Gezähmt von deinen Küssen

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In den schottischen Highlands tobt ein äusserst ungewöhnlicher Krieg: Der stolze Clanführer Tarr of Hellewyk will die temperamentvolle und mutige Fiona MacElder zu seiner Gemahlin machen. Doch die schöne Widerspenstige widersetzt sich. Sie will nur aus Liebe heiraten! Nachdem sich Tarrs unbändiger Zorn darüber gelegt hat, erwacht tiefe Bewunderung für Fiona in ihm. Und als er der hinreissenden Frau die ersten Küsse entlockt, flammt in ihm glutvolles Verlangen auf. Aber der sonst so ungeduldige Tarr kann warten: Erst wenn Fiona sich nach seinen Zärtlichkeiten seht, soll sie sein werden ...


  • Erscheinungstag 24.10.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769352
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Im Jahr 1508 schließt der Clanführer Tarr of Hellewyk mit Leith MacElder einen Pakt. Tarr soll Leiths Cousine Fiona ehelichen, um die beiden Stämme miteinander zu vereinen. Doch das Eheabkommen scheint zu scheitern: Stolz widersetzt sich Fiona, denn sie ist entschlossen, nur aus Liebe zu heiraten. Um die Widerspenstige zu zähmen, entführt Tarr sie kurzerhand auf seine Burg. Aber noch will Fiona sich nicht beugen. Viel zu erregend ist das heiße Spiel zwischen Tarr und ihr. Im dunklen Verlies erliegt sie fast seinem ungestümen Werben, doch erst wenn er von Gefühlen spricht, will sie ihn erhören!

1. KAPITEL

Nordschottland, im Jahre 1508

„Den Kerl ehelichen? Lieber schmore ich in der Hölle!“ Fionas Stimme war so glasklar wie ihre strahlend grünen Augen. „Es ist mein gutes Recht, mir meinen Gemahl selber auszusuchen. Und wenn ich nicht heiraten will, dann ist das auch ganz allein meine Sache. Mag Leith Anführer des MacElder-Clans sein …“

Sie verfiel in Schweigen, wusste sie doch nur zu gut, dass ihr Protest wenig auszurichten vermochte.

„Unser Cousin Leith wird seinen Kopf durchsetzen.“ Ihre Zwillingsschwester Aliss bestätigte bloß, was Fiona ohnehin klar war.

Die Arme um die angewinkelten Knie geschlungen, starrte Fiona in den kleinen Fluss, der fast unmittelbar vor ihren bestiefelten Füßen dahinplätscherte. Diese Wendung kam für sie unerwartet. Zwar hatte sie läuten hören, ein mächtiger Clanführer befände sich auf Brautsuche, doch im Grunde interessierte sie das nicht. Ursprünglich fest entschlossen, sich ihren Zukünftigen selber zu wählen, sah sie sich allerdings nun mit einer ganz neuen Lage konfrontiert.

„Nach Ansicht von Leith würde diese Verbindung dem Nutzen unseres Clans dienen“, sagte Fiona. „Viele pflichten ihm bei. Es heißt, Tarr of Hellewyk werde vor nichts zurückschrecken, um sich noch mehr Land und Macht zu sichern. Nach dem Tode seines Vaters ist er seit kurzem Oberhaupt seines Clans geworden. Mit neunundzwanzig Jahren! Und da sein Anwesen an den Grund und Boden der MacElders grenzt …“ Schulterzuckend brach Fiona mitten im Satz ab.

„… fürchtet unser Clan, er könnte uns angreifen wollen“, vollendete Aliss für ihre Schwester. „Mithin empfiehlt es sich, ihn zum Freunde statt zum Feinde zu haben.“

In stummer Verbundenheit saßen die Zwillingsschwestern am Flussufer. Der Herbst ließ noch auf sich warten, die Sommerwärme hielt an und ermöglichte den Pflanzen eine späte Blüte.

Was sich in den vergangenen Monaten zugetragen hatte, leuchtete Fiona nicht recht ein. Die Kunde, dass Tarr of Hellewyk eine Ehefrau suche, verbreitete sich in sämtlichen Clans, und manche Frau war angetan von dem mächtigen Krieger. Wieso also fiel seine Wahl ausgerechnet auf eine, die keinerlei Interesse an ihm hegte?

Vor etwas mehr als einer Woche hatte Leith ihr eröffnet, als Anführer des MacElder-Clans habe er mit Tarr of Hellewyk vereinbart, dass sie dessen Braut werden solle. Sie hatte ihn ausgelacht. Mit vor Zorn hochrotem Gesicht hatte er sie angeschrien, sie habe gefälligst ihre Pflicht gegenüber ihrem Clan zu erfüllen.

Sie hatte mehrere Frauen des MacElder-Clans aufgeführt, die sich liebend gerne für eine derartige Übereinkunft zur Verfügung gestellt hätten. Leith aber blieb hart; sie war die Auserkorene, basta. Und nun sollte sie einen Fremden heiraten. Die Vorstellung, nie ihren Traum wahrmachen und sich ihren Herzliebsten selber wählen zu dürfen, wurmte sie und hatte ihr eigensinniges Naturell auf den Plan gerufen. Also ließ sie allenthalben verkünden, sie werde Tarr of Hellewyk unter keinen Umständen heiraten. Im Clan beschimpfte man sie als selbstsüchtig, viele sprachen kein Wort mehr mit ihr, während sich andere wieder unverhohlen über sie lustig machten.

Aliss unterbrach Fionas Gedanken. „Dass wir einmal getrennt werden könnten, darüber habe ich nie nachgedacht.“

Fiona ballte die Hände über den Knien zu Fäusten. „Wir werden nicht getrennt!“

„Tarr of Hellewyk wird sich nicht noch zusätzlich eine

Schwägerin aufbürden.“

„Er kriegt mich nicht zur Frau und demzufolge auch keine Schwägerin. Und Zwillinge zu trennen – schon der Gedanke zeugt von Selbstsucht.“ Nötigenfalls würde sie bis aufs Messer kämpfen, um bei ihrer Schwester zu bleiben, das wusste Fiona.

„In diesem Augenblick plant man bereits deine Heirat mitsamt allen Konsequenzen“, mahnte Aliss.

„Die glauben, wir hätten dabei nicht mitzureden.“ Fiona hob einen kleinen Ast vom Boden auf und brach ihn mit ihren Fingern entzwei. Die Vorstellung, das dürre Stöckchen sei ihres Zukünftigen Genick, ließ die Anspannung ein wenig von ihr abfallen.

Aliss rückte näher an ihre Schwester heran. „Hast du eine Idee?“

Fiona warf das Reisig beiseite, ihr Gesicht war auf einmal ein einziges Lächeln. „Sagen wir so: Ich habe einen Plan, der möglicherweise glücken könnte. Leicht wird’s nicht, doch er wird die Vermählung allemal hinauszögern und letzten Endes vielleicht sogar verhindern, dass dieseVerbindung überhaupt zustande kommt.“

„Lass hören!“

„Leith zufolge sucht Tarr ein robustes Weibsbild, das ihm gesunde Stammhalter schenkt. Selbst als ich nachdrücklich darauf verwies, er habe doch die freie Auswahl an Frauen mit den von ihm geforderten Eigenschaften, gab Leith zurück, keine von denen könne es in puncto Beherztheit mit mir aufnehmen. Meine Heirat mit Tarr, so Leith, erfülle zwei Zwecke zugleich: Einerseits wäre er mich los, andererseits gewänne er einen mächtigen Verbündeten.“

„Unser Cousin hatte die Heirat schon die ganze Zeit in seinem Kopf?“, fragte Aliss bestürzt.

„Und mir verheimlicht, bis er glaubte, nun bliebe mir nichts anderes übrig, als mich seiner Weisung zu fügen.“

Aliss lachte. „Er hat dich immer schon unterschätzt.“

„Uns“, stellte Fiona klar. „Denn mein Einfall betrifft uns beide.“

„Wie das?“

„Als Zwillingsschwestern sind wir ja kaum voneinander zu unterscheiden. Wenigstens bei den entscheidenden Merkmalen. Wir beide haben hellrotes Haar, grüne Augen und wohlgestaltete Hüften. Selbst im Clan hält man uns nur mit Mühe auseinander. Was uns trennt, ist lediglich unser unterschiedliches Naturell.“

Aliss nickte bedächtig.

„Ich gelte als durchsetzungsstark und unverblümt, reite und jage gern, interessiere mich für Waffen. Du hingegen bist …“

„… zurückhaltend und sanftmütig“, fügte Aliss hinzu. „Mit einer Vorliebe für Heilkräuter und diese Dinge.“

„Doch unabhängige Geister sind wir beide.“ Fiona betonte diese Worte besonders. „Wenngleich so mancher behauptet, du wärst zu sehr von mir abhängig, was in erster Linie an deiner Gutmütigkeit liege – von deinem mutigen Wesen wissen sie nichts. Und auf eben diese Stärke musst du dich besinnen, so wir diesen Plan tatsächlich durchführen sollen. Wir werden unsere gegensätzlichen Wesensarten vereinigen müssen, auf dass man die eine Schwester nicht von der anderen unterscheiden kann. Du wirst häufiger als sonst aus dir herausgehen, ein wenig forscher auftreten …“

„… und du wirst nicht umhinkommen, dich etwas zu zügeln, sowohl hinsichtlich der Sprache als auch deiner vorwitzigen Art.“

„Und weißt du, was das Allerbeste ist?“ Fiona hatte ihre Stimme zu einem Flüstern gesenkt. „Es ist keinem bekannt, dass wir uns beide trefflich genug in die andere hineinversetzen können, damit man uns diesen Mummenschanz auch abnimmt. Niemand wird etwas merken.“

„Wenn wir ähnliche Fähigkeiten unter Beweis stellen, wird uns tatsächlich kein Mensch unterscheiden können.“

„Leith wird seinen Unmut gewiss nicht verhehlen.“ Es hatte den Anschein, als müsse Fiona jeden Augenblick in schallendes Gelächter ausbrechen. „Es wird mir ein besonderes Vergnügen sein, wenn er sich windet und von uns Gehorsam verlangt. Freilich, er wird uns drohen, doch was soll er uns schon anhaben? Er kann uns ja nicht einmal auseinanderhalten! Da sind ihm die Hände gebunden.“

„Wir dürfen Tarr of Hellewyk nicht außer Acht lassen“, mahnte Aliss.

Jetzt lachte Fiona wirklich. „Der wird diesmal seinen Willen nicht bekommen.“

„Worauf er sehr erbost reagieren dürfte.“

„Das hat er davon! Geschieht ihm ganz recht, wenn er sich zum Narren macht. Kommt einfach daher und verlangt, dass ich ihn heirate und ihm Kinder gebäre! Obwohl wir einander nie begegnet sind.“

„Nichtsdestotrotz müssen wir uns vorsehen“, gab Aliss zu bedenken. „Er steht im Rufe, seinen Kopf durchzusetzen, koste es, was es wolle.“

„Wenigstens etwas, das er mit mir gemeinsam hat.“

„Man sagt, für ihn gelte allein der Sieg.“

Fiona hob die Schultern. „Dann ist es wohl an der Zeit, dass er einmal die Niederlage kostet.“

„Hoffen wir, dass er unseres Spielchens überdrüssig wird und beschließt, uns bald in Ruhe zu lassen.“

„Wir werden nicht nachlassen, bis er einsieht, dass es für ihn vergebene Liebesmüh ist.“

„Hoffentlich hast du Recht“, entgegnete Aliss, wobei sie sich vorsichtshalber hastig bekreuzigte. „Denn andernfalls werden wir die Folgen seines Zorns zu spüren bekommen. So mancher, hörte ich sagen, erzittert im Angesichte des mächtigen Kriegers. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was er in seiner Raserei alles anstellen könnte.“

„Ach, welcher Mann fährt nicht gern aus der Haut? Sie plustern sich auf, die Mannsbilder, krakeelen herum, stellen Forderungen und Ansprüche und machen sich allgemein zum Esel.“

Aliss lachte. „Kein Wunder, dass du mit deinen einundzwanzig Jahren noch nicht unter der Haube bist. Bei dieser hohen Meinung vom starken Geschlecht.“

„Muss ich dich etwa daran erinnern, dass es auch dir an einem Ehekandidaten mangelt?“

Alice verbarg das Lachen hinter vorgehaltener Hand. „Dass du mir bloß nicht vorwirfst, das läge an mir“, warnte Fiona.

Die Antwort ihrer Schwester wurde vom Lachen fast verschluckt. „Du vergraulst mir schließlich die aussichtsreichsten Anwärter.“

„Ich bin ja auch deine ältere Schwester.“

„Ach, um ganze zehn Minuten.“

„Älter trotzdem, weshalb ich für dich Verantwortung trage. Bis jetzt allerdings hat sich noch kein männliches Wesen deiner als würdig erwiesen.“ Wieder einmal kehrte Fiona ihre Beschützerrolle hervor. „Und erzähle mir bloß nicht, unter den Freiern hätten sich ansprechende Bewerber befunden! Wärst du auf einen aufmerksam geworden, so hätte ich mich nicht eingemischt.“

„Ich gebe ja zu, dass ich mit meinem Leben, so wie es ist, durchaus zufrieden bin. Die Kräuterkunde, das Studium der Heilkunst, all das bereitet mir Freude. Ich weiß gar nicht, ob ich für einen Ehemann überhaupt Zeit hätte.“

„In letzter Zeit denke ich durchaus über einen Gemahl nach“, gestand Fiona. „Die Erinnerung daran, wie innig und herzlich unsere Eltern sich liebten, die hat in mir die Erkenntnis geweckt, dass ich mir das auch für mich selber wünsche. Ich kann mich nicht entsinnen, dass zwischen den beiden jemals ein böses Wort fiel, obgleich es uns nicht entging, wenn sie sich in die Haare gerieten. Aber es währte nie lange, bis einer von beiden über seinen Schatten sprang, und kurz darauf versöhnten sie sich und lächelten wieder.“

„Und dann die Geschichte, wie Vater unsere Mutter aus der Ferne verehren musste! Weil er den Mut nicht aufbrachte, sich ihr zu offenbaren – bis er ihr eines Tages …“

„… einen Klaps aufs Hinterteil versetzte und Mutter ihm daraufhin gewaltig die Ohren lang zog“, ergänzte Fiona lachend.

„Puterrot ist er geworden. Schier die Sprache hat’s ihm verschlagen.“

„Sodass es Mutter dermaßen erbarmte, dass sie ihn tröstete.“

„Er bat sie um Verzeihung, und anschließend hielt er gleich um ihre Hand an“, sagte Aliss verträumt.

„Und von Stund an blieben sie unzertrennlich … bis zu Vaters Tod.“

Aliss versuchte ihre Tränen zu unterdrücken. „Sie fehlen mir so.“

„Mir auch. Und stets fällt mir ein, wie sehr Mutter daran lag, dass auch wir uns nie trennen, dass wir beisammen bleiben und aufeinander aufpassen sollen, bis …“

„… wir beide die Liebe gefunden hätten.“

Den Ellenbogen aufs Knie gestützt, schmiegte Fiona das Kinn in die Hand. „Ich wünsche mir, dass ich die Liebe finde – oder die Liebe mich. Dass Amors Pfeil mich träfe, wenn ich’s gar nicht erwarte. Dass mein Herz schneller schlägt, wenn ich den Mann meines Lebens erblicke, dass sich die Liebe in seinen Augen spiegelt, sobald er mich ansieht. All das bleibt ein Ding der Unmöglichkeit, sollte man mich zwingen, einen Fremden zu ehelichen.“

Aliss erhob sich und bot der Schwester die Hand. „Lass uns aufbrechen, denn Leith ist sicher schon zornig auf uns. Wir trödeln, obwohl er uns hat rufen lassen.“

Fiona erfasste die dargebotene Hand. Sie wusste, es war eine symbolische Geste. Die Zwillingsschwestern schlossen einen Bund, einen Pakt, der für beide gefährlich enden konnte. Zusammen aber waren sie willens, dieses Wagnis in Kauf zu nehmen und alles für das Gelingen zu tun.

Nach kurzem Ruck stand auch Fiona auf den Beinen, ein gespanntes Lächeln auf dem Gesicht. „Ist dir eigentlich bewusst, dass wir es gar nicht nötig haben, uns zu verstellen und als die jeweils andere auszugeben? Wir brauchen unser Naturell nur hie und da zu tauschen, und niemand wird’s merken!“

„Es klingt einfach, doch müssen wir sehr achtgeben, wenn wir die Leute auch wirklich hinters Licht führen wollen.“

„Und in Gegenwart von Tarr sollten wir umso mehr auf der Hut sein“, sagte Fiona. „Ein Krieger wird unser Tun und Trachten wachsam verfolgen. Besonders wird es ihn fuchsen, wenn er erkennt, wie schwer es ihm fällt, die eine von der anderen zu unterscheiden.“

„Hoffentlich wird er der Sache bald überdrüssig sein und Ruhe geben.“

„Und falls nicht?“ Für einen Moment war Fiona verunsichert. Marschierte man in die Schlacht, dann, so wusste sie, empfahl es sich, vorher sämtliche Möglichkeiten in Betracht gezogen zu haben. „Was ist, wenn er sich einfach eine von uns schnappt und die Heirat verlangt? Weil er glaubt, die Mutigere von uns beiden wird eingreifen, um die Zwillingsschwester zu retten?“

Bei diesem erschreckenden Gedanken verblasste das Lächeln auf Aliss’ Antlitz. Fiona hingegen wurde wieder zuversichtlicher. „Falls es so kommen sollte, verwandeln wir uns beide in schwächliche Frauenzimmer, die jammern und klagen und ihn um Gnade anflehen. Das wird ihn bestimmt dermaßen anwidern, dass er es sich zweimal überlegt, ob er solch eine Heulsuse zu seiner Frau nehmen sollte.“

„Eine wunderbare Lösung“, lobte Aliss.

„Alles nur Teil des Plans“, winkte Fiona ab. „Wir ziehen in eine Schlacht, die ganz anders verläuft als jene, welche der erfolgreiche Kriegsmann gewohnt ist. Nämlich in eine, in der mit dem Verstand gefochten wird!“

2. KAPITEL

„Wir sehen ja zum Fürchten aus“, rief Aliss, wobei sie versuchte, sich Heu und Schmutz von ihrem braunen Wollrock zu schütteln und gleichzeitig mit ihrer Schwester Schritt zu halten.

Fiona machte sich gar nicht erst die Mühe, die Heuhalme, die ihr an der weißen Leinenbluse klebten oder aus dem roten Haarschopf herausragten, zu entfernen. „Am besten erscheinen wir so struppig, wie wir sind, dann findet Tarr of Hellewyk vielleicht etwas an uns auszusetzen.“

„Noch besser wär’s, er hätte mitbekommen, wie wir im Heu herumbalgten, denn dann würde er uns vielleicht für verrückt erklären. Dann würde er womöglich gar nichts mit uns zu schaffen haben wollen.“

„Das wird er sowieso nicht mehr, wenn wir erst mit ihm fertig sind“, versicherte Fiona. „Im Übrigen blieb uns nach Leiths zweitem Aufruf keine Zeit mehr, uns noch zurechtzumachen. Seine Botschaft war unmissverständlich: zum Gemeinschaftshaus, und zwar auf der Stelle!“

„Dann wollen wir ihn nicht warten lassen.“ Schmunzelnd beschleunigte Aliss ihre Schritte, so dass es diesmal die Schwester war, die Mühe hatte zu folgen.

Beim Betreten des Gemeinschaftshauses sahen sie, dass der Clan schon versammelt war. Offenbar wartete er auf die letzten Absprachen, die die Sicherheit der MacElders verbürgen würden, indem man sich mit dem Hellewyk-Clan verbündete. Als aber die Angehörigen des Stammes die beiden zerzausten Zwillingsschwestern gewahrten, zeigte sich großes Erstaunen in ihren Augen. Vor Bestürzung blieb so mancher Mund offen stehen, entgeistert schüttelte man die

Köpfe, und ein Geraune erfüllte den ganzen Saal.

Bald wurden aus den geflüsterten Bemerkungen anzügliche Kommentare. Ein Grinsen überzog so manches Gesicht, und schon wurden Wetten abgeschlossen, wie wohl das erste Treffen zwischen Tarr of Hellewyk und Fiona aus dem MacElder-Clan ausgehen werde.

Für einen Augenblick hielten die Schwestern inne und ließen ihre Blicke durch die Halle schweifen. Normalerweise wurden hier Streitigkeiten beigelegt, Feste gefeiert und wichtige Angelegenheiten zwischen den Ältesten und dem Clanführer besprochen. Das Gemeinschaftshaus war ein Bau von beträchtlicher Größe, mit Reet gedeckt, die Wände aus einem Gemisch aus Lehm und Astwerk. Fast sämtliche Clan-Angehörigen fanden in seinem Innern Platz. Tische sowie Holzbänke füllten den größten Teil des Saales, ein riesiger Kamin nahm fast die gesamte Längswand ein. An diesem Tag war der Raum brechend voll, so dass die Männer nicht nur auf den Bänken hockten, sondern sogar die Tische als Sitzgelegenheiten benutzten. Nicht alle Anwesenden trugen die Farben des MacElder-Clans, nämlich Gelb, Grün und Rot, sondern einige auch das grün-schwarze Muster der Hellewyks.

Leith, der Cousin der beiden Schwestern, stand im hinteren Teil des Saales, den Humpen in der Hand. Breitschultrig und von hohem Wuchs, mit kräftigen Hüften, langem braunen Haar und einer eigenwillig gebogenen Nase, war er mit fünfundzwanzig seinem verstorbenen Vater Tavish als Führer des Clans gefolgt. Anscheinend war er blendender Laune, denn er lachte und hob des Öfteren seinen Krug. Als er indes der Zwillinge ansichtig wurde, hielt er wie erstarrt beim Trinken inne. Auf einmal bewegte sich hinter ihm ein alles überragender Schatten, langsam zuerst, doch dann in einer Weise, als löse er sich von Leith, um selber Form und Gestalt anzunehmen. Schließlich tauchte dieser Schatten aus dem Hintergrund auf, ein Hüne von einem Mann, der sich direkt neben Leith stellte.

Es hatte den Anschein, als sei er fast einen Kopf größer als der MacElder-Clanführer, und ausnahmsweise war Fiona froh, dass sie selber kaum kleiner als ihr Cousin war. So brauchte sie sich nicht zwergenhaft zu dünken vor diesem Riesen, diesem Tarr of Hellewyk, denn kein anderer konnte dieser Mann sein.

Seine Haltung war die eines stolzen und selbstbewussten Mannes. Er war muskulös gebaut, das Gesicht war markant, mit scharf geschnittenen Zügen, das glänzend kastanienbraune Haar fiel ihm über die Schultern.

Das grün-schwarze Plaid seiner Schottentracht hatte er eng um die breiten Schultern geschlungen und quer über dem kraftvollen Brustkorb gekreuzt, darunter trug er ein blassgelbes Linnenhemd sowie an den Füßen braune Lederstiefel. Im Gürtel steckte sein Schottendolch, der Dirk; das legendäre zweihändig zu benutzende Claymore-Schwert war diagonal auf den Rücken geschnallt, so dass der versilberte Griff über den Scheitel hinausragte. Im Ganzen wirkte er eher einschüchternd als freundlich, und in seinen dunklen Augen lag ein warnender Blick. Einem solchen Mann wollte man nicht im Dunklen begegnen.

Fiona spürte die Angst ihrer Schwester und umfasste fest die Hand von Aliss, womit sie gleichzeitig den Eindruck erweckte, als sei sie die schwächere der Zwillinge. Aliss nahm die Hand dankbar an und trat einen Schritt vor, ließ dabei aber Fiona nicht los. Und während Fiona sich ihrem energischen Schritt anschloss, gingen sie auf die beiden Männer zu und blieben vor Leith und Tarr stehen.

Ihr Cousin schaute von der einen zur anderen Schwester, die braunen Augen geweitet, als habe er einen Schrecken bekommen. Seine Wangen begannen sich rot zu verfärben, die Nasenlöcher weiteten sich, als stünde er kurz vor einem Wutausbruch.

„Euer Auftreten kommt einer Beleidigung gleich!“

Das Kinn trotzig gereckt, giftete Aliss scharfzüngig zurück: „Du verlangst unser sofortiges Erscheinen, und jetzt willst du uns beleidigen?“

Sein Gesicht rötete sich noch stärker. „Du wusstest, Fiona, dass Hochzeitsvorbereitungen anstehen.“

„Gegen meinen Willen!“

Leiths Kopf bewegte sich mit einem Ruck nach links. Böse starrte er jene Schwester an, die er für Aliss hielt. „Was für ein Spiel treibt ihr da?“ Wieder ließ er den Blick zwischen den beiden hin und her wandern, ehe er seinen Humpen derart heftig auf die Ecke einer Tischplatte knallte, dass das Ale über den Rand schäumte. „Fiona! Tritt vor!“

Die Zwillinge ließen sich los und machten beide, die Arme über der Brust verschränkt, einen Schritt nach vorn.

Kopfschüttelnd schaute Leith die Schwestern an, streckte den Arm aus und packte Aliss. „Mich führst du nicht an der Nase herum, Fiona. Heute noch wirst du Tarr of Hellewyk heiraten!“

Sofort verlegte Aliss sich aufs Bitten und Flehen. „Nicht doch, ich bitte dich! Zwinge mich nicht zu dieser Ehe!“

Unverzüglich gab Leith sie frei, auf dem Gesicht ein selbstgefälliges Grinsen. Das aber verging ihm sogleich, als Fiona in das Gejammer einstimmte, bis beider Schwestern Gezeter kaum zu ertragen war.

„Genug!“ Wie ein Donnerhall erklang dieses eine Wort, das die Wände erzittern ließ. Die Männer im Saal fuhren erschrocken zusammen. Schlagartig herrschte Schweigen.

Tarr trat vor, den strengen Blick zunächst auf die Zwillingsschwestern gerichtet und dann auf Leith. „Du sagtest doch, es sei alles geregelt!“

„Fiona hat nun einmal einen eigenen Kopf.“

„Und wie verhält es sich mit ihrem Gehorsam gegenüber dem Clanführer?“ Prüfend musterte Tarr die beiden Schwestern, seinen dunklen Augen waren furchteinflößend. „Ich werde Fiona heiraten. Also wird sie sich gefälligst offenbaren.“

Aliss und Fiona erwiderten nur zornig seinen Blick, ohne sich indes von der Stelle zu rühren.

Die Arme über der Brust verschränkt, umkreiste Tarr die Zwillinge. „Man merkt keinen Unterschied zwischen den beiden, und wenn sich die Schwächere stärker stellen kann, verfügt sie über den Mut, den ich suche. Diese werde ich wählen.“

„Verfügt sie aber auch über die gewünschte Stärke?“, erkundigte Aliss sich.

Fiona musste lächeln, denn die Bemerkung der Schwester klang derart scharf, dass man meinen könnte, sie stamme von ihr selber.

Tarr ließ die Arme sinken und trat ganz nah an Fiona heran. Beide verharrten in Schweigen. Im warmen Farbton seiner sonnengebräunten Haut fielen zwei kurze, schmale Narben auf, eine quer durch die Augenbraue, die zweite und erheblich auffälligere seitlich am Wangenknochen, direkt unterhalb des Auges. Abgesehen von diesen beiden Blessuren zeigte sein Gesicht keine weiteren Makel. Seine dunklen Brauen waren nicht allzu buschig, dafür aber dicht und über den Augen gebogen, ein Maler hätte sie perfekter nicht gestalten können. Die anfangs ihr schwarz erschienenen Augen waren in Wahrheit von einem tiefen Braun, mit goldenen Sprenkeln, die aber nur dann sichtbar wurden, wenn der Feuerschein sie erfasste und aufblitzen ließ.

Er war zwar, so sah es Fiona, ein düsterer Gesell, doch auf eine durchaus ansehnliche Weise.

„Da Ihr mich nun in Augenschein nehmen konntet, Fiona – wie steht’s? Was sagt Ihr zu meinem Angebot?“

Sie lachte, um ihr Erschrecken darüber, dass er sie erkannt hatte, zu kaschieren. „Um Euch angemessen einzuschätzen, dazu reicht ein Blick nicht. Um einen Mann in seinem Wesen zu erfassen, braucht es Zeit. Und Ihr, Ihr könnt doch gar nicht wissen, wen Ihr vor Euch habt oder was für eine Frau ich bin.“

„Stärke, Ehre, Mut – diese drei Dinge besitzt Ihr wohl, würde ich meinen.“

In diesem Moment meldete Aliss sich zu Wort, wobei sie Tarr of Hellewyk mit bedächtigem Blick musterte. „Auch Ihr, so dünkt mich, zeichnet Euch durch drei Züge aus, Ihr seid dünkelhaft, anmaßend und reizbar.“

Ein empörtes Raunen erfüllte den Saal, überlagert indes vom donnernden Gelächter des Gastes. „Eure Zunge ist scharf und schnell“, befand er, nachdem sein Lachen abgeebbt war.

„Das muss Fiona sein“, hob Leith mit Nachdruck hervor, indem er sich neben Tarr aufbaute.

„Bist du dir dessen sicher?“, fragte Fiona. Und während die zwei Männer Aliss noch begutachteten, postierte sie sich neben ihrer Schwester. Sie glichen sich tatsächlich wie ein

Ei dem anderen. „Nun sag mir, ob du noch immer genau weißt, dass ich Fiona bin!“

Leith machte den Mund auf, brachte indes kein Wort hervor. Tarr blickte ungerührt von einer Zwillingsschwester zur anderen.

„Fiona möge vortreten“, gebot Leith scharf. „Ich verlange es!“

Die Frauen sahen sich an, blickten dann auf ihren Cousin und prusteten los. Auch Tarr, das fiel Fiona auf, musste sich das Schmunzeln verkneifen; seine Mundwinkel zuckten verdächtig, ehe sich wieder ein strenger, unnachgiebiger Ausdruck über des Hünen Miene legte. Dass er das Ganze offenbar lustig fand, ließ ihn schon etwas weniger furchterregend erscheinen.

„Ich muss erst in ein paar Tagen die Heimreise antreten“, bemerkte er mit einem Blick auf Aliss. „Ich kann mich gedulden.“

„Die Zeit wird Euch nichts nützen“, erwiderte diese. „Wir wünschen keine Vermählung.“

„Was Ihr wünscht oder nicht, tut nichts zur Sache. Es wurde ein Ehevertrag geschlossen, und dieser ist einzuhalten.“

„Das wird sich erweisen“, konterte Fiona herausfordernd.

Tarr trat so dicht an sie heran, dass beider Gesichter sich beinahe berührten. „Die Entscheidung ist gefallen. Bevor ich diesen gastlichen Ort verlasse, wird eine Hochzeit stattfinden.“

„Wer aber soll Eure Braut werden?“

„Fiona. Dessen bin ich mir sicher.“ Tarr wich zurück und befahl, ohne Leith auch nur eines Blickes zu würdigen: „Herein mit Speise und Trank! Es gibt etwas zu feiern!“

Die beiden Schwestern wichen zur Seite, denn auf einmal eilten die Mägde herein, beladen mit Tabletts voller Schüsseln. Im Handumdrehen waren sämtliche Tische mit Männern und Frauen besetzt. Das Fest begann.

Hungrig wollte sich Fiona den auf dem Speisebrett liegenden, trefflich gewürzten Lammbraten schmecken lassen, als ihr bewusst wurde, dass ihr Appetit im Allgemeinen den ihrer Schwester bei weitem übertraf. Falls sie zulangte wie sonst, würde sie damit zweifellos ihre Identität preisgeben. Das Problem war nur: Sie hatte ihre Zweifel, dass Aliss so viel verspeisen konnte, wie es Fiona gewöhnlich tat. Es blieb Fiona keine Wahl, als vorerst ebenso zurückhaltend zuzugreifen wie Aliss – und sich dann später, nach der Rückkehr in ihr Cottage, satt zu essen.

Sie sah, wie Aliss ihr einen Blick zuwarf. Offensichtlich hatte diese die Lage erfasst und wartete ab. Also fischte Fiona sich ein kleineres Stückchen vom Braten heraus und knabberte daran herum, woraufhin Aliss es ihr mit einer ähnlich bescheidenen Portion nachtat. Einzig Fiona bemerkte, wie erleichtert Aliss war.

Zu Tarrs Rechter sitzend, bekam Fiona natürlich mit, wie herzhaft er sich das Essen schmecken ließ, so dass sie ihn im Stillen beneidete und stumm verfluchte. Dessen ungeachtet musste sie sich eingestehen, dass seine Manieren nicht so schrecklich waren wie bei der Mehrzahl der schottischen Männer. Und reinlicher als die meisten war er auch noch. Vorhin, als er vor ihr stand, da hatte er geduftet nach frischer Erde und Harz, und sein langes Haar glänzte, als wäre er gerade aus dem Zuber gestiegen. Nun ja, er war ja auch davon ausgegangen, er werde an diesem Tage Hochzeit feiern. Zumindest war er so rücksichtsvoll gewesen, um seiner Zukünftigen willen ein Bad zu nehmen.

Verärgert darüber, dass ihre Gedanken sich dauernd um Tarr of Hellewyk drehten, griff sie erneut nach dem Braten und riss sich ein Stück davon ab, das sie sich ihrer Meinung nach sicherlich noch erlauben konnte. Aliss hingegen hätte ein solch üppiges Teil nie und nimmer herunterbekommen.

Sie lächelte dabei und bot das Stück zögernd dem neben ihr sitzenden Hünen dar.

„Aha, Aliss“, mahnte da Leith, wobei er Fiona mit dem Finger drohte und sich an der wahren Aliss vorbeilehnte. „Nur Aliss wäre so rücksichtsvoll. Fiona würde von ihrer Portion kaum etwas abgeben.“

Tarr nahm das dargebotene Fleisch nur langsam entgegen, wobei seine Finger für einen Moment auf denen von Fiona verharrten, ehe sie sich um das Lammfleisch schlossen. „Aber wäre Fiona so selbstlos, dass sie weniger essen würde, nur damit die Schwester nicht gezwungen sei, mehr als sonst zu verspeisen? Sie wollen ja nicht, dass ihr Spiel auffliegt.“

Seine Klugheit imponierte Fiona. Kein Wunder, dass er ein siegreicher Clanführer war, gefürchtet und verehrt von Freund und Feind gleichermaßen. In dieser Auseinandersetzung würde er sich gewiss als würdiger Widersacher erweisen.

Er neigte ihr den Kopf zu. „Und ich setze mich trotzdem durch.“

„Ich mich genauso“, flüsterte sie.

Lächelnd wandte er sich von Fiona ab und widmete sich ihrer Schwester, die zu seiner Linken saß. „Ich finde Euer und Eurer Schwester Auftreten bewundernswert.“

„Das erstaunt mich nicht. Letzen Endes seid Ihr ein Krieger, und ein echter Kriegsmann achtet seine Gegner.“

„Am Ende dieser Schlacht wird Euer Kontrahent Euer Gemahl werden.“

Aliss unterdrückte ein Lachen und schüttelte den Kopf, wobei ihr die Heureste aus den Haaren auf die Schultern regneten. „Nur wenn es mir beliebt.“

Tarr fischte ihr einen Heuhalm von der Bluse. „Die Wahl liegt nicht bei Euch, sondern bei mir.“

„Wir werden ja sehen“, erwiderte sie, wobei sie ihm den trockenen Grashalm entriss.

Während Aliss so mit Tarr redete, hatte Fiona ihr Augenmerk auf Leith gerichtet. Eng gedrängt saß er inmitten einer Gruppe von Männern am Ende der Tafel. Irgendetwas, so ihr Verdacht, wurde da ausgeheckt, aber was? Wie, so fragte sie sich, will er hinter den Mummenschanz kommen?

Es dauerte auch nicht lange, bis Leith seinen Plan in die Tat umsetzte. Bald schon stand einer der Männer auf und gesellte sich zu einigen Clanangehörigen, die sich um einen Tisch in der Nähe des Eingangs einen Platz gesucht hatten. Und nur Minuten später begann einer der Männer plötzlich zu stöhnen und zu ächzen und sich den Magen zu halten, um schließlich auf dem Boden zusammenzusinken.

Eilig hastete Fiona ihm zu Hilfe, um dem vermeintlich Erkrankten, der heftig über furchtbare Leibschmerzen klagte, Linderung zu verschaffen, und zwar auf erheblich sanftere Weise, als es ihr selber recht war. Er sterbe, so rief der Mann, dessen sei er sicher, und Fiona war drauf und dran, ihn zur Hölle fahren zu lassen. Dort nämlich hätte er rasch gemerkt, was echte Schmerzen bedeuten.

Sie schaute zu Aliss hinüber, die sich die größte Mühe gab, sich ihre Besorgnis um den Kranken nicht anmerken zu lassen. Fionas Kenntnisse der Heilkunst waren zwar begrenzt, reichten aber, um den sich zu ihren Füßen windenden Mann wieder auf die Beine zu stellen. Es ging nicht anders, in diesem Fall musste ihre Schwester sich ausnahmsweise einmal auf sie verlassen.

Während sie sich um den Scheinkranken kümmerte, fiel Fiona auf, dass Leith inzwischen bei Tarr stand und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Sie ahnte, was er ihm sagte, auch wenn sie die Worte gar nicht hören konnte. Mit größter Wahrscheinlichkeit, so nahm sie an, erzählte er Tarr gerade von Aliss’ heilenden Händen und dass sie gewiss erkennen werde, ob der Mann ernsthaft erkrankt sei. Fiona, so behauptete er vermutlich, könnte dies nicht, und daher werde diese kleine Farce aufklären, wer von den Zwillingen Aliss sei.

Der Mann spielte die Rolle des Leidenden tadellos, ebenso wie auch Fiona sich vorgenommen hatte, auf treffliche Weise dafür zu sorgen, dass er von ganz allein wieder gesund wurde.

Sie werde ihn, so ließ sie ihn wissen, im Handumdrehen kurieren. Anschließend griff sie sich einen Humpen Ale vom Tisch, nahm ein paar Blätter von einem Tablett, zerriss sie in kleine Teile und mischte sie in den Trunk. Neben dem Liegenden kniend, half sie ihm auf, bis er sitzen konnte. Immer noch hielt er sich stöhnend den Leib.

Fiona neigte sich zu ihm herab und brachte ihre Lippen ganz nah an sein Ohr. „Ich habe hier einen Sud für dich. Das Problem ist allerdings, dass er dich nur dann heilt, wenn ich Aliss bin. Bin ich hingegen Fiona, bringt das Gebräu dich um. Die Wahl liegt ganz bei dir. Trink aus – oder lass es bleiben.“ Mit diesen Worten hielt sie ihm den Krug an den Mund.

Seine Entscheidung traf er augenblicklich. Er stieß den Humpen beiseite und sprang von allein auf die Beine. „Mir fehlt nichts mehr“, erklärte er plötzlich und eilte zur Tür hinaus.

Mit Vergnügen gewahrte Fiona, wie ihrem Cousin die Zornesröte ins Gesicht stieg. Es hätte sie nicht überrascht, wenn ihm auch noch Rauch aus der Nase gekommen wäre. Tarr hingegen wirkte beeindruckt, und es hatte den Anschein, als wolle er Fiona deswegen ansprechen. In diesem Moment ging jedoch das Tor auf, und ein Fremder trat ein. Er suchte nach jemandem, und als er Tarr gewahrte, stürzte der Neuankömmling zu ihm hin. Mit besorgter Miene eilte Tarr ihm entgegen.

„Raynor hat die Burg angegriffen!“, rief der Fremde.

Im nächsten Augenblick waren Tarrs Männer auf den Beinen, die Hände an den Waffen, während ihr Clanführer sich an seinen Gastgeber wandte. „Ich muss umgehend aufbrechen. Die Zwillingsschwestern sollen mit mir kommen. Sobald feststeht, welche von ihnen Fiona ist, wird sie meine Gemahlin.“

3. KAPITEL

Ehe sie auch nur ein Wort des Protests äußern konnten, saßen Fiona und Aliss schon auf ihren Pferden. Mit Hilfe einiger Frauen aus dem Clan hatten sie ihre Sachen gepackt, und Fiona konnte gerade noch den Korb ihrer Schwester mit den Heilkräutern und Salben greifen, ehe man sie aus dem Cottage holte.

Vorsichtshalber hatten die Hellewyk-Krieger die beiden Frauen im mittleren Teil des Marschzuges untergebracht, wo sie nun Seite an Seite ritten.

„Im ersten Stechen war der Sieg jedenfalls unser“, flüsterte Fiona leise. Ihre Worte waren allein für die Ohren der Schwester bestimmt.

„Aber Tarr revanchierte sich, indem er uns jetzt mehr oder weniger verschleppt. Er wird nicht klein beigeben. Er führt einen Krieg – und diesen will er gewinnen.“

„Das wollen wir auch. Wenn wir weiterhin für Verwirrung sorgen, wird er es bald leid sein, die Waffen strecken und uns nach Hause schicken.“

Aliss war da anderer Meinung. „Das glaube ich nicht. Ein Krieger wie er strebt nach dem Triumph.“

„So müssen wir eben besonders wachsam sein.“

Diesmal konnte Aliss nur zustimmen. „Und ausdauernd. Um Tarr zu überlisten, braucht es Geduld.“

„Die besitze ich im Überfluss“, sagte Fiona mit scharfem Unterton. „Nervös werde ich nur im Umgang mit Narren.“ Aliss verzog das Gesicht. „Aha! Man sieht, das spärliche Essen hat dich verdrießlich gemacht.“

Ehe Fiona aber noch weiter ihre schlechte Laune ausleben konnte, wurde sie von Tarr unterbrochen, der plötzlich neben den beiden Schwestern aufgetaucht war. Schnaubend und tänzelnd drängte sich sein prächtiger Hengst an Fionas Grauschimmelstute heran.

„Ich habe erfahren“, sagte der Clanführer, „dass Fiona eine vortreffliche Jägerin sei, an mancherlei Waffen erprobt. Aliss hingegen verstehe sich eher auf das Heilen.“

„Wollt Ihr etwa auf diese Weise herausfinden, wer von uns wer ist?“ Fionas Frage hörte sich fast wie eine Anklage an.

Tarr antwortete nicht minder brüsk. „Früher oder später bekomme ich es sowieso heraus. Unsere Clans werden sich durch die Heirat verbünden, und Ihr werdet es nicht verhindern können, egal, was Ihr tut!“

„So? Glaubt Ihr?“, bemerkte Aliss giftig.

„Ich habe keine Zeit für lange Debatten.“ Er schaute von einer zur anderen. „So Euer Können gebraucht wird – wendet es an!“

„Wer ist das eigentlich, dieser Raynor?“ Fiona war zum Kampf bereit, sollte er sich nicht umgehen lassen.

„Raynor of Blackshaw? Er ist der Anführer eines schottischen Clans, welcher noch auf die Wikinger zurückgeht. Er behauptet, ein Stück meines Grund und Bodens gehöre ihm. Schon jahrelang tobt deswegen ein Streit.“

„Mit dem offensichtlichen Ergebnis, dass Ihr bislang die Oberhand behalten habt“, stellte Fiona fest.

„Was mein ist, bleibt auch mein.“ Mit kurzem Ruck am Zügel lenkte Tarr den Rappen von Fiona fort. „Seid auf der Hut! Raynor ist unberechenbar.“ Er rief seinen Männern jetzt einen Befehl zu und sprengte davon.

„Ein mutiger Mann“, bemerkte Aliss.

Ruckartig warf Fiona den Kopf herum. „Falls du so wohlwollend über ihn denkst – heirate du ihn doch!“

„Ich mache mir nichts aus der Ehe, das weißt du doch. Ich habe mir diesen Tarr nur etwas genauer angeschaut, während er mit uns sprach. Seine Gesichtszüge sind durchaus ansehnlich, und wenngleich seine hünenhafte Gestalt einem auch Furcht einjagt, so verbreitet sie ebenfalls ein Gefühl von Schutz. Die Angehörigen seines Clans werden sich bei einem solchen Anführer gewiss sicher fühlen.“

„Das lässt sich nicht leugnen“, gab Fiona mürrisch zu.

„Doch ein schönes Gesicht bedeutet rein gar nichts, wenn es zu einem Mann gehört, auf den eine Frau sich nicht verlassen und dem sie nicht trauen kann. Und was dein mangelndes Interesse an der Ehe angeht: Das kann die Liebe ändern.“

„Das will ich aber gar nicht.“ Aliss entgegnete ihr mit einem solchen Nachdruck, dass ihre Zwillingsschwester eine Braue hob. „Mein Tun soll nicht durch Liebe ersetzt werden! Viel lieber wäre mir, wenn die Liebe mein Wirken ergänzt. Außerdem glaube ich nicht, dass es überhaupt einen Mann gibt, der die nötige Geduld für mich und meine Neigung zum Heilen von Kranken aufbrächte.“

„Dann such dir doch einen Siechen, und schon werdet ihr beide glücklich sein.“ Fiona lachte über ihre eigenen Worte, Aliss vermochte das nicht.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit wurde das Nachtlager aufgeschlagen. Mehrere Posten bezogen Stellung, einige Männer verschwanden in der Nacht, vermutlich eine Maßnahme, die für zusätzlichen Schutz sorgen sollte.

Enttäuscht nahm Fiona zur Kenntnis, dass keine Verpflegung ausgegeben wurde. Schon fragte sie sich, wie sie mit ihrem protestierenden Magen die Nacht überstehen sollte. Dankbar drückte sie ihre Schwester, als diese ihr, während sie eng aneinander gekuschelt am Lagerfeuer ruhten, einen Kanten Brot und ein Stück Käse anbot.

„Wusste ich’s doch, dass du etwas zum Essen brauchst“, wisperte Aliss.

„Du bist die beste Schwester der Welt“, antwortete Fiona ebenso leise und ließ es sich herzhaft schmecken.

Als der Morgen graute, brach man in aller Eile die Zelte ab und setzte den Marsch fort. Aliss teilte der Schwester mit, sie habe die Männer sagen hören, man werde die Burg der Hellewyks um die Mittagszeit erreichen. Viele rechneten jedoch zuvor mit einem Überfall.

„Entweder hat dieser Raynor Tarrs Rückkehr erahnt, oder er hat sie erzwungen“, vermutete Fiona, während die beiden Schwestern wieder auf ihre Pferde stiegen. „Also, Augen auf und die Waffe griffbereit!“

„Ich kann aber mit solchen Dingen nicht so umgehen wie du“, wandte Alissa ängstlich ein.

„Ach was, gut genug. Geh einfach in Deckung. Ich passe schon auf, dass dir kein Leid geschieht.“

Aliss nickte, und bald schon waren sie wieder auf dem Weg.

Der Tag war herrlich, der Himmel vollkommen wolkenlos. Schwer lag der Duft des Heidekrauts in der Luft. Sie ritten auf einem ausgetretenen Pfad, zahlreiche Reisende mussten ihn zuvor genommen haben. Lichte Baumreihen säumten den rechten Wegesrand, dahinter erstreckte sich Weideland, umschlossen von niedrigen Hügeln. Zu ihrer linken Seite wuchs dichter Laubwald, hie und da tauchten Findlinge auf.

„Hätten wir doch ein wenig Zeit! Dann könnte ich in dem Wald nach Kräutern suchen.“ Wehmütig schaute Aliss zu den Bäumen.

„Ein idealer Hinterhalt für Raynors Gesellen“, mahnte Fiona. „Und Tarr ist sich dessen bewusst. Ich sah, wie er seine Männer entsprechend anwies. Er achtet genau auf alles, was um ihn herum vor sich geht. Ein umsichtiger Krieger.“

„Du bewunderst ihn ja!“

„Sein kriegerisches Können lässt mich nicht unbeeindruckt, und hoch zu Ross macht er eine imposante Figur. Kerzengerade, die Schultern breit, die Augen wachsam, die Waffe in Reichweite – allzeit in Bereitschaft. So ein Mann lässt sich nicht überrumpeln.“

Furchtsam blickte sich Aliss um. „Meinst du, wir werden im Augenblick beobachtet?“

Kopfschüttelnd sah die Schwester sie an. „Du erweckst den Eindruck, als würdest du ängstlich nach im Hinterhalt lauernden Angreifern Ausschau halten. Das ist nicht klug von dir.“

Aliss ließ zerknirscht den Kopf sinken, reckte dann jedoch trotzig das Kinn. „Vom Waffenhandwerk verstehe ich nun einmal nichts.“

Fiona musste lachen. „Sage das nicht. Mit der Knochennadel kannst du äußerst geschickt umgehen.“

„Das allerdings“, bekräftigte Aliss lächelnd.

„Geh in Deckung, wie ich dir schon gesagt habe“, mahnte Fiona. „Begib dich nicht in Gefahr. Deine Künste und deine

Kraft, sie werden nach dem Ende der Schlacht gebraucht.“

„Ich bin aber besorgt um dich.“

„Und ich nicht weniger um dich. Wenn du dich nicht heraushältst, wer wird mich dann, wenn’s nötig wird, pflegen? Wir haben beide unsere Begabungen, und ich halte es für das Beste, sie geschickt einzusetzen.“

„Wie froh ich bin, dass wir zusammen sind …“

„Ich auch“, fiel Fiona ein. „Und wir werden es auch weiterhin sein. Niemand, absolut niemand wird uns trennen.“ Ein schriller Schrei, wie von einem verwundeten Tier, war im nächsten Augenblick zu hören, und schon stürzte sich eine Horde von Angreifern auf die Hellewyk-Krieger.

„Hinter die Felsen!“, rief Fiona der Zwillingsschwester zu. Gleichzeitig griff sie nach dem Schwert, welches in einer seitlich am Sattel angebrachten Scheide steckte.

Aliss riss ihr Messer aus dem Stiefelschaft und glitt vom Pferd, wusste sie doch, die Stute war darauf abgerichtet, sich während eines Gefechts eigenständig in Sicherheit zu bringen. Hastig rannte Aliss zu einer Ansammlung kleinerer Findlinge, die in unmittelbarer Nähe des Wegesrands lagen.

Fiona warf sich erst ins Getümmel, nachdem sie der Schwester den Weg gebahnt hatte und sicher sein konnte, dass sie in Deckung war. Kaum hatte Aliss sich hinter den Blöcken in Sicherheit gebracht, stürmte Fiona hinein ins Getöse klirrender Schwerter.

Die Klinge kraftvoll und gewandt geführt, schlug sie so manchen Angreifer aus dem Sattel, als habe sie es mit lästigen Fliegen zu tun. Einige Gegner holten sich bei dem Versuch, Fiona von ihrem Pferd zu reißen, eine blutige Nase. Sie wehrte sich mit gezielten Fußtritten. Einem ihrer Widersacher ließ sie den Schwertknauf so heftig auf seinen Helm niederkrachen, dass der Kerl betäubt zu Boden sackte.

Ihre Stute war hervorragend für den Kampfeinsatz abgerichtet; ruhig folgte sie den Bewegungen und Befehlen ihrer Reiterin. Fiona gelang es sogar, einen oder zwei von Tarrs Männern vor der feindlichen Schwertspitze zu retten. Ihre Energie nahm mit jedem Tritt, mit jedem Hieb und Stoß zu, sie war geradezu berauscht von der Schlacht.

Als das Scharmützel endlich ein Ende gefunden hatte, blickte Tarr auf das Kampffeld. Einige seiner Leute waren verwundet, drei von Raynors Männern lagen blutüberströmt und stöhnend am Boden. Froh stellte Tarr of Hellewyk fest, dass man an diesem Tage keine Gräber ausheben musste, weder für seine Getreuen noch für die Schwestern, was ihn erst recht mit Erleichterung erfüllte.

Anfangs hatte er noch gewähnt, er müsse den im Getümmel kämpfenden Zwilling beschützen. Bald aber zeigte sich, dass diese Schwester eine versierte Schwertkämpferin war. Die Art, wie sie ihm half, den Gegner in die Flucht zu schlagen, macht ihm klar, dass sie genau jene Furchtlosigkeit besaß, die er bei einer Ehefrau suchte. Sie hatte sich wie eine echte Kriegerin verhalten, während die andere Zwillingsschwester sich hinter einem Findling verborgen hatte. Hatte er nun die wahre Fiona gefunden?

Die Antwort auf diese Frage ergab sich, als er gewahrte, wie die zweite Schwester dabei war, einen seiner Kämpfer zu stützen, dessen Bein bereits sorgsam bandagiert war. Nachdem sie ihm geholfen hatte, sich vorsichtig auf den Boden zu setzen, eilte sie den anderen Verwundeten zu Hilfe.

Blut und heftigstes Stöhnen schreckten sie nicht ab. Geschickt vernähte sie klaffende Fleischwunden oder Kopfblessuren und verband weniger schwere Verletzungen. Dabei riss sie mehr und mehr von ihrem braunen Gewand ab, um die Streifen als Verbandmaterial zu verwenden.

Fiona zügelte ihre Stute und hielt neben Tarrs Rappen an. „Ihr werdet uns sicherlich beide mutig finden“, rief sie ihm zu.

„Beide wisst Ihr fürwahr zu kämpfen, jedoch auf unterschiedliche Weise“, meinte Tarr anerkennend. „Vielleicht hatte ich Recht, als ich sagte, es sei einerlei, welche von Euch beiden ich zur Gemahlin nehme.“

Fiona tat erstaunt. „So? Ihr fordertet doch aber eine ganz bestimmte Zwillingsschwester. Wollt Ihr Euch jetzt etwa mit weniger zufrieden geben, als abgemacht war?“

Lachend sprengte sie von dannen, worauf sich ein Schmunzeln über Tarrs Gesichtszüge legte. Gewitzt war sie und von rascher Auffassungsgabe. Teufel auch! Sie hatte genau begriffen, dass es für ihn eine Sache des Stolzes war, am Ende die Frau zu bekommen, die er ausgehandelt hatte.

„Raynor ist gefangen genommen!“

Der Schrei ließ jedermann aufhorchen, und zügig lenkte Tarr seinen Rappen in jene Richtung, in der ein Mann blutüberströmt am Boden lag. Als Aliss versuchte, dem Verwundeten zu helfen, wurde sie von einem von Tarrs Getreuen beiseite gestoßen. Sie aber wehrte sich und verpasste ihm ihrerseits einen solchen Knuff, dass der Kerl ins Stolpern geriet. Dann ließ sie sich neben Raynor auf die Knie nieder.

Fiona knöpfte sich in der Zwischenzeit jenen Krieger vor, der Aliss zur Seite geschubst hatte. „Lass deine Finger von meiner Schwester!“, fuhr sie den völlig Verblüfften an, der sich gerade wieder gefangen hatte und plötzlich Fionas Klinge an seiner Kehle spürte. „Sonst bist nämlich du derjenige, der verarztet werden muss.“

„Runter mit dem Schwert!“, befahl Tarr, der inzwischen aus dem Sattel geglitten war. Dann packte er Aliss beim Arm und zerrte sie unsanft hoch. „Und Ihr werdet Eure Zeit nicht mit Raynor vergeuden.“

Aliss riss sich derart heftig los, dass sie ins Straucheln geriet, wenngleich sie sich schnell wieder fing. „Er ist schwer verwundet und muss sofort versorgt werden. Andernfalls stirbt er womöglich.“

„Was kümmert es mich.“ Tarr war wütend. „Er hat meinen Clan überfallen. Soll er die Konsequenzen tragen.“

„Ich kann ihn doch nicht einfach liegen lassen!“

„Ihr wollt ihn kurieren, obwohl ich ihn später aufknüpfen lasse?“

„Ich habe die Hoffnung, dass Ihr Gnade vor Recht ergehen lassen werdet und eine sinnlose Fehde beendet.“

„Fehde?“, rief Tarr erzürnt. „Ich kämpfe, um das zu schützen, was mein ist.“

„Und er?“, konterte Aliss aufgebracht. „Tut er nicht genau dasselbe?“

„Er ist mein Feind.“

„Aber nicht meiner“, bekundete sie energisch und ließ sich abermals auf die Knie nieder, um den Bewusstlosen zu behandeln.

„Wir brechen auf, sobald meine Männer versorgt sind“, befahl Tarr. „Wenn Raynor nicht mitreiten kann, soll er meinetwegen hier verfaulen.“ Mit diesen Worten wandte sich der Clanführer von Aliss ab.

Ihre Sorge aber galt weiterhin dem bewusstlosen Raynor. „Du weißt, was du zu tun hast“, sagte sie zu ihrer Schwester.

„Wir sind ein eingespieltes Team“, erwiderte Fiona. Geschickt fertigte sie aus drei Ästen ein Schleppgestell, gepolstert mit Moos und Gras. Diese Trage befestigte sie mit dicken Schlingpflanzen am Sattel.

„Wie schlimm steht es um ihn?“, erkundigte sich Fiona. „Schwer zu beurteilen. Er hat eine Kopfverletzung davongetragen, die ich vernähen musste, jedoch viel zu schnell. Das restliche Blut an seiner Kleidung stammt nicht von ihm. Ich habe die Wunden so gut wie möglich mit dem wenigen Wasser gereinigt, das ich noch hatte. Ob ihn der Wundbrand ereilen wird, bevor er wieder zu Bewusstsein kommt, das vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht wacht er auch überhaupt nicht wieder auf.“

„Du hast getan, was in deiner Macht stand.“

„Sobald wir Tarrs Burg erreichen, werde ich noch einiges mehr versuchen.“

„Falls er es dir erlaubt.“

Aliss hob den Kopf zu ihrer Schwester; die grünen Augen blitzten. „Tarr of Hellewyk kann anordnen, was er will – ich werde mich um diesen Mann kümmern!“

„Ich bezweifle, dass einer von Tarrs Getreuen auch nur einen Finger rührt, um einem Feind zu helfen.“

„Das soll mich nicht davon abhalten, ihm zu helfen. Wir haben schon anderes gemeinsam bewältigt.“

Fiona wollte nicht widersprechen, denn in der Tat – der Mann, den sie einst zu transportieren hatten, war ihr kranker Vater gewesen. Mit Hilfe einer Decke hatten sie ihn auf eine Liegestatt gewuchtet, die sie ihm am Boden vor dem Kamin bereitet hatten, um ihn dort zu versorgen.

In puncto Körpergröße reichte Raynor fast an Tarr heran. Er war jedoch schlanker, dennoch genauso muskulös. Wegen des Blutes, das aus seiner Kopfwunde rann, waren seine Gesichtszüge schwer zu erkennen. Sorgfältig musste er gewaschen werden, ehe er überhaupt die Augen würde öffnen können. Das aber war im Augenblick ihre geringste Sorge.

Eine schwere Kopfverletzung überlebten sowieso nur die wenigsten, und betrachtete man die beschwerliche Reise auf dem holperigen Weg sowie danach die dunkle, feuchte Zelle, in die man ihn stecken würde, würde das alles einer Genesung mitnichten förderlich sein.

Aliss deckte ihn mit ihrer eigenen Reisedecke zu, so dass er fertig zum Abmarsch war, noch ehe Tarr den Aufbruch befahl.

„Tarr sieht nicht gerade freundlich aus“, warnte Fiona, als sie sah, wie der Clanführer sich ihnen näherte.

Kaum hatte Aliss den Korb mit den Heilutensilien an ihrem Pferd befestigt und sich umgedreht, als Tarr auch schon vor ihr anhielt und sie zornig musterte. Unerschrocken erwiderte sie seinen Blick.

Er schaute von einer Zwillingsschwester zur anderen. „Hört mir gut zu, denn mein Wort ist Gesetz. Durch seinen Überfall auf unser Land hat Raynor sein Schicksal besiegelt. Mithin versucht Ihr, jemanden zu kurieren, der ohnehin ein Todeskandidat ist.“ Damit ritt er mit seinem schnaubenden Hengst davon.

Aliss schwang sich in den Sattel. „Er hat weder Herz noch Seele. Nur gut, dass du den nicht heiratest.“

„Ein sturer Hund ist er“, fügte Fiona hinzu, während sie sich langsam der Marschkolonne anschlossen, diesmal indes ganz an ihrem Ende.

Aliss stöhnte. „Du willst mir doch nicht etwa weismachen, dass du auf einmal etwas an dem Kerl findest?“

„Ich finde ihn interessant.“

„Nein, du siehst in ihm eine Herausforderung.“

„Die sollte ein Mann auch darstellen“, betonte Fiona. „Einen Mann ohne Mumm, der sich von mir einschüchtern ließe, den könnte ich nicht ertragen.“

„Ein Duell scheint sich anzubahnen.“

„Das könnte sein.“

4. KAPITEL

Bei seiner Rückkehr stellte Tarr fest, dass seine Burg unbeschädigt und niemand aus seinem Clan zu Schaden gekommen war. Ob die Kunde von dem feindlichen Angriff gar nicht der Wahrheit entsprach? Falls Raynor sich tatsächlich auf den Grund und Boden der Hellewyks vorgewagt hatte – wieso lag dann kein Beweis dafür vor? Auf diese Fragen, das war ihm klar, mussten Antworten her. Zunächst aber galt es, nach den drei Gefangenen zu sehen. Zwei von ihnen hatten Beinverwundungen davongetragen, die ihnen die Flucht unmöglich gemacht hatten. Sie würden gesunden, anschließend würde man sie dann zu ihrem Clan zurückschicken. Mit Raynor hingegen verhielt es sich anders.

Triumph lag in der Luft, als die siegreich heimgekehrten Krieger willkommen geheißen wurden. Ehefrauen schlossen ihre Männer in die Arme, Kinder eilten den Vätern zur Seite, viele blickten Tarr of Hellewyk mit einem stolzen Lächeln an.

Tarr nickte und winkte ihnen zu, bemerkte aber zugleich die neugierigen Blicke, die den Zwillingsschwestern galten. Sein Clan wusste, dass er aufgebrochen war, um eine Gemahlin heimzuführen. Nun aber kehrte er zurück mit zwei völlig gleich aussehenden Frauen. Klatsch und Tratsch würden sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Im Handumdrehen, so seine Vermutung, würde sich alle Welt bemüßigt fühlen, das Rätsel dieser Schwestern zu lösen.

Er sah, wie Fiona und Aliss einzig auf Raynor fixiert waren. Die eine kniete sich gerade neben ihn nieder, während die andere dicht bei ihm stehen blieb. Tarr hatte gehofft, er könne Unterschiede zwischen den beiden ausfindig machen, doch bislang war es ihnen meisterhaft gelungen, in jeglicher Hinsicht gleich zu erscheinen. Beide hatten sie flammend rotes Haar, das sich in schimmernden Locken über die Schultern bis tief hinunter zur Taille wellte. Das Grün ihrer Augen gemahnte Tarr an das frische Gras einer Weide, die Lippen, sie waren rot wie reife Äpfel, und die weiße Haut schimmerte seidig. Forderte man sie heraus, so lächelten beide und reckten stolz das Kinn. Es waren fürwahr erstaunliche Frauen.

Zwei seiner Männer befahl er, ihm zu folgen, er dirigierte seinen Hengst zu den Zwillingen hin. „Raynor und seine Gesellen erwartet das Verlies“, sagte er von seinem Sattel aus.

„Ich bleibe bei ihnen“, erwiderte Aliss, ohne Tarr eines Blickes zu würdigen.

„Und ich weiche meiner Schwester nicht von der Seite“, sagte Fiona.

Tarr wies sie beide zurecht. „Ihr haltet Euch gefälligst dort auf, wohin ich Euch bringen werde!“

Blitzartig sprang Aliss auf und ging auf Tarr zu, wobei sie ihre Schwester fast umrempelte. „Habt Ihr denn gar kein Herz, dass Ihr einen Sterbenden dem Kerker überantwortet?“

„Erstens ist er mein Feind, und zweitens hat er sich selbst sein Urteil gesprochen, indem er mein Land angriff.“

Aliss wies auf den Verwundeten. „Kann er Euch in diesem Zustand etwas antun? Fürchtet Ihr ihn so sehr, dass Ihr ihn einkerkern wollt, obwohl er ohnmächtig ist?“

Die Beleidigung traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. „Fürchten? Ich fürchte niemanden!“

„So erspart ihm weiteres Leiden, zumal bei der kurzen Frist, die ihm noch vergönnt ist. Sperrt ihn von mir aus in eine bewachte Kammer, doch versagt ihm nicht einen barmherzigen Tod.“

Diese Zwillingsschwester, so sagte sich Tarr, ist zu gutmütig. Sie konnte nur die Heilerin sein, also Aliss.

„Ich bitte Euch“, sagte Fiona nun mit zitternder Stimme.

Ihr Flehen erschütterte seine gerade gewonnene Überzeugung und brachte ihn noch mehr durcheinander. Er hatte sie für diejenige gehalten, die Seite an Seite mit ihm mutig gefochten hatte. Oder spielte sie jetzt nur so trefflich ihre Rolle?

„Nun gut, so biete ich Euch einen Handel an.“ Ein plötzlicher Gedanke fuhr ihm durch den Kopf, ein Vorgeschmack des nahen Sieges. „Fiona möge vortreten, dann bleibt Raynor der Kerker erspart.“

Aliss ließ sich jedoch nicht verunsichern. „Offenbar haltet Ihr uns für Närrinnen, wenn Ihr der Meinung seid, wir ließen mit uns über einen Mann handeln, der schon dem Tode geweiht ist.“ Und während sie noch sprach, trat ihre Schwester zum Zeichen der Eintracht an ihre Seite.

In diesem Augenblick stöhnte Raynor auf, so dass sich alle ihm zuwandten. Aliss eilte sofort an die Seite des Verwundeten.

„Eure Anklage entbehrt jeder Grundlage“, bekundete derweil Fiona. „Wie es scheint, wurde Eure Burg gar nicht angegriffen. Was also hat Raynor hergeführt? Liegt Euch denn gar nichts daran, zu erfahren, wie es tatsächlich gewesen war?“

Dieser Gedanke war ihm ja bereits selber durch den Kopf gegangen. Er galt derselben Frage, die ihn seit seiner Heimkehr beschäftigte. Falls Raynor wider Erwarten mit dem Leben davonkommen sollte, dann, so Tarr, würde die Wahrheit ans Licht gelangen. Möglicherweise war es in diesem Fall doch sinnvoll, wenn sich die Zwillinge um den Verwundeten kümmerten.

„Bringt Raynor in die Schlafkammer, welche der meinen gegenüberliegt!“ Mit dieser Anordnung wandte er sich an seine Männer. „Dann stellt einen Doppelposten vor die Tür.“

„Eine kluge Entscheidung“, lobte Fiona.

„Das wird sich zeigen“, beschied Tarr knapp. „Mir geht es vielmehr darum, dieses kleine Schauspiel zu beenden, das Ihr und Eure Schwester aufführt. Ihr werdet mir beide beim Abendmahl im Burgsaal Gesellschaft leisten. Es ist an der Zeit, dass wir drei einander kennen lernen.“

Raynor stöhnte in einem fort, während er, auf der Trage liegend, von vier kräftigen Clankriegern in den ersten Stock der Burg gewuchtet wurde. Erst als man ihn auf die Bettstatt der Schlafkammer niederließ, verstummte er, jedoch nur kurz, um dann weiter leise Schmerzenslaute auszustoßen.

„Hilf mir, ihm die Stiefel auszuziehen“, bat Aliss ihre Schwester. „Danach ist das Hemd an der Reihe. Ich möchte sichergehen, dass ich keine Wunde übersehen habe.“ Während Fiona sich an dem linken Lederstiefel zu schaffen machte, kümmerte Aliss sich um den rechten.

„Tarr besteht auf unserer Anwesenheit zum Abendessen“, bemerkte Fiona, wobei sie den Stiefel am Boden abstellte.

„Ich habe hier zu tun und keine Zeit für Tafelrunden.“ Aliss nahm das Stiefelpaar an sich und räumte es beiseite. „Nun das Hemd.“

Vorsichtig zog sie dem Verwundeten das Plaid von der Schulter. Danach zerschnitt Fiona mit ihrem Messer kurz entschlossen das von Blut und Schmutz durchtränkte Hemd, indem sie es in der Mitte aufschlitzte.

Plötzlich packte Fiona die Schwester beim Arm. „Erscheint keine von uns beim Essen“, sagte sie, um Aliss’ Aufmerksamkeit bemüht, „wird Tarr dies verdächtig vorkommen. Wenn ich alleine hingehe, wird er annehmen, dass du, die Heilerin, bei dem Verwundeten geblieben bist. Also müssen wir gemeinsam am Abendmahl teilnehmen.“

„Lange kann ich Raynor aber nicht allein lassen.“ Aliss beugte sich über den Liegenden, um ihn auf Blessuren zu untersuchen.

Fiona ging derweil neben der Liegestatt auf und ab. „Und wie wäre es, wenn wir uns irgendwann streiten, wer von uns zurück zu dem Kranken muss? Es würde Tarr verwirren …“

„… und dir die Gelegenheit verschaffen, endlich mehr zu essen, da ich dann ja fort bin.“

Entzückt seufzte Fiona auf. „Das hört sich herrlich an, denn ich habe einen Mordshunger.“

„Im Gegensatz zu mir“, gab Aliss zurück, wobei sie die vor dem Lager stehende Holztruhe zur Seite schob. Schnell packte Fiona mit an, und mit vereinten Kräften zogen sie die Kiste ans Kopfende des Bettes.

Aliss stellte den Korb mit ihren Heilsachen oben auf der Truhe ab. „Ich werde mehr Kerzen brauchen, einen Eimer

Wasser und saubere Tücher – ach, und das Feuer dort im Kamin, es benötigt mehr Holz. Ich möchte nicht, dass es kalt wird in dieser Kammer.“

Autor

Donna Fletcher
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