Gerettet von deiner Liebe

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Calypso läuft die Zeit davon. Der griechische Milliardär Axios Xenakis muss endlich von den süßen Folgen ihrer einzigen Liebesnacht erfahren! Dabei ist Callie bis ans andere Ende der Welt vor ihm geflohen. Doch inzwischen ist sie schwer erkrankt, und Axios ist die einzige Rettung für ihren kleinen Sohn. Aber noch bevor sie Axios kontaktiert, spürt er sie an ihrem geheimen Rückzugsort auf. Nicht ahnend, was sie gerade durchmacht, befiehlt er wütend, dass sie zu ihm zurückkehrt … Wie wird er reagieren, wenn er erfährt, was sie ihm all die Monate verschwiegen hat?


  • Erscheinungstag 21.04.2020
  • Bandnummer 2436
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714079
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das Dröhnen in meinen Ohren war laut. So laut, dass ich für einen Moment glaubte, einen Schlaganfall zu bekommen. Dass ich mir unwiederbringlich Schaden zufügen könnte, um diese Katastrophe ein für alle Mal zu beenden.

Aber das wäre zu einfach.

Und die Schlagzeile.

Ich konnte sie vor mir sehen.

Axios Xenakis erleidet wegen Familienproblemen einen Schlaganfall!

Obwohl die Medien sich derzeit regelmäßig überschwänglich darüber ausließen, dass Xenakis nach einem Beinahe-Bankrott wieder wie Phoenix aus der Asche aufgestiegen war, würden sie sich schnell auf Verfehlungen stürzen und alte Leichen aus dem Keller holen. Mich würde man für schwach halten. Gebrochen. Nicht unbedingt in der Lage, ein globales Konglomerat zu führen.

So wie sie es bei meinem Vater gemacht hatten.

Und bei meinem Großvater, nachdem er ein riskantes Manöver eingegangen war, das all seine harte Arbeit beinahe zunichtegemacht hätte.

Diesen einen Fehler musste er sich bis zu seinem Tod vorwerfen lassen.

Einst ein Titan seines Unternehmens, hatte ihn seine Entscheidung, mit dem falschen Partner zusammenzuarbeiten, geschwächt. Der Name Xenakis trug seither den Stempel des Versagens! Ein immenser Schaden.

Schaden, den ich versuchte, durch harte und zermürbende Arbeit wiedergutzumachen, denn ich tat alles, damit mein Familienname nicht für immer in der Versenkung verschwand. Und der mich zu gewagten Lösungskonzepten angespornt hatte.

Für den Namen Xenakis musste man sich inzwischen nicht mehr schämen. Jetzt stand er wieder für Erfolg und Innovation.

Doch das, was man mir jetzt vorschlug, würde die widerlichen Geister der Vergangenheit und ihre unverschämte Gier wiederaufleben lassen.

„Hörst du überhaupt zu, Ax? Hast du mitbekommen, was Vater gesagt hat?“, fragte mein Bruder Neo.

„Natürlich habe ich es gehört. Ich bin doch nicht taub“, entgegnete ich aufgebracht.

„Dann ist es ja gut, obwohl du wie versteinert wirkst.“

Ich ignorierte Neo und richtete meinen Blick auf den Mann, der hinter dem großen, antiken Schreibtisch saß. Mein Vater musterte mich mit einer Mischung aus Bedauern und Besorgnis. Er wusste genau, was ich von dem Thema hielt, über das diskutiert wurde.

Nein, nicht diskutiert.

Es war mir aufgedrängt worden.

„Es muss einen anderen Weg geben“, erklärte ich entschieden.

Die Spannung im Raum wurde größer, aber die Sache war zu ernst. Ich wollte nicht um den heißen Brei herumreden und mich von dem Unausgesprochenen, das bei Gelegenheiten wie diesen immer im Raum hing, in meiner Urteilsfähigkeit beeinträchtigen lassen.

Mein Großvater hatte mich, und nicht meinen Vater, zum Nachfolger bestimmt. Aber ich konnte nicht zulassen, dass meine Sicht auf die Dinge sich durch Verbitterung und Schuld änderte – Gefühle, die die Beziehung zu meinem Vater schon immer vergiftet hatten.

Ich hatte das Ruder herumgerissen und der Familie wieder zu Reichtum verholfen. Dem konnte selbst mein Vater nicht widersprechen.

Deshalb war ich ein wenig überrascht, als er entschieden den Kopf schüttelte.

„Es gibt keinen anderen Weg. Dein Großvater war zurechnungsfähig, als er die Abmachung getroffen hat.“

„Obwohl ihm bei anderen Belangen seine Zurechnungsfähigkeit abgesprochen wurde?“

Verbitterung klang in meiner Stimme mit, die ich nicht zurückhalten konnte. Dass mein Großvater und Mentor, der mich all das gelehrt hatte, was ich wusste, so ungerecht behandelt worden war, brannte nach all den Jahren immer noch wie Säure in mir.

„Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um alte Wunden aufzureißen, Axios“, erklärte mein Vater.

Meine Wut verrauchte nicht, auch wenn ich ihm zustimmen musste. „Richtig. Wir sollten besser darüber sprechen, wie ich aus diesem Unsinn wieder herauskomme.“

Und es war tatsächlich unsinnig, eine Vereinbarung wie diese zu akzeptieren.

„Eine Vereinbarung, bei der die andere Partei je nach Belieben das Sagen hat? Wie kann es sein, dass die Anwälte die Papiere nicht zerrissen haben?“, wollte ich wissen und versuchte, meinen Zorn im Zaum zu halten.

Der Mund meines Vaters wurde schmal. „Ich habe letzten Monat ausführlich mit unserem Anwalt darüber gesprochen. Wir könnten vor Gericht dagegen angehen und würden wahrscheinlich gewinnen, aber es wäre eine langwierige Angelegenheit. Und ist jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt, negative Aufmerksamkeit auf das Unternehmen zu lenken? Oder wegen dieser Sache den Namen deines Großvaters wieder in den Schmutz ziehen zu lassen?“

Zu meinem Leidwesen musste ich auch diesmal einräumen, dass er recht hatte.

Da Xenakis Aeronautics vor seiner größten globalen Expansion stand, hätte der Zeitpunkt nicht ungünstiger sein können.

Und das war genau der Punkt, auf den Yiannis Petras sich verließ.

„Du hast erwähnt, du hättest ihm zehn Millionen Euro angeboten, die er abgelehnt hat. Dann lass uns das Angebot verdoppeln“, schlug ich vor.

Neo schüttelte den Kopf. „Das habe ich bereits versucht. Petras will entweder nur Option A oder B.“

Ich stieß die Luft aus. „Auf Option A, ihm fünfundzwanzig Prozent von Xenakis Aeronatics zu überlassen, lasse ich mich nur über meine Leiche ein“, entgegnete ich kühl. „Nicht für die läppische Viertelmillion, mit der sein Vater unserem Großvater aus der Patsche geholfen hat. Seine absurd hohen Rückforderungen hätten ihn fast den Hals gekostet.“

Das Unternehmen, für dessen Rettung ich jahrelang hart gekämpft hatte, war nun mehrere Milliarden Euro wert.

Mein Bruder zuckte die Schultern. „Dann ist es eben Option B. Eine einmalige Zahlung von hundert Millionen Euro, plus eine Ehe mit seiner Tochter für eine Mindestlaufzeit von einem Jahr.“

Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.

Ehe.

Mit einer Braut, die ich nicht wollte, und einer Verbindung zu einer Familie, die meiner nichts als Unglück, Schmerz und beinahe Armut eingebracht hatte.

Während meiner prägenden Jahre hatte ich miterlebt, dass Familienmitglieder sich gegeneinander wenden konnten, wenn man in Ungnade fiel. Und das hatte mir die Augen geöffnet über die wahre Natur von Beziehungen.

Nach außen hin galten die Xenakis jetzt als starke Einheit, doch die Verleumdungen waren nie verstummt. Man rechnete damit, dass alles, was ich erreicht hatte, wie ein Haufen loser Steine in sich zusammenfallen und Geschichte sich wiederholen würde. Eine Herausforderung für mich, mit der ich jeden Morgen aufwachte.

Während meine große Familie sich nun an den Früchten meiner Arbeit erfreute und sich überschlug, um bei mir gut angeschrieben zu sein, wusste ich doch tief im Inneren, dass ein einfacher Fehltritt reichen würde, um ihre fragwürdige Loyalität ins Wanken zu bringen.

Ich konnte es ihnen nicht einmal verübeln.

Wie auch, wenn ich immer wieder einen ähnlichen Weg eingeschlagen hatte? Jede Liaison, auf die ich mich eingelassen hatte, endete schließlich in Abneigung, weil die Frauen es nur auf meinen Status abgesehen hatten.

Deshalb waren meine Beziehungen auf eine strikte Frist von einigen Wochen oder höchstens auf ein paar Monate beschränkt. Dass ich mich für zwölf lange Monate an eine Frau binden sollte, war daher undenkbar.

Ich schämte mich dafür, meinen Großvater verfluchen zu wollen, weil er mich in so eine Lage gebracht hatte.

Er hatte sich ebenfalls in einer unmöglichen Lage befunden. Ich wusste aus eigener Erfahrung, welchen Tribut er hatte zahlen müssen, als er versuchte, die Familie zusammenzuhalten. Ich hatte die tiefen Furchen in seinem grauen Gesicht gesehen, das einst vor Lachen gestrahlt hatte.

Ja, er hätte mir von dem Damoklesschwert erzählen sollen, das über meinem Kopf schwebte. Doch er war tot. Dank der rücksichtslosen Gier der Familie Petras. Eine Familie, die wild entschlossen war, noch weitere gnadenlose Forderungen zu stellen, die sie nicht verdienten.

„Die hundert Millionen verstehe ich. Aber warum auf einer Ehe mit der Tochter bestehen?“, fragte ich meinen Bruder, als seine Worte den Nebel in meinem Kopf durchdrangen.

Wieder zuckte Neo mit den Schultern. „Wer weiß schon, wie Männer wie Petras denken? Vielleicht will er sie einfach nur loswerden. Auf der anderen Seite hat es durchaus seine Vorteile, in die Familie Xenakis einzuheiraten, weil man damit an Einfluss gewinnt“, überlegte er.

Dass meine Familie für die meisten Leute nur eine Eintrittskarte war, erfüllte mich mit Verbitterung.

„Hast du diese Frau schon kennengelernt, an die ich mich binden soll?“

Mein Bruder nickte. „Sie ist …“ Er stockte und lächelte verschlagen. „Du sollst dir selbst ein Urteil bilden.“ Sein Blick wanderte über meinen grauen Nadelstreifenanzug. „Aber ich glaube, ihr beide werdet euch gut verstehen.“

Bevor ich eine Erklärung von ihm fordern konnte, beugte mein Vater sich vor. „Es reicht, Neo.“ Dann sah er mich mit hartem Blick an. „Wir können es nicht länger aufschieben. Yiannis Petras will morgen eine Antwort.“

Der Druck um meinen Hals wurde stärker, als würde sich die Schlinge immer enger ziehen. Eine Ehe, mit wem auch immer, war das Letzte, was ich wollte. Und besonders nicht mit einer Petras. Sowohl meine Großeltern als auch meine Eltern hatten sehr unter dem gelitten, was die Familie Petras getan hatte. Meine Großeltern waren daran zerbrochen und viel zu früh gestorben.

Es musste einen anderen Weg geben …

„Wie lautet ihr Name?“, fragte ich meinen Vater – aber nicht, weil es mir wichtig war, sondern weil ich Zeit schinden wollte.

„Calypso Athena Petras. Aber ich glaube, sie hört auf Callie.“

„Zeig mir die Vereinbarung.“ Ich musste sie mit eigenen Augen sehen, um begreifen zu können, zu was ich mich verpflichtete.

Mein Vater schob das Dokument über den Schreibtisch. Ich las es, und die Schlinge zog sich bei jedem Absatz fester zu.

Zwölf Monate meines Lebens, beginnend mit den Gelübden, danach wäre jede Partei frei, sich scheiden zu lassen.

Zwölf Monate, in denen die Familie Petras, die noch schwerere Zeiten durchgemacht hatte als meine Familie, Kapital aus ihrem neuen Wohlstand und den damit einhergehenden Privilegien schlagen könnte.

Ich würde meine Anwälte bitten, die Scheidungspapiere aufzusetzen, bevor ich mich einer Kapelle überhaupt nähern würde.

„Denk nicht zu lange nach, Bruder. Du wirst nächsten Monat dreiunddreißig. Das Ganze wird an deinem vierunddreißigsten Geburtstag vorbei sein, solltest du die bittere Pille schlucken“, versuchte Neo mir zu helfen.

Allmählich fand ich wieder zu mir selbst. „Ich habe zu lange und zu schwer gearbeitet, damit unsere Familie wieder den Stellenwert bekommt, der ihr gebührt, um all das jetzt an einen gierigen Opportunisten zu verlieren. Falls es keinen anderen Weg gibt … sag Petras, dass es abgemacht ist.“

Mein Vater nickte erleichtert, ehe er mir wieder einen beunruhigten Blick zuwarf, der mir verriet, dass es noch mehr Unangenehmes gab.

„Was denn noch?“ Meine Geduld hing an einem seidenen Faden.

„Abgesehen davon, dass wir die Hochzeit bezahlen, müssen wir der Familie auch eine Art Mitgift präsentieren. Petras hat sich Kosima erbeten.“

Ich sprang auf. „Wie bitte?“

Die Miene meines Vaters verspannte sich. „Niemand hat die Insel mehr betreten, seit dein Großvater gestorben ist …“

„Das heißt aber nicht, dass ich sie dem Sohn des Mannes überlassen werde, der Großvaters Tod verursacht hat.“

Ein Anflug von Schmerz verschattete den Blick meines Vaters. „Wir wissen nicht, ob das tatsächlich stimmt.“

„Ach nein? Hast du nicht selbst gesehen, unter welchem Druck er stand? Er hat erst angefangen zu trinken, als die Probleme mit Petras begannen. Ist es da ein Wunder, dass sein Herz versagt hat?“

„Jetzt beruhig dich, Bruder“, drängte Neo. „Vater hat recht. Das Haus verfällt, und der Grund besteht nur noch aus einem Haufen Unkraut und Steinen.“

Doch ich wollte keine Vernunft annehmen, nach dieser weiteren verdammten Forderung.

„Großpapa hat diese Insel geliebt. Sie gehört uns. Ich werde sie Petras nicht überlassen. Reicht es denn nicht, dass er uns diese widerliche Vereinbarung aufzwingt?“

Da ich nicht mehr still stehen konnte, ging ich zum Fenster des Gebäudes, in dem sich der Hauptsitz von Xenakis Aeronautics befand. Die globale Fluggesellschaft, die ich seit fast zehn Jahren leitete. Eine volle Minute beobachtete ich den dichten Verkehr auf Athens Straßen, während ich mich mit dieser letzten Bedingung herumschlug.

Ich spürte, dass mein Bruder und mein Vater sich näherten, tat jedoch so, als würde ich sie nicht bemerken, als sie sich links und rechts neben mich stellten und warteten.

Auf die einzige Antwort von mir, die sie sich vorstellen konnten. Die Worte brannten in meiner Kehle und hinterließen eine Spur von Asche auf meiner Zunge. Aber es musste sein. Ich musste die Bitte meines Großvaters akzeptieren, ganz egal, was ich davon hielt. Sonst würde ich alles aufs Spiel setzen, was er aufgebaut hatte.

„Sag Petras, dass es abgemacht ist.“

In stummer Dankbarkeit legte mein Vater seine Hand auf meine Schulter, ehe er schweigend ging.

Neo entschied sich für eine überschwänglichere Gratulation, trotzdem spürte ich kaum, dass er mir auf die Schulter schlug.

„Sieh es doch mal so. Für zwölf Monate bist du befreit von all den hinterhältigen Prominenten und Supermodels, die sich überschlagen haben, um dir ein verbindliches Wort zu entlocken. Ich bin sehr gerne bereit, diese Last für dich zu tragen.“

„Ich würde vorschlagen, dass du sofort mein Büro verlässt, außer du willst mit einem blauen Auge angeben, wenn du dich mit einem dieser Supermodels triffst“, brummte ich.

Das Lachen meines Bruders klang noch lange in meinen Ohren, nachdem er die Tür hinter sich zugeschlagen hatte.

Und ich schwor mir im Stillen, dass Petras und seine Sippe für das zahlen würden, was sie meiner Familie angetan hatten. Bevor das vereinbarte Ehejahr vorbei sein würde, würden sie es bedauern, sich mit der Familie Xenakis angelegt zu haben.

2. KAPITEL

„Lächeln, Calypso. Das ist der schönste Tag deines Lebens.“

„Lassen Sie mich ein wenig Rouge auf Ihre Wangen auftragen … Sie sind so blass. Vielleicht ein bisschen mehr Lidschatten für Ihre wunderschönen Augen …“

Unter den endlosen Lagen von weißem Tüll, den irgendeine gesichtslose Fremde als den perfekten Stoff für ein Hochzeitskleid bezeichnet hatte, ballte ich meine Hände zu Fäusten. Als das nicht half, biss ich mir auf die Zungenspitze, um nicht laut aufzuschreien.

Doch ich war schon jenseits einer Hysterie. Dieser unselige Zustand hatte sich schon zwei Wochen vorher eingestellt, als mein Vater mich darüber informierte, was er für mein Leben geplant hatte. Und dass es nun meine Aufgabe wäre, dabei zu helfen, die Familienehre wiederherzustellen.

Ein paar Tage lang hatte ich mich geweigert zu glauben, dass mein Vater seine Pläne wirklich durchsetzen würde.

Doch ich musste schnell erkennen, dass er es ernst meinte.

Jahre der Verbitterung und der Erniedrigung, in denen er versucht hatte, die zweifelhafte Zustimmung seines rücksichtslosen Vaters zu erlangen, hatten ihn endgültig um den Verstand gebracht.

Die sanften Borsten des Rougepinsels strichen hektisch über meine Wangen. Die Visagistin wollte mich unbedingt in eine erwartungsvolle, rotwangige, blauäugige Braut verwandeln.

Aber ich war weit davon entfernt, erwartungsvoll zu sein, und noch viel weniger war ich blauäugig.

Das Einzige, was sie in diesem elenden Spektakel richtig getroffen hatten, war das jungfräuliche Weiß.

Hätte ich eine Wahl gehabt, wäre auch das eine Lüge gewesen. Trotz meines behüteten Lebens wusste ich mit meinen vierundzwanzig Jahren, dass es Jungfrauen in diesem Alter kaum noch gab. Zumindest war mir jetzt bewusst, warum mein Vater so bedacht darauf gewesen war, jede Begegnung mit dem anderen Geschlecht zu verhindern. Weshalb er rücksichtslos ein strenges Auge auf meine Freundschaften gehabt und meine Freiheiten beschnitten hatte.

Ich hatte geglaubt, mein Leben sei seit dem Augenblick so abrupt beschränkt worden, als meine Mutter in Ungnade gefallen war. Seit sie als gebrochene Frau nach Hause zurückgekehrt war und meinem Vater alle Waffen in die Hand gegeben hatte, die er brauchte, um sich von einem maßvoll intoleranten in einen furchterregenden Tyrannen zu verwandeln. Dabei hatte er ganz andere Absichten mit mir.

Die auf diesen Moment hinausliefen.

Meinen Hochzeitstag.

Wieder lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken und ließ mich am ganzen Körper zittern.

Die drei Frauen, die vor vierundzwanzig Stunden in unser Haus geplatzt waren, um mich für die Hochzeit zurechtzumachen, glaubten zu verstehen, warum ich so nervös war. Und sie ließen sich darüber aus, dass es nicht verwunderlich sei, wenn man bedachte, wer mein zukünftiger Ehemann sein würde.

Axios Xenakis.

Ein Mann, den ich noch nie getroffen hatte.

Sicher, ich wusste, wer er war, wie alle in Griechenland. Ein unglaublich erfolgreicher Magnat einer Fluggesellschaft, die Milliarden wert war, und Kopf der einflussreichen Familie Xenakis. Eine Familie, deren Missgeschick, anders als bei meiner, durch die wagemutigen Innovationen des jungen CEO abgewendet worden war.

Es wurde gemunkelt, dass Axios Xenakis ein Mensch war, dessen Vorhersagen die Börsenkurse steigen oder fallen lassen konnten. Die verschiedenen Artikel, die ich über ihn gelesen hatte, übertrafen mein Vorstellungsvermögen – weil es mich verwirrte, dass ein Mensch so viel Autorität und Macht haben konnte. Darüber hinaus sah Axios Xenakis auch noch umwerfend aus, wenn auch ein wenig grimmig.

Alles an diesem Mann war ein wenig zu eindringlich, zu intensiv. Selbst bei einem kurzen Blick auf sein Foto im Internet hatte ich schon den Eindruck, er könnte in meine Seele schauen, meine geheimsten Wünsche erkennen und sie gegen mich verwenden. Zudem wurde er oft in Gesellschaft von kultivierten Erbinnen und einflussreichen A-Promis gesehen.

Was eine Frage aufwarf. Warum die Familie Petras? Oder besser gesagt, warum ich?

Was konnte ein Mann wie er gewinnen, wenn er sich an mich band?

Ich wusste, dass es irgendwie mit der ausgeprägten Selbstgefälligkeit meines Vaters zu tun hatte, die er in den letzten Wochen zur Schau stellte, doch er weigerte sich, etwas zu verraten. Trotz des Spotts und der Verbitterung, die in all den Jahren immer mitschwangen, wenn der Name Xenakis aufkam, hatte mein Vater Pläne geschmiedet. Pläne, in denen ich vorkam.

In all meinen Tagträumen, die sich darum drehten, meine Freiheit zu erlangen, war nie eine Hochzeit vorgekommen. Ich wollte frei sein zu bestimmen, mit wem ich mich traf, was ich aß und dass ich Aquarelle malen konnte, ohne Angst vor Schuldzuweisungen haben zu müssen. Die Freiheit, mein Leben nach meinen Bedingungen zu führen.

Ich zwang mich, in den Spiegel zu sehen, und wandte mich sofort wieder ab. Mein Blick wirkte trostlos, meine Wangen waren von zu viel Rouge künstlich gerötet. Meine Mundwinkel gingen nach unten und verrieten meine Verzweiflung darüber, dass ich einem Fremden versprochen worden war. Der eine Hochzeit innerhalb der nächsten achtundzwanzig Tage eingefordert hatte.

Dass ich mich rundheraus geweigert hatte, hatte meinem Vater nur ein kaltes Schulterzucken entlockt, bevor er sich auf meine einzige Schwachstelle stürzte.

Meine Mutter.

Als hätte mein innerer Aufruhr sie herbeigerufen, durchbrach das elektrische Summen eines Rollstuhls das aufgeregte Plappern der drei Frauen. Kaum hatten sie bemerkt, dass die Mutter der Braut ins Schlafzimmer kam, wandten sie ihr die Aufmerksamkeit zu.

Ich nutzte die Atempause und rieb mit einem Papiertuch fest über meine Wangen, um etwas von dem Rouge abzuwischen. Danach verschwand der pfirsichfarbene Glanz von meinen Lippen, sodass ich noch blasser aussah als vorher. Schnell hängte ich den dichten Spitzenschleier über mein Gesicht, damit niemand die Veränderung bemerkte. Dann stand ich auf, drehte mich um und beobachtete die Frauen, die um meine Mutter herumscharwenzelten.

Iona Petras war einmal eine atemberaubende Schönheit gewesen, die ich als Kind und Jugendliche sehr bewundert hatte, genauso wie ihre Lebensfreude. Ihr Lachen hatte meinen Tag in hellem Licht erstrahlen lassen, ihre Intelligenz und die Liebe für die Kunst mein Interesse an Musik und Malerei angeregt.

Obwohl inzwischen ergraut, war sie immer noch eine schöne Frau. Doch nicht nur ihr Körper war zerstört worden, sondern auch ihr Geist, was auch kein vorgespieltes Lächeln verbergen konnte, nicht einmal der besondere Status als Mutter der Braut, die bald einen Mann heiraten würde, den die meisten für einen Halbgott hielten.

Klaglos ließ sie die Fürsorge der Stylisten über sich ergehen, und ihr halbherziges Lächeln verschwand nur, wenn sie meinem Blick begegnete. In ihren Augen lag unendliches Leid und Verzweiflung, weil sie sich selbst zu einer lebenslangen Strafe verurteilt hatte, indem sie zurückgekommen war, obwohl sie doch hätte fliehen sollen.

Doch so wie ich wusste, dass ich wegen ihr geblieben war, wusste ich, dass meine Mutter wegen mir nach Hause zurückgekehrt war. Und irgendwann hatte Iona Petras ihr Schicksal akzeptiert.

„Lasst uns allein“, sagte sie zu den Frauen und klang überraschend unbeugsam.

Die Frauen zogen sich zurück. Sie rollte näher, ihr Gesicht von Sorge gezeichnet. Einen langen Augenblick sah sie mich nur an.

„Alles in Ordnung?“

Ich geriet einen Moment in Panik, weil sie vielleicht um das wusste, was ich in den letzten Wochen vor ihr versteckt hatte. Auch wenn ich versucht hatte, den ständig stärker werdenden Schmerz in meinem Bauch zu ignorieren, schaffte ich es nicht länger. Denn er erinnerte mich daran, dass ich vielleicht der Krankheit erliegen könnte, die meine Großmutter dahingerafft hatte …

„Callie? Bist du bereit?“

Als mir klar wurde, dass sie die Hochzeitszeremonie meinte, drängte es mich, dem Wunsch nachzugeben, dieses eine Mal selbstsüchtig zu sein und zu fliehen.

„Ist man denn je bereit, einen Mann zu heiraten, den man noch nie gesehen hat?“, fragte ich. „Bitte sag mir, dass du herausgefunden hast, warum er das von mir verlangt“, bettelte ich.

Mit traurigem Blick schüttelte sie den Kopf. „Dein Vater weigert sich immer noch, es mir zu sagen. Aber ich vermute, es hat etwas mit deinem Großvater und dem alten Xenakis zu tun.“ Bevor ich fragen konnte, was sie damit meinte, fuhr sie fort: „Yiannis wird nach mir suchen, also sollte ich mich beeilen.“

Sie griff in ihre Jacke, nahm einen dicken Umschlag heraus und starrte ihn an, während ihre Finger zitterten.

„Was ist das?“, wollte ich wissen, da sie keine Anstalten machte, etwas zu sagen.

In ihrem Blick lag eine Entschlossenheit, die ich seit Jahren nicht mehr bei ihr gesehen hatte. Mein Herz klopfte, als sie meine Hände in ihre nahm und sie fest drückte.

„Meine gute Callie, ich weiß, dass ich dir durch mein Handeln Leid angetan habe …“

„Nein, Mama, das hast du nicht“, entgegnete ich entschieden.

Sie starrte mich an. „Ich weiß nicht, ob ich stolz sein oder dich rügen soll, weil du so eine gute Lügnerin bist. Doch ich weiß, was ich getan habe. Durch meine Selbstsucht bist du mit mir zusammen in diesem Gefängnis eingeschlossen. Dabei solltest du frei sein, das zu tun, was junge Frauen in deinem Alter machen.“ Ihr Griff um meine Finger verstärkte sich „Ich möchte, dass du mir etwas versprichst“, bat sie, und ihre Stimme klang heiser vor unvergossenen Tränen.

Ich nickte. Was hätte ich denn sonst tun sollen? „Alles, was du willst, Mama.“

Sie hielt den Umschlag hin. „Nimm ihn. Versteck ihn an dem sichersten Ort, den du finden kannst.“

Ich nahm ihn und sah stirnrunzelnd auf meinen Namen, der alter Schrift auf dem Umschlag stand. „Was ist das?“

„Er ist von deiner Großmutter.“

„Yiayia Helena?“ Eine Welle von Trauer überschwemmte mich für einen Moment, da ich meine Großmutter immer noch vermisste, die vor einem Jahr gestorben war.

Meine Mutter nickte. „Sie sagte, ich wüsste schon, wann du ihn brauchst. Und selbst wenn ich falschläge …“ Sie stockte, und ihr versonnener Blick deutete darauf hin, dass sie all diesen versäumten Gelegenheiten nachhing, die meine eigene verzweifelte Fantasie befeuerten. Als sie sich wieder gefangen hatte, schweifte ihr Blick über mein Hochzeitskleid.

„Selbst wenn diese … Verbindung sich als hinnehmbar herausstellt, wird es dir helfen zu wissen, dass du von deiner Großmutter geliebt worden bist. Und dass sie, wenn nötig, für dich da sein wird, so wie ich es nicht gewesen bin.“

Ich hielt ihre Hand noch fester. „Ich weiß, dass du mich liebst, Mama.“

Mit Tränen in den Augen schüttelte sie den Kopf. „Nicht so, wie eine Mutter ihr Kind lieben sollte. Ich habe alles falsch gemacht. Dich mit deinem Vater allein zu lassen, obwohl ich dich hätte mitnehmen sollen …“ Sie stockte. „Ich bitte dich nur darum, dass du mir eines Tages vergeben kannst.“

„Mama …“ Ich hielt inne, als sie aufschluchzte.

Ihr Blick fiel auf den Umschlag in meiner Hand. „Halt dich daran fest, Callie. Und zögere nicht, ihn zu benutzen, wenn nötig. Versprich mir das“, insistierte sie.

„Ich … ich verspreche es.“

Schniefend nickte sie, dann drehte sie abrupt ihren Rollstuhl um und verließ das Schlafzimmer.

Bevor ich unser Gespräch verarbeiten konnte, war ich schon wieder umringt von unbekümmertem Geplauder. Das einzig Sichere in dieser Welt war dieser Umschlag, den ich fest in meiner Hand hielt. Und als ich unter den endlosen Lagen von Tüll entdeckte, dass der Modeschöpfer eine Tasche eingearbeitet hatte, hätte ich beinahe vor Erleichterung geweint, während ich den Umschlag hineinsteckte.

Auch wenn ich den Inhalt nicht kannte, bewahrte mich dieser Umschlag davor, zusammenzubrechen, als mein Vater erschien, mir mit einem knappen Nicken seinen Arm bot und mich meinem Schicksal entgegenführte. Weil der Umschlag von meiner Großmutter war, die mir unzählige Male geholfen hatte, dem Zorn meines Vaters standzuhalten. Als ich fünfzehn war und meine Mutter ein Jahr lang fort gewesen war, war sie es, die mich mit ihrer Liebe immer beruhigt hatte.

Laut Aussage der aufgeregt plappernden Bediensteten war die Kapelle bis auf den letzten Platz besetzt. Und als mein Vater mich zu der Kutsche führte, die mit Blumen geschmückt war und von Pferden gezogen wurde, bekam ich einen ersten Eindruck davon, was mich erwarten würde.

Die letzten drei Wochen hatte ich mit einem unwirklichen Gefühl beobachtet, wie Bauarbeiter und Landschaftsarchitekten in unsere kleine Welt platzten, um die Kirche und das Gelände, auf dem sie stand, von seinem heruntergekommenen, verfallenen Zustand wieder in seinen früheren Glanz zu verwandeln.

Die sonst ruhigen Straßen von Nicrete, einem verschlafenen Ort im Süden der Insel Skyros, den Generationen von Petras als ihre Heimat bezeichnet hatten, waren jetzt bevölkert von elegant gekleideten Fremden – alles Gäste von Axios Xenakis. Da man die Insel hauptsächlich per Boot erreichen konnte, war der Hafen in den letzten Tagen zu einer Sehenswürdigkeit geworden.

Alle Hotels und Gästehäuser auf der Insel waren ausgebucht. Teure Schnellboote und ein paar Superjachten waren über Nacht am Horizont aufgetaucht und schaukelten nun unter strahlendem Himmel in der Ägäis.

Aber natürlich hatte der Mann, den ich heiraten würde, sich entschieden, einen anderen Weg zu nehmen.

Meine Kutsche hatte schon den halben Weg von Zuhause zur Kirche zurückgelegt, als laute, starke Rotoren die Luft aufwirbelten. Kinder schrien aufgeregt und rannten zur Hügelspitze, als drei schnittig aussehende Helikopter über sie hinwegflogen, um dann auf den frisch gepflegten Rasenflächen des Parks zu landen, der sonst als Erholungsort für Familien diente. An diesem Tag war der gesamte Park abgeriegelt – offenbar wegen der Hubschrauber.

Hinter meinem Schleier verzog ich angewidert den Mund, bemerkte jedoch auch das selbstgefällige Lächeln meines Vaters, als er die Helikopter beobachtete. Zufrieden nickte er, als einige bedeutend aussehende Männer und Frauen in Designerkleidung ausstiegen.

Autor

Maya Blake
<p>Mit dreizehn Jahren lieh sich Maya Blake zum ersten Mal heimlich einen Liebesroman von ihrer Schwester und sofort war sie in den Bann gezogen, verlor sich in den wunderbaren Liebesgeschichten und begab sich auf romantische Reisen in die Welt der Romanhelden. Schon bald träumte sie davon, ihre eigenen Charaktere zum...
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