Gesucht wird - die Braut

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In letzter Minute hat Nora ihren Zukünftigen vor dem Altar stehen lassen und sich nach Clover Creek geflüchtet. Dumm nur, dass sie dort auf Sheriff Sam Whittaker trifft - denn ein Blick in seine Augen reicht, und Nora ist verloren! Kann sie ihren Gefühlen diesmal trauen?


  • Erscheinungstag 14.06.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787646
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Das darf doch nicht wahr sein! Ausgerechnet heute soll es den Schneesturm des Jahrhunderts geben, wenn Gus kommen und uns seine zukünftige Frau vorstellen will!“ Die vierundsiebzig Jahre alte Clara Whittaker machte ein besorgtes Gesicht.

Sam Whittaker beobachtete seine Großmutter, die noch letzte Hand an die bereits tadellos aufgeräumte Küche legte. Danach wollte sie das Haus verlassen, um in dem Kaufhaus zu arbeiten, das der Familie gehörte.

„Keine Sorge, Grandma, Gus wird heil in Clover Creek ankommen“, versicherte er ihr. „Aber was seine zukünftige Frau betrifft …“ Sam hielt inne. Er wollte seine hoffnungslos romantische Großmutter nicht enttäuschen und suchte nach Worten. „Gus hat für heute Nachmittag um vier Uhr nur eine Überraschung angekündigt. Von einer bevorstehenden Heirat war überhaupt nicht die Rede.“

„Ich weiß nicht, was er euch gesagt hat. Aber ich habe aus seinen Worten herausgehört, dass er uns heute seine Braut vorstellen wird. Da bin ich mir ganz sicher.“ Clara blickte besorgt aus dem Fenster. Dunkle Sturmwolken brauten sich am Himmel zusammen.

„Vielleicht hast du recht“, murmelte Harold Whittaker nachdenklich, als er für sich und seine Frau die Stiefel brachte. „Gus hat immer gesagt, dass er spätestens mit fünfunddreißig heiraten würde. Und am Samstag wird er fünfunddreißig Jahre alt.“

„Ich frage mich nur, wie Gus uns seine Traumfrau vorstellen wird“, meinte Kimberlee, Sams siebzehnjährige Schwester. Sie strich sich die langen, goldbraunen Haare aus dem Gesicht. „Ihr wisst doch, dass Gus es niemals auf die normale Art und Weise tun würde.“

„Das ist die Untertreibung des Jahres“, meinte Sam, denn sein älterer Bruder hatte eine Vorliebe für spektakuläre Aktionen. „Es wird das reinste Happening werden.“

Die ersten Schneeflocken fielen vom Himmel. Sie waren winzig, und es war kaum vorstellbar, dass sie die Vorboten des Schneesturms sein sollten. Doch man musste die Wettervorhersagen ernst nehmen und sich auf den schlimmsten Fall vorbereiten.

Sam wusste, dass er als Sheriff in einigen Stunden alle Hände voll zu tun haben würde. Und jeder andere hier an der Ostküste auch. In einigen Städten würde der Strom ausfallen, ganze Ortschaften würden in Eis und Schnee versinken. Unglückliche Reisende würden stecken bleiben – wahrscheinlich an den am wenigsten zugänglichen Orten zu der ungünstigsten Zeit. Und die Schule würde überall ausfallen.

Clara lächelte. „Weißt du, Sam, du solltest dir ein Beispiel an deinem Bruder nehmen und dir auch eine Frau suchen.“

Sam verdrehte die Augen. Er war erst seit anderthalb Jahren wieder in West Virginia, aber in dieser Zeit hatte seine Großmutter schon unzählige Male versucht, ihn zu verkuppeln. Jedes Mal gegen seinen Willen und ohne sein Wissen. Und jedes Mal erfolglos. Trotzdem gab sie nicht auf.

„Du wirst schließlich nicht jünger“, fuhr sie fort.

„Ich bin gerade dreißig geworden“, murmelte Sam. Er konzentrierte sich auf die Wettervorhersage im Fernsehen. An der ganzen Ostküste rechnete man mit Neuschnee bis zu einem Meter Höhe. Dazu Eisregen.

„Wenn du wüsstest, was die Frauen hier in der Gegend erzählen!“, neckte Kimberlee ihn. „Sie behaupten, dass es noch keine Frau geschafft hat, dein Interesse für länger als fünf Sekunden zu wecken!“

Sam zuckte mit den Schultern, sein Blick war auf die Wetterkarte gerichtet. Es würden ihm noch einige Stunden bleiben, um sich auf die kritische Lage vorzubereiten.

„Wenn die Richtige kommt, werde ich es schon merken“, erwiderte er zerstreut und schaltete den Fernseher aus. „Und bis dahin hört auf, mich verkuppeln zu wollen. Ihr verschwendet nur eure Zeit. Es bringt sowieso nichts.“ Er knöpfte den obersten Knopf seines kakifarbenen Hemdes zu und band sich die schwarze Krawatte.

Sams Großeltern und seine Schwester tauschten skeptische Blicke, während auch sie sich für die Arbeit und die Schule vorbereiteten. Zusammen verließen alle vier das Haus.

„Ich habe klare Vorstellungen von meiner Traumfrau“, fuhr Sam fort. „Und wenn ich sie gefunden habe, werde ich sie nicht wieder loslassen.“

„Das hoffe ich“, murmelte sein Großvater. Er hielt seiner Frau die Autotür auf.

Sams Eltern waren glücklich verheiratet gewesen, und seine Großeltern waren es jetzt noch. Sie führten eine Ehe, die nichts und niemand auseinanderreißen konnte. Das wünschte sich Sam auch, und dafür war er gern bereit, noch länger auf die Frau seiner Träume zu warten.

„Und bis dahin habe ich einen Job auszufüllen“, sagte er entschieden und warf einen Blick auf die feinen Schneeflocken, die vom Himmel fielen.

Nora Kingsley konnte es nicht glauben. Vor wenigen Minuten hatte sie im Autoradio gehört, dass ein verheerender Schneesturm erwartet wurde. So wie sie ihren herrischen Vater und ihren dominanten Ex-Verlobten einschätzte, hatten die beiden wahrscheinlich schon die Fahndung nach ihr eingeleitet und ein ganzes Polizeiaufgebot mobilisiert. Das Schlimmste von allem aber war, dass sie in diesem verdammten Kleid feststeckte!

Egal was sie tat, der Reißverschluss ihres Brautkleides ließ sich nicht bewegen. Und so war sie buchstäblich gefangen in diesem erlesenen, bodenlangen Kleid aus Satin und Spitze.

Seufzend gab sie den Kampf mit dem Reißverschluss auf, ging ans Waschbecken und betrachtete sich kritisch im Spiegel. Das Make-up war verwischt. Ihr herzförmiges Gesicht glühte vor Wut über die Demütigung, und ihre Augen waren vom Weinen gerötet. Kein Wunder, dass ich ein Nervenbündel bin, dachte Nora und wusch ihr Gesicht mit kaltem Wasser. Der Tag war die Hölle gewesen, und leider war er noch nicht vorbei.

Sie erneuerte ihr Make-up und legte etwas Lippenstift auf. Eigentlich hätte sie nicht überrascht sein dürfen. Tief im Herzen hatte sie gewusst, dass sie keinen Mann heiraten sollte, den sie zwar von klein auf kannte und mochte, aber nicht liebte. Doch leider hatte sie sich von ihrem Vater und ihrem Verlobten zu diesem Schritt überreden lassen.

Nur um dann eine Viertelstunde vor der Zeremonie unfreiwillig Zeugin einer geheimen Besprechung zwischen ihrem Vater und Geoffrey zu werden und herauszufinden, dass Geoffrey durch die Heirat mehr als nur eine Ehefrau bekam! Er sollte nämlich von ihrem Vater eine stattliche Summe erhalten, sobald die Trauung vollzogen war.

Nora zog eine Grimasse, als sie an die Gefühle dachte, die sie in dem Moment durchlebt hatte. Schock, Demütigung, verletzter Stolz und dann grenzenlose Wut. Hielt ihr Vater sie für so wenig attraktiv, dass er glaubte, sie nur mit einer großzügigen und heimlich ausgezahlten Mitgift an den Mann bringen zu können?

Okay, vielleicht hätte ich die beiden sofort zur Rede stellen sollen, dachte sie, als sie den Schleier vom Kopf nahm. Aber da die Hochzeitsgäste schon in der Kirche versammelt waren, hatte sie in einer Konfrontation keinen Sinn gesehen. Außerdem wollte sie sich keine langatmigen Erklärungen von ihrem Vater und Geoffrey anhören.

Sie musste nicht einmal das großzügige Abkommen lesen, das ihr Vater Geoffrey anläßlich der Hochzeit zur Unterschrift vorlegte, um zu wissen, dass sie im Begriff war, den größten Fehler ihres Lebens zu begehen.

Also hatte sie das einzig Richtige in dieser Situation getan. Sie hatte sich entschuldigt und gesagt, dass sie noch einen Moment für sich brauchte, und dann eine Notiz geschrieben, dass die Hochzeit geplatzt sei. Dann hatte sie ihre Alltagskleidung genommen und war in den Wagen gesprungen, den sie von ihrem Vater zur Hochzeit geschenkt bekommen hatte.

Nora erinnerte sich, dass sie geweint hatte, als sie durch die vertrauten Straßen von Pittsburgh fuhr. Mittlerweile hatte sie sich gefasst, und ihr war klar, dass sie für einige Zeit weder zu ihrem Vater zurückkehren noch zu irgendeinem anderen Ort fahren würde, wo ihr Vater und Geoffrey sie zuerst suchen würden. Falls sie überhaupt jemals zurückkehrte!

Entschlossen machte sie sich auf den Weg in Richtung Süden. Und trotz der seltsamen Blicke, die ihr andere Autofahrer immer wieder zuwarfen – schließlich sah man nicht so oft eine Braut hinter dem Steuer eines Wagens –, setzte sie ihren Weg fort. Aus Pittsburgh hinaus, über die Staatsgrenze von Pennsylvania nach West Virginia. Erst als es zu schneien begann, war ihr bewusst geworden, dass sie irgendwann anhalten musste, um sich etwas Wärmeres anzuziehen.

Und jetzt steckte sie in diesem Kleid fest!

Nora nahm ihre Tasche und die Kleidungsstücke, die sie eigentlich anziehen wollte, und stürmte in die Tourismuszentrale, in der Hoffnung, eine Frau zu finden, die ihr den Reißverschluss öffnen würde. Leider war bei diesem Wetter niemand unterwegs, und das Gebäude war verlassen. Bis auf eine einzige Person.

Ausgerechnet ein Sheriff, dachte sie. Und dann noch so ein ausgesprochen gut aussehender …

Sam Whittaker hatte damit gerechnet, dass er bei dem Schneesturm die seltsamsten Dinge erleben würde, aber eine Braut ohne Bräutigam in der Tourismuszentrale an der Autobahn – das überstieg seine Vorstellungskraft. Und überdies eine so hübsche Braut, die wie ein Model aussah.

Ihre seidig glänzenden, dunkelbraunen Haare bildeten einen faszinierenden Kontrast zu ihrem leicht gebräunten Teint; die Haare umrahmten ihr herzförmiges Gesicht und fielen in sanften Locken auf ihre Schultern. Ihre dunkelgrünen Augen blickten lebhaft und gleichzeitig unschuldig. Sie war groß und gertenschlank und doch wohlproportioniert.

Das verführerische schulterfreie Kleid zeigte einen schlanken Hals und Schultern, die zum Küssen einluden. Sam verspürte plötzlich heftiges Verlangen. Wie gut, dass sie schon vergeben war und dass er nicht an Liebe auf den ersten Blick glaubte, denn wenn er es täte … dann wäre er versucht, sie zu entführen.

Es sei denn … Sam starrte die Frau vor sich an.

Nein. Es kann nicht sein, sagte er sich. Diese Frau war doch nicht etwa die Braut seines Bruders, oder?

Verärgert darüber, dass ihm so erotische Gedanken bei seiner möglichen Schwägerin kamen, blickte Sam aus dem Fenster und atmete tief durch. Auf dem Parkplatz stand außer seinem eigenen Wagen nur noch ein weiteres Auto. Und das war ein Volvo mit Vierradantrieb.

Es konnte unmöglich der Wagen von Gus sein, denn der würde niemals so ein praktisches Auto kaufen. Gus zog seinen Lamborghini vor. Außerdem hatte sein Bruder eine New Yorker Nummer und kam nicht aus Pittsburgh.

Sam atmete erleichtert auf und drehte sich wieder zu der Braut um. Vielleicht hatte sie überhaupt nichts mit seinem Bruder zu tun. Er sah sie an. Verdammt, sie hatte die schönsten Augen und den sinnlichsten Mund, den er je gesehen hatte.

„Ma’am.“

Sie hob den Kopf und holte tief Luft. Sam spürte, dass auch sie wie elektrisiert war. „Hallo“, murmelte sie.

„Sind Sie auf dem Weg zu Ihrer Hochzeit, oder kommen Sie von der Kirche?“, fragte Sam.

Sie warf ihm einen argwöhnischen Blick zu und setzte sich auf die Holzbank, die in der Lobby stand. Dann tauschte sie ihre hochhackigen weißen Schuhe gegen ein Paar dunkelgrüne Stiefel aus. „Weder noch. Die Hochzeit ist geplatzt“, erwiderte sie leise.

„Wegen des Wetters“, vermutete Sam. Sein Herz schlug wieder schneller, als er einen kurzen Blick auf ihre sensationellen Beine werfen konnte.

Sie zögerte und schien fast erleichtert, endlich mit einem Menschen darüber sprechen zu können. Doch dann sagte sie nur: „Das ist eine komplizierte Geschichte.“ Sie deutete auf die Informationstafel neben der Landkarte von West Virginia. „Was haben Sie gerade für eine Notiz angehängt?“, fragte sie.

Sam bemerkte, dass sie plötzlich nervös wirkte. Kein Wunder bei dem Wetter, vor allem, wenn sie vermutlich vor irgendetwas davonlief. Vielleicht vor dem Mann, den sie heute hatte heiraten sollen …?

„Es ist eine Notiz von der Wetterstation für die Reisenden“, sagte er und trat ein wenig näher an sie heran. „Es wird jedem geraten, nicht mehr zu fahren und möglichst im Haus zu bleiben.“ Es gab schon Meldungen, dass ein Lehrer und sieben Schüler vermisst wurden.

Die Braut biss sich auf die Unterlippe und warf einen besorgten Blick auf den dunklen Himmel. „Wird es wirklich so schlimm werden?“

Sam nickte. „Etwa hundert Meilen südlich von hier herrscht schon Katastrophenalarm.“

„Wann wird der Schneesturm hier sein?“, fragte sie.

Er warf einen Blick aus dem Fenster. Es schneite unaufhörlich, wenn auch leicht. „Wenn wir den Voraussagen trauen können, werden wir morgen eingeschneit sein.“

Sie ließ die Schultern hängen.

Sam nahm an, dass es nicht die erste schlechte Nachricht war, die sie an diesem Tag bekam. Er hatte Mitleid mit ihr. „Die nächste Ausfahrt ist etwa fünf Meilen entfernt. In dem Ort gibt es vier Hotels, zwei Tankstellen und einige Restaurants. Soviel ich weiß, sind noch Zimmer frei. Ich bin sicher, es wird Ihnen dort gefallen.“

„Liegt der Ort direkt an der Autobahn?“, fragte sie ängstlich.

„Ja“, erwiderte Sam.

Sie biss sich wieder auf die Lippen, nahm ihre Sachen und stand auf. „Ich verstehe.“

Sam trat näher zu ihr und reichte ihr die Hand. „Hören Sie, ich möchte Sie nicht drängen, aber angesichts der Wetterlage sollten Sie und Ihr Bräutigam sich jetzt wirklich auf den Weg machen.“

„Ich bin ohne Bräutigam unterwegs“, sagte sie und legte ihre schmale Hand in seine.

„Sind Sie allein hier?“, fragte Sam erstaunt.

„Ganz allein“, antwortete sie und zog die Hand zurück.

Sie standen sich gegenüber und sahen einander an. Sam konnte nur mit dem Kopf schütteln. Wenn sie seine Frau wäre, würde er sie nicht allein bei diesem Wetter herumlaufen lassen – und dann noch in ihrem Brautkleid. Wenn sie seine Frau wäre, würde er sie beschützen und sich um sie kümmern. Vor allem am Tag der Hochzeit! Dasselbe würde er bei seiner Schwester tun oder später bei seiner Tochter … Wo war nur die Familie dieser Frau? Ihre Freunde? Ihre Brautjungfern?

Sie schien zu ahnen, was er dachte, wollte aber nicht auf das Thema eingehen. „Hören Sie, ich muss endlich aus diesem Kleid herauskommen. Normalerweise würde ich einen Fremden nicht um Hilfe bitten, aber ich bin völlig allein hier. Das Kleid ist für dieses Wetter nicht geeignet, und Sie sind ein Sheriff …“

Sams Herz schlug schneller. „Sie möchten, dass ich Ihnen helfe?“, fragte er zögernd.

„Nur beim Reißverschluss. Er klemmt.“ Ungeduldig drehte sie sich um und bot ihm ihren schlanken Rücken dar. „Wenn Sie den Anfang machen könnten“, drängte sie ihn. „Ich bin sicher, dass ich dann allein zurechtkomme.“

„Kein Problem“, log Sam. Seine Kehle war völlig trocken, als er einen Schritt vortrat, um ihr zu helfen. Sie erbebte leicht, doch er wusste nicht, ob es an der Kälte lag oder an seiner Berührung.

Ungeduldig trat sie von einem Fuß auf den anderen. Ihre Brüste hoben und senkten sich unter der mit Perlen verzierten Korsage ihres Kleides. Sam verzog das Gesicht und konzentrierte sich auf den Reißverschluss. Doch jedes Mal, wenn er mit den Fingerspitzen ihre Haut berührte, war er wie elektrisiert. Und ihr Parfum … Der Duft war unglaublich. Leicht, verführerisch, wie ein Blütentraum.

„Schaffen Sie es?“, fragte sie nach einem Moment ungeduldig.

„Nein“, erwiderte Sam. „Nicht ohne das Kleid einzureißen.“ Bedauernd ließ er die Hände sinken und trat einen Schritt zurück. Sein Puls raste, und seine Gedanken waren nicht so züchtig und zurückhaltend, wie sie unter diesen Umständen sein sollten.

„Tut mir leid“, murmelte er und warf ihr einen mitleidigen Blick zu. Er konnte sich vorstellen, wie unangenehm es war, bei einem Schneesturm in einem Brautkleid zu stecken. „Vielleicht, wenn Sie ins Hotel kommen …“

Ihre Blicke trafen sich. „Richtig.“ Sie schluckte. „Natürlich. Ich werde jemanden finden – eine Frau, die mir helfen kann. Trotzdem, vielen Dank“, fügte sie hastig hinzu. Sie wollte ihre Sachen nehmen, überlegte es sich dann aber anders. Nach kurzem Zögern zog sie sich ihren grauen, grob gestrickten Pullover über den Kopf.

Jetzt war ihr wärmer, auch wenn der Pullover über dem eleganten Hochzeitskleid ein wenig seltsam aussah. Sie nahm ihre restlichen Sachen und ging zum Ausgang.

Sam hielt ihr die Tür auf. Plötzlich aber wurde ihm bewusst, dass er sie nicht einfach gehen lassen wollte. „Ich bringe Sie zum Wagen.“

„Danke, aber das ist wirklich nicht nötig.“

„Ich bestehe darauf.“ Er folgte ihr zum Wagen und hielt ihr die Autotür auf.

„Danke“, murmelte sie.

„Gern geschehen.“

Er sah zu, wie sie ihre Sachen auf den Rücksitz warf, dann ihr Kleid ein wenig hob und auf dem Fahrersitz Platz nahm.

„Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist?“, fragte er, überzeugter denn je, dass sie vor irgendetwas davonlief.

„Alles in Ordnung, Sheriff. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“ Die Braut lächelte ihn munter an, dann schloss sie die Tür, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und ließ den Motor an. Sam blickte ihr nach, als sie langsam von dem Parkplatz fuhr.

Nora gehörte nicht zu den Frauen, die bei einem Mann in Uniform in Verzückung geraten. Doch sie musste sich eingestehen, dass dieser gut aussehende Fremde in der kakifarbenen Uniform und dem Stetson einen unvergesslichen Eindruck auf sie gemacht hatte. Schon im ersten Moment war sie fasziniert von ihm gewesen, und sein charmantes Lächeln hatte das Kribbeln in ihrem Körper noch verstärkt.

Vermutlich war er etwas älter als sie mit ihren neunundzwanzig Jahren. Und wie sie schien auch er seinen eigenen Willen zu haben. Außerdem war er unbeschwert und hatte die unwiderstehlichsten Augen, die sie je gesehen hatte. Er war über einen Meter achtzig groß – wenn ihr Augenmaß stimmte –, hatte eine athletische Figur und Schultern, die breit genug waren, dass eine Frau sich anlehnen konnte, und stark genug, um ihr Schutz zu bieten.

Schade, dass er Sheriff ist, dachte Nora. Er würde irgendwann Fragen stellen müssen, die sie nicht beantworten wollte. Sie verdrängte den gut aussehenden Mann aus ihren Gedanken und überlegte, wie und wo sie den Sturm überstehen sollte.

Als Gepäck hatte sie nichts weiter als einen Koffer mit Skikleidung bei sich, ihr Hochzeitskleid, den Pullover und die Jeans, die sie heute Morgen beim Friseur getragen hatte. Gott sei Dank hatte sie auch die Reiseschecks und das Bargeld eingesteckt, das sie für die Flitterwochen besorgt hatte. Sie wollte ihre Kreditkarten lieber nicht benutzen, denn dann wäre es einfach für ihren Vater, ihre Spur zu verfolgen.

Jetzt aber musste sie zunächst einmal einen sicheren Platz für sich finden, bevor die Straßen unpassierbar wurden. Sie verließ die Autobahn. Da sie es für unklug hielt, in der Nähe der Autobahn zu übernachten – dort würde ihr Vater als erstes suchen –, fuhr sie an zwei Hotels, vier Restaurants und einer Tankstelle vorbei, bis sie an eine größere Kreuzung gelangte und ein Hinweisschild entdeckte: Clover Creek 30 Meilen. Pleasantville 15 Meilen.

Nora war noch nie in West Virginia gewesen und kannte weder die eine noch die andere Stadt. Allerdings erinnerte sie sich dunkel, dass ihr irgendjemand einmal von der kleinen Stadt Clover Creek am Ende der Welt erzählt hatte. Während sie noch überlegte, für welche Stadt sie sich entscheiden sollte, fuhr ein Schneepflug an ihr vorbei in Richtung Clover Creek.

Kurz entschlossen bog sie nach links ab und folgte dem Schneepflug.

Entzückt stellte Nora fest, dass das Stadtbild von Clover Creek eine gelungene Mischung aus alt und neu war. Entlang der Hauptstraße befanden sich die Geschäfte: auf der einen Seite ein Lebensmittelgeschäft, eine Kunstgalerie, eine Boutique, eine Apotheke, ein Schönheitssalon, zwei Restaurants, ein Kino und ein Zeitungsladen.

Auf der anderen Seite eine Tankstelle, eine Buchhandlung, die Post, ein Antiquitätengeschäft, ein Immobilienmakler, die Polizei- und Feuerwehrstation. In den Seitenstraßen lagen Schulen und Kirchen und schöne Wohnhäuser im viktorianischen Stil.

Da die Straßen schon schneebedeckt waren, hatte Nora erwartet, dass die Stadt verlassen sein würde.

Doch es herrschte reger Betrieb. Die Parkplätze waren belegt, und Menschen jeden Alters kamen mit Tüten beladen aus den Geschäften. Einige von ihnen schienen sich mit Schneeschiebern und Streusalz einzudecken, andere mit Büchern und Videos. Nora konnte nirgendwo ein Hotel entdecken, doch sie vermutete, dass es in dieser kleinen, geschäftigen Stadt zumindest eine Pension mit Frühstück gab. Sicherlich würde man ihr in einem Geschäft weiterhelfen können.

Wie erwartet erregte ihr Erscheinen im Brautkleid, im dicken Pullover und in den schweren Stiefeln große Aufmerksamkeit. Kaum hatte sie Whittaker’s Kaufhaus betreten, näherten sich ihr drei Personen. Eine sympathische, ältere Frau, ein hübscher Teenager mit langen, goldbraunen Haaren, und ein älterer Herr mit kurzen Haaren und einem gepflegten Bart.

Die Frau begrüßte Nora mit einem warmen Lächeln und zwinkerte fröhlich. „Ich bin Clara Whittaker.“ Sie streckte die Hand aus. „Das sind mein Mann Harold und meine Enkeltochter Kimberlee.“

„Hallo. Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich heiße Nora.“ Sie zog es vor, ihren Nachnamen nicht zu nennen.

„Das ist ein wunderschönes Brautkleid“, sagte Kimberlee.

„Danke.“ Nora lächelte den Teenager an.

„Sie sind wohl auf dem Weg zur Trauung?“, fragte Clara Whittaker. Ihr Lächeln wurde noch breiter.

„Nicht direkt“, erwiderte Nora ehrlich. Erst muss ich den richtigen Mann finden, setzte sie in Gedanken hinzu.

„Wo ist denn der Bräutigam?“

Nora machte ein verschlossenes Gesicht. „Er ist im Moment nicht da“, sagte sie schließlich.

„Wissen Sie, wann er hier eintreffen wird?“, fragte Kimberlee.

„Nein, ich weiß nicht, wann er kommen wird. Vermutlich schafft er es nicht mehr vor dem Sturm.“

Nora beschloss das Thema zu wechseln, bevor noch mehr Fragen kamen, die sie nicht beantworten wollte. Sie deutete auf ein Foto von Gus Whittaker zusammen mit zwei Teamkollegen von den „New York Knicks“. „Sind Sie mit Gus Whittaker verwandt?“

Clara und Harold nickten stolz. „Er ist unser Enkel.“

„Wirklich?“ Also hatte Gus Whittaker ihr von Clover Creek erzählt. Deshalb hatte sie sich an den Namen erinnern können. Warum grinsen sie denn alle so komisch? dachte Nora.

„Ich habe ihn vor einigen Jahren kennengelernt, als ich für L & B gearbeitet habe, eine Werbeagentur in New York City. Er war zu einer Party der Agentur eingeladen. Und Sie kennen ja Gus.“ Nora lächelte. „Er lässt nichts anbrennen.“

„Seid ihr beiden von Anfang an gut miteinander ausgekommen, gleich beim ersten Kennenlernen?“, fragte Kimberlee. Ihre Augen funkelten vor Neugier.

Nora zögerte. Sie wusste nicht recht, wie sie die Frage beantworten sollte. Es war offensichtlich, dass Gus von der ganzen Familie angehimmelt wurde. „Nun, ja“, erwiderte sie schließlich. Dann fügte sie zögernd hinzu: „Obwohl das erste Treffen ziemlich hektisch war mit all den Leuten auf der Party und dem ganzen Lärm …“

„Natürlich …“ Alle nickten.

Die Türglocke kündigte an, dass jemand in das Geschäft kam. Nora drehte sich um. Ihr fiel die Kinnlade hinab, als der attraktive Sheriff auf sie zukam, den sie vorhin kennengelernt hatte. Sie starrte ihn an und konnte kaum glauben, dass sich ihre Wege noch einmal gekreuzt hatten!

„Später haben Sie Gus dann näher kennengelernt?“, fragte Clara.

Mit klopfendem Herzen nahm sie ihren Blick von dem Sheriff und lächelte Gus’ Familie an. „Ja, das könnte man so sagen. Er ist ein netter Kerl.“

Wieder strahlten alle stolz über das Kompliment.

Nora warf einen schnellen Blick auf den Sheriff, der sich gerade mit anderen Kunden unterhielt, sie dabei aber nicht aus den Augen ließ. Ob er ihretwegen hier war oder rein zufällig, konnte Nora seinem Blick nicht entnehmen.

„Wann wird Gus in Clover Creek ankommen?“, fragte Harold, während der Sheriff zu ihnen kam und neben Nora stehen blieb.

„Ich kann es wirklich nicht sagen“, erwiderte Nora mit etwas heiserer Stimme. Warum stellte man ihr diese Frage? „Ich habe schon länger nicht mit Gus gesprochen.“

Harold lächelte, sah den Sheriff an und dann wieder Nora. „Haben Sie Sam schon kennengelernt?“

Nora blinzelte. „Wen?“

„Unseren zweiten Enkel!“, erwiderte Harold und deutete auf den Sheriff.

Nora atmete tief ein und aus, als sie und der Sheriff sich schweigend ansahen. Oh nein! „Sie sind …“

Autor

Cathy Gillen Thacker
<p>Cathy Gillen Thacker ist eine Vollzeit-Ehefrau, - Mutter und – Autorin, die mit dem Schreiben für ihr eigenes Amusement angefangen hat, als sie Mutterschaftszeit hatte. Zwanzig Jahre und mehr als 50 veröffentlichte Romane später ist sie bekannt für ihre humorvollen romantischen Themen und warme Familiengeschichten. Wenn sie schreibt, ist ihr...
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