kümmert sich Freddie anständig um Sie?“, erkundigte er sich. „Er ist ein ehrlicher Kerl, aber er hat mir die Schau gestohlen. Ich war gerade dabei, mich an einige Verse von Lovelace zu erinnern, als er mir zuvorkam. Ich vermute, er verübelt mir nicht, wenn ich Ihnen Gesellschaft leiste. Wir sind gut befreundet, müssen Sie wissen.“

„Ich habe die Aufgabe in der Annahme gestellt, dass Sie sie lösen können“, verriet ihm Caroline. „Ich liebe besonders seinen Brief an Lucasta – kennen Sie ihn?“

„Sage mir nicht, meine Süße, dass ich grausam bin …“, deklamierte George. „Das meinen Sie doch, oder?“

„Oh, ja, er schrieb es an Lucasta, als er in den Krieg zog. Diese Epoche ist so romantisch, finden Sie nicht? Zu Hause habe ich ein Buch über eine Frau, die ihr Haus in der Abwesenheit ihres Gatten verteidigte. Das war ein mutiges Zeitalter.“

„Ja, in der Tat“, stimmte ihr George Bellingham lächelnd zu.

„George“, ertönte eine Stimme hinter ihm. „Na, du bist mir ja ein schöner Freund, meine kurze Abwesenheit so auszunutzen.“ Freddie gab dem Diener einen Wink und sofort wurden Teller mit köstlichen Speisen auf dem Tisch abgestellt. „Bleib ruhig bei uns und … nimm dir, was du möchtest, nur nicht von der Eiercreme.“

„Ich bin so frei“, erwiderte George, der den Sarkasmus seines Freundes geflissentlich überhörte. „Miss Holbrook und ich haben gerade über Lovelace geredet – und den Bürgerkrieg. Ein großartiges Zeitalter.“

„Ach wirklich?“, fragte Freddie. „Das ganze Land war unter Waffen, und die Aristokratie war auf Jahre ruiniert.“

„Oh, Sie haben keinen Sinn für Poesie!“ Caroline blickte ihn kampfeslustig an. „Die Männer waren so ritterlich, und die Damen ganz anders als die von heute. Das müssen Sie zugeben.“

„In welcher Hinsicht anders?“, erkundigte sich Freddie. Ganz offenkundig scheute diese junge Frau nicht davor zurück, ihre Meinung zu sagen.

„Wir sind mit Konventionen überladen“, erklärte Caroline. „Damals war es sicher leichter als heute, sich offen zu äußern.“

„Wirklich? Was möchten Sie denn gern aussprechen, Miss Holbrook? Bitte halten Sie sich bloß nicht zurück, Sie sind unter Freunden. Weder George noch ich werden Sie in irgendeiner Weise zensieren.“

„Oh …“ Sie bemerkte seinen Spott. „Habe ich zu freimütig gesprochen? Meine Tante hat es mir verboten. Aber ich bin es durch den Umgang mit meinen Brüdern gewohnt, zu sprechen wie mir zumute ist. Verzeihen Sie mir.“ Sie errötete leicht.

„Nein, ganz und gar nicht. Ihre Offenheit ist erfrischend“, versicherte George eilig. „Lassen Sie sich bloß von niemandem einreden, sich anders zu verhalten, Miss Holbrook.“

„Gehen Sie in dieser Woche zu Almack’s, Sir? Man hat mir Eintrittskarten gegeben.“

„Dann werde ich natürlich dort sein“, erwiderte George und sah triumphierend zu seinem Freund hinüber. „Aber ich fürchte, Freddie hat anderes zu tun, nicht wahr?“

„Ja, das stimmt“, gab der zu und warf George einen Blick zu, der Bände sprach. „Allerdings werde ich an der Soiree von Lady Broughton teilnehmen – haben Sie vor, dorthin zu gehen, Miss Holbrook?“

„Ich denke schon“, antwortete Caroline. „Ehrlich gesagt haben wir so viele Einladungen erhalten, dass ich kaum weiß, wie wir auch nur die Hälfte der Veranstaltungen besuchen sollen.“

„Sie werden bei einigen nur ganz kurz auftauchen und dann weiterziehen, so wie es viele tun“, sagte Freddie. „Beim nächsten Mal möchte ich wenigstens zweimal mit Ihnen tanzen. Bitte merken Sie mich auf Ihrer Karte vor.“

„Danke, Sir …“ Erwartungsvoll blickte sie Mr. Bellingham an. „Und Sie, Sir?“

„Zwei Tänze wären angemessen“, erwiderte er. „Außerdem würde ich Sie gern für morgen auf eine Spazierfahrt in den Park einladen. Falls Sie nichts Besseres vorhaben.“

„Soweit ich weiß, sind wir für den Abend verabredet, aber der Nachmittag ist noch frei. Ich würde mich sehr freuen, mit Ihnen eine Spazierfahrt zu unternehmen.“

„Wunderbar“, entgegnete George und linste zu Freddie herüber. Ihre Rivalitäten waren nie bösartig, und selbst wenn sie leidenschaftlich ausgefochten wurden, ging ihre Freundschaft stets gestärkt daraus hervor.

Freddie aß und verkniff sich jeden weiteren Kommentar. Scheinbar überließ er seinem Freund das Feld. Doch George wusste, dass mit ihm jederzeit zu rechnen war.

Caroline sah, dass ihre Tante auf sie zusteuerte. „Gentlemen, meine Tante verlangt nach mir.“

George und Freddie erhoben sich, als Lady Taunton den Tisch erreichte, doch sie lächelte und deutete ihnen an, sich wieder zu setzen. „Bitte lassen Sie sich nicht von mir beim Essen stören, Gentlemen. Ich kam nur, um meine Nichte zu fragen, ob sie mich ins Damenzimmer begleiten möchte.“

„Danke, Tante.“ Caroline erhob sich sofort, denn sie erkannte, wenn man ihr einen Befehl erteilte, egal wie charmant er verpackt war. „Entschuldigen Sie mich, Mr. Bellingham – Sir Frederick. Ich hoffe, ich werde Sie bald wiedersehen.“

In Erwartung einer Schimpftirade folgte sie Lady Taunton in die oberen Gemächer, die man für die Damen hergerichtet hatte. Doch sobald sie allein waren, lächelte ihre Tante sie freudig an.

„Das hast du gut gemacht, Caroline. Mr. Bellingham ist ein wohlhabender Gentleman, auch wenn einige ihn für einen überzeugten Junggesellen halten. Aber natürlich ist Sir Frederick der beste Heiratskandidat der Saison. Das ist er, genau genommen, schon seit einigen Jahren. Er hat allerdings bislang keine Ambitionen gezeigt, sich festzulegen. Wenn du von einem der beiden Gentlemen einen Antrag erhältst, wäre das sehr zufriedenstellend, auch wenn Sir Frederick fraglos der bessere Fang wäre. Er wird seinen Onkel beerben und eines Tages der Marquis of Southmoor sein.“

„Ich glaube, dass sie nur höflich zu mir waren“, entgegnete Caroline. „Sie wollten sich lediglich gut unterhalten.“

„Da bin ich mir nicht so sicher“, widersprach ihre Tante. „Rathbones Patentante ist eine Freundin von mir. Lady Stroud kennst du noch nicht, oder?“ Caroline schüttelte den Kopf. „Auf jeden Fall hat sie mir erzählt, dass er in der letzten Zeit häufiger an Gesellschaften teilnimmt, was zuvor eher die Ausnahme darstellte. Ich kann mir vorstellen, dass dahinter die Absicht steckt, sich eine Braut zu suchen. Du bist ihm offenkundig angenehm aufgefallen. Es könnte zu deinem Vorteil sein, sich um ihn zu bemühen.“

„Wir interessieren uns beide für Poesie“, berichtete Caroline. „Doch das scheint mir auch schon die einzige Gemeinsamkeit zu sein. Außerdem gab es noch viele andere, die mich zum Tanzen aufgefordert haben und mit mir essen wollten.“ Die vorzeitige Einmischung ihrer Tante irritierte sie, zumal sie den fraglichen Gentlemen gerade erstmals begegnet war.

„Ja, natürlich. Du solltest zu allen höflich und aufmerksam sein, die sich für dich interessieren, meine Liebe – aber behalte einfach im Hinterkopf, dass Rathbone eine ausgezeichnete Partie wäre.“

Caroline schwieg. Die Worte ihrer Tante bewirkten bei ihr genau das Gegenteil von dem, was damit beabsichtigt war. Wenn es etwas gab, das ihren Widerstand weckte, dann war es der Versuch, sie zu einem bestimmten Mann zu drängen.

Freddie schaute seufzend über den Spieltisch. Seit Minuten hielt er die Gewinnerkarten in Händen, scheute jedoch davor zurück, sie zu zeigen. Er hätte lieber nicht gegen Farringdon gespielt, hatte aber dessen Forderung nach Revanche nicht ablehnen können, nachdem er einige Abende zuvor gegen ihn gewonnen hatte. Ihm war klar, dass sein unvernünftiger Herausforderer sich immer weiter in die Verschuldung trieb und wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte von dem zahlen konnte, was er so leichtsinnig auf den Tisch geworfen hatte. Freddie spielte mit dem Gedanken, seine Karten abzuwerfen. Doch das verstieß gegen die Regeln. Farringdon musste lernen, es beim Spielen nicht zu übertreiben.

Er zog eine Karte vom Stapel. Es war genau die Karte, die sein Blatt völlig unschlagbar machte. Er warf ab und legte dann seine Karten auf den Tisch. Die zwei anderen Mitspieler stöhnten auf und beschwerten sich über sein unverschämtes Glück. Allerdings lächelten sie dabei, denn beide waren ohne Probleme in der Lage, ihre Spielschulden zu begleichen. Freddie blickte in Farringdons bleiches Gesicht.

Die beiden Mitspieler erhoben sich und verließen den Spieltisch, um sich Wein oder Essen zu besorgen. Nur Farringdon blieb wie angewurzelt sitzen.

„Es wird etwas dauern, bis ich die Summe zusammenhabe“, erklärte er mit matter Stimme, wobei die Ernsthaftigkeit seiner Lage sich in einem nervösen Zucken an seiner rechten Schläfe zeigte.

„Ja, natürlich“, sagte Freddie und sammelte die Goldmünzen und Scheine ein, die auf den Tisch geworfen worden waren. „Möchten Sie lieber weitere Schuldscheine zeichnen?“

„Nein, ich denke nicht“, erwiderte Farringdon und bemühte sich, locker zu wirken. „Es ist nur ein vorübergehendes Problem, Rathbone. In ein paar Wochen kann ich alles begleichen.“

„Es eilt nicht. Lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen, Sir. Haben Sie Lust, unterwegs einen Schlummertrunk mit mir einzunehmen? Ich will nach Hause laufen.“

„Nein, danke“, entgegnete Farringdon und erhob sich. Er ging durch den Spielclub ohne nach rechts oder links zu schauen. Sein Gesicht wirkte wie versteinert.

„Hast du schon wieder gewonnen?“ George Bellingham näherte sich seinem Freund, der noch eine Weile nachdenklich am Kartentisch sitzen geblieben war. „Farringdon sieht verzweifelt aus. Gerüchten zurfolge muss er sein Anwesen verkaufen, um seine Schulden zu begleichen.“

„Der verdammte Trottel hätte seine Verluste längst in Grenzen halten müssen“, stellte Freddie mit Unbehagen fest. „Ich möchte niemanden ruinieren, George. Wenn er zu mir kommt und mir die Wahrheit erzählt, gebe ich ihm seine Schuldscheine zurück. Aber er sollte sich künftig vom Spieltisch fernhalten und sich eine Weile aufs Land zurückziehen, bis sich seine Finanzen erholen. Wenn man nicht zahlen kann, sollte man nicht spielen.“

„Spielschulden sind Ehrenschulden“, pflichtete ihm George bei. „Warum rettest du den armen Kerl nicht aus seiner Misere und schickst ihm die Schuldscheine zurück?“

„Er muss seine Lektion lernen“, sagte Freddie. „Wenn er gegen Markham oder Lazenby verloren hätte, müsste er innerhalb eines Monats zahlen. Wenn ich ihm seine Schulden erlasse, spielt er vermutlich sofort mit jemandem weiter, der weniger nachsichtig ist.“

„Ja, das ist anzunehmen“, bestätigte George. „Er wird dich ohnehin für deine Großzügigkeit hassen. Es verletzt seinen Stolz.“

„Dann soll er mich eben hassen“, erklärte Freddie. „Der Mann ist ja noch nicht völlig ruiniert – solange ich keinen Druck ausübe. Falls Farringdon zu mir kommt, können wir das gern wie Ehrenmänner aus der Welt räumen.“

„Nun, vermutlich hast du recht, auch wenn du dir Feinde machst.“, erwiderte George. Dann grinste er seinen Freund an. „Sag mal, was hältst du eigentlich von ihr?“

„Ich bin mir nicht sicher, wen du meinst.“ Freddie hob erstaunt eine Augenbraue, obwohl er genau wusste, auf wen George anspielte. Caroline Holbrook hatte zweifellos Eindruck bei ihm hinterlassen, auch wenn er es nicht zugeben wollte. Sie besaß trotz ihrer Jugend etwas ausgesprochen Anziehendes.

„Miss Holbrook, natürlich“, sagte George. „Denkst du nicht, sie ist genau die Person, von der wir gesprochen haben, Freddie? Sie besitzt Schönheit und einen bewundernswert lebhaften Geist. Wenn sie lächelt, scheint es, als ob der Saal in Licht getaucht würde. Bezaubernd wäre wohl die richtige Bezeichnung für sie.“

„Ah, ich sehe, du bist verliebt. Wann kann ich dir gratulieren, mein Freund?“, erkundigte sich Freddie.

„Oh, was das angeht … wie du weißt, bin ich ein Eigenbrötler. Ich weiß nicht, ob ich mich in der Ehe zurechtfinde … aber ich muss zugeben, dass ich Miss Holbrook fragen würde, wenn ich die Absicht hätte, meine Lebensweise zu ändern. Natürlich kann ich nicht erwarten, dass sie mich als Gatten akzeptiert. Ich bin zu alt für sie – und sie kann schließlich aus einem Dutzend oder mehr Gentlemen auswählen.“

„Nach einem einzigen Ball?“ Freddie sah ihn ungläubig an. „Ich gebe zu, dass sie für ihr Alter ungewöhnlich ist, George – aber lebhafte junge Damen hast du wahrscheinlich schon vorher getroffen.“ Er wehrte sich dagegen, in Miss Holbrook etwas Besonders zu sehen, obwohl er mehrfach an sie hatte denken müssen. Sie hatte offen ihr mangelndes Vermögen angesprochen – aber war sie selbst auf der Jagd nach Besitz? Er wollte zunächst aus sicherem Abstand beobachten, wie andere sich an der Flamme verbrannten. „Zugegebenermaßen hat sie eine vergnügliche Art zu reden“, räumte Freddie ein. „Doch ist diese Arglosigkeit echt oder gespielt? Ich halte mich mit meinem Urteil noch zurück. So schnell wirst du mich nicht bei Almack’s zu Gesicht bekommen.“

„Ich gehe auf jeden Fall hin“, sagte George. „Sally Jersey meinte übrigens, ich müsse mich um eine Braut kümmern, bevor ich völlig im dunklen Sumpf des Alterns versinke.“

„Große Güte!“, widersprach Freddie empört. „Du bist in der Blüte deiner Jahre, George. Und wenn du um die kleine Holbrook werben möchtest, werde ich dir sicher nicht im Weg stehen, auch wenn ich dich warnen muss, dass sie kaum Vermögen besitzt.“ Er fragte sich, warum er diese Tatsache erwähnt hatte. Es würde für George keinen Unterschied machen, der nicht darauf angewiesen war, eine reiche Frau zu heiraten.

„Von wem weißt du das?“

„Sie hat es mir selbst erzählt.“

George schüttelte den Kopf. „Das ändert überhaupt nichts. Ich mag zwar nicht dein Glück am Spieltisch haben, aber ich bin weit davon entfernt, bedürftig zu sein.“

„Das habe ich auch nicht angenommen, mein lieber Freund“, sagte Freddie. „Hast du Lust, mich zu Fuß zu begleiten?“

„Ich bin mit der Kutsche da“, entgegnete George. „Ich nehme dich mit, Freddie. Es hat angefangen zu regnen.“

„Das habe ich gar nicht bemerkt. Ich wollte mir zwar ein bisschen die Beine vertreten und die Spinnweben aus dem Hirnblasen lassen, aber mir liegt nichts daran, durchnässt zu werden.“

Die beiden Männer verließen lachend den Club und stiegen in die wartende Kutsche. Keiner von beiden bemerkte die schattenhafte Gestalt, die sie bei ihrer Abfahrt beobachtete.

2. KAPITEL

„Verflucht, Jenkins!“ Der Marquis of Bollingbrook warf seinem Diener einen wütenden Blick zu. „Ich bin noch nicht senil! Wenn ich einen Brandy bestelle, möchte ich ihn nicht mit Wasser vermischt serviert bekommen!“

Sein treuer Diener ertrug den Wutausbruch mit geduldiger Miene. Er hatte sich an die Launen seines Herrn gewöhnt und nahm sie ihm nicht übel. Vor allem da er über die qualvollen Ursachen des Unmuts mehr als alle anderen in Bollingbrook Place Bescheid wusste.

„Ich bitte um Verzeihung, Mylord“, erwiderte Jenkins, „aber Dr. Heron hat mir gesagt, Eure Lordschaft sollten nicht so viel trinken.“

„Unverfroren“, schimpfte der Marquis. „Von mir aus gieße etwas weniger ein, aber verdirb mir den guten Tropfen nicht mit Wasser!“

„Sehr wohl, Eure Lordschaft“, antwortete Jenkins ohne eine Miene zu verziehen. Der Marquis litt unter schmerzhaften Gichtanfällen, die einige als gerechte Strafe für seine sündhafte Vergangenheit ansahen – eine Vergangenheit, die den alternden Mann unablässig verfolgte. Jenkins war seinem Herrn treu ergeben, zumal er in Geheimnisse eingeweiht war, von denen andere nichts wussten. „Es wird nicht wieder vorkommen.“

„Ja, sorge dafür.“

„Es tut mir leid, Mylord.“

„Dafür gibt es keinen Grund.“ Der alte Mann lächelte müde. Nur zu gut wusste er, dass seine Gegenwart in der letzten Zeit unerträglich geworden war. Früher war er ein anderer gewesen, doch seine schmerzhaften Erinnerungen hielten ihn schon zu lange gefangen. „Ich weiß wirklich nicht, wie du es mit mir aushältst, Jenkins. Es ist ein Wunder, dass du noch nicht fortgelaufen bist. Ich habe schon meine ganze Familie davongejagt. Niemand besucht mich mehr.“

Der Marquis hatte drei Söhne, die alle von verschiedenen Ehefrauen stammten. Er trauerte allerdings nur seiner letzten Frau nach, die um vieles jünger als er gewesen war. Sie war kurz nach der Geburt seines jüngsten Sohnes Anthony gestorben. Anthonys Tod vor zwei Jahren hatte Bollingbrook an den Rand der Verzweiflung getrieben.

„Ich wüsste gar nicht, was ich mit mir anfangen sollte, wenn ich mich zurückziehen würde, Sir“, erklärte Jenkins matt. „Ich kann Ihrer Familie allerdings nicht verübeln, dass sie Sie nicht besucht. Beim letzten Mal hatten Sie einen Wutanfall und haben alle des Hauses verwiesen.“

„Meinst du, das weiß ich nicht mehr?“, knurrte Bollingbrook. Seine Füße schmerzten entsetzlich. „Aber Caroline wollte ich natürlich nicht vertreiben, verdammt! Sie ist ihr sehr ähnlich, meinst du nicht?“

Jenkins verstand genau, was er meinte. „Ja, sehr, Mylord. Sie könnten ihr doch schreiben und sie einladen, hier zu wohnen …“

„Ihre Mutter und ihre Tante haben sie mit nach London genommen“, brummelte der Marquis. „In der letzten Woche erhielt ich einen Brief von dieser welkenden Dame. Was zum Teufel mag Holbrook bloß an ihr gefunden haben! Ich mache sie für seinen Tod verantwortlich. Eine andere Frau hätte ihn zu einer gesünderen Lebensweise überredet, anstatt heulend im stillen Kämmerlein zu sitzen!“ Er blickte seinen Diener an. „Ich möchte nicht, dass Caroline zu einer Ehe gezwungen wird, von der sie nicht überzeugt ist. Ihre Mutter hat es bestimmt eilig, sie zu verheiraten. Das ist natürlich meine Schuld. Ich hätte etwas für die Frau tun sollen, und ich hätte Tom unter die Arme greifen müssen.“

„Warum laden Sie ihn nicht ein?“, schlug Jenkins vor. „Sie könnten ihn dann in die Stadt schicken, Mylord, damit er nach seiner Schwester sieht.“

„Das ist eine gute Idee“, lobte der Marquis. „Er ist nicht so weich wie seine Mutter, auch wenn ich Nicolas den Vorzug gebe. Bring mir bitte Feder und Tinte. Ich werde den Brief sofort schreiben.“

Jenkins legte dem Marquis, der in seinem Ohrensessel am Kamin saß, das tragbare Schreibpult aus Mahagoni auf den Schoß.

„Kann ich noch etwas für Sie tun, Mylord?“

„Im Augenblick nicht. Ich werde später nach dir läuten.“

Sobald er allein war, öffnete Bollingbrook das Geheimfach seines Schreibpultes und nahm das Miniatur-Porträt seiner dritten Frau heraus. Angelica war seine große Liebe. Keine hatte es mit ihr aufnehmen können. Sie war die Freude seines Lebens gewesen. Als er sie verlor, hatte ihn aller Lebensmut verlassen, und er hatte sterben wollen, um an ihrer Seite begraben zu werden. Nur ihr letzter Wille hatte ihn davon abgehalten, sich das Leben zu nehmen.

„Kümmere dich um unseren Sohn, kümmere dich um Anthony“, hatte sie geflüstert, während ihr das tödliche Fieber die letzte Kraft raubte. „Liebe ihn um meinetwillen, ich bitte dich darum.“

Er hatte Anthony Holbrook sehr geliebt. Und er liebte dessen Tochter Caroline, die seiner verstorbenen Frau so sehr ähnelte. Sie besaß dieselbe Energie und dasselbe mutige Herz. Für den Rest seiner Familie hatte er wenig übrig. Er verabscheute seinen ältesten Sohn Sebastian. Am liebsten hätte er ihn enterbt, wenn das ohne größere Schwierigkeiten möglich gewesen wäre. Claude konnte er etwas besser leiden, wenn auch nicht so, dass er ihn in seiner Nähe haben wollte.

Sein ältester Sohn würde den Familiensitz und die Ländereien erben, und Claude würden die Häuser in London zufallen. Darüber hinaus besaß Bollingbrook noch ein beachtliches Vermögen, über dessen Weitergabe er frei verfügen konnte. Er würde es Caroline und ihren Brüdern zu gleichen Teilen vermachen. Er hätte sie schon früher unterstützen sollen, aber immerhin war es noch nicht zu spät. Trotz seiner chronischen Schmerzen war er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, und es blieben ihm voraussichtlich noch einige Jahre.

Caroline trug ein grünes Kleid, das für eine Kutschfahrt passend war. Wenigstens das habe ich selbst aussuchen dürfen, dachte sie mit Genugtuung. Sie wusste, dass die Farbe ihr gut stand, und zufrieden mit ihrer Aufmachung ging sie zu ihrer Tante.

Louisa Taunton befand sich noch auf ihrem Zimmer, doch sie wusste von der Verabredung zur Spazierfahrt mit Mr. Bellingham und befürwortete sie.

„Zweifelsohne wird er seinen Reitknecht mitbringen. Nichtsdestotrotz wäre es auch nicht rufschädigend, mit einem Mann wie Mr. Bellingham ohne Begleitung zu fahren. Ich kenne ihn seit Jahren und weiß seine liebenswerte Art zu schätzen.“

„Ja, Tante. Ich dachte mir bereits, dass du keine Einwände gegen die Spazierfahrt hast. Er ist ein Gentleman mit gutem Geschmack, meinst du nicht auch?“

„In der Tat“, entgegnete ihre Tante nachdenklich. „Allerdings hat er derzeit keinerlei Aussichten auf einen Titel. Wohingegen Sir Frederick den Titel seines Onkels erben wird.“

„Ich gebe Mr. Bellingham den Vorzug, falls er Interesse an mir hat. Aber es ist viel zu früh, darüber zu sprechen.“

Sie hatte ganz unschuldig ihre Meinung geäußert, doch Lady Taunton besaß eine schnelle Auffassungsgabe, und bemerkte, dass ihre Nichte sich über ihre Einmischung ärgerte.

„Ich glaube, Sir Frederick sucht gerade nach einer Ehefrau, während Mr. Bellingham keine Absicht hat, zu heiraten. Es ist allgemein bekannt, dass er sich in seinem Junggesellendasein eingerichtet hat.“

„Ich nehme mal an, dass es auch noch andere Gentlemen gibt, Tante“, erwiderte Caroline. „Sollten wir nicht ein bisschen Geduld haben?“

„Du bist unverschämt.“ Lady Taunton zog ein erbostes Gesicht. Wenn Caroline meine Tochter wäre, hätte ich ihr die Frechheit rechtzeitig ausgetrieben, dachte sie. „Verdirb dir nicht deine Chancen, nur um mich zu ärgern. Wenn du halbwegs bei Verstand bist, solltest du bei Sir Frederick einen Vorstoß wagen“, sagte ihre Tante und entließ sie mit einer abschätzigen Handbewegung.

Caroline begab sich in die Halle. Sie wusste nicht genau, warum die Einmischung sie so aufregte. Vermutlich widerstrebte ihr vor allem der Eifer ihrer Tante, sie zu einer möglichst Gewinn bringende Ehe zu drängen. Das gab selbst einer netten neuen Bekanntschaft einen schalen Beigeschmack. Als sie das Türklopfen vernahm, versuchte sie, die unangenehmen Gedanken zu verdrängen.

Ein Diener öffnete und bat Mr. Bellingham in die elegante Eingangshalle. Der blaue Gehrock und die hellgrauen Hosen standen ihm sehr gut. Höflich nahm er den Hut ab, sodass seine blonden Locken sichtbar wurden.

„Guten Tag, Miss Holbrook. Sie sehen bezaubernd aus.“

„Ich danke Ihnen, Sir. Heute ist wunderbares Wetter für eine Spazierfahrt.“

„Ja, es weht ein leichtes Lüftchen, aber es ist trotzdem warm.“

Sie gingen nach draußen, wo sein offener Zweispänner wartete. Bellinghams Bursche hielt die Pferde. Freudig ließ sich Caroline in die Karriole helfen, deren Radspeichen gelb gestrichen waren und die von zwei prächtigen Grauschimmeln gezogen wurde. Ihr Begleiter ergriff die Zügel, und der Reitknecht sprang hinten auf.

Während der Fahrt zum Hyde Park blieb es zunächst bei höflicher Konversation, doch sobald sie die riesige Grünanlage erreicht hatten, vertieften sie sich in Gespräche über Bücher, die sie beide gelesen hatten. Das lieferte die Grundlage, um sich über die verschiedensten Dinge zu unterhalten, die für sie von Bedeutung waren.

„Reiten Sie zu Hause viel, Miss Holbrook?“

„Sooft ich kann und noch vor dem Frühstück, wenn das Wetter es zulässt. Mein Vater hat mich auf mein erstes Pony gesetzt, als ich gerade laufen gelernt hatte – und natürlich bin ich meistens mit Nicolas ausgeritten. Jetzt, wo er bei der Armee ist, vermisse ich ihn sehr.“

„Nicolas ist der jüngere Ihrer beiden Brüder, nicht wahr?“

„Wir sind nur elf Monate auseinander. Mein älterer Bruder hat natürlich das Anwesen zu verwalten. Ich mag Tom, aber mit Nicolas verbindet mich noch mehr.“ Sie lachte, als sie an all die gemeinsamen Streiche dachte, die sie in ihrer Jugend in Schwierigkeiten gebracht hatten.

„Verstehe“, sagte George. „Es ist klar, dass Sie mit Nicolas mehr gemeinsam haben, da Sie beinahe dasselbe Alter haben.“

„Es ist mehr als das.“ Caroline lachte. „Nicolas war immer ein wenig übermütig. Wir sind unseren Erziehern oft gemeinsam entwischt, und er hat stets versucht, alle Schuld auf sich zu nehmen, auch wenn die Ideen für unsere Abenteuer keinesfalls nur von ihm stammten.“

George lächelte. Ihr Lachen war ansteckend, und er fand sie hinreißend. Sie schien überhaupt keine Angst zu haben, offen ihre Meinung zu äußern.

„Sie hatten Glück, mit einem solchen Bruder aufzuwachsen. Ich dagegen war allein …“ Er brach ab, als er sah, wer ihnen zu Fuß entgegenkam. „Da ist Freddie. Ich denke, wir sollten einen Moment anhalten …“

Caroline schwieg. Sie wusste, dass sie seinen Freund begrüßen mussten. Dennoch hätte sie es vorgezogen, mit einem höflichen Nicken an ihm vorbeizufahren. Sir Frederick Rathbone verunsicherte sie, wohingegen sie sich in Mr. Bellinghams Gegenwart vollkommen wohl fühlte.

„Guten Tag, George – Miss Holbrook.“ Ihr Anblick zog Freddie in Bann. Das feuerrote Haar leuchtete unter ihrem schicken Hut hervor, der passend zu ihrem Kleid mit grünen Bändern festgebunden war. Es ließ sich nicht leugnen, dass sie eine Schönheit war. Sie wird keinen Mangel an Verehrern haben, dachte er und überlegte, warum ihn die Vorstellung irritierte. „Genießen Sie die Fahrt, Miss Holbrook?“

„Ja, sehr. Ich habe selten schönere Pferde gesehen als die Grauschimmel von Mr. Bellingham.“

„Da haben Sie Freddies Füchse noch nicht zu Gesicht bekommen“, sagte George in seiner ehrlichen Art. „Miss Holbrook ist eine passionierte Reiterin, Freddie. Sie versteht eine Menge von Pferden. Du musst sie einmal in deinem Phaeton mitnehmen. Das würde ihr bestimmt gefallen.“

„Oh, ja, gern“, versicherte Caroline ohne nachzudenken. „Nicolas hat mich manchmal seinen Phaeton fahren lassen. Und einmal haben wir einen Freund im Wagenrennen besiegt … auch wenn ich das vielleicht nicht erzählen darf …“

„Wären Anstandsdamen zugegen, hätten Sie gerade Ihr eigenes Todesurteil verkündet“, bemerkte Freddie belustigt. Ihre unschuldige Art sich anzuvertrauen verzauberte ihn unwillkürlich. „Aber fürchten Sie sich nicht, Miss Holbrook. Weder George noch ich werden Sie verraten.“

„Danke“, erwiderte Caroline, der die Schamesröte ins Gesicht stieg. Schon zum zweiten Mal hatte er etwas in dieser Art geäußert. Mochte er sie nicht? „Ich denke, mein loses Mundwerk wird mich noch in arge Schwierigkeiten bringen. Ich sollte mich besser zurückzunehmen. Aber manchmal geht es mit mir durch.“

„Nein, nein“, widersprach Bellingham, während Freddie schwieg. Sein Schweigen empfand sie als Ausdruck von Missbilligung. Hatte er einen Grund, sie zu verurteilen? Sie hatte nichts Empörendes getan, und seine Reaktion verletzte ihren Stolz. Sie warf ihm einen trotzigen Blick zu.

„Ich werde euch nicht länger belästigen. Bestimmt wünschst du mich schon zum Teufel, George“, bemerkte Freddie schließlich.

„Gar nicht.“ George lächelte. „In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt. Wir sehen uns später …“ Carolines Aufschrei unterbrach ihn. Sie sprang von der Kutsche und rannte über das Gras, wobei sie ihren Rocksaum anhob, um nicht zu stolpern. „Was macht sie denn?“

Sir Freddie hatte mitbekommen, was Caroline veranlasst hatte, einen so halsbrecherischen Sprung zu riskieren und loszulaufen. Ein junger Kerl quälte einen Hundewelpen, sodass die arme Kreatur vor Schmerz aufjaulte. Ohne weiter auf George zu achten, eilte Freddie ihr nach und sah, wie sie sich dem Burschen wutschnaubend näherte.

„Wie kannst du nur?“, schrie sie, während das Tier sich bereits vor dem nächsten Schlag duckte. „Hör sofort damit auf, oder ich werde dir Manieren beibringen!“

„Ach nee, was woll’ n Sie denn machen?“, fragte der zerlumpte Kerl und grinste anzüglich. „Sie halten mich nicht auf. Mein Herr hat mir befohlen, das Viech loszuwerden. Er bringt mich um, wenn ich dieses Flohbündel wieder mitbringe.“

„Dann geh’ ohne ihn zurück“, erwiderte Caroline. „Wenn du ihn noch einmal anrührst, bekommst du meine Hand zu spüren!“

„Echt? Wie woll’n Sie denn das machen?“ Der Bursche stellte sich breit vor sie hin. Er hob seine rechte Faust, als wollte er sie schlagen, doch wurde sein Arm von einer starken Hand festgehalten. Als er aufsah, wurde er unter dem Dreck in seinem Gesicht blass. Ängstlich wandte er sich an Caroline. „Sagen Sie ihm, er soll mich loslassen, Miss. Ich werd’ Ihnen nix tun.“

„Nein, das bestimmt nicht“, erklärte Caroline kämpferisch. „Ich hätte dich sonst mit meinem Schirm versohlt. Lassen Sie ihn gehen, Sir“, befahl sie mit Bestimmtheit. „Das arme Tier wird nie wieder gequält werden.“ Sie kniete neben dem verängstigten Welpen nieder und streichelte zärtlich dessen Kopf. Sir Freddie verpasste dem Burschen eine schallende Ohrfeige und ließ ihn laufen. „Du armer Kleiner. Er hat dir so wehgetan. Aber jetzt brauchst du keine Angst mehr zu haben. Keiner wird dir etwas tun. Das verspreche ich dir.“

„Das Tier hat vermutlich Flöhe und gebrochene Knochen.“

Caroline blickte zu ihm auf. „Die Flöhe sind mir egal und lassen sich rasch durch ein warmes Bad entfernen – aber mit den gebrochenen Knochen sieht es anders aus. Er muss von jemandem untersucht werden …“ Sie zögerte, denn ihr wurde plötzlich wieder bewusst, dass sie nur Gast im Haus ihrer Tante war. Lady Taunton würde keinen verwahrlosten Welpen bei sich aufnehmen. „Er ist vielleicht nicht der hübscheste Hund, aber er verdient Pflege. Meinen Sie nicht?“

Freddie beugte sich hinab und hob den Welpen vorsichtig auf. Das winselnde Tier zitterte am ganzen Körper, beruhigte sich aber, als er es in den Arm nahm.

„Ich glaube, er mag Sie“, sagte Caroline. „Denken Sie … ?“

„Oh, nein“, sagte Freddie sofort. „Ich habe nicht vor, mir eine Promenadenmischung zuzulegen.“

„Ich wollte Sie lediglich fragen, ob Sie mich irgendwohin führen könnten, wo für ihn gesorgt wird, bis ich ihn zu mir nehmen kann. Ich werde für die Unkosten aufkommen … und wenn ich nach Hause fahre, kommt er mit.“ Ihr bittender Blick brachte Freddies Entschluss ins Wanken. Als sie bemerkte, dass er es sich anders überlegte, strahlte sie. „Ich verspreche, ihn so bald wie möglich abzuholen.“

„Nun gut“, sagte er widerstrebend. „Ich nehme den Unglückswurm in meine Obhut – aber nur, bis Sie ein Zuhause für ihn gefunden haben. Ich habe einige Hunde, die Gulasch aus ihm machen würden. Aber in meinen Stallungen kann er unterkommen. Die Knechte werden ihn versorgen.“

„Sie sind sehr großherzig, Sir. Ich bin Ihnen dankbar.“

„Sie bleiben aber für den Hund verantwortlich“, betonte Freddie unfreundlich. „Sie haben sicher bemerkt, dass Ihr Kleid verschmutzt ist, Miss Holbrook – und ich würde Ihnen dringend davon abraten, nochmals so überstürzt aus einer Kutsche zu springen. George war gerade dabei, anzufahren, und Sie hätten sich verletzen können.“

„Was macht das schon?“, fragte Caroline und legte den Kopf zur Seite. Sie beugte sich über den Welpen und küsste ihn auf den Kopf. „Bitte passen Sie auf ihn auf.“

„Ich habe noch nie ein Tier vernachlässigt“, versicherte Freddie ein wenig überheblich. „Sie brauchen sich auch um das hier keine Sorgen zu machen.“

„Nein, natürlich nicht. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung, auch wenn sie nicht nötig gewesen wäre. Ich hätte schon zurückgeschlagen, wenn er gewagt hätte, mich anzugreifen.“

„Beim nächsten Mal werde ich daran denken“, erwiderte Freddie belustigt. „Gehen Sie jetzt besser wieder zurück. Georges Pferde werden bestimmt schon unruhig.“

„Oh ja, das habe ich ganz vergessen.“ Caroline errötete. „Ich danke Ihnen.“

Sie lief auf die wartende Kutsche zu.

„Du weißt, dass du ihr dein Glück verdankst, nicht wahr?“, murmelte Freddie und kraulte das Tier hinter den Ohren. Der Welpe hatte sich in seinen Armen eingekuschelt. Gutes Futter und Pflege würden ihn wieder genesen lassen …

Freddie blieb stehen, als sein Freund winkend vorbeifuhr. Miss Holbrook spielte kein Theater. Sie war hübsch, intelligent und lebhaft, außerdem ebenso mutig wie mitfühlend. Allerdings hielt er nicht nach einer Ehefrau Ausschau, auch wenn er zugeben musste, dass Miss Holbrooks Anwesenheit die Saison auf erfrischende Weise belebt hatte. Ihre Offenheit würde sie zweifellos in Konflikt mit denen bringen, die sich als Hüter von Moral und Anstand aufspielten. Er war neugierig, wie sich die Dinge entwickeln würden.

Tom Holbrook runzelte die Stirn, nachdem er das Schreiben seines Großvaters gelesen hatte. Es kam für ihn überraschend, auch wenn er nicht abgeneigt war, den alten Herrn zu besuchen. Er hatte sich nie vor Bollingbrook gefürchtet, allerdings war es ihm immer ratsam erschienen, in dessen Gegenwart zurückhaltend zu agieren. Der Marquis war launisch und hatte aus seiner Abneigung gegenüber der Frau seines Sohnes nie einen Hehl gemacht.

Tom hatte bereits mit dem Gedanken gespielt, seiner Mutter und seiner Schwester in der Stadt einen Besuch abzustatten. Dabei würde es keine größeren Umstände bereiten, einen Umweg zu machen und den Großvater zu besuchen. Der Marquis schien etwas mit ihm besprechen zu wollen. In Toms Ohren klang das nicht sehr vielversprechend. Er stand kurz davor, einen Teil des Holbrook-Anwesens verkaufen zu müssen, um dem Risiko zu entgehen, alles zu verlieren. Die törichten Investitionen seines Vaters hatten ihm einen Scherbenhaufen hinterlassen.

Er wies seinen Diener an, für ihn zu packen. Dann ließ er die Kutsche vorfahren.

Drei Stunden nachdem er den Brief seines Großvaters erhalten hatte, näherte er sich bereits Bollingbrook Place. Es handelte sich um ein altes Gebäude, doch sowohl die Bausubstanz als auch das Grundstück befanden sich in tadellosem Zustand. Der Gutsbetrieb schien offensichtlich zu florieren.

„Wie schön Sie zu sehen, Sir“, begrüßte ihn Jenkins, als er wenig später in die Eingangshalle trat. „Mylord war sich sicher, dass Sie kommen würden … und schon sind Sie hier.“

„Er hat meine Mutter mit der Aufforderung hinausgeworfen, sein Haus niemals mehr zu betreten, allerdings habe ich mir gleich gedacht, dass es nicht so gemeint war. Wie geht es ihm, Jenkins? Wird er immer noch von der Gicht geplagt?“

„Seine Lordschaft leidet weiterhin unter erheblichen Schmerzen“, berichtete der Diener, „aber heute ist es besser als an den vorangegangenen Tagen. Ich versuche ihn vom Portwein abzubringen, aber Sie wissen, wie das ist, Sir.“ Jenkins seufzte.

„Ich kann es mir vorstellen“, erwiderte Tom grinsend. „Kann ich zu ihm?“

„Ihre Gesellschaft wird ihm guttun, Sir. Er lebt zu sehr in der Vergangenheit, wenn er allein ist.“

Tom ging die Treppe hinauf, klopfte an und wartete, bis ihn eine verdrießliche Stimme bat, einzutreten. „Guten Morgen, Großvater. Wie geht es dir?“

„Überflüssige Frage“, brummte der Marquis, besann sich dann jedoch darauf, dass er den jungen Mann ausdrücklich zu sich gebeten hatte. „Nicht so schlecht, Tom. Es ist nett von dir, dass du mich besuchst.“

„Ich hatte nichts Besseres zu tun“, erklärte Tom freimütig. Erst zeigte sich Entrüstung und dann Belustigung im Gesicht seines Großvaters, der es nicht gewohnt war, dass man ihm auf diese Weise antwortete. „Ich habe vor, eine Reise nach London zu unternehmen, um Caroline zu einige Veranstaltungen zu begleiten und Mama die Aufregung zu ersparen, falls sie sich überhaupt damit belastet.“

„Sicherlich drückt sie sich“, knurrte Bollingbrook. „Diese läppische Person! Aber immerhin hat sie mir meine besten Enkelkinder geschenkt. Der Rest ist ein Haufen Trottel! Sie streiten und jammern, und das halte ich in meinem Alter nicht mehr aus. Ich will Caroline endlich wiedersehen. Es ist Jahre her, dass sie hier war. Ich weiß, sie treibt sich gerade in der Stadt herum, und ich will ihr auch nicht den Spaß verderben. Dennoch würde ich mich über einen Besuch von ihr sehr freuen. Kannst du ihr das ausrichten, Tom?“

„Ja, selbstverständlich. Ich mache mich in ein paar Tagen auf den Weg, falls du so lange mit mir Vorlieb nimmst?“

„Natürlich, denn ich habe einiges mit dir zu besprechen“, entgegnete der Marquis. „Es betrifft eure Zukunft – deine, die von Nicolas und von meinem Augenstern. Ich habe mich euch gegenüber nachlässig verhalten und möchte das wieder geradebiegen. Ich hatte gerade meine Anwälte hier, und alles ist so weit geklärt. Ich kann aber nicht alles auf einmal erläutern. Es betrifft Angelegenheiten, von denen kaum jemand weiß – und die auch nicht weitererzählt werden sollten, hast du mich verstanden?“

„Ich werde schweigen wie ein Grab“, versicherte Tom.

„Gut, das dachte ich mir schon“, sagte der Marquis. „Siehst du die Truhe in der Ecke? Die mit den Eisenschlössern? Hier ist der Schlüssel.“ Er reichte ihn Tom. „Öffne sie und bring mir das Päckchen, das ganz oben liegt. Du kannst es in Ruhe durchsehen, und dann werden wir miteinander reden …“

Caroline bemerkte sofort, als Sir Frederick den überfüllten Ballsaal betrat. Er besaß eine solche Ausstrahlung und Präsenz wie kein anderer Mann, den sie kannte. Ihr Herz schlug ein wenig schneller.

Er ließ seine Blicke durch den Saal schweifen und sah sie einen Moment an. Sofort senkte sie den Kopf. Er sollte nicht bemerken, dass sie ihn angestarrt hatte. Ihr nächster Tanzpartner forderte sie auf, und schon befand sie sich inmitten der Tanzenden. Für einige Minuten vergaß sie Sir Frederick. Als sie wieder zu ihrer Tante zurückgeleitet wurde, war er nicht mehr im Saal. Vielleicht ist er zum Kartentisch gegangen, dachte sie und beschloss, nicht weiter auf ihn zu achten.

„Ich möchte mich ein wenig frisch machen“, erklärte Caroline ihrer Tante. „Könntest du Mr. Asbury bitte ausrichten, dass ich gleich wieder da bin?“

„Ja, allerdings solltest du dich beeilen“, erwiderte Lady Taunton ungehalten. „Es ist unhöflich, Tanzpartner warten zu lassen.“

Caroline eilte aus dem Saal und schritt die Stufen zum Damenzimmer hinauf. So schnell wie möglich machte sie sich zurecht und hastete wieder hinunter. Doch am Fuß der Treppe begegnete sie Sir Frederick.

„Tanzen Sie heute nicht, Sir?“, erkundigte sich Caroline.

„Ich tanze nur, wenn ich besondere Lust dazu habe“, gab er Auskunft. „Und George hat mir schon gesagt, dass Ihre Karte bereits kurz nach Ihrer Ankunft voll gewesen sei.“

„Ich fürchte, das stimmt“, bestätigte sie. „Allerdings gibt es sicherlich andere, bei denen noch Tänze frei sind, Sir.“

„Das hilft mir nicht weiter.“

Caroline hielt den Atem an. Heißt das, er ist nur gekommen, um mit mir zu tanzen? Sicher nicht! Sie lächelte ihn an und wollte vorbeigehen, doch er erlaubte es nicht und fasste ihren Arm. Ihr wurde am ganzen Körper heiß. Seine Berührung ließ sie innerlich erzittern, und sie überlegte, warum er solche Gefühle in ihr auslöste.

„War noch etwas, Sir?“ Sie drehte sich zu ihm und sah ihn mit großen Augen an. „Wollten Sie mir berichten, wie es dem Welpen geht, den wir gerettet haben?“

„Nun, mein Stallmeister hat einen Narren an ihm gefressen. Er möchte ihn seinen Kindern schenken, wenn Sie keine Einwände dagegen haben. Ich bin mir sicher, dass er dort gut behandelt wird.“

„Das sind ja wunderbare Neuigkeiten“, freute sich Caroline. „Ich stehe in Ihrer Schuld, weil Sie mir mit dem Welpen geholfen haben.“

„In der Tat“, sagte Freddie spöttisch. „Doch ich fürchte, Sie werden mir meinen Wunsch trotzdem nicht erfüllen, mit mir ein paar Minuten durch den Garten zu spazieren.“

„Dafür kennen wir uns wohl kaum gut genug, Sir.“

„Wir kennen einander so gut wie gar nicht, Miss Holbrook.“ Er ließ einen Finger ihren Arm hinuntergleiten, sodass sie ein heißer Schauer überlief. Einen Moment starrte sie in seine dunklen Augen und fühlte sich, als ob sie in einem wirbelnden Strom ertränke. „Ich bin mir nicht sicher, ob es für uns gut ist, einander näher kennenzulernen …“

„Dann lassen Sie mich bitte vorbei“, erwiderte Caroline kühl. Plötzlich wurde ihr wieder klar, wie gefährlich es war, einen solchen Mann zu mögen. Wenn ich so dumm bin, Gefühle für ihn zuzulassen, wird er mir mit Sicherheit das Herz brechen. „Mein Tanzpartner wartet bereits. Ich bin schon viel zu spät dran.“

„Ja dann“, sagte Freddie und ließ sie los. Er spürte ihre Reserviertheit und machte einen Rückzieher. Wenn er nicht vorsichtig war, würde er sich in eine Situation bringen, die nur eine Konsequenz haben konnte. Er mochte sie genug, um einen kleinen Flirt zu wagen – aber heiraten? Nein, daran dachte er im Traum nicht! „Sie machen mich neugierig, Miss Holbrook. Sie haben bei einigen Gentlemen solchen Eindruck hinterlassen, dass Sie sich sowohl Reichtum als auch Titel wählen können.“

„Denken Sie, dass ich um eines Vermögens oder einer gesellschaftlichen Stellung willen heirate?“, fragte Caroline stolz. „Natürlich brauche ich nur mit dem Finger zu schnippen und werde eine Duchess …“ Erhobenen Hauptes stolzierte sie vorbei und ließ Freddie stehen, der ihr verblüfft nachblickte.

Zum Teufel, sie hat vollkommen recht! Er war verärgert, weil er viel häufiger an sie dachte, als er wollte. Warum erregte sie seine Aufmerksamkeit so sehr? Sie war eine Schönheit, aber es gab vergleichbar hübsche Damen, die ihn nicht eine Spur interessierten. Meine einzige Möglichkeit, die Gedanken an sie loszuwerden, ist sie näher kennenzulernen, beschloss er, denn er war sich sicher, dass er ihr auf diese Weise auf die Schliche kam. Sie konnte einfach nicht so reinen Herzens sein, wie es schien.

Ich hätte ihn lieber nicht auf diese Weise in seine Schranken weisen sollen, ärgerte sich Caroline, denn sie wollte keinesfalls, dass irgendjemand glaubte, sie wäre auf der Jagd nach einem Titel. Das war das Letzte, was ihr bei der Auswahl eines Ehemanns wichtig erschien. Vielmehr sollte er gebildet sein, über Poesie und Literatur sprechen können und Musik und Kunst lieben. Außerdem sollte er Humor besitzen, denn einen Gatten, der immer ernst war, würde sie nicht ertragen.

Wieder schweiften ihre Gedanken zurück zu Sir Frederick. Sie dachte daran, wie er sich des hilflosen Welpen angenommen hatte. Möglicherweise war er gar nicht so hochmütig, wie es manchmal schien … und vielleicht mochte sie ihn doch. Wenn meine Tante nicht so versessen darauf wäre, dass ich Sir Frederick heirate, würde ich ihn wahrscheinlich sehr sympathisch finden, kam ihr in den Sinn.

Am nächsten Morgen beschloss Caroline, die Leihbibliothek aufzusuchen, um ein Buch zu holen, das ihr von einem ihrer neuen Bekannten empfohlen worden war. Sie ging sehr früh aus dem Haus und nahm keine Zofe mit, obwohl sie wusste, dass ihre Tante dieses Verhalten nicht gutheißen würde. Doch die Bibliothek lag nur ein paar Straßen entfernt, und sie ging davon aus, wieder zurück zu sein, bevor Tante Louisa ihr Verschwinden bemerkte.

Als sie mit einem kleinen Bücherbündel aus der Bücherei kam, stieß sie beinahe mit dem Mann zusammen, an den sie gegen ihren Willen so häufig denken musste. Er zog vor ihr den Hut. Unwillkürlich bewunderte sie seine attraktive Erscheinung. Er trug einen dunkelgrünen Gehrock und helle Reithosen. Offenkundig hatte er gerade einen Ausritt unternommen, denn er hielt noch seine Reitgerte in Händen. Sie lächelte und wünschte ihm einen guten Morgen.

„Sie sind früh dran, Miss Holbrook.“ Er musterte ihr Bücherbündel und lächelte, als er sah, dass sie nicht nur einen Gedichtband, sondern auch einen ziemlich blutrünstigen Schauerroman entliehen hatte, der gerade bei den jüngeren Damen für Furore sorgte. „Ah, ich sehe, Sie sind einem Trivialroman auf den Leim gegangen, der fälschlicherweise als großartiges Werk gefeiert wird.“

„Halten Sie nichts von Ann Radcliff, Sir?“

„Ich finde ihre Bücher nicht besonders unterhaltsam“, gab Freddie zu, „obwohl ich mir vorstellen kann, dass sie beim weiblichen Verstand besser ankommen.“

Caroline wurde zornig. „Sie verhalten sich herablassend, Sir. Der weibliche Verstand ist sehr wohl in der Lage, schöngeistige Literatur zu verstehen, aber ein Roman dieser Art dient eben nur der Unterhaltung.“

Freddie amüsierte es, wie leicht sie sich von ihm ärgern ließ. „Ich persönlich bevorzuge Voltaire oder Rousseau – aber das ist wohl nicht die geeignete Lektüre für eine junge Dame. Wenn Sie Freude an Schauergeschichten haben, kann ich Ihnen Gregory Lewis’ Roman ‚Der Mönch‘ empfehlen.“

„Den kenne ich bereits“, erwiderte Caroline. „Ich fand ihn ein wenig schockierend, aber er ist gut geschrieben. Haben Sie denn Mrs. Radcliffs Buch ‚Die Geheimnisse von Udolpho‘ gelesen?“

„Ja, vor einigen Jahren“, gab er zu. „Ich halte es für ihr bestes Buch.“

„Leider war es in der Bibliothek nicht vorhanden“, sagte Caroline.

„Da kann ich Ihnen weiterhelfen“, entgegnete Freddie. „Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen das Buch leihe, Miss Holbrook …“

Freddie bemerkte, dass sie ihm nicht zuhörte, sondern auf etwas hinter seinem Rücken achtete. Er drehte sich um und sah, dass ein kleiner Junge von einer Bande Älterer angegriffen wurde. Im letzten Moment, als Caroline gerade unbesonnen losstürzte, sodass sie fast vor einen Brauereiwagen lief, fasste er sie am Arm und hielt sie zurück. Sie schrie auf.

„Ich bitte Sie, hier zu bleiben und mich die Sache regeln zu lassen!“

Er hatte seine Aufforderung in derart strengem Tonfall vorgetragen, dass Caroline stehen blieb, während er sich durch den Verkehr über die Straße schlängelte. Sie beobachtete, wie er mit den Jungen sprach, sie auseinander brachte und dem Angegriffenen eine Münze zusteckte.

„Was ist passiert?“, wollte sie wissen, als er zu ihr zurückkam. „Ist er verletzt worden?“

„Es war nur ein Streit unter Brüdern“, beruhigte Freddie sie. „Der Junge hatte das Geld verloren, das ihm einer der anderen für das Essen anvertraut hatte. Kein Grund zur Beunruhigung, Miss Holbrook.“

„Nett von Ihnen, dass Sie ihm Geld gegeben haben, Sir“, sagte sie.

„Das war keine große Sache.“ Er sah sie ernst an. „Ich rate Ihnen, etwas weniger impulsiv zu reagieren, Miss Holbrook. Sie hätten eben leicht unter die Räder geraten können.“

„Sie brauchen sich um mich keine Sorgen zu machen“, erwiderte sie. „Ich hatte die Kutsche gesehen und wäre ihr problemlos ausgewichen. Ich gehöre nicht zu den jungen Damen, die bei jeder Kleinigkeit in Ohnmacht fallen.“

„Nein, das sicher nicht, aber ihr Verhalten ist manchmal ein wenig zu waghalsig“, kritisierte er. „Um genau zu sein, sind Sie zu hübsch, um unter einer Kutsche zu enden, Miss Holbrook. Aber bevor Sie wieder böse auf mich werden … ich hatte Sie gerade gefragt, ob ich Ihnen das Buch ausleihen darf.“

Caroline zögerte, doch ihr Wunsch den Roman zu lesen, besiegte den Ärger über seine Ermahnung. „Danke, ich würde es gern ausleihen. Es wurde mir empfohlen.“

„Dann lasse ich es bei Ihrer Tante abgeben“, versprach Freddie und verabschiedete sich von ihr.

Es gelang Caroline, wieder ins Haus zu schlüpfen, ohne dass ihre Tante es bemerkte. Doch ihre Mutter hatte bereits nach ihr fragen lassen und zeigte sich betrübt, dass sie allein aus dem Haus gegangen war.

„Es gehört sich nicht, dass du ohne Begleitung durch die Stadt läufst, meine Liebe“, tadelte sie ihre Tochter. „Was kann dir nicht alles draußen zustoßen? Du kannst auf der Straße entführt werden, und dann sehe ich dich nie wieder.“

„Oh, Mama!“ Caroline lachte. „Ich versichere dir, dass ich nicht in Gefahr war, und die einzige Person, der ich begegnet bin, war Sir Frederick.“

„Nun gut, ich denke, daran ist nichts auszusetzen“, räumte ihre Mutter ein. „Allerdings weiß ich, dass deine Tante es keinesfalls guthieße, dass du ohne Zofe ausgehst, mein Liebes.“

„Tante Louisa findet alles schlecht, was ich mache.“

„Caroline!“ Marianne schüttelte den Kopf und seufzte schließlich. „Ehrlich gesagt kritisiert Louisa auch alles, was ich tue.“

Caroline kicherte, denn sie hatte nicht erwartet, ihre Mutter einmal so etwas sagen zu hören. „Sei bloß vorsichtig, Mama, sonst bekommen wir beide fürchterlich die Leviten gelesen.“

„Das ist möglich“, sagte Marianne. „Was hältst du davon, wenn ich dich heute Nachmittag begleite? Du besuchst einige Bekannte, nehme ich an?“

„Ja, Mama. Mr. Bellingham hat mich eingeladen, bei seiner Schwester Mrs. Fairchild und ihrer Tochter Julia zum Tee vorbeizukommen. Wenn du mich begleitest, kann Tante Louisa ihre andere Verabredung einhalten.“

„Ich begleite dich“, versicherte Marianne. „Aber bevor ich es vergesse, mein Liebes, ich habe die Seidenstoffe erhalten, die ich vor ein paar Tagen bei einem Händler bestellt hatte. Später kommt die Schneiderin, um mit mir den Schnitt zu besprechen. Vorher möchte ich deinen Rat hören.“

Caroline folgte ihrer Mutter in deren Schlafgemach, wo verschiedene Seidenstoffballen auf dem Bett ausgebreitet lagen. Erfreut stellte sie fest, dass ihre Mutter nicht nur Grautöne ausgesucht hatte und dass nirgendwo Trauerflor zu sehen war.

Angeregt unterhielten sie sich über die Kleider und Farbtöne.

Als die Schneiderin eintrat, beschloss Caroline, bis zum Mittagessen im Kleinen Salon zu lesen.

Nach dem Lunch zog sie ein hellgrünes Kleid an. Dazu setzte sie eine Haube mit passenden Bändern auf. Ein cremefarbener Spenzer, weiße Handschuhe und ein grünes Retikül rundeten ihre Aufmachung ab. Kaum war sie die Stufen hinuntergegangen, als ihre Mutter sich bei ihr einhakte, und gemeinsam gingen sie zur Kutsche.

„Ich freue mich, dass wir beide mal wieder allein etwas unternehmen“, sagte Marianne. „Vielleicht sollten wir das öfter so halten.“

Mrs. Fairchild hieß sie herzlich willkommen und forderte Mrs. Holbrook auf, ihr gegenüber Platz zu nehmen, während Caroline sich auf ein Sofa neben Julia setzte. Es gab nur drei weitere Gäste: Mr. Bellingham, Mr. Milbank, ein Gentleman im fortgeschrittenen Alter, und ein Gentleman in den Dreißigern, der Caroline vorher noch nicht aufgefallen war. Er wurde ihr als Mr. Farringdon vorgestellt. Sie fand ihn zwar recht ansehnlich, wurde jedoch von seinen Manieren und seiner Redeweise abgestoßen. Er tat, als gäbe es zwischen ihnen eine Vertrautheit, die jeder Grundlage entbehrte.

Als Julia sich erhob, um ihrer Mutter beim Servieren des Tees und der Kuchen zu helfen, nahm Mr. Farringdon neben Caroline Platz. Er warf mit Komplimenten um sich, lobte ihr Kleid und erkundigte sich, ob sie sich in der Stadt wohlfühlte. Sie antwortete höflich, aber reserviert und war erleichtert, als er wenig später die Runde verließ. Die Teegesellschaft wurde nun vertrauter, und sie fühlte sich gut von Mr. Bellingham und seiner Nichte unterhalten. Auch ihre Mutter schien die heitere Gesellschaft zu genießen.

„Haben Sie vor, lange in London zu bleiben, Madam?“, erkundigte sich Mr. Milbank bei Mrs. Holbrook. „Ich bin nur zu einer Stippvisite hier, um meinen Schneider aufzusuchen. Ansonsten liegt Bath mir mehr. Aber mit den Londoner Modemachern kann schließlich niemand konkurrieren.“

Sofort drehte sich die Unterhaltung um die Vorzüge bestimmter Maßschneider, und die Zeit verging wie im Fluge. Alle blieben weit länger als üblich, und Julia ließ Caroline nur widerwillig fort.

„Morgen kommst du zu meiner Tanzveranstaltung, nicht wahr?“, fragte sie. „Bitte sag zu, ansonsten wäre ich furchtbar enttäuscht.“

„Natürlich kommen wir“, versicherte Marianne, noch bevor ihre Tochter antworten konnte. „Wir freuen uns schon sehr darauf. Aber jetzt müssen wir uns leider verabschieden.“

Caroline folgte ihrer Mutter zur Kutsche und ließ sich winkend in die Polster zurückfallen.

„Das war sehr vergnüglich, findest du nicht?“, erkundigte sich Marianne, während der Kutscher die Fahrt aufnahm. „Erst dachte ich, es würde mich sehr ermüden, aber ehrlich gesagt fühle ich mich ausgezeichnet. Wahrscheinlich bekommt mir die Londoner Luft.“

Vermutlich ist es eher die fröhliche Gesellschaft, die ihr guttut, dachte Caroline zufrieden.

Als sie im Haus der Tante ankamen, wartete ein Paket für Caroline in der Eingangshalle. Sie wusste sofort, dass es sich um das Buch handelte, das Sir Frederick ihr versprochen hatte. Lächelnd nahm sie es an sich und beschloss, ihm ein Billett mit ihrem Dank zu schicken. Werde ich ihn bei Julia wiedersehen?

Lady Taunton fühlte sich am folgenden Morgen unpässlich und kündigte an, dass sie der abendlichen Tanzveranstaltung fernbleiben werde.

„Es tut mir leid, dass es dir nicht gut geht, Tante“, erwiderte Caroline. „Mama hat vor, mich zu begleiten. Sie freut sich schon darauf, ihr neues Kleid zu tragen.“

„Na gut“, erwiderte ihre Tante säuerlich. „All diese Festivitäten, die ich deinetwegen besucht habe, sind mir nicht bekommen. Soll ruhig deine Mutter einmal ihrer Pflicht nachkommen. Hoffen wir, dass sie am nächsten Tag nicht zu Bett liegt.“

„Bestimmt nicht“, versicherte Caroline. „Ich wünsche dir eine gute Besserung, Tante.“

„Es ist nicht schlimm“, jammerte Lady Taunton, als ob sie eine Märtyrerin wäre, die gerade zum Scheiterhaufen gebracht würde. „Ich werde nach meinem Arzt rufen lassen, um ganz sicher zu gehen.“

Caroline und ihre Mutter machten sich pünktlich auf den Weg. Es war nur eine kleine Tanzveranstaltung, keine von den großen Bällen der Saison. An der Seite ihrer Mama begrüßte Julia ihre Gäste. In ihrem weißen Kleid mit der Silberstickerei sah sie reizend aus. Über Carolines Ankunft schien sie sich besonders zu freuen.

Caroline traf einige Gentlemen an, die sie bereits von den anderen Festivitäten her kannte. Allerdings war sie ein wenig erstaunt, als sie auch Mr. Farringdon erblickte, von dem sie inzwischen wusste, dass Julia und ihre Mutter ihn nicht schätzten. Sie erkundigte sich bei Julia.

„Mama hatte ihn bereits eingeladen, als George uns verriet, dass er in finanziellen Schwierigkeiten steckt und nach einer reichen Braut sucht. Ich wünschte, sie hätte ihn nicht eingeladen, weil ich ihn überhaupt nicht mag. Offensichtlich besitzt er kein Gespür dafür, wann er willkommen ist. Ich hoffe bloß, er versucht nicht, mich zu überreden, mit ihm nach draußen zu gehen.“

„Falls er das versucht, musst du ihn einfach abweisen“, riet Caroline. „Ist deine Tanzkarte schon voll?“

„Beinahe“, entgegnete Julia. „Oh, schau, da kommt Sir Frederick. Ich werde ihn fragen, ob er zweimal mit mir tanzen möchte. Dann ist für Mr. Farringdon nichts mehr frei.“

Sie lächelte verführerisch, als Sir Frederick auf sie zukam, hielt ihm ihre Karte hin und erkundigte sich, ob er seinen Namen für die beiden letzten freien Tänze eintragen wollte. Er tat es, gab ihr die Karte zurück und wandte sich mit einer Verbeugung an Caroline, während Julia von ihrem nächsten Tanzpartner aufgefordert wurde.

„Darf ich hoffen, dass Sie für mich noch Tänze freigehalten haben, Miss Holbrook?“

„Ja, zufällig habe ich noch zwei Tänze frei“, entgegnete Caroline. Sie hatte sie ganz bewusst freigehalten, doch das wollte sie nicht zugeben. „Der eine fängt gerade an, der andere ist kurz vor dem Souper.“

„Dann möchte ich Sie gern zu beiden auffordern“, erklärte Freddie und reichte ihr seinen Arm. „Ich hoffe, Ihnen gefällt das Buch, das ich Ihnen bringen ließ.“

„Bisher habe ich erst ein Kapitel geschafft“, gestand Caroline, „aber es macht einen vielversprechenden Eindruck. Meine Mutter will es ebenfalls lesen, sobald ich durch bin. Wie Sie sehen, bin ich nicht die einzige dumme weibliche Person, die sich von Mrs. Radcliffs Schreibkünsten verführen lässt.“

„Ich habe Sie niemals für dumm gehalten, Miss Holbrook“, versicherte Freddie. „Eigentlich wollte ich Sie fragen, ob Sie mich an einem der nächsten Vormittage auf eine Spazierfahrt begleiten möchten“, erklärte Freddie. „Ich hoffe, Sie sagen zu …?“

„Oh …“ Caroline war überrascht. „Ja, warum nicht, Sir. Es würde mich sehr freuen.“

„Wie sieht es mit übermorgen aus?“

„Ich glaube, das passt. Meine Tante macht vormittags nie Verabredungen aus. Sie bleibt am liebsten bis elf oder zwölf in ihrer Suite, aber ich gehe gern früher aus dem Haus.“

„Das habe ich schon bemerkt. Dann hole ich Sie um zehn Uhr ab, wenn Ihnen das nicht zu früh ist.“

„Nein, gar nicht“, versicherte sie. „Ich freue mich darauf.“

Ihr Tanz war beendet, und Sir Frederick brachte sie zu Julia zurück, die seine nächste Tanzpartnerin war. Caroline war vorübergehend allein und sah wie Mr. Farringdon auf sie zukam. Glücklicherweise wurde sie von ihrem nächsten Tanzpartner aufgefordert, bevor Farringdon sie erreichte. Schwungvoll tauchte sie wieder in das Gewimmel der Tänzer ein.

Im Verlaufe des Abends unternahm Mr. Farringdon zwei weitere Versuche, sich ihr zu nähern, doch Caroline wich ihm aus. Erst als sie auf die Terrasse hinaustrat, um sich ein wenig abzukühlen, gelang es ihm, ihr aufzulauern.

„Miss Holbrook“, sagte er. „Ich möchte Sie für den heutigen Abend um einen Tanz bitten.“

„Verzeihen Sie, aber meine Karte ist ganz schnell voll gewesen. Entschuldigen Sie mich bitte, denn mein nächster Tanzpartner wartet bereits auf mich.“

„Sicherlich können Sie noch einen Augenblick warten?“ Er stellte sich ihr in den Weg, und ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter.

„Nein, ich muss gehen“, sagte sie und versuchte, an ihm vorbeizukommen. Doch er legte seine Hand auf ihren nackten Arm, den sie sofort zurückzog. Mit einem frostigen Gesichtsausdruck wandte er sich ab.

„Miss Holbrook – ich glaube, das ist unser Tanz.“

Caroline war noch nie so erleichtert gewesen wie in diesem Moment, als sie Sir Frederick an der Terrassentür stehen sah. Freudig reichte sie ihm ihre rechte Hand.

„Ich wollte gerade wieder hereinkommen, Sir.“

„Sind Sie von etwas aufgehalten worden?“

„Oh, nein“, erwiderte Caroline, die aus einer Mücke keinen Elefanten machen wollte. „Entschuldigen Sie mich, Sir.“ Farringdon trat beiseite und nickte Sir Frederick zu, der ihn unfreundlich musterte.

„Das war ausgesprochen unbesonnen von Ihnen, Miss Holbrook“, flüsterte Freddie, als sie hineingingen. „Es gibt Gentlemen, mit denen es sogar auf einer einsamen Insel ungefährlich ist, aber dieser gehört nicht dazu. Was hat Sie dazu veranlasst, mit ihm hinauszugehen?“

Caroline starrte ihn ungläubig an. „Wenn Sie meinen, ich wäre mit ihm hinausgegangen, irren Sie sich, Sir. Ich schätze den Herrn nicht und würde ihm noch nicht einmal einen Tanz gewähren!“ An ihrem Gesichtsausdruck ließ sich ablesen, dass sie Freddie in diesem Moment ebenfalls nicht besonders schätzte.

Lächelnd beugte er den Kopf zu ihr hinunter. „Ich nehme alles zurück, Miss Holbrook. Ich habe falsche Schlüsse gezogen. Farringdon ist nicht gerade ein geeigneter Verehrer für eine junge Dame. Darüber hinaus verfügt er über kein großes Vermögen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihre Familie ihn akzeptieren würde, denn ich vermute, dass Sie eine gute Partie machen sollen.“

„Vermuten Sie das?“ Caroline hob stolz den Kopf, während er sie auf die Tanzfläche führte. „Ich danke Ihnen für Ihren Rat, Sir. In diesem Fall war er zweifellos überflüssig, aber bitte fühlen Sie sich völlig ungezwungen, mich von Ihrem überlegenen Wissen profitieren zu lassen. Wie Sie ja wissen, ist es zwingend, dass ich eine gute Partie mache, und ich vermute, Sie wissen auf den Penny genau, welchen Wert jeder einzelne Gentleman besitzt.“

Freddies Mundwinkel zuckten, aber er verkniff sich jeden weiteren Kommentar und begann, mit ihr zu tanzen. Als Caroline seine Hand auf ihrer Taille spürte, entspannte sie sich, und ihr Ärger verschwand. Unsicher blickte sie zu ihm auf.

„Ich habe Sie traurig gemacht. Verzeihen Sie mir, Miss Holbrook.“

„Vermutlich war ich unhöflich. Ich muss Sie um Verständnis bitten, Sir Frederick. Ich war aufgebracht und habe nicht die richtigen Worte gewählt. Ehrlich gesagt, war ich froh, dass Sie mich gerettet haben.“

„Nein, ich muss Sie um Verzeihung bitten“, beteuerte er. „Ich mag es, wenn junge Damen offen aussprechen, was sie denken – und Sie haben eine besonders erfrischende Art.“

Will er mir mitteilen, dass ich mich ungezogen verhalte? fragte sich Caroline, die annahm, dass er sich über sie lustig machte. Als er sie nach dem Tanz darum bat, sie zum Souper begleiten zu dürfen, nickte sie.

„So muss Jeanne d’ Arc geguckt haben, als man sie zum Scheiterhaufen brachte“, flüsterte er lächelnd. „Darf ich Sie übermorgen immer noch zur Spazierfahrt abholen, Miss Holbrook?“

„Wenn Ihnen nach wie vor daran gelegen ist.“

„Selbstverständlich“, beteuerte er. „Ich glaube …“

Er brach ab, da sich Julia mit einer Runde junger Gentlemen zu ihnen gesellte.

Unmittelbar nach dem Mitternachtssouper verließ Sir Frederick die Gesellschaft.

Caroline fühlte sich pikiert, denn sie wusste nicht, weshalb er so schlecht über sie dachte. Natürlich würde es ihr ein wohlhabender Ehemann ermöglichen, etwas für ihre Mutter und ihre Brüder zu tun. Doch sie wollte keinesfalls nur um des Geldes wegen heiraten. Die meisten Gentlemen, die sie kannte, konnte sie sich nicht als Ehemänner vorstellen …

3. KAPITEL

Der folgende Tag war mit Einkäufen und Anproben ausgefüllt, und am Abend besuchten Lady Taunton und ihre Nichte eine Musikveranstaltung. Weder Sir Frederick noch Mr. Bellingham waren zugegen. Caroline wurde von ihrer Tante zurechtgewiesen, weil sie keine gute Gesellschafterin abgab.

„Du magst dich ja langweilen, aber wenn du das so deutlich zeigst, wird dich bald niemand mehr einladen.“

„Es tut mir leid, Tante“, erwiderte Caroline. „Ich fühle mich so …“ Sie seufzte, denn sie wollte sich nicht eingestehen, dass der Abend ohne ihre beiden besonderen Freunde keinen Reiz besaß. „Ich bin ein wenig erschöpft.“

Es war nur eine Ausrede. Sie war froh, als sie die Veranstaltung verließen und sie sich bald darauf allein in ihrem Schlafzimmer befand. Sie fühlte sich gereizt und fragte sich, ob Sir Frederick die Verabredung am nächsten Morgen einhalten würde.

Sie hätte sich keine Gedanken darüber machen müssen, denn er erschien ausgesprochen pünktlich. Sein blauer Gehrock und die helle Hose standen ihm ausgezeichnet. Seine Stiefel waren auf Hochglanz poliert.

„Miss Holbrook“, begrüßte er sie. „Sie sehen heute Morgen bezaubernd aus, wenn ich das sagen darf.“

„Danke, Sir. Das ist sehr freundlich von Ihnen.“

„Sind Sie aufbruchsbereit?“

„Ja, natürlich.“ Caroline lächelte und folgte ihm nach draußen. Sein junger Reitknecht stand mit einem Gespann schöner Grauschimmel und dem Phaeton bereit.

„Danke, Jim. Spring hinten auf.“ Nachdem der Bursche ihm die Zügel übergeben hatte, half Freddie Caroline in den Wagen.

„Mr. Bellingham erzählte mir von Ihren wundervollen Füchsen, Sir. Haben Sie Ihr Gespann kürzlich ausgetauscht?“

„Nein, aber es ergab sich die günstige Gelegenheit, diese beiden zu erwerben, und ich fand, dass sie sich gut in meinem Stall machen würden.“

„Oh, da kann ich Ihnen nur zustimmen. Sie sind wundervoll.“

„Nicht alle jungen Damen interessieren sich für Pferde. Sie stellen eine Ausnahme dar, Miss Holbrook.“

„Wirklich?“ Caroline sah ihn erstaunt an. „Ich liebe Pferde, seit ich denken kann … Hunde liebe ich auch. Richtige Hunde, meine ich, nicht diese Schoßhündchen, die viele Damen bevorzugen. Zu Hause gehe ich oft stundenlang mit ihnen spazieren.“ Sie lachte. „Um ehrlich zu sein, bin ich lieber mit meinen Hunden in der freien Natur als in Gesellschaft von einigen Leuten, die ich hier in der Stadt getroffen habe.“ Sie holte kurz Luft, denn ihr war klar geworden, was sie gesagt hatte. „Oh je, jetzt halten Sie mich bestimmt für eine Landpomeranze.“

„Überhaupt nicht“, sagte Freddie. „Dafür sind Sie viel zu intelligent und lebendig.“

„Darf ich das als Kompliment auffassen?“

„Immerhin ist es so gemeint gewesen.“

„Danke. Besitzen Sie ein Landgut, Sir?“

„Im Augenblick habe ich drei“, erwiderte Freddie. „Ein Jagdschloss in Oxfordshire, meinen Familiensitz in Derbyshire und eine Jagdhütte in Schottland, die ich allerdings selten aufsuche. Ich verbringe meine Zeit lieber in London.“

„Ich vermute, das Landleben liegt nicht jedem, auch wenn ich es sehr schätze.“

„In der richtigen Gesellschaft kann es sehr nett sein. Aber ich bin nicht gern allein dort, während sich meine Freunde in der Stadt aufhalten.“

„Das verstehe ich. Haben Sie keine Familie, Sir?“

„Ich hatte eine ältere Schwester, doch sie starb schon als Kind.“ Seine Miene verfinsterte sich. „Meine Eltern waren bereits beide vorher gestorben, daher war ich ganz der Gnade unserer Bediensteten ausgeliefert – abgesehen von gelegentlichen Besuchen meines Onkels und meines Großvaters. Als ich fünfzehn war, starb mein Großvater, aber mein Onkel ist noch am Leben. Außerdem gibt es noch meine Patentante, Lady Stroud.“

„Oh, davon hatte ich keine Ahnung.“ Caroline blickte ihn mitfühlend an. Sein Gesicht verriet jedoch keinerlei Rührung.

„Woher sollten Sie das auch wissen? Es ist lange her. Sie müssen mich nicht bemitleiden. Auch wenn ich nur wenige Verwandte habe, besitze ich gute Freunde.“

„Mr. Bellingham und Sie stehen sich sehr nah, nicht wahr?“

„Ja, wir sind schon lange befreundet.“

Sie erreichten den Parkeingang, und Caroline erblickte einige Bekannte. Ein paar waren in Kutschen unterwegs, doch die meisten gingen zu Fuß.

„Würden Sie diesen Herrn zu Ihren Freunden zählen?“, erkundigte sich Caroline, als sie Mr. Farringdon erblickte.

„Er ist nur ein Bekannter. Als Freund würde ich ihn nicht bezeichnen. Wir sind uns hauptsächlich am Kartentisch begegnet.“

„Ja, am Kartentisch trifft man sicher auf viele Gentlemen“, bemerkte Caroline nachdenklich. „Mein Vater hatte kein Glück im Spiel. Ich denke, es ist nicht immer klug, zu spielen.“

„Da haben Sie völlig recht. Man sollte nur spielen, wenn man es sich leisten kann.“

„Ja, natürlich, die Spielerei hat schon viele Männer unweigerlich in den Ruin getrieben.“

„Ganz bestimmt, aber meistens helfen keine Warnungen.“ Freddie wirkte bedrückt, doch dann strahlte er sie an. „Haben Sie vor, morgen zu Lady Rowes Fest zu gehen?“

„Ja, wir werden dort sein“, antwortete Caroline, die seinen Wunsch spürte, das Thema zu wechseln. „Werden Sie dort ebenfalls erscheinen?“

„Leider muss ich geschäftlich nach Oxford, bin indes in wenigen Tagen wieder zurück.“

„Oh …“ Caroline verspürte einen Anflug von Enttäuschung.

Er lächelte sie an. „Bleiben Sie bis zum Ende der Saison in der Stadt, Miss Holbrook?“

„Vielleicht noch ein paar Wochen, aber es hängt davon ab … von der einen oder anderen Sache.“

„Verstehe“, sagte Freddie. „Sind Sie denn mit dem Lesen vorangekommen?“

Sie begannen, über die Vorzüge von Mrs. Radcliffs Schreibstil zu sprechen, was in eine lange Unterhaltung über Literatur und Poesie mündete. Der Park war an diesem Morgen voller Besucher. Freudig wurden sie von Mr. Bellingham begrüßt, der Julia spazieren fuhr.

Caroline tat es leid, als sie ihre Ausfahrt beendeten und zum Haus ihrer Tante zurückkehrten.

Am Nachmittag verließ Freddie die Stadt, wobei seine Gedanken ganz bei der Unterhaltung mit Miss Holbrook waren. In der letzten Zeit dachte er ständig an sie. Sie entsprach ganz seinen Vorstellungen von einer lebhaften jungen Braut. Aber will ich wirklich heiraten? Vor allem wollte er nicht, dass sie seinen Antrag nur wegen seines Reichtums und seiner gesellschaftlichen Stellung annahm. Vermutlich musste er bald heiraten, da es seine Pflicht war, für einen Erben zu sorgen. Sein Onkel hatte keine Kinder, die den Familiennamen weitertragen konnten. Doch es widerstrebte ihm, allein aus diesem Grund eine Ehe einzugehen.

Er glaubte fest daran, dass aufrichtiger Respekt und gegenseitige Zuneigung die Voraussetzungen für eine glückliche Beziehung bildeten. Und hier lag sein Problem, denn er ging nicht davon aus, dass Caroline für ihn etwas Besonderes empfand, auch wenn sie ihm bereits schlaflose Nächte bereitete. Er wusste, dass ihre unbedachte Bemerkung über einen möglichen Aufstieg zur Duchess aus einer Verletztheit heraus gefallen war. Trotzdem war die Äußerung vielleicht nicht weit von der Wahrheit entfernt. Einige Verehrer interessierten sich sehr für sie und standen ihm in Hinblick auf Wohlstand und Abkunft in nichts nach. Wartet Miss Holbrook nur auf den Mann, der die beste Stellung bietet? Carolines Gleichgültigkeit konnte trügen.

Freddie war es gewohnt, zu leben wie es ihm gefiel. Wenn er heiratete, würde sich sein Lebensstil ändern. Er musste sich während seiner Reise nach Oxford alles sorgfältig durch den Kopf gehen lassen …

Die nächsten Tage waren für Caroline so ausgefüllt, dass sie keine Zeit zum Nachdenken fand. Sie besuchte eine Gesellschaft nach der anderen und folgte oft mehr als einer Einladung an ein und demselben Abend.

Ihr war inzwischen klar, dass es nur wenige Gentlemen gab, die sie jeden Tag zu sehen wünschte. Viele waren höflich und freundlich, doch es fehlte der nötige Esprit, der ihr so wichtig war. Es gab nicht mehr als zwei oder drei, in deren Gegenwart sie sich geben konnte, wie sie war. Mr. Bellingham schien ihr der netteste Bekannte zu sein. Sie freute sich immer sehr, wenn sie mit ihm und Julia Fairchild, mit der sie sich besonders angefreundet hatte, Zeit verbringen konnte.

Es verging beinahe eine Woche, bevor sie Sir Frederick wiedersah. In Begleitung von Mr. Bellingham und Julia betrat er am Samstagabend Mrs. Ashtons Großen Salon. Ihr stockte der Atem, und ihr Herz begann wie wild zu schlagen. Es ist so schön, ihn wiederzusehen! Sie fächelte sich Luft zu, da sie fürchtete, rot geworden zu sein.

Du musst deine Gefühle besser unter Kontrolle halten! Nicht dass er denkt, du hättest dich in ihn verliebt! Obwohl Julia ihr Zeichen machte, beschloss sie, sich nicht sofort zu den dreien zu gesellen.

Sir Frederick, Mr. Bellingham und Julia standen an den geöffneten Terrassentüren. Caroline lächelte zu Julia hinüber und wandte sich dann geduldig der älteren Dame zu, die Lady Taunton begrüßt hatte.

Weitere Bekannte umringten sie: eine junge Dame namens Helen Telford, ihr Bruder Henry und ihr Cousin Stephen Rivers. Caroline beteiligte sich angeregt an der Unterhaltung, denn sie hatten am Morgen gemeinsam den Aufstieg eines Ballons beobachtet und tauschten sich nun über ihre lebhaften Eindrücke aus. Mr. Rivers erzählte, er habe mit einem der Ballonfahrer gesprochen und werde mit etwas Glück selbst bald eine Ballonfahrt unternehmen.

„Das sollten Sie nicht tun, Sir“, sagte Helen ängstlich.

„Sie haben ein Glück“, meinte Caroline sofort. „Wie gern würde ich auch mit einem Ballon aufsteigen. Es muss wundervoll sein, durch die Luft zu schweben und zu schauen, was unter einem passiert.“

„Fürchten Sie sich nicht davor, hinunterzufallen?“, fragte eine Stimme hinter ihr. Sie spürte ein Kribbeln im Nacken und drehte sich um. „Oder sind Sie so furchtlos, dass Sie alles wagen, Miss Holbrook?“

Caroline blickte in Sir Fredericks dunkle, spöttische Augen. „Ich glaube, ich würde nichts lieber tun“, erwiderte sie herausfordernd. Sie hatte den Eindruck, dass er sie absichtlich provozierte. „Bestimmt fällt man nur aus dem Korb, wenn man sich sehr dumm anstellt.“

Freddie lachte über ihre schlagfertige Antwort. Er hatte sie von der Fensterseite aus beobachtet und war fasziniert von ihren lebhaften Gesten und ihrem ausdrucksstarken Gesicht. Er wusste, dass er nicht der Einzige war, der sie bewunderte. Wenn ihre Arglosigkeit nicht gespielt ist, stellt sie eine echte Ausnahme dar, dachte er.

„Mal ganz ehrlich, Miss Holbrook“, sagte er und versuchte, ihre Gedanken zu erraten. Sie machte ihn neugierig. Sie musste reich heiraten, da sie kein Vermögen besaß. Doch ihr Verhalten sprach dafür, dass sie einem Niemand den Vorzug vor einem Duke geben würde, wenn er nur ihre Sympathie erregte. War dies die wahre Caroline oder nur gespielt? „Würden Sie wirklich gern eine Ballonfahrt unternehmen? Ich könnte das arrangieren, wenn Sie es möchten.“ Fragend hob er die Augenbrauen.

„Meinen Sie das ernst?“, erkundigte sich Caroline freudig. „Oh, wenn ich nur könnte. Meine Tante würde natürlich ihre Einwilligung nicht geben, aber wenn sie nichts davon erfährt …“

„Darf ich zusehen?“, erkundigte sich Mr. Rivers. „Wenn Helen und Henry auch mitkommen, wäre es für Ihre Tante sicherlich akzeptabel. Ein Picknick im Richmond Park kombiniert mit einem Ballonaufstieg. Ihre Tante braucht ja nichts Genaues darüber zu wissen.“

Freddie hatte den Vorschlag in dem Glauben gemacht, Caroline würde einen Rückzieher machen. Doch an ihrer überschwänglichen Reaktion ließ sich ablesen, dass sie Feuer und Flamme für die Unternehmung war.

„Oh, es wäre wundervoll“, erklärte sie begeistert. „Wenn wir als Gruppe unterwegs sind, wird es meine Tante für unnötig halten, mich zu begleiten. Wann wäre es denn möglich, Sir?“

„Nächste Woche“, erwiderte Freddie. „Am Donnerstag, wenn es Ihnen recht ist. Ich hole Sie um zehn Uhr morgens ab, Miss Holbrook.“

„Ich danke Ihnen!“ Ihre Augen leuchteten. „Das ist so freundlich von Ihnen. Ich kann Ihnen gar nicht genug dafür danken.“

„Vermutlich werden Sie es sich noch anders überlegen, wenn es losgeht“, bemerkte Freddie. „Aber erst einmal möchte ich Sie bitten, als meine Partnerin eine Partie Whist zu spielen.“

„Ja, warum nicht?“, erwiderte Caroline. Mit einem strahlenden Lächeln legte sie ihre Hand auf seinen Arm. Freddie musste beinahe blinzeln. Es war ihm, als wäre gerade die Sonne aufgegangen, und er fühlte sich wie benommen. Sie war wirklich eine bezaubernde Frau, was auch immer sie sonst noch war. „Gegen wen spielen wir denn?“

„Gegen George und Julia“, erläuterte Freddie. „Julia hat uns verraten, dass sie regelmäßig mit ihrer Großmutter um Pfefferminzbonbons spielt.“

„Wirklich? Ich habe auch immer mit Nicolas um Pfefferminzbonbons gespielt. Aber ich glaube, er hat geschummelt. Wenn ich gegen Tom gespielt habe, war ich viel häufiger die Siegerin.“

„Ah ja, Ihre Brüder“, sagte Freddie. „Wird einer der beiden Sie in der Stadt besuchen?“

„Ich denke nicht“, erwiderte Caroline wehmütig. „Tom würde es vermutlich tun, wenn er es sich leisten könnte. Aber Nicolas befindet sich derzeit in Frankreich. Er wurde als Verbindungsoffizier dorthin geschickt, und ich habe schon einen Monat nichts mehr von ihm gehört.“

„Vielleicht überrascht er Sie auf seinem Rückweg“, sagte Freddie. Es muss interessant sein, sie mit ihren Brüdern zu erleben, dachte er. „George, du siehst, ich habe Miss Holbrook für uns entführt.“

„Oh, prima“, freute sich Julia.

„Ich glaube, wir sind diesmal Gegnerinnen. Ich wünsche dir viel Glück, auch wenn du es mit Mr. Bellingham als Spielpartner vermutlich nicht brauchen wirst“, sagte Caroline zu Julia.

„Julia ist eine teuflische Kartenspielerin“, warnte George sie lachend. „Lassen Sie sich nicht von Ihrer Bescheidenheit täuschen, Miss Holbrook. Am Kartentisch kennt sie kein Pardon.“

Als sie am Tisch Platz genommen hatten, begann jemand, auf dem Klavier zu spielen. Der Salon war jedoch so weitläufig, dass sie sich trotzdem auf das Spiel konzentrieren konnten und niemanden störten, der ausschließlich der Musik lauschen wollte.

„Es ist so ein schöner großer Raum“, lobte Caroline.

„Ja, obwohl es für meinen Geschmack zu warm ist. Nicht so wie in deinem unterkühlten Zuhause, Freddie. Da ist es ja sogar im Sommer kalt“, erwähnte George.

„Das stimmt“, erwiderte Freddie. „Allerdings denke ich daran, einiges zu verändern.“

Autor

Deb Marlowe
Deb Marlowe wuchs im Bundesstaat Pennsylvania auf und hatte stets ihre Nase in einem Buch. Glücklicherweise hatte sie genug Liebesromane gelesen, um ihren eigenen Helden auf einer Halloween Party am College zu erkennen. Sie heirateten, zogen nach North Carolina und bekamen zwei Söhne. Die meiste Zeit verbringt Deb Marlowe an...
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Anne Herries
Anne Herries ist die Tochter einer Lehrerin und eines Damen Friseurs. Nachdem sie mit 15 von der High School abging, arbeitete sie bis zu ihrer Hochzeit bei ihrem Vater im Laden. Dann führte sie ihren eigenen Friseur Salon, welchen sie jedoch aufgab, um sich dem Schreiben zu widmen und ihrem...
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