Gewagter Deal mit dem besten Freund

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Der australische Tycoon Connor O’Brian ist Anastasias bester Freund – und ihr Retter in der Not. Denn sie braucht dringend einen Ehemann, damit sie ihr Erbe antreten kann. Doch sie hat nicht damit gerechnet, wie erregend sinnlich es plötzlich zwischen ihnen prickelt. Insgeheim fühlt sie sich mit jedem Tag mehr zu Connor hingezogen. Als er sie mit einem leidenschaftlichen Kuss überrascht, ist sie hin- und hergerissen: Darf sie es wagen, ihrem Verlangen nachzugeben? Auch wenn sie damit nicht nur ihr Herz, sondern auch ihre Freundschaft riskiert …


  • Erscheinungstag 21.01.2025
  • Bandnummer 022025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534581
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Garrison Downs, Juni, Winteranfang

Anastasia Horvath drückte sich so tief wie möglich in den gepolsterten Ledersessel, um sich unsichtbar zu machen. Sie fühlte sich unangenehm deplatziert in diesem großen Büro ihres verstorbenen Vaters – auf diesem ganzen riesigen Familienbesitz Garrison Downs.

Der maskulin geprägte Raum war mit edlen Möbeln und Antiquitäten ausgestattet. Holt Waverly – Milliardär, Viehzüchter, Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, vor allem aber Besitzer dieser anderthalb Millionen Hektar großen Rinderfarm – war im Alter von vierundsechzig Jahren auf tragische Weise von einem herabfallenden Ast erschlagen worden.

Der Gedanke, ihren lebhaften, überlebensgroßen Vater nie mehr wiederzusehen, war unerträglich. Aber sie durfte ihren Kummer nicht offen zeigen. Ihr schwarzes Kleid war der einzige Hinweis auf ihren persönlichen Verlust.

Ana biss sich auf die Lippe und presste die Hände fest zusammen, um nicht zu zittern. Mehr als zwanzig Personen hatten sich hier im Büro versammelt. Sie kannte nur einen von ihnen, und zwar den älteren Anwalt, der das Testament ihres Vaters verlesen sollte. Zwei andere Anwesende erkannte sie von Fotos: In ihrem Blickfeld saßen zwei ihrer drei älteren Halbschwestern, die sie in den fünfundzwanzig Jahren ihres Lebens kein einziges Mal getroffen hatte.

Es fiel ihr schwer, Matilda und Rose Waverly nicht direkt anzustarren – die jüngste und die älteste Tochter von Holt und seiner verstorbenen Frau Rosamund. Evelyn, die mittlere Schwester, war nirgends zu sehen. Matilda und Rose sahen genauso aus wie die wohlhabenden, gesellschaftlich gut gestellten Frauen, die sie waren. Wunderschön und sehr selbstbewusst. Ähnlich den Mädchen, von denen Ana auf der Privatschule, auf die ihr Vater sie geschickt hatte, schikaniert worden war.

Soweit sie wusste, hatten die beiden absolut keine Ahnung, dass sie überhaupt existierte. Rose, die älteste Schwester, war groß und schlank. Ihr braunes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden und sie saß aufrecht in ihrem Stuhl. Außerdem warf sie immer wieder einen Blick aus dem großen Erkerfenster auf die romantische Outback-Szenerie mit roter Erde und Eukalyptusbäumen, als wäre sie viel lieber dort draußen. Matilda, ebenfalls groß, aber etwas kurviger und mit einer blonden Mähne, drückte sich nervös ein besticktes Kissen an die Brust.

Die beiden sahen Ana, die glattes dunkles Haar hatte, gar nicht ähnlich.

Mit Ausnahme der Augen. Selbst von der anderen Seite des Raumes aus konnte sie erkennen, dass ihre Halbschwestern die gleichen strahlend blauen Augen hatten wie sie. Dieselben wie Holt Waverly – der Vater, den sie nur ein paar Mal im Jahr gesehen und der sie nie öffentlich anerkannt hatte. Sie war sein heimliches uneheliches Kind gewesen.

Ihre Mutter hatte immer darauf bestanden, sie so zu nennen. Anas Vater hatte ihre Mutter Lili kennengelernt, als er der Überzeugung gewesen war, dass seine Ehe am Ende war. Ihre Mutter hatte ihn geliebt und geglaubt, dass sie und Holt nach der geplanten Scheidung heiraten würden.

Doch er hatte sich wieder mit seiner Frau versöhnt. Weder Holt noch Lili hatten zu dem Zeitpunkt gewusst, dass Lili schwanger war. Er hatte zwar die Verantwortung für Ana übernommen, mit Lili aber keinerlei intime Beziehung mehr geführt, die über die gemeinsame Sorge für ihr Kind hinausging.

Ana war nie in der Lage gewesen, sich von dem Gefühl der Scham zu befreien, das durch die Geheimhaltung ihrer Existenz ständig befeuert wurde. Sie hatte ihn nie anrufen oder Dad nennen dürfen, wenn sie bei seinen häufigen Besuchen in Melbourne Zeit miteinander verbracht hatten – für den Fall, dass sie eventuell belauscht wurden. Stattdessen hatte sie Apa zu ihm gesagt, das ungarische Wort für Vater.

Wie sehr sie ihn immer vermisst hatte! Und geliebt, trotz aller Widrigkeiten. Sein Tod vor einem Monat hatte sie zutiefst schockiert. Als prominenter Geschäftsmann Australiens hatte er ein regelrechtes Staatsbegräbnis bekommen. Sie und ihre Mutter waren natürlich nicht eingeladen worden, sondern hatten die Zeremonie nur kurz in den Nachrichten verfolgt.

Niemand – bis auf Holts Anwalt George Harrington – wusste bisher von Ana. Er hatte im Laufe der Jahre auch den Kauf des Hauses in dem Melbourner Vorort St. Kilda organisiert, in dem Ana lebte. Und er hatte dafür gesorgt, dass ihr Schulgeld bezahlt wurde, und die jährlichen Unterhaltszuwendungen an ihre Mutter verwaltet.

Und nun war sie zu dieser persönlichen Testamentseröffnung ihres Vaters gerufen worden, der ein so öffentliches Leben geführt, ihre Existenz jedoch geheim gehalten hatte. Sie starrte nach unten auf den antiken Perserteppich und konnte die Gedanken der Anwesenden, deren Aufmerksamkeit aus allen Ecken des Raumes auf sie gerichtet war, förmlich hören: Wer ist das? Was tut sie hier? Sie gehört nicht hierher.

Eine feuchte Hundenase stupste ihren Arm an – ein wunderschöner alter Border Collie, dessen Schnauze schon ein wenig ergraut war. Das musste River sein, der geliebte Hund ihres Vaters. Apa hatte ihr von River erzählt, einem Arbeitshund, der hier im Haus seinen Lebensabend verbringen durfte. Jetzt kuschelte er sich liebevoll an ihre Seite. Erkannte River sie etwa instinktiv als Teil der Familie? Spürte er, wie sehr sie ihre Gefühle im Zaum halten musste, und wollte er sie trösten?

Liebevoll tätschelte sie ihm den Kopf. „Danke“, flüsterte sie dem freundlichen Tier zu. Sie hatte sich schon immer einen Hund gewünscht, aber ihre Mutter war strikt dagegen gewesen. Tiere machten zu viel Arbeit und kosteten zu viel Geld.

George Harrington hatte Ana bereits mitgeteilt, dass sie trotz ihrer Volljährigkeit weiterhin Unterhalt bekommen würde. Und sie sollte heute an der Verlesung des Testaments ihres Vaters in Garrison Downs teilnehmen.

Ana wünschte sich, sie hätte ihren besten Freund Connor O’Neill dabei. Als moralische Unterstützung. Aber Connor lebte jetzt in einem anderen Staat, außerdem hatten sie sich zerstritten. Als Kinder war das zwischen ihnen öfter vorgekommen, doch diesmal war es anders. Er hatte eine neue Freundin, von der Ana glaubte, dass sie seiner nicht würdig war, und das hatte sie ihm auch gesagt. Connor fand, dass sie zu weit gegangen war und sich aus seinem Liebesleben heraushalten sollte.

Dabei wollte Ana nur das Beste für ihn, und das war dieses Mädchen eindeutig nicht! Infolgedessen hatten sie wochenlang nicht mehr miteinander gesprochen. Und er hatte auch nicht auf ihre SMS geantwortet, in der sie ihm von der Vorladung nach Garrison Downs berichtet hatte.

Sie vermisste Connor und vielleicht hatte sie ihn verloren. Das war ein unerträglicher Gedanke.

Plötzlich spitzte der Hund die Ohren und drehte den Kopf zu Matilda. Ana blickte ebenfalls zu ihr und für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Ana erschrak, aber zu ihrer großen Erleichterung lächelte Matilda. Ein warmes Lächeln, das von Unsicherheit, aber nicht von Verachtung zeugte. Ana erwiderte es zaghaft.

Dies war ihre Schwester!

River tapste zu Matilda hinüber und sprang neben ihr auf das Sofa. In diesem Augenblick kündigte der Anwalt an, dass Evelyn Waverly per Videoanruf an der Sitzung teilnehmen würde. Während er sprach, erschien das Bild ihrer dritten Halbschwester auf einem großen Bildschirm.

Evelyn wirkte ganz anders als ihre Schwestern. In ihrem maßgeschneiderten Hosenanzug sah sie unglaublich schick aus. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem strengen Dutt hochgesteckt. Und sie hatte die gleichen strahlend blauen Augen wie alle anderen. Ihr beherrschter, strenger Gesichtsausdruck verriet keinerlei Emotionen.

George Harrington begann, über Immobilien, Investitionen und die solide Finanzlage der Familie Waverly zu sprechen. Ana hatte keine Ahnung von diesen geschäftlichen Angelegenheiten, aber es schien, als sei ihr Vater noch reicher gewesen, als sie gedacht hatte. Dann räusperte sich der Anwalt und machte eine ungewöhnlich lange Pause. Im Raum herrschte erwartungsvolle Stille. Alle waren neugierig, was der Anwalt nun über den genauen Inhalt des Testaments zu sagen hatte.

Schließlich las er aus dem Dokument vor. „Meinen Töchtern hinterlasse ich alles oben Genannte und alle meine weltlichen Besitztümer, die hier nicht aufgeführt sind, einschließlich, aber nicht beschränkt auf die Gesamtheit von Garrison Downs.“

Ana merkte, dass sie den Atem angehalten hatte, und ließ ihn mit einem Seufzer der Enttäuschung entweichen. Für sie blieb nichts übrig, genau wie ihre Mutter es erwartet hatte. Sie versuchte, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen, und wollte am liebsten sofort von hier verschwinden.

Da fuhr Mr. Harrington fort: „Es ist mein Wunsch, dass meine älteste Tochter, Rose Lavigne Waverly, die volle Kontrolle über die Leitung des Anwesens übernimmt. Falls das auch ihr Wunsch ist. Wenn nicht, beuge ich mich ihrer Entscheidung.“

Ana blickte Rose an und sah, wie sie zusammenzuckte. War sie etwa überrascht? Apa hatte immer voller Stolz davon gesprochen, wie Rose ihm in den vergangenen zehn Jahren bei der Führung des Anwesens geholfen hatte. Dabei hatte Ana jedes Wort, mit dem er seine echten Töchter lobte, wie einen Stich direkt ins Herz empfunden. Denn sie selbst war ja nicht würdig, öffentlich als eine Waverly anerkannt zu werden.

Doch der Anwalt war noch nicht fertig. „Nun …“ Seufzend schaute er über den Rand seiner Brille. „Könnten jetzt bitte alle Anwesenden außer der engsten Familie den Raum verlassen?“

Ana wollte sich erheben, doch Mr. Harrington bedeutete ihr, sitzen zu bleiben. Zusammen mit ihren Halbschwestern wartete sie schweigend, während alle anderen den Raum verließen. Dabei versuchte sie, die neugierigen Blicke um sie herum zu ignorieren.

George Harrington lächelte freundlich. „Es ist leider notwendig, die Einzelheiten des Testaments Ihres Vaters mit denjenigen zu besprechen, die Ihnen am besten dabei helfen können, den Betrieb und das Ansehen dieses Anwesens aufrechtzuerhalten. Da ist nur noch eine Sache …“ Er hielt inne und rieb sich die Stirn. „Es gibt eine Bedingung für das Vermächtnis. Eine, die fest an das Anwesen geknüpft ist, seit es vor Jahren an Ihre Familie übertragen wurde.“

Hat das irgendetwas mit mir zu tun? fragte sich Ana. Hatte man sie deshalb gebeten, noch hierzubleiben?

Der Anwalt nahm seine Brille ab. „Wie Sie sicher wissen, ist die Geschichte von Garrison Downs etwas kompliziert, denn Ihre Ururgroßmutter hat das Land 1904 bei einem Pokerspiel von der Familie Garrison gewonnen.“

Wirklich? Das erstaunte Ana. Garrison Downs erstreckte sich über ein riesiges Gebiet. Warum sollte es jemand leichtfertig bei einem Pokerspiel riskieren? Wie bizarr!

„Jedes Mal, wenn das Land seitdem vererbt wurde, mussten bestimmte Bedingungen erfüllt werden.“ Seine Hände zitterten ein wenig, als er seine Brille wieder aufsetzte und direkt aus dem Testament vorlas. „Jeder männliche Waverly-Erbe, der derzeit lebt, würde das Anwesen natürlich direkt erben. Aber“, fuhr Harrington fort und hob den Zeigefinger, „sollte es keinen direkten männlichen Erben geben, müssen alle Töchter im heiratsfähigen Alter innerhalb eines Jahres nach der Testamentseröffnung verheiratet werden, um das gesamte Erbe antreten zu können.“

Obwohl es nichts mit ihr zu tun hatte, begriff Ana die Bedeutung dieser Klausel sofort – und die wahnsinnige Ungerechtigkeit, die dahintersteckte! Offensichtlich hörten ihre Halbschwestern auch zum ersten Mal davon.

Empört redeten sie durcheinander, sogar Evelyn wirkte auf dem Bildschirm mehr als fassungslos. Als Buchhalterin hatte Ana zwar schon mit den Begünstigten einiger seltsamer Testamente zusammengearbeitet, aber auch sie hatte noch nie etwas so Archaisches und Absurdes gehört.

Matilda meldete sich zu Wort. „Das Land ist zuerst mal an Söhne vererbbar“, erklärte sie in Roses Richtung und ihre Worte übertönten das aufgeregte Geplapper. „Wenn es keinen Sohn gibt, können die Waverly-Frauen erben: du, Eve und ich. Aber nur, wenn wir alle verheiratet sind.“

„Das kann unmöglich legal sein!“, sagte Rose, deren Stimme vor Unglauben heiser war. „Nicht in der heutigen Zeit, sicherlich nicht!“

Evelyn stimmte ihrer Schwester zu. Ana hatte von ihrem Vater nicht so viel über Evelyn erfahren wie über Matilda und Rose, aber sie wusste, dass sie eine angesehene PR-Managerin in London war.

„Das ist recht seltsam, aber richtig“, brummelte Harrington. „Und soweit ich das beurteilen kann, ist der Letzte Wille eures Vaters rechtskräftig.“

Während Rose nervös auf und ab lief, schüttelte sie unentwegt den Kopf. „Wieso ist das bisher nie zur Sprache gekommen?“

„Die Waverlys hatten immer mindestens einen fähigen, farmbegeisterten Sohn als Nachkommen“, überlegte Matilda laut. „Bis zu unserer Generation.“

„Wenn die Bedingung nicht erfüllt wird“, fuhr Harrington fort, „geht das Land an das derzeitige Oberhaupt der Garrison-Familie zurück. An Clay Garrison.“

Ana, die versuchte, das alles nicht zu sehr an sich heranzulassen, konnte nicht anders, als Mitleid mit ihren Halbschwestern zu haben.

„Und was passiert, wenn wir uns weigern zu heiraten?“, fragte Rose.

„Das wird nicht passieren“, schaltete Eve sich ein. „Niemals!“

Der Anwalt räusperte sich erneut. „Wenn nicht alle vier leiblichen Töchter von Holt Waverly innerhalb von zwölf Monaten nach der Verlesung dieses Testaments verheiratet sind …“

„Zwölf Monate?“, unterbrach ihn Rose mit schriller Stimme. „Aber ich kann nicht … Ich meine, keine von uns datet momentan jemanden. Eve? Tilly?“

Vier Töchter? Ana war sich nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. Doch bevor sie reagieren konnte, stellte Matilda Mr. Harrington schon zur Rede.

„Wartet mal! Sie sagten: vier Töchter! Wir sind aber nur drei.“

Anas Gedanken rasten. Ihr Vater hatte sie also doch nicht vergessen. Matilda drehte sich zu ihr um und starrte sie an.

„Wer sind Sie?“, fragte ihre Halbschwester und klang zu Anas Erstaunen nicht unfreundlich.

„Ana“, erwiderte sie leise und erhob sich von ihrem Stuhl. Unsicher verschränkte sie die Hände, wie sie es immer tat, wenn sie nervös wurde.

Dann stand der Anwalt hinter dem Schreibtisch auf. „Komm nach vorn, Mädchen.“

Sie machte einen kleinen, zögerlichen Schritt auf ihn zu.

„Anastasia, das hier ist Matilda Waverly“, stellte er vor. „Das da ist Rose. Und oben auf dem Bildschirm siehst du Evelyn. Mädels, dies ist Anastasia Horvath.“

Langsam hob Ana die Hand zum Gruß. „Hallo.“

„Ana ist die Tochter eures Vaters“, erklärte der Anwalt. „Eure Halbschwester. Und deshalb steht ihr nach dem Willen des alten Herrn ein gleichwertiger Anteil am Erbe zu. Unter den gleichen Bedingungen.“

Stille. Keiner bewegte sich. Keiner sprach.

Ana ertrug die allgemeine Anspannung mit Fassung. Als Einzelkind hatte sie oft davon geträumt, ihre Schwestern kennenzulernen und dass sie dann gute Freundinnen werden konnten. War das möglich?

Kaum zu fassen, dass ihr Vater sie als gleichberechtigte Nutznießerin in seinem Testament bedacht hatte. Von ihren Halbschwestern hätte sie eher Feindseligkeit erwartet, doch die schienen bloß schockiert und neugierig zu sein. Gab es tatsächlich eine Chance, dass sie sie im Kreise der Familie willkommen heißen würden?

Immerhin waren sie nun alle aufeinander angewiesen, um dieses Erbe zu erhalten. Ein Erbe, das jeder von ihnen Millionen einbringen könnte. Wie sollte Ana damit umgehen? Wie würden ihre Schwestern mit ihr umgehen?

Oh, Connor, warum bist du nicht hier, um mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen? überlegte sie traurig.

Hatte sie ihn für immer von sich gestoßen? Sie waren zusammen aufgewachsen und er war immer für sie da gewesen, hatte sie vor den Tyrannen in der Grundschule beschützt und war stets ihre starke Schulter zum Anlehnen gewesen. Außerdem war er der einzige Mensch neben ihrer Mutter und ihren ungarischen Großeltern, der die Wahrheit über ihren Vater kannte.

Obwohl er bloß zwei Jahre älter war als sie, kam er ihr viel weiser und vertrauenswürdiger vor als jeder andere in diesem Alter. Und jetzt, da sie seinen Rat am meisten brauchte, musste sie ihren Kummer und ihre Sorgen allein bewältigen.

Von ihrem Vater hatte sie eigentlich nichts anderes erwartet als die Fortzahlung ihres monatlichen Unterhalts. Sicher, sie könnte das Erbe ausschlagen. Aber wenn sie das täte, würden ihre Schwestern ihr Geburtsrecht verlieren.

Aber es war auch ihr Geburtsrecht! Der damit verbundene Reichtum würde ihr Leben grundlegend verändern. Sie wäre eine Idiotin, wenn sie das einfach aufgeben würde.

Rose klammerte sich von hinten an eine Stuhllehne und sah auf den Bildschirm. „Evie, wusstest du das etwa? Ist das der Grund, warum …?“

„Ich muss los“, unterbrach Evelyn ihre Schwester und dann wurde das Display schwarz.

„Ähm, Rose?“ Matilda sprach sie nun schon zum zweiten Mal an.

Doch die Älteste von ihnen stürmte schon auf die Bürotür zu. „Ich habe keine Zeit für so was. Immerhin muss ich eine Farm leiten. Ana wird ja vermutlich sowieso eine Weile hierbleiben, oder?“ Und dann war sie weg.

Ein Aufenthalt hier? Auf Garrison Downs? Der Besitz ihres Vaters hatte in Anas Augen einen fast mythischen Status. Sie hätte nie gedacht, dass sie ihn einmal wirklich besuchen würde. Und doch war sie hier – mehr oder weniger willkommen geheißen von ihren Halbschwestern.

Ana nickte und schaute Matilda an, die freundlich zurücklächelte und mit Blick auf die Tür die Achseln zuckte, als wollte sie sagen: Du weißt doch, wie Rose ist. Aber Ana wusste natürlich nicht, wie Rose war. Oder Matilda. Oder Evelyn … Evie, wie sie offenbar genannt wurde. Aber sie wollte ihre Schwestern unbedingt kennenlernen.

Immerhin waren sie eine Familie und saßen alle in einem Boot. Damit eine von ihnen ihr Erbe antreten konnte, mussten alle vier Töchter von Holt Waverly innerhalb eines Jahres verheiratet sein. Sie würden zusammenarbeiten müssen. Und Ana wollte nicht diejenige sein, die den Erfolg der Mission ruinierte.

Das bedeutete: Sie musste einen Ehemann finden.

1. KAPITEL

Melbourne, Dezember, Sommeranfang

Sechs Monate waren seit der dramatischen Verlesung des Testaments ihres Vaters vergangen. Und in weiteren sechs Monaten würde die Frist ablaufen, innerhalb deren alle vier Schwestern heiraten mussten, um ihr Erbe zu sichern.

Leider war Ana mit ihrem Plan, einen Mann zum Heiraten zu finden, keinen Schritt weitergekommen. Sie hatte es versucht, wirklich versucht, nur um dabei immer wieder in einer Sackgasse zu landen. In all den Monaten hatte sie keinen einzigen Mann getroffen, mit dem sie sich auch nur im Entferntesten vorstellen konnte, dauerhaft ihr Leben zu teilen.

Sie und ihre neu gewonnenen Schwestern hatten extrem viel zu verlieren, wenn Ana keinen Ehemann fand. Matilda hatte schon vor längerer Zeit die Bombe platzen lassen, dass sie bereits heimlich verheiratet war – und das auch noch mit einem europäischen Prinzen!

Im August hatten Matilda und Henri dann eine offizielle königliche Hochzeitsfeier in seiner Heimat Chaleur abgehalten. Und im November hatte Eve Nate, den Sohn von George Harrington, geheiratet. Die taffe Rose war zwar immer noch ledig, aber Ana hatte keinen Zweifel daran, dass sie bis zum Ende des Jahres verheiratet sein würde, auch wenn es noch keine Anwärter zu geben schien.

Ana selbst wurde von ihren Halbschwestern aufrichtig geliebt und war in die Familie aufgenommen worden. Auf keinen Fall durfte sie diejenige sein, die alle enttäuschte, indem sie unverheiratet blieb! Unter diesem immensen Druck, begleitet von der Trauer über den Verlust ihres Vaters, hatte sie deutlich an Gewicht verloren. An manchen Tagen traf sie der Schmerz hart und unerwartet: Holt war fort und würde sie nie wieder in Melbourne besuchen.

Doch zur Trauer gesellte sich auch Wut. Warum hatte Apa ihr nie einen Hinweis auf dieses verrückte Testament gegeben? Und hätte sie nicht wenigstens nach dem Tod seiner Frau Rosamund ihre Schwestern kennenlernen können? Es machte sie traurig, dass sie fünfundzwanzig Jahre lang nicht gewusst hatte, welch wunderbare Frauen sie geworden waren.

Nicht, dass ihre Verbindung zu Holt Waverly jetzt weniger geheim wäre, als sie es ihr ganzes Leben lang gewesen war. Sie und ihre Schwestern waren übereingekommen, dass sowohl die Testamentsbedingungen als auch ihre neue Rolle in der Familie geheim bleiben sollten, bis sie alle sicher verheiratet waren. Sonst würden sich die Medien auf die Geschichte stürzen und ihnen das Leben zur Hölle machen.

Das war einer der Gründe, warum sie keinem potenziellen Heiratskandidaten von dem Erbe erzählt hatte, das ihre Ehe mit sich bringen würde. Außerdem wollte sie aus den richtigen Gründen heiraten und nicht bloß eine Vernunftehe auf Zeit eingehen. Aber je mehr sie sich bemühte, den richtigen Mann zu finden, desto gestresster fühlte sie sich.

Ihre Mutter Lili hatte deswegen schon eine Familienversammlung einberufen. Sie war ebenso fassungslos wie Ana über die Bestimmungen in Holts Testament, jedoch auch wegen der Tatsache, dass ihre Tochter endlich ihren Schwestern gleichgestellt war.

„Er hat dich geliebt, das hat er wirklich“, hatte sie Ana unter Tränen gesagt.

Anas Großeltern hingegen hatten Holt weder gemocht noch gebilligt und konnten nicht verstehen, warum ein Erbe im einundzwanzigsten Jahrhundert eine so archaische Heiratsklausel beinhalten durfte.

Zwei Stunden vor der offiziellen Öffnungszeit des ungarischen Restaurants in St. Kilda, das ihre Großeltern in der Nähe vom Strand betrieben, saßen Ana, Lili und ihre Großeltern Dori und Zoltan an einem runden Tisch, während in der Küche zwei Köche mit den Vorbereitungen beschäftigt waren.

Früher hatten ihre Großeltern die ganze Arbeit selbst gemacht. Jetzt, da sie älter wurden, ließen sie es etwas ruhiger angehen. Und natürlich hatte Ana versprochen, ihnen finanziell unter die Arme zu greifen, sollte sie ihr Erbe tatsächlich antreten können. Nachdem die beiden vor vielen Jahren aus Ungarn geflohen waren, hatten sie es in ihrer neuen Heimat anfangs nicht leicht gehabt.

Das Restaurant war schon immer Anas Lieblingsort gewesen. Sie liebte die kreativ zusammengewürfelte Einrichtung mit den polierten Holzböden, den rustikalen Holzstühlen, den Kunstdrucken aus dem alten Budapest, die Aromen der köstlichen ungarischen Speisen und die Atmosphäre der Herzlichkeit und Gastfreundschaft.

Als Kind hatte sie oft an einem dieser Tische gesessen und ihre Hausaufgaben gemacht, bis ihre Mutter nach der Arbeit vorbeikam, um sie abzuholen. Und oft war Connor dabei gewesen.

Ihr Großvater eröffnete die Familiensitzung. „Anastasia, wir können nicht riskieren, dass du deinen Anteil an den Milliarden deines Vaters verlierst, weil du zu wählerisch bist.“

Ihre Mutter blickte ihn an und wies ihn zurecht. „Sei nicht zu hart mit der Kleinen!“

„Ich habe nachgedacht“, fuhr der alte Mann unbeirrt fort. „Vielleicht müssen wir das Netz für die Suche nach einem Ehemann etwas weiter spinnen.“ 

„Das Netz spinnen?“ Ana verzog das Gesicht. „Das klingt ja furchtbar. Als wäre ich auf der Jagd. Habt ihr mal darüber nachgedacht, dass ich die Männer vielleicht abschrecke, weil ich zu sehr auf eine Beziehung aus bin? Und zu bedürftig wirke?“

Es war schon auffällig, wie wenig die Männer auf ein zweites Date drängten.

„Oder die, die ernsthafte Absichten haben, spüren, dass du nicht wirklich heiraten willst“, wandte ihre Mutter ein.

„Möglich“, gab Ana zu und rutschte voller Unbehagen auf ihrem Stuhl hin und her.

Sie hatte geglaubt, die Ehe würde noch in weiter Ferne liegen. Mit ihren fünfundzwanzig Jahren wollte sie unabhängig sein und ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen leben, nicht nach denen eines anderen. Der Reichtum, der ihr durch das Erbe zuteilwerden könnte, würde ihr andererseits erst die Chance dazu geben. Dann könnte sie ihren langweiligen Job als Buchhalterin bei der Versicherungsgesellschaft aufgeben und sich mehr auf ihr aufstrebendes Online-Schmuckgeschäft konzentrieren.

Diese Klausel im Testament war einfach lächerlich und ungerecht. Evelyn hatte versucht, sie anzufechten, aber die Bedingung schien in Stein gemeißelt zu sein.

Anas Großmutter schüttelte den Kopf. „Das Problem bist nicht du, Schätzchen. So hübsch und klug und freundlich, wie du bist. Du würdest dem richtigen Mann eine wundervolle Ehefrau sein. Es sind diese fürchterlichen Dating-Apps, auf die ihr jungen Leute euch verlasst. Das hast du doch gar nicht nötig!“

„Wie wär’s, wenn ich helfen würde?“, schaltete sich ihr Großvater ein. „Meine Freunde im ungarischen Klub geben ständig mit ihren Enkeln an. Ich könnte ja mal fragen, ob einer von ihnen …“

„Nein, bloß nicht!“, protestierte Ana. „Vielen Dank für eure Ideen, aber ihr müsst mich nicht verkuppeln.“

„Schatz, dir bleiben nur noch sechs Monate Zeit, um zu heiraten“, rief ihre Mutter ihr in Erinnerung. „Da solltest du für alle Möglichkeiten offen sein, oder?“

Ana zuckte mit den Schultern. „Vielleicht reicht eine Aktualisierung meiner Profile im Internet. Du weißt schon, um mich besser zu präsentieren. Ich dachte daran, Connor um Hilfe zu bitten.“

„Connor? Aber wohnt der nicht in Sydney?“, wunderte sich ihr Großvater.

„Er ist wieder in Melbourne.“ Ana warf einen Blick auf die Uhr. „Und sollte eigentlich bald hier sein, um mich zu treffen.“

Kurz nach der Testamentseröffnung hatte er sich bei Ana gemeldet, um ihr etwas kleinlaut mitzuteilen, dass sie mit seiner Freundin recht behalten und er mit ihr Schluss gemacht hatte.

Die Mienen ihrer Familienmitglieder hellten sich auf. Sie alle liebten Connor und kannten ihn schon ewig. In ihren Augen war er für Ana stets so etwas wie ein großer Bruder gewesen.

Ihre Oma stand auf und scheuchte auch Zoltan hoch. „Los, wir müssen Gulyas für ihn vorbereiten! Das ist sein Lieblingsessen.“

Ana lachte. Nachdem ihre Großeltern in der Küche verschwunden waren, schwelgten sie und ihre Mutter in Erinnerungen daran, wie sehr Connor als Teenager immer darauf aus gewesen war, mit ihnen im Restaurant zu essen. Er war energiegeladen gewesen, extrem sportlich und schien immer hungrig zu sein.

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