Geheimnisse des Herzens

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Aimi könnte glücklich sein: Jonas erwidert ihre Liebe! Sie verlebt wunderbare Wochen mit dem attraktiven Geschäftsmann, aber Jonas weiß nicht alles über sie: Wird er noch an ihrer Seite bleiben, wenn er erfährt, welche schreckliche Schuld sie auf sich geladen hat?


  • Erscheinungstag 05.10.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751528085
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Die Welt verändert sich manchmal in einem einzigen Augenblick. Noch einen Moment zuvor ist das Leben so, wie man es geplant hat, und plötzlich liegt die gesamte Zukunft in Trümmern. So ging es Aimi Carteret an diesem denkwürdigen Sommerabend, und es war bereits das zweite Mal, dass ihr Leben in seinen Grundfesten erschüttert wurde.

Sie saß an dem langen Esstisch im Haus von Michael und Simone Berkeley und genoss das unterhaltsame Wortgeplänkel. Neben ihr saß Nick, der Sohn der Gastgeber, ein herzlicher Mann voller Wärme und Freundlichkeit. Er war ein bekannter Chirurg und führte damit eine lange Familientradition fort. Aimi gegenüber saßen Nicks Schwester Paula und ihr Mann, James Carmichael.

Seit einem halben Jahr arbeitete Aimi als Nicks persönliche Assistentin. Nicht nur als Arzt war er sehr gefragt, sondern auch als Autor und kompetenter Interviewpartner in den Medien. Zudem hatte er jetzt begonnen, die Familiengeschichte der Berkeleys aufzuschreiben.

Nachdem Aimis Leben vor neun Jahren vollkommen aus der Bahn geraten war, hatte sie sich entschlossen, Geschichte zu studieren. Doch es war schwierig, eine Anstellung zu finden. Deshalb hatte sie sich alle Fähigkeiten angeeignet, die eine Privatsekretärin benötigt, und arbeitete jetzt für eine erstklassige Agentur, die sie an Kunden vermittelte. Die Arbeit für Nick brachte es mit sich, dass sie ihre Grundkenntnisse in Geschichte verwenden und ihm bei den Recherchen helfen konnte. Endlich hatte sie eine Nische gefunden, die ihr eine persönliche Befriedigung verschaffte.

Wenn ihre alten Freunde sie so sehen könnten, sie würden sie nicht wiedererkennen, dachte Aimi. Sie hatte sich angewöhnt, schlicht und zurückhaltend aufzutreten. Früher dagegen hatte sie ihre großen grünen Augen stets mit Make-up betont, ihr schulterlanges, blondes Haar perfekt frisiert und sich stets nach der neuesten Mode gekleidet.

Die Erinnerung daran, wie hemmungslos sie früher mit Männern geflirtet hatte, schien ihr unendlich weit entfernt. Da sie die Attraktivität ihrer Mutter, einer Schauspielerin, geerbt hatte, war es Aimi nie schwergefallen, Männer für sich einzunehmen. Sie hatte es genossen, doch ernsthaften und tiefer gehenden Beziehungen war sie stets ausgewichen. Ihr Leben war eine einzige Party gewesen. Doch der entsetzliche Schicksalsschlag in Österreich hatte diesem Spaß ein Ende gesetzt. Seither versuchte sie, eine andere Saite ihres Charakters zum Klingen zu bringen: Aimi wollte zuverlässig sein, wertvoll.

Nicks Eltern hatten sie in ihrem Landhaus wie eine Freundin der Familie empfangen, obwohl sie eigentlich nur Nicks Assistentin war. Ursprünglich wollte sie nur die historischen Aufzeichnungen der Familie für das geplante Buch durchsehen, doch Nick schlug vor, sie solle mitkommen und auch die übrigen Familienmitglieder kennenlernen, die sich traditionell in jedem Jahr an diesem Wochenende versammelten.

Während sie nun an dem langen Esstisch saß und den Gesprächen folgte, war sie froh, seiner Einladung gefolgt zu sein. Gerade lachten alle über eine Bemerkung von Paula. Noch ahnte Aimi nicht, dass schon bald ihre Welt zum zweiten Mal aus den Fugen geraten würde.

Die Türglocke läutete. Simone Berkeley sah ihren Mann fragend an. „Wer kann das sein?“, fragte sie.

„Erwartest du jemanden, Mum?“, erkundigte sich Paula im gleichen Atemzug.

Ihre Mutter schüttelte den Kopf.

Kurz darauf hörten sie Schritte, und alle Anwesenden wandten erwartungsvoll die Köpfe zur Tür. Herein trat ein großer, dunkelhaariger Mann, der angesichts der auf ihn gerichteten Blicke verlegen lächelte.

„Hoffentlich habt ihr mir etwas übrig gelassen“, rief er fröhlich und ließ die Freudenschreie, von denen seine Ankunft begleitet wurde, über sich ergehen.

„Jonas!“

Die Familie umringte den späten Gast und ließ Aimi Zeit, Jonas Berkeley zu betrachten. Sie hatte natürlich von ihm, dem ältesten Sohn, gehört. Er war Eigentümer eines äußerst erfolgreichen Unternehmens und beruflich wie privat ständig weltweit unterwegs. Sein Name wurde regelmäßig in den Zeitungen erwähnt, gelegentlich im Zusammenhang mit der Firma, häufiger allerdings in den Klatschspalten, die ihn auf Fotos an der Seite schöner Frauen zeigten. Niemand in der Familie hatte erwartet, dass er zum jährlichen Treffen erscheinen würde.

Aimi war überrascht, wie sie selbst auf seine Anwesenheit reagierte. Sofort als sie ihn sah, wurde etwas in ihrem Innern vollkommen aufgewühlt. Ihre Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Das Lachen, mit dem er seine Familie begrüßte, ließ sie erschauern, und das abenteuerlustige Glitzern in seinen aufsehenerregend blauen Augen warf sie aus der Bahn. Niemals zuvor hatte sie derart auf einen fremden Menschen reagiert. Plötzlich war ihr bewusst, dass das Blut in ihren Adern pulsierte und ihr Herz schneller schlug, seit er den Raum betreten hatte. Das Lächeln auf ihren Lippen erstarb, sie war von seinem Anblick gefesselt.

Aimi war wie elektrisiert. Für einen kurzen Moment traf sein Blick den ihren, ehe Jonas Berkeley das Wort an seine Schwester richtete. Doch diese Sekunde genügte, damit Aimi das Aufblitzen in seinen Augen erkannte. Erschrocken wandte sie sich ab.

O mein Gott, dachte sie wie betäubt. Was war das denn? Eine dumme Frage, Aimi, schimpfte sie mit sich selbst, du weißt es genau. Sie begehrte ihn, und diese Erkenntnis ließ sie am ganzen Körper erzittern. Die intensive Reaktion auf einen Mann war das Letzte, was sie jetzt und hier erwartet hatte. Schließlich arbeitete sie hart daran, jene Seite ihres Wesens zu verdrängen. Diese Schwäche ihres Charakters wollte sie auf keinen Fall wieder zum Vorschein kommen lassen. Kein Mann hatte es bisher geschafft, sie die Kontrolle über sich selbst verlieren zu lassen.

Bis zu diesem Moment. Ohne ein Wort war es ihm gelungen, ihre Abwehr zu durchbrechen und Gefühle in ihr zu wecken, die sie schon lange nicht mehr zulassen wollte. Sie zwang sich, ruhiger zu werden. Es musste ihr gelingen, zumindest äußerlich gelassen zu wirken, auch wenn in ihrem Innern ein Sturm der Gefühle tobte.

Eine sanfte Berührung am Arm riss sie aus ihren Gedanken. Sie blickte auf und sah Nick neben sich.

„Willst du meinen Bruder begrüßen? Ich bin sicher, er möchte dich gern kennenlernen“, lud Nick sie ein, und Aimis Herz setzte einen Augenblick lang aus, als sie sich vorstellte, dass sie gleich erneut in diese unglaublichen Augen schauen sollte. Doch ein Teil von ihr konnte es nicht erwarten – sie musste wissen, ob die Faszination, die sie im ersten Moment gespürt hatte, Wirklichkeit war. Daher lächelte sie, als sei sie vollkommen entspannt, und stand auf.

Während Aimi auf Jonas Berkeley zuging, umfing sie eine eigenartige Stimmung. Es war, als wittere sie Gefahr. Doch der Wunsch, diesem Mann gegenüberzustehen, war stärker. Als ihre Blicke sich trafen, schien die Luft zwischen ihnen wieder wie elektrisch geladen. Die Spannung nahm ihr den Atem.

Natürlich spürte Nick nichts davon. Völlig ungerührt stellte er sie einander vor. „Aimi, dieser kräftige Kerl ist mein Bruder Jonas. Groß, attraktiv und abscheulich reich. Sei gewarnt: Er ist ein Casanova. Und diese junge Frau ist meine unentbehrliche Assistentin, Aimi.“

Als Jonas sie anlächelte, blitzten seine makellos weißen Zähne. Er streckte seine Hand aus und sagte: „Hallo, Nicks unentbehrliche Assistentin. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“

Sie war überrascht, dass er eine so ruhige, angenehme Stimme hatte. Aimi atmete tief durch. Es war ihr unmöglich, sich seiner Ausstrahlung zu entziehen. Ein kurzes Zögern, ehe sie seine Hand ergriff und sich bemühte, kühl zu wirken.

„Ganz meinerseits“, entgegnete sie höflich und war erleichtert, dass ihre Stimme vollkommen normal klang. „Nick hat mir viel von Ihnen erzählt.“ Das stimmte. Nur hatte Nick niemals erwähnt, was für ein charismatischer Mann sein Bruder war. Gutes Aussehen bei Männern wusste sie durchaus zu schätzen, doch normalerweise ließ sie sich nicht davon blenden. Heute allerdings hatte sie die Situation überhaupt nicht im Griff, und das ärgerte sie.

Jonas musterte ihr förmliches Kostüm, das sie trotz der Sommerhitze trug. „Wie lange arbeiten Sie schon für Nick?“, fragte er interessiert.

„Seit ungefähr sechs Monaten“, antwortete Nick und lächelte Aimi an. „Ich versichere dir, mit einer Assistentin wie Aimi könnte jeder erfolgreich sein.“

Sein Bruder sah von einem zum anderen. „Tatsächlich? Enthülle ich hier etwa gerade eine Beziehung, die über das Berufliche hinausgeht?“

Das war keine harmlose Frage, vermutete Aimi. Jonas wollte wirklich wissen, wie Aimi und Nick zueinander standen.

Nick lachte und schüttelte den Kopf. „Nicht, was du denkst. Aimi sorgt dafür, dass das Chaos in meinem Leben wieder geordnet wird, nicht wahr, Aimi?“

„Ich versuche es“, stimmte sie unbehaglich zu. Nick gab seinem Bruder mit dieser Antwort zu verstehen, dass Aimi noch frei war. Sie fragte sich, ob ihm das klar war. Jonas jedenfalls hatte verstanden, das konnte Aimi im amüsierten Glitzern seiner Augen erkennen.

„Setzt euch wieder hin, ehe das Essen kalt wird“, bat Simone Berkeley, und Aimi gelang es, ihre Gefühle wieder auf ein erträgliches Niveau einzupendeln. Als sie wieder Platz nahm, stellte sie fest, dass Jonas ihr nun genau gegenübersaß. Selbst wenn sie den Blick senkte, war seine Anwesenheit spürbar für sie. Glücklicherweise unterhielt er sich angeregt mit seiner Mutter, sodass ihr Zeit blieb, ihn genau zu betrachten.

Sein Haar war pechschwarz, sein Profil markant. Die Linie seines Mundes aber war sanft und versprach Einfühlungsvermögen. Sie malte sich aus, wie seine Lippen sich auf ihren anfühlen würden und bereute diesen Gedanken sofort, als eine Welle der Erregung sie ergriff. Aimi schloss die Augen und atmete tief durch. Jonas durfte niemals erfahren, wie sehr sie sich von ihm angezogen fühlte. Nach dem, was sie bisher von ihm gehört hatte, schien er leichtes Spiel bei den Frauen zu haben. Doch nicht bei ihr. Sie stand schlicht und einfach nicht zur Verfügung.

Als Aimi die Augen öffnete, hatte sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden und wandte sich den Köstlichkeiten auf ihrem Teller zu. Doch gerade als sie mit dem Essen beginnen wollte, spürte sie, dass erneut eine gewisse Spannung in der Luft lag. Sie schaute auf und sah direkt in Jonas’ Augen. Einen Moment lang hielt er ihrem Blick beinahe kämpferisch stand. Dann erst, mit einem wissenden Lächeln, drehte er den Kopf. Ihr Herz raste. Sie wusste, was sein Blick bedeutete: Er hatte erkannt, wie sehr sie ihn begehrte. Das durfte nicht noch einmal passieren.

Als sie sich gefasst hatte, hob sie den Kopf und begann wieder, am Gespräch teilzunehmen, so wie vor Jonas’ Erscheinen. Ein- oder zweimal nahm sie wahr, dass er sie mit spöttischer Heiterkeit ansah, doch sie war nun geistesgegenwärtig genug, nicht darauf zu reagieren. Endlich wurde die Tafel aufgehoben.

„Lasst uns den Kaffee auf der Terrasse trinken“, schlug Simone vor. „Wenn wir Glück haben, ist eine leichte Brise aufgekommen, und die Wärme erscheint uns nicht mehr so unerträglich.“

Seit einigen Tagen hielt sich eine Hitzewelle über dem Land, und die Aussicht, sich am künstlichen See in dem parkähnlichen Garten zu erfrischen, fand allgemeine Zustimmung.

„Sie müssen froh sein, der Hitze in der Stadt an diesem Wochenende entfliehen zu können, Aimi“, bemerkte Michael Berkeley, während er Kaffee anbot.

Aimi nahm ihm eine Tasse ab und schenkte ihm ein herzliches Lächeln. „Das stimmt. Mein Apartment hat zwar eine Klimaanlage, aber gegen diese Temperaturen kann sie kaum etwas ausrichten. In dem kühlen Büro hier im Haus zu arbeiten wird weitaus angenehmer sein als in einem stickigen Archiv.“

„Ich dachte, Sie seien die Assistentin meines Bruders. Haben Sie einen Nebenjob als Archivarin?“

Die Frage kam von Jonas, und ehe Aimi sich zu ihm umwandte, ermahnte sie sich, einen kühlen Kopf zu bewahren. Und das war gut so, denn Jonas war mittlerweile sehr viel lässiger gekleidet als während des Essens. Er hatte sein Jackett ausgezogen, die oberen Knöpfe seines Hemdes geöffnet, die Ärmel aufgekrempelt und sah vollkommen verändert aus. Korrekt gekleidet war er der höfliche, distanzierte Geschäftsmann gewesen. Jetzt aber wirkte seine Männlichkeit entfesselt und unglaublich sexy.

Wieder fühlte sie sich mit allen Sinnen von ihm angezogen. Ihr Mund war wie ausgedörrt. Sie nippte an ihrem Kaffee, um ihre trockenen Lippen zu benetzen, ehe sie ihm antwortete. „Die Archivarbeit ist kein Nebenjob. Ich recherchiere für Nicks Buch.“

„Nick will ein Buch schreiben?“, fragte Jonas überrascht nach.

„Genau, und ich übernehme jetzt einige Nachforschungen für ihn, Mr. Berkeley“, entgegnete sie kühl, worauf er verbindlich lächelte.

„Nennen Sie mich Jonas“, bot er an, und Aimi wurde klar, dass sie diesen Kampf nicht gewonnen hatte. Nun würde sie ihn mit dem Vornamen ansprechen müssen, wodurch sie ein Stück Distanz verlieren würde.

„Sie recherchieren also auch?“, fuhr er fort.

„Und zwar sehr gut“, mischte sich Nick plötzlich ein. „Kein Wunder, dass sie ihr Geschichtsstudium mit Auszeichnung bestanden hat.“

Jonas zeigte sich ordnungsgemäß beeindruckt. „Eine vielseitig talentierte Frau. Es überrascht mich nicht, dass Nick Sie engagiert hat. Aber warum arbeiten Sie nicht in einem Museum oder in der Forschung?“

„Diese Jobs sind rar gesät. Und da ich meinen Lebensunterhalt verdienen muss, mache ich eben etwas anderes“, informierte sie ihn freundlich.

„Dann danken wir also den Museen, dass sie keinen Job für Sie hatten. Nur deshalb haben wir jetzt das Vergnügen, dieses Wochenende mit Ihnen verbringen zu dürfen“, flirtete Jonas charmant.

„Sie werden mich nur selten sehen, ich muss arbeiten“, betonte Aimi und war heilfroh, diese Fluchtmöglichkeit zu haben.

Jonas sah sie erstaunt an. „Nick wird Sie doch nicht zur Arbeit antreiben, während wir anderen feiern?“, wunderte er sich mit einem Seitenblick auf seinen Bruder.

„Natürlich nicht. Aimi weiß genau, dass ich ihr eine Pause gönne“, erwiderte Nick prompt, und Aimi unterdrückte einen Seufzer der Verzweiflung.

Jonas lächelte, und in seinen Augen tanzten kleine Funken. „Ich werde persönlich darauf achten, dass sie an diesem Wochenende ausspannt.“

Aimi spürte, wie sie angesichts dieser Bemerkung innerlich verkrampfte, und es kostete sie Kraft, sich zu beherrschen. „Ich möchte Sie nicht belästigen“, versuchte sie höflich, sein Angebot auszuschlagen.

Sein Lächeln wurde breiter. „Oh, Sie belästigen mich nicht. Im Gegenteil, ich werde es genießen, meine Zeit mit Ihnen zu verbringen.“

Sie hatte eine weitere Schlacht verloren. Doch sie würde die Begegnung mit ihm so gut es ging vermeiden. Als sie die Belustigung in seinen Augen sah, fühlte sie sich gezwungen, noch etwas zu erwidern.

„Was machen Sie eigentlich beruflich, Jonas?“, fragte sie. Nur widerwillig kam sein Name über ihre Lippen. Sie dachte daran, dass Nick erwähnt hatte, sein Bruder sei sehr wohlhabend.

„Ich kaufe Firmen kurz vor der Pleite und versuche, sie wieder zu lukrativen Unternehmen zu machen“, antwortete er knapp.

Aimi runzelte die Stirn. „Und wenn Ihnen das nicht gelingt?“

Jonas lächelte, und dieses Lächeln war so natürlich und frei von Spott, dass es sein Gesicht aufhellte. „Dann zerschlage ich sie in einzelne Teile, die ich verkaufen kann.“

„Und für ihn bleibt ein ordentlicher Profit“, ergänzte Nick. „Erinnerst du dich, dass ich sagte, er sei unverschämt reich?“

Auf den ersten Blick hörte sich das reizvoll an, doch Aimi entdeckte einen Makel. „Geld zu verdienen ist eine Sache, aber was ist mit den Angestellten dieser Firmen? Was geschieht mit ihnen, wenn das Unternehmen zerschlagen wird?“

Jonas schien nicht verärgert zu sein, dass er sich für seine Arbeit rechtfertigen musste. „Wenn es eben möglich ist, bleiben sie im Unternehmen. Geht das nicht, versuchen wir, ihnen eine neue Anstellung zu verschaffen. Findet dieses Vorgehen Ihre Zustimmung, Aimi?“, fragte er ironisch, und Aimi nickte mit einem schwachen Lächeln.

„Es tut mir leid, dass ich so misstrauisch war. Das liegt wohl daran, dass in Ihrer Branche viele Menschen ohne Ehrgefühl und Mitmenschlichkeit arbeiten“, sagte sie ruhig. „Ich wollte Sie nicht beleidigen.“

Seine Mundwinkel zuckten, und der Glanz in seinen Augen schien jetzt freundlich und vertrauenswürdig. „Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie haben nur ausgesprochen, was viele andere denken. Aber es freut mich, Sie überzeugt zu haben, dass nicht alles an mir abstoßend ist.“

Mit großen Augen sah sie ihn an. Für den Bruchteil einer Sekunde fanden sich ihre Blicke, und die Ironie in seinen Augen machte unverhohlenem Verlangen Platz. Doch sobald ihm bewusst wurde, dass sie es gesehen hatte, verdunkelte sich sein Blick sofort. Aimi wusste, dass sie etwas Geistreiches erwidern musste, um diesen Schlagabtausch nicht zu verlieren.

„Möchten Sie etwa ein Kompliment von mir hören, Jonas?“, stichelte sie mit feinem Spott und nahm voller Genugtuung wahr, dass die Umstehenden ihre Bemerkung mit einem Lachen quittierten.

„Es scheint so“, mischte sich James Carmichael ein. „Es ist das erste Mal, dass ich dich so erlebe, Jonas.“

Und schon war er zur Zielscheibe allgemeiner Neckereien geworden. Doch Jonas trug es gelassen – ein Charakterzug, den Aimi durchaus attraktiv fand. Sie mochte humorvolle Männer, die auch über sich selbst lachen konnten. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass sie seine Spielchen nicht mitmachen wollte. Beherzt wandte sie sich ab und nahm einen Schluck Kaffee.

Aimi war sich bewusst, dass sie kurz davor stand, sich Hals über Kopf zu verlieben, ein mehr als beunruhigender Gedanke. Denn seit sie beschlossen hatte, ihr Leben zu ändern, konnte sie für keinen Mann mehr Interesse aufbringen. Sie hatte sich in die Arbeit gestürzt und geglaubt, ihr Schutzwall sei vollkommen undurchlässig. Doch ein paar Minuten in Jonas’ Gegenwart erschütterten diese Gewissheit erheblich. Aimi wehrte sich gegen die Erregung, die er in ihr auslöste, doch ihr Körper hielt sich nicht an die Regeln. Das Einzige, was sie tun konnte, bestand darin, auf ihre Selbstbeherrschung zu achten.

Schließlich bemühte sie sich, wieder an der allgemeinen Konversation teilzunehmen. Paula fragte gerade, ob jemand Lust habe, sie und ihren Mann auf einem Spaziergang um den See zu begleiten.

„Ich würde gern mitkommen“, reagierte Aimi schnell und sah Nick an. „Du auch?“

„Paula ließe mir keine ruhige Minute, wenn ich ablehnte“, antwortete Nick, während er aufstand. Seine Schwester streckte ihm die Zunge heraus.

Aimi machte sich darauf gefasst, dass auch Jonas sich anschließen wollte, doch sie hatte Glück.

Am Wasser war es weitaus kühler, und Aimi genoss die entspannte Atmosphäre.

„Der See war Jonas’ und mein Lieblingsort, als wir klein waren. Manchmal haben wir ein Floß gebaut und gespielt, wir seien Schiffbrüchige“, erzählte Nick, während sie am Ufer entlangschlenderten. „Das war allerdings, bevor er andere Interessen in seinem Leben entdeckte“, fügte er mit einem solchen Seufzer hinzu, dass Aimi ihn fragend ansah.

„Bevor er die Mädchen entdeckte“, fügte Nick erklärend hinzu. „Jede Frau verliebt sich in ihn. Sie sieht in seine Augen, und – zack! – ist es um sie geschehen. Jonas hat noch nie um eine Frau kämpfen müssen. Er kann jede haben.“

Aimi dachte an ihre eigene Reaktion, als sie ihn vorhin zum ersten Mal sah, und erschauerte innerlich. „Kein Wunder, dass du ihn einen Casanova nennst“, stellte sie mitfühlend fest.

Nick lachte. „Er behandelt die Frauen nicht schlecht, aber er zeigt nie wirkliche Gefühle. Er ist mein Bruder und ich wünsche ihm nichts Schlechtes. Doch er könnte eine Frau gebrauchen, die ihm ebenbürtig ist.“

„Ich weiß nicht, warum du mir das erzählst“, fragte Aimi verunsichert.

Nick sah sie prüfend an. „Natürlich weißt du das. Sei vorsichtig, bitte.“

Aimi war gerührt, dass er sich um sie sorgte. Doch das musste er nicht, sie hatte alles im Griff. „Ich schätze, mit mir hätte dein Bruder kein leichtes Spiel“, versuchte sie, ihn und sich selbst zu beruhigen.

Doch Nick war nicht überzeugt. „Ich möchte nicht, dass du verletzt wirst“, sagte er, und sie lächelte schwach.

„Das werde ich nicht, denn ich habe nicht vor, mich auf ihn einzulassen“, versicherte sie ihm.

Nick verzog das Gesicht. „Ich schätze, das sagen die meisten Frauen am Anfang.“

„Mach dir keine Sorgen um mich. Ich bin immun gegen Männer wie deinen Bruder.“

Nick sah sie lange an. „Ich hoffe, du hast recht“, sagte er nur. Schweigend setzten sie ihren Weg fort.

2. KAPITEL

Als Aimi später allein in ihrem Schlafzimmer war, öffnete sie, in der Hoffnung auf eine frische Brise, als Erstes weit die Fensterflügel. Doch die Luft, die hereinströmte, war ebenso heiß wie in den Räumen. Aimi streifte ihre Schuhe ab und löste die vielen kleinen Nadeln, mit denen sie ihr Haar hochgesteckt hatte. Ihre blonden Locken fielen in üppiger Pracht auf ihre Schultern und umrahmten ihr Gesicht. Aimi genoss es, das weiche, lange Haar zu spüren. Dennoch würde sie es auch morgen wieder hochstecken. Die Frisur gehörte untrennbar zu ihrem strengen, unnahbaren Erscheinungsbild.

Aufmerksam betrachtete sie ihr Spiegelbild und war irritiert, wie jung und lebhaft sie mit offenem Haar wirkte – beinahe sorglos. Aber diese Frau im Spiegel war sie nicht mehr. Und sie würde es auch niemals wieder sein. Das war Teil der Buße, die sie sich selbst auferlegt hatte.

Hastig wandte sie sich ab und ging ins Bad. Nachdem sie geduscht hatte, fühlte sie sich herrlich erfrischt. Mit einem flauschigen Badetuch trocknete sie sich ab, schlüpfte in ein Spitzennachthemd aus kühler Seide und streckte sich auf dem Bett aus. Doch einschlafen konnte sie nicht. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um Jonas. Um jenen ersten Moment, als sie ihn gesehen und die unglaubliche Anziehungskraft gespürt hatte, die von ihm ausging.

„Verdammt!“, stöhnte sie verzweifelt und setzte sich auf. Sie musste aufhören, an ihn zu denken. Aimi stand auf und ging zum Fenster. Tief sog sie die Nachtluft ein, um einen klaren Kopf zu bekommen, doch es half nicht. Sobald sie die Augen schloss, spürte sie seinen durchdringenden Blick förmlich auf ihrer Haut.

„Reiß dich zusammen, Aimi“, ermahnte sie sich. „Er ist ein Playboy, der nur eine Frau in seinem Bett haben will. Und das wirst ganz sicher nicht du sein.“

Aimi fuhr sich mit der Hand durch die ungebändigten Locken und seufzte. Sie sehnte sich nach einer Erfrischung. Und plötzlich kam ihr eine Idee. Sie streifte ihr Negligé über das kurze Nachthemd und ging hinunter in die Küche. Leise schloss sie die Tür hinter sich. Sie brauchte kein Licht zu machen, denn der Mond tauchte den Raum in einen silbrigen Glanz.

Sie brauchte ein paar Minuten, ehe sie gefunden hatte, was sie suchte – eine Leinenserviette. Dann nahm sie eine Handvoll Eiswürfel aus dem Gefrierschrank, wickelte sie in das Tuch und setzte sich an den Tisch. Genüsslich stöhnte sie auf, als sie den kühlen Stoff über ihre Haut gleiten ließ.

Schließlich zog sie sich einen zweiten Stuhl heran, um entspannt ihre Füße darauf zu legen, und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Erschrocken fuhr sie auf, als sie ein Klopfen am Fenster hörte. Suchend blickte sie sich um und entdeckte zu ihrem Erstaunen Jonas, der draußen am Küchenfenster stand.

„O mein Gott“, flüsterte sie, als ihr bewusst wurde, was für ein verführerisches Bild sie gerade abgegeben hatte. Einem ersten Impuls folgend, wollte sie sich davonstehlen, doch Jonas gestikulierte wild und machte ihr klar, dass er hinein wollte. Voller Unbehagen verzog sie das Gesicht, hielt ihren offenen Morgenmantel mit einer Hand fest zusammen und öffnete Jonas die Tür.

Autor

Amanda Browning
Amanda Browning ist ein überzeugter Single und lebt am Rande der englischen Grafschaft Essex in dem Haus, in dem sie auch aufgewachsen ist. Sie hat engen Kontakt zu ihrer Familie und ist begeisterte Großtante von insgesamt 18 Neffen und Nichten. Ihre absoluten Lieblinge sind die beiden Enkel ihrer Zwillingsschwester. Ihre...
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