Große Liebe in einer kleinen Stadt

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"Kelsey liebt Sam ..." Dreizehn Jahre sind vergangen, seit Kelsey ihrem Tagebuch ihre heiße Jugendliebe anvertraute. Als der mittlerweile so erfolgreiche Cop nun in die kleine Stadt zurückkehrt, scheint sich ihre Liebe endlich zu erfüllen. Doch Sam kann nicht bleiben …


  • Erscheinungstag 02.12.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512657
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Lass die Pfannkuchen nicht anbrennen, Liebes!“

Kelsey Schaeffer zuckte zusammen, als ihre Mutter in die Küche des kleinen Familienrestaurants kam, und beeilte sich, die goldgelben Eierkuchen zu wenden. Ihre ganze Aufmerksamkeit hatte der Unterhaltung gegolten, die zwei Gäste auf der anderen Seite der Durchreiche führten, und selbst jetzt, als ihre Mutter weitere Bestellungen bei ihr aufgab, fiel es ihr schwer, sich auf ihre Arbeit als Aushilfsköchin zu konzentrieren.

Sam MacInnes war nach Maple Mountain zurückgekehrt. Das an sich war nichts Ungewöhnliches. Auch Kelsey selbst war erst seit zwölf Stunden wieder hier, um ihrer Mutter Dora, die seit zwei Tagen den Arm in Gips trug, im „Dora’s Diner“ zu helfen.

Was Kelsey in Panik versetzte, war der Rest der Unterhaltung, mit der sich die beiden rüstigen Senioren Amos Calder und Charlie Moorhouse die Wartezeit auf ihr Frühstück vertrieben: Sams Schwester Megan hatte offenbar das alte Baker-Haus gekauft, und Sam half ihr, es zu renovieren – indem er zum Beispiel die Wände im Obergeschoss herausriss.

In einer dieser Wände steckte Kelseys altes Tagebuch, das sie in der Highschool geführt hatte. Es trug ihren Namen in Glitzerschrift auf dem Einband – und ausgerechnet Sams Name tauchte im Innern gleich auf jeder Seite mehrmals auf. Zusammen mit gewagten und äußerst ausführlichen Tagträumen, bei denen Kelsey, wenn sie auch nur daran dachte, knallrot wurde. Nicht auszudenken, wenn Sam das Tagebuch fand!

Dass es überhaupt im Baker-Haus lag, verdankte Kelsey einer Verkettung von Umständen, die – wäre ihr die Sache nicht so peinlich gewesen – komisch hätten sein können. Als Collegestudent hatte Sam in den Semesterferien auf dem Hof seines Onkels ausgeholfen, und sie war mit sechzehn unsterblich in den gut aussehenden jungen Mann verliebt gewesen. Ihre wilden Fantasien hatte sie ihrem Tagebuch anvertraut.

Aus Angst, ihre Mutter könnte es zu Hause finden, hatte sie es zunächst in der alten Mühle aufbewahrt, bis sie herausfand, dass auch dieses Versteck nicht sicher genug war. Also hatte sie es zu ihrer besten Freundin Michelle Baker getragen, die ihr verständnisvoll einen Platz in ihrem eigenen Geheimversteck angeboten hatte: ein schmales Bord hinter einem losen Wandbrett in ihrem Zimmer.

Allerdings war Kelseys kostbares Tagebuch nicht auf dem Bord liegen geblieben, sondern dahinter zu Boden gerutscht, und sosehr die Mädchen sich auch mühten, es war nicht wieder herauszubekommen. Somit hatte Michelle zumindest ihr Versprechen gehalten, dass niemand das Tagebuch je zu sehen bekommen würde. Und auch Kelsey hatte es vollkommen vergessen. Bis jetzt.

Die Aussicht, dass ausgerechnet Sam MacInnes, die Hauptperson ihrer Mädchenfantasien, es nun womöglich schon in den Händen hielt, ließ Kelsey die Haare zu Berge stehen.

„Kelsey? Die Pfannkuchen?“ Dora goss frische Milch in ein Glas und trug es in Richtung Schwingtür. Mit ihrem zu einem geflochtenen Knoten aufgesteckten silberblonden Haar, ihren freundlichen Zügen und der Servierschürze um die füllige Taille wirkte Dora so effizient und geschäftig wie sonst auch, und selbst der Gipsarm hinderte sie nicht daran, ihren Restaurantbetrieb in Schwung zu halten.

Selbst als sie beim Aufhängen der Girlanden für den Nationalfeiertag von der Leiter gefallen war, hatte sie noch darauf bestanden, die bereits befestigte Dekoration wieder abzunehmen, damit sie nicht halbfertig hängen blieb, bevor sie quer über die Straße zur Arztpraxis marschierte, um sich den Arm richten zu lassen. Halbe Sachen mochte Dora eben nicht.

Die Tüchtigkeit hatte Kelsey von ihr geerbt, und normalerweise fiel es ihr nicht schwer, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Im Augenblick allerdings richtete sich ihre ganze Aufmerksamkeit noch immer auf das Gespräch der beiden alten Männer. Verärgert darüber, dass sie sich von einer solchen Kleinigkeit so aus dem Tritt bringen ließ, legte sie die Pfannkuchen auf zwei Teller und ergänzte sie mit Rührei, Würstchen und gebratenem Speck, während Dora das Milchglas zu einem Kurierfahrer an einen der Tische trug und dann zur Durchreiche zurückkehrte. Die beiden Alten saßen am Tresen des Restaurants, und so hatte Dora keinen weiten Weg zurückzulegen, um ihnen die beiden vollen Teller zu bringen.

„Ich frage mich, wo er bleibt“, hörte Kelsey Amos sagen.

„Wer?“, fragte Dora, als sie die Pfannkuchen servierte.

„Sam.“ Amos runzelte die Stirn. „Normalerweise kommt er um diese Zeit.“

Kelsey hielt den Atem an, als Charlie kritisch sein Rührei beäugte und dann bemerkte: „Vielleicht ist er nach St. Johnsbury gefahren. Ich hab ihm gestern schon gesagt, dass er hier nicht in der Großstadt ist, wo es an jeder Ecke einen Baumarkt gibt. Er muss lernen, sich Listen zu machen, damit er alles auf einmal einkauft und nicht ständig hin und her fährt.“

Amos blickte seinen Freund über seine Brille hinweg an. „Meinst du nicht, dass er so was schon von seiner Arbeit her kennt?“

„Was hat denn Listen machen damit zu tun, dass er Polizist ist?“

„Er ist kein Polizist, sondern Kriminalbeamter. Den Unterschied kennt man doch aus den Serien im Fernsehen. Man sollte meinen, dass ein Mann, der Indizien sucht und Leute verhört, sich Listen darüber macht, was er schon weiß und was nicht.“

„Ich glaube nicht, dass er ohne Frühstück nach St. Johnsbury gefahren ist“, mischte Dora sich ein. „Er kommt seit zwei Wochen jeden Morgen hierher.“

Es war eins der Dinge, die Kelsey an ihrem Heimatort so liebte: dass man aufeinander achtgab und sich umeinander kümmerte. Wenn man von jemandem eine Weile nichts gehört hatte, fragte man sich, wo er steckte, und versicherte sich, dass es ihm gut ging. Der Nachteil lag darin, dass man in Maple Mountain so gut wie kein Privatleben hatte. Doch Kelsey gefiel das Gefühl, zu einer großen Familie zu gehören. Wann immer sie nach Maple Mountain zurückkam, manchmal nach einem Jahr, manchmal erst nach zweien, wurde sie stets von allen herzlich aufgenommen.

Als sich jetzt jedoch die Tür öffnete und viele der Gäste den Kopf wandten, um zu sehen, wer der Neuankömmling war, fühlte sie sich äußerst unbehaglich.

Seit sie Sam MacInnes vor über zwölf Jahren das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie kaum mehr an ihn gedacht. Damals hatte sie ihn für den attraktivsten Mann der Welt gehalten. Nun lebte sie schon etliche Jahre in Großstädten, ihr Horizont hatte sich beträchtlich erweitert, und sie war längst nicht mehr so leicht zu beeindrucken.

Dennoch musste sie schlucken, als der eins achtzig große muskulöse Mann in einem ausgeblichenen T-Shirt der New Yorker Polizei und verwaschenen Jeans den Raum betrat.

Obwohl er sich unauffällig verhielt und die Anwesenden freundlich grüßte, hatte man sofort das Gefühl, dass er die kleine Gaststube völlig beherrschte.

Kelsey konnte sich nicht daran erinnern, ob sein Haar immer schon so dunkel gewesen war. Im Licht der Lampen wirkte es fast schwarz, was einen faszinierenden Kontrast zu seinen silbergrauen Augen bildete. Damals hatte sie ganze Seiten über seinen offenen, verwegenen Blick gefüllt, doch jetzt strahlte er eher eine stille Wachsamkeit aus. Am meisten fiel ihr jedoch auf, wie sich sein damals lediglich attraktives Gesicht im Laufe der Zeit verändert hatte und nun Reife und Beherrschung verriet.

Sie blickte ihm nur ganz kurz in die Augen und wandte sich dann hastig ab, um sich um die nächsten Bestellungen zu kümmern. Am Herd war sie zwar durch die Durchreiche nicht zu sehen, doch sie hörte, wie ihre Mutter Sam begrüßte und ihm frischen Kaffee eingoss.

„Die beiden hier haben sich schon Sorgen um dich gemacht“, bemerkte Dora gut gelaunt. „Aber ich wusste doch, dass du zum Frühstück auftauchen würdest.“

Sams Lachen klang tief und angenehm. „Sie kennen mich einfach zu gut, Dora. Danke“, fuhr er offenbar angesichts des Kaffees fort.

„Und was brauchst du diesmal aus dem Baumarkt?“, fragte Dora im Plauderton.

„Auf jeden Fall mehr Balken. Aber ich fahre erst nach St. Johnsbury, wenn ich die Wände oben alle herausgerissen habe und weiß, wie viel genau ich noch holen muss. Das Holz ist im Obergeschoss viel verrotteter als unten.“

„Das liegt daran, dass das Dach undicht war“, bemerkte Amos. „Die Bakers haben es vor dem Verkauf repariert, aber vorher lief das Wasser nur so durch.“

„Sie haben Megan den Wasserschaden auch beschrieben“, sagte Sam, „aber es war ihr egal. Sie und die Jungs haben sich auf den ersten Blick in den alten Kasten verliebt.“

„Na ja, die Lage ist ja auch einmalig, mit dem Bach und dem großen Grundstück“, sagte Dora. „Und wenn es erst einmal renoviert ist, wird es ein Schmuckstück. Kelsey war früher mit Michelle Baker befreundet und oft dort. Apropos …“, fuhr Dora so beiläufig fort, dass selbst Kelsey auf den kommenden Themenwechsel nicht gefasst war. „Kelsey ist auch hier. Sie ist letzte Nacht mit dem Flugzeug in Montpellier angekommen. Kelsey? Wo bist du denn? Ich wollte dich jemandem vorstellen.“

Dankbar, dass die Wand sie verbarg, gab Kelsey keine Antwort, sondern schüttelte nur den Kopf und blickte zur Decke. Für ihre Mutter gab es keine Fremden. Selbst von Touristen, die sich mehr als ein Mal in ihr Restaurant verirrten, behielt sie alle Details, und die Einheimischen kannte sie im Umkreis von fünfzig Kilometern mit Namen, Familienstand und besonderen persönlichen Umständen. Was man ihr nicht freiwillig anvertraute, hörte sie als Gerücht oder fand es selbst heraus.

Die einzige Person, von der Dora Schaeffer nicht so viel wusste, wie sie dachte, war ihre eigene Tochter.

Das hatte durchaus seine Vorteile. Kelsey wurde bewusst, dass ihre Mutter nicht den leisesten Schimmer hatte, wie verliebt sie damals in Sam gewesen war. Offenbar glaubte Dora sogar, dass sie ihn gar nicht kannte.

Widerwillig trat sie an die Durchreiche.

„Kelsey, das hier ist Tom und Janelle Colliers Neffe, Sam. Er hat sich Urlaub genommen, um das alte Baker-Haus für seine Schwester zu renovieren.“ Dora runzelte die Stirn. „Ich hab dir doch erzählt, dass die Bakers das Haus verkauft haben, nachdem Jenny Baker Dr. Reid geheiratet hat, oder? Na, jedenfalls“, fuhr sie eifrig fort und wandte sich wieder Sam zu, „hilft Kelsey mir hier über die Feiertage aus. Ich weiß nicht, was ich ohne sie tun würde. Heute geht’s ja noch, da sind wir unter uns, aber zum Unabhängigkeitstag stehen hier die Touristen Stoßstange an Stoßstange. Und sie haben alle Hunger.“

Sam hatte große Hände, bemerkte Kelsey, als er seinen Becher hochhob. Und ein nettes Lächeln. Ein wenig zurückhaltend. Aber ziemlich sexy.

Als ihr klar wurde, dass sein Lächeln ihr galt, wandte sie ihre Aufmerksamkeit hastig Amos zu, der seine Pfannkuchen mit Ahornsirup beträufelte.

„Na ja, bis das überstanden ist, habe ich mich hoffentlich an dieses Ding hier gewöhnt“, fuhr Dora fort und strich stirnrunzelnd über ihren Gips. „Kelsey backt schon auf Vorrat, damit ich im Notfall ein paar Kuchen in der Truhe habe.“

Ihre Miene hellte sich auf, als sie an Sam gewandt fortfuhr: „Du hast auch schon hier gegessen, als Kelsey noch auf der Highschool war. Sie hat in der Küche gearbeitet, aber auch serviert. Vielleicht erinnerst du dich sogar an sie.“

Kelsey unterdrückte ein Stöhnen. Ihre Mutter dachte sich einfach nichts dabei. Das kleine Restaurant lag im Erdgeschoss des zweistöckigen Hauses, in dem Kelsey aufgewachsen war. Nach dem Tod ihres Mannes hatte Dora vor zwanzig Jahren ihr Wohnzimmer in eine Gaststube verwandelt, und so behandelte sie ihre Gäste eben auch – wie Freunde des Hauses.

Zum Glück schien sich Sam überhaupt nicht an sie zu erinnern. „Ja, ich glaube schon“, sagte er in dem vagen Ton von Leuten, die nicht unhöflich sein wollen, indem sie zugeben, dass jemand ihnen vollkommen unbekannt ist. „Ihre Mutter hat erzählt, dass Sie jetzt in Scottsdale leben und als Gourmetköchin arbeiten“, wandte er sich an Kelsey.

„Konditorin“, stellte Kelsey richtig, weil ihr nichts Besseres einfiel.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ich könnte von Apfelkuchen leben. Ob Sie mir wohl einen backen, während Sie hier sind?“

„Vielleicht.“

Er betrachtete sie über den Rand seiner Tasse und hob eine dunkle Augenbraue. „Und wie steht es mit Pfannkuchen?“

Es fiel ihr schwer, ihm in die Augen zu blicken. Wenn sie sich recht erinnerte, ging es in vielen der damaligen Tagebucheinträge um seinen herrlichen muskulösen Körper. Auch jetzt zeichneten sich wohlgeformte Muskeln unter dem dünnen T-Shirt deutlich ab, was dummerweise ähnliche Gefühle wie früher in ihr hervorrief.

„Lässt sich machen“, erwiderte sie.

„Er nimmt immer sechs Stück, dazu vier Spiegeleier, Vollkorntoast und zwei Portionen gebratenen Speck“, zählte Dora auf und geleitete dann ein Touristenpärchen mit ihren beiden Kindern zu einem Tisch. „Heute Buttermilch- oder Blaubeerpfannkuchen?“, fragte sie Sam über die Schulter.

Wieder erschien dieses zurückhaltende Lächeln um Sams Mundwinkel. „Ich lasse mich von ihr überraschen“, sagte er mit einem Augenzwinkern in Kelseys Richtung.

Kelsey wurde klar, dass sie auf seinen Mund starrte, und betete, dass er es nicht bemerkt hatte. Hastig wandte sie sich ab. Früher hatte sie vor dem Spiegel geübt, diesen sinnlichen Mund zu küssen.

Die Erinnerung trieb ihr die Schamesröte ins Gesicht. Froh, dass die Gäste sie am Herd nicht mehr sehen konnten, griff sie nach einer Edelstahlschüssel, um neuen Pfannkuchenteig anzurühren.

Unglaublich, wie nervös er sie machte. Immerhin war sie neunundzwanzig, keine sechzehn mehr. Seit sie vor elf Jahren Maple Mountain verlassen hatte, um zur Kochschule zu gehen, hatte sie sich von einer Hilfsköchin in Boston zur Konditorin in Viersternerestaurants in San Diego und Scottsdale, Arizona, hochgearbeitet.

Sie hatte es mit den Launen von herrischen Sterneköchen aufgenommen, die sich für Halbgötter hielten, und in den letzten fünf Jahren bei jedem Dessertwettbewerb, an dem sie teilnahm, einen der ersten drei Plätze belegt. Bis vor ein paar Minuten war ihre größte Sorge der ungünstige Zeitpunkt gewesen, zu dem ihre Mutter sie brauchte.

Gerade war ihr die Stelle als Chefkonditorin im Carlton-Hotel angeboten worden, wo sie bereits jetzt arbeitete. Die gleiche Position war ihr in einem neuen Restaurant des begnadeten Doug Westland in Aussicht gestellt worden, der als der innovativste und erfolgreichste Gastronom der Westküste galt. Diese Stelle bedeutete die Chance, seine Geschäftspartnerin zu werden – und seine Geliebte.

Mit dem zweiten Teil des Angebots hatte sie gewisse Schwierigkeiten, doch auch das war im Augenblick nicht das Problem. Das Problem war, dass sie beherrscht, diszipliniert und nicht leicht aus der Ruhe zu bringen war. Normalerweise.

Immerhin erleichterte es Kelsey ungemein, dass Sam sich offenbar nicht an sie erinnerte. Auch deutete nichts in seinem Verhalten darauf hin, dass er das Tagebuch mit ihren gewagten Einträgen gefunden hatte. Soviel sie wusste, war sie die einzige Kelsey in Maple Mountain, und ihr Name stand schließlich in Schönschrift auf dem Einband. Hätte er das verflixte Ding bereits in der Hand gehabt, hätte die Erwähnung ihres Namens ihn sicherlich zu irgendeiner Reaktion verleitet.

Mit geübten Bewegungen schlug sie vier Eier in die riesige Pfanne und legte die Speckscheiben daneben. Wahrscheinlich brauchte er ein so großes Frühstück, um seine Muskelmassen mit genügend Proteinen zu versorgen. Als sie sich dabei ertappte, dass sie schon wieder über seinen Körperbau fantasierte, ermahnte sie sich, dass sie dringende Dinge zu bedenken hatte. Zum Beispiel, wie sie vor ihm an das Tagebuch herankam.

Noch immer ohne eine bahnbrechende Idee, stellte sie schließlich die Teller mit Sams Frühstück in die Durchreiche und lächelte dabei Amos zu, der ihr wiederholt zuzwinkerte, um ihr zu zeigen, dass er mit seinem Frühstück sehr zufrieden gewesen war. Danach wandte sie sich wieder dem Herd zu, um die Omeletts für die Touristen zuzubereiten.

Sam bemerkte Amos Zwinkern und Kelseys Reaktion darauf. Während er sich hungrig über das Essen hermachte, dachte er darüber nach, ob er es ebenfalls loben sollte. Doch die attraktive Blondine hinter dem Tresen hatte mit keiner Geste angedeutet, dass sie an überhaupt irgendetwas interessiert war, was er sagte.

Als Amos ihn zu einer Partie Dame am Abend einlud, sagte er zu, obwohl Gesellschaftsspiele sonst nicht sein Fall waren. Doch er mochte die beiden alten Herren, die fest davon überzeugt waren, dass in der guten alten Zeit alles besser gewesen war, sich nach außen hin mürrisch gaben und dabei ein Herz aus Gold hatten.

Ganz abgesehen davon, war er froh, einen Zeitvertreib zu haben, denn eigentlich saß er in Maple Mountain nur den Urlaub ab, der ihm von der Polizeipsychologin aufgezwungen worden war.

Er selbst hielt die Arbeitspause immer noch für unnötig und hätte sie sofort abgebrochen, wenn die Polizeibehörde ihn gelassen hätte. Während er stirnrunzelnd seinen Kaffee austrank, musste er allerdings zugeben, dass die Psychologin in einem Punkt vielleicht doch recht gehabt hatte: dass er im Polizeidienst den Umgang mit normalen Menschen verlernt hatte.

Woran sonst sollte es liegen, dass er der gut aussehenden und zu den anderen Gästen ausnehmend freundlichen Kelsey nicht einmal ein Lächeln hatte entlocken können? Von einem Gespräch ganz zu schweigen …

Er erinnerte sich nur dunkel an sie, da er damals hin und wieder bei „Dora’s Diner“ gegessen hatte. Doch je länger er über sie nachdachte, desto mehr kam es ihm so vor, als hätte es schon damals eine süße, langbeinige Blondine gegeben, nach der er Ausschau hielt, wenn er hier einkehrte. Allerdings war ihm klar gewesen, dass sie erst sechzehn und somit noch minderjährig war, und hatte daher die Finger von ihr gelassen.

Heute sah die Sache anders aus. Außerdem war aus dem süßen Teenager eine zauberhafte Frau mit einer faszinierenden Ausstrahlung geworden. Sie hatte das weißblonde Haar ihrer Mutter geerbt, das bei ihr allerdings mit goldenen und champagnerfarbenen Strähnen durchwoben war. Sie trug es im Nacken zum Pferdeschwanz gebunden, und darüber eine weiße Kochmütze, die ihre großen dunkelbraunen Augen betonte. Zusammen mit ihren fein geschnittenen Gesichtszügen, ihrer makellosen Haut und dem weichen roten Mund eine Kombination, die ihn absolut nicht kaltließ.

In ihrer weißen Kochjacke mit dem hohen Kragen, die sie wahrscheinlich mitgebracht hatte, wirkte sie in der Küche wie der Profi, der sie war, hatte zu den anderen Gästen allerdings offenbar ein vertrautes und freundschaftliches Verhältnis.

Warum sie mit jedem anderen lachte und scherzte und ihm die kalte Schulter zeigte, war ihm ein Rätsel. Immerhin war es sein Spezialgebiet, Menschen aus der Reserve zu locken. Jedenfalls Menschen, die sich in einem gewissen kriminellen Milieu bewegten.

Mit dem letzten Schluck Kaffee beschloss er, dass es nicht lohnte, darüber weiter nachzudenken, ließ sich von Dora zwei riesige Blaubeermuffins für später einpacken und machte sich auf den Weg zu dem Trailer, den er im Moment sein Zuhause nannte.

Er hatte ganz andere Probleme als die Tatsache, dass er es offenbar verlernt hatte, mit einer attraktiven Frau zu flirten. Die Polizeipsychologin hatte gesagt, er hätte den Bezug zur Normalität verloren – was immer das bedeuten mochte – und würde seinen Nutzen für den Polizeidienst verlieren, wenn er ihn nicht wiederfand.

Das hatte den Ausschlag gegeben. Seine Arbeit war mehr als ein Job für ihn. Seine Vorgesetzten, Kollegen und die Behörde zu enttäuschen kam für ihn nicht infrage. Er würde tun, was nötig war, um das zu verhindern, auch wenn es ihm schwer fiel.

Es war nun drei Wochen her, dass er den Fall abgeschlossen hatte, für den er über ein Jahr lang verdeckt ermittelt hatte. Vierzehn Monate lang hatte er unter falschem Namen und falscher Identität gelebt, um in die Kreise einzudringen, die er überwachen sollte. Um seine Deckung nicht zu gefährden, hatte er auch nicht an der Beerdigung seines Schwagers teilnehmen können, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Nun war seine Schwester Megan Witwe, seine beiden Neffen Halbwaisen.

Die Psychologin hatte angeordnet, dass er drei Monate lang beurlaubt wurde, um in einen normalen Alltag zurückzufinden, wieder Kontakt mit seiner Familie aufzunehmen und sich auf kreative Weise zu entspannen.

Bei der Renovierung des Hauses konnte er dieser Anordnung folgen, ohne dabei vor Langeweile verrückt zu werden. Im Moment allerdings fiel es ihm in der Tat schwer, in die sogenannte „Normalität“ zurückzufinden, nachdem er so lange in der New Yorker Unterwelt mit Dealern, Zuhältern und Prostituierten verbracht hatte.

Deshalb überraschte es ihn auch, dass die attraktive Blondine, die ihm am Morgen so auffallend die kalte Schulter gezeigt hatte, am Nachmittag plötzlich mit einem strahlenden Lächeln und einem frisch gebackenen Apfelkuchen vor der Tür stand. Normal war das jedenfalls nicht.

2. KAPITEL

Kelsey war zu dem Schluss gekommen, dass es nur zwei Möglichkeiten gab, das Tagebuch unbemerkt aus dem Haus zu schmuggeln: Entweder versuchte sie, allein ins Obergeschoss zu kommen und es in ihrer Handtasche verschwinden zu lassen, oder sie ließ sich von Sam herumführen und kam zurück, wenn er nicht da war. Alles hing natürlich davon ab, welche Wände er schon abgerissen hatte.

Ihr Magen verkrampfte sich nervös, als er auf ihren am Flughafen gemieteten Kleinwagen zukam. Sie stieg aus, ließ die Handtasche über einer Schulter baumeln, griff nach der rosafarbenen Kuchenschachtel auf dem Beifahrersitz und ging ihm dann entgegen.

Alte Küchenschränke, verrottete Fußbodenbretter und ein verrostetes Waschbecken waren am Ende der Auffahrt zu einem großen Haufen aufgeschichtet. Daneben stapelte sich neues Holz vor der vom Alter gezeichneten Veranda.

Kelsey hatte gehört, dass Sam in dem langen weißen Trailer lebte, den er am Bachufer auf dem hinteren Teil des Grundstücks aufgestellt hatte. Laut Dora war das Aufbocken dieses Trailers in Maple Mountain ein halbes Volksfest gewesen, zu dem nicht nur Charlie und Amos erschienen waren, die mit Hand angelegt hatten, sondern auch zahlreiche Zuschauer. Zum Beispiel Lorna Bagley, eine alleinerziehende Mutter, die in „Dora’s Diner“ als Serviererin arbeitete. Lorna hatte Kelsey allerdings anvertraut, dass sie weniger an dem Wohnwagen interessiert war als an seinem Bewohner. So attraktive Männer wie Sam verirrten sich eben selten nach Maple Mountain.

Von Lorna hatte Kelsey auch erfahren, dass Sam jahrelang als Kriminalbeamter gearbeitet hatte und fast ebenso lange geschieden war. Trotz der wie immer gut funktionierenden Gerüchteküche schien jedoch niemand zu wissen, woran die Ehe gescheitert war, und auch über seinen Beruf gab es lediglich Vermutungen. Es hieß, dass er im Morddezernat arbeitete, aber niemand wusste Genaueres. Offenbar sprach er nicht viel über seine Arbeit.

Außerdem interessierte es die Einwohner von Maple Mountain nicht sonderlich, was jemand außerhalb ihres kleinen Ortes tat. Sam war gekommen, um seiner Schwester zu helfen, und das war etwas, was jeder hier schätzte.

Zwei Meter vor ihr blieb Sam stehen, und Kelsey hatte das unbehagliche Gefühl, dass er sie von Kopf bis Fuß musterte, obwohl er ihr die ganze Zeit in die Augen blickte.

„Wenn ich nicht wüsste, dass Sie die Gegend hier viel besser kennen als ich, würde ich fragen, ob Sie sich verirrt haben“, sagte er.

Offenbar erinnerte er sich also an ihre Begegnung am Morgen – und wie wortkarg sie sich verhalten hatte. Kein Wunder, dass er sich nun fragte, was sie hier tat.

„Ich hoffe, ich störe nicht“, erwiderte sie. Außerdem hoffte sie, dass er nicht allzu beleidigt über ihr früheres Verhalten war, aber das behielt sie für sich.

„Ich habe gerade nichts zu tun, was nicht warten könnte.“

Sie nickte und hielt ihm die Schachtel mit dem Kuchen hin, einen von mehreren, die sie am Vormittag gebacken hatte. „Sie sagten doch, dass Sie Apfelkuchen mögen.“

Erstaunt hob er die Augenbrauen und nahm die Schachtel entgegen. „Und wofür bekomme ich den?“

„Weil ich mich gerne einmal im Haus umsehen würde“, gestand sie, bemüht, nicht ständig mit dem Blick an seinen muskulösen Oberarmen hängen zu bleiben, von denen sie damals so geschwärmt hatte. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das zweistöckige Haus vor ihr. „Ich habe gehört, dass Sie Wände herausreißen und alles umbauen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich es gerne noch einmal sehen, bevor es sich total verändert hat.“ Sie zögerte und versuchte, ihrer Stimme einen beiläufigen Klang zu geben. „Wie weit sind Sie denn? Mit den Wänden, meine ich.“

Noch immer wirkte er überrascht über ihren Besuch, doch im Augenblick galt seine Aufmerksamkeit eher der Kuchenschachtel als ihr. Neugierig hob er den Deckel an.

„Ich habe oben erst die Hälfte der Wände geschafft“, erwiderte er, eindeutig von der Schachtel abgelenkt, die er jetzt an seine Nase hob, um zu schnuppern. „Sie nehmen Zimt.“

„Es ist ganz normaler Apfelkuchen.“

„Ich bin ja auch ein ganz normaler Mann.“

Da war es wieder, dieses zurückhaltende Lächeln.

Autor

Christine Flynn
Der preisgekrönten Autorin Christine Flynn erzählte einst ein Professor für kreatives Schreiben, dass sie sich viel Kummer ersparen könnte, wenn sie ihre Liebe zu Büchern darauf beschränken würde sie zu lesen, anstatt den Versuch zu unternehmen welche zu schreiben. Sie nahm sich seine Worte sehr zu Herzen und verließ seine...
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