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Nach einer Bruchlandung irren der Geschäftsmann Jake und die Pilotin Kelly verletzt durch die Wildnis Alaskas. Fast hoffnungslos verloren, finden sie etwas, an das sie beide nicht mehr glaubten: Liebe! Doch würde die auch ihre Rückkehr in die Zivilisation überstehen?


  • Erscheinungstag 14.12.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787127
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Später fiel Jake Drummond ein, dass der Himmel grau wie ein Sturmtaucher war und die Meeresbucht perlmuttfarben schimmerte. Er erinnerte sich an fedrige schwarze Schierlingsblüten, den Salzgeschmack des Windes und den Glanz der Kieselsteine, sobald die Wellen an den Strand rollten. Aber im Moment war er mit Wichtigerem beschäftigt.

Die DeHavilland Beaver brummte beim Aufsteigen wie eine riesige Wespe. Der Flugzeugrumpf bebte, als die Schwimmer sich von der Wasseroberfläche lösten und die kleine Maschine knapp über den Baumwipfeln nach oben segelte. Jake hatte sich am Sitzpolster festgeklammert. Er versuchte, sich zu entspannen. Den Start hatte er überlebt, nun musste er es nur noch rechtzeitig nach Juneau schaffen.

Die Pilotin war dunkelhaarig und hübsch und sah so jung aus, dass man ihr kaum eine Fluglizenz zutraute. Jake schwor sich, wenn er das hier überlebte, würde er nie wieder in eine so kleine Maschine steigen.

Das Flugzeug gewann an Höhe und legte sich in eine scharfe Kurve. Unten konnte Jake das Wasser sehen, die zerklüfteten, bewaldeten Inseln, die zackigen vereisten Berge am Horizont. Ein schönes Land, dachte er, aber sich von Shamus und Roger zu diesem Angeltrip in Alaska überreden zu lassen, war ein Fehler gewesen. Sie hatten gemeint, ein bisschen Ablenkung tue ihm gut, denn seit Anns Tod vor neunzehn Monaten hatte er sich nur noch in die Arbeit gestürzt. Aber ohne die Arbeit hatte er das Gefühl, plötzlich im Leeren zu sein, und ihn hatte wieder Verzweiflung gepackt. Die Möglichkeit, mit dem Wasserflugzeug zu den für ihn wichtigen Sea-Mar-Verhandlungen fliegen zu können, erschien ihm wie eine Erlösung.

Die junge Pilotin war konzentriert und bediente alles so routiniert, als fliege sie seit dem Zweiten Weltkrieg. Jake fühlte sich in kompetenten Händen.

Normalerweise bediente sie diese Strecke nicht. Charlie Barnes, der Jake und seine beiden Partner zum Angelcamp geflogen hatte, würde Shamus und Roger Ende der Woche abholen. Jake hatte wegen der Sea-Mar-Konferenz früher weggemusst und war der einzige Passagier in diesem winzigen Viersitzer.

Eine Windböe ließ die Flügel vibrieren. Die Pilotin warf einen prüfenden Blick auf den Kurszeiger. Sie hatte wegen des aufkommenden Wetters den Flug verschieben wollen, aber eine Verzögerung kam für Jake nicht infrage, sonst hätte seine Firma ein wichtiges Geschäft verloren. So hatte sie sich mit einem Schulterzucken gefügt.

Die Maschine kämpfte gegen den Wind. Die Pilotin blieb gelassen. Ihre schmalen Hände am Steuerknüppel reagierten auf jede Böe. Ihr mädchenhaftes Gesicht, das von kinnlangen dunklen Locken gerahmt war, strahlte Ruhe aus. Sie trug Kakihosen, ein weites Flanellhemd und war ohne Make-up. Wie hieß sie noch? Katy? Ach, nein, Kelly. Kelly Ryan.

„Schönes Land!“, sagte er laut durch den Motorenlärm. „Und wunderbares Flugwetter!“

„Freut mich, dass es Ihnen gefällt“, rief sie zurück. „Falls wir es in einem Stück bis Juneau schaffen, können Sie Ihren Enkeln etwas erzählen!“ Sie biss sich bei der nächsten Böe auf die Lippen und versuchte, die Maschine zu stabilisieren.

Tüchtige Person, dachte Jake, der versuchte, seine Angst zu verdrängen.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie über dem Lärm.

Jake nickte und lächelte gequält.

Sie flogen über eine Bucht. Kelly flog so tief, dass die Schaumkronen der Wellen deutlich zu sehen waren und ein Fischerboot, das sich bemühte, die windgeschützte Seite der Kupreanof-Insel zu erreichen. Zwanzig vor eins. Kein Grund zur Besorgnis. Noch Zeit genug.

Jake dachte an das Geschäft, das er hoffte, für seine Reederei in Seattle mit Sea-Mar abzuschließen, und das lebenswichtig für seine Firma war. Japaner bemühten sich ebenfalls um den Vertrag. Das bedeutete harte Konkurrenz. Früher hätte Jake so ein Kampf Vergnügen bereitet, nun bedeutete ihm ein Sieg nur noch wenig, da Ann den Triumph nicht teilen würde.

Über einer größeren Insel ging die Beaver tiefer, überflog ein verwittertes Holzhaus und ein angepflocktes Wasserflugzeug. Ein magerer alter Mann schwenkte heftig seine Kappe hinauf zu ihnen.

„Mein Großvater“, rief Kelly. Der alte Mann hatte irgendwie aufgeregt gewirkt. Vielleicht war er wegen des Wetters beunruhigt.

Das da unten musste Admiralty Island sein. Nur eine Handvoll Menschen lebte hier. Die Hänge waren in Nebel gehüllt.

Der Wind pfiff, der Motor dröhnte. Kelly hatte deutlich Mühe, das Flugzeug im Gleichgewicht zu halten. Als sie in dichte graue Wolken tauchten, wurde Jake sich dessen bewusst, dass sie sich nur durch seine Sturheit jetzt in Gefahr befanden!

Auf einmal war der Wind weg. Die Stille hatte etwas Unheimliches. Kelly erstarrte beim Blick auf das Armaturenbrett, dann zog sie den Steuerknüppel hoch und ließ die Beaver steil auf­steigen.

Beim Blick auf das Wolkengebirge unter ihnen zwang Jake sich, tief durchzuatmen. Kein Grund zur Besorgnis, die junge Frau versuchte nur, durch den Sturm zu kommen. Bald würden sie wieder festen Boden unter sich haben. Dann könnte er sich dafür entschuldigen, dass er auf dem Flug bestanden hatte.

Eine Böe traf sie wie ein Faustschlag. Das kleine Flugzeug taumelte wie ein Moskito. Kellys Hände krallten sich um den Steuerknüppel. Jake fühlte sich entsetzlich hilflos, alles hing von der Pilotin ab.

Sie tauchte mit der Beaver wieder in die Wolken. Grauer Nebel wirbelte um sie herum und ließ allen Sinn für die Richtung schwinden. Regen prasselte an die Scheiben.

Der heulende Sturm schüttelte die sich bäumende Maschine. Vielleicht mussten sie beide sterben, dachte Jake. Nun, für ihn war das nicht schlimm, dann wäre wenigstens sein Schmerz um Ann vorüber. Aber am Tod dieser jungen Frau wollte er nicht schuldig sein!

Das Flugzeug schleuderte immer mehr. Gegenstände flogen durch den Raum.

„Der Stabilisator funktioniert nicht!“, schrie Kelly. „Festhalten, wir gehen runter!“

Jake spürte, wie sie steil nach unten gingen. Wie aus der Ferne hörte er, wie Kelly SOS funkte. Er klemmte sich ein Kissen auf den Bauch und krümmte sich nach vorn, um die harte Landung aufzufangen.

Die Luft zischte um sie herum. Jake wunderte sich, wie ruhig er war. Er flüsterte „Ann“, dann spürte er den Aufprall, und alles um ihn herum wurde schwarz.

2. KAPITEL

Das Flugzeug lag in einer Waldsenke, auf einem Bett von Farn und grünem Moos. Der linke Flügel lag abgebrochen fünfzig Meter hinter ihnen. Der rechte hing gerade noch am zerdrückten Rumpf. Von den verdrehten Propellerblättern tropfte der Regen.

Kelly öffnete die Augen. Graues Licht fiel durch das zersplitterte Sicherheitsglas. Der Scheibenwischer war grotesk verbogen. Das einzige Geräusch kam vom Regen, der ans Metall platterte. Bei der Erinnerung an den Sturm stöhnte sie auf. Sie hätte keinesfalls fliegen dürfen, sondern sich gegen die Forderung ihres Passagiers stellen müssen!

Passagier? Der hing neben ihr bewegungslos aus der offenen Tür, nur gehalten durch den Sitzgurt. Hastig löste Kelly ihren Gurt … und verspürte einen scharfen Schmerz. Die Flugzeugseite war wie eine Metallfolie eingedrückt und klemmte ihr linkes Bein ein. Sie versuchte es herauszubekommen, aber der Schmerz war zu groß. Keine Zeit, darüber nachzudenken, ob das Bein gebrochen war. Jake Drummond konnte schwer verletzt sein, innere Blutungen haben oder sogar …

Sie wappnete sich gegen den Schmerz und versuchte, an Drummond heranzukommen. An die Passagiere musste ein Pilot zuerst denken, hatte der Großvater ihr eingebläut. Sie hatte die Verantwortung.

Mühsam versuchte sie, ihn am Hemdzipfel hereinzuziehen. Aber er war zu schwer. „Kommen Sie!“ Sie biss die Zähne zusammen. „Sie sind vielleicht arrogant und fordernd, aber ich gebe nicht auf, Mr Drummond … Vielleicht verpassen Sie ihr kostbares Meeting, aber ich kriege Sie wieder in dieses Flugzeug … Also helfen Sie mir …“

Plötzlich stöhnte er „Ann …“ Dann begann er sich zu bewegen.

„Ja, los, kommen Sie!“ Sie zog wieder.

Schließlich drückte er mit einem tiefen Atemzug den Rücken durch und kam, wenn auch mühsam, in die Sitzposition zurück. Sein blondes Haar klebte an der Stirn, verwirrt musterte er das Chaos im Cockpit. Blut rann in dünnem Rinnsal aus einer Wunde am Kinn. „Wo sind wir?“, brachte er heraus.

„Auf Admiralty“, erklärte Kelly so gefasst wie möglich. „Wir sind abgestürzt und landeten im Wald. Sind Sie in Ordnung?“

Er berührte vorsichtig sein Gesicht. „Scheint so. Ich … Oh, verdammt, das Meeting! Funktioniert das Funkgerät? Wir könnten Juneau anrufen und …“

Natürlich fiel ihm das als Erstes ein! Dass er lebte, war wohl unbedeutend und erst recht, wie es ihr ging. Drummond hatte vermutlich dort einen Computer, wo andere ein Herz besaßen.

Kelly probierte, ob das Funkgerät ging. Es gab keinen Mucks von sich. „Nichts“, erklärte sie. „Tut mir leid. Ist wohl beim Absturz entzweigegangen.“

„Können Sie es reparieren?“

„Weiß ich nicht, ich kann’s ja versuchen. Aber es ist so alt wie die Maschine.“

Jake bemerkte erst jetzt ihr eingeklemmtes Bein. „Sie sind ja verletzt!“, rief er entsetzt. „Wieso haben Sie nichts gesagt?“

„Ihnen war anderes ja wichtiger, Mr Drummond.“

Der Blick aus seinen Augen war wie der von zersprungenem blauen Glas. „Kein Kommentar“, sagte er. „Sehen wir, was wir mit Ihrem Bein tun können.“

Er beugte sich so dicht über sie, dass seine Schulter ihre Brust streifte. Kelly nahm den Geruch nach feuchter Wolle, Leder und Aftershave wahr und versuchte, sich so eng wie möglich zurück an den Sitz zu pressen. Es war lange her, dass sie einen solchen Kontakt zu einem Mann gehabt hatte …

Sei nicht albern, ermahnte sie sich. Jake Drummond mochte wie die jüngere Ausgabe von Robert Redford aussehen, aber das Einzige, was zählte, war im Augenblick, wie sie hier wieder he­rauskamen!

Jake berührte ihr Bein dort, wo es aus dem verbogenen Metall hervorragte. „Wie fühlt es sich an?“

„Irgendwie taub, aber das Fußgelenk schmerzt bei jeder Bewegung.“

„Warten Sie …“ Er stemmte die Schulter zwischen Kelly und den verbogenen Steuerknüppel. Kelly starrte auf seine sonnengesträhnten Locken im braun gebrannten Nacken. Bestimmt spielte er Tennis. Oder er segelte. Im eigenen Boot. Mit einer schlanken Blonden in weißem Bikini. Vielleicht war das Ann, deren Namen er gemurmelt hatte …

„Au!“, schrie sie auf, als Jake sich an ihr vorbeidrückte und sich wieder in seinen Sitz hievte.

„Tut mir leid. Aber vielleicht weiß ich jetzt, wie wir Sie losbekommen. Haben Sie ein Stemmeisen?“

„Nein. Irgendwo muss ein Werkzeugkasten sein.“

Er begann hinter den Sitzen zu suchen. Kelly verbiss sich den Schmerz und sah ihm zu. Ja, er sah verdammt gut aus. Wie aus einem alten Western. Oder aus dem Fernsehen. Ein Mann, der sicher alles bekam, was er wollte.

Er fand den Kasten, aber kein passendes Werkzeug. „Vielleicht geht es mit einem Stock oder so“, sagte Kelly.

Er schwang sich aus der Maschine und sprang herunter.

Kelly versuchte, ruhig zu bleiben. Eine Bruchlandung im Busch gehörte fast zur Routine. Ihre Kollegen pflegten die dollsten Geschichten darüber zu erzählen. Ihr Großvater war in fünfzig Jahren Flugerfahrung mindestens ein dutzendmal runtergegangen.

Für Kelly war es das erste Mal, und ihr war nach Weinen zumute. Sie war so stolz auf ihr Können gewesen, aber kein erfahrener Pilot wäre bei Sturm gestartet, nicht einmal, wenn es um ein Millionengeschäft gegangen wäre! Außerdem war die Maschine ruiniert und ihre Großeltern sicher in heller Aufregung, weil sie sich nicht meldete.

Hilflos zog sie am eingeklemmten Bein … Der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen.

Jake ging um das Wrack herum, seine Stiefel versanken im morastigen Waldboden. Ihm kam es vor, als wäre er aus einer Raumkapsel gestiegen und auf einem fremden Planeten gelandet. Alles um ihn herum war grün. Das dicke, weiche Moos, die uralten Bäume …

Die Beaver lag da wie ein zerbrochenes Spielzeug. Die Tatsache, dass die Pilotin und er darin den Sturzflug überlebt hatten, grenzte an ein Wunder.

Trotz des Regens bestand womöglich Explosionsgefahr, vermutete er. Er musste Kelly schnell herausbringen, zumal sie offensichtlich starke Schmerzen hatte. Zuerst versuchte Jake es, mit einem Hammer, den er im Werkzeugkasten fand, im strömenden Regen eine verbogene Strebe vom Flugzeug abzuschlagen, um sie als Stemmeisen zu benutzen. Das ging nicht. Dann nahm er eine Metallsäge. Als er sich dabei am Daumen verletzt hatte, sah Kelly ihn erschrocken an. Schöne Augen, dachte er, grünbraun …

„Tut mir leid“, flüsterte sie. „Alles.“

„Entschuldigen Sie sich nicht, ich war derjenige, der auf dem Flug bestanden hat.“

„Aber ich hätte nicht nachgeben dürfen. Die Verantwortung liegt schließlich beim Piloten.“

„Jetzt können wir das nicht mehr ändern.“

„Stimmt.“ Kelly sank erschöpft in den Sitz zurück.

Jake machte sich wieder an die Arbeit. Nein, die Vergangenheit konnte man nicht mehr ändern. Als Ann starb, konnte er nicht mehr ändern, dass er während ihrer Ehe Tag für Tag sechzehn Stunden gearbeitet und ihr zu wenig Zeit gewidmet hatte. Dass er nicht rechtzeitig auf einer Untersuchung bestanden hatte, bei der die tödliche Krankheit vielleicht rechtzeitig entdeckt worden wäre. Nun konnte er nur noch allein weiterkämpfen, belastet von Schuld und Selbstmitleid.

Zwar konnte ihm niemand mehr vorwerfen, lebensabgewandt zu sein. Er hatte kurze Affären gehabt. Aber die frustrierten ihn nur. So betäubte er sich mit Arbeit.

Er dachte immer, er würde alles schaffen. Aber vaterlos und arm in Los Angeles aufgewachsen, hatte er nur Zeit für die Schule und für Teilzeitjobs gehabt und war auch nie bei den Pfadfindern gewesen, denen es ja beigebracht wurde, wie man in solchen und ähnlichen Situationen überlebte.

Nachdem er die Strebe endlich abgesägt hatte, war er schweißgebadet. Der Regen rann ihm in den Kragen, aber immerhin … er hatte einen Sieg errungen!

Kelly biss die Zähne zusammen gegen den pochenden Schmerz in ihrem Bein. Als Drummonds nasser Blondschopf schließlich in der Türöffnung erschien, war sie enorm erleichtert.

„Na, was hab ich gesagt?“ Triumphierend hielt er die Strebe hoch. „Gleich sind Sie befreit.“

„Mr Drummond, Sie können das falsche Lächeln lassen. Wir beide wissen, dass wir in der Patsche stecken.“

„Ganz wie Sie meinen. Es herrscht dichter Nebel. Sind Sie sicher, dass das Funkgerät nicht geht?“

Kelly verzog wieder schmerzhaft das Gesicht. „Ja, ich bin sicher. Nur hören Sie endlich auf zu reden, und holen Sie mich hier raus“, stöhnte sie.

„Ruhig halten.“

Kelly spürte wieder sein Gewicht auf ihren Schenkeln und hielt unwillkürlich den Atem an.

„Tut mir leid, ich tue Ihnen weh“, murmelte er.

„Nein, schon gut. Nur machen Sie schnell, bitte.“

Erneut legte er sein ganzes Gewicht in den Versuch, Kelly zu befreien. Er keuchte vor Anstrengung, und dann knirschte das Metall.

Plötzlich ließ der enorme Druck nach, und Kelly atmete auf: Ihr Bein war frei!

„Nicht bewegen!“, befahl er. „Wenn es gebrochen ist, könnten Sie es dadurch verschlimmern.“

Kelly bewegte vorsichtig die Zehen in ihren Lederstiefeln. „Es … es fühlt sich nicht gebrochen an!“

„Sondern?“ Sein feuchtes Hemd dampfte im Cockpit.

„Es … tut weh.“ Kelly verzog das Gesicht, als sie das Fußgelenk drehte. „Vermutlich ist es verstaucht.“

An ihrer Seite war die Tür verklemmt, und Kelly wollte auf der Passagierseite hinausklettern.

„Strecken Sie die Arme aus, dann helfe ich Ihnen herunter, und Sie können das Bein schonen.“

„Nein.“ Kelly scheute den Körperkontakt mit ihm. „Das schaffe ich schon allein.“ Sie stützte sich am Sitz ab und zog vorsichtig die Beine an den Fußpedalen und dem Gewirr von Schalthebeln vorbei, die durch den Aufprall verbogen waren.

Jake stand bereits unten. Mit spöttischer Miene beobachtete er, wie Kelly sich abmühte. „Vermutlich können Sie auch allein herunterspringen.“

Kelly sah besorgt zu Boden.

„Hände auf meine Schultern!“, befahl er. „Nun vorsichtig.“ Seine starken Hände schmiegten sich um Kellys Taille, dann hob er sie hoch und schwang sie aus der Öffnung.

Kelly klopfte das Herz. Wegen der Nähe eines Mannes, den sie kaum kannte? Meine Güte, es musste ihr ja schlechter gehen als gedacht! Sie zwang sich, seinem eisblauen Blick zu begegnen. „Sie können mich jetzt herunterlassen.“

Er atmete tief durch, ließ sie aber nicht los. „Ich lasse Sie erst runter, Miss Ryan, wenn wir eins klargestellt haben. Erstens: Hören Sie auf, so zu tun, als wäre ich hinter Ihrer Tugend her. Sie können mir vertrauen. Alles, was ich will, ist, rechtzeitig nach Juneau zu kommen.“

Kelly wurde rot. „Was zum Teu…“ Aber etwas in seinem Blick ließ sie einhalten.

„Zweitens: Ich übernehme alle Verantwortung für diesen Unfall. Meine Firmenversicherung wird die Kosten erstatten, auch die medizinischen. Drittens …“

„Es war genauso meine Schuld …“

„Seien Sie nicht albern. Soweit ich es beurteilen kann, haben wir es Ihrer Fähigkeit als Pilotin zu verdanken, dass wir lebend heruntergekommen sind. Drittens sitzen wir beide im selben Boot. Sie sind verletzt, und ich kenne mich in diesem Land nicht aus. Wir sind also voneinander abhängig. Und je eher wir dieses idiotische Machtspiel aufgeben und zusammenarbeiten, umso besser.“

Kelly dachte nach. Sein Angebot, für den Unfall zu zahlen, war mehr als fair. Zumal das Flugzeug ihrem Großvater gehörte. Und Drummond hatte recht … sie brauchten sich gegenseitig. „Ist das alles?“

„Ja.“ Er hielt sie nach wie vor in den Armen. „Waffenstillstand?“

Zögernd nickte Kelly. „Okay, Waffenstillstand.“

„Gut.“ Das klang, als hätte er einen geschäftlichen Punkt abgehakt. „Versuchen wir, einen trockenen Platz zu finden, um Ihr Bein zu untersuchen.“

Kelly blieb ans Flugzeug gelehnt stehen, während Jake im Innern nach einem Plastikcape und seiner Windjacke suchte. Der Regen hatte fast aufgehört, aber die Fichtenzweige waren tropfnass.

Komisches Mädchen, diese Kelly, dachte Jake, während er im Durcheinander herumwühlte. Nein, doch eher eine Frau, wenn man ihr Gesicht betrachtete, so fünfundzwanzig, sechsundzwanzig. Stolz, beharrlich und mit Männern offenbar unerfahren. Oder sie mochte ihn nicht. Wann immer er sie berührte, zuckte sie zurück.

Andererseits konnte er ihr das nicht verdenken, so wie er ihr gegenüber im Camp aufgetreten war. Wenn er nicht so stur gewesen wäre, wären sie jetzt in Sicherheit und er auf dem Weg zur Konferenz. Stattdessen war er nun im Nebel verloren, das Sea-Mar-Geschäft im Eimer, das Flugzeug ein Wrack, die Pilotin verletzt. Und wie sie in die Zivilisation zurückfinden sollten, war ein Rätsel. Eigentlich schuldete er Kelly Ryan eine Abbitte auf Knien. Eigentlich …

3. KAPITEL

Kelly zog den Poncho, den Jake im Flugzeug gefunden hatte, über, während er ihren Stiefel aufschnürte.

Die Beaver stand in der feucht-grünen Landschaft da wie ein zerdrücktes Insekt. Sie war vollständig zerstört, dachte Kelly bedrückt. Einige Teile könnten wiederverwendet werden, aber der Rest … Sie hatte in der Beaver Fliegen gelernt, und ihr war, als hätte sie einen Freund verloren. Tränen verschleierten ihren Blick, sie fühlte sich wie gelähmt.

Drummond dagegen handelte überlegen und aktiv. Als er ihr den Stiefel vom Fuß zog, schrie sie vor Schmerz auf.

„Tut mir leid“, murmelte er und hielt inne. „Ich wollte vorsichtig sein, aber …“

„Schon gut. Versuchen Sie es noch einmal.“

Jake probierte es erneut. Seine Hände waren braun gebrannt, die Nägel gepflegt. „Vielleicht sollten Sie den Stiefel anbehalten, sonst richten wir womöglich mehr Schaden an.“ Offensichtlich fürchtete er, ihr noch mehr wehzutun.

Der Mann mit dem Computerherz hatte also auch etwas Menschliches … „Nein, der Stiefel muss runter. Falls der Knöchel verstaucht ist, müssen wir ihn wickeln. Kommen Sie schon, ich werde nicht heulen.“

Millimeter für Millimeter lockerte er den Stiefel.

„So etwas haben Sie wohl noch nie getan, was?“, fragte Kelly.

„Eine Sturzlandung in der Wildnis von Alaska mit einer hübschen Pilotin?“ Er grinste. „Nein, wirklich nicht.“

Wieder war Kelly zutiefst verlegen. Drummond scherzte natürlich, sie war ja nicht hübsch, mit Stupsnase und Sommersprossen. „Ich meinte Erste Hilfe leisten.“

Er lachte. „Nun ja, wenn das hier in Seattle passiert wäre, würde ich Sie zur Notaufnahme ins Krankenhaus fahren. Geht es so?“

„Ja.“ Kelly schwieg. Small Talk wie in der Glitzerwelt, die Jake Drummond sicher gewohnt war, beherrschte sie nicht.

„Wer ist Ann?“, fragte sie unvermittelt, bereute das aber sogleich.

„Ich verstehe nicht …“

„Als Sie nach dem Absturz zu sich kamen, sagten Sie so etwas wie Ann.“

„Ann, ja. Das war meine Frau. Sie ist gestorben.“ Seine Stimme drückte aus, wie sehr er darunter noch litt.

„Das tut mir leid. Wann ist das passiert?“ Kelly hätte sich ohrfeigen können. Wieso ließ sie den armen Mann nicht zufrieden?

„Vor neunzehn Monaten. Sie war noch jung, erst dreißig.“ Er hatte Kelly den Stiefel ausgezogen und rollte nun die Socke herunter. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. „Uh, der Knöchel sieht nicht gut aus. Die Farben hätten Rembrandt gefallen.“

Kelly sah auf den geschwollenen Fuß. „Ich denke eher Picasso, in der blauen Periode. Übrigens …“ Sie verzog schmerzvoll das Gesicht. „Es tut mir leid, ich meine wegen Ihrer geschäftlichen Versäumnisse. Aber wir stecken hier nicht ewig fest. In zwei bis drei Tagen könnten wir es bis zur Küste schaffen und dort ein Boot finden oder sogar ein Flugzeug.“

Jake untersuchte behutsam den Fuß. „Ich bin kein Experte, aber er scheint nicht gebrochen zu sein. Es ist wohl eine Verstauchung.“

„Hören Sie, ich bin auf Admiralty aufgewachsen, kenne mich also in der Gegend gut aus und habe einen Kompass. Vielleicht kann ich uns trotz des Nebels zum Haus meiner Großeltern führen oder nach Angoon, falls das näher ist.“

Er schüttelte den Kopf. „Mit dem Fuß können Sie nicht laufen. Ich meine, wir bleiben hier und versuchen, das Funkgerät zu reparieren. Oder ein Signalfeuer zu entfachen. Irgendjemand wird uns schon finden.“

Kelly seufzte. „Bei dem Wetter fliegt niemand. Und selbst wenn, würde uns in dem Nebel niemand finden.“

„Wenn ich mit dem Funkgerät jemanden alarmieren könnte …“

„Ich kann es ja noch einmal probieren, aber hängen Sie nicht zu viel Hoffnung daran. Das Funkgerät ist alt, und Ersatzteile habe ich nicht.“ Kelly versuchte, mit dem Fuß aufzutreten.

„Nein, lassen Sie das!“ Er hielt sie an den Schultern fest. „Keine Bewegung, bis der Fuß gewickelt ist.“

Drummond schien sie nicht zu mögen. Oder er hatte Schwierigkeiten damit, Entscheidungen von einer Frau zu akzeptieren. Sein Problem. Aber hier war nicht Seattle. „Der Erste-Hilfe-Kasten befindet sich unter dem Pilotensitz.“

„Ich bin gleich zurück.“ Er eilte davon.

Kelly hockte sich stöhnend hin. Der Fuß schmerzte höllisch. Das mit dem Funkgerät würde nicht klappen. Das alte Ding hatte schon vor dem Absturz kaum funktioniert.

Es war kurz vor halb zwei. Wenn sie sich sogleich auf den Weg machten, könnten sie bis zum Dunkelwerden zehn Meilen schaffen. Mit dem Fuß würde es mühsam werden, aber mit einem Verband und einem Stock als Krücke könnte es gehen.

Aber noch etwas anderes machte ihr Sorgen. Als sie sich vor sieben Jahren die Seele aus dem Leib geweint hatte, hatte sie sich geschworen, sich nie wieder auf einen Mann zu verlassen. Und es war auch ganz gut allein gegangen. Nun auf einmal war die Gefahr wieder da. Jake Drummond war äußerst attraktiv, und die nächsten Tage würden sie allein sein und zusammen zelten …

Sie bedeutete ihm nichts, das war klar. Aber wenn ein Paar isoliert war, wenn sie nicht auf der Hut war, würde sie verwundbar sein. Das Risiko durfte sie nicht eingehen. Sich von der ersten Enttäuschung zu erholen hatte lange gedauert.

Kelly nahm sich vor, kühl und sachlich zu bleiben. Jake Drummond durfte kein Oberwasser bekommen.

Jake zog sich mühsam auf der abgestorbenen Tanne einen Ast weiter hinauf. Seit seinem vierzehnten Lebensjahr war er nicht mehr auf einen Baum geklettert, und es war viel schwieriger, als er in Erinnerung hatte. Wie schaffte Tarzan das nur, dachte er, als die Rinde sich schmerzhaft in seine Handflächen grub.

„Können Sie etwas sehen?“, rief Kelly, die unten auf einem moosbedeckten Felsen saß. Sie brauchten einen landschaftlichen Anhaltspunkt für den alten Kompass.

Jake hatte Zweifel, ob das Hochklettern sinnvoll war. „Einen Moment, ich muss noch etwas höher!“ Jake murmelte ein Gebet und kletterte weiter, ohne nach unten zu schauen.

„Das reicht!“, rief sie. „Was können Sie sehen?“

„Nur Bäume und Nebel!“

„Keine Berge? Kein Wasser?“

Autor

Elizabeth Lane
Immer auf der Suche nach neuen Abenteuern und guten Stories, hat Elizabeth Lane schon die ganze Welt bereist: Sie war in Mexiko, Guatemala, Panama, China, Nepal und auch in Deutschland, aber am wohlsten fühlt sie sich im heimatlichen Utah, im Westen der USA. Zurzeit lebt sie mit ihrer 18jährigen Katze...
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