Geträumte Sünden

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Heiß und kalt wird es der ernsthaften Studentin Emma, als ihr der Frauenheld Nick seine wilden sinnlichen Träume beichtet. Oh, Mann! Diese Fantasien sind echt preisverdächtig. Scheinbar ungerührt schreibt sie alles für ihre Doktorarbeit auf. Aber Nick kann das brennende Verlangen in ihren Augen sehen, als er ihr immer intimere Liebesszenen schildert. Fast hat er ein schlechtes Gewissen, dass er sie mit seinen erotischen Storys so sehr erregt, denn es sind nicht seine echten Träume, sondern Sex-Fantasien aus Männermagazinen, die er ihr erzählt. Hoffentlich findet sie das nie heraus. Doch genau das passiert! Jetzt fühlt sie sich von ihm hintergangen und lächerlich gemacht. Um sich zu rächen, bindet sie ihn bei der nächsten Sitzung an seinem "Traumstuhl" fest und lässt ihn allein. Nun kann er seine geträumten Sünden bereuen!


  • Erscheinungstag 16.05.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716974
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Er hat keine Telefonkonferenz. Er guckt sich das Spiel der Lakers an. Sagen Sie ihm, Nick Ryder will ihn sprechen, und er soll gefälligst seinen Hintern zum Telefon bewegen!“ Nick schob sich den Telefonhörer zwischen Kinn und Schulter zurecht, lehnte sich auf dem Bürostuhl seiner Schwester zurück und machte es sich bequem.

Am anderen Ende der Leitung stammelte die Vertretungskraft irgendetwas Unverständliches. Nick seufzte, weil sie ihm leidtat. Wenn sie die ständige Sekretärin seines Vermögensverwalters gewesen wäre, hätte sie nur gelacht, ihm den neuesten schmutzigen Witz erzählt und ihn dann zu Marshall durchgestellt.

„Sagen Sie ihm einfach, dass ich am Telefon bin, ja?“

„Natürlich, Mr. Ryder. Einen Moment, bitte.“

Er schielte aus dem Fenster, in der Hoffnung, er würde Brenda auf der Straße entdecken. Aber es war nichts von ihr zu sehen. Also schob er auf dem Schreibtisch zwei der Stapel mit Brendas Studienunterlagen auseinander und wuchtete dann seine Füße auf die freie Stelle.

„Was fällt dir ein, mich mitten im Spiel anzurufen?“

Nick grinste, als er die unfreundliche Stimme seines Freundes am Telefon hörte. Sie kannten sich schon aus der Zeit, bevor sie beide an der Yale-Universität studiert hatten. Nach dem Abschluss hatte Marshall noch zwei Jahre weiterstudiert. Nick dagegen war heilfroh gewesen, es endlich geschafft zu haben. Nicht, weil das Studieren ihm schwergefallen war, sondern weil es zu leicht gewesen war. Der Lehrplan hatte ihn fürchterlich gelangweilt.

„Deinem freundlichen Ton entnehme ich, dass ich die Wette gewonnen habe.“

„Irgendwann demnächst wirst du mal mächtig auf die Schnauze fallen, Ryder!“

Nick gab ein verächtliches Schnaufen von sich. „Weißt du was? Ohne auch nur zu fragen, wie es überhaupt steht, gebe ich dir noch vier Punkte drauf.“

„Du selbstgefälliger Schnösel!“

„Was denn? Das ist der Dank dafür, dass ich dir quasi dein Geld zurückgebe?“

Marshall lachte auf, verfiel dann aber in Husten. Nick verzog das Gesicht, als er das hörte. Wenn der Kerl doch bloß endlich aufhören würde zu rauchen, wie es ihm seine Ärzte geraten hatten!

„Ich hab ‚nen Tipp gekriegt. Restaurantkette. Die Aktien sollen bald raufgehen, und ich will fünfhundert davon, bevor das passiert.“

„Du weißt, Restaurants sind immer ‚ne unsichere Kiste.“

„Ja, aber ich hab ein gutes Gefühl dabei.“

Marshall holte tief Luft. „Wie käme ich dazu, irgendwas anzuzweifeln, wenn du dabei ein gutes Gefühl hast. Irgendwie landest du immer auf den Füßen, egal, worum es geht.“

„Ohne ein bisschen Risiko wäre das Leben doch öde.“

Marshall murmelte irgendwas, das Nick nicht verstehen konnte. Aber er wollte es auch gar nicht wissen. Nick hatte es ziemlich satt, dass er sein Glück immer wieder vorgehalten bekam. Natürlich meinte Marshall das nicht so, und neidisch war er auch nicht, im Gegensatz zu ein paar anderen, die sie noch aus der Schule kannten.

Was konnte Nick dafür, dass er sich für die Prüfungen nie anzustrengen brauchte? Dass er einen guten Riecher gehabt und in die richtigen Aktien investiert hatte? Er war jetzt neunundzwanzig und beinahe Millionär. Keine Kinder, kein stupider Bürojob.

Er war doch kein Narr! Wenn es darauf ankam, dann verließ er sich nur auf genau berechnete Risiken, die gute Aussicht auf Erfolg boten. Und hatte er sich einmal zu einer Investition entschlossen, dann blieb er dabei. Er war dann überzeugt, dass es gar nicht schief gehen konnte. Überhaupt achtete er immer sorgfältig darauf, dass alles nach seinen Vorstellungen ablief, sowohl geschäftlich als auch persönlich.

Nachdem er die Aktiendaten durchgegeben hatte, legte er auf. Im gleichen Moment hörte er, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde.

Seine Schwester war kaum eingetreten, da warf sie einen zornigen Blick auf seine Füße. „Runter mit den Botten! Wie oft muss ich dir das noch sagen?“

„Guck mal“, er hob die Schnürschuhe, in denen seine Füße steckten, ein Stück an, „ich hab extra was drunter gelegt.“

Brenda schüttelte den Kopf, doch in ihren Mundwinkeln war ein verstecktes Lächeln zu sehen. „Was machst du überhaupt hier?“

Nick stand auf und nahm ihr die beiden prall gefüllten Einkaufstüten ab. „Ich muss mit dir reden.“

„Ich hab dir den Schlüssel nur für Notfälle gegeben.“

„Dies ist definitiv ein Notfall.“ Er trug die Tüten in die Küche und holte ein eingeschweißtes Hähnchen heraus. „Kühlschrank oder Tiefkühlfach?“

„Kühlschrank.“ Brenda begann, die andere Tüte auszupacken. „Du hättest doch auch anrufen können.“

„So ist es aber einfacher, mich selbst zum Abendessen einzuladen.“

„Was?“ Brenda warf ihm einen ihrer amüsierten Blicke zu, mit denen sie ihn manchmal zur Weißglut treiben konnte. „Keine Verabredung?“

„Tiffany arbeitet heute länger.“

„Du hast echt eine Freundin, die nicht nur ganz normal arbeiten geht, sondern ihren Job auch noch ernst nimmt?“

„Schrecklich, nicht? Dauernd predige ich ihr, dass es nicht der Sinn des Lebens sein kann, jeden Tag acht Stunden die Knie unter einen Schreibtisch zu quetschen.“ Er zog eine Tüte mit Salatmischung hervor und schnitt eine Grimasse. Es war eine Zusammenstellung von Blättern wilder Pflanzen. Unkraut, jedenfalls in seinen Augen. Brenda mochte dieses Zeug, während man ihn damit jagen konnte.

„Mülleimer?“, fragte er.

„Wag es, du Clown!“

Er warf die Tüte in den Gemüsekorb. Als Nächstes brachte er ein Bier zum Vorschein. „Was gibt es denn nun zum Abendessen?“

„Woher willst du eigentlich wissen, ob nicht ich heute Abend verabredet bin?“

„Guter Witz.“ Er öffnete die Flasche. „Willst du auch eins?“

Brenda seufzte. „Das tut weh.“

Nick starrte seine Schwester an, verwirrt von ihrem verletzten Ton. „Komm schon, Bren, du weißt, wie ich das gemeint habe. Entweder gehst du arbeiten, oder du lernst für deine Diplomarbeit. Es ist ja nicht so, dass keiner mit dir ausgehen will.“

Sie bestrafte ihn eine ganze Minute lang mit Schweigen, bis er sich endlich wie der letzte Lump vorkam. Dann grinste sie plötzlich. „Ausgetrickst!“

„Du freche Göre!“

Sie war zwei Jahre jünger als er, aber eindeutig reifer. Zumindest nahm sie das Leben ernster, schon weil er sich weigerte, endlich erwachsen zu werden. Und das war nicht lustig.

„Pasta mit Hühnchen.“ Sie schlüpfte an ihm vorbei zum Gewürzregal. „Du könntest schon mal Wasser aufsetzen, anstatt hier im Weg rumzustehen.“

„Ja, Ma’am. Ach, ehe ich es vergesse, da hat jemand für dich angerufen. Eine … Emma. Sie muss eure Verabredung für morgen absagen. Ihr letzter Kandidat ist auch abgesprungen. Sie meinte, du wüsstest schon, was das heißt.“

„Oh, nein.“ Brenda stellte den Gewürzstreuer mit Knoblauchsalz beiseite. Sie sah auf einmal ganz niedergeschlagen aus. „Das kann doch nicht wahr sein. Klang sie sehr bedrückt?“

„Eher sachlich, wie mir schien.“ Nick bückte sich und rumorte in einem der Küchenunterschränke herum, bis er endlich einen großen Topf gefunden hatte. Er stand auf und stellte fest, dass Brenda sich in der Zwischenzeit nicht von der Stelle gerührt hatte und immer noch besorgt aussah.

„Wer ist das denn?“, erkundigte er sich.

„Eine Freundin.“

„Ach was. So viel hatte ich schon begriffen.“

„Ich meine, eine wirklich gute Freundin. Sie hat mir schon x-mal aus der Patsche geholfen. Sie hat unheimlich was auf dem Kasten. Wenn ich später mal groß bin, möchte ich so sein wie sie.“

„Als wenn es jemals dazu kommen könnte.“

Endlich war es ihm gelungen, ihr ein winziges Lächeln zu entlocken.

„Und das von dir!“, antwortete sie, sah dann aber gleich wieder bekümmert aus.

„He, mach doch nicht so ein Gesicht. Deine Freundin wird das schon alles hinkriegen.“

„Ja, ich weiß. Es ist nur irgendwie nicht fair, finde ich. Sie schreibt schon über ein Jahr an ihrer Diplomarbeit über Traumdeutung.“

„Ah, verstehe. Noch eine deiner Mitstudentinnen. Andere Leute scheinst du ja auch gar nicht zu kennen.“

„Hör auf, Nick. Emma ist anders. Für sie ist das alles nicht so leicht. Sie hat keine Eltern, die ihr die Ausbildung bezahlen. Sie hatte nur ein Teilstipendium und musste ein Studentendarlehen aufnehmen. Neben dem Studium arbeitet sie als Kellnerin, und außerdem ist sie Lehrstuhlassistentin für Professor Lyster.“

Nick gähnte.

„Weißt du, manchmal bist du ein richtiger Idiot.“

„Bitte? Kann ich was dafür, dass Omas Treuhandfond unsere Ausbildung bezahlt hat? Und du hast dich auch nicht beschwert, wenn ich mich nicht irre.“

Brenda funkelte ihn an. „Du könntest aber etwas Mitgefühl zeigen!“

„Meine Güte, viele Leute haben es schwer, das Studium durchzustehen. Was ist da schon Besonderes dran?“

„Kann ja sein, aber mit Emma ist es was anderes. Sie muss sich doppelt so viel anstrengen, weil sie als Kind mal eine Lese- und Rechtschreibschwäche hatte.“

Nick hielt den Topf unter den Wasserhahn und ließ Wasser hineinsprudeln. „Wie viel soll ich hier reinmachen?“

Sie antwortete nicht. Als er sich zu ihr umwandte, stand sie ganz in Gedanken versunken da und starrte aus dem Küchenfenster. Ihre kinnlangen Haare verdeckten den größten Teil ihres Gesichts. Aber er sah an ihrer Körperhaltung, dass die Sache ihr wirklich zu schaffen machte.

Er stellte den Wasserhahn aus. „He, Bren, wollen wir nicht lieber zum Chinesen oder zum Italiener gehen? Ich lad dich ein.“

Sie schüttelte den Kopf und lächelte ihn schwach an. „Nein, mir ist nicht danach.“ Sie begann, das Hühnchen zuzubereiten. „Worüber wolltest du eigentlich mit mir sprechen?“

Ach, verdammt, das war jetzt aber ein ungünstiger Moment! Nick konnte sich zwar nicht vorstellen, dass Brenda ein Problem damit haben würde, ihm den kleinen Gefallen zu tun, um den er sie bitten wollte, besonders da sie in den letzten Jahren immer so viel mit ihrem Studium zu tun gehabt hatte, dass sie die Skihütte der Familie sowieso nie benutzt hatte.

„Ich brauche an Thanksgiving die Hütte in Aspen.“

Sie runzelte ein wenig die Brauen. „Bin ich nicht dieses Jahr dran?“

Es gefiel ihm gar nicht, wie sie ihn darauf hinwies. „Soll das heißen, du hattest vor, sie dieses Jahr zu nutzen?“

„Warum nicht?“ Sie sah wieder aus, als sei sie mit ihren Gedanken ganz woanders.

Das machte ihn unruhig. „Du warst doch schon fünf Jahre nicht dort.“

„Aber es ist schön ruhig da draußen. Ein guter Ort, um sich zu entspannen oder um zu lernen oder so.“

„Hier ist es auch ruhig.“

Sie warf ihm wieder so einen leicht amüsierten Blick zu. „Worum geht es? Hast du irgendeinem süßen, jungen Ding versprochen, du würdest sie zum Skilaufen nach Aspen mitnehmen?“

„Na und?“

„Na, Pech gehabt. Ich bin dieses Jahr dran. Du hättest mich vorher fragen sollen.“

Nick fluchte undeutlich. „Bren, komm schon.“

„Tut mir leid, Nick. Ich bin dran.“ Sie sah ihn so entschuldigend an, als habe sie tatsächlich nicht vor nachzugeben. „Dieses Jahr brauche ich die Hütte.“

„Quatsch! Du hättest nicht mal gewusst, dass du dran bist, wenn ich nicht gefragt hätte.“

„Ich weiß, aber die Sache mit Emma …“

„Was hat denn diese Emma damit zu tun?“ Er machte eine Pause und dachte kurz nach. „Wenn du meinst, sie hat Unterstützung nötig, solltest du dann nicht lieber hierbleiben und dich um sie kümmern? Du bist doch ihre Freundin?“ Nick bemühte sich, aufrichtig besorgt auszusehen. Dummerweise kannte Bren ihn viel zu gut. Ihr tadelnder Blick ließ ihn seufzend aufgeben.

„Warum mietest du nicht einfach eine andere Hütte?“, fragte sie und fuhr fort, das Hähnchen zu tranchieren.

„Machst du Witze? Ist doch alles längst ausgebucht.“ Er nahm einen großen Schluck aus der Bierflasche und ärgerte sich, dass die Sache viel schwieriger zu werden schien, als er angenommen hatte. „He, warum machen wir es nicht so, dass ich dir was miete? Wo immer du willst. Jamaika? St. Thomas? Dann kannst du mit deiner Freundin mal so richtig Sonne tanken und nach Herzenslust lernen!“

Brenda machte eine nachdenkliche Schnute und trommelte mit den Fingerspitzen auf die Arbeitsplatte. Offensichtlich zog sie diese Variante in Betracht. „Ich weiß eine bessere Lösung.“

„Wunderbar.“ Nick begann sich zu entspannen.

„Du stellst dich Emma als Testperson zur Verfügung.“

„Was?“

„Du gehst zu ihr und lässt deine Träume analysieren. Dafür kriegst du dann die Hütte.“

„Das ist keine Lösung, das ist Erpressung!“

„Wie du willst.“ Brenda zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder dem Schneidebrett zu. Aber er sah noch das Grinsen, das sich über ihr Gesicht ausbreitete.

Testperson? Du meinst, ich soll sie in meinem Unterbewusstsein rumkramen lassen?“

„Nicht unbedingt. Du erzählst ihr einfach nur, was du nachts geträumt hast. Sie analysiert dann die Träume und verwendet die Daten für ihre Diplomarbeit.“

„Garniert mit einem Haufen Psycho-Blabla.“ Er stieß verächtlich Luft durch die Nase. „Ohne mich.“

Sie zuckte wieder mit den Schultern. In ihren Augen blitzte eine Beharrlichkeit, die er nur allzu gut kannte. Sie meinte es ernst!

„Und wenn ich jemanden anderen für sie finde?“

„Nein. Du bist das perfekte Studienobjekt. Du kannst innerhalb von Sekunden einschlafen und erinnerst dich auch noch nach dem Aufwachen an das, was du geträumt hast. Außerdem ist es wirklich absolut dringend.“

„Oh, Mann.“ Er ließ den Topf Topf sein und setzte sich an den Küchentisch. „Ich kann doch nicht einfach alles stehen und liegen lassen.“

Sie lachte auf. „Was denn zum Beispiel? Tennisspielen? Oder deine neueste Freundin zum Essen ausführen?“

Er stöhnte angewidert.

„Wie gesagt, du musst es ja nicht machen.“

„Wie viele Stunden pro Tag würde das denn dauern?“

„Das müsstest du mit Emma besprechen.“

Nick schöpfte einen Verdacht. Er machte die Augen zu schmalen Schlitzen und fragte geradeheraus: „Du willst mich doch wohl nicht mit ihr verkuppeln, oder?“

„Um Himmels willen, nein. Emma wäre viel zu schade für dich.“

„Danke.“

„Keine Ursache. Also, was ist jetzt? Kann ich sie anrufen und ihr verkünden, dass sie auf dich zählen kann?“

„Ist dir klar, dass das Erpressung ist?“

Brenda lächelte. „Ich würde es eher ein Geschäft nennen.“

Er stand auf, grummelte vor sich hin und verließ die Küche.

„He, was ist mit dem Abendessen?“

„Keine Zeit. Ruf deine Freundin an und sag ihr, sie hat ein neues Opfer.“

Brenda wartete, bis ihr Bruder außer Sicht war. Dann stieß sie triumphierend ihre geschlossene Faust ins Leere. „Jjjja!“ Ein kleines Siegestänzchen um den Küchentisch folgte, und danach eilte sie zu dem Mickey-Mouse-Telefon, das Nick ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte.

Besser konnte es gar nicht laufen!

Emma Snow drückte ihren Rücken durch, straffte die Schultern und sah Jake direkt in die Augen. „Würdest du nächsten Monat auf den Empfang bei Dean Sutter gehen? Äh, ich meine, mit mir?“

Jake erwiderte ihren Blick gänzlich ausdruckslos.

„Warte, ich versuch’s noch mal.“ Sie warf ihren Zopf nach hinten und räusperte sich. „Nächste Woche gibt Dean Sutter seinen jährlichen Empfang für die Studenten des letzten Semesters. Wenn du nichts anderes vorhast … ich meine … hättest du Lust, mit mir da hinzugehen? Als mein Freund? Also, natürlich nicht so richtig als mein Freund. Nur, damit ich nicht alleine dort bin.“

Jake starrte sie noch einen Moment an, dann gähnte er und ging weg. Ganz offensichtlich war er nicht interessiert.

Sie sah auf seinen sich entfernenden Rücken. „Vielen Dank, du undankbarer Kerl! Dir werd ich noch mal leckere Sachen mitbringen!“

Er drehte sich nicht einmal um. Stattdessen gab er ihr „den Schwanz“. Sie war sich ziemlich sicher, dass Katzen damit anzeigten, wenn sie jemandem eine Abfuhr gaben. Der Perser-Hauskatzen-Mischling machte das oft, wenn ihm etwas nicht passte: Er drehte sich um und ging mit steil aufgestelltem Schwanz davon.

„Ich habe gehört, da gibt es Lachs zum Abendessen!“, rief sie ihm nach. Aber er hörte nicht zu und stolzierte den Korridor hinunter.

Emma seufzte. Sie wusste sowieso noch nicht, wie sie diese überflüssige Aktion überstehen sollte. Wenn sie ihre Diplomarbeit bis dahin nicht fertig bekam, würde sie das Problem zwar gar nicht mehr haben, aber das hieße dann auch, dass sie noch für ein paar weitere Monate Studentin bleiben würde – vorausgesetzt, Professor Peters Geduld mit ihr war noch immer nicht erschöpft. Und ihre Geldquellen auch nicht. Beides waren Faktoren, die ihren Studienabschluss verhindern konnten.

Meine Güte, sie musste tatsächlich die älteste Studentin der Geschichte sein! Sie setzte sich auf die Kante ihres Bettes und ließ sich dann nach hinten fallen, den Blick zur Zimmerdecke gerichtet, von der die Farbe abblätterte. Natürlich stimmte das nicht. Es gab viele Leute, die erst spät ein Studium anfingen, zum Beispiel nachdem ihre Kinder aus dem Haus waren oder so. Aber dennoch hatte sie das Gefühl, als dümpele sie schon seit Ewigkeiten an der Uni herum, um endlich das Diplom zu machen.

Immer wieder verlor sie Zeit, weil ihr entweder das Geld ausging, sie als Lehrstuhlassistentin zu viel zu tun hatte oder weil ihre Mutter aus irgendeinem unwichtigen Grund darauf bestand, dass Emma sie zu Hause in Utah besuchte.

Emma ging jedes Mal darauf ein, wenn ihre Mutter wieder einen Vorwand gefunden hatte. Wenn sie es nicht täte, hätte sie nämlich sofort wieder Schuldgefühle, weil sie nie das perfekte Kind gewesen war, das ihre Eltern sich gewünscht hatten. Also ließ sie alles stehen und liegen, um für ihre Mutter da zu sein, wenn diese es wünschte. Gewöhnlich brauchte ihre Mutter nicht einmal irgendwelche subtilen Bemerkungen fallen lassen, um daran zu erinnern, wie aufopferungsvoll sie sich damals um Emma gekümmert hatte, wie viele Jahre sie ihr geholfen hatte, endlich lesen zu lernen, damit sie ein „normales“ Kind werden konnte.

Emma verbot sich diese negativen Gedanken. Sie sollte ihre Energie lieber darauf verwenden, eine neue Testperson zu finden, damit sie ihre Diplomarbeit endlich beenden konnte. Wenn sie allerdings ehrlich war, so hatte sie nicht viel Aussicht, noch jemanden zu finden. Ihre letzten drei Kandidaten hatten sie ihre Lieblings-CD von Bob Seger, ein nervenaufreibendes Abendessen mit einem lüsternen Kerl namens Martin Stanley und das Versprechen gekostet, für zwei Monate die Wohnung von Norman Cove in Ordnung zu halten.

Sie seufzte. Einen Vorteil hatte es ja, dass Norman nun doch abgesagt hatte: Sie brauchte von ihrer knappen Zeit nicht noch ein paar Stunden wöchentlich abzuknapsen, um seine Junggesellenbude sauber zu machen. Zeit wurde immer mehr zu einem Hauptproblem. Sie wusste nicht einmal mehr, wie sie es weiterhin schaffen sollte, ihre ehrenamtliche Tätigkeit im Tierheim fortzusetzen.

Emma liebte es, mit all den ehemaligen Streunern zu arbeiten. In gewisser Weise gab sie damit die Freundlichkeit weiter, die sie als Kind von einem älteren Nachbarn erfahren hatte, als sie selbst eine Art Streunerin gewesen war. Stundenlang war sie in der Nachbarschaft umhergestreift, nur um nicht nach Hause gehen zu müssen, wo sie sich unwillkommen fühlte.

Aber es gab einen Lichtblick. Da sie sich nicht um Normans Wohnung zu kümmern brauchte, konnte sie eine Extraschicht im Pub einlegen. Oder die Zeit dafür nutzen, an ihrer Diplomarbeit weiterzuschreiben.

Wenn sie es denn wirklich noch einmal angehen sollte.

Sie war eigentlich völlig am Ende.

Das Telefon klingelte, und Emma hopste vom Bett, in der närrischen Hoffnung, da melde sich jemand auf ihr Inserat am Schwarzen Brett in der Bibliothek.

„Hier ist Brenda“, sagte ihre Freundin, noch bevor Emma ihr Hallo ganz heraus hatte. „Wie geht’s dir denn, Kleines?“

„Besser als tot auf der Autobahn.“

„Doch so gut, ja?“

„Ich kann gar nicht glauben, dass das alles wahr sein soll.“ Emma trug das Telefon zu ihrem Bett hinüber und ließ sich auf die Matratze fallen. „Ich bin so wütend auf Norman, dass ich ihn erwürgen könnte.“

„Warum hat er abgesagt?“

„Er behauptet, er hätte Probleme in Chemie und müsse mehr dafür lernen“, stieß Emma hervor. „So’n Blödsinn! Allerdings habe ich gesehen, mit wem er in Chemie zusammenarbeitet.“

„Dieser Idiot! Der ist doch Spitze in Chemie. Glaubt er im Ernst, du kaufst ihm diese Ausrede ab?“

„Tja, kaum zu glauben, dass so was dabei rauskommt, wenn eins von einer Million Spermien das Rennen macht, was?“

Brenda lachte.

Emma stimmte mit ein, doch ihr Lachen endete in einem tiefen Seufzer. „Männer. Einer von ihnen war schon auf dem Mond. Warum schicken wir sie nicht alle dorthin?“

„Da mache ich sofort mit.“ Brenda zögerte. „In deiner Situation dürfte dir doch eigentlich gar nicht nach Witzen zu Mute sein. Du wirst mir doch nicht durchdrehen, oder?“

„Vermutlich stehe ich unter Schock. Ich bin so kurz davor, endlich fertig zu werden, dass ich diesen Rückschlag noch gar nicht richtig fassen kann. Wenn ich es nicht mit Humor nehme, stelle ich womöglich irgendwas an, was dann wirklich nicht mehr lustig ist.“

„Nun, du kannst mich demnächst mal zu einem Eis einladen, denn ich hab was, das dir aus der Patsche helfen wird.“

„Was? Verkleidest du dich als Mann und spielst meine Testperson?“

„Was ist jetzt, bist du bereit für eine gute Nachricht oder nicht?“

„Absolut.“

Brenda machte eine dramatische Pause. „Ich habe einen Mann für dich.“

Emma runzelte die Stirn. Auf die Typen, die Brenda anschleppte, konnte sie gut verzichten. Allerdings hatte ihre Freundin die Kuppeleiversuche schon vor Monaten aufgegeben. „Genauer bitte“, forderte sie.

„Meinen Bruder.“

„Den Frauenheld?“

Brenda räusperte sich. „So würde ich ihn nicht unbedingt einordnen. Es ist mehr so, dass Frauen sich zu ihm hingezogen fühlen.“

„Du hast aber mal gesagt, dass er jede Woche was Neues ‚probiert‘.“ Emma betrachtete ihre extrem kurzen Fingernägel, die sie aber zumindest nicht mehr abknabberte. Vielleicht würden sie bis zum Empfang sogar lang genug sein, um einen einigermaßen anständigen Eindruck zu machen.

„Ich weiß, aber nicht unbedingt, weil er es darauf anlegt. Nick gehört zu der Sorte von Männern, für die Frauen plötzlich die verrücktesten Dinge tun. Selbst diejenigen, von denen du es nie erwartet hättest, benehmen sich auf einmal wie Schwachsinnige, wenn er in der Nähe ist.“

Emma verdrehte die Augen. „Und mit dem soll ich ausgehen, ja?“

Ihre Freundin lachte. „Oh Gott, nein! Er ist bereit, sich dir als Testperson zur Verfügung zu stellen.“

Emma spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie wusste, dass sie jetzt einen knallroten Kopf hatte. Zu ihrem Ärger reagierte ihre helle irische Haut immer sehr schnell auf Gefühlswallungen. „Ach.“

Brenda lachte in sich hinein. „Das würde ich dir nicht antun, Em. Er ist mein Bruder, und ich hab ihn gern … meistens jedenfalls. Aber ich würde nie versuchen, euch beide zu verkuppeln. Das musst du mir glauben.“

„Ich war mit den Gedanken beim Empfang des Dekans …“, murmelte Emma zu ihrer Entschuldigung und hielt plötzlich inne, weil sie jetzt erst begriff, was Brendas Nachricht bedeutete. „Er macht es? Volle zwei Wochen lang?“

„Genau.“

„Warum?“

„Er schuldet mir einen Gefallen.“

Emma hatte auf einmal ein komisches Gefühl. „Brenda, will er es überhaupt?“

„Nein.“

„Na, großartig.“

„War etwa irgendeiner der anderen Kandidaten scharf darauf? Wenn ich mich recht erinnere, war da immer viel Bestechung und Schmeichelei nötig.“

„Stimmt. Aber ich bin am Ende. Ich kann niemanden brauchen, der wieder absagt, weil er plötzlich was Wichtigeres zu tun hat oder weil er keine Lust mehr hat, sich endlos viele Fragen stellen zu lassen.“

„Er sagt nicht ab. Wir haben eine Abmachung.“

Emma zögerte. Im Grunde hatte sie ja gar keine Wahl. Wie sie selbst gesagt hatte, war sie am Ende. Der Himmel mochte ihr beistehen, wenn sie ihre Diplomarbeit nicht endlich zu Ende brachte! Sie war nicht nur vollständig pleite, sondern es war auch abzusehen, dass der Job, den man ihr in der Klinik angeboten hatte, an jemanden vergeben wurde. An jemanden, der im Gegensatz zu ihr seine Diplomarbeit fertig bekommen hatte. „Wie sieht es denn zeitlich bei ihm aus?“

„Ziemlich gut, würde ich sagen. Er macht Termingeschäfte über das Internet, ein bisschen was Ehrenamtliches, und das Hobby, an alten Autos rumzubasteln, hat er gerade erst aufgegeben.“

Emma dachte scharf nach. Sie versuchte, sich an alles zu erinnern, was Brenda jemals über ihren Bruder gesagt hatte. Er war ein hochbegabter Student gewesen, dem das Studieren zuwider war und der sein Genie lieber darauf verwendet hatte, mit den richtigen Investitionen ein kleines Vermögen anzuhäufen. Und die Frauen flogen auf ihn.

Nur gut, dass Emma gegen solche Typen immun war. Sex wurde eindeutig überbewertet. Ein Medienhype ohnegleichen, immer gut für Werbezwecke – mehr nicht. Sie hatte einmal ihre Erfahrung damit gemacht, und das hatte ihre Neugier vorerst befriedigt.

Sie nahm den Hörer in die andere Hand und blätterte ihren Kalender durch. „Weiß er, dass wir sofort anfangen müssen?“

„Weiß er.“

Emma spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte bei dieser überraschenden Aussicht auf Rettung. Brenda wusste, wie wichtig diese Sache für ihre Freundin war. Sie würde ihren Bruder nicht dazu überredet haben, wenn sie nicht sicher gewesen wäre, dass er diese Aktion durchhielt.

„Dann würde ich mich gleich morgen mit ihm treffen wollen.“

„Er wird da sein.“

„Ich schulde dir also ein Eis. Ach was, zwanzig!“

„Vergiss es. Das verträgt mein Hüftspeck nicht“, antwortete Brenda trocken. „Ähm … aber pass auf, dass er dich nicht an seine Angel kriegt, okay?“

Emma lachte. „Hast du Angst, er schafft es, dass ich meinen Slip für ihn fallen lasse?“

Brenda lachte auch. „Du hast recht. Bei dir brauche ich mir da keine Sorgen zu machen. Außerdem bist du auch gar nicht sein Typ.“

Emma hörte auf zu lachen. Sie wusste, ihre Freundin meinte das nicht so. Aber es tat trotzdem weh. Männer zeigten nie besonderes Interesse an Emma. Jedenfalls nicht in dem Maße, wie das bei anderen Frauen oft der Fall war. Emma war bisher auch immer zu sehr mit Lernen beschäftigt gewesen, um sich mit jemandem zu verabreden. Außerdem waren die einzigen Typen, die jemals gefragt hatten, Bücherwürmer und Vollidioten gewesen.

„Okay, dann geht das also klar, und ich kann für morgen Nachmittag das Labor buchen?“

„Geht klar. Welche Uhrzeit?“

„Ich habe morgen die Mittagsschicht. Wenn es dir nichts ausmacht, unsere Verabredung zum Kaffeetrinken ausfallen zu lassen, dann können wir um drei anfangen.“

„Kein Problem. Ich werde es ihm sagen.“

„Lass mich wissen, ob ihm dieser Termin recht ist.“

„Er wird nichts dagegen haben.“

Emma runzelte wieder die Brauen. Brenda klang ungewöhnlich überzeugt. „Sag mal, du hast doch nichts Illegales angestellt, um ihn zu dieser Sache zu überreden, oder?“

Brenda lachte nur.

2. KAPITEL

Zu spät zu kommen, war eines der beiden Dinge, über die Emma sich am meisten ärgerte. Sie murmelte etwas vor sich hin, während sie mit dem Schlüssel hantierte und es schließlich schaffte, die Labortür aufzubekommen. An ihrem Schreibtisch vorbei eilte sie in den hinteren Raum, der eigentlich nicht viel mehr als ein größerer Abstellraum war. Ihren Rucksack legte sie auf den kleinen Kühlschrank, der für besonders lange Stunden im Labor einen Vorrat an Getränken enthielt.

Nur sie und noch zwei andere Studenten nutzten diesen Raum, doch er war derart vollgestopft mit persönlichen Dingen, dass man hätte meinen können, hier lebe eine ganze Armee. Emma selbst legte Wert auf Ordnung, übersah aber großzügig das Chaos, das die anderen beiden anrichteten. Sie wusste ja, wie viel Zeit und Energie die Stunden im Labor einem raubten.

Was sie allerdings nicht verstand, war, wieso heute ausgerechnet in den letzten Minuten im Pub alles daneben gehen musste. Manny hatte ihr aus Versehen das Tablett mit Drinks aus den Händen geschlagen und sich dann zum Strand davongemacht, anstatt ihr wenigstens dabei zu helfen, die ganze Sauerei aufzuwischen. Alle anderen waren natürlich auch verschwunden, sogar der Barmann.

Emma begann, sich den Mantel auszuziehen, und biss die Zähne zusammen, weil ihr dabei ein Fingernagel absplitterte. Was würde sie froh sein, wenn sie eines Tages diesen grässlichen Job hinschmeißen konnte! Sie sah an sich hinunter und betrachtete angewidert das lächerliche rote Satinkleidchen, das sie im Pub tragen musste. Dann zog sie den Mantel endgültig aus und schleuderte ihn auf einen niedrigen Aktenschrank.

Wenn es nicht immer so verdammt gutes Trinkgeld gäbe, würde sie dem Besitzer mal erzählen, was er ihrer Meinung nach mit diesem knappen etwas von Servierkleid tun konnte. Aber sie würde niemals einen anderen Job finden, bei dem sie mit derselben Anzahl Stunden genug verdiente, um Studiengebühren und Miete bezahlen zu können. Es war traurige Realität, dass manche Frauen dazu gezwungen waren, diesen Job zu machen. Und Emma war froh, dass sie es nicht mehr lange nötig haben würde.

Wenn alles gut ging mit ihrer Diplomarbeit, dann konnte sie nächsten Monat schon kündigen. Wie lieb von Brenda, ihren Bruder dazu zu überreden, sich für die Versuche zur Verfügung zu stellen! Egal, wie sie das geschafft hatte.

Aus zwei Gründen war Nick wie gemacht für Emmas Zwecke. Erstens besaß er laut Brenda die erstaunliche Fähigkeit, sich noch lange nach dem Aufwachen an seine Träume erinnern zu können. Und zweitens hatte er Zeit ohne Ende. Brenda hatte erzählt, dass er ein Wunderkind gewesen war, das sich schon früh ein Vermögen erarbeitet hatte, um seine Aufmerksamkeit dann dem weiblichen Teil der Menschheit zu widmen. Sollte er ruhig. Für Emma war nur wichtig, dass er zwei Wochen lang ihr gehörte.

Von diesen Dingen abgesehen, wusste sie wenig über ihn. Und das war eine hervorragende Grundlage für die Studie, denn so konnte sie seine Träume nahezu vorurteilsfrei analysieren. Noch besser wäre es freilich gewesen, wenn ihr auch sein Ruf als Frauenheld unbekannt gewesen wäre. Aber das würde kein Problem darstellen … beruflich nicht, und persönlich erst recht nicht. Solche über alle Maßen selbstbewussten Typen konnten bei ihr sowieso nicht landen.

„Autsch!“

Noch ein Fingernagel verabschiedete sich, als sie sich mit ungeduldigem Hüft- und Schulterwackeln von dem eng anliegenden Satinkleid befreite. Sie warf den Fummel beiseite und rückte den Stringtanga zurecht, den sie sich nie im Leben angeschafft hätte, wenn es für dieses unsägliche Kleid nicht nötig gewesen wäre. Zu ihrer eigenen Überraschung gefiel ihr aber diese Art Unterwäsche, und sie hatte sich noch ein paar mehr davon besorgt.

Sie sah auf ihre Uhr, während sie nach ihren kakifarbenen Hosen griff, und stöhnte leise auf. Er musste jede Minute hier sein. Ihr BH … Herrje, wo war nur ihr BH? Sie hatte doch wohl daran gedacht, einen mitzubringen?

Nick ließ seinen Porsche noch eine Minute im Leerlauf, bevor er dann doch den Zündschlüssel abzog. Die Versuchung, einfach wieder vom Parkplatz zu fahren, war so groß, dass er wusste, wenn er jetzt nicht sofort den Motor abstellte, würde er zu McGillycuddy’s Pub fahren und dort diese blöde Sache mit der Traumanalyse vergessen – und die Hütte in Aspen ebenfalls.

Aber er wollte Tiffany nicht enttäuschen. Weil sie so umwerfend war, wenn sie glücklich war.

Ihm wurde heiß, als er an sie dachte, und er stieg schnell aus dem Auto. Es war ein kühler Nachmittag, typisch für North Carolina. Das eingeschossige Stuckgebäude, vor dem er stand, war alt und nicht gerade eine Augenweide. Aber das hier war auch nicht der Hauptcampus, mehr so eine Art Außenstelle, in welcher eines der Labore untergebracht war.

Er steckte sich den Autoschlüssel in die Tasche und sah sich auf dem kleinen Parkplatz um. Ein paar weiße, nichts sagende Autos standen perfekt geparkt zwischen den Linien der Markierungen. Nick hätte ohne Zögern sein Bankkonto darauf verwettet, dass jedes Einzelne dieser Fahrzeuge einem Professor gehörte.

Allein die Tatsache, dass er sich auf diesem Campus befand, jagte ihm einen Schauer den Rücken hinunter. Das ging ihm auf jedem Campus so. Eine akademische Laufbahn schien ihm die schlimmste Strafe auf Erden zu sein. Er konnte es kaum fassen, dass seine eigene Schwester allen Ernstes Lehrerin werden wollte.

Er rückte den Kragen seiner schwarzen Lederjacke zurecht und dachte sich, dass er das alles schon überstehen würde. Es waren ja schließlich nur zwei Wochen. Die Hütte in Aspen war es auf jeden Fall wert. Und Tiffany würde glücklich sein.

Es war ein langer Weg bis zur Eingangstür. Eigentlich nur knapp zwanzig Meter, aber mit Blei an den Füßen war es anstrengend wie eine weite Reise. Als die Tür nicht gleich aufging, wollte er schon umkehren. Vielleicht sollte er klopfen.

Er drehte noch einmal am Türknauf und … Oh nein, jetzt ging sie doch auf!

Nick räusperte sich und trat über die Schwelle direkt in einen sauberen, aber schäbigen Raum. Ein Metallschreibtisch stand in der Ecke. Akten stapelten sich darauf, ohne jedoch einen unordentlichen Eindruck zu machen. Ein großer, schwarzer Lederschlafsessel stand in einer anderen Ecke und wirkte ziemlich einschüchternd auf Nick. Die verschiedenen Kabel, die über die Lehne hingen, gehörten wohl zu irgendeiner Messeinrichtung. Nick wandte schnell den Blick ab. Er wollte lieber nicht darüber nachdenken.

Bis auf drei nicht zusammenpassende Aktenschränke aus Blech gab es nichts weiter in diesem Raum. Eine Tür war da noch, die in einen Nebenraum führen musste. Um mit gutem Gewissen wieder zu gehen, sollte er wenigstens noch nachsehen, ob dieser zweite Raum ebenfalls leer war. Er ging darauf zu und sah sie.

Genauer gesagt, er sah ihren Rücken.

Und sie war nackt.

Nick blieb wie angewurzelt stehen.

Er versuchte, sich wieder zurückzuziehen, aus dem Sichtfeld zu gelangen, aber er konnte seine Augen nicht losreißen vom Anblick der seidigbraunen Haare, die ihr fast bis zur Taille reichten. Es war eine schlanke Taille, die mit wundervollen Kurven in ein festes, wohlgeformtes Hinterteil überging. Und die Beine … Mann, hatte dieses Weib Beine!

Nick schluckte, aber sein Mund war vollkommen trocken. Wenn er nicht sofort hier verschwand, würde er noch anfangen zu husten!

Sie griff zur Seite und angelte nach einem Kleidungsstück. Das Letzte, was ihm noch auffiel, bevor er sich durch die Labortür davonmachte, war die Tatsache, dass sie einen Tanga trug. Einen aus rotem Satin. Und Tangas hatten immer eine nahezu beängstigende Wirkung auf Nick.

Es gelang ihm, die Tür ganz leise hinter sich zuzuziehen. Dann stand er wieder draußen an der kühlen Luft und brach erst einmal in Schweiß aus. Das konnte nicht Emma Snow gewesen sein. Jedenfalls nicht, wenn das, was Brenda ihm über sie erzählt hatte, stimmte. Emma war eine ernsthafte Studentin, entschlossen, ihre Diplomarbeit zu beenden. Sie führte kein Party-Leben und hatte keinerlei Interesse an Männern. Und was ihn anbetraf, so hatte er für solche Tussis noch viel weniger übrig.

Wer also war dann diese Frau? Eine andere Studentin? Vielleicht auch eine Testperson? Oder Emmas Freundin?

Nick sah noch einmal auf seine Uhr und beschloss, ihr noch weitere fünf Minuten zu gönnen. Dann würde er klopfen. Er selbst brauchte diese Galgenfrist auch, denn sein Körper hatte auf den überraschenden Anblick heftig reagiert und musste sich erst einmal wieder beruhigen …

Nach ein paar Minuten hörte er drinnen jemanden rumoren. Er rückte seine Jeans zurecht und klopfte diesmal, wie es sich gehörte.

Sofort wurde die Tür geöffnet. Eine Brünette mit einer riesigen, schwarzgerahmten Brille lächelte ihn an. „Nick?“

„Ja.“ Er versuchte, an ihr vorbei ins Labor zu sehen. Die andere Frau musste noch im Hinterzimmer sein.

„Kommen Sie rein. Ich bin Emma.“ Sie wartete, bis er eingetreten war. Dann hielt sie ihm ihre Hand hin. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass Sie sich für diese Sache bereit erklärt haben.“

Ihre Hand war klein und fühlte sich zerbrechlich an, aber der Druck war nicht von schlechten Eltern. Er sah sich die junge Frau genauer an. Haselnussbraune Augen, reine Haut, kein Make-up. Das einzig wirklich Faszinierende an ihrem Gesicht waren die Lippen. Sie waren rosig und so voll, dass man hätte meinen können, sie seien ein Werk der Schönheitschirurgie. Aber ein solches Maß an Eitelkeit passte nicht zu ihr, wenn Brendas Beschreibung stimmte.

Ihre allgemeine Erscheinung entsprach absolut dem, was er erwartet hatte. Die altmodische Brille und der strenge Knoten an ihrem Hinterkopf ließen sie älter aussehen, als sie vermutlich war. Auf der high School hätte man eine wie sie damals Bücherwurm genannt. Und das wäre noch der freundlichste Spitzname gewesen, mit dem man sie bedacht hätte.

„Setzen Sie sich doch bitte an den Schreibtisch. Sie müssen zuerst ein paar Formulare ausfüllen.“ Sie deutete auf einen arg zugerichteten Stuhl mit grauem Textilbezug. Die Lehne war hoch, und das Polster machte den Eindruck, als habe eine Katze ihn als Kratzbaum benutzt.

„Was denn für Formulare?“, fragte Nick, während er sich der Tür am hinteren Ende des Labors näherte, um vielleicht noch einen Blick auf die andere Frau zu erhaschen. Aber er hatte Pech. Da war niemand. „Das ist doch alles streng vertraulich, dachte ich.“

„Natürlich. Alle Informationen, die ich von Ihnen bekomme, werden nur im Rahmen der Studie verwendet.“

Sie lächelte, und sein Blick blieb an ihrem Mund hängen. Diese Lippen und die Beine ihrer unbekannten Freundin – das wäre doch mal eine tolle Kombination!

„Aber Sie werden feststellen, dass ich Ihnen gar keine allzu persönlichen Fragen stellen werde. Es geht in erster Linie um statistische Informationen.“

„Zum Beispiel?“

„Ich erkläre Ihnen noch, was wir in den nächsten zwei Wochen vorhaben.“

Er setzte sich an den Schreibtisch und starrte auf den Fragebogen. Langweilige Fragen waren das, aber damit hatte er gerechnet. Das Ganze zielte eben doch darauf ab, in seiner Psyche rumzukramen und herauszufinden, auf welche geheimen Ängste seine Träume hinweisen mochten.

Das ging niemanden etwas an. Nicht einmal ihn selbst, wie er fand. Träume waren Schäume. Sie hatten nicht die geringste Bedeutung. Man träumte, damit man sich im Schlaf nicht langweilte, das war alles.

„Ich gehe nach hinten und treffe noch ein paar Vorbereitungen. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie mit dem Ausfüllen fertig sind.“

„He“, rief er ihr nach und wartete, bis sie sich umgedreht hatte. „Sie sagten doch, das ist alles vertraulich, richtig?“

Sie nickte.

„Also wird niemand zugegen sein außer uns beiden?“

„Keine Menschenseele.“

„Auch jetzt? Ist da hinten jemand drin?“ Er deutete mit dem Kinn auf die Tür zum Hinterzimmer.

„Nein. Außer uns ist niemand hier.“

Er runzelte die Brauen. Wo war die mysteriöse Frau denn auf einmal hin? Vielleicht gab es ja einen Hinterausgang. Oder vielleicht …

Er betrachtete Emma noch einmal ganz genau. Weite Hosen, eine marineblaue Baumwollbluse und darüber ein weißer Laborkittel. Schwer zu sagen, wie sie unter dem ganzen Zeug aussah. Er bezweifelte stark, dass sie einen Tanga aus rotem Satin trug. Nein, nicht diese Frau. Und was die Haare anging – so langes, volles Haar, wie er es vorhin gesehen hatte, passte nicht in diesen kleingezwirbelten Knoten am Hinterkopf.

„Noch irgendwelche Fragen?“

„Wenn ich also richtig verstehe“, er warf wieder einen verstohlenen Blick zum Hinterzimmer, das doch ziemlich klein schien, „sind nur Sie und ich hier? Ganz bestimmt niemand anders?“

Ihr Blick wurde auf einmal besorgt. „Hören Sie, ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar für Ihre Hilfe. Aber wenn Sie vorhaben, nachher mitten in der Studie auszusteigen, dann sagen Sie es gleich. Ich habe nicht mehr genug Zeit, dann noch nach Ersatz zu suchen.“

Mann, oh, Mann, was hätte er dafür gegeben, aus dieser ganzen Sache schnell wieder rauszukommen! Aber dann konnte er die Hütte in Aspen für dieses Jahr vergessen. „Nein, nein. Ist schon in Ordnung, Doc. Ich bin bloß ein bisschen nervös über all die gut versteckten, dunklen Geheimnisse, die ich mit mir rumtrage und die Sie herausfinden werden.“ Er schenkte ihr sein gewinnendstes Lächeln.

Jetzt war sie es, die die Stirn runzelte. „Darüber reden wir, wenn Sie den Fragebogen ausgefüllt haben.“

Emma eilte in das Hinterzimmer. Sie hoffte, Nick würde lange genug brauchen, den Fragebogen auszufüllen, um ihr Gelegenheit zu geben, sich wieder in den Griff zu bekommen. Ihre plötzliche Unsicherheit hatte natürlich nur wenig mit ihm oder seinem Ruf als Frauenheld zu tun. Sie war immer ein bisschen durcheinander, wenn sie fast zu spät kam. Das war ihr Problem, sonst nichts.

Allerdings musste sie zugeben, dass er etwas Besonderes hatte. Nichts, was ins Auge fiel, nicht einmal etwas, was man benennen konnte. Sicher, sein volles, dunkles Haar war auf eine rührend unordentliche Weise attraktiv. Er hatte auch ein entwaffnendes Lächeln, mit dem er wahrscheinlich so manchen Widerstand überwand. Aber das war auch bei ein paar anderen Typen aus ihrem Bekanntenkreis der Fall.

Sein Gesicht hatte Charakter, angefangen bei den vielen kleinen Linien, die von den äußeren Winkeln seiner dunklen Augen ausgingen, bis hin zu der kleinen, halbmondförmigen Narbe über der linken Hälfte seiner Oberlippe. Die Zähne waren tadellos, bis auf einen, von dem ein winziges Stück abgebrochen war. Eitel war er jedenfalls nicht, und auch kein Perfektionist, sonst hätte er diesen unbedeutenden Makel längst ausgemerzt.

Das Servierkleid lag noch genauso da, wie Emma es liegen gelassen hatte, als sie vorhin hastig in ihre Alltagssachen geschlüpft war. Sie nahm es auf und stopfte es in eine Tasche. Zu Hause würde sie es in die Wäsche tun. Schnell überprüfte sie noch ihre Frisur. Es war ein furchtbarer Anblick. In der Eile hatte sie ein paar der Haarnadeln nicht sorgfältig genug hineingesteckt, und der normalerweise feste und ordentliche Knoten saß heute nicht sehr sicher. Aber es würde reichen.

Nachdem sie ein paar Minuten gewartet hatte, ging sie wieder nach vorn, um zu sehen, wie weit Nick inzwischen gekommen war. Zu ihrer Überraschung war er längst fertig und führte ein Gespräch über ihr Telefon.

„Lass uns heute Abend chinesisch essen gehen“, sagte er gerade, als sie hereinkam. Er konnte sie noch nicht gesehen haben, dennoch senkte er die Stimme und fuhr fort: „Das Dessert überlasse ich deiner Wahl.“ Sein Lachen klang heiser und sexy. Dann blickte er auf und sah Emma. „Ich muss Schluss machen. Wir sehen uns um acht.“

Emma seufzte mitleidig, als sie sich das arme Ding am anderen Ende der Leitung vorstellte, das zweifellos auf diesen peinlichen Mangel an Originalität hereinfiel. „Und, haben Sie Fragen zu den Unterlagen, die ich Ihnen gegeben habe?“

„Nein.“

Sie schwieg einen Moment und wartete darauf, dass er von ihrem Stuhl aufstand. Aber sie wartete umsonst. Er blieb sitzen. Er machte es sich lediglich etwas bequemer darauf. Also nahm sie selbst auf dem Besucherstuhl Platz und drehte den Fragebogen zu sich herum.

Nachdem sie sich einen kurzen Überblick verschafft hatte und wieder aufsah, stellte sie fest, dass er sie anstarrte.

Sie räusperte sich. „Ich erzähle Ihnen jetzt im Groben, was wir in den nächsten zwei Wochen vorhaben.“

Er verzog ein wenig das Gesicht.

Emma spürte, wie sich etwas in ihr zusammenkrampfte. „Wenn Sie ein Problem damit haben, sich für zwei Wochen zu verpflichten …“

„Nein, nein.“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Ich habe nur … Reden Sie weiter.“

Oh je, sie hatte gar kein gutes Gefühl bei dieser ganzen Sache! Aber Brenda hatte gesagt, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Nick habe zwar seine Fehler, aber seine Versprechen hielte er für gewöhnlich. Hoffentlich hatte sie recht.

„Ich weiß nicht, inwieweit Sie sich dafür interessieren, von welcher Theorie ich bei meinen Traumdeutungen ausgehen werde …“

Schon wieder zuckte er ein wenig zusammen.

„Bitte?“

„Nichts.“ Sein Gesicht nahm einen höchst unschuldigen Ausdruck an. „Ich höre Ihnen zu.“

Emma zögerte einen Moment. Sollte sie ihn auf seine offensichtlich negative Reaktion hinweisen? Aber andererseits war sie sich keineswegs sicher, ob sie wirklich wissen wollte, was er dachte. Und schon gar nicht wollte sie ihm eine Ausrede liefern, doch noch abzuspringen.

Sie holte tief Luft und begann von Neuem. „Es gibt viele irreführende Auffassungen zum Thema Traumdeutung, und ich dachte, es wäre vielleicht hilfreich, wenn ich da zuerst ein wenig Klarheit schaffe.“

Er sah nicht eben glücklich aus, aber zumindest war er diesmal ruhig geblieben. Er sah zu der Tür, hinter der das Hinterzimmer lag. Dann bedeutete er ihr wieder fortzufahren.

Emma lehnte sich auf dem Stuhl zurück und fragte sich, was er an dem Hinterzimmer nur so faszinierend finden mochte. Hatte er etwa das Chaos darin gesehen?

„Wissenschaftliche Forschungen haben ergeben, dass Träume jene Dinge reflektieren, die uns im Alltag beschäftigen, und daher helfen können, Konflikte oder Probleme besser zu bewältigen. Von dieser Theorie gehe ich aus.“

Er stand plötzlich auf. „Ich werde mich keiner Psychoanalyse unterziehen lassen, Doc. Keine Chance!“

Autor

Debbi Rawlins
Endlich daheim – so fühlt Debbi Rawlins sich, seit sie mit ihrem Mann in Las Vegas, Nevada, lebt. Nach viel zu vielen Umzügen beabsichtigt sie nicht, noch ein einziges Mal den Wohnort zu wechseln. Debbie Rawlins stammt ursprünglich aus Hawaii, heiratete in Maui und lebte danach u.a. in Cincinnati, Chicago,...
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