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Er ist geradezu unverschämt gut aussehend und auch noch ausgesprochen charmant - Grace kann kaum die Augen von Oliver Ferreira nehmen. Auch er scheint an ihr interessiert. Doch immer wieder sieht sie ihn mit dieser anderen Frau. Spielt er nur mit ihren Gefühlen?


  • Erscheinungstag 23.09.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753320
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Oliver stand an dem großen Fenster seines Büros im vierzehnten Stock, als die Sprechanlage leise summte.

Seufzend wandte er den Blick von den regennassen Straßen Newcastles ab und ging über den dicken dunkelblauen Teppich zu seinem Schreibtisch. Er drückte den Knopf der Sprechanlage. „Ja?“, fragte er knapp. Er ärgerte sich über die Störung.

Seine Sekretärin Mrs. Clements räusperte sich. „Ihr Bruder ist hier, Mr. Ferreira. Ich habe ihm gesagt, dass Sie beschäftigt sind, aber er besteht darauf, Sie zu sehen.“ Sie machte eine Pause. „Haben Sie Zeit?“

Während Oliver noch versuchte, damit zurechtzukommen, dass sein Bruder es wagte, in seinem Büro aufzutauchen, hörte er schon die lautstarke Auseinandersetzung im Vorzimmer. Thomas Ferreira liebte es nicht, warten zu müssen. Wenige Sekunden später wurde die Bürotür aufgestoßen. Ein großer, breitschultriger Mann erschien auf der Schwelle.

„Was soll das, zum Teufel?“, rief Thomas. Sein attraktives Gesicht war gerötet vor Zorn. „Muss ich mir neuerdings einen Termin geben lassen, wenn ich mir dir reden will, Oliver? Ich gebe zu, es ist schon länger her, dass wir uns gesehen haben. Aber du brauchst nicht gleich zu übertreiben.“

Oliver blickte seine Sekretärin an, die hinter seinem Bruder stand. „Es ist schon gut, Mrs. Clements“, versicherte er ihr. „Ich weiß, es ist nicht Ihre Schuld.“

Mrs. Clements hob resigniert die Hände. „Sie denken an den Termin mit Mr. Adler um vier Uhr, ja?“

„Er wird daran denken“, mischte Thomas sich ein. „Ich werde ihn nicht lange aufhalten. Keine Sorge, ich bin sein Bruder, kein Steuerfahnder.“

Mrs. Clements ignorierte ihn und blickte ihren Chef an. „Kann ich Ihnen Kaffee oder Tee bringen, Mr. Ferreira?“

„Solange es keine Flasche Scotch ist“, spottete Thomas.

Oliver beachtete ihn gar nicht und erwiderte höflich: „Tee, wenn es keine Umstände macht.“

„Selbstverständlich nicht.“

Thomas schloss die Tür hinter der Sekretärin. „Ehrlich, Oliver, diese Frau würde für dich durchs Feuer gehen.“ Er verzog das Gesicht. „Wie die meisten Frauen.“

„Aber nicht alle“, stellte Oliver leicht verbittert fest. Dann kniff er ungeduldig die Augen zusammen. „Was willst du, Tom? Ich habe nicht viel Zeit.“

Statt zu antworten, ging Tom zum Schreibtisch, zog einen Ledersessel heran und machte es sich bequem. „Lass uns warten, bis der Tee da ist“, schlug er vor. „Die alte Clements braucht nicht zu hören, was ich zu sagen habe.“

Oliver unterdrückte seinen Ärger. „Mrs. Clements ist absolut vertrauenswürdig. Sie würde nie etwas ausplaudern.“

„Trotzdem …“ Tom zuckte die Schultern. „Ich hatte ganz vergessen, was für eine Aussicht du von hier oben hast“, wechselte er das Thema. „Das hast du bestimmt vermisst, als du in Blackstone Abbey gesessen hast.“

Oliver hätte seinen Bruder am liebsten aus dem Büro geworfen. Doch erst wollte er erfahren, was Tom ihm zu sagen hatte. Deshalb nahm er sich zusammen.

Vor ungefähr vier Jahren hatten sie sich das letzte Mal ernsthaft unterhalten. Obwohl Oliver sich über den Besuch seines Bruders ärgerte, war er neugierig, weshalb er gekommen war.

Vielleicht war es Zeit, die Vergangenheit zu begraben. Früher hatten sie sich gut verstanden. Erst Toms Verrat und das Scheitern von Olivers Ehe hatten sie entzweit. Dass die Ehe zerbrochen war, war nicht nur Toms Schuld, sondern auch Sophies. Immerhin war sie Olivers Frau gewesen, während sein Bruder unverheiratet gewesen war.

Es würde Oliver schwerfallen, Tom jemals wieder zu vertrauen. Die Scheidung von Sophie war schmerzhaft gewesen. Monatelang hatte er seinen Kummer in Alkohol ertränkt. Toms abfällige Bemerkung über die Flasche Scotch und seine Anspielung auf Blackstone Abbey, eine Entzugsklinik, bewiesen, dass er nicht hier war, um sich zu entschuldigen. Vermutlich will er etwas von mir, dachte Oliver. Das war schon immer so gewesen, Tom war nur gekommen, wenn er etwas wollte.

Oliver ließ sich in seinen Schreibtischsessel sinken, lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und betrachtete seinen Bruder nachdenklich. Tom war älter geworden, wie er feststellte. Aber er selbst ja auch.

„Wie geht es Sophie?“, fragte er schließlich, weil er es hinter sich bringen wollte. Es überraschte ihn, wie wenig er für seine Exfrau empfand. Nach der Scheidung hatte er es monatelang nicht ertragen können, ihren Namen zu hören. Doch nun spürte er kaum mehr als ein leichtes Bedauern darüber, was hätte sein können, und erinnerte sich daran, wie dumm und gutgläubig er gewesen war.

Tom schien über die Frage erstaunt zu sein. „Ihr geht es gut, nehme ich an. Warum rufst du sie nicht an und findest es heraus?“

Es gelang Oliver, seine Verblüffung zu verbergen. „Nein, das tue ich lieber nicht.“ Er legte die Hände auf die Armlehnen. Als Mrs. Clements mit einem Tablett hereinkam, rang er sich ein Lächeln ab. „Danke.“ Er blickte mit gespielter Begeisterung auf die Kekse. „Die sehen gut aus.“

„Wenn Sie sonst noch etwas brauchen, lassen Sie es mich wissen“, sagte seine Sekretärin freundlich. Sie war eine sehr loyale Mitarbeiterin und damals über Toms Betrug sehr schockiert und zornig gewesen.

Als die Tür hinter ihr zufiel, machte Oliver keine Anstalten, Tee einzuschenken, sondern lehnte sich wieder zurück. Wenn Tom etwas trinken wollte, konnte er sich selbst bedienen.

„Was willst du?“, fragte Oliver resigniert. „Wenn es um Geld geht, vergeudest du deine Zeit. Abgesehen davon, dass meine Exfrau ihr Bestes getan hat, um mich zu ruinieren, läuft es momentan auf dem Immobilienmarkt nicht gut.“

„Tu doch nicht so, als ob du darauf angewiesen wärst“, entgegnete Tom scharf. „Ich weiß zufällig, dass du gerade den Auftrag bekommen hast, ein Einkaufszentrum am Vicker’s Wharf zu entwerfen.“ Seine Miene verfinsterte sich. „Aber ich habe nicht von Geld geredet, oder? Nachdem Sophie das meiste Geld, das sie nach der Scheidung als Abfindung erhalten hat, in das Gartencenter investiert hat, bleibt es ja in der Familie.“ Er zögerte kurz. „Um genau zu sein, habe ich gerade das daran angrenzende Grundstück gekauft und hoffe, dass wir künftig auch Wintergärten verkaufen können. Die sind momentan sehr gefragt, wie du wahrscheinlich weißt.“

„Schön für dich.“ Oliver war froh zu hören, dass sich der Geschäftssinn seines Bruders bezahlt machte. Das Ferreira Gartencenter hatte ihr Vater aufgebaut, und Tom war der Einzige in der Familie, der seine Liebe zu den Pflanzen und Blumen geerbt hatte. Seit Tom das Geschäft führte, hatte sich der Umsatz verdoppelt, natürlich nicht zuletzt dank der Investitionen von Olivers Exfrau. „Okay. Wenn es nicht um Geld geht, worum dann? Du bist bestimmt nicht gekommen, um zu fragen, wie es mir geht“, fuhr er fort.

„Wieso nicht?“ Tom schien sich zu ärgern. „Du bist immer noch mein Bruder. Nur weil wir in der Vergangenheit einige Meinungsverschiedenheiten hatten …“

„Meine Frau zu verführen und meine Ehe zu zerstören würde ich nicht gerade als Meinungsverschiedenheit bezeichnen“, erklärte Oliver kurz angebunden.

„Ja, schon gut.“ Tom machte ein mürrisches Gesicht. „Wir hatten unsere Probleme, das will ich gar nicht leugnen. Und ich streite auch nicht ab, dass ich schuld daran war. Aber ich hätte Sophie nicht verführen können, wenn sie es nicht auch gewollt hätte, oder? Und du warst so versessen darauf, Teilhaber bei Faulkner’s zu werden. Du hast deine Frau vernachlässigt, Oliver. Gib es zu.“

„Ich gebe nichts zu, Tom. Und wenn das als Rechtfertigung gemeint ist …“

„Das ist es nicht“, unterbrach Tom ihn rasch. Er setzte eine reumütige Miene auf. „Würde es dir helfen, wenn ich zugebe, einen Fehler gemacht zu haben? Ich hätte niemals so weit gehen dürfen. Ich war ein Idiot, ein egoistischer, arroganter Idiot. Mehr als jeder andere bereue ich, was geschehen ist.“

Oliver schob den Sessel so heftig zurück, dass er an die Wand stieß. „Du solltest jetzt gehen.“ Er lachte freudlos auf und schüttelte den Kopf. „Du bist unbezahlbar, weißt du das? Hast du wirklich geglaubt, es würde irgendetwas ändern, dass du zu mir ins Büro kommst und mir erzählst, du hättest einen Fehler gemacht?“

„Ich habe es gehofft“, antwortete Tom verdrießlich. „Jeder macht Fehler, oder nicht?“

Oliver schüttelte wieder den Kopf. „Geh einfach, Tom, ehe wir beide etwas sagen, was uns später leidtut.“

Tom rührte sich nicht. Oliver blickte auf seine Uhr. Es war halb vier, wie er ungläubig feststellte. War wirklich erst eine Viertelstunde vergangen, seit Tom aufgetaucht war?

Er atmete tief aus und betrachtete seinen Bruder unschlüssig. Was nun? fragte er sich. Musste er ihn wirklich hinauswerfen? Das könnte er tun, denn er war größer und durchtrainierter als Tom. Dennoch gefiel ihm die Vorstellung nicht, seinen Bruder durch Mrs. Clements Zimmer und an den anderen Büros vorbeizuziehen. Es war schwer genug gewesen, das Mitleid seiner Kollegen zu ertragen, nachdem Sophie ihn verlassen hatte. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ihm die Sache immer noch so nahe ging, dass er seinen Bruder so unfreundlich behandelte. Er empfand nichts außer Verachtung für Tom, der offenbar davon ausgegangen war, dass Oliver auf seine Lügen hereinfallen würde.

„Ich habe gleich einen Termin“, erklärte er ruhig. Sich zu ärgern oder zornig zu werden, das brachte ihn nicht weiter. Tom schien entschlossen zu sein, so lange nicht zu verschwinden, bis er gesagt hatte, was er zu sagen hatte.

„Ich weiß. Deine Sekretärin hat es vorhin erwähnt“, entgegnete Tom.

„Dann ist dir ja klar, dass du nicht noch länger hierbleiben kannst. Du solltest gehen, ehe du dich lächerlich machst.“

Tom blickte ihn vorwurfsvoll an. „Ich bin dir völlig egal, oder? Es interessiert dich gar nicht, was aus mir wird, stimmt’s?“

„Was aus dir wird?“, wiederholte Oliver verblüfft. „Darum geht es also. Du erwartest von mir, dass ich unsere Beziehung wieder in Ordnung bringe.“

„Nein, nicht direkt.“

„Das freut mich.“

Tom runzelte die Stirn. „Du bist ja so selbstgerecht. Warum ist mir das früher nicht aufgefallen? Dir ist niemand wichtig, stimmt’s? Kein Wunder, dass Sophie sich so verzweifelt nach Aufmerksamkeit gesehnt hat. Von dir hat sie sie nicht bekommen, du bist eiskalt.“

Oliver lief um den Schreibtisch herum, packte seinen Bruder am Hemd und zog ihn aus dem Sessel. „Du Mistkerl“, stieß er hervor und wollte mit den Fäusten auf ihn losgehen. Aber Tom machte keine Anstalten, sich zu verteidigen, sondern schloss nur die Augen. Oliver fluchte leise, drückte seinen Bruder wieder in den Sessel und stellte sich ans Fenster. Er versuchte, sich zu beruhigen.

Dann herrschte minutenlang Schweigen. Oliver fuhr sich mit der Hand durch das dunkle Haar und strich sich das Jackett des eleganten silbergrauen Anzugs glatt. Er durfte nicht vergessen, dass er hier das Opfer war und nicht dieser scheinbar unterwürfige Mann, der immer noch schweigend im Sessel saß.

Schließlich drehte Oliver sich um. Es war fast zwanzig Minuten vor vier, und er musste dafür sorgen, dass Tom verschwand, ehe Sidney Adler eintraf. Adler war ein Lokalpolitiker. Er hatte sich dafür eingesetzt, dass Oliver den Zuschlag für die Planung des Einkaufszentrums bekam. Zugleich war er ein guter Freund seines Partners Andrew Faulkner und wäre vermutlich nicht erfreut darüber, dass Oliver seine persönlichen Probleme im Büro zu lösen versuchte.

Er seufzte, ging zum Schreibtisch zurück und betrachtete sekundenlang Toms gesenkten Kopf. „Was willst du, Tom?“, fragte er müde. „Ich kann dir keine Absolution erteilen. Und Sophie wird es bestimmt nicht gefallen, dass du mit mir gesprochen hast.“

„Ihr ist es egal“, antwortete Tom. „Vermutlich bin ich ihr nur zuvorgekommen. Wir wollten beide die Beziehung beenden.“

„Wie bitte?“, rief Oliver ungläubig. „Bist du gekommen, um mir zu erzählen, dass ihr euch getrennt habt?“

„Warum denn sonst?“ Tom machte eine gleichgültige Handbewegung. „Im Augenblick wohnt sie bei ihrer Mutter. Wie ich bereits erwähnt habe, das Ganze war ein großer Fehler.“

Es war beinahe sechs Uhr, als Oliver das Büro verließ.

Adler hatte mindestens die Hälfte der Zeit damit verbracht, über andere Politiker herzuziehen. Ansonsten war nicht viel Sinnvolles besprochen worden. Vielleicht hätte Oliver ihm keinen Scotch anbieten sollen. Adler hatte mehr als ein Glas getrunken, und Oliver war nach mehreren Flaschen Cola light ziemlich nervös.

Sein Auto stand in der Tiefgarage. Den zwölf Jahre alten Porsche hatte er sich selbst geschenkt, als er angefangen hatte, für Faulkner Engineering zu arbeiten. Wenigstens den Wagen hatte er nach der Trennung von Sophie nicht verkaufen müssen. Das Haus war weg und fast sein ganzer Besitz. Die Möbel hätten sowieso nicht in seine neue Wohnung gepasst.

Vor der Scheidung hatten er und Sophie in einem exklusiven Haus nördlich von Newcastle gelebt, nicht weit vom Gartencenter entfernt. Sie waren oft mit seinen Eltern und seinem Bruder zusammen gewesen. Doch nachdem sein Vater sich zur Ruhe gesetzt hatte, verbrachten seine Eltern mindestens die Hälfte des Jahres in Südspanien. Von dort kamen die Vorfahren seines Vaters.

Wieder dachte Oliver an seinen Bruder. Er hatte ihn überreden können zu gehen. Doch selbst jetzt war Oliver noch nicht ganz klar, was er eigentlich gewollt hatte. Hätte er sich darüber freuen sollen, dass sein Bruder und Sophie sich getrennt hatten? Hatte Tom erwartet, er würde ihm jetzt alles verzeihen? Nein, das war zu naiv, so dumm war selbst Tom nicht.

Aber warum war er gekommen? Oliver bezweifelte, dass sie jemals wieder Freunde sein könnten nach allem, was geschehen war. Und falls Tom etwas anderes erwartete, würde er enttäuscht sein.

Kurz kam ihm in den Sinn, dass Sophie ihn geschickt haben könnte. Wenn sie sich wirklich getrennt hatten, hoffte sie vielleicht, wieder zu Oliver zurückkehren zu können. Nein, das war lächerlich. So eingebildet war er nicht, das ernsthaft anzunehmen.

Es kam für ihn nicht infrage, die Beziehung mit seiner Exfrau wieder aufzunehmen. Er war endgültig darüber hinweg.

Er hatte Tom versprechen müssen, noch einmal mit ihm zu reden. Nur unter der Bedingung war sein Bruder bereit gewesen, zu gehen. Sie hatten sich für den nächsten Tag zum Lunch im The Crown in Tayford verabredet, wo Oliver schon seit Jahren nicht mehr gewesen war. Das Restaurant befand sich in der Nähe seines Elternhauses. Wenigstens waren seine Eltern momentan nicht da und konnten sich deshalb auch nicht einmischen und Fragen stellen. Seine Mutter litt sehr darunter, dass sich ihre Söhne entfremdet hatten. Sie hoffte sehr, die beiden würden sich versöhnen.

Instinktiv schlug Oliver nicht die Richtung zu seinem Apartment ein, sondern fuhr nach Norden aus Newcastle hinaus, weil er plötzlich den Wunsch verspürte, sich das Gartencenter anzusehen.

Kurz vor Belsay bog er nach links auf die Landstraße ab. Das Gartencenter war gut ausgeschildert, er musste nur noch etwa eine Viertelmeile fahren.

Von der Straße aus sah Ferreira’s Plant World, wie das Gartencenter hieß, sehr beeindruckend aus. In den letzten Jahren hatte es sich einen sehr guten Ruf erworben, die Leute kamen von weit, um in den Gärten und Gewächshäusern herumzuspazieren. Außerdem gab es einen kleinen Laden, ein Café, einen Floristen und einen Spielplatz. Obwohl es bereits nach sechs Uhr war, waren noch viele Besucher da.

Er stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab, blieb einige Minuten unschlüssig sitzen, trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad und fragte sich, was er hier eigentlich zu suchen hatte. Aber aus irgendeinem Grund wollte er sich davon überzeugen, dass Tom nicht in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Er stieg aus.

Als er die Wagentür abschloss, fiel ihm eine Frau auf. Sie stand in der Nähe der Gewächshäuser und gab Anweisungen an einige Männer, die Säcke mit Kompost auf einen Pritschenwagen luden.

Sie war mindestens eins achtzig groß. Wahrscheinlich ist sie mir nur deshalb aufgefallen, überlegte er. Vielleicht erregten aber auch die langen Beine in den engsten Jeans, die er jemals gesehen hatte, oder ihre schlanke Gestalt mit den üppigen Rundungen seine Aufmerksamkeit. Sie hatte ein ungemein schönes Gesicht und rotgoldenes Haar, das sie zu einem dicken Zopf geflochten hatte.

Womöglich spürte sie seinen Blick, denn plötzlich sah sie ihn an. Ihre Augen wurden von langen, dichten Wimpern umrahmt, und einen Moment lang erschien ein spöttischer Ausdruck auf ihrem Gesicht. Ein fragendes Lächeln umspielte ihre Lippen. Dann sprach einer der Arbeiter sie an, und sie wandte sich ab.

Oliver steckte die Schlüssel ein und wanderte durch die Anlage. Den Laden betrat er nicht, weil er befürchtete, einige ältere Mitarbeiter könnten ihn erkennen.

Von Tom war nichts zu sehen. Oliver war sich nicht sicher, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Vielleicht hatte er gehofft, schon jetzt herauszufinden, was sein Bruder von ihm wollte. Dann hätte er die Verabredung für den nächsten Tag absagen können.

Er ging bis ans andere Ende des Geländes und stellte fest, dass Tom ihn nicht belogen hatte. Auf dem angrenzenden Grundstück wurde schon gearbeitet. Ein Bagger stand neben anderen Baumaschinen, und das Haus des Vorbesitzers war bereits abgerissen worden.

„Das sieht ziemlich hässlich aus, nicht wahr?“, ertönte eine heisere Stimme hinter ihm. Er drehte sich um. Die Frau, die ihm zuvor aufgefallen war, hatte sich an den Zaun gelehnt. Oliver bemerkte ihre feine Haut und die wunderschönen grünen Augen.

Er nahm sich zusammen. „Ja“, stimmte er ihr zu und schob die Hände in die Taschen seines Jacketts. „Aber Baustellen sehen immer so aus.“

„Als Bauingenieur wissen Sie natürlich, wovon Sie sprechen“, stellte sie fest. Als er fragend die Augenbrauen hochzog, fügte sie hinzu: „Sie sind Toms Bruder Oliver, oder? Er hat erwähnt, dass sie sich heute treffen wollen.“

Oliver atmete tief durch. „Hat er das?“

„Ja. Er hat jedoch verschwiegen, dass Sie herkommen würden.“ Sie lächelte. „Ich bin übrigens Grace Lovell. Er wird sich bestimmt über Ihren Besuch freuen. Mrs. Ferreira hat erzählt, Sie und Ihr Bruder hätten sich längere Zeit nicht gesehen.“

„Mrs. Ferreira?“ Oliver runzelte die Stirn. Hatte Sophie nach der Scheidung seinen Namen behalten?

„Ja, Ihre Mutter“, erklärte Grace. Offenbar hatte sie seine Verwirrung bemerkt. „Ich kenne Ihre Eltern ganz gut. Sie verbringen viel Zeit in San Luis.“

„Sind Sie Spanierin?“, fragte er ungläubig.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Mein Vater ist Amerikaner. Aber er arbeitet für die britische Regierung. Ich habe den größten Teil meines Lebens in England verbracht.“

„Verstehe.“ Oliver machte eine Pause. „Wie kommt die Verbindung nach San Luis zustande?“

„Meine Eltern besitzen dort auch ein Haus. Und da habe ich Tom kennengelernt und ihn davon überzeugt, mir diesen Job zu geben.“

„Wie gefällt Ihnen die Arbeit?“

Sie zuckte die Schultern und richtete sich auf. Obwohl sie offenbar keinen BH trug, waren ihre Brüste fest und hoch.

Du liebe Zeit, was ist mit mir los? fragte er sich und nahm sich zusammen. Es war schon viele Jahre her, dass er sich für die Brüste einer fremden Frau interessiert hatte. Sie friert bestimmt in der kühlen Luft, dachte er und warf einen letzten Blick auf ihre aufgerichteten Brustspitzen. Hitze breitete sich in ihm aus.

„Oh, es ist okay“, erwiderte Grace. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie seine Frage beantwortete und nicht etwa seinen bewundernden Blick entschuldigte. „Nach dem Studium habe ich als Lehrerin gearbeitet, aber nach sechs Jahren an einer staatlichen Gesamtschule brauchte ich eine Veränderung.“

Oliver nickte verständnisvoll. Dann gingen sie zusammen zum Hauptgebäude zurück. Ihm wurde klar, dass sie älter war, als er zunächst vermutet hatte. Er hatte sie für Anfang zwanzig gehalten, aber jetzt schätzte er sie auf dreißig.

Das spielte jedoch keine Rolle. Er selbst war vierunddreißig. Um seine Vergangenheit beneidete ihn bestimmt niemand, und er hatte eine Freundin. Grace hatte vermutlich auch einen Freund. So eine attraktive Frau lebte bestimmt nicht allein.

„Arbeiten Sie schon lange hier?“, fragte er und überlegte, wie er es vermeiden konnte, den Laden zu betreten. Er hatte Grace in dem Glauben gelassen, er hätte seinen Bruder noch nicht gesehen. Deshalb wäre es ziemlich peinlich, wenn Tom plötzlich auftauchte und die Wahrheit herauskäme.

„Ungefähr sieben Monate.“ Sie verzog das Gesicht. „Der vergangene Winter war angeblich einer der schlimmsten seit vielen Jahren. Zwei Gewächshäuser waren überflutet. Wir mussten in Gummistiefeln arbeiten.“

Oliver lächelte schwach. „Das war wohl Ihre Feuertaufe.“

„Eher meine Wassertaufe“, entgegnete sie lachend.

Oliver wollte gerade fragen, was sie vom Norden Englands hielt. In dem Moment veränderte sich jedoch ihre Miene. Grace errötete leicht, und dann hörte er eine weibliche Stimme seinen Namen rufen. Oliver unterdrückte ein Stöhnen und drehte sich zu seiner Exfrau um.

2. KAPITEL

Sophie Sherwood, wie sie vermutlich jetzt wieder hieß, kam auf Oliver und Grace zu. „Hallo, Oliver“, begrüßte sie ihn herzlich, ehe sie Grace einen gleichgültigen Blick zuwarf. „Ich habe deinen Wagen auf dem Parkplatz entdeckt. Es ist schön, dich wiederzusehen!“

Sie hatten sich nicht gerade freundschaftlich getrennt. Oliver hatte nicht gemerkt, dass sie ihn monatelang mit Tom betrogen hatte. Als es herausgekommen war, hatte Sophie versuchte, ihrem Mann die Schuld zu geben. Sie hatte behauptet, er habe sie vernachlässigt und sein Beruf sei ihm immer wichtiger gewesen als sie.

Deshalb war es geradezu lächerlich, dass sie jetzt so tat, als freute sie sich, ihn zu sehen. Er hatte gehofft, ihr nie wieder zu begegnen. Wenn er gewusst hätte, dass sie heute hier war, wäre er nicht gekommen.

Ihm war jedoch klar, dass er sich der jungen Frau neben ihm zuliebe beherrschen musste. „Sophie“, antwortete er deshalb gleichgültig. Weil ihm nichts Besseres einfiel, fügte er hinzu: „Ich wusste gar nicht, dass du hier arbeitest.“

„Das tue ich auch nicht.“ Ihr verächtlicher Ton war sehr aufschlussreich. „Aber dein Bruder schuldet mir Geld. Hat er dir das erzählt?“ Dann wandte sie sich an Grace. „Worauf warten Sie? Ich würde gern mit meinem Mann allein sprechen.“

Mit meinem Mann? dachte Oliver ärgerlich.

Grace schien von Sophies offensichtlicher Feindseligkeit völlig unbeeindruckt zu sein. „Vielleicht sehe ich Sie später noch, Mr. Ferreira. Tom kommt bestimmt bald zurück.“

„Falls er es schafft, das Pub zu verlassen, meinen Sie wohl“, stellte Sophie kühl fest. „Darauf würde ich nicht wetten.“

„Tom ist nicht im Pub“, entgegnete Grace ruhig. „Er hat einen Termin bei der Bank, wie Sie sicher wissen. Außerdem wird er sich beeilen, da er weiß, dass sein Bruder auf ihn wartet.“

Aber Tom ahnt gar nicht, dass ich hier bin, dachte Oliver. Vorsichtshalber schwieg er jedoch, um sich und Grace weitere Bemerkungen seiner Exfrau zu ersparen. Offenbar konnte Sophie die jüngere Frau nicht leiden. Warum wohl nicht? War Sophie etwa eifersüchtig?

„Wie auch immer.“ Sophie hakte sich bei ihm ein. Sogleich löste er sich vorsichtig von ihr. Sie blieb jedoch dicht neben ihm, während sie auf die Becken mit den tropischen Fischen zugingen.

„So, das ist schon besser“, erklärte sie mit zufriedener Miene. „Dass es diese Frau überhaupt wagt, mit mir zu reden, ist erstaunlich.“

„Wieso? Magst du sie nicht?“ Oliver blieb unvermittelt stehen. Er wollte wissen, was gespielt wurde. „Was ist hier los, Sophie? Was hat Grace dir getan? Und warum hast du plötzlich Sehnsucht nach meiner Gesellschaft? Ich weiß, dass du nicht mehr mit Tom zusammen bist. Also bitte tu nicht so, als ob das alles irgendetwas mit mir zu tun hätte.“

Sophie sah ihn verblüfft an. „Du hast mit Tom gesprochen?“

„Heute Nachmittag“, erklärte Oliver ruhig.

„Dann hat er dir doch bestimmt auch von Grace erzählt.“

„Was erzählt?“ Oliver befürchtete, dass er die Antwort bereits kannte.

Sie schüttelte den Kopf und blickte Oliver an. „Du hast keine Ahnung, wie unangenehm das für mich war. Seit diese Frau hier arbeitet, ist alles schlimmer geworden.“

Oliver blickte sich skeptisch um. „Das Geschäft läuft offenbar gut“, stellte er fest.

„Ich meine unsere Beziehung“, korrigierte sie ihn. „Tom und ich hatten schon Probleme, ehe diese Frau kam. Das gebe ich zu. Aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass er so schnell Ersatz für mich findet.“

Oliver kam das sehr bekannt vor. Er hatte nicht ernsthaft vorgehabt, sich mit einer Mitarbeiterin seines Bruders einzulassen. Aber dass Grace Lovell Toms neueste Eroberung war, hörte er nicht gern. Sie ist viel zu gut für meinen Bruder, dachte er grimmig. Tom sollte nicht Grace’ Leben zerstören, wie er die Ehe seines Bruders zerstört hatte.

Autor

Anne Mather
<p>Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...
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