Glaub an das Glück

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Während langsam die Sonne über dem romantischen Cottage höher steigt, erwacht die hübsche Rowana an einem Morgen voller Ungewissheit. Sie ist nicht allein: Wie in einem zärtlicher Rausch hat sie die Nacht in Evan Camerons Armen verbracht. Doch waren diese sinnlichen Stunden genug, um ihm den Glauben an das Glück zurückzugeben?


  • Erscheinungstag 21.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778590
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Evan hätte nicht sagen können, warum er in genau diesem Moment ans Fenster ging. Vielleicht weil er draußen flüchtig eine Bewegung wahrgenommen hatte, etwas Weißes am Rand des Blickfelds. Vielleicht weil er ahnte, dass etwas Unerwartetes geschehen würde?

Plötzlich verspannte er sich, und ihm stockte der Atem.

Das kommt vom Burn-out-Syndrom und nicht von irgendwelchen Vorahnungen, sagte Evan sich. Was Burn-out bedeutete, wusste er mittlerweile nur zu gut. Lange war Arbeit die treibende Kraft in seinem Leben gewesen. Zu lange. Nun konnte er sich nicht länger einreden, dass er den eigenen hohen Anforderungen weiterhin gewachsen war – außer er wollte einen frühen Tod riskieren. Die schwere Grippe, die er kürzlich überstanden hatte, hätte ihn beinah ins Grab gebracht.

Wie sollte es nun mit ihm weitergehen?

Als Erstes hatte er den Rat seines Arztes befolgt und sich einen Monat freigenommen. Er war in sein Ferienhaus in Wales gefahren, um endlich einmal auszuspannen, am Strand spazieren zu gehen und viel zu lesen. Außerdem gab es genug, worüber er nachdenken und sich klar werden musste.

Die Aussicht auf diesen geruhsamen Lebensstil machte ihm wenig Freude. „Leben ist Bewegung“, war sein Motto, und jahrelang war er bis an die Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit aktiv gewesen, sowohl beim Fitnesstraining als auch bei der Arbeit.

Wenn er doch nur früher gewusst hätte, dass er diese Rücksichtslosigkeit sich gegenüber eines Tags teuer würde bezahlen müssen! Die Gesundheit war ein zu hoher Preis für beruflichen Erfolg.

Schaudernd dachte Evan daran, dass sein Ehrgeiz ihn sogar das Leben hätte kosten können.

Er blickte durchs Fenster, und seine Miene verfinsterte sich, als er hinter dem morschen, mit Moos und Flechten bewachsenen Zaun, der das Nachbargrundstück umgab, überraschend eine Frau entdeckte. Sie trug ein langes weißes Kleid und einen weißen Strohhut, in der einen Hand hielt sie eine Gartenschere, in der anderen einen kleinen Korb.

Ach du meine Güte, sie sieht aus, als hätte sie sich aus den Seiten eines Gartenmagazins in diese Wildnis verirrt, dachte Evan spöttisch. Zwischen den welken Stauden und dem wuchernden Unkraut, die sie bekümmert musterte, wirkte sie fehl am Platz. Wahrscheinlich merkte sie gerade, dass sie sich mit dem heruntergekommenen Besitz zu viel zugemutet hatte.

Evan konnte es ihr nachfühlen. Das alte, verwahrloste Haus hatte mindestens drei Jahre leer gestanden. Dass das Schild „Zu verkaufen“ nicht mehr im Vorgarten stand, hätte ihm eigentlich auffallen müssen. Er kam jedoch nur noch selten hierher, im Gegensatz zu seiner Schwester. Beth verbrachte mit ihren zwei Söhnen häufig mehrere Tage hier und hatte deshalb Kosmetika im Bad und Vorräte in den Küchenschränken deponiert. Im Wohnzimmer stand sogar eine Kiste mit Spielzeug der beiden Jungen hinter einem Vorhang in einer Nische.

Zum Kuckuck mit dieser „Lady in Weiß“, dachte Evan verärgert. Er wollte seinen Frieden! Na gut, vielleicht würde es ihm schon bald zu viel werden, aber nur der Ruhe wegen war er gestern von London hierher gekommen. Und nun stellte sich heraus, dass diese von einer unerwarteten und unerwünschten Nachbarin gefährdet wurde.

Evan rieb sich die Stirn, weil er plötzlich einen dumpfen Druck im Kopf verspürte.

Vielleicht wird die Frau nebenan sich nicht um mich kümmern, versuchte er sich zu beruhigen. Vielleicht hatte sie das Haus gar nicht gekauft, sondern versuchte nur, es für einen möglichen Interessenten ein bisschen herzurichten? Allerdings sah sie nicht wie eine Immobilienmaklerin aus. Sie war so schlank und grazil, dass sie ihn eher an einen Engel oder eine Fee denken ließ …

Blödsinn! sagte er sich gereizt und ging vom Fenster weg, bevor die Frau ihn womöglich dabei ertappte, wie er sie beobachtete.

Nach einem finsteren Blick auf die Bücher, die auf dem Couchtisch lagen und darauf warteten, gelesen zu werden, ging er in die Küche und nahm sich ein Glas Saft. Anschließend gehe ich am Strand spazieren, nahm er sich vor. Von der langen Autofahrt war er noch ziemlich verspannt, und Bewegung war das beste Gegenmittel.

Vielleicht half sie ja auch gegen schlechte Laune!

Plötzlich war ihr Kopf wie leer. Rowana stand in dem vernachlässigten Garten und blickte auf die Schere in ihrer Hand, als wüsste sie nicht mehr, was sie damit anfangen sollte. Ihr Herz pochte wie rasend, und ihr stockte der Atem.

Sie hasste es, wenn sie in diesen Zustand geriet. Wenn ihre Gedanken von einem „schwarzen Loch“ verschlungen zu werden schienen. Wenn sie das Gefühl hatte, aus strahlendem Sonnenschein unvermittelt in undurchdringlichen Nebel geraten zu sein. Wenn sie sich von der Welt abgeschnitten fühlte.

Rowana atmete tief durch und versuchte, sich zusammenzureißen. Es musste doch zu schaffen sein, sich wieder in den Griff zu bekommen und so normal zu empfinden wie vor Gregs Tod! Angeblich heilte die Zeit alle Wunden, aber sie merkte noch nichts davon. Im Gegenteil, sie fühlte sich von Tag zu Tag einsamer und elender.

Plötzlich sah sie nicht länger die welken Stauden und den leuchtend gelben Löwenzahn um sich her, sondern vor ihrem inneren Auge erschien Greg, wie sie ihn an jenem verhängnisvollen heißen Tag im August des Vorjahrs zum letzten Mal gesehen hatte.

Das Zubehör für seine Kamera wie üblich über die Schulter gehängt, hatte er sich noch einmal zu ihr umgewandt und ihr das strahlende, optimistische Lächeln geschenkt, bei dem ihr immer ganz warm ums Herz wurde. Dann hatte er die Straße überquert, um zu seinen Kollegen vom Fernsehen zu gelangen, die auf der anderen Seite auf ihn warteten – und war von einem Auto überfahren worden.

Rowana schluckte und zwang sich, nicht länger untätig herumzustehen. Sonst schlage ich womöglich hier Wurzeln wie das Unkraut, das ich eigentlich jäten wollte, dachte sie. Sie würde nichts schaffen, wenn sie sich nicht endlich aufraffte. Und es stand ihr viel Arbeit bevor, denn sie musste sich nicht nur dringend um den Garten kümmern, sondern auch das Haus herrichten, damit es wenigstens halbwegs wohnlich wurde. Wie traurig, dass sie es nun nicht mehr mit ihrem Ehemann teilen konnte …

Greg und sie hatten das vernachlässigte Haus gemeinsam entdeckt. Es lag am Ende einer schmalen Landstraße nahe am Strand und hatte sofort ihre Fantasie angeregt. Sobald sie aus dem Auto gestiegen waren, hatten sie Pläne für die Renovierung geschmiedet und sich geschworen, das alte Gebäude im früheren Glanz auferstehen zu lassen. Es würde im Handumdrehen wieder ein typisches Cottage werden, mit einem Bauerngarten und Kletterrosen, die sich um die Tür rankten. Vielleicht war es nicht besonders ehrgeizig und originell, aber es war ihnen nur darum gegangen, sich ein behagliches Zuhause zu schaffen.

Nun war es für sie der einzige Ort, an dem sie es ohne Greg aushalten konnte. Ihr Traum, hier gemeinsam mit ihm zu leben, war nicht in Erfüllung gegangen – und deshalb würde sie hier nicht ständig daran erinnert werden, dass sie ihn verloren hatte.

In London hatte sie inzwischen alles geregelt und sich ein Jahr unbezahlten Urlaub genommen, den sie in Wales verbringen wollte. Hier in dieser einsamen, friedlichen Gegend hoffte sie, zur Ruhe zu kommen und ein neues Leben beginnen zu können.

Mehr als Hoffnung war es nicht, denn noch immer war sie vor Trauer wie gelähmt.

Als Evan am Nachbarhaus vorbeiging, sah er, wie der weiße Strohhut vom Wind über den Weg getrieben wurde. Eine Bö riss das zarte Gebilde hoch und wehte es über das morsche Gartentor, das schief in den Angeln hing. Mechanisch griff er danach, und sein Pullover verfing sich in einer der Latten. Leise fluchend machte Evan sich los und blickte hoch. Seine Nachbarin eilte den gepflasterten Weg zum Tor entlang. Auch von nahem wirkte sie zart und anmutig, zumal sie nicht größer als einen Meter fünfundsechzig sein konnte.

Ihr Gesicht ist hübsch, aber nicht besonders auffällig, dachte er kritisch. Als sie noch näher kam und er ihre klaren hellbraunen Augen bemerkte, mit denen sie schüchtern zu ihm aufsah, revidierte er sein Urteil. Tatsächlich war sie fast schön. Trotzdem wollte er die erste Begegnung so schnell wie möglich über die Bühne bringen. Nicht, dass seine Nachbarin ihn irrtümlich für einen allzeit hilfsbereiten Zeitgenossen hielt!

„Danke, dass Sie meinen Hut gerettet haben“, sagte sie freundlich und lächelte ihn an. „Sie sind genau im richtigen Moment vorbeigekommen – zu meinem Glück.“

Ihre Stimme klang angenehm sanft. Wie Samt, der über Haut streicht, überlegte Evan und ermahnte sich sofort, nicht solchen Unsinn zu denken. Trotzdem wurde ihm seltsam heiß, und er runzelte die Stirn.

„Heute ist kein Wetter für Strohhüte“, meinte er schroff und reichte ihr den Hut über den Zaun hinweg.

Prompt verschwand ihr Lächeln, und sie wirkte plötzlich reserviert.

Sie hat verstanden, dass ich mit ihr nichts zu tun haben möchte, dachte Evan zufrieden und wandte sich ab, um seinen Spaziergang fortzusetzen.

„Sehen Sie sich doch um!“, forderte sie ihn leise auf.

Nun blieb er doch noch stehen, betrachtete aber nicht die Umgebung, sondern die junge Frau. Sie blickte zum wolkenlosen blauen Himmel hoch, wobei sie die Augen mit der Hand vor dem gleißenden Sonnenlicht schützte.

„Endlich ist es Frühling!“, fügte sie hinzu. „Ich hatte einfach Lust, mir etwas Leichtes, Luftiges anzuziehen.“

„Ich würde mir an Ihrer Stelle lieber etwas Wärmeres als dieses ärmellose Fähnchen anziehen. Bei dem kalten Wind holen Sie sich sonst womöglich eine Lungenentzündung.“

Rowana wunderte sich, warum ihr Nachbar so abweisend und mürrisch war. Sie hatte ihm schließlich nichts getan! Na gut, jeder Mensch litt gelegentlich grundlos an schlechter Laune. Da gab es nur eins: einfach nicht darauf achten!

Höflich reichte sie ihm die Hand über den Zaun und stellte sich vor. „Ich bin Rowana Hawkins. Freut mich, Sie kennen zu lernen. Vor einigen Wochen bin ich hierher gezogen und habe mich schon gefragt, wann ich endlich meinen Nachbarn begegne. Waren Sie in Urlaub?“

„Was wollen Sie von mir?“

Nervös befeuchtete sie sich die Lippen. „Wie bitte?“

„Falls Sie erwarten, dass ich mich als freundlicher, hilfsbereiter Nachbar erweise, möchte ich von vornherein eins klarstellen: Ich bin weder freundlich noch hilfsbereit. Sparen Sie sich Ihr aufreizend sonniges Lächeln lieber für jemanden, der es zu schätzen weiß. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“

Ohne ihre Antwort abzuwarten, ging er rasch zum Strand weiter, die Hände in die Hosentaschen geschoben und die Schultern hochgezogen. Der Wind hatte weiter aufgefrischt und blies nun ziemlich heftig.

Rowana wurde elend zumute. Dieser Mann war unerträglich arrogant und unangenehm! Er sah zwar gut aus, doch der Blick seiner auffallend grünen Augen hatte nichts als Feindseligkeit verraten. Was hatte sie ihm denn getan? Normalerweise weckte sie in Fremden nicht sofort Ablehnung. Dass es ihr ausgerechnet jetzt passierte, wo sie sich besonders verletzlich fühlte, traf sie tief.

Ihr war klar, dass sie gar nicht darauf zu hoffen brauchte, zu einem späteren Zeitpunkt nähere Bekanntschaft mit ihrem attraktiven Nachbarn zu schließen. Ihm lag anscheinend grundsätzlich nichts an gutnachbarlichen Beziehungen.

Zum Glück habe ich es jetzt schon entdeckt und kann ihm in Zukunft aus dem Weg gehen, versuchte sie sich zu trösten. „Iwan, der Schreckliche“ war als Nachbar vermutlich zugänglicher gewesen!

Das war ja ein schöner Start in ein neues Leben …

Plötzlich verlor sie alle Lust, sich um den Garten zu kümmern. Ihr Versuch, Ordnung zu schaffen, war ohnehin sehr kläglich ausgefallen.

Aufgebracht eilte sie ins Haus und warf krachend die Tür zu.

Das unablässige Quietschen des kaputten Gartentors, das die ganze Nacht über im Wind hin- und herschwang, machte Evan beinah rasend. Bei dem höllischen Lärm konnte er unmöglich schlafen. Schließlich versuchte er es nicht länger, sondern stand auf und ging ans Fenster. Das verwilderte Grundstück nebenan lag im hellen Mondlicht, und er funkelte das Gartentor wütend an. Am liebsten hätte er es in Brand gesetzt, um es für immer zum Schweigen zu bringen!

Das Tor ist nicht das einzige Problem, gestand er sich ein. Zurzeit konnte ihm die geringste Kleinigkeit fürchterlich auf die Nerven gehen. Warum eigentlich reparierte Rowanas Mann oder Freund das verdammte Tor nicht? Sie würde es bestimmt nicht tun, denn sie wirkte keineswegs wie eine Frau, die sich gern die Hände beim Heimwerken schmutzig machte. Oder bei sonst einer praktischen Tätigkeit. Welche vernünftige Frau zog sich zur Gartenarbeit ein weißes Kleid an? Keine! Und das legte den Schluss nahe, dass seine hübsche Nachbarin alles andere als das war.

Verärgert, weil sie ihm nicht aus dem Kopf ging, eilte Evan in die Küche, um sich etwas zu trinken zu machen. Als er entdeckte, dass es keinen Kaffee gab, fluchte er ausgiebig. Dann strich er sich mit den Fingern durch das dichte schwarze Haar und schloss kurz die Augen, um sich zu beruhigen.

Es klappte nicht, denn plötzlich musste er an seine geschiedene Frau denken. Hätte Rebecca ihn nicht bei der Scheidung um einen großen Teil seines Vermögens gebracht, hätte er die letzten zwei Jahre nicht bis zur totalen Erschöpfung arbeiten müssen, um seine Kette von Fitnessclubs wieder aufzubauen. Er hätte nicht beinah alles geopfert – sein Zuhause, seine Freunde, sein gesellschaftliches Leben –, um den finanziellen Verlust wettzumachen. Nur seiner Hartnäckigkeit verdankte er es, dass er Erfolg gehabt hatte. Sein Geschäft lief besser denn je.

Inzwischen besaß er in ganz Großbritannien mehr als zwanzig Fitnessclubs, und er hätte sich etwas mehr Ruhe gönnen können. Er hatte es allerdings nicht getan – bis vor kurzem, als die Folgen der schweren Grippe ihn gezwungen hatten, alles etwas langsamer anzugehen.

Alles langsamer angehen? Evan verzog das Gesicht. Man konnte eher sagen, dass die Krankheit ihn in die Knie gezwungen hatte! In seinem ganzen Leben – und er war immerhin schon siebenunddreißig – war er noch nie so krank und anschließend derartig erschöpft gewesen, körperlich und seelisch.

Diese Erfahrung hatte ihm, wie er sich ehrlich eingestand, große Angst gemacht. Und er empfand es als Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet er, der anderen Menschen half, sich gesund und fit zu halten, von einer simplen Grippe überwältigt worden war, weil er sich vernachlässigt hatte.

Um sich zu beruhigen, atmete er bewusst tief durch und suchte dann im Küchenschrank nach Malzkaffee. Es wäre ohnehin nicht ratsam gewesen, mitten in der Nacht Bohnenkaffee zu trinken.

Fünf Minuten später war der Malzkaffee fertig, und seine Laune hatte sich ein bisschen gebessert. Evan ging ins Wohnzimmer und machte es sich auf dem weichen Sofa bequem. Mit der Fernbedienung schaltete er den Fernsehapparat ein und beschloss, sich mal wieder „African Queen“ anzusehen, das zum x-ten Mal wiederholt wurde. Während er sich auf den Film zu konzentrieren versuchte, klang ihm das Quietschen des Gartentors nebenan weiterhin unablässig in den Ohren.

Rowana versuchte, die rostigen Angeln des Gartentors abzuschrauben. Sie trug Jeans und einen engen roten Rippenpulli, das glänzende braune Haar hatte sie im Nacken zusammengebunden.

Ihre Bemühungen waren vergeblich. Zum einen hatten die Schrauben sich förmlich festgefressen, zum anderen waren ihre Hände eiskalt. Zwar schien die Sonne, aber es blies ein schneidender Wind.

„Verdammt!“, fluchte sie, als der Schraubenzieher wieder einmal abrutschte. Am liebsten hätte sie sich einfach hingesetzt und wie ein Baby geweint. Sie hatte gestern nicht nur erfahren müssen, dass ihr Nachbar ein griesgrämiger Eigenbrötler war, sondern nun fand sie auch noch heraus, dass sie keinerlei Talent fürs Heimwerken besaß.

Wahrscheinlich würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als einen Teil der bescheidenen Summe, die Greg ihr hinterlassen hatte, in die nötigsten Reparaturen am Haus zu investieren. Als Erstes würde sie das Tor richten lassen.

Zum Kuckuck! Warum war es nicht so einfach, wie sie gedacht hatte? Warum hatte sie das Gefühl, im Moment eher ein Atom spalten als die Angeln herausschrauben zu können?

„Probleme?“, erklang plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihr.

Erschrocken blickte Rowana auf, und ihr wurde unerklärlich heiß. Widerstrebend gestand sie sich ein, dass der Grobian von nebenan umwerfend gut aussah. Seine regelmäßigen Züge waren markant, die Kombination von schwarzem Haar und grünen – im Moment eisig blickenden – Augen war ungewöhnlich. Er wirkte sehr männlich, und das verstörte sie.

Sie würde ihn jedenfalls nicht um Hilfe bitten! Denn dann würde er sie als hilfloses Wesen abstempeln, und die Genugtuung gönnte sie ihm nicht.

„Danke, ich komme allein klar“, erwiderte Rowana abweisend und legte kurz den Schraubenzieher beiseite. Kräftig rieb sie die Hände aneinander, um sie warm zu bekommen, und dehnte dann die verkrampften Finger.

„Das verflixte Tor hat letzte Nacht so gequietscht, dass ich kein Auge zutun konnte“, beklagte sich ihr feindseliger Nachbar und verschränkte die Arme vor der muskulösen Brust.

„Ich auch nicht“, versicherte sie ihm kühl. „Genau deshalb versuche ich, es zu reparieren.“

„Sie wissen also, was Sie da tun?“

Rowana meinte zu sehen, wie seine Mundwinkel zuckten, aber sie musste sich geirrt haben. Dass dieser Mann lächelte, kam wahrscheinlich nicht häufiger vor als ein Schneesturm in der Sahara!

„Das geht Sie überhaupt nichts an, Mr. Wie-auch-immer-Sie-heißen!“, erwiderte sie brüsk, von seinem herablassenden Ton aufgebracht. „Und nun lassen Sie mich bitte allein, damit ich hier weitermachen kann.“

„Evan Cameron.“

„Wie bitte?“ Verwirrt sah sie zu ihm auf.

„Ich heiße Evan Cameron.“

Nun hatte er sich endlich vorgestellt! Allerdings in so abweisendem Ton, als wollte er klarstellen, dass sie sich auch weiterhin keine Hoffnungen auf eine freundschaftliche Beziehung zu machen brauchte.

„Na schön, Mr. Cameron! Sollte jemand irrtümlich bei mir klopfen und Sie suchen, weiß ich jetzt, wohin ich ihn schicken muss.“ Rowana nahm den Schraubenzieher und versuchte erneut, die widerspenstige Schraube zu lockern.

„Geben Sie her!“

Bevor sie protestieren konnte, hatte Evan Cameron ihr den Schraubenzieher aus der Hand genommen. Wütend stand sie auf und funkelte ihn an.

„Warum gehen Sie nicht ins Haus und wärmen sich auf, während ich mich ums Tor kümmere?“, bot er von oben herab an.

Er braucht gar nicht so zu tun, als würde ihm plötzlich mein Wohlbefinden am Herzen liegen, dachte sie rebellisch. Das Tor hatte ihn die ganze Nacht wach gehalten, und nur deshalb wollte er es reparieren. Eine andere Frau wäre vielleicht dankbar gewesen, weil man ihr die Arbeit abnahm, sie war es allerdings nicht. Wenn jemand Hilfe nicht aus Uneigennützigkeit anbot, war es ihrer Meinung nach nur Einmischung.

Lieber würde sie weitermachen und womöglich alles verpfuschen, als sich von einem feindseligen Macho wie Evan Cameron unter die Arme greifen zu lassen.

„Ich habe Sie nicht um Hilfe gebeten, und ich brauche auch keine, Mr. Cameron. Sie haben doch an einem Sonntagmorgen sicher Besseres zu tun, als hier in der Kälte zu stehen und mein Gartentor zu reparieren.“ Rowana blickte ihm in die Augen, und ihr Herz begann wie rasend zu pochen, während sie die Hand ausstreckte. „Würden Sie mir bitte meinen Schraubenzieher zurückgeben?“

„Leben Sie denn mit einem Mann zusammen, Miss Hawkins?“

„Das geht Sie gar nichts an! Und wagen Sie es nicht, mich weiterhin wie ein hilfloses Dummerchen zu behandeln, das nicht weiß, wo bei einem Elektrobohrer vorn und hinten ist, weil ich …“

„Wissen Sie es denn?“, hakte Evan lächelnd nach.

Sie verspannte sich vor Wut. „Was?“

„Wo bei einem Elektrobohrer vorn und hinten ist.“

„Das Gespräch ist einfach lächerlich! Geben Sie mir endlich meinen Schraubenzieher, und lassen Sie mich allein, Mr. Cameron. Bitte!“

„Wie Sie wollen.“ Gleichgültig zuckte er die breiten Schultern und reichte ihr den Schraubenzieher. „Ich weiß auch nicht, wieso, aber mir geht gerade die Formulierung ‚sich ins eigene Fleisch schneiden‘ durch den Kopf. Falls es Ihnen nicht gelingt, das Tor zu reparieren, klopfe ich mitten in der Nacht bei Ihnen an die Tür und wecke Sie, damit Sie meine Folterqualen teilen können.“

Er wandte sich ab und ging hoch erhobenen Hauptes weiter, ganz so, als wäre er der Gutsherr und sie nur eine armselige Bäuerin, die unbefugt den herrschaftlichen Besitz betreten hatte.

Wütend setzte Rowana den Schraubenzieher an und stöhnte vor Schmerz, als er abrutschte und ihr über den Daumen glitt, zum Glück ohne die Haut zu verletzen.

Zwei Stunden später hatte sie Hunger und war durchgefroren. Mühsam erhob sie sich und gestand sich ein, dass sie gescheitert war. Die verflixte Schraube wollte und wollte sich nicht rühren.

Während Rowana ins Haus eilte, blickte sie unauffällig zu den Fenstern ihres Nachbarn und stellte aufatmend fest, dass er sie nicht beobachtete. Zehn Minuten später setzte sie sich an den Küchentisch, einen Becher heißen Kakao in einer Hand, das Telefonbuch in der anderen. Vielleicht gab es in der Gegend einen Handwerker, der kleinere Reparaturen erledigte?

Als sie jemanden gefunden hatte und die Nummer wählen wollte, klingelte es an der Tür.

Nichts Gutes ahnend, ging Rowana in den Flur und öffnete.

„Sie haben Mumm, das muss man Ihnen lassen.“ Seine grünen Augen funkelten jetzt nicht kalt, sondern amüsiert, während Evan Cameron lässig am Türrahmen lehnte und auf sie herunterblickte.

Am liebsten hätte sie ihn geohrfeigt, um sein selbstgefälliges Lächeln zu vertreiben.

„Wie meinen Sie das, Mr. Cameron?“

„Ich habe zwei Stunden lang zugesehen, wie Sie sich trotz der Kälte mit dem Tor abgemüht haben. Vielleicht haben Sie es mit der Hartnäckigkeit ein bisschen übertrieben – nur um mir zu beweisen, dass Sie meine Hilfe nicht brauchen –, aber Ihr Durchhaltevermögen verdient Respekt. Lassen Sie mich jetzt das Tor reparieren, und dann belästige ich Sie nicht länger. Ehrenwort!“

„Wie oft muss ich es noch sagen, damit es in Ihren Dickschädel geht?“, fragte Rowana, ohne zu überlegen. „Ich möchte nicht, dass Sie mein Tor reparieren! Und wenn ich es nicht selbst schaffe, sind Sie trotzdem der letzte Mann auf der Welt, von dem ich es in Ordnung bringen lasse.“

2. KAPITEL

Diese Frau ist noch sturer, als ich befürchtet habe, dachte Evan gereizt. Er war sich zwar klar, dass er sich ihre Abneigung selbst eingehandelt hatte, so wie er sich bisher verhalten hatte, aber nun war er mit den besten Absichten hier erschienen! Wenn sie sich immer noch weigerte, sich helfen zu lassen, war es nicht seine Schuld.

Und was sollte das heißen, sie würde jeden anderen Mann außer ihn das Tor reparieren lassen? Hatte sie keinen Mann oder Freund? Wahrscheinlich. Weshalb sonst versuchte sie, das verflixte Ding selbst in Ordnung zu bringen?

Nun musterte er sie interessiert. In dem weißen Kleid hatte sie zierlich, beinah zerbrechlich gewirkt. Heute trug sie Jeans und einen engen roten Pullover, der ihre festen, wohlgerundeten Brüste bestens zur Geltung brachte.

Bei dem Anblick durchzuckte ihn Begehren, und er fluchte im Stillen. Sie war überhaupt nicht sein Typ. Er mochte keine Frauen, die ihn an scheue Rehe mit weidwundem Blick denken ließen, sondern bevorzugte große, gertenschlanke Frauen, die selbstsicher und mondän waren. Und Frauen, die es für eine Verletzung ihrer Grundrechte hielten, wenn man ihnen Hilfe anbot oder ihnen auch nur höflich die Tür aufhielt, konnte er überhaupt nicht ausstehen.

„Na gut!“ Evan zuckte die breiten Schultern.

Allerdings war nicht alles gut, denn es bestand die Gefahr, dass die quietschenden Angeln ihn eine weitere Nacht wach halten würden. Vom Meer her blies ein kräftiger Wind, und schon jetzt machte das Tor einen unbeschreiblichen Lärm. Wenn es so weiterging, würde er bald so rasend werden, dass man ihn in eine Zwangsjacke stecken musste.

„Vielleicht könnten Sie ja Ihren Mann überreden, es zu reparieren“, fügte er hinzu.

Ihm wurde sofort klar, dass er das Falsche gesagt hatte. Rowana Hawkins sah plötzlich zutiefst betrübt aus.

Warum habe ich es nicht gut sein lassen und bin gegangen? fragte Evan sich gereizt. Warum hatte er sie auf Teufel komm heraus aus der Reserve zu locken versucht, obwohl er nichts mit ihr zu tun haben wollte?

„Ich habe keinen Mann“, erwiderte sie ausdruckslos.

„Das ist nicht das Ende der Welt“, meinte er gleichgültig und schob die Hände in die Hosentaschen. Er fragte sich, wie er sich taktvoll aus der Affäre ziehen könnte. „Sie sind allein bestimmt besser dran. Ich würde die Ehe ohnehin nicht empfehlen.“

„Ach so? Mit Ihren zynischen Bemerkungen schaffen Sie sich bestimmt nicht viele Freunde, Mr. Cameron! Zu Ihrer Information: Mein Mann ist voriges Jahr tödlich verunglückt. Ich habe ihn von ganzem Herzen geliebt und vermisse ihn mehr, als Sie sich auch nur annähernd vorstellen können. Finden Sie immer noch, dass ich ohne ihn besser dran bin?“

Autor

Maggie Cox
Schreiben und Lesen gingen bei Maggie Cox schon immer Hand in Hand. Als Kind waren ihre liebsten Beschäftigungen Tagträumen und das Erfinden von Geschichten. Auch als Maggie erwachsen wurde, zu arbeiten begann, heiratete und eine Familie gründete blieben ihre erfundenen Heldinnen und Helden ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Was immer...
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