Geständnis am Meer

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Es ist ein Sommertag wie aus dem Bilderbuch, als die Journalistin Kate Crawford zu ihrem Geliebten Drake fährt, um ihm ein Geständnis zu machen. Doch in dem romantischen Strandhaus am Meer glaubt Kate, einen Albtraum zu erleben: Eine schöne Frau ist bei Drake ...


  • Erscheinungstag 05.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747244
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Was zum Teufel willst du hier?“

Trotz der rüden Begrüßung lächelte Kate Crawford den Mann, der gerade seine Haustür aufgerissen hatte, höflich an.

Im Türrahmen wirkte er geradezu einschüchternd groß. Sein verwaschenes graues T-Shirt spannte über den breiten Schultern und der muskulösen Brust, die kräftigen Beine steckten in alten Jeans. Mehrmals schien er mit seinen großen Händen durch das kurz geschnittene, dunkelbraune Haar gefahren zu sein, das nun stachlig abstand. Sein tief gebräuntes Gesicht verriet Anspannung und Feindseligkeit.

Ungeachtet seiner schlechten Laune war er ausnehmend attraktiv – eine äußerst gelungene Kombination aus kühler männlicher Schönheit und unterschwellig brodelndem Testosteron. Eigentlich erinnerte sein Äußeres eher an einen Profisportler als an einen Bestsellerautor, der die meiste Zeit am Schreibtisch sitzend verbrachte.

„Tut mir leid, wenn ich störe, aber vielleicht kannst du mir ein bisschen Zucker leihen?“, begann Kate. Unbeirrt streckte sie ihm den Becher entgegen und beobachtete, wie der erste Schock in seinen Gesichtszügen einem vorsichtigen Misstrauen wich. Plötzlich war sie froh, dass sie ihr leichtes Sommerkleid angezogen hatte und nicht das elegante, maßgeschneiderte Kostüm, das sie normalerweise in der Stadt trug. Nein, auf keinen Fall sollte es so aussehen, als ob sie mit ihrer Kleidung Eindruck schinden wollte – sie hatte noch nicht einmal Make-up aufgelegt. Schließlich hatte jetzt ganz offiziell ihr Urlaub begonnen, und den wollte sie mit allem, was dazugehörte, genießen: ungestört im Liegestuhl faulenzen oder am Strand Kindern beim Spielen im Sand zusehen … Sie gönnte sich ganz und gar altmodische Ferien, wie sie sie als Kind nie hatte erleben dürfen.

„Ich bin gerade nebenan eingezogen“, erklärte Kate freundlich und tat so, als bemerkte sie seine versteinerte Miene nicht. Mit der freien Hand deutete sie auf das Strandgrundstück, das sich auf der anderen Seite der niedrigen, ordentlich geschnittenen Hecke befand. Der alte Bungalow aus Holz erschien inmitten der modernen zweistöckigen Architektenhäuser in der Gegend ziemlich winzig.

„Ich habe das Haus für einen Monat gemietet und dachte, ich hätte alles Wichtige eingepackt“, fuhr Kate fort und hob schuldbewusst die schlanken Schultern. „Aber als ich mir gerade einen Kaffee kochen wollte, habe ich bemerkt, dass mir doch noch einige Zutaten fehlen. Ich weiß, ein paar Kilometer weiter gibt es einen Supermarkt, aber …“ Sie hielt kurz inne. „Vier Stunden habe ich für die Fahrt von Auckland gebraucht und bin eben erst angekommen. Und in den nächsten Stunden würde ich es gern vermeiden, mich noch mal hinters Steuer klemmen zu müssen. Wenn du nichts dagegen hast, mir bis morgen auszuhelfen, würde ich mich freuen. Natürlich werde ich mich für die freundliche Spende revanchieren …“

Mit fester Stimme hatte Kate ihre Bitte hervorgebracht. Sie hoffte, dass sie wesentlich gelassener wirkte, als sie sich im Moment fühlte. Obwohl sie nur wenig größer war als der Durchschnitt, verliehen ihre geschmeidigen Kurven, ihr zierlicher Körperbau und der selbstbewusste Gesichtsausdruck ihrem Auftreten automatisch Anmut, Würde und kühle Eleganz – unabhängig davon, welches Durcheinander in ihrem Innern herrschte.

Die grazile Figur hatte sie von ihrer Mutter geerbt, die stets Wert darauf legte, den schönen Schein zu wahren. Selbst wenn die Heiterkeit nur vorgetäuscht war: Starke Gefühle störten das logische Denken und mussten deshalb ausgeschaltet werden. Jane Crawford war eine ehrgeizige Staatsanwältin, die ihre Tochter in ihre Fußstapfen treten sah.

Aber Kate hatte sich in jeder Hinsicht als schwere Enttäuschung erwiesen. Bereits als Kind bewies sich ihr sanftes und fantasievolles Wesen. In der Schule musste sie für durchschnittliche Leistungen hart arbeiten. Sie hatte weder einen akademischen Grad erlangt noch jemals das geringste Interesse gezeigt, mit ihrer brillanten und perfekten Mutter zu konkurrieren. In stiller Rebellion gegen die ehrgeizigen Pläne ihrer Mutter hatte sie eine ganz andere Karriere angestrebt – und dieser selbst gewählte Weg hatte sich völlig überraschend als erfolgreich erwiesen.

Aber in Zeiten wie diesen war sie sogar dankbar für die kalte Zurückweisung, die sie schon in frühen Kindertagen hatte erfahren müssen. Denn durch die Art, wie ihre Mutter sie behandelt hatte, entwickelte Kate die Fähigkeit, ihre wahren Gefühle zu verstecken. Mit Gelassenheit begegnete sie selbst scharfer Kritik und schmerzhaften Abfuhren – was ihre Gegner manchmal schier verrückt werden ließ.

Wer damit rechnet, dachte Kate nüchtern, dass der weltberühmte Schriftsteller beim Anblick einer hilflosen Frau den galanten Helden spielt, der ist bei diesem Exemplar an der falschen Adresse. Kein Wunder: In seinen Geschichten erzählte er von harten, risikofreudigen Antihelden. Er hatte sich auf ruppige, gefährliche Kerle mit ungehobelten Manieren spezialisiert, denen man besser nicht in die Quere kam. Besonders der weiblichen Heldin gegenüber legten sie grobes Verhalten an den Tag. Die Geschöpfe seiner Fantasie waren für gewöhnlich Außenseiter und Einzelgänger. Mit Zynismus und Misstrauen begegneten sie anderen Menschen und weigerten sich hartnäckig, Regeln zu akzeptieren.

Jetzt, nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte, musterte er Kate mit einem argwöhnischen Blick aus seinen traumhaft braunen Augen.

Niemand hatte das Recht zu erfahren, wo Drake Daniels sich verkroch, um seine höchst erfolgreichen Thriller zu schreiben. Wenn er nicht hier war und schrieb, lebte er meistens in Hotelzimmern. Auf Partys schlug er sich dann die Nächte um die Ohren und verschaffte seinem Verleger all die Publicity, die der sich in dem Karussell von Talkshows, Signierstunden, Festivals und Sonderveranstaltungen nur wünschen konnte. Und ganz offensichtlich genoss er seinen ebenso rastlosen wie ausschweifenden Lebensstil in vollen Zügen.

Aber inmitten dieser hektischen Betriebsamkeit gab es immer wieder Phasen, in denen er vollkommen aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwand. Manchmal dauerte sein Rückzug nur ein paar Wochen, manchmal mehrere Monate – aber so landete jedes Jahr ein neuer Roman in den Regalen der Buchhandlungen, den die Fans feierten und der die Kritik verwirrt zurückließ.

Berichte über sein schriftstellerisches Schaffen waren ebenso leicht zu finden wie Angaben zu seinem Privatleben. Jedoch stellten sich diese meist als geschickt platzierte Fehlinformationen heraus, wie Kate frustriert hatte zur Kenntnis nehmen müssen. Sogar sein Verleger und sein Agent stritten ab, den genauen Ort seines geheimen Refugiums in Neuseeland zu kennen. Nur mit wilder Entschlossenheit, einer gehörigen Portion Gerissenheit und unglaublichem Glück war es ihr schließlich gelungen, ihn in dem verträumten Fischerdorf Oyster Beach aufzuspüren, das sich am äußersten Ende der Ostküste der oberen Halbinsel Coromandel Peninsula befand.

Indem Kate die Braue hob und ihm den Becher entgegenstreckte, wies sie ihn sanft darauf hin, dass sie noch immer auf eine Antwort wartete. Just in dem Augenblick, als er offenbar sein hartnäckiges Schweigen brechen wollte, brachte eine heisere Frauenstimme aus dem dämmrigen Flur hinter ihm Kates Selbstsicherheit gehörig ins Wanken.

„Darling, wer ist da?“

Nur für einen kurzen Augenblick konnte Kate einen Blick auf die große, üppige Frau mit rotem Haar im kurzen Frotteebademantel erhaschen. Blitzschnell drehte Drake sich jedoch herum und versperrte ihr mit seinen kräftigen Schultern die Sicht.

„Niemand.“ Noch während er sprach, schlug er die Tür mit dem Absatz zu. Entgeistert starrte Kate auf die honiggelbe Täfelung der Holztür.

Ein paar Sekunden lang blieb sie einfach stehen. Sie hörte das Blut in den Ohren rauschen, so entsetzt war sie über seine beleidigende Abfuhr. Als sie sich endlich zwang fortzugehen, zog sich ihr Magen zusammen.

Einfach abhaken, beschwor sie sich, einfach nicht dran denken.

Kate hatte nur getan, was sie sich fest vorgenommen hatte: Sie hatte den ersten Schuss in ihrem kleinen Privatkrieg abgefeuert. „Angriff ist die beste Verteidigung“, sagte ein altes Sprichwort, und aus dieser Perspektive konnte sie mit Fug und Recht behaupten, dass sie auf dem besten Weg zum Erfolg war. Aber jetzt, nachdem sie sich aus der Deckung gewagt und ihr erstes Pulver verschossen hatte, musste sie ihre Verteidigung neu aufbauen.

Ihre leichten Sandalen knirschten bei den bedacht gleichmäßigen Schritten auf dem Muschelkiesweg, als sie sich langsam vom Haus entfernte. Mit Mühe widerstand sie der Versuchung, sich mit einem feigen Sprung über die niedrige Hecke schnellstmöglich aus dem Staub zu machen.

Die paar Meter Sand und Rasen zwischen der breiten Terrasse des Hauses und dem öffentlichen Strand schienen sich beinahe endlos hinzuziehen. Trotzdem behielt Kate ihr ruhiges Tempo bei: Sie wusste nur zu gut, dass man durch die getönten Scheiben im Erdgeschoss und im ersten Stockwerk des Hauses einen unverstellten Blick auf den drei Kilometer langen Strand genoss – bis zu dem Punkt, an dem ein Meeresarm in den Ozean mündete.

Beobachteten die beiden ihren Rückzug? Oder hatten sie die Beschäftigung wieder aufgenommen, in die sie vor der unerwarteten Unterbrechung versunken gewesen waren? Es kostete Kate größte Anstrengung, sich nicht umzudrehen und zurückzuschauen. Diesem schier überwältigenden Bedürfnis durfte sie einfach nicht nachgeben. Denn nur so würde sie Drake und der fremden Frau kalte Gleichgültigkeit signalisieren.

Als sie gerade den Strand erreichte, fuhr eine leichte, salzige Brise durch ihr sonnengebleichtes, karamellbraunes Haar. Ein paar lange, feine Strähnen wehten ihr um den schlanken Hals, und sie blieb kurz stehen, um sie zurückzustreichen. Mit der Hand fuhr sie unter die glatte, seidige Mähne und befreite sie aus dem baumwollenen Oberteil ihres Sommerkleides, unter das sie gerutscht war.

Das Haar fiel ihr zwischen die angespannten Schulterblätter. Die kühlende, frische Brise auf ihrer Haut löste in Kate einen wohligen Moment der Erleichterung aus, denn sie bildete sich immer noch ein, dass Drake und die Frau sie mit heißen Blicken verfolgten. Kate kniff die blauen Augen zusammen und blinzelte gegen die Nachmittagssonne. In tiefen Zügen sog sie die Luft ein, um das beklemmende Gefühl in ihrem Brustkorb zu lösen. Kleine Boote schaukelten sanft an den Liegeplätzen draußen in der geschützten Bucht. Obwohl es ein herrlicher Frühlingstag war und die Flut sanft den Sand überspülte, fand Kate den Strand von Menschen verlassen vor.

Die unermüdlichen Baufirmen waren gerade erst dabei, Oyster Beach für sich zu entdecken. Große Teile des südlichen Küstenabschnitts hatten sie sich bereits einverleibt und diese zu trendigen Urlaubsstränden umgestaltet. Da Auckland nur ein paar Autostunden entfernt lag, wurde die kleine Bucht nun als letztes unverdorbenes Naturparadies für erschöpfte Stadtbewohner angepriesen. Nach und nach entstanden teure Ferienvillen mit Doppelgaragen und zwei Bädern an den einfachen Stränden; altmodische Familienhäuser wurden an der breiten, flachen Uferseite gebaut. Der fruchtbare Ackerboden diente nun lediglich als Baugrund für moderne Wohnkomplexe und Neubauten, die die schützenden Hügel überragten.

Zurzeit wohnten nur wenige Hundert Menschen am Ort. Aber über die langen Schulferien im Sommer und an den Feiertagen zu Weihnachten hielten sich mehrere Tausend dort auf. In diesen Wochen war die Nachfrage nach Unterkünften enorm.

Kate war bewusst, dass sie sich einen günstigen Zeitpunkt ausgesucht hatte: An den neuseeländischen Gymnasien und Universitäten fanden im November die Prüfungen statt. Nur ein paar Wochen später, und es wäre unmöglich gewesen, in Oyster Beach ein Haus anzumieten. Wenn der Hochsommer sich ankündigte, war sogar der örtliche Campingplatz mehrere Monate im Voraus ausgebucht. Kates Timing war perfekt – und es war ihr gelungen, eine Unterkunft in direkter Nachbarschaft zu dem Grund ihres Hierseins zu ergattern.

Bei jeder anderen Gelegenheit hätte Kate einen Spaziergang gemacht, um sich zu beruhigen. Die Stille der Landschaft, die sich vor ihr ausstreckte, schien geradezu ideal, um die innere Aufregung zu besänftigen. Aber im Moment hatte sie nichts anderes im Kopf, als sich so schnell wie möglich hinter den schützenden Mauern ihres Ferienhauses zu verkriechen.

Endlich betrat sie den Rasen vor ihrem Haus und seufzte erleichtert auf: Trotz ihrer zittrigen Knie hatte sie durchgehalten. Eilig flüchtete sie sich in den Schatten der Veranda, hastete über die knarrenden Dielen ins Innere. Kate war froh, dass sie die Tür offen stehen gelassen hatte, als sie drinnen die kühle Frische der Luft spürte.

„Du liebe Güte, das ist wirklich gründlich danebengegangen“, murmelte sie in das leere Haus hinein, griff nach einem Becher und umklammerte ihn so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Noch einmal ließ sie die demütigenden Sekunden Revue passieren, als er ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Wie verführerisch war der erste Impuls gewesen, einfach davonzustürmen und sich zu schwören, nie wieder ein Wort mit ihm zu wechseln!

Aber schließlich war sie siebenundzwanzig Jahre alt – eine erwachsene Frau und kein schmollender, selbstsüchtiger Teenager mehr. Außerdem gab es Fragen zu stellen und zu klären – sie trug eine Verantwortung! Hatte ihre Mutter ihr nicht ständig eingeschärft, dass sie niemals aufgeben durfte?

Kate stellte den Becher auf dem Küchentisch ab und dehnte die verkrampften Finger. Wenn sie die Ereignisse realistisch betrachtete, hätte sie nichts anderes erwarten dürfen: Drake Daniels war dafür bekannt, dass er aufdringliche Personen eiskalt in die Flucht schlug – und sie hatte ihm an seiner Türschwelle aufgelauert wie ein verrückter Fan. Dass er sich zum Schreiben komplett von der Welt und den Menschen zurückzog, hatte sie von Anfang an gewusst. Eigentlich konnte sie sich glücklich schätzen, dass er überhaupt geöffnet hatte.

Außerdem hatte sie jetzt wenigstens die Gewissheit, dass sie zur rechten Zeit am rechten Ort gelandet war. Letztendlich war sie ihrem intuitiven Bauchgefühl gefolgt, als sie das Ferienhaus bezahlt hatte: Die Informationen, die sie recherchiert hatte, hätten sich ebenso gut als falsch erweisen können.

Andererseits hatte ihr Instinkt sie jedoch in einem wichtigen Punkt in die Irre geführt: Niemals hätte sie damit gerechnet, dass sie es nicht nur mit einem wütenden Schriftsteller, sondern darüber hinaus noch mit einer geheimnisvollen Rothaarigen aufnehmen musste. Vielleicht war es naiv gewesen zu glauben, dass er seine atemberaubenden Geschichten in vollkommener Abgeschiedenheit verfasste.

Aber war sie nicht genau deshalb hierhergekommen? Um die Geheimnisse zu entwirren, die diesen Mann umgaben? Um seinen wahren Charakter zu erkunden – und nicht nur jene Teile, die er der Öffentlichkeit gegenüber von sich preisgab? Sie war das Risiko eingegangen, dass die Wahrheit nur schwer zu ertragen war.

Reiß dich zusammen, mahnte Kate sich eindringlich, du darfst keine voreiligen Schlüsse ziehen. Vielleicht handelte es sich bei der Frau nur um eine Verwandte auf Besuch – obwohl ihre Recherchen ergeben hatten, dass keine lebenden Familienmitglieder existierten.

Unter der nervösen Anspannung, die sie schon den ganzen Tag über verspürt hatte, zog sich ihr Magen plötzlich schmerzhaft zusammen. Kate hatte das inzwischen häufig genug erlebt, um schnellstens das altmodische Badezimmer aufzusuchen. Und dabei hatte sie geglaubt, mit dem leichten Salat heute Vormittag ihre Übelkeit bekämpfen zu können!

Über dem Waschbecken spülte sie sich den Mund aus und tupfte sich das erfrischend kalte Wasser auf die Wangen. Ohne das Make-up, das sonst stets ihre silberblauen Augen und den schmalen Mund betonte, hätte man ihr blasses Aussehen für uninteressant halten können, aber der alte Spiegel über dem Waschbecken bewies ihr das Gegenteil. Der honigfarbene Teint ihrer Haut, die schon nach ein paar Sonnenstrahlen goldbraun schimmerte, gehörte zu den wenigen guten Dingen, die sie von ihrem verantwortungslosen Vater geerbt hatte.

In diesem Frühjahr herrschte in Neuseeland eine ungewöhnliche Hitze. Die Meteorologen versprachen für die nächsten Wochen noch mehr trockene heiße Tage. Wenn sich dieser Urlaub auch in jeder anderen Hinsicht als schwerer Fehler erweisen sollte: Wenigstens würde Kate mit einer Sonnenbräune zurückkehren, um die alle Arbeitskollegen sie beneiden würden.

Sie strich sich die gestuften Haarsträhnen zur Seite, sodass sie über die hohen Wangenknochen fielen, die ihren blassen Augen ein leicht katzenartiges Aussehen verliehen. Dass sie keine herkömmliche Schönheit wie ihre blonde Mutter war, hatte Kate längst akzeptiert. Doch ihre scharf geschnittenen Gesichtszüge waren wunderbar gleichmäßig, und manche Männer fanden ihre ungewöhnliche Augenfarbe ausgesprochen attraktiv. Als Geheimwaffe diente ihr Lächeln: Wenn es von Herzen kam, strahlte es eine Wärme aus, die die naturgegebene Unnahbarkeit in ihrem Gesichtsausdruck vertrieb.

Als sie sich jetzt im Spiegel zulächelte, schnellte ihr schwankendes Stimmungsbarometer beträchtlich in die Höhe. Das Credo ihrer Mutter schien sich zu bewahrheiten: Wenn du selbstbewusst aussiehst, wirst du dich auch selbstbewusst verhalten. Ein weiteres Motto, das ihre Mutter Kate immer gepredigt hatte, würde sie an Drake überprüfen: Schluck deinen Ärger nicht herunter, und lass dir nichts gefallen – Rache ist süß!

Nachdem ihre Übelkeit sich verflüchtigt und Kate sich gewaschen hatte, fühlte sie sich plötzlich hungrig. Sie stöberte durch die frischen Lebensmittel im Kühlschrank, aß einen Joghurt und ein paar Reiscracker, während sie darauf wartete, dass das Wasser im Kocher zu sprudeln begann.

Nachdem sie sich eine Tasse Tee aufgegossen hatte, saß sie gedankenverloren vor dem Getränk und rührte darin herum. Wieder kreisten ihre Gedanken um die Frage, wie kompliziert ihr Leben in letzter Zeit geworden war. Warum erschienen ihr eigentlich klare und einfache Entscheidungen plötzlich so schwierig und beinahe bedrohlich?

Ratlos starrte Kate aus dem Küchenfenster. Der verwachsene Pohutukawa-Baum mit seinen immergrünen Blättern versperrte den Blick auf den beinahe fertiggestellten Betonklotz auf der anderen Seite des Maschendrahtzauns. Inständig hoffte sie, dass sie sich in dem Netz aus Enttäuschung und Frustration, das sie sich emsig gewebt hatte, nicht eines Tages rettungslos verfangen würde.

Kate hob die dampfende Tasse an die Lippen, als sich ihr Körper plötzlich instinktiv versteifte: Eine undeutliche, nicht greifbare Spannung schien die Luft um sie herum mit einem Mal aufzuladen … Augenblicklich wirbelte sie herum, und das Herz schlug ihr bis zum Halse, als sie bemerkte, dass sie nicht länger allein war.

Drake Daniels stand in der Tür zwischen der Küche und dem Wohnzimmer – und er sah mindestens genauso unfreundlich aus wie wenige Minuten zuvor.

Sie hoffte, dass er ihren Schockzustand auf den heißen Tee zurückführte, der durch ihre ruckartige Bewegung aus der Tasse geschwappt war und ihr die Finger verbrannte.

„Was hast du hier zu suchen?“, fragte sie und nahm die Tasse in die andere Hand, um sich den Tee abzuwischen. Insgeheim ärgerte sie sich darüber, dass ihre Stimme ausgerechnet jetzt dünn und atemlos klang anstatt sachlich und kühl.

„Die Tür stand offen“, erwiderte er und deutete mit einem Kopfnicken in Richtung Veranda. „Vermutlich hast du erwartet, dass ich dir folge. Das habe ich jedenfalls angenommen.“

„Die Tür steht immer offen, weil es im Haus heiß und stickig ist“, gab Kate zurück. Obwohl ihr klar war, dass sie viel gelassener reagieren sollte, platzte nun die Frage unbeherrscht aus ihr heraus: „Was zum Teufel willst du hier?“

Seine dunklen Augen funkelten, als er eine kleine Plastikdose hervorholte und sie behutsam in der Mitte des Tischs platzierte. „Ich bringe dir den Zucker, den du angeblich so dringend brauchst“, erklärte Drake spöttisch.

„Oh.“ Kate umklammerte die Teetasse mit beiden Händen und hob sie schützend vor die Brust. „Danke“, brachte sie beinahe schnippisch hervor, ahnte sie doch, dass seine Freundlichkeit nur gespielt war.

Kate täuschte sich nicht. Kaum hatte sie sich scheinbar artig bedankt und dadurch Bescheidenheit signalisiert, ging er unerbittlich zum entscheidenden Angriff über.

„Verrate mir doch“, fuhr er fort, „ob du endlich gehst, wenn du merkst, dass du hier nur deine Zeit verschwendest. Oder muss ich erst die starken Männer in den weißen Kitteln rufen und bei Gericht ein Kontaktverbot durchsetzen, um dich loszuwerden? Stehst du jetzt etwa auf Stalking?“

2. KAPITEL

„Ob ich auf Stalking stehe?“, entgegnete Kate ebenso ungläubig wie amüsiert. „Und dir heimlich nachlaufe? Du bist reichlich eingebildet, findest du nicht?“

Drake presste die Lippen zusammen, als er Kates spöttischen Tonfall registrierte. „Katherine, lass den Unsinn“, murmelte er grimmig. „Wie hast du herausgefunden, wo ich mich aufhalte?“

Kate nippte an ihrem Tee und tat so, als würde sie angestrengt nachdenken. „Ich war schon immer der Meinung, dass du dich auf dem schmalen Grat zur Paranoia bewegst“, erklärte sie, „Aber jetzt hast du die Grenze eindeutig überschritten. Vielleicht ist es besser, wenn ich die Männer in den weißen Kitteln anrufe … damit sie dich abholen.“

„Sehr witzig. Aber warum weichst du mir aus?“

Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass er es bemerkte. Worte waren sein Geschäft, seine Stärke, sein Talent. Er fing die feinsten Nuancen des Lebens ein und brachte sie zu Papier, versah jede Zeile eines Dialogs mit einer subtilen Bedeutung und würzte jeden Absatz eines Romans mit kunstvollen Metaphern. Drake würde ihr jedes Wort im Mund herumdrehen, würde sie mit Worten förmlich knebeln und fesseln, sobald sie Schwäche zeigte.

Aber sie hatte eine Chance: Wenn sie sich möglichst vage äußerte, sich beharrlich an Behauptungen klammerte, die so schlicht waren, dass sie nicht widerlegt werden konnten, würde sie ihm standhalten. Oder noch besser, sie hielt einfach den Mund.

„Du willst doch wohl nicht etwa behaupten, dass du aus purem Zufall auf meiner Türschwelle aufgetaucht bist?“, bemerkte er vorwurfsvoll, stützte die Hände in die Hüften und stellte sich breitbeinig vor Kate auf. In dieser bedrohlichen Haltung erinnerte er an einen seiner frustrierten Romanhelden von den Werbeplakaten. „Katherine, was ist hier los?“

Ihre Gliedmaßen fühlten sich plötzlich schwach an. Wenn du wüsstest!, schoss es ihr durch den Kopf. Obwohl er sie mürrisch anschaute, fühlte sie sich wieder wie magisch zu ihm hingezogen, spürte die vertraute, verführerische Kraft, die er ausstrahlte und die ihr Leben in den vergangenen zwei Jahren vollkommen durcheinandergebracht hatte.

Kate war immer noch tief berührt, dass ein dynamischer und charismatischer Mann wie er so heftig auf eine unscheinbare und gewöhnliche Frau wie sie reagiert hatte.

Seine Leidenschaft schien auch ihn überrascht zu haben: Deshalb reagierte er ausgesprochen überempfindlich auf Besitzansprüche. Schon beim kleinsten Anzeichen wehrte er sich vehement. Und wenn sie längere Zeit miteinander verbrachten, konnte er seine Ruhelosigkeit und seinen Freiheitsdrang nur notdürftig zügeln. Sie musste raffiniert vorgehen, und eine ganze Weile hatte sie damit Erfolg gehabt.

Kate riss sich zusammen, um sich nicht in bittersüßen Erinnerungen zu verlieren, und mahnte sich, entschlossener vorzugehen. Nein, auf keinen Fall durfte sie es zulassen, dass sie wieder in die Falle tappte! Sie wollte nicht länger zu jenen Frauen gehören, die sich seinem Genie unterwarfen und dabei ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen vollkommen vergaßen.

„Was hier los ist?“, wiederholte sie und erklärte mit fester Stimme: „Ich trete meinen längst überfälligen Urlaub an. In den letzten zwei Jahren habe ich so viele Überstunden angesammelt, dass mein Chef sich gezwungen sah, mich darauf hinzuweisen. Jetzt muss ich die Stunden bis zum nächsten Monat abbummeln, wenn ich sie nicht verlieren will. So steht es im Arbeitsvertrag …“

„Marcus?“, unterbrach er scharf, weil sein neuseeländischer Verleger offenbar mit der Sache zu tun hatte. Wütend funkelte er sie an – er witterte Verrat. „Der Enright Media Verlag hat dich auf die Suche nach mir geschickt?“

„Niemand hat mich auf die Suche geschickt. Marcus hat keine Ahnung, wo ich mich aufhalte“, erklärte sie wahrheitsgemäß. Kate galt als zuverlässige Mitarbeiterin, die jederzeit bereit war, sich weit über ihre Pflichten hinaus für das Unternehmen einzusetzen, wenn die Geschäfte es erforderten.

Allerdings hatte es ihrem Ruf zuletzt geschadet, dass sie Marcus’ Angebot, sich die Überstunden auszahlen zu lassen, ausgeschlagen hatte. Stattdessen hatte sie angekündigt, sie kurzfristig in den kommenden Wochen abzubummeln. Enright Media musste knapp kalkulieren.

Sie hatte mit Engelszungen auf ihre Kollegen eingeredet, damit sie neben der eigenen Arbeit auch noch ihre Pflichten übernahmen. Als ausgezeichnete Redakteurin kannte sie die großen und kleinen Geheimnisse der Menschen und wusste, zu welchem Zeitpunkt man auf welche Persönlichkeiten Druck ausüben musste.

Marcus war zwar verärgert gewesen, aber er hatte keine rechtlichen Möglichkeiten, sie daran zu hindern, ihren Sonderurlaub auf einmal zu nehmen. Außerdem rechnete er es ihr hoch an, dass sie an den Weihnachtstagen, wenn die Mitarbeiter mit jungen Familien Urlaub nahmen, in der Redaktion die Stellung hielt.

Autor

Susan Napier
Passend für eine Romance-Autorin wurde Susan Napier genau an einem Valentinstag, in Auckland, Neuseeland, geboren. Mit 11 Jahren veröffentlichte sie ihre erste Geschichte, und als sie die High School abschloss, wusste sie, dass sie hauptberuflich Autorin werden wollte. Zuerst arbeitete sie für den Auckland Star, und hier traf sie ihren...
Mehr erfahren