Hadley's Hellions - Vereint durch Macht und Leidenschaft (4-teilige Serie)

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Vier Freunde, vereint durch Macht, Privileg und das zügellose Streben nach Leidenschaft!

DER VISCOUNT IHRES HERZENS
Beim Rendezvous mit dem schneidigen Viscount Lyndlington wähnt sich Lady Margaret im siebten Himmel der Liebe! Zwischen ihnen besteht eine ganz besondere Verbindung, das spürt sie sofort. Aber ein unerwarteter Antrag holt sie schnell auf den Boden der Tatsachen zurück: Nicht der Viscount will ihre Hand - sondern sein Bruder!

DIE DUCHESS SEINER SEHNSUCHT
"Sie werden niemals allein sein, solange ich noch atme." Als David Tanner Smith seine Jugendliebe Faith, die Duchess of Ashedone, vor Räubern rettet, gibt er ihr ein folgenschweres Versprechen. Denn er ist ein einfacher Bürgerlicher - und kann ihr nie mehr als ein Freund sein! Auch wenn er sich heimlich nach ihr verzehrt …

DIE WIDERSPENSTIGE TOCHTER DES EARLS
"Ich verspreche Ihnen, ich werde alles tun, um Sie glücklich zu machen." Benedicts Worte sind wie ein Schwertstich in Alyssas stolzem Herzen. Niemals wollte sie ihre Unabhängigkeit aufzugeben. Doch ein drohender Skandal zwingt sie, ihren Schwur zu brechen: Sie muss Benedict, den Mann mit den feurigen Augen, heiraten …

DIE KURTISANE UND DER GENTLEMAN
Junggesellendasein ade! Christopher Lattimar will heiraten. Doch wie umwirbt man eine Dame der feinen Gesellschaft? Die schöne Kurtisane Ellie will ihm Nachhilfe geben. Aber statt sich auf die Suche nach einer standesgemäßen Gattin zu konzentrieren, entbrennt Christopher in wildem Verlangen für seine verruchte Lehrerin …


  • Erscheinungstag 11.04.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739904
  • Seitenanzahl 1024
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Julia Justiss

Hadley's Hellions - Vereint durch Macht und Leidenschaft (4-teilige Serie)

IMPRESSUM

Der Viscount ihres Herzens erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2016 by Janet Justiss
Originaltitel: „Forbidden Nights With The Viscount“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON
Band 49 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Barbara Kesper

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733739768

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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PROLOG

London, Ende April 1831

Dein Halbbruder wird also heiraten.“

Die zwei jungen Abgeordneten saßen in einem Privatsalon des Quill and Gavel, einem Lokal nahe dem Parlamentsgebäude. Nun schaute Giles Hadley, eigentlich Viscount Lyndlington, von dem Bericht auf, den er gerade studierte. „George?“ Giles war nicht sicher, ob er richtig gehört hatte.

David Tanner Smith lächelte geduldig. „Genau, George! Hast du noch einen Halbbruder?“

Giles unterdrückte die scharfe Antwort, die ihm auf der Zunge lag – dass es ihm einerlei war, ob und wenn, wen sein misslicher Halbbruder heiratete – und sagte stattdessen: „Wie kommst du darauf?“

„Es steht in der Morning Post. Lady M., Tochter des Marquess of W.“, las David vor, „wurde in letzter Zeit regelmäßig mit dem Honorable G. H., dem jüngeren Sohn des Earl of T. gesehen. Die Dame ist reich und aus einwandfreier Familie, der Gentleman mit Ambitionen auf höhere Ämter, wenn er auch nicht der Erbe ist. Könnte das ein Bund im politischen Himmel sein?“

„Lady Margaret, Tochter des Marquess of Witlow – wenn ich die diskreten Auslassungen der Zeitung korrekt deute – empfiehlt sich durchaus als ideale Gattin für einen Mann, der im Kreis der Torys etwas werden möchte“, gab Giles zu. „Kein Wunder, dass George interessiert ist.“

„In der Tat. Da die Gemahlin des Marquess’ von schwacher Gesundheit ist, fungiert Lady Margaret schon seit Jahren für ihren Vater als Gastgeberin – seit sie ihren Gatten verlor, tragischerweise schon bald nach der Hochzeit.“

Giles kramte in seinem Gedächtnis. „Vor fünf oder sechs Jahren, nicht wahr?“

„Ja. Obendrein interessiert sich ihr Bruder nicht für Politik. Daher bekäme der Mann, der Lady Margaret ehelicht, nicht nur eine Gattin mit außerordentlichem politischen Sachverstand, sondern gewönne dazu die Macht und den Einfluss des Marquess’, den der sonst für seinen Sohn genutzt hätte.“

„Eine Schande, dass sie die falsche Partei unterstützt“, meinte Giles. „Also, nicht dass ich an Heiraten dächte.“

„Und eine noch größere Schande, die Dame an George zu verschwenden – sofern nicht übertrieben ist, was man über ihren Charme und Geist hört.“

Just da flog die Tür auf, und zwei weitere Männer stürzten herein. Indem er auf den Stapel Papiere auf dem Tisch wies, rief der eine, Christopher Latimer: „Vergiss die Berichte des Ausschusses, Giles! Die Sitzungsperiode wird beendet!“

„Ehrlich, Christopher?“, warf David ein und fragte, an den anderen Ankömmling, Benedict Tawny, gewandt: „Ist das sicher, Ben?“

„Ausnahmsweise scherzt Christopher mal nicht“, antwortete Ben aufgeregt. „Grey ist es leid, dass die Torys endlose Verzögerungen inszenieren. Er will die Frage dem Volk vorlegen. Was Neuwahlen bedeutet.“

„Das sind großartige Neuigkeiten!“, rief Giles. „Fegen wir die Torys weg, und das Reformgesetz wird bestimmt verabschiedet! Gleichwertige Vertretung für jeden Bezirk, eine Stimme für jeden Landinhaber und ein Ende mit der Herrschaft der Großgrundbesitzer!“

„Und sicherlich ein Ende mit den Zwergbezirken“, sagte David. „Ich bezweifle, dass wir das Übrige erreichen – noch nicht. Wenn ich auch wirklich nicht genau weiß, warum dir, Giles, als zukünftigem Earl, das Übrige so wichtig ist. Eigentlich jedem von euch. Ich bin der Einzige hier, der nicht zu den ‚Großgrundbesitzern‘ gehört.“

„Du bist der Sohn eines Bauern, was dich von Berufs wegen dazu macht“, meinte Christopher grinsend.

„Meines Vaters Beruf, nicht meiner“, entgegnete David. „Im besten Fall kann ich eine Rübe von einem Rettich unterscheiden.“

„Wie auch immer – der Tag verlangt nach einem Toast“, kam es von Ben. Er ging zur Tür und rief hinaus: „Mr. Ransen, eine Runde Ale für uns, bitte!“

„Als wir damals in Oxford in der kleinen Kneipe herumsaßen und uns unsere Zukunft ausmalten, habt ihr da ehrlich geglaubt, dass wir diesen Tag je erleben würden?“, fragte David staunend. „Damals waren unsere Ansichten eindeutig nicht sehr populär.“

„Und wir selbst auch nicht, außer bei den Schankmädchen. Welch unpassender Trupp!“ Christopher lachte. „Ich, nach außen der Sohn eines Barons, doch in Wirklichkeit der Spross eines der Liebhaber meiner Mutter, wie die Spötter stets gern anmerkten. Giles, mit seinem blaublütigen Vater entzweit, doch offiziell erbberechtigt, dem der vom Papa favorisierte Halbbruder sabbernd an den Fersen hängt, begierig, ihm die Nachfolge streitig zu machen.“

„Und der schon zu Schulzeiten allen Kameraden einbläute, dass er, sollte er den Titel bekommen, niemandem vergeben wird, der sich mit mir anfreundet“, ergänzte Giles und unterdrückte die Bitterkeit, die fortwährend unter der Oberfläche brodelte.

„Und dann noch ich, der illegitime Sohn einer niederen Gouvernante“, schlug Ben in die gleiche Kerbe. „Auch diese Tatsache zu erwähnen werden die Spötter nie müde.“

„Aber trotzdem alle von Adel. Anders als dieser echte Bauernsohn hier.“ David tippte sich auf die Brust. „Ich weiß, es ist selbstsüchtig, aber ich bin froh, dass ihr drei euch nie recht bei Euresgleichen einfügen mochtet. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie einsam Oxford sonst für mich gewesen wäre.“

„Du wärst nicht einsam gewesen; du bist viel zu klug“, erklärte Christopher. „Du hast in jedem Fach geglänzt. Wer sonst hätte uns so gut auf die Prüfungen vorbereiten können?“

Ehe jemand antworten konnte, brachte der Wirt das Ale, und die vier Freunde hoben ihre Krüge.

„Auf Giles, unseren ungeduldigen Anführer, auf David, unseren philosophischen Vordenker, auf Ben, unseren Demagogen, und darauf, dass unsere Träume endlich in Erfüllung gehen“, rief Christopher. „Auf die Teufelsbrut!“

„Auf die Teufelsbrut!“, stimmten alle ein und stießen mit den Krügen an.

Während die anderen tranken, wandte David sich an Giles. „Neuwahlen bedeuten eine neue Strategie. Wirst du in den Wahlkampf einsteigen?“

„Mein Sitz ist mir sicher. Ich denke, ich mische in ein paar Bezirken mit, die wir noch nicht fest in der Hand haben. Vielleicht können wir den örtlichen Grundbesitzern noch ein paar Stimmen abjagen.“ Er grinste. „Vielleicht sogar ein paar dem Vater der, ach, so tüchtigen Lady Margret stibitzen.“

David lachte. „Ich hörte, seine Sitze sind ihm gewiss. Aber versuch es auf jeden Fall.“

Giles leerte seinen Krug. „Werde ich.“

1. KAPITEL

Einen Monat danach strahlte Lady Margaret Roberts vom Sitz ihrer offenen Kutsche, die sie vor dem Wahlpodium in dem Marktflecken Chellingham zum Halten gebracht hatte, auf die Ansammlung davor hinab. „Sie werden morgen alle zur Wahl gehen, nicht wahr? Ich wäre so dankbar, wenn Sie für meinen Cousin Mr. Armsburn stimmten. Ich versichere Ihnen, er wird sein Bestes tun, um im Parlament Ihre Interessen zu vertreten.“

„Meine Stimme hat er, wenn er verspricht, Sie zu jeder Wahl herzuschicken“, verkündete einer der Männer unmittelbar neben der Kutsche.

„Ja, und meine auch für ein so hübsches Lächeln“, rief sein Nachbar.

„Danke, Gentlemen!“ Sie warf den beiden eine Kusshand zu. Als die Menge begeistert jubelte, lachte Margaret und wiederholte die Geste.

Ah, wie sie das liebte! Die aufgeregte, wimmelnde Masse, ihre eigene wachsende Vorfreude am Wahltag in dem Wissen, dass der Sieger ins Parlament einziehen und dazu beitragen würde, das Schicksal der Nation zu schmieden. Die Vorstellung, an der Gestaltung der Geschichte des Landes mitzuwirken, wenn auch nur im Kleinen, war ein Reiz, der nie verblasste.

Seit sie ihren Gatten Robbie verloren hatte – ein bitterer, andauernder Schmerz – kannte sie nur eine echte Freude, nämlich als Gastgeberin ihres Vaters auftreten zu können und seine politische Arbeit zu unterstützen, und es war das Einzige, was sie von ihrem Kummer ablenkte.

Ihre große Liebe mochte dahingegangen sein, doch immer noch gab es wichtige Arbeit zu tun. Oder zumindest sagte sie sich das in der Einsamkeit ihres Bettes.

Sie riss sich aus ihren Betrachtungen und hob den Blick – um in so fesselnde Augen zu schauen, dass sie unwillkürlich scharf den Atem einsog. Tiefblaue Augen – wie im Mondlicht glitzernder Lapislazuli, dachte sie unzusammenhängend – hielten sie so machtvoll im Bann, dass es war, als würde sie körperlich näher gezogen.

Und dann merkte sie, dass sie sich das nicht einbildete. Der Besitzer dieser prachtvollen Augen bahnte sich seinen Weg durch die Menge und hielt auf ihren Wagen zu. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Ein ahnungsvolles Prickeln schoss ihr durch die Glieder.

Diese faszinierenden Augen, stellte sie fest, während der Mann sich näherte, beherrschten ein kraftvolles, scharfgeschnittenes Antlitz mit markanter Nase, entschlossenem Kinn und hoher Stirn, über der sich ein üppiger Schopf blau-schwarzen Haares wellte. Der Gentleman war groß genug, dass seine breiten Schultern, vom jagdgrünen Jackett umschlossen, aus der Menge ragten, durch die er sich drängte.

Gerade als er so nah war, dass sie den sinnlichen Schwung seiner Lippen bemerken konnte, schenkte er ihr ein wissendes Lächeln, das ihr einen sachten Schauer über die Haut jagte.

Wie machte er es, dass sie sich nackt fühlte, obwohl sie doch komplett bekleidet war?

Und dann stand er vor ihr, immer noch lächelnd, und streckte ihr seine Hand entgegen.

„Wie könnte ich nicht wünschen, einer so entzückenden Dame die Hand zu schütteln?“, fragte er, und seine tiefe Stimme war wie eine Liebkosung. Und obwohl sie in solchem Gedränge normalerweise körperlichen Kontakt vermied, fand sie sich dabei, ihm ihre Hand zu reichen.

Sein Griff war, wie sie es sich ausgemalt hatte, fest und sicher. Als er ihre Hand umfing, wanderten kleine erregende Wellen ihren Arm empor, und einen kurzen Augenblick konnte sie kaum atmen. Wenn sie zu pathetischem Gefühlsüberschwang geneigt hätte, wären ihr womöglich gar kurz die Sinne geschwunden.

Tief atmete sie ein und schüttelte leicht den Kopf, um Fassung bemüht. „Ich hoffe, Sie werden charmant genug sein, Mr. Armsburn Ihre Stimme zu geben?“, fragte sie, erfreut, dass ihr Ton so gelassen klang, wie sie selbst sich keineswegs fühlte.

Er dämpfte sein Lächeln. „Ich schlage einer Dame sehr ungern etwas ab, aber leider bin ich hier, um Mr. Reynolds zu unterstützen.“

„Mr. Reynolds, den Radikalen? Du meine Güte“, rief sie aus, viel enttäuschter als sie hätte sein sollen. „Dann fürchte ich, unsere Standpunkte werden nicht übereinstimmen, Mr. …?“

Ehe der Gentleman antworten konnte, schwappte eine Woge von Männern aus dem Gasthof auf die Straße. „Freibier, freie Männer, freie Wahlen!“, deklamierten sie lauthals und stürmten auf den Platz. Von einer Ecke her schob sich eine andere Gruppe mit grünen Armbinden, die sie als Unterstützer ihres Cousins auswiesen, heran. „Torys für Gerechtigkeit!“, skandierten sie und umringten die Unterstützer der freien Wahlen. Mehrere der schubsenden Männer stolperten und stießen gegen Margarets Kutschpferd, das sich im Geschirr aufbäumte. Sie zerrte an den Leinen, doch das erschreckte Tier gehorchte nicht.

Augenblicklich sprang der fremde Herr vor, packte das Zaumzeug und zog den verschreckten Wallach zurück auf seine vier Hufe. „Fahren Sie besser weg, das hier könnte noch hässlich werden“, riet er. Seinen Stock nutzend, machte er eine Gasse frei und führte Pferd und Wagen durch das Gedränge bis zu einer Seitenstraße.

„Da drüben ist eine ruhige Schankwirtschaft“, erklärte er, während sie um die Ecke bogen. „Dort sind Sie in Sicherheit, während ich Ihren Cousin suche.“

Eigentlich wollte Margaret ihm versichern, dass sie nun allein zurechtkomme, doch in Wahrheit hatte sie der plötzliche Aufruhr, das Geschrei und die lärmende Balgerei, die man noch bis hierher hörte, stärker verstört, als sie zugeben mochte. Also sagte sie: „Dafür wäre ich dankbar.“

Innerhalb kürzester Zeit erreichten sie das Gasthaus, ihr Begleiter übergab Pferd und Wagen einem Stallknecht und bot Margaret den Arm, um sie hinein zu geleiten. „Einen Privatsalon für Lady Margaret, und bringen Sie Brot und Käse“, befahl er dem Wirt, der zur Begrüßung herbeieilte.

„Sofort, Sir, Mylady“, beteuerte der Besitzer und führte sie diensteifrig zu einem kleinen Salon gegenüber dem Schankraum.

Dort den Blicken Neugieriger entzogen, verneigte der Gentleman sich. „Lady Margaret, nicht wahr?“

„Ja, aber ich glaube, wir wurden einander noch nicht vorgestellt, richtig? Ich bin mir sicher, ich würde mich an Sie erinnern.“ Keine Frau unter neunzig mit einer Affinität zum männlichen Geschlecht hätte diesen Mann treffen und wieder vergessen können.

„Wir wurden uns noch nicht offiziell vorgestellt, ein Fehler, den ich nur zu gern korrigiere. Aber der Marquess of Witlow hat den Bezirk Chellingham schon so lange in seiner Hand; wie könnte da eine andere reizende Dame für ihn in den Wahlkampf ziehen als seine Tochter, die gefeierte Lady Margaret.“

„Oh je! Das klingt, als wäre ich ziemlich … berüchtigt.“

Er schüttelte den Kopf. „Bewundert und respektiert – sogar von Ihren Gegnern. Ich glaube nicht, dass die Streitereien da draußen in Gewalt ausarten, aber bei Freibier und Wahlen kann man sich nicht sicher sein. Versprechen Sie mir, dass Sie hierbleiben, bis Ihr Cousin in der Lage ist, Sie abzuholen. Obwohl ich ja sagen muss, dass ein Mann, der das Glück hat, eine so entzückende Wahlhelferin für sich in Anspruch nehmen zu können, besser auf sie achtgeben sollte.“

„Wie kann ich Ihnen für Ihre Freundlichkeit danken?“, fragte sie. „Darf ich Ihnen nicht wenigstens ein Glas Ale anbieten? So ungern ich es zugebe – ich würde mich besser fühlen, wenn ich Gesellschaft hätte, während ich … mich zu beruhigen versuche.“

Das mochte ihren Zustand übertrieben darstellen, doch ausnahmsweise machte es Margaret nichts aus, die Ritterlichkeit eines Gentlemans auszunutzen, wenn das hieß, ein bisschen länger seine Gesellschaft genießen zu dürfen.

Und mehr über diesen Mann herauszufinden, der fesselnder war als alle, die sie seit Langen getroffen hatte.

Er lächelte sie an – wobei seine blauen Augen wie Saphire funkelten, sodass ihr erneut ein sachter Schauer über die Haut lief. „Gern, ich möchte Sie nicht … so beunruhigt zurücklassen.“

Oh, der Spitzbube! Sie unterdrückte ein Lachen, halb versucht, ihn zu tadeln. Diese wissenden Augen sagten, ihm sei bewusst, auf welche Weise er sie beunruhigt habe und bedauere es nicht im Mindesten.

Mit seiner prächtigen Figur, den faszinierenden Augen und dem verführerischen Lächeln hatte er vermutlich nicht wenige Damen beunruhigt, wie sie sich insgeheim ermahnte. Ehe er sie in Versuchung führte, sich ihren Vorgängerinnen anzuschließen, sollte sie so klug sein, ihn seiner Wege zu schicken.

Nach ihrer letzten Erfahrung auf dem Gebiet legte sie absolut keinen Wert auf Wiederholung.

Doch der Stimme der Vernunft zum Trotz mochte sie ihn nicht einfach gehen lassen.

Da der Wirt gerade das Bestellte brachte, ergriff sie die Gelegenheit, ihre Antwort hinauszuzögern. „Sie werden dem Wirt erlauben, Ihnen einen Krug von seinem exzellenten Selbstgebrauten zu bringen? Mr. Carlson, nicht wahr?“, fragte sie, sich an den Wirt wendend. „Mein Cousin Mr. Armsburn sagte mir, Ihr Ale sei das beste in Chellingham. Ich weiß, er hat bei Ihnen schon so einige Krüge geleert, wenn er auf seinen Wahlkampfreisen vorbeikam.“

„Das stimmt, Lady Margaret“, antwortete Carlson. „Einem seiner Unterstützer spendiere ich gern einen Krug.“ Mit einer kleinen Verbeugung hastete er hinaus.

„Nun, solch ein großzügiges Angebot können Sie nicht ausschlagen“, erklärte sie ihrem Retter.

„Selbst wenn ich es unter falschen Voraussetzungen annehme?“

„Das sagen wir Mr. Carlson lieber nicht, um ihn nicht zu erschüttern. Er wählt die Torys schon seit so vielen Jahren.“

„Kein Wunder, dass Sie die Wähler bezaubern – wenn Sie sogar den Wirt am Ort mit Namen kennen.“

Sie hob eine Braue. „Natürlich kenne ich sie alle. Man kann nicht die Interessen des Bezirks vertreten, wenn man nicht die Leute und ihre Bedürfnisse kennt. Aber Sie haben mir immer noch etwas voraus – Sie wissen, wer ich bin, haben mir aber noch nicht Ihren Namen genannt. Ich weiß nur, dass Sie so fehlgeleitet sind, die Radikalen zu unterstützen.“

Er lachte, was sie auch beabsichtigt hatte, und verneigte sich übertrieben vor ihr. „Giles Hadley, zu Ihren Diensten.“

Sein leicht herausfordernder Ton verwirrte sie eine kurze Sekunde, bis sie den Namen einordnen konnte. „Giles Hadley!“ Sie keuchte leicht auf. „Der Anführer der Teufelsbrut! Der berüchtigte Viscount Lyndlington, obwohl – Sie benutzen den Titel nicht, nicht wahr? Ah, sollte ich mit einem Hauch Feuer und Schwefel rechnen?“

Wieder lachte er. „Die Gerüchte über unsere Umtriebe sind maßlos aufgebauscht! Vermutlich waren wir den Kneipen und dem Umgang mit den, äh, edlen Damen, die dort arbeiteten, nicht stärker zugetan als die meisten anderen jungen Studenten. Nur frequentierten wir eine bescheidenere Sorte jener Etablissements und berieten uns eher mit den Wirten, als sie zu begönnern.“

„Woher dann der Ruf, der Hölle zu entstammen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Einer der Dozenten, ein Mann der Kirche, hörte, dass wir, hätten wir je die Macht, die Sitze des Klerus im Oberhaus abschaffen wollten. Das Sakrileg, die etablierte Ordnung umstürzen zu wollen, zusammen mit unserem ‚zügellosen‘ Betragen, brachte ihn dazu, uns alle als des Teufels Jünger anzuprangern. Und was meinen Titel angeht, ziehe ich es vor, für das bekannt zu sein, was ich erreicht habe.“

„Was so einiges ist, soweit ich weiß! Ich habe so viel über Sie gehört!“

„Wenn Sie es von meinem Halbbruder gehört haben, wundert es mich nicht, dass ich in Ihrer Vorstellung Hörner und einen Bocksfuß habe“, sagte er trocken.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, vorwiegend von meinem Vater und seinen Mitarbeitern – die Sie als den aufgehenden Stern der Whigs sehen. Mein Vater, der nicht so schnell lobt, hat mehrfach beklagt, dass Lord Newville Sie ihm für den Reformkurs weggeschnappt hat, ehe er Sie überreden konnte, sich den Torys anzuschließen. Ich bin geehrt, die Bekanntschaft eines Mannes zu machen, den mein Vater so sehr schätzt.“

Und den Mann zu treffen, von dem selbst seine Gegner sagten, dass er wahrscheinlich eines Tages Premierminister sein würde, war tatsächlich überwältigend genug, um einen Moment zu vergessen, wie attraktiv er war.

Doch nur einen Moment. Dann wurde ihr abermals eindringlich bewusst, welch gewaltige Anziehungskraft er auf sie ausübte.

Was für eine Kombination!, dachte sie benommen. Diese intensive maskuline Wirkung eines Mannes, der seinen Weg auf eine Art und Weise verfolgte, die sie über alles bewunderte. Und seinen abwiegelnden Worten zum Trotz umgab ihn etwas wie Verruchtheit.

Doch anstatt sich, wie wohl die meisten Männer, in ihrer sichtlichen Bewunderung zu sonnen, war ihm offenbar ein wenig unbehaglich zumute – eine unerwartete Bescheidenheit, die seinen Charme nur noch steigerte.

Gebannt von Augen, die tief in ihre Seele zu blicken schienen, unterdrückte sie nur mit Mühe einen Seufzer.

„Danke für die Komplimente, auch wenn ich sie nicht verdiene“, sagte er nach einem Augenblick, als wäre ihm erst jetzt klar geworden, dass sie einander einige Minuten lang nur in die Augen geschaut hatten. „Und vergeben Sie mir, dass ich abfällig über George sprach. Dem Artikel zufolge, den ich kürzlich in der Morning Post las, muss ich Ihnen anscheinend Glück wünschen.“

„Mir Glück wünschen …“, wiederholte sie. Als ihr dämmerte, was er meinte, fühlte sie sich kurz irritiert. „Gewiss nicht! Als Angehöriger der politischen Partei meines Vaters sehe ich Mr. Hadley ziemlich oft, aber zwischen uns gibt es kein Einverständnis. Zeitungen!“ Ungeduldig schüttelte den Kopf. „Die Klatschspalten verkuppeln mich permanent, seit ich die Trauerzeit hinter mir habe.“

„Also sind Sie nicht geneigt, meinem Halbbruder Ihre Hand zu gewähren?“ Auf ihr erneutes Kopfschütteln hin lächelte er abermals – dieses strahlende Lächeln, das in ihrem Magen ein sachtes Flattern erzeugte. „Ich muss zugeben, das höre ich gern.“

Kein weibliches Wesen, dem er dieses Lächeln schenkte, würde seinem Halbbruder auch nur einen Blick gönnen. Sie war wie geblendet. Ohne nachzudenken, sagte sie: „George Hadley sucht keine Gattin, sondern einen Spiegel seiner Herrlichkeit, und ich eigne mich nicht als Spiegel.“

Erst als ihr diese ehrlichen, doch erschreckend indiskreten Worte über die Lippen gekommen waren, erkannte sie, wie sehr Giles Hadley sie aus der Balance gebracht hatte. Sie äußerte sich sonst nur ganz selten unschmeichelhaft über Bekannte und niemals gegenüber Fremden.

Vor Verdruss errötend fügte sie rasch hinzu: „Bitte verzeihen Sie mir. Das war nicht besonders nett, ich hätte es nicht sagen dürfen.“

„Auch wenn Sie wissen, dass es stimmt?“

„Das ist irrelevant“, gab sie hitzig zurück. „Üblicherweise bin ich nicht so kritisch. Oder zumindest spreche ich solche Kritik nicht aus“, verbesserte sie, was der Wahrheit näher kam.

„Dann ehrt mich Ihre Aufrichtigkeit umso mehr. Und ich bin erleichtert, muss ich sagen. Frauen finden George eigentlich charmant.“

„Wirklich?“ Sie versuchte, sich einer der für den Mann typischen Unterhaltungen zu erinnern. „Vielleicht Frauen, die er bezaubern möchte. In unseren Gesprächen scheint er den Blick stets mehr auf meinen Vater zu richten, als wäre ihm Papas Anerkennung wichtiger als meine.“ Sie lächelte schief. „Dabei komme ich mir immer wie die preisgekrönte Henne bei einer Geflügelschau vor, die er partout für seinen Hühnerhof ergattern will. Und auch das hätte ich nicht sagen sollen.“

Hadley lachte. „Dann ist er ein noch größerer Narr, als ich dachte – und auch ich hätte das nicht sagen sollen! Aber wir sind uns nicht grün, wie Sie vermutlich wissen.“

„Vom Hörensagen. Ich finde es immer traurig, wenn in der Familie Differenzen herrschen.“

Mehr als nur Differenzen – ein Skandal größeren Ausmaßes, wusste sie, wenn sie auch keine Details kannte. Daher überraschte es sie kaum, dass er kein aufklärendes Wort sagte.

Ehe sie ein weniger heikles Thema anschneiden konnte, stürzte der Assistent ihres Cousins in den Raum. „Lady Margaret, sind Sie unverletzt?“, rief Proctor. „Armsburn und ich haben Sie überall gesucht. Als wir von dem Getöse auf dem Platz hörten und wir Sie nirgends finden konnten …“ Er atmete schaudernd aus. „Ich wusste, wenn Ihnen etwas geschehen wäre, würde Michael mir den Kopf abreißen, weil ich Sie allein ließ! Bitte verzeihen Sie mir.“

„Da gibt es nichts zu verzeihen“, sagte sie. Außer dein Erscheinen hier, das zweifellos dem Intermezzo mit diesem faszinierenden Gentleman ein Ende setzen wird. „Mr. Hadley hat gut auf mich aufgepasst.“

Die zwei Herren wechselten Verneigungen. „Hadley, dann stehen wir sehr in Ihrer Schuld“, sagte Proctor.

„Es war mir ein Vergnügen“, entgegnete Hadley. „Ich würde Ihnen jedoch empfehlen, in Zukunft besser auf Ihre reizende Wahlhelferin achtzugeben. Wenn ich sie erneut allein umherwandernd fände, würde ich sie vielleicht behalten.“

Seine Worte und das betörende Lächeln, das er ihr dabei schenkte, ließen ihren Puls höher schlagen. Leere Galanterie, sagte sie sich, um Fassung bemüht.

In diesem Moment nahm Proctor sie beim Arm und zerrte sie fast von ihrem Stuhl. „Wenn Sie nun mit mir kommen möchten, Lady Margaret? Ihr Cousin sorgt sich sehr.“

„Natürlich möchte ich Michael keinen Kummer bereiten.“ Mit Bedauern wandte sie sich an ihren Retter: „Mr. Hadley, ich habe unsere Unterhaltung sehr genossen. Die wir hoffentlich demnächst einmal trotz unserer gegensätzlichen Ansichten fortführen können.“

„Das könnten Sie sich nicht glühender wünschen als ich! Guten Tag, Lady Margaret“, sagte Hadley und neigte sich über ihre Hand.

Als seine Finger sich um die ihren schlossen, stolperte ihr Herz ein wenig, und heiß schoss ihr das Blut durch die Adern. Einen kurzen Moment vergaß sie, ihm ihre Hand zu entziehen.

„Guten Tag, Mr. Hadley“, meinte sie schwach und verließ den Raum, sich intensiv bewusst, dass sein Blick auf ihr haftete.

Während sie gemeinsam mit Proctor das Gasthaus verließ, stellte sie fest, dass sie Giles Hadley wirklich gerne wiedersehen würde. Obwohl es ihr gleichzeitig nicht ratsam erschien. Sie wand sich innerlich, als sie an ihre unüberlegten Worte über seinen Halbbruder dachte. Einem Mann, der fesselnd genug war, um einen die Manieren vergessen zu lassen und ein Teil der Vernunft zu rauben, sollte man besser aus dem Wege gehen.

Doch, ach, wie er ihren Geist aufgewühlt und ihre Sinne erregt hatte!

„Sie waren hoffentlich nicht zu entgegenkommend zu Hadley“, sagte Proctor, nachdem er ihr in die Kutsche geholfen hatte.

„Seit wann bin ich ‚entgegenkommend‘ zu Männern, die ich kaum kenne, John?“, antwortet sie scharf.

Proctor hob abwehrend eine Hand. „Aber Michael – und Ihr Vater – vertrauen darauf, dass ich auf Sie aufpasse. Mir wäre lieb, wenn Sie Hadley auswichen. Er ist gefährlich.“

„Gefährlich? Inwiefern? Sicherlich glauben Sie doch nicht all den Unsinn über die ‚Höllenbrut‘. Mein Vater sagt, er bewundert ihn.“

„Sein eigener Halbbruder weigert sich, mit ihm zu verkehren, und sein Vater will nichts von ihm wissen. Seine Ansichten sind extrem, selbst für einen Radikalen. Er würde jeden Mann in England wählen lassen, vom höchsten Adelsherrn bis zum niedrigsten Londoner Lumpen. Ich hörte, er würde sogar das gesamte Oberhaus abschaffen wollen!“

„Gewiss, empörend!“, räumte sie ein, erschüttert, seine radikale Haltung bestätigt zu hören – falls stimmte, was Proctor da sagte. „Aber Papa ist immer für offenen Meinungsaustausch, selbst wenn die Parteien sich letztlich nicht einigen können. Ich zweifle doch sehr, dass schlicht mit ihm zu reden für mich riskant sein könnte.“

„Mag sein. Doch ein Mann mit so extremen politischen Ansichten hegt vielleicht auch radikale gesellschaftliche Vorstellungen – befürwortet freie Liebe und die Abschaffung der Ehe. Ich würde ihm keine Dame anvertrauen, ganz sicher nicht allein in einem Privatsalon.“

Glaubte Hadley an freie Liebe? Kein Wunder, dass er so verrucht wirkte. Die ungehörige Vorstellung legte einen Funken an ihre immer noch glimmenden Sinne. Ah, sie konnte sich wirklich vorstellen, frei mit ihm Umgang zu pflegen!

Sie schüttelte den Kopf, um sich die wollüstigen – und ganz nutzlosen – Gedanken aus dem Kopf zu schlagen. Für die Zukunft hatte sie nichts Erotischeres im Sinn, als Papas Dinners vorzustehen – und vielleicht einem Wähler eine Kusshand zuzuwerfen.

Sich wieder an Proctor wendend, spöttelte sie: „In einem gut besuchten Gasthof mit offener Tür zum Schankraum? Kaum ein geeigneter Ort, um jemanden zu Ungehörigem zu verleiten. Obwohl es mir nichts ausmachen würde, mit ihm über freie Liebe und die Abschaffung der Ehe zu diskutieren“, ergänzte sie, Proctors Mienenspiel beobachtend.

Bei seinem entsetzten Blick lachte sie. „Ruhig, John. Ich necke Sie nur! Aber es geschieht Ihnen nur recht, wenn Sie eine Frau meines Alters über ihr Betragen belehren. Wie verlief die Kampagne? Glaubt Michael, er wird sich gegen Reynolds durchsetzen?“

Die kleine Ermutigung genügte. Proctor stürzte sich in eine detaillierte Schilderung des Wahlkampfverlaufs.

Normalerweise hätte Margaret begeistert gelauscht. Heute jedoch wanderten ihre Gedanken immer wieder zu einem gewissen Herrn mit faszinierenden blauen Augen, dessen verführerisches Lächeln ihr das Gefühl gegeben hatte, eine begehrenswerte Frau zu sein – was sie seit dem Debakel mit Sir Francis nicht mehr empfunden hatte.

Die Erinnerung daran sollte jener rapide wachsenden Anziehungskraft Einhalt gebieten. Stirnrunzelnd rief sie sich die letzten blumigen Worte Hadleys ins Gedächtnis.

Natürlich war es bedeutungslose Galanterie gewesen. Was sonst? Sie kannten sich ja kaum! Und bei seinem guten Aussehen war er bestimmt in der Kunst der Schmeichelei geübt und konnte Frauen, die es besser wissen sollten, mühelos weismachen, dass er sie begehrenswerter fand, als es tatsächlich der Fall war.

Sie seufzte. Anscheinend lernte sie nur langsam.

Und doch … Dieser Funke, der zwischen ihnen aufflammte … das war keine Einbildung. Sie mochte wenig Erfahrung haben, doch sie konnte sich immer noch an die verzauberte Zeit erinnern, als die Liebe zu Robbie, dem Gefährten ihrer Kindheit, sich in mehr verwandelte, als sich die Freundschaft und Zuneigung mit Begehren mischte. Ach, die Faszination, Haut an Haut zu spüren, das Prickeln, wenn man sich der Leidenschaft ergab, die Ekstase des Miteinanderverschmelzens.

Wie sehr sie sich nach dem Verlorenen sehnte!

Nein, sie bildete sich ihre physische Reaktion nicht ein. Aber fand Hadley sie wahrhaftig begehrenswert? Darüber weiter nachzudenken, war ganz und gar sinnlos; denn eine Affäre wäre viel zu riskant.

Die Vernunft mahnte sie, einem so verführerischen Mann besser aus dem Wege zu gehen. Aber gewiss war das Leben doch gedacht, es zu erfahren, und nicht sich von Vorsicht und Angst leiten zu lassen. Die Freuden, die es einem bot, sollte man beim Schopf packen, ehe sie einem weggeschnappt wurden – auch das hatte Robbies Verlust sie gelehrt.

Sie war siebenundzwanzig, eine Witwe, die ihr Herz nicht aufs Spiel setzen wollte, indem sie erneut heiratete. Es mochten sich ihr nicht mehr viele Gelegenheiten bieten, in Versuchung zu geraten.

Abgesehen von seiner verführerischen Persönlichkeit war Hadley auch als Mensch faszinierend, mit Ansichten und Wertvorstellungen, über die sie gern mit ihm diskutieren würde. Nach den nicht sonderlich schmeichelnden Worten, die sein Halbbruder über ihn hatte fallen lassen, hatte sie erwartet, er sei so etwas wie ein Wilder, und tatsächlich umgab ihn etwas Ungezähmtes. Eine Aura von Zielstrebigkeit mit einer Spur Ungeduld, als könnte er nicht schnell genug Bedeutendes tun. Und mehr als nur eine Spur Zorn schwelte unter der Oberfläche, besonders wenn er seinen Halbbruder erwähnte.

Oder war es einfach nur die Leidenschaft, die anscheinend in ihm brodelte? Die Erinnerung daran löste eine Reaktion in ihr aus, und ihr wurde warm.

Ja, ich werde ihn noch öfter sehen, entschied sie. Er sprach regelmäßig im Unterhaus, sagte ihr Vater. Populär, wie er war, musste man nicht fragen, ob er ins nächste Parlament gewählt werden würde. Sie musste unbedingt einmal eine seiner Reden anhören.

Ehe sie jedoch mehr über seine politischen Ansichten erfuhr, sollte sie besser mehr über den Mann erfahren. Falls er wirklich gefährlich war, sollte sie besser vorher wissen, welches Risiko er bedeutete.

Aber wen sollte sie fragen? Papa, der Klatsch verabscheute, würde ihr über Hadleys Hintergrund bestimmt nur die bloßen Fakten erzählen.

Dann fiel ihr genau die Person ein, die mit Freuden jedes winzige Detail vor ihr ausbreiten würde. Sobald ich zurück in London bin, beschloss sie, werde ich Großtante Lilly besuchen.

Bequem in seinem Armsessel lehnend leerte Giles gemächlich seinen Krug Ale. Da hatte er also die berühmte Lady Margaret kennengelernt – und sie so geistreich gefunden, wie David sie geschildert hatte, und noch viel attraktiver.

Zugegeben, er hatte gehofft, sie zu treffen. Als er mit seinen Freunden die Wahlkampfbezirke durchgegangen war, hatte er sich für diesen entschieden, weil er wusste, dass ihr Vater diesen Bezirk fest in der Hand hatte – und es war bekannt, dass Lady Margaret ihn oft unterstützte. Nach dem Gespräch über ihre möglichen Heiratsabsichten und nach Davids Beschreibung von ihr war er neugierig auf die Frau geworden.

Als er sich ihrer Kutsche genähert hatte, war er sehr beeindruckt gewesen – ihr einnehmendes Lächeln, die Unbefangenheit, mit der sie sich der Menge präsentierte, ihre offensichtliche Freude am Wortgeplänkel mit den Leuten und deren begeisterte Reaktion auf ihr Auftreten …

Und dann war er ihrem Blick begegnet. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Wie ein heißer Strom war eine seltsame Energie zwischen ihnen geflossen, die ihn buchstäblich gebannt hatte. Trotz des Gedränges und des allgemeinen Lärms ringsum hatte er das lächerliche Gefühl gehabt, dass allein sie beide in der Welt existierten.

Er erinnerte sich nicht, nähergetreten zu sein, doch plötzlich war er neben ihr gewesen, unfähig, nicht zu lächeln, unter dem kaum beherrschbaren Drang, sie zu berühren – obwohl doch nichts anderes möglich war, als ihr die Hand zu schütteln.

Auch konnte er sich kaum erinnern, was er während des Intermezzos im Gasthof zu ihr gesagt hatte, und konnte nur hoffen, es war kein kompletter Unsinn gewesen. Nur zwei wichtige Punkte hatte er behalten: Ihr Vater akzeptierte ihn, und sie würde George nicht heiraten.

Deswegen so erleichtert zu sein war nun wirklich übertrieben!

Er konnte sich nicht entsinnen, sich je einer Frau so unmittelbar und heftig verbunden gefühlt zu haben – und fand keine Erklärung dafür. Sie war keine Schönheit im üblichen Sinne. Ihr Haar war kastanienbraun, nicht goldblond, für eine Frau war sie überdurchschnittlich groß, ihr Gesicht eher länglich als oval, mit großem Mund und kecker, Sommersprossen gezierter Nase. Doch irgendetwas in diesen lebhaft grünen Augen war ihm direkt in die Lenden geschossen und hatte ihn zu ihr gezogen wie einen Durstigen zu einem klaren Quell.

Wenn er sich auch zu bitterlich des Schicksals seiner Mutter bewusst war, um ein Roué zu werden, war er doch nicht unerfahren und hatte seinen Teil an diskreten Liaisons genossen, stets auf Vorkehrungen bedacht, die Dame vor unerwünschten Auswirkungen zu schützen. Er war kein grüner Junge frisch von der Universität und anfällig dafür, von einer reizvollen Frau umgeworfen zu werden.

Kurz gesagt, er konnte sich einfach nicht erklären, was an Lady Margaret ihn so gründlich erschüttert hatte.

Er wusste aber, dass er sie wiedersehen wollte und würde, und sei es nur, um zu sehen, ob diese beispiellose Reaktion erneut auftreten würde. Oder ob bei näherer Bekanntschaft der Reiz, den sie auf ihn ausübte, nachließ.

Obwohl, überlegte er stirnrunzelnd, Lady Margaret eine Beziehung zu George nachdrücklich bestritten hatte, mussten die Zeitungen, als sie die Nachricht einer eventuellen Eheschließung streuten, irgendeine Ermunterung erfahren haben – möglicherweise von seinem Halbbruder selbst. In eine wichtige politische Familie einzuheiraten wäre genau das, was George für einen klugen Schritt in Hinblick auf seine ersehnte Karriere als führender Staatsmann halten würde.

Die preisgekrönte Henne, die er für seinen Hühnerhof ergattern will. Leise glucksend erinnerte Giles sich der Worte. Die Dame verdiente gewisslich Besseres als das.

Wenn die Bekanntschaft mit einer Frau, die George sich als die Seine ausgeguckt hatte, ihm – Giles – Probleme mit seinem Halbbruder einbrachte … na, wenn schon.

2. KAPITEL

Eine Woche später führte der Butler Lady Margaret in den vorderen Salon des Stadthauses ihrer Großtante am Grosvenor Square. „Der Tee wird gleich serviert“, verkündete die Dowager Countess of Sayleford nach dem obligatorischen Wangenkuss. „Mach es dir bequem und erzähl mir alles über den Wahlkampf in Chellingham.“

Wie ihre Großtante recht gut wusste, waren die Wahlen Margarets bevorzugtes Thema, und obwohl sie praktisch vor Neugier wegen Giles Hadley platzte, wollte sie sich nicht den Fragen aussetzen – auf die sie selbst keine Antwort hatte – die Tante Lilly bestimmt auf sie abfeuern würde, wenn sie nicht sofort auf die Politik zu sprechen kam, sondern sich nach einem Gentleman erkundigte.

Daher berichtete sie pflichtgetreu, was sich bei dem Auftritt in Chellingham zugetragen hatte.

„Ich bin froh, dass Armsburn den Sitz halten konnte“, meinte ihre Tante. „Meine Quellen berichteten mir, dass eins der ersten Ziele von Greys Parlament sein wird, Bezirke wie Chellingham, die von den örtlichen Landbesitzern kontrolliert werden, abzuschaffen.“

„Ja, und leider ist es sicher, dass ein Gesetz dieses Inhalts verabschiedet werden wird. Überall werden flammende Reden gehalten! Selbst im sonst so ruhigen Chellingham ging es äußerst turbulent zu.“ Lebhaft schilderte sie, was ihr widerfahren war und endete: „Aber keine Angst, ich wurde schnell gerettet – von einem höchst charmanten Herrn.“

Verärgert fragte ihre Großtante: „Wo waren denn Michael und Proctor? Ich hätte erwartet, dass im Falle eines Falles sie dir zu Hilfe kommen.“

„Leider waren sie gerade bei einer anderen Kundgebung, aber es kam ja niemand zu Schaden. Sag es nur nicht Papa.“

Eine ganze Weile beäugte ihre Großtante sie, ehe sie schließlich nickte. „Also gut, wenn du meinst. Nun, und wer war dieser ‚charmante Herr‘, der dich beschützte, als deine Verwandten ihre Pflicht versäumten?“

„Ebenfalls Parlamentsmitglied – tatsächlich sogar von der Opposition.“ Sie versuchte, einen ganz neutralen Ton beizubehalten. „Mr. Giles Hadley.“

Tante Lilly riss die Augen auf. „Giles Hadley – du meinst Viscount Lyndlington?“

Als sie nickte, fuhr die Tante fort: „Du meine Güte! Charmant, sagst du? Wenn man ein paar der verbisseneren Torys hört, ist er der Teufel in Person.“

„Sein Halbbruder lässt ihn häufig in diesem Licht erscheinen. Aber Papa bewundert ihn, und auf seine Meinung gebe ich viel mehr. Aber es macht mich tatsächlich neugierig – dass Papas Meinung so sehr von der des Bruders abweicht – und ich frage mich durchaus, was passiert ist, dass die Familie derart entzweit ist. Papa weiß es sicher, aber ich denke, er würde mir nicht viel erzählen.“ Sie lächelte spitzbübisch. „Wohingegen ich wusste, dass du mir alles erzählen würdest.“

„Was hältst du von ihm?“, kam die unerwartete Entgegnung.

Irritiert stellte sie fest, dass sie errötete. „Das ist wohl offensichtlich. Ich finde ihn attraktiv.“

Ihre Großtante hob die Brauen, ihre Augen blitzten. „Da ich mich nicht erinnern kann, dass du dich je nach einem Herrn erkundigt hättest, dachte ich mir das schon. Ausgezeichnet! Du hast Robbie vor sechs Jahren verloren. Mehr als lange genug her, um endlich vorwärtszuschauen.“

„Denk das nur nicht! Ich angele nicht nach einem neuen Ehemann, Tante Lilly“, protestierte Margaret.

„Warum nicht? Du bist noch jung, du bist attraktiv, und du hattest mehr als genug Zeit, um über die Enttäuschung mit Sir Francis hinwegzukommen. Und über deinen Gram.“

Margaret hatte einmal gehofft, Sir Francis könnte ihr über ihren Kummer hinweghelfen – nur war es verheerend ausgegangen. Beide Begebenheiten schmerzten sie immer noch zu sehr, als dass sie darüber hätte reden wollen, also ignorierte sie die Frage. „Ich fand Hadley … faszinierend“, sagte sie stattdessen. „Das ist alles. Diese zwingenden blauen Augen scheinen tief in einen hineinzusehen. Ihn umgibt eine rastlose Energie, und darunter lauert etwas wie Zorn – nicht zu erwähnen seine, wie ich meine, ziemlich radikalen politischen Ansichten. Er ist eindeutig anders als die Herren meines Bekanntenkreises! Ah, ja, er … reizt mich wirklich. Aber ich bin nicht versucht, etwas Törichtes zu tun.“

Abschätzend musterte ihre Tante sie. „Du bist Witwe. Ich spreche nicht der Torheit das Wort, aber wenn du diskret bist, kannst du tun, was du willst – heiraten oder auch nicht.“

„Im Moment will ich nur eins: mehr über seine Lebensumstände erfahren. Ganz offensichtlich hasst sein Halbbruder ihn. Nicht, dass ich mit George Hadley über ihn gesprochen hätte, doch wann immer es sich ergibt, nutzt er die Gelegenheit, auf seinem Halbbruder herumzuhacken. Wahrscheinlich neidet George ihm die Tatsache, dass er der Erbe ist, obwohl George der Liebling seines Vaters ist. Aber warum, Tante? Was war der Anlass für den Familienstreit?“

„Ein alter, recht delikater Skandal.“

„Über den du ganz bestimmt alle Einzelheiten kennst.“

„Natürlich.“ Die Tante lächelte. „Welche Vorzüge hat es denn sonst, sich bereits so lange in der Gesellschaft zu bewegen?“

„Also – was ist geschehen?“

„Es begann vor vielen Jahren, nachdem der jetzige Earl sein Erbe antrat. Er und sein bester Freund umwarben dieselbe Dame – Giles Hadleys Mutter. Sie liebte den Freund, nicht den jungen Earl, doch der Freund war ein jüngerer Sohn ohne Titel und Einkünfte, und Randall Hadley, der neue Lord Telbridge, hatte beides. Der Freund wollte nach Indien gehen, um dort sein Glück zu machen; die Familie des Mädchens aber, die in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten steckte, ließ nicht zu, dass sie wartete, bis er möglicherweise eines Tages als Nabob wieder heimkehrte. Im Grunde verständlich, denn dass er dort umkommen könnte, war nicht unwahrscheinlich. Man setzte das Mädchen unter Druck, dem sie zehn Tage nach der Abreise des Freundes nachgab und Telbridge heiratete.“

„Die Arme“, murmelte Margaret. Wie schrecklich wäre es gewesen, wenn die Pflicht gegenüber ihrer Familie sie gezwungen hätte, einen anderen als Robbie zu heiraten. „Und dann?“

„Alles war in Ordnung, bis Telbridge ein paar Jahre nach der Heirat erfuhr, dass seine Gattin und der Freund die Nacht vor dessen Aufbruch gemeinsam in einer Jagdhütte verbracht hatten. Von dem Earl bedrängt, leugnete sie nicht, dass sie beide Liebende gewesen waren – und dass sie daher nicht vollkommen sicher war, ob der Sohn, den sie ihm neun Monate nach der Hochzeitsnacht geboren hatte, wirklich von ihm stammte. Rasend vor Eifersucht und Wut schickte Telbridge Frau und Kind fort. Taub gegen jede Vernunft ließ er sich von ihr scheiden und versagte ihr jegliche Unterstützung – Einkünfte, Unterkunft, selbst die Schulausbildung für den Knaben weigerte er sich zu bezahlen. Bald danach heiratete er wieder und überhäuft seitdem den Sohn aus der zweiten Ehe mit seinem Geld und seiner Zuneigung. Soweit ich weiß, hat Telbridge den Viscount seit Jahren nicht mehr gesehen. Doch alle Rachsucht der Welt wird nichts daran ändern, dass, da Giles Hadley ehelich geboren und als Sohn des Earls anerkannt wurde, nach dem Gesetz der Erbe ist, auch wenn Telbridge ihn schneidet.“

Margaret schüttelte den Kopf. „Armer Junge. Kein Wunder, dass er sich weigert, seinen Titel zu benutzen. Aber nach deinen Worten wuchs er ohne irgendwelche Unterstützung auf. Von daher hätte ich einen ziemlich ungebildeten Mann ohne Erziehung erwartet, doch er scheint mir sehr kultiviert zu sein. Sprang die Familie mütterlicherseits ein?“

„Ja. Zugegeben, der Skandal um die Scheidung brachte sie in eine peinliche Lage, doch ich fand immer, dass Blut dicker ist als Wasser. Die Eltern des Mädchens allerdings enterbten sie. Der Junge wäre wohl ohne Schulbildung geblieben, wenn nicht ein paar Jahre später seine Tante mütterlicherseits ihren Gatten überredete, den Jungen zu fördern und ihn seinem Rang gemäß aufwachsen zu lassen.“

„Lord Newville? Papa erzählte mir, der habe Hadley unter seine Fittiche genommen.“

„Genau. Die Newvilles sorgten für Mutter und Sohn, finanzierten Hadleys schulische Ausbildung und unterstützen seine Kandidatur fürs Parlament. Angesichts der schlechten Behandlung durch seinen Vater wundert es nicht, dass er sich den Radikalen anschloss und sich der Aufgabe verschrieben hat, die Macht der Aristokratie zu begrenzen.“

„Was geschah mit seiner Mutter?“

„Soweit man weiß, war sie zufrieden damit, mit ihrem Sohn in ländlicher Abgeschiedenheit zu leben. Vermutlich hoffte sie, dass eines Tages der Mann, den sie liebte, zu ihr zurückkehren würde. Doch wie sich herausstellte, starb er tatsächlich in Indien, ein paar Jahre nach der Scheidung, und sie überlebte ihn nicht lange.“

„Nun, da sein älterer Sohn sich einen solchen Namen gemacht hat, und da er weiß, dass er eines Tages sein Nachfolger sein wird, sollte Telbridge da nicht langsam Frieden mit seinem Erben schließen?“

Die Tante schüttelte den Kopf. „Randall Hadley war schon immer stolz und unnachgiebig. Ich denke, es hat ihn mit Genugtuung erfüllt, seinem Freund die Frau auszuspannen, aber er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ein anderer sie berührt hatte. Wobei ich nicht glaube, dass er sie geliebt hat. Einzig der Vernunft von Hadleys Tante ist es zu verdanken, dass der Erbe des Earls kein ungebildeter Wilder ist.“

„Also besteht kaum eine Chance, dass Vater und Sohn sich versöhnen?“

„Darauf würde ich nicht zählen. Der Earl ist zu halsstarrig; sein zweiter Sohn ist nach allem, was ich höre, derart eifersüchtig und voller Groll auf den Erben, dass er keine Gelegenheit auslässt, ihn bei seinem Vater zu verleumden. Nun, der Viscount wird erben, ob sie sich versöhnen oder nicht. Vermutlich hat er wenig Lust, auf einen Mann zuzugehen, der ihn und seine Mutter zu Armut verdammte. Fest steht, Telbridge hat in all den Jahren nichts getan, aus dem sein Sohn – sofern der Viscount sein Sohn ist – schließen könnte, dass eine Versöhnung erwünscht ist.“

„Mag sein.“ Margaret seufzte. „Traurig ist es trotzdem.“

„Familienkrach gibt es nicht erst seit heute. Schau in die Bibel. Wenn du allerdings vorhast, die Bekanntschaft mit Hadley zu vertiefen, wäre ich an deiner Stelle vorsichtig.“

„Warum denn? Bestimmt hältst du ihn doch nicht für gefährlich? John Proctor warnte mich vor ihm! Selbst wenn er Godwins Ansinnen unterstützt, die Ehe abzuschaffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er eine Frau mit Gewalt verführt.“ Sie lachte reuig. „Das hat er gar nicht nötig.“

„Ich habe nichts derartiges gehört – eher das Gegenteil. Viele Liebschaften hat er nicht, und die betreffenden Damen wurden mit größtem Respekt behandelt. Nur sähe ich ungern, wenn so eine Dreiecksbeziehung in der zweiten Generation wieder auflebt.“

„Dreiecksbeziehung?“ Margarets Verwirrung wandelte sich zu Ärger, als ihr ein Licht aufging. „Schon wieder dieser Artikel in der Morning Post! Gewiss glaubst du doch den Klatsch nicht! Ich bin nicht an einer Heirat mit George Hadley interessiert, egal wie sehr er sich bei Papa anbiedert.“

„Nun, vielleicht meint George Hadley ja, er habe sich bei deinem Vater so erfolgreich angebiedert, dass er drauf und dran ist, deine Hand zu gewinnen. Für ihn wäre es eine exzellente Verbindung.“

„Na, für mich nicht!“, antwortete Margaret hitzig. „Ich mag den Mann nicht, und ich bin den Torys nicht so verbunden, dass ich zu ihrem politischen Vorteil heiraten würde! Aber Papa würde mich auch nicht dazu überreden, gleich, wie sehr George Hadley sich anbiederte!“

„Ja, aber das ist nicht das Problem! Verstehst du nicht? Die Brüder können sich nicht ausstehen. Kann es nicht sein, dass Giles Hadley, nachdem er, wie wir alle, den Artikel gelesen hatte, deine Bekanntschaft suchte, nur um seinem Halbbruder einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen? Also, ich sage nicht, dass er mit dieser Idee im Kopf dort aufkreuzte. Höchst wahrscheinlich war er aus politischen Gründen in Armsburns Wahlkreis, traf dich zufällig und bewundert dich ehrlich – warum auch nicht? Nur angesichts des Verhältnisses zwischen den beiden würde ich Vorsicht walten lassen.“

Einen kurzen Moment wurde ihr ganz übel bei dem Gedanken, dass Giles Hadley sich ihr bewusst genähert haben könnte, um sie zu bestricken, damit er sich vor seinem Bruder mit der Eroberung brüsten könnte. Diese Möglichkeit erinnerte sie zu sehr an ihr Debakel mit Sir Francis.

Aber nein, sagte sie sich sofort, das kann nicht sein. Ungeachtet seiner Gründe, nach Chellingham zu kommen – diese gegenseitige Faszination war echt gewesen, dessen war sie sich sicher. Ob er nun die Bekanntschaft wegen oder trotz des Interesses seines Bruders an ihr fortsetzen würde, wusste sie nicht. Doch dass zwischen ihnen die Funken sprühten, bildete sie sich nicht nur ein.

Was sie nun, da sie voll im Bilde war, diesbezüglich tun würde, lag immer noch bei ihr. Jedenfalls wollte sie so wenig der Zankapfel zwischen zwei streitlustigen Brüdern sein, wie sie George Hadleys Trophäe sein wollte.

Und ganz bestimmt würde sie nicht riskieren, sich zu verlieben.

„Ich werde auf mich aufpassen“, versprach sie daher. „Darum wollte ich ja mit dir sprechen, Tante Lilly. Du gibst mir stets so hervorragende Ratschläge.“

„Was sonst hat man in meinem Alter noch zu geben“, sagte ihre Tante säuerlich. „Ein letzter Rat noch, dann lasse ich dich gehen: lass dich von niemandem in eine Ehe zwingen, die du eigentlich nicht willst. Auch ich bekam nach Creightons Tod mehrere Anträge, aber keiner konnte ihm das Wasser reichen, und auf einen geringeren Mann wollte ich mich nicht einlassen.“

„Genauso empfinde ich, was meinen Robbie angeht“, sagte Margaret mit feuchten Augen.

„Nicht dass ich mich nicht von Zeit zu Zeit amüsiert hätte“, fügte ihre Großtante hinzu.

„Tante Lilly!“, Margaret lachte. „Du lässt mich erröten.“

„Als ob ich das zustande brächte bei all dem, was du dir zwangsläufig anhören musst, da du so viel Zeit in männlicher Gesellschaft verbringst! Aber ich sorge mich um dich, Kind. Nach Robbies Tod warst du untröstlich, und dann, als ich dachte, du hättest mit Sir Francis ein neues Glück gefunden, endete die Affäre so übel. Ich sähe so gern, dass du dem Leben wieder mit Leichtigkeit begegnetest.“

„Ich habe Freude daran, für Papa zu arbeiten.“

„Ich wünsche mir für dich nicht nur ‚Freude‘, sondern mehr – dieses innere Leuchten. Du weißt, was ich meine. Wenn Giles Hadley dir die Möglichkeit bietet, solche Freuden abermals zu kosten, lass dir nicht von der öden Stimme der Vernunft abraten. Man wird nicht fündig, wenn man nicht einmal riskiert zu suchen. Nur denk an die möglichen Komplikationen. Lass mich dir nur noch eins empfehlen, dann schweige ich. So wenig ich möchte, dass du zu einer Heirat gedrängt wirst, fände ich es doch betrüblich, wenn dir Kindersegen verwehrt bliebe. Das solltest du bedenken, solange du noch jung genug bist, um Kinder zu bekommen.“

Dieser Tatsache war Margaret sich nur zu bitter bewusst. Sie verkniff sich eine Grimasse, und indem sie sich erhob, verbarg sie ihr Unbehagen vor ihrer scharfsichtigen Tante. „Ich muss heim. Ich habe noch keinerlei Vorbereitungen für Papas morgige Dinner-Party getroffen. Danke für den Tee – und deinen Rat, Tante Lilly.“

„Was ich dir beides immer gern biete.“ Liebevoll tätschelte sie Margaret, die sich zu ihr gebeugt hatte, um ihr zum Abschied einen Kuss zu geben, die Wange. „Ich bete, dass du glücklich wirst, Kind.“

Margaret dankte gerührt. „Und wenn es aufregend werden sollte, wirst du es bestimmt als Erste erfahren.“

Während der Fahrt weiter zum Cavendish Square, wo sich das Stadthaus ihres Vaters befand, grübelte Margaret über das Gespräch mit ihrer Tante nach. Nun, da sie Giles Hadleys Geschichte gehört hatte, fand sie ihn faszinierender denn je.

Zu gerne würde sie von ihm erfahren, wie er sich seine Zukunft vorstellte, wenn er erst einmal die Pflichten übernehmen musste, die mit seinem Titel einhergingen.

Dann war da das Problem der Rivalität zwischen ihm und seinem Bruder, der wohl auf ihre Hand spekulierte. Zwar war sie sich sicher, dass zwischen ihr und Giles Hadley eine echte Anziehungskraft bestand, doch hatte sie sich schon einmal als recht unfähig erwiesen zu unterscheiden, ob das Interesse eines Mannes ihren Reizen galt oder ihrer Abstammung, ihrem Reichtum und ihren Beziehungen. Würde Giles Hadley ihr Avancen machen, weil er sie ebenso faszinierend fand wie sie ihn? Oder würde sie auf eine weitere schmerzhafte Enttäuschung zusteuern, falls sie ihrem Verlangen nachgab?

Doch wie Tante Lilly angedeutet hatte – sie würde nicht ewig jung sein. In den Jahren seit Robbies Tod hatte sie bei nicht einem einzigen Mann – und sie kannte viele – diese gewaltige, unmittelbare Anziehungskraft verspürt wie bei Giles Hadley. Wenn sie sich von Vorsicht abhalten ließ, zumindest herauszufinden, wohin das führen mochte, nahm sie sich vielleicht ihre letzte Chance.

Immerhin war sie nun klüger, misstrauischer gegen Aufmerksamkeiten und Schmeicheleien als vor der Episode mit Sir Francis. Solange sie nicht den Kopf verlor, wäre das Schlimmste, was ihr passieren konnte, festzustellen, dass Giles Hadley nicht so faszinierend war – oder nicht so fasziniert von ihr war – wie sie vermutete. Sie war davon überzeugt, er würde sie nie in Gefahr bringen oder sie zu etwas nötigen, das sie nicht tun wollte.

Obwohl von nötigen keine Rede sein konnte. Ihr Puls beschleunigte sich ja schon, wenn sie nur an den eindringlichen Blick seiner blauen Augen und die bei seinem Lächeln in ihr aufwallende Glut dachte. Aber gewiss war sie doch klug genug, der gefährlichsten aller Versuchungen zu widerstehen und sich auf Freundschaft zu beschränken.

Ich will ihn wirklich besser kennenlernen … als Freund und Gefährten, sagte sie sich.

Als Liebhaber, wenn du dir sicher sein könntest, kein Risiko einzugehen, antwortete die Stimme der Ehrlichkeit.

Aber nur, wenn es ihr gelang, ihr Herz aus dem Spiel zu lassen.

3. KAPITEL

Zwei Abende danach steuerte Giles den Privatsalon im Quill and Gavel an, begierig, mit seinen Freunden die Wahlergebnisse zu diskutieren. Er fand sie schon alle anwesend, und David reichte ihm gleich einen Krug Ale, während Ben Tawny ihn auf einen Stuhl niederdrückte

„Wie war es in Chellingham?“, fragte Christopher. „Konnte Reynolds Witlows Mann den Sitz wegschnappen?“

„Leider nicht“, antwortete Giles. „Michael Armsburn schnitt bei den mündlichen Abstimmungen so gut ab, dass wir erst gar nicht nach offiziellen Stimmabgaben verlangten. Schon mit Reynolds umherzuziehen zeigte, dass es hoffnungslos war. Selbst die arbeitslosen ehemaligen Soldaten, von denen man hätte erwarten dürfen, dass sie den Reformkurs unterstützen, sagten, sie würden für Witlows Kandidaten stimmen. Seine Lordschaft habe sich, während sie im Krieg waren, um ihre Familien gekümmert. Und wie ist es euch ergangen?“

Die anderen berichteten von den Siegen der Whigs und besprachen ihre weitere Vorgehensweise. David ließ sich, nachdem er eine neue Runde bestellt hatte, neben Giles nieder und fragte gedämpft, nur für ihrer beider Ohren bestimmt: „Was hältst du von Lady Margaret?“

Giles spürte überrascht, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. „Woher weißt du, dass ich sie traf?“

David zuckte die Achseln. „Du sagtest, du wolltest helfen, einen von Witlows Bezirken für uns zu gewinnen – und wähltest ausgerechnet einen, der, wie wir von Anfang an wussten, kaum zu gewinnen war. Und der rein zufällig von einem Cousin Lady Margarets gehalten wird, den sie schon öfter bei Wahlkampagnen unterstützte. Und das, nachdem du hörtest, dein Bruder habe womöglich ehrliche Absichten mit der Dame. Also, was hältst du von ihr?“

Waren seine Motive so durchschaubar? „Also gut“, sagte er missmutig. „Sie hat mich sehr beeindruckt. Sie ist die geborene Wahlhelferin – die Menschen lieben sie. Sie scheint eine Leidenschaft für Politik und für das Wohl der Gemeinden zu hegen, die zum Besitz ihres Vaters gehören.“

„Ein Jammer, dass sie diese Leidenschaft der falschen Partei widmet“, meinte David. „Hast du mit ihr gesprochen?“

David musterte Giles prüfend, was ihm äußerst unangenehm war. „Ja. Als Person ist sie selbst so attraktiv, wie ihre politische Haltung unattraktiv ist. Ich muss zugeben, ich war sehr … angetan. Übrigens bestreitet sie jedes Interesse an einer Heirat mit George.“

„Ach, ja? Ich weiß nicht, ob ihr mangelndes Interesse deinen Halbbruder von seinen Plänen abhalten wird, wenn man die Vorteile bedenkt, die diese Verbindung mit sich brächte. Bleibt nur zu hoffen, dass ihr Vater ihre Wünsche berücksichtigt, anstatt einem aufstrebenden Mitglied seiner Partei unter die Arme zu greifen. Hast du vor, die Bekanntschaft zu vertiefen?“

„Ja.“ Wenigstens lange genug, um zu sehen, ob die außergewöhnliche Anziehungskraft, die ich zwischen ihr und mir verspüre, über das erste Treffen hinaus anhält.

„Und was ist mit George?“

Giles zuckte mit den Schultern. „Da ich mich bisher nicht um Georges Befindlichkeiten gekümmert habe, werde ich jetzt nicht damit anfangen.“

David nickte. „Gut. Nur sorge dafür, dass die Lady nicht ins Kreuzfeuer gerät, falls die Kugeln fliegen.“

Giles grinste. „Auf eins kannst du zählen: Eine Dame werde ich stets beschützen.“

In diesem Moment erschien ein livrierter Diener an der Tür. „Eine Nachricht für Mr. Hadley.“

Als Giles sich dem Diener zuwandte, reichte der Mann ihm das Schreiben und entfernte sich. Giles überflog es und runzelte die Stirn. „Von Lord Grey. Er möchte mich bei einem Dinner mit seinen Ausschussmitgliedern dabeihaben, jetzt sofort.“

Ben stieß einen leisen Pfiff aus, und David hob die Brauen. „Gratulation, dass der Parteivorsitzende nach dir verlangt!“, sagte Christopher.

„Dumm, ich muss wohl gehen. Leider findet das Dinner im Brooks Club statt – weswegen Grey vermutlich nicht uns alle einlädt. Er weiß, ich beehre Brooks nur, wenn mir keine Wahl bleibt.“

„Vielleicht solltest du dich dort öfter sehen lassen“, riet David. „Viele der Älteren dort sind Parteimitglieder; sie sollten dich besser kennenlernen.“

„Ich treffe mich lieber hier, mit euch.“ Giles lächelte. „Strategien ausarbeiten und von Veränderungen träumen, wie damals in der schmuddeligen kleinen Kneipe in Oxford.

„Es war schön und gut, die herrschenden Ansichten anzufechten, als wir noch die Höllenbrut waren“, meinte David. „Aber es hat seinen Zweck erfüllt. Nun, da unsere Träume bald Realität werden, sollten wir lieber kräftig dabei mitmischen, wie sie in die Tat umgesetzt werden.“

„Sehr wahr“, stimmte Christopher zu. „Warum nicht alle Vorteile einer Mitgliedschaft bei Brooks nutzen?“

„Du könntest sogar uns eine verschaffen.“ David grinste breit. „Es wäre jedenfalls der einzige Weg, wie ich sie je erlangte. Ihre Politik mag liberal sein, aber im wahren Leben würde ein hochgeborener Whig nicht den verwaisten Sohn eines Bauern in seinen Klub aufnehmen, egal in wie hoher Position dessen Förderer sein mag.“

„Sie hätten mich kaum aufgenommen, wenn Lord Newville nicht darauf bestanden hätte“, erklärte Giles. „Wer weiß schon, wie viel Druck ausgeübt werden musste.“

„Deine Ernennung hat die Mitglieder tatsächlich in eine unangenehme Lage gebracht“, meinte David. „Viele sind Freunde deines Vaters, und dann ist da die hässliche Sache mit George. Wenn dir etwas zustieße, wäre er der Titelerbe, und wie damals unsere Kameraden in Oxford scheut man im Allgemeinen davor zurück, sich mit dir abzugeben, für den Fall, er bekäme eines Tages doch den Titel und den damit verbundenen Einfluss.“

„Dann müssen wir eben dafür sorgen, dass es nie dazu kommt“, entgegnete Giles.

„Teufel, das erinnert mich an etwas!“, rief Christopher. „Wychwood erzählte mir, dass George seinen Sitz verloren hat!“

„In Hampshire, der Grafschaft meines Vaters?“, fragte Giles verwundert.

„Ja. Und obwohl die mündliche Stimmabgabe deutlich den Reformkandidaten bevorzugte, bestand er noch auf einer offiziellen Stimmzählung. Und verlor entschieden.“

„Die armen Dienstboten – und alle anderen Unglücklichen, die ihm in den nächsten Tagen über den Weg laufen“, meinte Christopher. „Der tritt schneller aus als ein verschreckter Hengst.“

„Bestimmt versucht er, dir die Schuld dafür zu geben“, warnte David.

„Und wird sich bei deinem Vater beklagen. Ich würde ihm erst einmal aus dem Weg gehen“, riet Ben.

„Tue ich sowieso immer“, antwortete Giles. „Aber jetzt sollte ich mich besser zu dem Treffen aufmachen.“ Er warf seinen Gehrock über und eilte hinaus.

David folgte ihm und hielt ihn hinter der Tür zurück. „Das ist vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, einen Streit wegen einer Frau zu beginnen“, sagte er leise.

„Das habe ich nicht vor. Und wenn er damit anfangen sollte, werde ich es wie immer ignorieren.“ So gern ich ihm auch die Faust in sein selbstgefälliges Gesicht schlagen würde.

„Na … gib einfach acht. Ich fand schon immer, George ist wie eine gereizte Schlange – schlägt zu, wenn er in die Ecke gedrängt wird. Gib ihm nur keinen Anlass.“

„Ich werde die Diplomatie in Person sein.“

„Sagt der Hitzköpfigste der Teufelsbrut?“ David grinste. „Erinnere dich daran, wenn du George begegnest und ich nicht da bin, um dich zurückzuhalten. Es wäre … unwürdig für einen aufstrebenden Parlamentsabgeordneten, einen ehemaligen Abgeordneten in der Öffentlichkeit zu verprügeln.“

„Außerdem würde George bestimmt sofort Klage gegen mich erheben! Ich verspreche dir, ich werde mich von meiner besten Seite zeigen.“

Ein paar Stunden später, nach dem Dinner und der Beratung mit Lord Grey und zweien seiner Minister, hatte Giles, einen Packen Notizen in der Hand, eben den privaten Speisesalon verlassen, als eine unwillkommene Stimme seinen Namen rief.

Beim zweiten Ruf wandte er sich um und rüstete sich für die stets unerfreuliche Begegnung mit seinem Halbbruder.

„Na, endlich!“ George trat mit seinem gemessenen, wichtigtuerischen Gang näher.

Zumindest diese kleine Befriedigung ist mir vergönnt, dachte Giles, der sich nicht vom Fleck bewegte. George hat endlich gelernt, dass ich nicht springe, wenn er ruft.

Wie immer war sein Halbbruder exzellent gekleidet – dunkler Rock mit der modisch engen Taille, kompliziert gebundene Krawatte, zwischen deren Falten ein Diamant funkelte, und lange Beinkleider. Wandelnde Reklame für seinen Schneider und Hinweis darauf, dass George ein Mann von ausgeprägter Eitelkeit war.

George schaute ihm einen Moment stumm in die Augen. Sein Halbbruder war genauso groß wie Giles, hatte jedoch das hellere Haar und die hellbraunen Augen ihres Vaters, dazu ein angenehmes Gesicht, das, wenn er freundlich dreinschaute – was in Giles’ Gegenwart nur selten vorkam – als hübsch galt; zumindest schienen diverse Damen der Gesellschaft es so zu empfinden.

Lady Margaret gehörte offensichtlich nicht dazu. Dieses Wissen freute Giles mehr, als es sollte.

Da Giles sich zu keiner Frage verleiten ließ, ergriff George schließlich das Wort. „Hab zuerst gar nicht geglaubt, dich tatsächlich in einem feinen Klub zu finden, und nicht mit den gewöhnlichen Kumpanen, mit denen du sonst verkehrst! Weiß der Teufel, was es Lord Newville gekostet haben muss, die Mitglieder zu bestechen, damit sie dich aufnehmen! Aber im Augenblick sollte ich ihm danken, da es mir so erspart bleibt, dich in dem Loch, das du sonst beehrst, aufzuspüren.“

Tief atmete Giles ein, um seinen Ärger zu unterdrücken. Er hatte längst die beste Methode gefunden, mit provokanten, abfälligen Bemerkungen seines Halbbruders umzugehen – nämlich sie zu ignorieren, wie aufreizend sie auch waren.

„Hast du etwas Wichtiges zu sagen, oder wolltest du nur die üblichen Beleidigungen loswerden?“, fragte er in höchst gelangweiltem Tonfall. „Falls letzteres, wünsche ich dir eine gute Nacht.“ Nickte knapp und wandte sich ab.

„Warte! Da ist tatsächlich noch etwas!“ George hielt ihn zurück.

So gern Giles ihn einfach stehen gelassen hätte, entschied er sich doch dafür, ihn besser sofort anzuhören. George, hartnäckig wie eine Bulldogge, würde ihn ohnehin nicht in Ruhe lassen.

Giles hob eine Braue. „Vielleicht möchtest du das anderswo bereden als in Brooks Eingangshalle?“ Er wies auf einen kleinen Vorraum.

Nachdem George ihm dorthin gefolgt war, sagte Giles, die Tür schließend: „Ich habe heute Nacht noch zu tun, daher wäre es mir lieb, wenn du dich kurz fassen würdest.“ Mit, wie er fand, wahrem Edelmut enthielt er sich der Bemerkung, dass es unter anderem um wichtige Angelegenheiten bezüglich des neuen Parlaments ging – in dem George keinen Sitz haben würde. „Verzichten wir doch auf die künstlichen Nettigkeiten. Sag einfach, was du zu sagen hast.“

„Also gut: Ich warne dich hiermit, lass Lady Margaret Roberts in Ruhe. Sie ist eine vornehme Dame aus bester Familie, ihr Vater ein Peer und von seinesgleichen hochgeachtet. Es wäre für beide äußerst peinlich, wenn bekannt würde, dass sie mit dir Umgang hatte. Und noch dazu in einem gewöhnlichen Gasthof.“

Verdutzt sah Giles seinen Halbbruder an – bis es ihm dämmerte. „Du meinst, in Chellingham?“

„So weit ich weiß, hat sie nur dieses eine Mal solchen Mangel an Urteilsvermögen bewiesen. Allerdings hörte ich, es gab eine kleine Störung, sodass sie fortgebracht werden musste, und dass sie, als sie sich von dir helfen ließ, nicht wusste, wer du bist.“

„Du meinst, es wäre akzeptabler gewesen, wenn die Dame sich von einem Fremden hätte helfen lassen als von mir?“, warf Giles ein.

„Also, natürlich hätte sie nicht mit einem Fremden gehen sollen! Armsburn und Proctor waren höchst nachlässig, sie überhaupt allein gelassen zu haben. Wobei sie sich am besten gar nicht erst als Wahlhelferin ihres Cousins hervorgetan hätte!“

Zugegeben, Giles war nicht mit den diversen freundschaftlichen Verbindungen unter den Torys vertraut, doch dass sein Halbbruder und Lady Margarets Cousin sonderlich vertraut miteinander waren, war ihm noch nie zu Ohren gekommen. Und wenn nicht …

„Wieso weißt du, was in Chellingham passierte?“ Als George zu stottern begann, äußerte Giles die unglaubliche, doch logische Folgerung. „Hast du sie bespitzeln lassen, George?“

„Jemand sollte über ihre Schritte wachen, da ganz offensichtlich weder ihr Cousin noch dessen Assistent das im Griff hatten“, antwortete George abwehrend.

Nur aus einem Grund konnte George so weit gegangen sein, die Dame beobachten zu lassen: Er musste wirklich entschlossen sein, sie zu heiraten. Und selbst dann war sein Verhalten empörend und machte Giles schon um Lady Margarets willen wütend.

„Weiß Lord Witlow von deiner … Fürsorge?“ Lady Margaret jedenfalls wusste es keineswegs, und er war sich ziemlich sicher, wie sie reagieren würde, wenn sie es herausfand.

„Lord Witlow wäre mir dankbar, dass ich mich um das Wohl seiner liebsten Tochter sorge“, entgegnete George hochtrabend.

Also wusste ihr Vater auch nichts davon. Weswegen sich Georges Verhalten als noch beunruhigender darstellte. „Möglicherweise schätzt er es nicht, wenn jemand, der nicht zur Familie gehört, seine Tochter überwachen lässt.“

George wedelte ungeduldig mit einer Hand. „Meine Motive sind absolut rein. Außerdem hege ich die Hoffnung, in Kürze zur Familie zu gehören.“

George beabsichtigte also tatsächlich, um Lady Margarets Hand anzuhalten. „Du sprachst mit Seiner Lordschaft darüber?“

„Zweifellos ist er sich meiner Bewunderung bewusst“, sagte George ausweichend.

„Und die Dame?“

„Ich habe mich noch nicht offiziell erklärt“, gab George zu. „Doch in einer so wichtigen Angelegenheit wird sie sich von ihrem Vater leiten lassen, und der wird ganz gewiss zustimmen, schließlich wäre eine Verbindung unserer Familien für alle von Vorteil. Also, da ich dir meine ehrbaren Absichten erklärt habe, erwarte ich, dass sogar jemand wie du sie respektiert und die Dame nicht durch einen Umgang besudelt, der ihr nur zum Nachteil gereichen kann.“

Giles kochte inzwischen vor Wut und hielt sich nur mühsam im Zaum. Ruhig sagte er: „Ich würde der Lady zugestehen, selbst zu entscheiden, mit wem sie sich einzulassen wünscht.“

George gaffte ihn einen Moment an. „Was heißt, du hast tatsächlich vor, sie mit deinen Aufmerksamkeiten zu belästigen?“

„Ich habe noch nie eine Frau belästigt! Wenn eine Dame andeutet, dass sie an meiner Gesellschaft nicht interessiert ist, bin ich nicht so ungehobelt, sie ihr aufzwingen.“ Da dieser Schuss seinen Bruder nicht getroffen zu haben schien, ergänzte er: „Wie ich sagte, es liegt bei der Dame.“

„Prächtig!“, sagte George und seine feindliche Miene wich einem selbstgefälligen Ausdruck. „Dann kann ich beruhigt sein. Ihr Vater würde nie einen Umgang zulassen, der ihrem guten Namen und der Wertschätzung, die sie allgemein genießt, abträglich ist. Nur dessen wollte ich mich vergewissern. Daher gute Nacht.“ Wie stets, ohne Giles’ Nachnamen oder den Titel, der ihm formell zustand, zu benutzen, nickte er und ging hinaus.

Welch eine Arroganz! Ungläubig schaute Giles ihm hinterher. Offensichtlich hielt sein Bruder Lady Margaret für eine von ihrem Vater gelenkte Marionette und war sich sicher, der Marquess würde ihr befehlen, sich von Giles fernzuhalten und George zu heiraten.

Zum Glück wusste Giles schon, dass Ersteres unwahrscheinlich war – sie hatte ihm offen gesagt, dass ihr Vater ihn, Giles, respektierte.

Und Letzteres … Lady Margaret schien ihrem Vater ehrlich zugetan zu sein und würde ihn wohl nicht absichtlich verstimmen wollen. Aber er bezweifelte, dass sich diese selbstständige Frau, die er mit Wählern hatte scherzen sehen, von ihrem Vater in eine unerwünschte Ehe drängen lassen würde.

Der Gedanke munterte ihn ziemlich auf.

Keine einzige von Georges Äußerungen würde ihn davon abbringen können, sie erneut zu treffen, zumindest nicht, bis George oder dessen Spione entdeckten, dass er sie wiedergesehen hatte. Bis dahin sollte er herausgefunden haben, ob ihre gegenseitige Anziehungskraft stark genug war, dass es die Mühe lohnte, die Forderungen seines anmaßenden Bruders zu ignorieren und zwischen ihnen noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.

Er hatte keine klare Vorstellung davon, was er sich eigentlich von der Vertiefung der Bekanntschaft mit Lady Margaret erhoffte, wie eine Beziehung zwischen ihnen aussehen könnte. Gewiss hatte er nicht im Sinn, sie zu heiraten – dafür hatte er ihr mit seiner bedeutungslosen Position nicht genug zu bieten, und seine Vergangenheit war zu schillernd. Aber da die Frau Witwe war, konnte sie sich durchaus eine diskrete Affäre gönnen, wenn ihrer beider Verlangen in diese Richtung ging.

Beflügelt von dem Gedanken winkte Giles einer Droschke, um zu seinen Freunden zurückzukehren. Dabei fiel ihm plötzlich noch ein weiterer dringender Grund ein, Lady Margaret wiedersehen zu müssen, gleich ob jenes machtvolle Band zwischen ihnen beim zweiten Treffen hielt oder nicht.

Er war nämlich der Meinung, sie sollte wissen, dass sein Halbbruder sie beobachten ließ.

Als er sich vorstellte, wie sie diese Neuigkeit aufnehmen würde, musste er unwillkürlich lächeln.

4. KAPITEL

Zwei Wochen danach wurde das Parlament wieder einberufen. Wenig später erklomm Lady Margaret die Stufen zu der den Damen vorbehaltenen Galerie im oberen Stockwerk der St. Stephen’s Chapel. In der Mitte des Raums zog sich eine Bank um eine achteckige hölzerne Kuppel mit Öffnungen in jeder Seite, durch die man eine, wenn auch eingeschränkte, Sicht hinunter ins Unterhaus hatte. Die merkwürdige Anordnung machte die Sicht beschwerlich, doch das gesprochene Wort konnte man klar verstehen.

Margaret wusste, dass Giles Hadley heute eine Rede bezüglich der Vorlage zum Reformgesetz halten würde.

Sich niedersetzend dachte sie bedauernd, dass sie im Oberhaus einen wesentlich besseren Blick auf das Geschehen hatte, da sie dort auf einer Bank direkt neben den Mitgliedern sitzen durfte. Hier würde sie leider im besten Falle einen Blick auf Mr. Hadleys Hinterkopf erhaschen können.

Ob schon allein der Klang seiner Stimme in ihr etwas auslösen würde? Sie verspürte ein Kribbeln im Bauch, und ihre Haut prickelte vor Unruhe, wie jedes Mal, wenn sie an den Mann dachte. Und sie dachte oft an ihn.

Zweifellos zu oft dafür, dass sie ihn erst einmal getroffen hatte. Zufällig wäre eine weitere Begegnung auch nur schwerlich herbeizuführen gewesen, da er die Gesellschaften des ton nicht frequentierte – wo sie vergeblich nach ihm Ausschau gehalten hatte – und nicht an denselben politischen Zusammenkünften teilnahm wie sie selbst.

Doch, oh, wie sogar der Gedanke an ihn sie immer wieder aufwühlte!

Sie würde heute versuchen, ihn zu treffen. Nachdem sie sich während der letzten Wochen ständig dabei ertappt hatte, wie sie ihre Begegnung Revue passieren ließ, nach diversen Erklärungen für den Zauber derselben suchte und sich fragte, ob es bei einem erneuten Treffen wieder so sein würde, war sie es schließlich leid gewesen, sich wie ein albernes, zum ersten Mal verliebtes Schulmädchen aufzuführen. Sie wollte wieder ihr altes, gelassenes, vernünftiges Selbst sein. Denn auch wenn er sich beim zweiten Treffen als ebenso faszinierend erwies wie beim ersten, sollte sie in ihrem Alter vernünftig genug sein, seinetwegen nicht den Kopf zu verlieren.

Außerdem, wenn sie ihn im prosaischen Licht eines Parlamentsvorraums wiedersah, würde er sich sehr wahrscheinlich vom Stoff ihrer Träume in einen ganz normalen, wenn auch attraktiven Mann verwandeln.

Bald schon wurde unten nach Ruhe verlangt, und ein Redner nach dem anderen hielt seine Ansprache. Nach einigen Stunden war Margaret, steif vom langen Sitzen auf der harten Bank, kurz davor, sich geschlagen zu geben und zu gehen, als die Stimme, die flüsternd durch ihre Träume wehte, an ihr Ohr drang.

Jähe Erregung durchfuhr sie, sie verrenkte sich den Hals, um mehr von ihm sehen zu können.

Auf seinen blauschwarzen Locken tanzte das Licht; sie atmete rascher, erschaudernd beugte sie sich vor, um nichts von seinem Auftritt zu verpassen, während er unten auf und nieder schritt.

Seine Stimme schlug sie in ihren Bann – ah, was für eine Stimme! Ihr Vater hatte recht – Giles Hadley war der geborene Redner. Sein volles, sonores Organ hallte durch den Raum. Während er nachdrücklich seine Argumente vorbrachte, wurden selbst die abfälligen Zwischenrufe seiner Gegner weniger und erstarben schließlich ganz.

Geschickt appellierte er an das Nationalgefühl der Zuhörer, um dann wieder sachliche Gründe für die nötigen Veränderungen anzuführen, bis seine sich steigernde Lautstärke und der zwingende Tonfall den Höhepunkt der Rede ankündigten. Unbewusst beugte Margaret sich, begierig auf jedes Wort lauschend, immer weiter über die Öffnung.

Als er seine Rede schließlich beendet hatte, verharrte er direkt unter ihr, das Haupt geneigt, und nahm das Klatschen und die Beifallsrufe der Whigs entgegen sowie das missbilligende Murmeln der Torys. Dann, wie von einer unsichtbaren Gewalt getrieben, sah er auf und hoch zu der Öffnung, und ihre Blicke trafen sich.

Die in diesem Moment zwischen ihnen pulsierende Energie ließ Margaret einen Schauer über den Rücken rinnen. Dann zog jemand, von dem sie nur den Arm sah, ihn fort und aus ihrem Blickfeld.

Margaret richtete sich auf. Sie zitterte. Überwältigt von seiner Redekunst, saß sie auf ihrem Platz, zu erschüttert, sich zu rühren.

Papa hatte gesagt, man erwarte noch Großes von ihm, und nun verstand sie, warum. Musste Lord Grey einen so faszinierenden Reformer nicht einfach in seinen Stab aufnehmen? Selbst die Torys waren vor der Macht seiner Rhetorik verstummt.

Wenn er mit solch leidenschaftlicher Überzeugung sprach, würde er vermutlich imstande sein, sie selbst zu fast allem zu überreden.

Ein beunruhigender Gedanke, der sie veranlassen sollte, ihre Wiedersehenspläne zu überdenken.

Sie fragte sich gerade, ob es klug wäre, zu ihm hinunterzugehen, als jäh die Luft ringsum wie aufgeladen zu sein schien. Erschrocken sah sie auf – in die, ach, so blauen Augen Giles Hadleys.

Der Mund wurde ihr trocken, und ihr Magen schien einen kleinen Salto zu schlagen.

„Lady Margaret!“, sagte er, sich verbeugend. „Welch unerwartetes Vergnügen!“

Sie erhob sich und nickte grüßend. „Ganz meinerseits, Mr. Hadley. Das war eine ausgezeichnete Rede.“

Er machte eine abwehrende Geste. „Nur die blanke Wahrheit.“

„Vielleicht, aber die blanke Wahrheit elegant verpackt und überzeugend vorgebracht. Kein Wunder, dass die gesamte Kammer erschien, um Sie reden zu hören.“

Er lächelte und schaute sie forschend an, mit so feurigem Blick, dass ihr Herz schneller pochte. „Es würde mir schmeicheln, sollten Sie extra gekommen sein, um mich reden zu hören.“

„Aber ja, ich kam tatsächlich in der Hoffnung, Sie zu hören, und wurde reich belohnt.“

Seine Augen strahlten noch heller und ließen Margaret erbeben. „Eingedenk der vielen exzellenten Redner, die Sie zweifellos schon in beiden Kammern gehört haben, ist es sehr freundlich von Ihnen, das zu sagen. Ich sollte Sie zum Zeichen meines Dankes zum Tee einladen. Leider kann ich zurzeit das Sitzungszimmer dafür nicht empfehlen, da jetzt, zu Beginn der Sitzungsperiode, alles noch ein wenig durcheinander ist. Könnte ich Sie überreden, mich zu Gunter’s zu begleiten?“

„Sehr gerne.“

Er bot ihr seinen Arm. Nach kurzem Zögern reichte sie ihm ihre Hand und kostete das erregende Prickeln der Berührung aus.

Während er sie die Treppen hinabführte, dachte sie, eine Antwort auf meine quälenden Fragen habe ich nun; seine Wirkung auf mich war eindeutig nicht dem Wahlfieber oder der gefährlichen Situation neulich in Chellingham geschuldet. Ihre Vorsicht in den Wind schlagend, beschloss sie, jede Sekunde dieser Zusammenkunft zu genießen.

„Also“, sagte er, als sie in der Droschke saßen, „hat meine Rede Sie davon überzeugt, dass die Zeit für Reformen reif ist?“

„Ihre Argumente sind sehr einleuchtend“, gab sie zu.

„Ich hoffe, Ihr Vater und die Torys im Oberhaus stimmen dem zu. Da so viele Whigs wieder ins Unterhaus einkehren, wird die Vorlage bestimmt durchgehen. Wenn auch viele im Oberhaus Veränderungen ablehnen, können doch selbst die Verbohrtesten nicht der Praxis das Wort reden, dass ein winziger Bezirk mit nur einer Handvoll Wählern zwei Abgeordnete stellt, wenngleich große Städte im Norden gar keinen haben.“

„Das stimmt. Aber die Abgeordneten werden nicht nur gewählt, um ihren Bezirk zu vertreten, sondern das Interesse der Nation als Ganzes“, widersprach sie.

„Eine weitere Ausrede, die die Torys schon seit Jahren auftischen, um sich dem Wechsel entgegenzustemmen“, sagte er auflachend. „Aber rational betrachtet ist es so: Wenn ein Bezirk nur ein Handvoll Wähler hat, die zur öffentlichen Stimmabgabe berechtigt sind, wählen sie gewöhnlich den vom größten Landeigner der Gegend bevorzugten Kandidaten.“

„Der, da er nun mal das Land besitzt, dessen Bestes im Auge haben sollte und das der Leute, die es bearbeiten und ertragreich machen! Weswegen es gefährlich sein könnte, jedem Mann eine Stimme zu geben – was Sie, wie ich hörte, lieber sähen. Ein Mann, der nichts besitzt, ist vielleicht überhaupt nicht am allgemeinen Wohl interessiert. Da er nichts zu verlieren hat, lässt er sich vielleicht durch jede gerade populäre Strömung mitreißen.“

„Nur weil ein Mann Land besitzt, bedeutet das nicht, dass er es auch gut verwaltet oder für jene sorgt, die es beackern. Ah, ich weiß, die Besten, wie Ihr Vater, tun das. Aber Reichtum und Macht können einen Mann zu dem Glauben verleiten, er könne tun, was er will, ohne Rücksicht auf das Wohl anderer.“

Wie sein Vater? fragte sich Margaret. „Vielleicht“, räumte sie ein. „aber was ist mit den Bezirken, in denen die Wähler ihre Stimme an den Meistbietenden verkaufen? Tugendhaftigkeit hat nichts mit der Geburt zu tun. Adeliger oder gewöhnlicher Mann, der Charakter entscheidet seine Taten.“

„Dem stimme ich sicherlich zu.“ Bewundernd schüttelte er den Kopf. „Sie sind selbst eine überzeugende Rednerin, Lady Margaret. Ein Jammer, dass Frauen nicht fürs Parlament aufgestellt werden können. Obwohl – da Sie für die Torys stehen, sollte ich dankbar dafür sein.“

In diesem Moment hielt die Droschke vor Gunter’s, und sie unterbrachen ihr Gespräch, bis Hadley ihr aus dem Wagen geholfen hatte und sie Platz in dem Lokal genommen hatten. Während Hadley bestellte, musterte sie ihn wortlos.

In dem Wagen war sie sich seiner Gegenwart intensiv bewusst gewesen, doch die Konversation mit ihm empfand sie als beinahe ebenso aufwühlend.

Nach Ansicht der meisten Männer waren Frauen entweder uninteressiert an Politik oder nicht imstande, sie zu verstehen. Nur ihr Vater hatte Margaret je zugetraut, über politische Themen diskutieren zu können. Selbst ihr Cousin Michael Armsburn sowie diverse andere Kandidaten, die sie im Wahlkampf unterstützt hatte, schätzten sie nur als hübsches Gesicht, um die Wähler zu bezaubern.

Keiner dieser Männer hatte je Anstalten gemacht, mit ihr über seine politischen Ansichten oder deren philosophische Grundlagen zu diskutieren. Giles Hadley regte ihren Geist an ebenso wie er ihre Sinne reizte.

Oder fast so sehr, verbesserte sie sich. Er faszinierte sie, wenn er sprach, und nicht nur durch seine spannenden Gedanken. Beim Anblick seiner sinnlichen Lippen fragte sie sich unwillkürlich, wie es wäre, sie auf den ihren zu spüren. Sie schwelgte in dem Zauber, neben ihm zu sitzen, und die Energie und Leidenschaft, die von ihm ausging, weckte eine Flut von Empfindungen in ihr. Seine Wärme und sein Duft und die erstaunlichen Worte, die er äußerte, waren wie ein Meer, in dem sie ertrinken könnte.

Oh, es war herrlich, mit einem Mann zusammen zu sein, der für eine Sache inbrünstig brannte, der einen wünschen ließ, Zeit mit ihm zu verbringen, nicht nur im Bett, sondern auch sonst.

Kurz darauf wurde der Tee gebracht. Maragret zwang sich, nicht länger Giles Hadleys prächtige Gestalt zu betrachten, seine breiten Schultern, die schlanken, eleganten Finger, sondern sich aufs Einschenken zu konzentrieren.

Nachdem sie beide von dem dampfenden Getränk genippt hatten, sagte Hadley entschuldigend: „Leider muss ich gestehen, dass ich nicht ganz ehrlich zu Ihnen war.“

Schlagartig fiel ihr die Warnung ihrer Großtante ein. Ihre Euphorie erlosch, von Argwohn erstickt. „Nicht ehrlich? Inwiefern?“

„Wir hätten den Tee durchaus im Sitzungszimmer einnehmen können, nur muss ich eine Sache mit Ihnen besprechen, die, wie ich finde, mehr Privatsphäre verlangt, als wir dort gehabt hätten.“

Voll düsterer Vorahnung sagte sie: „Dann los, um Himmels willen!“

„Ich sprach vor Kurzem mit meinem Bruder. Wie Sie wissen, stehen wir uns nicht besonders nahe, und gewöhnlich sucht er mich nur auf, wenn er mit mir etwas verhandeln will. Dieses Mal ging es … um Sie.“

Also würde sie doch der Zankapfel sein? Nicht, wenn sie es verhindern konnte. Aber vielleicht sollte sie ihn anhören, ehe sie überstürzte Schlüsse zog. „Und was gab es da zu verhandeln?“

Hadley zuckte mit den Schultern. „Sie haben die Zeitungsberichte gelesen – George auch. Offensichtlich denkt mein Halbbruder, Sie würden ihn erhören – oder er glaubt, Ihr Vater akzeptiert ihn und würde seinen Antrag gutheißen. Er warnte mich, ich möge mich von Ihnen fernhalten.“

Der Zorn, die tiefe Kränkung und Verzweiflung über die Episode mit Sir Francis erwachten aufs Neue und drohten sie fast zu ersticken. „Und so suchten Sie meine Gesellschaft, um ihm eins auszuwischen?“, fauchte sie schließlich. „Wollen Sie mich verführen und dann damit vor ihm prahlen?“

Er richtete sich kerzengerade auf und runzelte die Stirn. „Aber nein! Wie kommen Sie nur darauf? Außerdem, wenn ich Sie verführen wollte, um mit meiner Eroberung zu prahlen, hätte ich Ihnen dann von der Sache erzählt?“

„Sie meinen, Sie könnten mich verführen?“

Seine gereizte Miene entspannte sich; er lächelte verrucht, ein Lächeln, das ihr die Knie weich werden ließ. „Meinen Sie, ich könnte es?“

„Wenn ja und wir würden ertappt, wären wir vielleicht gezwungen zu heiraten. Dann wären Sie lebenslang mit mir geschlagen – ein Schicksal, das Sie gut bedenken sollten“, sagte sie, besänftigt.

Sein Lächeln verblasste. „Ich würde Ihnen niemals antun, mich heiraten zu müssen.“

Ehe sie die seltsame Bemerkung in ihrer vollen Bedeutung erfassen konnte, fuhr er ernst fort: „Aber eigentlich geht es um etwas anderes. Sagen Sie bitte, sprachen sie mit meinem Halbbruder über unser Treffen in Chellingham?“

Nun war sie verwirrt. „Nein, ich habe ihn seit meiner Rückkehr nach London nicht gesehen.“

„Und Ihres Wissens ist er nicht mit Ihrem Cousin Mr. Armsburn befreundet?“

„Sie sind bekannt miteinander, jedoch nur vage.“

„Mein Bruder äußerte, wie sehr es Ihrem Ruf schaden würde, wenn herauskäme, dass Sie in einem Gasthaus – und er bezog sich auf Chellingham – mit mir allein waren. Wenn Sie George nicht davon erzählten und Ihr Cousin oder sein Assistent Mr. Proctor ihn nicht informierten, wie konnte er dann davon wissen?“

Margaret überlegte einen Augenblick. Sie hatte mit Tante Lilly gesprochen, doch die würde niemals vertrauliche Informationen über ihre Nichte weitergeben und sie so dem Klatsch aussetzen, und schon gar nicht, wenn ein Gentleman im Spiel war.

„Ich weiß nicht.“

„Dann ist mein Verdacht wohl gerechtfertigt. So seltsam es klingt, mein Halbbruder kann nur wissen, dass Sie in meiner Begleitung in jenem Gasthof waren, wenn er Sie beobachten ließ.“

Sie hatte wohl nicht richtig gehört? „Wollen Sie mir sagen, ihr Bruder lässt mich ausspähen?“

„Ihnen war das nicht bewusst?“

„Ganz gewiss nicht!“

Er nickte grimmigen Blickes. „Ihr Vater würde ihn nicht um so etwas bitten?“

„Warum sollte er? Da waren gleich zwei Männer, die ein Auge auf mich hatten. Wenn Papa diesbezüglich wirklich zusätzliche Maßnahmen für nötig gehalten hätte, hätte er das vorab mit mir besprochen. Nein, ich glaube nicht, dass Papa ihn dazu ermächtigte. Soll ich ihn fragen?“

„Vielleicht sollten Sie das. Ich möchte meinem Halbbruder nichts unterstellen.“

Langsam sickerte die Ungeheuerlichkeit des eben Gehörten zu ihr durch. „Warum um alles in der Welt würde Ihr Halbbruder mich überwachen wollen?“

„Wie er sagte, beabsichtigt er, um Sie anzuhalten. Vielleicht wollte er angesichts der Unruhen wegen des Reformgesetzes und der Gerüchte über Gewalttaten während der Wahlen sicherstellen, dass die Frau, die er heiraten will, nicht zu Schaden kommt.“

„Oder er wollte sicherstellen, dass die Frau, die er heiraten will, sich nicht auf eine Weise beträgt, die er nicht billigt!“, entgegnete sie, während ihr Zorn wuchs. „Diese Frechheit! Wie kann er wagen, mir nachschnüffeln zu lassen wie … wie einem kleinen Dieb, den er überführen will.“

Giles’ Lippen zuckten. „Ich dachte mir, dass Sie sein Verhalten missbilligen. Darf ich daher annehmen, dass Sie nun noch weniger geneigt sind, einen Antrag meines Halbbruders in Erwägung zu ziehen?“

„Wenn er sich tatsächlich so dreist in meine Privatsphäre eingemischt hat, dürfen Sie die Möglichkeit als vollkommen ausgeschlossen betrachten.“

Er lächelte sie an. „Dann freue ich mich fast über seine Anmaßung. Aber … da ist noch etwas, das ich loswerden muss, ehe wir das unangenehme Thema George fallen lassen …“ Er wurde wieder ernst. „Ich hoffe sehr, Sie meinen nicht, dass ich Ihnen das nur erzähle, weil wir – mein Halbbruder und ich – uns nicht vertragen.“

„Ich denke, ich kann auf Ihre Ehrlichkeit vertrauen.“ Sie zögerte, wie viel sie angesichts ihrer erst kurzen Bekanntschaft sagen konnte oder sollte. „Wobei ich weiß, dass man nicht … freundlich mit Ihnen umging – und umgeht, weder Ihr Vater noch Ihr Halbbruder.“

Er verzog das Gesicht. „Wir sind einander fremd, das steht fest.“

Ihr gefiel seine Verschwiegenheit und sie bewunderte seine Zurückhaltung, denn ihre Bemerkung hatte geradezu dazu eingeladen, seine Klagen vor ihr auszuschütten – gerechtfertigte Klagen, nach dem, was Tante Lilly ihr berichtet hatte. „Was sonst möchten Sie mir also erzählen?“

„Würde Ihr Vater Sie zwingen, gegen Ihren Willen einen Mann seiner Wahl zu ehelichen?“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Außerdem, selbst wenn er es versuchte – ich bin volljährig und besitze eigene Güter und Vermögen, über die er keine Kontrolle hat. Er hätte keine Handhabe, mich gegen meinen Wunsch zur Heirat zu zwingen.“

Giles nickte. „Das dachte ich mir. Sehen Sie, George wird von seinem Vater sehr nachsichtig behandelt.“ Margaret bemerkte, dass er nicht unser Vater gesagt hatte. „Er ist es gewohnt, zu bekommen, was immer er will. Und wie es aussieht, will er Sie zur Gattin. Er glaubt, Ihr Vater würde sein Ansinnen unterstützen, und dass Sie bei der Wahl eines Gatten auf Ihren Vater hören würden.“

Sie lachte auf. „Kein Wunder, dass er so wenig daran interessiert ist, mich zu gewinnen und so sehr daran, meinen Vater zu betören.“

„George kann sehr … unangenehm sein, wenn seine Pläne durchkreuzt werden. Wenn er also tatsächlich um Ihre Hand anhält und Sie ihn zurückweisen, seien Sie einfach … vorsichtig.“

Verwundert sah sie ihn an. „Sie meinen doch nicht, er würde versuchen, mich mit Gewalt zu nötigen! Oder mir etwas antun!“

„Nein, das wahrscheinlich nicht. Eher schon würde er boshafte Klatschgeschichten in die Welt setzen, um Ihrem Ruf zu schaden. Wenn Sie ihm also einen Korb geben, sollten Sie in der folgenden Zeit recht schön brav sein.“ Er blinzelte ihr zu. „Keine Stelldicheins in abgeschiedenen Gasthöfen kleiner Provinzflecken.“

Sie lachte. „Ich werde es mir merken, Mr. Hadley.“

„Sehr gut. Und nun muss ich leider dieses Stelldichein an einem sehr öffentlichen Ort im großen London beenden, denn ich habe in einer halben Stunde ein Parteitreffen. Darf ich Sie vorher noch nach Hause begleiten?“

„Danke, ich habe noch etwas zu erledigen.“ Bedauernd, dass ihre Zusammenkunft bereits zu Ende sein sollte, sagte sie impulsiv: „Vater lädt morgen Abend einige Freunde zum Dinner – kein politisches Treffen, nur eine allgemeine Diskussion politischer Ideen mit Gästen unterschiedlichster Herkunft und Auffassung. Würden Sie gern teilnehmen?“

„Sind Sie sicher, dass Ihr Vater mich gern dabeihätte?“

„Papa liebt den offenen Meinungsaustausch. Ich weiß, er würde sehr gern mehr über ihre Ansichten erfahren. Und seien Sie beruhigt – Ihr Halbbruder ist nicht eingeladen.

„Sie werden als Gastgeberin fungieren?“

„Beim Dinner. Danach werde ich die Herren vermutlich ihren Diskussionen überlassen.“

„Dann wäre ich entzückt …“ Die Stirn runzelnd hielt er inne. „Ich sollte entzückt sein, aber bezüglich Georges Gehässigkeit habe ich nicht übertrieben: Auf dem Weg hierher fielen mir keine Verfolger auf, daher erfährt er vielleicht nicht, dass Sie mich begleiteten, doch meine Anwesenheit bei dem Dinner Ihres Vaters wird sicherlich genügend Gerede zur Folge haben, das auch an sein Ohr dringen und seine Feindschaft mir gegenüber noch verstärken wird – was unwichtig ist, denn allein die Tatsache, dass ich atme, vergrößert seine Feindschaft täglich. Von Ihnen könnte er jedoch eine Erklärung fordern. Ich möchte aber nicht, dass Sie belästigt werden.“

Seine Sorge, dass sie zwischen die Fronten der Brüder geraten könnte, zerstreute auch die letzten Bedenken Giles Hadley gegenüber. „Ich werde mir von Ihrem Halbbruder nicht vorschreiben lassen, wen ich in mein Heim einlade. Falls er mir deswegen Vorhaltungen machen sollte, bin ich, das versichere ich Ihnen, durchaus imstande, ihn in seine Schranken zu weisen.“

„Das möchte ich gerne sehen!“, verkündete Hadley, dann schwieg er kurz. Er wirkte immer noch bedrückt. „Sind Sie sich sicher? Ich möchte Ihnen um nichts in der Welt Unannehmlichkeiten bereiten.“ Sein Lächeln wurde vertraulich, und er senkte die Stimme zu einem verführerischen Murmeln. „Viel lieber würde ich Ihnen Annehmlichkeiten bereiten.“

Sie schaute auf, und mit der Macht seines Blickes hielt er den ihren gefangen: Ein wenig atemlos zwang sie sich fortzuschauen.

Deutlicher könnte er seine amourösen Absichten nicht zu erkennen geben, dachte sie, und die Erkenntnis stürzte sie erneut in Unsicherheit. Natürlich konnte sie auch ihm einen Korb geben. Aber wollte sie das?

Und nur weil sie überzeugt davon war, er sei einer Tändelei nicht abgeneigt, hieß das nicht, dass sie sich jetzt sofort entscheiden musste. Außerdem konnte sie sich auch an weniger erfreuen: Gespräche mit ihm, ein Flirt – sogar ein schlichter Kuss.

„Mein Vater und ich würden uns geehrt fühlen, wenn Sie morgen Abend an unserem Dinner teilnähmen“, erklärte sie.

Er lächelte noch strahlender, und seine Augen leuchteten auf, als hätte sie ihm ein kostbares Geschenk gemacht. „Dann werde ich gewiss kommen.“

„Also bis morgen Abend“, sagte sie; ihr war ein wenig schwindelig. In was manövrierte sie sich da hinein?

Er geleitete sie auf die Straße und rief eine Droschke. „Und Sie werden wirklich zurechtkommen? Sie haben nicht einmal eine Zofe dabei, niemanden, um Ihre Pakete zu tragen.“

„Zum Parlament nehme ich meine Zofe nie mit; die Arme würde sich zu Tode langweilen. Und zu tragen gibt es nichts, es wird alles angeliefert, da ich nur Zutaten für das Dinner bestelle.“

„Was, keine Kleider oder Schuhe oder modischen Putz?“

Sie lachte. „Auf die Gefahr hin, dass Sie mich sehr unweiblich finden, gestehe ich, dass ich dafür nicht viel Zeit aufwende.“

„Ich könnte Sie nie anders als entzückend finden.“

Das ließ sie ihm in die Augen sehen, die abermals tief in ihr Inneres hineinzuschauen schienen. Bezaubert, gebannt, wollte sie den Blick gar nicht abwenden. Alles in ihr vibrierte, und hätten sie nicht auf öffentlicher Straße gestanden, wäre sie Hadley vielleicht in die Arme gesunken.

„Danke, dass Sie mich zum Tee begleitet haben“, sagte er.

„Und Ihnen Dank für die Einladung … und für Ihre Warnung.“

Er wandte sich zum Gehen, blieb dann stehen und schaute über die Schulter zu ihr zurück. „Glauben Sie wirklich, ich könnte Sie verführen?“

„Ja, das glaube ich“, antwortete sie, bevor ihr klar wurde, dass es klüger gewesen wäre, auf die Frage nicht einzugehen.

Er ergriff ihre Hand, führte sie an seinen Mund und hauchte einen Kuss darauf. „Das ermutigt mich ungemein. Schicken Sie mir die Einladung. Ich werde ganz bestimmt kommen … mit Ihrem Vater Ansichten auszutauschen.“

Sich verneigend half er ihr in die Droschke, winkte verabschiedend mit seinem Stock und ging davon.

Von Entzücken überwältigt und noch bezauberter als zuvor schaute Margaret ihm hinterher, bis er nicht mehr zu sehen war. Ihre Hand prickelte immer noch.

5. KAPITEL

Am Abend blieb Margaret auf, bis ihr Vater von seinem Dinner bei Brooks zurückkehrte. Zwar würde der Marquess sicher nichts dagegen einzuwenden haben, Giles Hadley bei ihnen willkommen zu heißen, doch er würde überrascht sein und ihr Ansinnen seine Neugier wecken.

Dieser Neugier wollte sie sich lieber direkt stellen. Leider würde sie keine gute Erklärung dafür parat haben, dass sie Hadley einladen wollte, im Grunde verstand sie sich ja nicht einmal selbst so recht. Sie wusste nur, dass sie Giles Hadley häufiger sehen wollte, und da er im ton nicht verkehrte, war diese Einladung wohl die einzige Möglichkeit, das zu erreichen.

Was sie ihrem Vater allerdings nicht sagen wollte. Weil es sie jedoch so sehr drängte, Hadley wiederzusehen, würde sie ihrem Vater eben … irgendetwas erzählen.

Sie döste in der Bibliothek über ihrem Buch, als sie seine Schritte aus der Halle näherkommen hörte.

„Papa, auf ein Wort bitte!“, rief sie.

Er blieb stehen und lugte in den Raum. „Du, Kätzchen? Wieso bist du noch auf?“

„Ich muss dir etwas sagen. Nichts Wichtiges, aber da du morgen Vormittag außer Haus sein wirst, wollte ich dich nicht verpassen.“

Ihr Vater trat zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Dann will ich meine alten Knochen mal ruhen lassen“, spaßte er und setzte sich zu ihr. „Möchtest du einen Schluck Wein?“

„Nein, danke, es wird nicht lange dauern. Es ist nur – ich habe jemanden zu dem morgigen Dinner eingeladen und wollte dich das wissen lassen.“

„Wen hatten wir denn vergessen?“

„Nun, es ist keiner unserer üblichen Gäste, doch er hat recht ungewöhnliche Ideen. Du sagtest mir sogar neulich, dass du ihn bewunderst, obwohl du in so gut wie nichts mit ihm übereinstimmst. Es ist Mr. Hadley. Mr. Giles Hadley.“

Einen Moment wirkte er verblüfft, dann dämmerte es ihm. „Viscount Lyndlington meinst du! Eigenartig, dass er darauf beharrt, den Titel nicht zu benutzen, aber vermutlich verständlich, angesichts der Lage zwischen ihm und Telbridge. Natürlich ist er willkommen, Kätzchen. Aber wie kamst du dazu, ihn einzuladen? Ich wusste nicht, dass ihr euch kennt.“

„Oh, doch. Ich traf ihn in Chellingham – erinnere dich, ich half Michael im Wahlkampf, und er war dort, um Mr. Reynolds zu unterstützen. Wir unterhielten uns kurz, und ich fand ihn ganz interessant. Heute, nach seiner Rede im Unterhaus, kamen wir abermals ins Gespräch.“

„Eine eloquente Aufforderung, die Reformvorlage zu billigen, soweit ich weiß.“

„Ja, er ist ein ganz ausgezeichneter Redner. Wenn die Vorlage im Unterhaus angenommen wird – und dessen ist er sich sicher – wäre es vielleicht nützlich, sie ausführlich zu diskutieren, ehe sie euch im Oberhaus vorgelegt wird.“

„Du musst ihn überzeugend gefunden haben.“

„Ja. Nicht dass ich ihm in jeder Hinsicht zustimme. Aber selbst in Chellingham wurde viel über Reformen geredet, und der Bezirk ist stockkonservativ.“

„Ich freue mich darauf, seine Ansichten mit ihm zu diskutieren.“

„Sehr gut, Papa. Mehr wollte ich nicht, also gute Nacht.“

Als sie sich zu ihm beugte, um ihm einen Gute-Nacht-Kuss zu geben, hielt er sie bei der Hand fest. „Werde ich vergesslich? Ich kann mich nicht erinnern, dass du dein Treffen mit Mr. Hadley in Chellingham erwähnt hättest. „

Margaret errötet und hoffte, er würde es im schwachen Kerzenlicht nicht bemerken. „Nein, Papa, ich hielt es für unwichtig, weil ich zu dem Zeitpunkt noch annahm, dass ich ihn nicht wiedersehen würde.“

„Dieser junge Mann muss dich heute sehr beeindruckt haben.“

So viel dazu, durch diese kleine Plauderei kommen zu können, ohne ihr Interesse an Giles Hadley erklären zu müssen. „Ja, Papa, tatsächlich“, gestand sie.

„Ich dachte, deine Gunst gehöre einem anderen Mr. Hadley.“

„George?“ Sie schauderte und erwog kurz, ihrem Vater zu erzählen, dass eben dieser Mr. Hadley ihr so gut wie sicher nachspioniert hatte. Aber Papa fragen, ob er ihn dazu ermächtigt habe? Dann müsste sie möglicherweise zugeben, wie viel mehr sie schon von Mr. Giles Hadley gesehen hatte. Also fuhr sie einfach fort: „Er mag ein guter Tory sein, aber ich kann ihn einfach nicht leiden. Er ist zu … berechnend. Und nur mit sich selbst beschäftigt.“

Ihr Vater nickte. „Bei dem Geld und der Zuneigung, die Telbridge über ihm ausschüttet, ist es kein Wunder, dass er kaum anderes als seine eigenen Interessen im Sinn hat. Vielleicht ist es ganz gut, dass er seinen Sitz verloren hat. Nach meiner Einschätzung übersteigt sein Ehrgeiz seine Fähigkeiten.“

„Das war auch mein Eindruck“, sagte Margaret trocken.

„Sollte ich Giles Hadley nach seinen Absichten fragen?“

„Lieber Himmel, nein, Papa!“, rief sie, verlegen allein ob der Vorstellung. „Versprich es mir! Ja, ich finde Giles Hadley … anziehend. Ein ausgezeichneter, überzeugender Redner mit großartigen Ideen, über die ich gern mehr hören möchte. Das ist aber auch alles.“

Sanft tätschelte ihr Vater ihr die Hand. „Wäre es so schlecht, wenn du an … mehr interessiert wärst? Ich weiß, Robbie zu verlieren brach dir das Herz, und was immer da mit Sir Francis war, es hat dich tief verletzt. Aber mir tut das Herz weh zu sehen, wie du deine Jungend als Gastgeberin eines alten Mannes verschwendest, anstatt dich eines Gatten zu erfreuen und Kinderzimmer zu füllen.“

Die Erwähnung der alten Wunden trieben ihr fast Tränen in die Augen. „Aber ich mache das gern für dich.“

Er seufzte. „Manchmal komme ich mir sehr selbstsüchtig vor, weil ich dich nicht stärker dränge, dein Leben wieder aufzunehmen.“

„Aber das habe ich!“

„So, mein Kätzchen? Oder trittst du nur auf der Stelle, und weigerst dich, zu neuen Ufern aufzubrechen?“

„Papa, wie poetisch!“ Und leider wahr. Aber wie konnte sie zu neuen Ufern aufbrechen, wenn sie nicht mehr dazu in der Lage war, einem Mann ihr Vertrauen zu schenken?

Die Möglichkeit, sich erneut auf einen Mann einzulassen – und erneut verletzt zu werden – war für sie undenkbar. Zu sehr hatte sie unter Robbies Verlust gelitten und tat es noch immer.

Eine Tändelei mit Giles Hadley ließe es dich vielleicht für eine Weile vergessen, flüsterte eine leise Stimme in ihrem Kopf.

Die sie ignorierte. „Vorerst genügt es mir, mich von lebhafter Konversation mit eloquentem Gesprächspartner unterhalten zu lassen. Reicht dir das?“

„Es ist ein Anfang.“ Zärtlich tätschelte er ihre Wange. „Aber verharre nicht zu lange dabei. Ich habe immer noch Ambitionen, deine Kinder auf meinen Knien zu schaukeln, bevor ich zu gebrechlich bin, um sie hochheben zu können.“

Meine Kinder. Sie schluckte schwer. „Ich werde versuchen, dich nicht zu enttäuschen. Aber bitte, lass uns die Aufgabe jetzt nicht Mr. Hadley aufbürden.“

Er lachte. „Gut, mein Kätzchen. Laden wir ihn vorher ein paarmal zum Dinner ein. Übrigens ein hervorragender junger Mann. Manch einer, der in seiner Jugend solche Zurückweisungen erlitt, hätte gegen sein Los gewütet und wäre verbittert oder zu einem frivolen Verschwender geworden, der die Zeit bis zu seiner Erbschaft nur vertrödelt hätte. Giles Hadley stellte sich mutig seiner Lage, und verdiente sich mit stiller Entschlossenheit und mit viel Arbeit einen Platz in der Regierung dieser Nation. Dafür bewundere ich ihn.“

„Ich auch, Papa. Und nun sage ich dir gute Nacht.“

Hellwach lag Margaret in ihre Kissen geschmiegt. Ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe.

Was hatte sie eigentlich mit ihrer spontan ausgesprochenen Einladung erreichen wollen? Sehen, ob Giles Hadley in ihre Welt passen könnte – oder sie in seine?

Wollte sie, dass er sie verführte? Sie begehrte ihn. Das war sicher. In seiner Nähe wurde jedes weibliche Partikelchen in ihr voller Sehnsucht lebendig. Diese starke körperliche Anziehungskraft ließ sie nur zu deutlich erkennen, wie sehr ihr Zärtlichkeiten fehlten.

Doch von dort war es ein großer Sprung hin zu einer ernsthafteren Beziehung – den zu machen sie noch nicht bereit war. Obwohl sie, wie sie plötzlich begriff, bei diesem Mr. Hadley nicht fürchten müsste, dass er ihr süße Lügen auftischte, um ihre Gunst oder ihre Hand zu gewinnen – was sie von keinem ihrer sonstigen männlichen Bekannten sagen konnte.

Wie hoch auch immer sein Einkommen momentan war, wenn er sein Erbe antrat, wäre er ein Earl und immens reich und brauchte ihr Geld nicht. Und ihre Verbindungen zu den Torys bedeuteten für ihn keinen Gewinn, eher im Gegenteil.

Sie zu heiraten würde Giles eigentlich keine Vorteile einbringen; ihre einzigen nützlichen Attribute – Abstammung und Erziehung – besaßen zahllose andere Frauen ebenso. Vielleicht konnte sie Mr. Hadley unter behutsamem Vorbehalt doch trauen, wenn er ihr seine Gefühle enthüllte.

Und dann musste sie lachen. Hatte er ihr nicht eben erst ganz klar gesagt, dass er nicht an Heirat interessiert war? Tatsächlich hatte er sogar jene kryptische Bemerkung gemacht, ihr eine Ehe mit ihm nicht antun zu wollen.

Eine Weile grübelte sie vergeblich über die Worte, die sie gewechselt hatten, nach. Da sie beide nicht an einer ernsthaften Beziehung interessiert waren, konnte sie ihre Abwehr vielleicht aufgeben, ganz sie selbst sein und einfach die anregenden Gespräche und seine aufregende Gegenwart genießen.

Und was die körperliche Anziehungskraft anging … er hatte sie praktisch zu einer diskreten Affäre – auf freundschaftlicher Basis, ohne feste Bindung – eingeladen!

Allein bei dem Gedanken durchströmten sie Wärme und Lust. Sogar Tante Lilly hatte zugegeben, sich als Witwe amüsiert zu haben. Ach, wenn es nur einen wirklich sicheren Weg dafür gäbe!

Doch es war noch viel zu früh, sich darum zu sorgen. Ehe man ausritt, musste das Pferd gesattelt werden. Vorerst also würde sie sich mit dem schlichten Vergnügen zufriedengeben, seinen Ansichten zu lauschen … und die exquisite, prickelnde Wonne seiner Nähe zu genießen.

Am späten Nachmittag des folgenden Tages saß Giles mit David im Wohnzimmer ihrer gemeinsamen Suite im Albany.

Während Giles ihre Gläser füllte, sagte David: „Ich habe eine Einladung von Lady Greaves erhalten; ihr Sohn hat Geburtstag. Magst du mitkommen?“

„Ich möchte mich bei einem familiären Anlass nicht aufdrängen.“

„Das wäre kein Aufdrängen. Sir Edward und Lady Greaves würden dich gern willkommen heißen. Du kannst der vornehmen Gesellschaft nicht auf ewig ausweichen! Schließlich wirst du einmal ein Earl sein.“

Um nicht sofort antworten zu müssen, nahm Giles erst einmal einen Schluck Wein. Wie konnte er seinen fortwährenden Zwiespalt bezüglich der Erbfolge erklären? Als er, schon ein Jüngling, verstehen konnte, was sein Vater ihm und seiner Mutter angetan hatte, war er lange zornig und voller Groll gewesen – wie David nur zu gut wusste. Seit ihn dann seine Tante der Armut entrissen und in eine Schule geschickt hatte, trieb es ihn unablässig zu beweisen, dass er auch ohne Hilfe des Earls Erfolg haben konnte. Mit der Zeit hatte er sich einen guten Ruf erworben, und mit Erreichen dieses Ziels hatte er gedacht, er könne sich leichter mit der Zukunft versöhnen, der er nun einmal nicht entgehen konnte.

Das war jedoch immer noch nicht der Fall.

„Der jetzige Earl ist, soweit ich weiß, höchst lebendig“, sagte er endlich. „Wer weiß, vielleicht haben wir die Aristokratie längst abgeschafft, bevor er das Zeitliche segnet.“

David schmunzelte. „Unwahrscheinlich. Aber ernsthaft, du solltest dich wenigstens hier und da sehen lassen.“

„Was, mich auf Bällen und Soireen langweilen?“

„Was machst du denn heute Abend? Hoffentlich nicht nur zu Hause hocken?“

Vorsicht, mahnte Giles sich. „Ich habe sowieso schon eine Verpflichtung. Mit einem, wie ich betonen möchte, ehrwürdigen Mitglied der Gesellschaft. Ich bin beim Marquess of Witlow zum Dinner geladen.“

Überrascht riss David die Augen auf. „Was? Mit Lady Margaret als Gastgeberin?“

„Anzunehmen, da sie wohl generell als Gastgeberin für ihn fungiert.“

„Bat Lord Grey dich, mit Witlow wegen der Reformgesetze zu reden?“

„Nein. Gestern nach meiner Rede im Unterhaus traf ich zufällig Lady Margaret“, erklärte Giles unwillig.

Was er nicht sagte, war, wie sehr er auf ihr Kommen gehofft hatte und dass er idiotischerweise während seiner Ansprache geglaubt hatte, ihre Gegenwart zu spüren. Und wie erregend es gewesen war, sie tatsächlich oben in der Galerie zu entdecken. Ehe er sich’s versehen hatte, hatte er sich schon auf den Stufen nach oben wiedergefunden.

Ah, und wie stark ihn das Begehren durchpulst hatte, als sie mit ihren schönen grünen Augen seinem Blick begegnet war … Er hatte den überwältigenden Drang verspürt, sie zum Bleiben zu überreden.

„Ich sprach mit ihr …“ Als David die Bauen hob, ergänzte er: „Also gut, wir tranken Tee zusammen, und sie lud mich zum Dinner ein.“

David stieß einen Pfiff aus. „Die Dame muss dich verzaubert haben, dass du dich freiwillig in die Höhle des Löwen wagst.“

Giles grinste. „Sie werden mich schon nicht zum Nachtisch verspeisen. Und ja, ich finde Lady Margaret faszinierend. Wir hatten beim Tee ein wirklich anregendes Gespräch über Politik. Aber du brauchst nicht gleich Namen für meinen Erstgeborenen auszusuchen!“

„Na, dazu ist wohl keiner von uns bereit! Aber zugegeben, ich bin überrascht. Obwohl – du bist jetzt schon länger allein, und Schönheiten mit mehr Haaren als Verstand haben dich nie interessiert.“

„Zu denen gehört Lady Margaret ganz gewiss nicht.“ Nun, da er gezwungen worden war, die Karten auf den Tisch zu legen, fühlte er sich … erleichtert, über das Objekt seiner unerklärlichen Begierde mit einem Freund sprechen zu können.

„Ich fühlte mich vom ersten Augenblick an zu ihr hingezogen, und das verstärkte sich nach unserem anschließenden Gespräch. Sie verteidigte die Philosophie der Konservativen ziemlich eloquent, zeigte sich jedoch erstaunlich aufgeschlossen gegenüber unseren Thesen. Und so redegewandt.“

„Da sie seit Jahren der Tafel ihres Vaters vorsteht, sollte sie einiges aufgeschnappt haben.“

„Vielleicht, aber ich kenne keine andere Gastgeberin, die sich so sprachgewaltig über eine Position auslassen könnte wie Lady Margaret. Es war … geradezu spannend, mit einer so gut unterrichteten und begeisterten Dame über das von mir so geliebte Gebiet zu diskutieren.“

„Und sie ist außerdem äußerst angenehm fürs Auge“, stimmte David lachend zu. „Aber – wie steht es mit George? Er wird es erfahren, wenn du bei dem Marquess speist. Stell dir seine Reaktion vor – besonders nun, da er sein Mandat verloren hat.“

„Vielleicht meint er, der Earl kann die Wahl rückgängig machen, so wie er jeden Rückschlag, den George bisher erlitt, behoben hat. Wie auch immer, ich unterbreitete Lady Margaret das Problem, und sie bestand darauf, dass sie sich von George nicht vorschreiben lassen werde, wen Sie einlädt.“

„Gut und schön, aber sie kennt ihn nicht so gut wie du.“

„Ich habe durchaus daran gedacht abzusagen.“ Nur spricht mein heißer Wunsch, die Bekanntschaft zu vertiefen, dagegen. „Aber verdammt, ich lasse mir von George doch nicht schon wieder mein Leben diktieren! Wie auch immer, höchst wahrscheinlich wird sein Zorn eher mir gelten, und ich kann damit umgehen. Sollte er Lady Margaret Unannehmlichkeiten bereiten … bekommt er es mit mir zu tun. Auch denke ich, der Marquess nähme es nicht freundlich auf, seine Tochter schikaniert zu sehen, und der hat mehr Macht als der Earl.“

„Dann genieße dein Dinner. Ich muss mich jetzt umziehen.“

Giles blieb nachdenklich zurück. Was erhoffte er sich von dem heutigen Abend?

Da war der politische Aspekt. Er hätte die Gelegenheit zu sondieren, welche Position einer der ersten Männer des Oberhauses bezüglich der Reformgesetze einnahm.

Natürlich würde er von einigen eingefleischten Konservativen angegriffen werden. Doch da er als geladener Gast kam, würde sein Gastgeber kaum zulassen, dass jemand ihm die Gemeinheiten an den Kopf warf, die während seiner Schulzeit so oft zu aufgeschürften Knöcheln geführt hatten.

Viel bedrohlicher hing die Frage über ihm, was er wegen Lady Margaret zu unternehmen gedachte.

So beeindruckt – und bezaubert – er von ihr war, dachte er doch nicht an Heirat. Er und seine Freunde waren noch jung genug, auch ohne die guten Verbindungen einer Ehefrau ihre politische Karriere verfolgen zu können. Und aus bisher nicht näher analysierten Gründen rief die pure Vorstellung zu heiraten eine tiefe, namenlose Abwehr in ihm hervor.

Vielleicht waren es die unglücklichen Folgen der Ehe seiner Eltern oder das beharrliche, lauernde Schuldgefühl, unabsichtlich die Ursache für das Scheitern derselben zu sein. In Anbetracht seiner politischen Ziele und Zugehörigkeit wäre, wie er Lady Margaret ja auch mitgeteilt hatte, eine Verbindung mit ihm für sie nicht gut. Und wenn ihm etwas zustieß, bevor der jetzige Earl dahinschied, würde seine unglückliche Gattin nichts erben außer der Feindschaft seines Halbbruders, der schon mit den Hufen scharrte, seinen Platz in der Erbfolge einzunehmen.

Ein glücklicher Umstand ergab sich dadurch, dass der Earl ihn, Giles, nicht anerkannte – er konnte getrost der Gesellschaft fernbleiben, in der Telbridge und sein Halbbruder verkehrten. So konnte er den heiratswütigen Frauenzimmern ausweichen, die ihn als vielversprechenden Ehemann betrachteten, dessen jetzt noch bescheidene Mittel einmal durch den ererbten Reichtum kompensiert werden würden.

Er hatte vor, diese zweischneidige Position auch noch eine ganze Weile als Junggeselle zu genießen. Obwohl er unwillkürlich schmunzelte, als er sich die Bestürzung in Reformkreisen ausmalte, wenn er mit einer Gattin von reinster Toryabstammung aufkreuzen würde.

Lady Maragret übte eine gewaltige Anziehungskraft auf ihn aus, und er war sich ziemlich sicher, dass es ihr umgekehrt ebenso erging. Eine Witwe mit eigenem Vermögen, finanziell völlig unabhängig von Verwandten und daher niemandem verantwortlich – genau solche Frauen waren es stets gewesen, die er sich für seine seltenen Affären gesucht hatte.

Die letzte lag allerdings recht lange zurück, und seitdem hatte er sich ganz seiner Arbeit gewidmet.

Ob Lady Margaret wohl einer Affäre nicht abgeneigt wäre?

Vor Verlangen wurde ihm der Mund trocken, und er verspürte ein wohliges Ziehen in den Lenden.

Wie gern er seine Finger in ihre dichten, rötlichen Haare schieben, die Nadeln daraus lösen würde, bis ihr die schwere Mähne über die Schultern fiel! Er würde sie entkleiden, und ihre grünen Augen würden sich vor Lust verdunkeln, wenn er ihr Begehren mit Küssen und Liebkosungen immer heißer anfachte. Er malte sich aus, wie ihre Brüste schwer in seinen Händen lagen und die Knospen sich unter seiner Zunge aufrichteten; weiter würde er seinen Mund wandern lassen über ihren seidig weichen Bauch hinab in das Tal zwischen ihren Schenkeln zur verborgenen Perle ihrer Lust …

Allein die Vorstellung ließ ihn steinhart werden. Aber seine amourösen Gedanken sollten besser noch vor dem Dinner abkühlen, sonst würde er kaum in der Lage sein, das Kreuzfeuer der konservativen Gäste durchzustehen.

Außerdem fand Lady Margaret ihn zwar zweifellos ebenfalls attraktiv, doch von dort zu dem offenen Wunsch nach einer Affäre war es ein ziemlich weiter Weg. Vorerst sollte er sich darauf einrichten, sich damit zufriedenzugeben, mit der Dame Konversation zu machen – bis sie ihm, in welcher Form auch immer, signalisierte, an mehr interessiert zu sein.

Er atmete tief durch und befahl sich, die Träume von lustvollen Rendezvous zu verbannen und sich auf die Politik zu konzentrieren.

Zu seiner Überraschung erforderte das ungewöhnlich viel Willenskraft von ihm; seine normalerweise alles verzehrende Passion für die Politik stellte sich gerade als nicht gar so verzehrend heraus.

Doch selbst als seine Lust dann sanftem Glühen gewichen war, vibrierte jede Faser in ihm immer noch in ahnungsvoller Vorfreude, Lady Margaret bald wiederzusehen.

6. KAPITEL

Einige Stunden später betrat Giles das Domizil Lord Witlows in der Russel Street, ein imposantes Stadtpalais, geschmackvoll, klassisch und gediegen. Wie Lady Margaret auch, dachte er.

Munter erklomm er die Stufen und fand im Salon schon ungefähr ein Dutzend Gäste vor, alle so vertieft in ihre Gespräche, dass sie kaum aufschauten, als der Butler seinen Namen verkündete. Lady Margaret sah er nicht sofort, obwohl die ahnungsvolle Spannung, die seine Sinne schärfte, ihm sagte, dass sie anwesend sein musste.

Und dann entdeckte er sie; sie näherte sich an der Seite ihres Vaters, um ihn zu begrüßen. Wie schön sie war in der tiefgrünen Robe, die ihre Augenfarbe hervorhob. Zu seinem Leidwesen waren tiefe Dekolletés zurzeit aus der Mode, doch bemerkte er, als er verstohlen ihre Figur musterte, dass der aktuelle taillierte Stil ihre schlanke Gestalt unterstrich und ihren vollen, leider zu gut verhüllten Busen betonte. Er schaute ihr in die Augen, und sie reichte ihm die behandschuhte Hand, über die er sich neigte und sie an seine Lippen führte. Ein Beben rann durch ihre Finger. Er musste sich beherrschen, um seine Lippen nicht länger als gehörig auf dem weichen, feinen Leder ruhen zu lassen. Veilchenduft umwehte ihn. Am liebsten hätte er sie irgendwohin verschleppt, wo er mit ihr allein gewesen wäre.

„Vater, gewiss erinnerst du dich an Viscount Lyndlington oder auch Mr. Hadley – die Anrede, die er vorzieht. Ich war von seiner Rede im Unterhaus so beeindruckt, dass ich mir die Freiheit nahm, ihn zu unserer kleinen Zusammenkunft einzuladen.“

„Ich hörte aus verschiedenen Quellen von dieser wortgewandten Ansprache“, sagte der Marquess. „Schauen wir, ob Sie einige meiner Kollegen mit ebensolcher Eloquenz bekehren können.“

„Ich hoffe, im Gegenzug mehr über ihre Einwände erfahren zu können“, antwortete Giles. „Nur durch Austausch und Offenheit für andere Ansichten kann ein Kompromiss zustande kommen.“

„Ich freue mich schon auf die Diskussion“, entgegnete der Marquess. „Die meisten der Herren sind Ihnen wohl bekannt?“

Gewaltsam riss Giles seinen Blick von Lady Margaret los, die ihn zaghaft anlächelte, und schaute sich um. Er hatte vorwiegend einflussreiche Torys erwartet, stellte jedoch fest, dass eine durchaus gemischte Gruppe zusammengekommen war, die in der Tat einen interessanten Schlagabtausch versprach. Was es ihm vielleicht einfacher machen würde, die lockende Lady Margaret zu ignorieren, zu der sein Blick immer wieder unwillkürlich schweifte.

Ein neuer Gast wurde angekündigt, dem sie entgegenging, um ihn zu begrüßen. Während sie mit anmutigem Hüftschwung davonschritt, schaute Giles ihr nach, solange er es nur wagte, ehe jemandem hätte auffallen können, wie hingerissen er war. Dann schlenderte er zu einer Gruppe Herren, und bald schon war man in eine lebhafte Debatte über den Fortgang der Beratungen verwickelt. Normalerweise hätte sich Giles begeistert eingebracht, heute jedoch war er nur halb bei der Sache, da er dauernd nach Lady Margaret Ausschau hielt.

Sie war eine gute Gastgeberin, begrüßte jeden neuen Gast freundlich und scherzte mit älteren Gentlemen, die sichtlich gute Freunde der Familie waren, umarmte sie auch herzlich oder küsste sie auf die Wange. Nie hätte Giles gedacht, dass er einmal auf ehrwürdige alte Männer eifersüchtig sein könnte. Wenigstens, tröstete er die ungehaltene Stimme in seinem Kopf, verschenkt sie ihre Küsse nicht an Männer, die viril genug wären, um mit mir um ihre Gunst zu streiten.

Er stutzte heftig, als er merkte, dass sein Interesse an Lady Margaret sich von Bewunderung dahin entwickelt hatte, andere Männer als Rivalen zu betrachten.

Als zu Tisch gebeten wurde, saß er allerdings nicht an ihrer Seite, sondern der Hausherr hatte ihm die Ehre erwiesen, ihn neben sich zu platzieren. Es überraschte Giles – bis ihm aufging, dass es seinem Rang als Viscount geschuldet war.

Anfangs beschränkten sich die Gespräche auf allgemeines Geplänkel, und Giles lauschte höflich, da er nichts von Interesse zu der Plauderei beizutragen gehabt hätte, während sein Blick immer wieder zum anderen Ende der Tafel zu Lady Margaret glitt. Eben bedachte sie Lord Coopley mit einem entzückenden Lächeln – ihre vollen Lippen hoben sich und ihre Augen strahlten heller. Und was für eine hübsche Frisur sie heute Abend trug! Ihre feurig glänzenden Locken krönten ihr Haupt, und zarte Strähnen kringelten sich an der Stirn und kitzelten ihre Ohrläppchen – die er so gern küssen würde. Und ihren köstlichen Mund.

„… finden Sie nicht auch, Hadley?“

Erschrocken fuhr er auf und sah, dass der Marquess ihn milde lächelnd musterte. Himmel, er war nicht nur grob unaufmerksam seinem Gastgeber gegenüber gewesen, der ihm doch den Ehrenplatz an seiner Seite eingeräumt hatte, sondern war auch noch dabei ertappt worden, wie er dessen Tochter anstarrte! Giles wurde heiß unter seinem Kragen.

Wenn der Mann den Namen Vater verdiente, musste er sich sowieso schon fragen, welche Verbindung zwischen seiner Tochter und ihm, Giles, bestand. Das Letzte, was er brauchte, war, den Marquess gegen sich einzunehmen, indem er eben jene schlechten Manieren an den Tag legte, derer ihn sein Halbbruder ständig beschuldigte – schlimmer wäre nur noch gewesen, wenn Witlow ahnte, welcher Art und wie stark sein Interesse an Lady Margaret war.

Hastig entschuldigte er sich, gab vor, nicht verstanden zu haben und bat um Wiederholung der Worte. Witlows Lippen zuckten leicht, als glaubte er die Entschuldigung nicht so recht, doch er entsprach der Bitte, und für den Rest des Dinners widmete Giles sich konzentriert seinem Gastgeber.

Nach und nach verlagerte sich das Gespräch auf die Politik und wurde anregend genug, um Giles trotz der ständig lauernden Versuchung in Gestalt Lady Margarets zu fesseln. Den Reformkurs zu verteidigen überließ er allerdings Sir James, der ebenfalls geladen war, als dem Älteren und äußerte sich nur, wenn er angesprochen wurde. Keineswegs hatte er Angst, seine Meinung zu sagen, sondern er fand, es sei anmaßend für einen jüngeren Abgeordneten, sich hervorzutun, wenn Greys erster Mann anwesend war, der erfahrener war als er und mit den Gästen besser bekannt.

Einige Zeit später wandte Coopley sich an ihn. „Also, Hadley, ich hörte von Ihrem Halbbruder, Sie halten die Fackel für die ‚Freunde des Volkes‘?“

„Gewissermaßen“, antwortete Giles. „Da Lord Grey persönlich die Gruppierung ins Leben rief, geben natürlich wir alle, die wir uns Reformer nennen, seine Ideale nur zu gerne weiter. Wer könnte der Ansicht widersprechen, dass Talent und Rechtschaffenheit die wichtigsten Eigenschaften eines Parlamentsabgeordneten sein sollten?“

Lord Coopley schnaubte abfällig. „Jeder Mann ab achtzehn hat eine Stimme? Ein Abgeordneter auf jeweils zwanzigtausend Bürger? Bah! Wie sollen die Staatsgeschäfte laufen, wenn jeder Mann, der nach einem kräftigen Umtrunk an die Urne schwankt, wählen darf? Und dazu geheim! Vermutlich sympathisieren Sie auch mit den Philanthropen, die alle Ländereien konfiszieren und allen, Mann, Frau oder Kind, ein Stück davon zuteilen wollen? Land für jedermann! Ha! Was fängt ein Schneider oder Maurer mit erstklassigem Ackerland an, möchte ich wissen?“

„Oder ein Parlamentarier oder Anwalt“, entgegnete Giles ironisch lächelnd. „Schuster, bleib bei deinen Leisten, da sind wir alle besser dran, meine ich.“

Ehe er fortfahren konnte, mischte Lady Margaret sich ein: „Ach, Lord Coopley, bitte, wir haben da eine Unstimmigkeit wegen eines Kandidaten. Sie haben ein so gutes Gedächtnis, helfen Sie mir doch.“

Ihr die Hand tätschelnd, ließ der Mann sich geschmeichelt ablenken.

Giles gelang es, Lady Margarets Blick zu erhaschen, und nickte ihr dankend zu, was sie durch leichtes Heben ihrer Brauen erwiderte, ehe sie sich wieder ihrem Tischherrn zuwandte.

Kurz darauf wurde die Tafel aufgehoben und die Gastgeberin stand auf. „Gentleman, ich überlasse Sie nun Ihren … höchst munteren Debatten. Danke, dass Sie der Einladung folgten; ich wünsche Ihnen gute Nacht. Papa, ich ziehe mich noch eine Weile zum Lesen in die Bibliothek zurück. Vielleicht magst du mich später noch aufsuchen, falls der Austausch, den du gewiss genießen wirst, dich nicht völlig erschöpft hat.“

Giles sah ihr, die ihm nicht einmal einen Blick gönnte, enttäuscht hinterher, wurde aber wieder munterer, als er sich ihre letzte Bemerkung ins Gedächtnis rief.

Waren ihre Worte nur für ihren Vater bestimmt gewesen … oder durfte er hoffen, dass sie auch ihm gegolten hatten?

Während er noch, von Erregung erfasst, überlegte, wie er es anstellen könnte, sie für ein paar Augenblicke für sich zu haben, hörte er Sir James leise sagen: „Da hat sie Sie aber geschickt gerettet, nicht wahr? Eine glänzende Gastgeberin. Sie blüht in Diskussionen geradezu auf. Vor einiger Zeit hieß es ja, Sir Francis Mowbrey werde sie von ihrem Vater fortlocken, doch letztendlich kam es nicht dazu.“

„Wie, Mowbrey, der Tory-Abgeordnete für Suffolk?“, fragte Giles. Hoffentlich klang er nur höflich interessiert und nicht wie von der Dame völlig besessen!

„Ja, er machte ihr damals den Hof, kurz nachdem sie die Trauerzeit beendet hatte. Er schien hervorragend geeignet zu sein – Tory-Kandidat, Landadel, vornehme Erziehung und Verwandtschaft, und die Damen fanden ihn charmant. Die beiden waren verlobt, doch kurz vor der Heirat löste Lady Margaret das Verlöbnis. Sir Francis machte seinem Missvergnügen öffentlich Luft; vielleicht nachvollziehbar, denn die Verbindung wäre für ihn gewinnbringender gewesen als für sie, da er nicht nur Zugriff auf ihr beträchtliches Vermögen erhalten hätte, sondern obendrein politische Vorteile winkten.“

Verwundert sagte Giles: „Ich hätte nicht gedacht, dass Lady Margaret sich gedankenlos an jemanden bindet. Oder wankelmütig in letzter Minute ihre Meinung ändert.“

„Nun, sagen wir so: Sir Francis konnte besser umwerben, als die Treue halten. Er mochte die Damen ebenso gern wie die ihn, und er behielt, wenn auch diskret, anscheinend seine kleinen Affären selbst nach der Verlobung bei. Man sagt, dass es Lady Magaret zu Ohren kam und sie entschied, dass sie keine Lust hatte, als Gattin dauernd wegschauen zu müssen. Nur zu verständlich.“

Der Mann muss ein arroganter Esel sein, dachte Giles, murmelte aber gespielt gleichmütig nur ein paar banale Worte.

Aber wenn Sir Francis sie mit falschen Liebesschwüren an der Nase herumgeführt hatte, würde das erklären, warum eine so außerordentlich reizvolle Frau wie Lady Margaret nicht wieder heiraten wollte.

Eine Bemerkung des Marquess lenkte ihn von seinen Überlegungen ab, und gut eine Stunde lang tobte eine heftige Diskussion, doch dann flauten die Gespräche langsam ab. Das nutzte Giles, um zu entwischen. Er schob vor, früh am nächsten Morgen warte dringende Arbeit im Ausschuss auf ihn, dankte Lord Witlow und verabschiedete sich. Nachdem er in der Halle von einem Lakaien erfragt hatte, wo er die Bibliothek finden könne, um der Gastgeberin gute Nacht zu wünschen, wandte er sich dorthin und wappnete sich für die Begegnung, die er den ganzen Abend herbeigesehnt hatte.

Die Tür stand ein Stück offen, und er verharrte auf der Schwelle und nahm die Szene in sich auf.

Lady Margaret saß auf einem Sofa beim Feuer, auf dem Tisch neben sich zwei brennende Kerzen, und las. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, und das flackernde Licht des Kaminfeuers tanzte auf ihren roten Locken und warf einen goldenen Schein über ihren hellen Teint.

Dieser Anblick, so einsam und doch von innerer Heiterkeit, traf ihn wie ein Schlag. Jäh stieg ein Bild vor seinem inneren Auge auf: wie er, lange nachdem er zu Bett gebracht worden war, zurück in das kleine Wohnzimmer des Cottages, in dem er mit seiner Mutter gewohnt hatte, schlüpfte, um um eine weitere Gute-Nacht-Geschichte zu bitten. Er hatte sie lesend vorgefunden. Und wie schön sie ihm erschienen war! Lange bevor er erfahren hatte, dass sie arm waren, dass sein Vater sie verstoßen hatte, dass sie, verbannt, in Schande lebten, hatte er einen tiefen Frieden erleben dürfen, als sie ihn freudig in ihre Arme schloss, ehe sie ihn wieder zurück ins Bett getragen hatte.

Genau diese Atmosphäre umgab Lady Margaret, sodass ihm einen lächerlichen Moment zumute war, als käme er heim.

Ehe er das Gefühl abschütteln konnte, schaute sie auf, als ob dieses besondere Kraftfeld, das zwischen ihnen waberte, ihr seine Anwesenheit verkündet hätte. „Mr. Hadley“, rief sie, „bricht die Gesellschaft auf?“

„Nein, die anderen Gentlemen ringen noch miteinander, wenn auch schon ein wenig milder gestimmt. Vermutlich geht es noch so, bis der Brandy ausgetrunken ist.“

Sie lachte leise, ein weicher melodischer Klang, der zum Lächeln verleitete. „Da der Vorrat praktisch unerschöpflich ist, werden sie wohl bis zum Morgengrauen weitermachen. Aber Sie müssen aufbrechen?“

„Nun …“ Er grinste kläglich. „Ehrlich gesagt … ich habe mich früh verabschiedet … ich hoffte, mit Ihnen unter vier Augen sprechen zu können.“

Sie lächelte übers ganze Gesicht. „Und ich hatte gehofft, Sie würden genau das tun. Wollen Sie nicht hereinkommen?“

Nicht einmal ein Tiefschlag von einem Boxchampion hätte ihn davon abhalten können. „Mit Vergnügen.“

7. KAPITEL

Als sie aufschaute und Mr. Hadley auf der Schwelle erblickte, so ansehnlich mit seiner breitschultrigen Gestalt, die sich als Silhouette vor der Dunkelheit hinter ihm abhob, das Gesicht vom Kerzenschein erhellt, dachte sie zuerst, sie sehne sich so glühend nach ihm, dass sie sich seine Gegenwart nur einbildete. Dann lächelte er – also war er keine Illusion! Und ihr törichtes Herz machte einen Hüpfer.

„Wie ich mich freue, dass Sie meinen Wink verstanden haben“, sagte sie und versuchte, ihren stolpernden Puls zu beruhigen, während sie Giles bedeutete, auf dem Sofa neben ihr Platz zu nehmen.

„Und wie ich mich freue, dass Sie ihn mir gaben.“

Nun, da eingetreten war, was sie sich erhofft hatte, fühlte sie sich unerklärlich scheu. „Hatten Sie Gefallen an der Diskussion?“, fragte sie und kam sich noch törichter vor, da sie auf nüchterne Allgemeinplätze zurückgriff, während sie doch eigentlich alles über ihn erfahren wollte – von seiner Kindheit bis zum heutigen Tag. Ach, einfach alles!

Er lachte. „Nachdem Sie fort waren, wurde die Debatte in der Tat lebhafter! Aber da Sir James meine Position unterstützte, schmeichele ich mir, ein paar Ansichten ins Wanken gebracht zu haben. So sehr, dass ich es für klüger befand, mich zu entfernen.“

„Sie hielten sich beim Dinner bewundernswert.“

„Ich kam mir vor wie einst die Christen, wenn sie in der Arena den Tigern vorgeworfen wurden. Noch einmal vielen Dank für Ihre Rettungsaktion. Jedenfalls fand ich es nützlich, die Argumente der Torys zu hören. So kann mein Ausschuss die besten Gegenargumente erarbeiten.“ Abwehrend hob er eine Hand. „Aber für heute genug von Politik. Zuerst mein Kompliment, das war ein köstliches Dinner. Sie sind wirklich die perfekte Gastgeberin, Sie machen das ganz meisterhaft.“

„Danke.“ Sie errötet vor Freude über das Lob. „Ich genieße es aber auch, besonders die Diskussionsabende, an denen ich mich auch beteiligen kann; denn leider, fürchte ich, wird das Wahlrecht für Frauen trotz der Anstrengungen einiger Vorkämpfer so bald nicht eingeführt werden.“

„Ihre Frau Mama mag nicht als Gastgebein auftreten?“

„Mama ist von zarter Gesundheit. Als Papa anfangs im Oberhaus saß, verlor sie hier in London zwei Kinder, seitdem verabscheut sie die Stadt und leider auch die Politik. Und obwohl die beiden so ungern getrennt sind, weilt sie das ganze Jahr über auf dem Land, während Papa in den Sitzungsperioden hier residiert.“

„Und Ihr Bruder? Ich hätte gedacht, dass er dem Beispiel Ihres Vaters folgt?“

„Zu Papas Enttäuschung hat Julian leider überhaupt kein Interesse an Politik. Ich bin der Sprössling, der diese Leidenschaft geerbt hat. Ich habe Papa immer mit Fragen geplagt, wenn er in den Sitzungspausen heim nach Huntsford kam. Als meine Großtante Lilly mich während meiner Saison bei sich aufnahm, überredete ich ihn, bei einigen seiner Abendessen die Gastgeberin spielen zu dürfen – und war begeistert. Und daher nahm ich das wieder auf, nachdem … nachdem ich Witwe wurde …“ Selbst nach dieser langen Zeit konnte sie nicht ohne ein Beben in der Stimme über Robbies Tod sprechen.

„Ihr Bruder lebt ebenfalls auf dem Lande? Ich kann mich nicht erinnern, hier in der Stadt je von ihm gehört zu haben.“

„Ja, er kümmert sich um Mama und verwaltet den Besitz. Letztendlich wird er ihn erben, und so große Ländereien müssen sorgfältig geführt werden. Schon in jungen Jahren hat Papa ihn darauf vorbereitet, und Julian gefällt diese Aufgabe.“

„Während Sie das Stadtleben bevorzugen?“

„Oh nein. Ich bin gern auf Huntsford. Der Besitz meines Mannes liegt in der gleichen Gegend, und wenn … wenn alles anders gekommen wäre, hätte ich ganz zufrieden mein Leben dort verbracht. Danach … musste ich einfach fort. Zum Glück durfte ich erneut für Papa die Gastgeberin spielen. Also bin ich wieder hier …“ Sie machte eine umfassende Geste mit der Hand. „… am Busen der Familie, allerdings suche ich fast jeden Abend mein Haus in der Upper Brook Street auf. Meine Familie war alles für mich, als ich … als ich meinen Mann verlor. Ich weiß nicht, wie ich ohne sie über seinen Verlust hinweggekommen wäre. Verzeihen Sie, vielleicht sollte ich nichts dazu sagen, aber das eben finde ich an Ihrer Lage so tragisch – der Vater ist Ihnen fremd und ebenso das Land und die Menschen, für die Sie eines Tages verantwortlich sein werden.“

Er schien zurückzuschrecken, und besorgt, verbotenes Terrain betreten zu haben, sagte sie rasch: „Es geht mich nichts an, ich weiß. Hoffentlich bin ich Ihnen nicht zu nahe getreten.“

Er presste die Lippen zusammen, doch nach einem Augenblick entspannte er sich. „Sie sind mutig. Die meisten meiner Bekannten wagen den Earl gar nicht zu erwähnen.“

Reuig lächelte sie. „Eher tollkühn als mutig. Es … es schmerzt mich nur einfach, wenn Familien entzweit sind. Nachdem ich zwei Geschwister verlor und … und meinen besten Freund und Liebsten, sind mir die wenigen Menschen, die ich noch habe, besonders kostbar. Man weiß nie, wie viel Zeit man noch miteinander hat. Auch das ist ein Grund, meinen Vater zu unterstützen.“

Er nickte. „Wie wahr. In meiner kindlichen Unbekümmertheit kam mir damals nie in den Sinn, dass ich meine Mutter so früh verlieren würde.“

„Sie muss wunderbar tapfer gewesen sein. Diese Isolation zu ertragen, in dem Bewusstsein, von der eigenen Familie im Stich gelassen worden zu sein.“

Er lachte kurz auf. „Als Kind hält man es für normal, weil man es nicht anders kennt. In jenem kleinen Cottage mitten in den Hampshire Downs wäre mir nie eingefallen, dass wir allein oder geächtet sein könnten. Natürlich wünschte ich mir Geschwister zum Spielen, aber Mama machte unsere ärmliche Unterkunft zu einem fröhlichen, gemütlichen Hafen. Lange nachdem ich dieses Zuhause verlassen hatte, verstand ich, warum wir so lebten, und da war es zu spät. Zu spät, um ihr zu sagen, wie sehr ich ihre Liebe und Fürsorge würdigte und auch, wie dankbar ich ihr dafür war, mit welcher Kraft und Beherztheit sie mir trotz ihres Kummers eine glückliche Kindheit ermöglichte.“ Er schüttelte den Kopf. „Als meine Tante mich fortholte, bettelte ich darum, bleiben zu dürfen. Ich war so sicher, ich würde mein Leben lang in dem kleinen Cottage zufrieden sein.“

Ermutigt von seinem Bericht, konnte Margaret sich, obwohl sie wusste, dass sie eine Grenzen überschritt, nicht zurückhalten, und sagte: „Also meinen Sie nicht, dass Sie Ihrem Vater je verzeihen können?“

Seine Miene verschloss sich. Sie erschrak, fürchtete, er würde stumm bleiben oder ihr die Abfuhr erteilen, die sie für eine so persönliche Frage verdiente. Doch nach einem Moment antwortete er. „Sehen Sie, Mama hätte lügen können. Bestreiten, dass sie und Richard Liebende gewesen waren. Der Earl versicherte ihr, er habe immer von ihrer Liebe zu Richard gewusst und wolle nur die Wahrheit hören, so erzählte mir meine Tante es später. Und dann bestrafte er sie dafür, dass sie die Wahrheit sagte, auf höchst demütigende Weise. Entehrt, geschieden. Zurückgewiesen von ihrer eigenen Familie. Wie kann ich das vergeben?“

Sein gequälter Ton brach ihr fast das Herz, am liebsten hätte sie ihm die Hand gereicht – dem einsamen Kind, das seine verehrte Mutter schlecht behandelt und verachtet sah.

„Ich weiß nicht viel“, meinte sie ehrlich. „Aber eins weiß ich mit Sicherheit – Zorn nagt an der Seele, verursacht schwärende Wunden. Heilen werden sie erst, wenn man loslässt.“ Ein Rat, nach dem ich besser auch selbst handeln sollte, dachte sie kläglich.

„Wenn es nur so leicht wäre, dem weisen Rat zu folgen“, entgegnete er. „Eines Tages vielleicht.“

„Ihn zu erteilen war vermessen“, gab sie zu.

„Nein, fürsorglich“, verbesserte er. „Sie haben Mitgefühl, nicht wahr?“

Ah, ihr Herz war nicht klug, wenn es seines Leides wegen schmerzte – trotzdem schmerzte es. „Ja“, flüsterte sie.

Mit einem Seufzer hob er ihre Hand an seine Lippen und küsste sie. Bei seiner Berührung vergaß Margaret alles, nur ihrer Empfindungen war sie sich noch bewusst, da das glimmende Band zwischen ihnen machtvoll aufflammte. Sie hielt den Atem an, bebend lagen ihre Finger in den seinen, und sie kämpfte gegen den Drang, sich an ihn zu drücken und seine Wange zu streicheln.

Dann, ihre Hand fester umschließend, beugte er sich zu ihr und zog sie an sich. Sie schloss die Augen, hob ihm ihr Gesicht entgegen und bot ihm sehnsüchtig ihre Lippen.

Sein Kuss war ein zarter Hauch, als suchte er ihre Erlaubnis. Leise aufstöhnend umfing sie seinen Nacken und schmiegte sich an ihn. Mehr brauchte es nicht. Er umschlang sie wild, presste sie an sich und vertiefte den Kuss.

Unter seinen fordernden Lippen öffnete sie den Mund, ihre Zungen trafen sich in leidenschaftlichem Spiel. Wonnevolle Empfindungen durchrieselten ihren Körper. Sie rieb ihre peinvoll gespannten Brüste an seiner Brust, um ihm näher zu sein, ungeduldig, weil die vielen Lagen Stoff sie daran hinderten, Haut auf Haut zu spüren.

Zeit, Ort, alles versank. Sie vergingen in brennender, hungriger Begierde, die mit jedem Zungenschlag stärker wütete.

Wer weiß, wie weit sie, verloren in unbekümmerter Hingabe, gegangen wären, hätte Giles den Kuss nicht jäh abgebrochen, Margaret von sich geschoben, wäre nicht aufgesprungen und zum Kamin getaumelt.

„Stimmen“, keuchte er atemlos. „Da kommt jemand.“

Jetzt hörte sie es auch. Ein kühler Hauch, wo eben noch Wange an Wange geglüht hatte, holte sie zurück in die Gegenwart. Sie erkannte die Stimme ihres Vaters und den tiefen Bass Lord Coopleys.

„D…danke“, stammelte sie, während sie mit zitternden Fingern ihr Mieder zurechtrückte und ihre Frisur ordnete.

Sekunden später traten die beiden Männer in die Bibliothek und verharrten kurz, als sie sahen, dass sie nicht allein war. „Ah, Papa, Mylord, löst die Gesellschaft sich auf?“, brachte sie mühsam heraus.

„Ja, die andern sind schon fort.“ Neugierig ließ ihr Vater seinen Blick neugierig zwischen ihr und Hadley hin und her schweifen. „Wir wollten noch einen letzten Brandy trinken.“

„Wie du siehst, ist Mr. Hadley noch hier. Er kam kurz, um mir für das Dinner zu danken, und ich habe ihn mit meinem Geplauder bis jetzt aufgehalten, obwohl er mir mitteilte, dass er morgen früh eine wichtige Sitzung hat. Aber ich werde ihn jetzt erlösen.“

Was immer ihr Vater darüber dachte, sie beide hier allein vorgefunden zu haben, behielt er für sich. „Dann gute Nacht, Mr. Hadley. Danke für Ihren Besuch. Ich hoffe, wir werden schon bald wieder das Vergnügen Ihrer Gesellschaft haben.“

„Das Vergnügen war ganz meinerseits“, antwortete Hadley und verabschiedete sich höflich. Er verbeugte sich, und ehe Margaret mehr als nicken konnte, hatte er die Bibliothek bereits verlassen.

„Trinkst du auch noch etwas, Kätzchen?“, fragte ihr Vater.

Ihr Körper war immer noch in Aufruhr und ihr war benommen zumute, da hätte es ihr gerade noch gefehlt, sich dem allzu scharfsichtigen Blick ihres Vaters auszusetzen. „Nein, danke, ich bin ziemlich müde und ziehe mich besser zurück.“

Sie stand auf und gab ihrem Vater einen liebevollen Kuss, wobei sie hoffte, er würde nicht bemerken, wie sehr ihre Finger bebten.

Mit Schritten, die, wie sie hoffte, graziös wirkten und nicht kopflos, entfernte sie sich.

Nach unruhig verbrachter Nacht erhob Margaret sich am nächsten Morgen beim ersten Tageslicht. Rastlos und gereizt ob dieser Rastlosigkeit, beschloss sie auszureiten. Sie musste nachdenken, und die kühle Luft und die belebende Wirkung eines scharfen Galopps würden sie besänftigen und ihren Geist klären.

Also läutete sie nach ihrer Zofe, ließ sich in ihr Reitkleid helfen und steuerte, noch im grauen Morgenlicht, einen Groom als Begleitung, mit ihrem Pferd den Hyde Park an.

Sie kannte unerfülltes Begehren. Nachdem sich ihre Freundschaft mit Robbie zu Liebe gewandelt hatte, hatte sie es, bevor sie heiraten konnten, oft genug verspürt. Ein anstrengender Ritt, der ihren Körper ermüdete, würde es vertreiben. Wenn sich damit doch nur auch das Wirrwarr in ihrem Kopf vertreiben ließe! Da rangen der Wunsch, mit Hadley eine Beziehung einzugehen, und die Vorsicht miteinander, die mahnte, sie solle ihm aus dem Weg gehen, weil sie in seiner Gegenwart ihrer Selbstbeherrschung nicht trauen könne.

Sicher im Park angekommen, schickte sie den Groom zurück, denn wenn sie später den Rückweg antrat, würde es vollkommen hell sein. Dann trieb sie ihre Stute zum Galopp an und tobte sich während der folgenden Stunde aus, bis sie völlig erschöpft war.

Dem zum Trotz verlangte ihr Körper immer noch nach Hadleys Berührung. Und auch war es ihr nicht gelungen, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.

Verärgert über sich selbst, weil sie offensichtlich unfähig war, eine Entscheidung zu treffen, dirigierte sie ihre Stute im Schritt den Reitweg entlang bis zu einer Biegung – wo sie auf den Grund für ihr Dilemma traf.

Im Sattel eines prächtigen Vollbluts kam Hadley ihr entgegen. Der Fuchswallach, offensichtlich noch frisch, stieg erschrocken und gab Margaret so ein paar Sekunden, ihr plötzlich wild schlagendes Herz zu beruhigen.

Ein Lächeln erhellte Hadleys Gesicht. „Lady Margaret! Wie wunderbar, Sie zu sehen. Obwohl – es ist noch recht früh für einen Ausritt.“

Ach, wie sie sich in dem Lächeln verlieren könnte! Sie musste ihre ganze Willenskraft zusammenraffen, um ihm nicht entgegenzueilen und sich ihm in die Arme zu werfen. „Ich verschwende den Morgen nicht gern im Bett. Zumindest nicht allein.“

Sie war entsetzt! Hatte sie das wirklich gesagt? Ihre Wangen färbten sich glutrot, als er nach kurzem verdutztem Schweigen den Kopf in den Nacken warf und lachte. „Also dieser Einstellung kann ich nur von Herzen zustimmen.“

Seite an Seite ritten sie weiter. Die Luft zwischen ihnen sprühte vor sinnlicher Spannung. Oh, sie wollte … ihn, und wie sehr sie ihn wollte!

Seit den ersten Ehewochen mit Robbie hatte sie kein derart machtvolles Verlangen mehr verspürt, hatte nicht mehr so heftig begehrt. Um Liebe mochte es nicht gehen … doch die unaufhörlich tickende Uhr würde ihr bald auch die Möglichkeit nehmen, ihre Leidenschaft auszuleben. Durfte sie diese eine Gelegenheit verstreichen lassen, noch einmal die Glut und die Macht und die Erfüllung einer solchen Leidenschaft zu erleben?

Die Verlockung in Person ergriff ihre Hand und drückte einen Kuss darauf. „Meine liebe, liebe Lady Margaret.“

Ihre Welt bestand nur noch aus seinen wunderbaren blauen Augen; die Gewalt ihres Begehrens floss zwischen ihnen wie ein wogender Strom, ausgelöst allein durch den schlichten Kontakt ihrer Finger.

Ehe noch ihre Vernunft sich wieder durchsetzen konnte, platzte sie heraus: „Ich tue jetzt etwas sehr Undamenhaftes. Aber wie ich vor Jahren lernte, kann man nicht auf die Zukunft vertrauen. Wenn man etwas sieht, das man haben möchte, sollte man unverzüglich zugreifen.“

Forschend blickte er sie an. „Und Sie sehen etwas, das Sie haben möchten?“, fragte er leise.

„Ja, Sie“, hauchte sie. Und keuchte dann bestürzt auf, weil ihre Kühnheit ihn vielleicht verschreckt oder sein Zartgefühl verletzt hatte. Würde er etwas Vernichtendes sagen und sie einfach stehen lassen? War er Gentleman genug, um sie nicht zum Gespött in seinen Klubs zu machen? Ihr schwindelte.

Ihr fest in die Augen schauend schüttelte er leicht den Kopf. „Verzeihung, Lady Margaret, interpretiere ich ihren Vorschlag gerade richtig?“

„Ja“, entgegnete sie scharf; und nun glühte ihr Gesicht aus anderen Gründen, „und ich wünschte wirklich, Sie würden antworten, anstatt mich so fassungslos anzustarren. Wenn Sie nicht wollten, bitte, und dann werde ich Ihnen guten Tag wünschen und mich entfernen, ehe ich vor Scham sterbe.“

„Sie müssen doch wissen, dass ich will!“ Leise auflachend führte er ihre Hand, die er, wie sie nun merkte, immer noch hielt, an seine Lippen. „Sie müssen meine Verblüffung entschuldigen; mir wurde noch nie von einer Dame Carte blanche geboten. Aber jetzt habe ich mich erholt. Und habe nur zwei Fragen: Wo? Und wann?“

Sie sollte sich besser mit ihrer Antwort beeilen, ehe sie den Mut verlor. „In meinem Haus – Upper Brook Street Nummer Vier. Und sofort. Bei mir lebt, um der Form zu genügen, eine ältere Cousine; sie ist stocktaub und steht nie vor Mittag auf. Kommen Sie durch den Hintereingang bei den Ställen. Ich sage dem Groom, er soll Sie einlassen.“

Er nickte, und ohne weitere Worte – sie war nun so aufgewühlt, dass sie sich keinen Moment länger hätte gedulden können – setzte Margaret ihre Stute in Bewegung und galoppierte davon.

Giles schaute der verschwindenden Gestalt hinterher, immer noch nicht sicher, ob er richtig gehört hatte. Hastig ließ er das Gespräch in seinem Kopf noch einmal Revue passieren: ja, er hatte sich das nicht nur eingebildet. Sie hatte ihn tatsächlich eingeladen, ihr Geliebter zu werden.

Freudig auflachend raste er mit einem Jubelschrei in triumphalem, verwegenen Galopp über die verlassene Rotten Row.

Es war kaum zu glauben! Nach jenem wollüstigen Kuss in der Bibliothek ihres Vaters, bei offener Tür, und nicht weit davon ein Salon voller Gäste, hatte er geglaubt, er könne von Glück reden, wenn sie überhaupt je wieder mit ihm sprach.

Er war heute Morgen ausgeritten, um seinen Kopf nach dem vielen Brandy des vergangenen Abends auszulüften und zu überlegen, wie er sich wegen des Kusses am besten entschuldigen könne. Es war ihm unerklärlich: er konnte ihr nicht nahe sein, ohne sie berühren zu wollen, konnte sie nicht berühren, ohne sie an sich reißen zu wollen, seinen Mund auf den ihren pressen zu wollen …

Doch anstatt für seine Frechheit kniefällig ihre Vergebung erflehen zu müssen, hatte sie ihn, nach ganzen drei Treffen, in ihre Arme eingeladen. Staunend schüttelte er den Kopf. Auf diese Art war er noch nie verführt worden. Das war neu. Kein Flirt, kein Austausch doppeldeutiger Worte, keine vielsagenden Blicke … keine kleinen, aufreizenden Berührungen in der Öffentlichkeit. Nur viele Gespräche über Politik, wobei ständig sinnliche Spannung zwischen ihnen vibriert hatte, und ein einziger wahnsinniger, glühender Kuss.

Gott segne eine Frau, die wusste, was sie wollte. Sie musste dieses Band zwischen ihnen genauso stark spüren wie er.

Er zog eine weitere Runde durch den Park, um der Dame genügend Zeit zu geben. Die Vorstellung, wie sie ihr Reitkleid ablegte, sich das Haar bürstete und, unter ihrem Hausmantel nackt, auf ihn wartete, ließ ihn schwer atmen und hart werden, bis ihm vor Begehren beinahe schwindlig war.

Ihm wurde der Mund trocken, während er sich die erste Berührung ausmalte. Mit Händen und Mund würde er ihrem Körper huldigen, ehe er sie endlich in Besitz nahm. Voll trunkenen Entzückens, wie berauscht vor Verlangen.

An seine Ausschusssitzung verschwendete er keinen zweiten Gedanken. Das konnte warten.

Er – und Lady Magaret – nicht.

Mit erwartungsvollem Lächeln trieb er sein Reittier in Richtung Upper Brook Street.

8. KAPITEL

Als Margaret ihr Stadthaus erreichte, war ihr Feuer erloschen, und Bedenken stürzten vehement auf sie ein.

Sie übergab dem Groom ihre Stute, setzte zum Sprechen an, um ihm zu sagen, dass er gleich einem Gentleman das Tor öffnen müsse. Doch sie brachte die Worte nicht über die Lippen.

Auf dem Weg zu ihrem Schlafzimmer schickte sie ein herbeieilendes Hausmädchen nach heißem Wasser, und einem zweiten befahl sie, ihr beim Umkleiden zu helfen. Da sie stets auch mehrere Tage im Haus ihres Vater verbrachte, wartete ihre Zofe dort auf ihre Rückkehr. Polly würde sie für verrückt halten, wenn sie ihr nachher erklärte, dass sie in ihrem eigenen Domizil gebadet und das Reitkleid gewechselt hatte.

Für noch verrückter würde Mr. Hadley sie halten, wenn er bei seiner nahen Ankunft hörte, dass sie es sich anders überlegt hatte.

Ach, warum hatte sie ihr ungestümes Begehren nicht unterdrücken können, ehe sie mit dieser unklugen Einladung herausplatzte?

Ihr Beinahe-Geliebter würde so wütend sein! Und mit Grund. Er würde sie entweder für hohlköpfig halten oder, schlimmer noch, für ein leichtfertiges, Männer foppendes Frauenzimmer. Sie würde seinen Respekt und seine Freundschaft verlieren. Ihr wurde ganz übel.

Sich für das unangenehme Gespräch wappnend ging sie hinab in den Salon, wo sie rastlos auf und ab schritt.

Kurz darauf führte ein verwirrter Lakai Hadley herein, und er eilte zu ihr, küsste ihr die Hand und drückte sie zärtlich. „Der Groom vergaß leider, das Tor offen zu lassen“, sagte er. „Ich musste ein wenig Lärm machen, bis er endlich auftauchte. Hoffentlich hat es nicht zu lange gedauert.“

Er schaute sie an, und sein Lächeln verblasste. Besorgt fragte er: „Was haben Sie? Ist etwas geschehen?“

Sie entzog ihm ihre Hand, erneut von Aufregung und Übelkeit erfasst. „Nichts – ich bin ein solcher Schwachkopf. Es tut mir sehr leid, Mr. Hadley …“

„Giles. Wäre es nicht an der Zeit, dass Sie … dass du mich Giles nennst?“

Ohne darauf einzugehen, setzte sie erneut an: „Es tut mir sehr leid, und ich weiß, ich benehme mich wie ein absolutes Gänschen, aber … aber ich muss mein Angebot zurücknehmen. Ich … ich kann das einfach nicht tun …“

„Ich verstehe …“ Er trat einen Schritt zurück und musterte sie forschend. „Sie … begehren mich doch nicht genug?“

„Nein, aber nein, das ist es nicht! Bestimmt wissen Sie, wie sehr ich Sie begehre! Auf mein Wort, nie zuvor in meinem Leben habe ich einem Herrn einen solchen Antrag gemacht. Nur diese unheimlich starke, beispiellose Anziehungskraft zwischen uns brachte mich dazu. Und die bittere Erkenntnis, dass diese spezielle lustvolle Intimität kostbar ist und häufig vergänglich, sodass man sie dankbar ausleben sollte, solange man dazu in der Lage ist. Aber ich kann das Risiko nicht eingehen.“

Unwohl begann sie erneut, im Zimmer umherzuwandern. Schließlich wandte sie sich ihm zu. „Ich will offen sein, auch wenn es nicht der Etikette entspricht“, sagte sie. „Anders als ich haben die meisten reiferen Frauen, die sich eine Liebelei gönnen, einen Gemahl, wodurch unglückselige … Folgen vertuscht würden. Ich könnte es nicht ertragen, meinen Vater zu beschämen, und es wäre mein Tod, ein Kind auszutragen und fortgeben zu müssen, es nie als mein eigen anerkennen zu können. Und ehe Sie jetzt etwas sagen – ich würde Sie auch nicht in die Verlegenheit bringen wollen, zu tun, was sich gehört – uns in eine Ehe zu zwingen, zu der wir beide nicht bereit sind.“

Seufzend blieb sie vor ihm stehen und sah ihn an. „Ja, ich begehre Sie noch – mehr als Sie sich vorstellen können. Aber aus so vielen stichhaltigen Gründen kann ich dem nicht nachgeben. Es tut mir leid.“ Sie schluckte schwer, kämpfte dagegen an, in Tränen auszubrechen. „Ich … ich hoffe, Sie denken nicht zu schlecht von mir.“

Sie wollte den Blick abwenden, doch er umfasste ihr Kinn, sodass sie ihn ansehen musste. Zu ihrer Überraschung war seine Miene eher … zärtlich, als gekränkt. „Ich denke überhaupt nicht schlecht von Ihnen. Im Gegenteil! Nach dem, was meine Mutter erlitt, verstehe ich nur zu gut, welchen Preis eine Frau für eine Liebschaft zahlen muss, die ein Mann straflos genießen kann. Es ehrt Sie; sich das sehnlichst Begehrte zu versagen, um der Familie keine Schande zu bereiten und Unschuldigen nicht zu schaden, ist rühmlich. Aber sehen Sie, ein Freibrief muss nicht völlige Freiheit bedeuten. Es können Regeln aufgestellt werden.“

„Ich begreife nicht.“

„Nein?“ Ihr verwirrter Blick ließ ihn leise lachen. „Wie Sie bestimmt wissen, gibt es viele köstliche Wege zum Genuss, auch ohne den vollkommenen Vollzug des Aktes.“

Sie erinnerte sich, wie Robbie sie, nachdem sie längere Zeit getrennt gewesen waren, allein durch Küsse und Zärtlichkeiten beinahe zum Höhepunkt gebracht hatte. Wie er sie mit Mund und Fingern so heftig hatte erregen können, dass sie, hätte er sie nicht genommen, auch so den Gipfel der Lust erreicht hätte.

Aber seine Lust? „Meinen Sie, Sie könnten mit … weniger als dem vollendeten Akt zufrieden sein?“

Als Antwort beugte er sich zu ihr und küsste sie, und da ihre Lippen nach dem raschen Wechsel von Erregung zu Versagung, von Aufgewühltsein zu Enttäuschung extrem empfindlich waren, reagierte Margaret sofort auf die Berührung. Sie stöhnte unterdrückt.

„Siehst du“, murmelte er, den Kuss beendend. „So viele köstliche Wege zum höchsten Genuss. Wenn einzig durchaus vernünftige Vorsicht dich zurückhält, brauchst du nicht länger zu widerstehen.“

„Aber … was, wenn ich mehr will?“ Sie war sich nicht sicher, ob sie unter der betäubenden Droge der Leidenschaft die Kraft hätte, sich diszipliniert zu verhalten.

Er schmunzelte. „Dann muss ich mich nur weigern. Zur Sicherheit werde ich das entscheidende Kleidungsstück anbehalten. Aber keine Sorge, meine Süße, es wird mir sehr viel Vergnügen bereiten, dir die deinen alle auszuziehen.“

Es war ein gefährlicher, ein ungeheuerlicher Plan – aber sie wollte einfach glauben, dass er durchführbar war. Denn die Folgen eines Fehlschlags wären hart.

Ihr innerer Kampf musste ihr anzusehen sein. „Sollen wir es versuchen?“, fragte er.

„Und wenn ich mich vergesse?“

„Bist du erst befriedigt, gibt es nichts zu vergessen.“

Sie erbebte sacht. „Und … Ihre … deine Befriedigung?“

Seine Augen leuchteten auf – blaues, unwiderstehliches Feuer. „Ich zeige dir, wie. Soll ich? Jetzt?“

Er umfing sie und küsste sie abermals, schamlos verführerisch; seine Zunge suchte die ihre, lockte, reizte. Wie trunken schlang sie die Arme um ihn, drängte sich an ihn, vertiefte den Kuss, bis sie beide nach Luft rangen.

Autor

Julia Justiss
<p>Julia Justiss wuchs in der Nähe der in der Kolonialzeit gegründeten Stadt Annapolis im US-Bundesstaat Maryland auf. Das geschichtliche Flair und die Nähe des Meeres waren verantwortlich für zwei ihrer lebenslangen Leidenschaften: Seeleute und Geschichte! Bereits im Alter von zwölf Jahren zeigte sie interessierten Touristen das historische Annapolis, das für...
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