Heimlich verliebt in den Chef

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Gina ist heiß verliebt in ihren gut aussehenden Chef Harry Breedon - ebenso heimlich wie hoffnungslos? Als sie ein attraktives Jobangebot erhält, lädt er sie überraschend zu einem Dinner bei Kerzenschein ein … Hat Harry nur Angst, seine beste Angestellte zu verlieren? Oder ist da mehr?


  • Erscheinungstag 27.10.2017
  • Bandnummer 0006
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709907
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich kann immer noch nicht fassen, dass du wirklich gehen willst. Die ganze Zeit habe ich gehofft, dass du es dir doch noch anders überlegst. Immerhin bist du schon ewig hier.“

Gina Leighton schmunzelte über den klagenden Tonfall ihrer jungen Kollegin Natalie. „Vielleicht gehe ich gerade deswegen. Weil ich schon ‚ewig‘ hier bin, wie du es ausdrückst.“

Dieses „Ewig“ waren erst elf Jahre, seit sie mit einundzwanzig die Universität verlassen hatte. Aber sie gehörte für Natalie offensichtlich zum Inventar der Landmaschinenfirma Breedon & Son, und so sahen es wohl auch alle anderen Mitarbeiter – vor allem er.

„Ich weiß genau, dass ich mit Susan nicht auskommen werde“, erklärte Natalie in trotzigem und zugleich kummervollem Ton. „Sie ist nicht wie du.“

„Du wirst es schon schaffen“, versuchte Gina sie aufzumuntern, auch wenn sie nicht völlig davon überzeugt war. In den vergangenen vier Wochen, während der Einarbeitung ihrer Nachfolgerin, hatte sie immer wieder gemerkt, dass diese Susan Richards keine Dusseligkeit duldete. Nicht, dass man Natalie als ausgemachten Dummkopf bezeichnen konnte. Allerdings war sie gelegentlich ein bisschen schwer von Begriff. Susan tat häufig ihren Unmut darüber kund und ignorierte die Tatsache, dass Natalie sehr fleißig war und keine Mühe scheute.

Doch das alles war nicht mehr Ginas Problem. Denn sie beabsichtigte, das Firmengelände in wenigen Stunden für immer zu verlassen. Darüber hinaus plante sie, schon am kommenden Wochenende von der Kleinstadt in Yorkshire, in der sie geboren und im Kreise von Familie und Freunden aufgewachsen war, nach London überzusiedeln. Neuer Job, neue Wohnung, kurz: Es erwartete sie ein neues Leben.

Sie deutete zu dem Stapel Papiere auf ihrem Schreibtisch. „Ich muss noch ein paar Sachen erledigen, bevor ich den Drinks und Knabbereien frönen kann.“ Ihr Chef gab am späten Nachmittag eine Abschiedsparty für sie, und sie wollte ihren Arbeitsplatz in tadellosem Zustand hinterlassen.

Natalie verzog sich wieder ins Vorzimmer, doch Gina blieb untätig sitzen und blickte sich in dem großen behaglichen Raum um. Seit sie vor vier Jahren zur Chefsekretärin aufgestiegen war, war dies ihr Reich. Durch die Beförderung waren Prestige wie Gehalt und somit auch ihr Selbstwertgefühl beträchtlich gewachsen. Und Dave Breedon war ein guter Vorgesetzter – ein netter Familienmensch mit einem Sinn für Humor, der ihrem entsprach. Aber er war ja auch nicht der Grund für ihr Ausscheiden.

„Kein Sinneswandel um fünf vor zwölf?“

Beim Klang der tiefen Stimme drehte Gina den Kopf zur Tür. „Natürlich nicht“, erwiderte sie äußerlich gefasst, obwohl ihr Herz raste. Schließlich besaß sie viel Übung darin, ihre wahren Gefühle für Harry Breedon, den einzigen Sohn und die rechte Hand ihres Chefs, zu verbergen. Ihre tiefblauen Augen täuschten gelassene Belustigung vor, als sie in das gebräunte markante Gesicht blickte. „Du hast doch wohl nicht im Ernst damit gerechnet, dass die Chance besteht, oder?“

Er zuckte die Schultern. „Darauf gehofft trifft eher zu.“

Ihr Atem beschleunigte sich, obwohl sie schon seit Langem wusste, dass sein Flirten absolut nichts zu bedeuten hatte. „Tut mir leid. Meine Koffer sind schon gepackt.“

„Dad ist am Boden zerstört.“ Harry schlenderte in den Raum, hockte sich auf die Schreibtischkante und fixierte Gina mit einem forschenden Blick aus rauchgrauen Augen.

Sie versuchte zu ignorieren, wie sich der Hosenstoff über seinen muskulösen Schenkeln spannte – und versagte kläglich. „Am Boden zerstört ist reichlich übertrieben. Trotzdem ist es schön zu wissen, dass er mich nicht gern gehen lässt. Aber Susan ist eine sehr fähige Nachfolgerin, wie du weißt.“

Susan Richards – blond, attraktiv und gebaut wie ein Mager-Model – entsprach genau Harrys Typ. In den letzten zwölf Monaten, seit er nach Großbritannien zurückgekehrt war, um seinen Vater nach dessen Herzanfall zu entlasten, kursierten Gerüchte über seine zahlreichen Eroberungen, die angeblich ausnahmslos blond und superschlank waren.

Gina hingegen besaß rote Haare. In der Schule war ihr daher der Spitzname „Karottenschopf“ verliehen worden. Sie selbst zog es vor, ihre leuchtenden Locken als tizianrot zu bezeichnen. Und ihre kurvenreiche Gestalt, zwar durchaus gefragt zu Zeiten von Marilyn Monroe, war inzwischen längst nicht mehr „in“.

Warum also war sie in Harry verliebt, obwohl sie all das wusste und er die Frauen wechselte wie andere Männer die Hemden? Über diese Frage dachte sie seit Monaten nach, ohne einer einleuchtenden Antwort näher zu kommen.

Herzensdinge beruhen nun mal nicht auf Logik.

Sie wusste nur, dass ihre Gefühle im Laufe der Bekanntschaft von schlichtweg überwältigender Lust zu einer verzehrenden unvergänglichen Liebe angewachsen waren. Für ihn hingegen war sie nur die Sekretärin, die er sich mit seinem Vater teilte. Zwar plauderte, lachte und flirtete er gern mit ihr, doch machte er das nicht auch mit jeder anderen Frau?

„Ich dachte, es hätte dir in London nicht gefallen, als du da studiert hast. Sagtest du nicht vor einiger Zeit, dass du es nicht erwarten konntest, wieder nach Hause zu kommen.“

Gina runzelte die Stirn. „Ich habe gesagt, dass ich mich darauf gefreut habe, wieder nach Hause zu kommen“, korrigierte sie ruhig. „Das heißt nicht, dass mir die Stadt nicht gefallen hat.“

Harry musterte sie einen Moment schweigend, bevor er aufstand und nüchtern sagte: „Tja, es ist deine Entscheidung. Ich hoffe nur, dass du es nicht irgendwann bereust. In einer Großstadt kann man sich sehr einsam fühlen.“

„Wenn man niemanden kennt, ja. Aber viele meiner ehemaligen Kommilitonen leben in London. Also ist das kein Problem. Und ich wohne nicht allein, sondern teile mir das Apartment mit einer anderen Frau.“

Sie erwähnte lieber nicht, dass ihr nicht ganz wohl dabei war. Seit sechs Jahren lebte sie allein – in einer kleinen, wunderschön gelegenen Wohnung im Obergeschoss eines großen Hauses am Stadtrand, mit Blick auf den Fluss. Seit dem Auszug aus ihrem Elternhaus genoss sie es sehr, eine eigene Bleibe ganz für sich zu haben, niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen, an den Wochenenden ganz nach Gutdünken aufstehen und essen zu können, wann es sie gerade gelüstete. Doch in London waren die Mieten wesentlich höher als in Yorkshire, und obwohl ihr neuer Job gut dotiert war, konnte sie sich keine eigene Unterkunft leisten.

„Vergiss nicht, deine neue Adresse dazulassen.“ Harry war bereits auf dem Weg zur Tür. „Vielleicht schaue ich mal bei dir vorbei, wenn ich für ein paar Tage in London bin, und hau mich auf deinem Sofa aufs Ohr.“

Nur über meine Leiche! „Okay“, sagte sie gelassen und wünschte dabei insgeheim, sie könnte ihn hassen. Denn dann müsste sie nicht umsiedeln.

Doch das entsprach nicht ganz den Tatsachen. Schon bevor sie sich in Harry verliebt hatte, war ihr bewusst geworden, dass sie in einen Trott geraten war und mehr aus ihrem Leben machen musste. Ihre beiden Schwestern und die meisten ihrer Freunde waren inzwischen verheiratet und hatten Kinder; der Umgang mit ihnen war dadurch nicht mehr so intensiv wie früher.

In dem Jahr vor Harrys Rückkehr nach Yorkshire war Gina selten ausgegangen. Denn die einzigen Männer in der Gegend waren total langweilig, von sich eingenommen oder verheiratet und nur auf der Suche nach ein bisschen Abwechslung vom Ehealltag. Sie hatte sich schon wie eine alte Jungfer gefühlt, die ganz in ihrer Arbeit, der Wohnung und der Rolle als Patentante für anderer Leute Kinder aufging.

Sie starrte auf die Tür, die soeben hinter Harry ins Schloss fiel. Ihre Freunde hielten sie für allzu wählerisch. Vielleicht stimmte das. An Angeboten mangelte es ihr sicherlich nicht. Doch es widerstrebte ihr, sich bemühen zu müssen, um Zuneigung zu einem Mann zu fassen. Entweder funkte es auf Anhieb oder nicht. Außerdem wollte sie nicht unbedingt eine Familie gründen. Worauf sie vielmehr Wert legte, war ein interessantes und aufregendes Privatleben mit Besuchen in Nachtklubs, Theatern und guten Restaurants in angenehmer Gesellschaft. Schließlich war sie erst zweiunddreißig! Die Großstadt lockte.

Wenn er auch nur einen Hauch von Interesse bekundet hätte …

Da dem nicht so war, blieben Unternehmungen wie auch Zweisamkeit im „trauten Heim“ mit behaglichen Stunden vor dem Kaminfeuer und Sonntagsfrühstück im Bett wohl ein unerfüllter Wunschtraum.

Gina schluckte den Kloß in der Kehle hinunter. Sie hatte bereits zu viele Tränen um Harry vergossen. Wie schwer ihr das Abschiednehmen auch fallen mochte, es war aus reinem Selbstschutz unumgänglich. Das wusste sie seit jenem Kuss zu Weihnachten, der für ihn nichts weiter bedeutete als ein rein freundschaftlicher Kuss auf die Wange. Sie dagegen war durch seine Nähe, die Berührung seiner Lippen, den betörenden Duft seines Aftershaves für Stunden aus der Fassung geraten.

Doch dann, am zweiten Weihnachtstag, bei einem Spaziergang mit den Hunden ihrer Eltern auf den verschneiten Feldern am Stadtrand, hatte sie ihn in der Ferne mit seiner damals gerade angesagten Blondine gesehen. Hinter einem Baum versteckt, hatte Gina gebetet, nicht entdeckt zu werden.

Diese bittersüßen Episoden hatten sie zu der Entscheidung gezwungen, ihr Leben zu ändern. Da sie nicht masochistisch veranlagt war, reichte es nicht, nur bei Breedon & Son zu kündigen. Sie musste aus der Stadt verschwinden, damit nicht länger die Gefahr bestand, Harry und seinen „Gespielinnen“ unverhofft über den Weg zu laufen.

Inzwischen war es Anfang April geworden. Vor wenigen Tagen war der Frühling mit aller Macht gekommen. Krokusse und Osterglocken blühten, Vögel bauten Nester. Überall keimte neues Leben. Und so musste Gina die Situation betrachten: als Chance zu einem neuen Leben, nicht als den Anfang vom Ende.

Dennoch begab sie sich am Nachmittag mit einem klammen Gefühl in die Kantine. Es rührte sie, dass sich ihr zu Ehren über hundert Kollegen – fast die gesamte Belegschaft von Breedon & Son – einfanden und ihr ein Navigationssystem zum Abschied schenkten.

„Damit Sie hin und wieder den Weg zurück zu uns finden“, scherzte der Hauptbuchhalter Bill Dent, der ihr das Präsent überreichte.

Sie stand in dem Ruf – nicht zu Unrecht –, dass es ihr an Orientierungssinn mangelte. Daher war sie in den letzen Wochen ständig damit gehänselt worden, wie sie sich in einer Großstadt zurechtfinden wollte.

Mit Tränen in den Augen hielt sie eine kleine Dankesrede. Dabei bemühte sie sich redlich, die große dunkle Gestalt zu ignorieren, die ein wenig abseits vom Pulk stand. Und doch beobachtete sie Harry verstohlen aus den Augenwinkeln und war sich jeder seiner Bewegungen überdeutlich bewusst. So entging ihr auch nicht, dass Susan Richards dicht zu ihm trat, sich auf Zehenspitzen stellte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.

Alles in allem erleichterte es Gina, dass sich die Zusammenkunft nach einer guten Stunde aufzulösen begann. Eine unerwiderte Liebe war an sich schon schlimm. Auch noch beobachten zu müssen, wie das Objekt der Begierde von einer unleugbar attraktiven Nebenbuhlerin umgarnt wurde, war geradezu unerträglich.

Als nur noch eine Handvoll Kollegen da war, zog Gina sich in ihr Büro zurück, um ihre letzten Habseligkeiten zu holen. Sie sank auf den Stuhl, blickte sich im Raum um und fühlte sich mit einem Mal unendlich sentimental.

Einen Moment später trat Dave ein, gefolgt von Harry, und sagte kopfschüttelnd: „Gucken Sie doch nicht so kummervoll! Niemand zwingt Sie zu gehen. Ich habe Ihnen oft genug gesagt, dass Sie uns nicht verlassen sollen. Wir alle halten große Stücke auf Sie.“

Leider nicht alle. Sie zwang sich zu lächeln und entgegnete mit fester Stimme: „Es zieht mich nun mal in die große weite Welt, und die Devise lautet: jetzt oder nie. Dass mir der Abschied nicht leichtfällt, war von vornherein klar.“

„Da wir gerade bei dem Thema sind …“ Dave holte eine kleine rechteckige Geschenkschatulle aus der Tasche. „Das ist ein persönliches Dankeschön. Es ist nicht geschmeichelt, wenn ich Ihnen sage, dass Sie die beste Sekretärin waren, die ich je hatte. Es ist die reine Wahrheit. Falls London Sie enttäuscht, bekommen Sie bei Breedon & Son immer einen Job.“

„Das ist sehr lieb.“ Gina öffnete die Verpackung und erblickte eine zierliche goldene Armbanduhr. „Vielen Dank! Ich hätte nicht gedacht …“ Ihre Stimme versagte vor Rührung.

Dave reagierte mit sichtlichem Unbehagen auf die Gefühlsanwandlung. Er besaß die typisch nüchterne unverblümte Mentalität der Bewohner von Yorkshire, und er war stolz darauf. „Harry hat sie ausgesucht. Ich wollte Ihnen einen Scheck geben – meiner Ansicht nach viel praktischer. Aber er meint, Sie freuen sich mehr über etwas, das Sie an Ihre Zeit hier bei uns erinnert, und ihm ist aufgefallen, dass Sie Ihre alte Uhr seit einigen Tagen nicht mehr tragen.“

„Sie ist kaputt.“

„Nun denn.“ Dave verbarg nicht, dass er diesen für ihn peinlichen Moment schnell hinter sich bringen wollte. „Vergessen Sie nicht, bei uns vorbeizuschauen, wenn Sie Ihre Eltern besuchen kommen. In Ordnung? Ich muss jetzt gehen. Meine bessere Hälfte und ich gehen heute zum Dinner aus.“ Er wandte sich an Harry. „Schließt du bitte die Büros ab?“

„Auf Wiedersehen, Mr. Breedon.“ Gina stand auf, um ihrem Chef die Hand zu schütteln. Er war von der alten Schule und hielt nichts von mondänen Nettigkeiten wie Umarmungen und Küsschen, doch ganz impulsiv küsste sie ihn zart auf die Wange, bevor sie sich wieder setzte.

Er räusperte sich. „Passen Sie auf sich auf“, mahnte er schroff, bevor er durch die Tür verschwand.

Stille herrschte, während Gina die restlichen Papiere vom Schreibtisch räumte. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

Gib dich cool. Bleib ganz ruhig und sachlich. Du wusstest doch, dass dieser Moment kommt.

Das schon, antwortete eine innere Stimme, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass wir allein sind, wenn ich ihm Lebewohl sagen muss.

„Dein Auto steht heute gar nicht auf dem üblichen Platz.“

Überrascht hob sie den Kopf und blickte Harry zum ersten Mal, seit er den Raum betreten hatte, direkt ins Gesicht. Er lehnte an der Wand, die Hände in die Hosentaschen gestopft, die Augenlider halb gesenkt, mit unergründlichem Blick. Sein Talent, nichts von seinen Gedanken und Gefühlen preiszugeben, war ihr schon zu Beginn ihrer Bekanntschaft aufgefallen. Diese Fähigkeit war vermutlich ein wesentlicher Faktor für seine beruflichen Erfolge, zunächst in Deutschland und Österreich, dann in den Staaten.

Angeblich hatte er einen extrem hoch dotierten und einflussreichen Posten in einem bedeutenden pharmazeutischen Konzern aufgegeben, als er zurückgekehrt war, um seinem Vater beizustehen. Das wusste sie allerdings nur von Dave. Harry selbst sprach von sich aus nie über seine Vergangenheit und antwortete nur sehr einsilbig auf diesbezügliche Fragen.

„Mein Auto?“ Gina versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Es fiel ihr nicht leicht in seiner überwältigenden Gegenwart. „Ich wusste, dass ich etwas trinken würde, und habe deshalb beschlossen, mir heute ein Taxi zu gönnen.“

„Das brauchst du nicht.“ Er richtete sich auf. „Ich fahre dich nach Hause.“

Bloß das nicht!, dachte sie, denn er fuhr einen schnittigen Sportwagen, der abging wie eine Rakete und eine wahrhaft sinnliche Verführung auf Rädern darstellte. „Danke, aber das ist nicht nötig. Es ist die falsche Richtung für dich.“

„Es ist ein schöner Frühlingsabend, und ich habe nichts anderes vor. Ich habe alle Zeit der Welt.“

„Nein, wirklich nicht. Ich fühle mich schlecht, wenn ich dir so viele Umstände mache.“

„Ich bestehe darauf.“

„Und ich bestehe darauf, ein Taxi zu nehmen“, beharrte Gina. Sie konnte genauso starrsinnig sein wie er. Denn zu groß war die Gefahr, ihm ihre Gefühle zu verraten und sich damit unsterblich zu blamieren.

„Sei nicht albern.“ Harry durchquerte den Raum, hockte sich auf den Schreibtisch – eine feste Angewohnheit – und hob ihr Kinn. Er blickte ihr in die Augen und sagte sanft: „Du bist ganz verstört wegen des Abschieds, und das ist ja auch kein Wunder. Du bist praktisch schon seit der ersten Stunde hier. Ich kann dich unmöglich im Stich lassen und an ein anonymes Taxi abschieben.“

Der Ausdruck „seit der ersten Stunde“ gefiel ihr ganz und gar nicht. Das klang ja, als wäre sie so alt wie Methusalem! Noch mehr missfiel ihr, dass seine Berührung ein wundersames Kribbeln in ihrem Bauch verursachte. Steif entgegnete sie: „Du lässt mich nicht im Stich. Es ist meine eigene Entscheidung.“

„Eine schlechte Entscheidung, und deshalb bin ich voll berechtigt, sie zu überstimmen.“ Er stand auf und ging hinaus. „Ich hole nur schnell meine Jacke.“

„Harry!“, rief sie ihm ungehalten nach.

Grinsend steckte er den Kopf zur Tür herein. „Ja, Gina?“

„Das ist ja lächerlich“, murrte sie. Und es war gefährlich für sie.

„Hör auf zu maulen und pack deine Sachen zusammen“, riet er und wandte sich erneut ab.

Eine Minute später kam er zurück und nahm ihr das Navigationssystem ab.

„Nimm meine Schlüssel auch gleich an dich.“ Sie reichte ihm den dicken Bund, der unter anderem Zugang zu sämtlichen vertraulichen Akten gewährte. „Ich wollte ihn eigentlich Susan geben. Leider bin ich nicht dazu gekommen.“ Weil diese Susan vollauf beschäftigt war, dir schöne Augen zu machen.

Kommentarlos steckte Harry die Schlüssel ein.

Auf dem Weg zum Lift sagte sie leise: „Danke für die Uhr. Sie ist wirklich sehr schön.“

„Gern geschehen. Was Dad zu dir gesagt hat, war ernst gemeint. Die Uhr ist von uns beiden. Du warst unübertrefflich nach seinem Herzinfarkt. Du hast hier die Stellung gehalten und endlose Überstunden eingelegt, damit ich mich einarbeiten konnte. Ohne dich hätte ich es nicht gepackt, Gina.“

„Das hätte doch jeder getan.“

„Das stimmt nicht.“ Sanft, in verführerisch rauem Ton fügte er hinzu: „Ich möchte mich dafür bedanken.“

In den Fahrstuhl passten mindestens zwölf Personen, doch plötzlich wirkte er zu klein für zwei. Sie fing eine dezente Wolke Aftershave auf und sog sie begierig ein. Sie bot all ihre Willenskraft auf und sagte gelassen: „Das ist nicht nötig. Ich habe nur meinen Job gemacht. Trotzdem ist es schön zu wissen, dass meine Leistung geschätzt wird.“ Sie zwang sich zu lächeln und atmete insgeheim erleichtert auf, als sich der Lift im Foyer öffnete.

Im Auto wuchs ihre Anspannung wie erwartet erneut. Der Innenraum – ganz in schwarzem Leder gehalten und mit hypermodernem Armaturenbrett ausgestattet – wirkte faszinierend, doch es war allein Harrys Nähe, die ihr den Atem verschlug. „Ein schönes Auto“, bemerkte sie mit rauer Stimme. Die Untertreibung des Jahres. „Ein Spielzeug für richtige Jungs?“

Lächelnd wandte er ihr den Kopf zu. Er war ihr so nahe, dass sie jede einzelne Bartstoppel an seinem Kinn erkennen konnte, obwohl die Abenddämmerung bereits angebrochen war. „In den Staaten hatte ich auch so ein Auto. Ich liebe eben rasante Schlitten.“

Und zweifellos rasante Frauen. Sie nickte bedächtig. „Es muss dir schwergefallen sein, Amerika zu verlassen.“

„Das stimmt.“ Er startete den Motor. „Was ist mit Dinner?“

„Wie bitte?“

„Dinner“, wiederholte er geduldig. „Oder hast du andere Pläne? Ich dachte, es wäre ein netter Weg, deine Zeit bei Breedon abzurunden. Ein kleines Dankeschön.“

„Du hast mir doch schon mit der Uhr gedankt“, wandte sie ein und hoffte, dass er ihre Aufregung nicht merkte.

„Das war ein gemeinsamer Dank. Das Dinner kommt nur von mir.“

Es war nicht ratsam, die Einladung anzunehmen. Wie sollte Gina es schaffen, einen ganzen Abend lang ihre Gefühle zu verbergen und sich freundschaftlich zu geben, während allein sein Anblick ihre Knie weich werden ließ? Andererseits war es die einzige und allerletzte Chance, Zeit in seiner Gesellschaft zu verbringen. Ihr blieben nur noch zwei Tage, um alles zu regeln, bevor sie endgültig nach London aufbrach.

„Meine anderen Pläne bestehen darin, die Wohnung von Grund auf zu reinigen“, gab sie matt zu. „Das kann gern warten.“

„Gut. Nicht weit von meinem Haus ist ein ausgezeichnetes kleines italienisches Restaurant. Magst du die italienische Küche?“

„Ich liebe sie.“

„Ich reserviere uns einen Tisch.“ Er holte sein Handy heraus und tippte eine Nummer ein. „Roberto?“, fragte er, gefolgt von raschem Italienisch.

Es war ihr neu, dass er diese Sprache beherrschte, doch es wunderte sie nicht.

„Das wäre geklärt.“ Harry lächelte sie an. „Acht Uhr. Ist es dir recht, wenn wir vorher kurz bei mir zu Hause vorbeifahren? Ich möchte mir ein frisches Hemd anziehen.“

Bei ihm zu Hause … Ich werde sehen, wo und wie er lebt, und kann ihn mir in den kommenden Wochen und Monaten in seiner Wohnung vorstellen …

Die Idee war vermutlich gar nicht gut, aber äußerst verlockend. „Kein Problem“, sagte sie äußerlich gefasst, und schon startete er den kraftvollen Motor und sauste viel zu schnell vom Parkplatz.

Sie musterte seine Hände auf dem Lenkrad – große, kräftige, maskuline Hände. Wie mochte es sich anfühlen, wenn sie jeden Zentimeter ihres Körpers berührten, ihre intimsten Zonen erforschten, zusammen mit Lippen und Zunge?

„… Eltern besuchen kommst.“

„Wie bitte?“ Gina war derart in ihre schockierend erotischen Fantasien verstrickt, dass sie lediglich den Schluss seiner Bemerkung wahrgenommen hatte. Sie errötete heftig – leider aufgrund ihres hellen Teints unübersehbar. „Ich habe gerade daran gedacht, wie nett heute alle waren“, behauptete sie spontan.

„Natürlich waren sie nett. Du bist sehr beliebt.“

Sie wollte nicht beliebt sein. Sie wollte eine superschlanke Sirene mit langen blonden Haaren und Schlafzimmerblick sein, die sein Herz im Sturm zu erobern vermochte.

„Ich habe gesagt, dass wir in Kontakt bleiben und uns gelegentlich zum Lunch treffen sollten, wenn du deine Eltern besuchen kommst“, wiederholte er. „Du bist für mich eine gute Freundin, Gina. Ich hoffe, du weißt das.“

Autor

Helen Brooks
Bereits seit über 20 Jahren veröffentlicht die britische Autorin unter dem Pseudonym Helen Brooks Liebesromane, unter ihrem richtigen Namen Rita Bradshaw schreibt sie seit 1998 historische Romane. Weit über 40 Bücher sowie einige andere Werke sind bisher unter dem Namen Helen Brooks erschienen, von Rita Bradshaw gibt es 14 Romane....
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