Heiß geküsst vom Playboy-Doc

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Für Schwester Rose ist die Arbeit mit High-Society-Arzt Dr. Cavendish eine echte Herausforderung. Ob im Helikopter, auf einem Anwesen oder einer Jacht: Jonathan ist immer lässig-elegant - und Rose zutiefst verunsichert! Bis sein Kuss ihr verrät: Ich glaube an dich …


  • Erscheinungstag 21.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715939
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Rose stieß einen leisen Pfiff aus, als sie sich in dem Empfangsbereich der Praxis umsah. So etwas hatte sie bisher noch nicht erlebt. Anstatt der üblichen Hartplastikstühle, zerlesenen Zeitschriften und verstaubten Pflanzen gab es hier tiefe Ledersessel, jede Menge Hochglanz-Magazine sowie geradezu bombastische Blumenarrangements. Rose musste niesen, da ihr die Pollen der Lilien mit ihrem schweren Duft in die Nase stiegen. Die mussten auf jeden Fall weg. Sonst würde sie die ganze Zeit mit einer Triefnase hinter dem eleganten Tresen aus gemasertem Eichenholz sitzen.

Sie zog ein Taschentuch aus der Schachtel auf dem Tisch, schnaubte sich vernehmlich und nahm die Liste zur Hand, die Mrs Smythe-Jones für sie dagelassen hatte. Es handelte sich um Dr. Cavendishs Terminkalender, der nicht allzu anstrengend aussah. An drei Vormittagen die Woche hatte er Sprechstunde, und zwei Nachmittage waren für Hausbesuche eingeplant. Das war’s. Offenbar stand Dr. Cavendish kurz davor, die Praxis zu schließen und in den Ruhestand zu gehen. Das Bild eines älteren Mannes mit silbergrauem Haar, einer aristokratischen Nase und einem Zwicker schoss Rose durch den Kopf.

Abgesehen von dem Terminkalender hatte Mrs Smythe-Jones ihr freundlicherweise auch eine Liste von Dr. Cavendishs Vorlieben und Abneigungen aufgeschrieben. Dazu gehörte eine Tasse Kaffee aus dem Kaffeebereiter, schwarz, ohne Zucker, serviert in einer Porzellantasse, zu finden in dem Küchenschrank über der Spüle. Und ein Vollkornkeks aus dem Fach links neben dem Geschirrschrank. Den Patienten sollte auf einem Tablett Tee – ausschließlich loser Tee in einer Teekanne –, Kaffee oder auch stilles oder kohlensäurehaltiges Mineralwasser aus dem Kühlschrank angeboten werden.

Der erste Patient, ein L.S. Hilton, wurde erst um neun Uhr dreißig erwartet. Rose hatte also reichlich Zeit, sich vorher ausgiebig umzuschauen. Die Putzfrau, die sie vorhin hereingelassen hatte, war verschwunden. Doch von weiter hinten hörte man das Geräusch eines Staubsaugers.

Es gab zwei Sprechzimmer, die beide größer waren als die meisten Wohnzimmer, die Rose kannte. Sie waren ausgestattet mit der üblichen Untersuchungsliege und einem Wandschirm, einem Waschbecken, Schreibtisch, zwei Sesseln sowie einem Zweisitzer-Sofa in der Fensternische. An den Wänden hingen Landschaftsgemälde. In dem einen Zimmer eher traditioneller Art, in dem anderen modern und bunt, was mit den antiken Möbeln nicht so ganz harmonierte.

Rose trat näher heran, um die Bilder genauer zu betrachten. Der Maler besaß jedenfalls ein sicheres Auge und liebte Farben. Im Gegensatz zu den beschaulichen Landschaftsszenen nebenan waren diese Bilder mit kühnem Pinselstrich gemalt worden und zeigten wilde, stürmische Motive, die von Leidenschaft und Trauer zeugten. Wer diese Gemälde ausgesucht hatte, war ein Mensch mit einem ungewöhnlichen Geschmack.

Ein höfliches Hüsteln ertönte hinter ihr, und Rose fuhr herum. An der Tür stand ein Mann Ende zwanzig, der einen sehr formellen Anzug mit Krawatte und schwarze, auf Hochglanz polierte Schuhe trug. Das hellbraune, etwas zu lange Haar fiel ihm in die Stirn. Er hatte ein schmales Gesicht mit einer geraden Nase, und über den auffallend grünen Augen wölbten sich dunkle Brauen. Der breite Mund mit den nach oben gerichteten Mundwinkeln wirkte, als würde dieser Mann oft und gerne lachen.

„Verzeihung“, entschuldigte Rose sich. „Sie wollen sicher zum Doktor. Ich habe Sie nicht hereinkommen hören.“ Dummerweise konnte sie sich nicht mehr an den Namen des ersten Patienten erinnern.

„Und Sie sind?“ Er sprach leise mit einem leichten Unterton von Verwunderung.

„Ich bin Rose Taylor, die Vertretung für die Sprechstundenhilfe.“ Sie ging auf die Tür zu, aber der Mann rührte sich nicht vom Fleck.

„Wo ist Tiggy? Ich meine Mrs Smythe-Jones.“

„Sie ist nicht da. Wenn Sie jetzt bitte im Wartezimmer Platz nehmen würden? Dann suche ich sofort Ihre Patientenakte heraus.“

„Meine Patientenakte?“ Sein Lächeln vertiefte sich. „Verstehe. Ich könnte nicht zufällig eine Tasse Kaffee bekommen, solange ich warte?“

„Selbstverständlich“, antwortete Rose sofort. „Ich stelle gleich den Wasserkocher an.“

Als sie mit einem Tablett aus der Küche zurückkam, saß der Unbekannte auf ihrem Stuhl, die Arme hinter dem Nacken verschränkt, die langen Beine auf dem Schreibtisch.

„Entschuldigen Sie, Sir.“ Es kostete Rose Mühe, höflich zu bleiben. „Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass Sie im Wartezimmer Platz nehmen.“

Allmählich ärgerte der Kerl sie. Er tat ja gerade so, als würde ihm der Laden gehören. Aber an ihrem ersten Tag wollte sie keinen großen Wirbel veranstalten. Sie brauchte diesen Job. Er war ausgesprochen gut bezahlt, und die Arbeitszeit so flexibel, dass Rose genügend Zeit blieb, sich um ihren Vater zu kümmern. Vielleicht benahmen sich hier alle Patienten so? Immerhin war die Harley Street berühmt für ihre Privatpraxen. Trotzdem fand sie es unverschämt von dem Kerl, sie in eine solch unangenehme Lage zu bringen. Was wäre, wenn ihr Chef hereinkam und feststellte, dass sie einem Patienten gestattet hatte, ihren Platz einzunehmen? Das würde Dr. Cavendish wohl kaum gefallen.

Der Mann sprang auf, nahm ihr das Tablett ab und stellte es auf den Schreibtisch. Er sah die einzelne Tasse und hob fragend die Augenbrauen. „Was ist mit Ihnen? Wollen Sie nicht auch einen Kaffee?“

Rose zwang sich zu einem Lächeln. „Nein, danke.“ Rasch setzte sie sich auf ihren Stuhl, ehe er ihn wieder besetzen konnte. „Also, wie sagten Sie noch, war Ihr Name?“

„Jonathan.“ Er streckte ihr die Hand entgegen. „Jonathan Cavendish.“

„Sie sind mit Dr. Cavendish verwandt?“

Sein Lächeln wurde noch breiter. „Ich bin Dr. Cavendish.“

Rose schrak zusammen. „Aber Sie sind so jung“, stammelte sie. Sofort spürte sie, wie ihre Wangen heiß wurden. Was für eine blöde Bemerkung.

Er wirkte erstaunt. „Siebenundzwanzig, wenn Sie es genau wissen wollen. Und wie alt sind Sie?“ Dr. Cavendish musterte sie von oben bis unten. „Nein, sagen Sie nichts. Fünfundzwanzig?“

„Sechsundzwanzig“, gestand sie widerstrebend. Er amüsierte sich über sie, und das machte sie verlegen. „Mein Name ist Rose Taylor. Die Agentur hat mich geschickt, um so lange auszuhelfen, bis Ihre Sprechstundenhilfe wieder da ist.“

„Was sagten Sie, wo ist Mrs Smythe-Jones? Mir hat sie jedenfalls nichts davon erzählt, dass sie in Urlaub geht.“

„Ich glaube nicht, dass sie im Urlaub ist.“ Wusste der Mann denn gar nichts über seine Angestellten? „Anscheinend gab es einen Notfall mit ihrer Schwester. Sie hat am Freitag bei der Zeitarbeitsagentur angerufen und eine Vertretung angefordert.“

Jonathan machte eine besorgte Miene. „Ich weiß, dass es ihrer Schwester nicht gut ging. Am Wochenende war ich Ski fahren und hatte dort keinen Handy-Empfang.“ Er nahm sein Mobiltelefon aus der Tasche. „Immer noch keine Nachricht. Ich rufe sie gleich nach der Sprechstunde an.“ Er klappte das Handy zu. „Okay, nachdem wir das geklärt haben: Wer ist der erste Patient?“

Rose konnte noch immer kaum fassen, dass er ihr Chef war.

Als hätte er ihre Gedanken erraten, erklärte Jonathan: „Es gibt noch einen anderen Dr. Cavendish, meinen Onkel. Er hat sich letztes Jahr zur Ruhe gesetzt, und ich habe die Praxis übernommen.“

Sie schaute auf den Terminkalender. „Sie haben heute Morgen drei Patienten.“ Nur drei! Und für jeden war eine halbe Stunde eingeplant. In der Praxis, in der sie sonst arbeitete, konnten sich die Patienten glücklich schätzen, wenn sie zehn Minuten bei den völlig gestressten und überarbeiteten Ärzten bekamen. Also war Dr. Cavendish entweder nicht besonders gut und niemand wollte sich von ihm behandeln lassen, oder er zog es vor, nicht allzu hart zu arbeiten. Doch das ging sie nichts an. „Heute Nachmittag sind noch zwei Hausbesuche vorgesehen. Mehr hat Mrs Smythe-Jones nicht eingetragen. Es sei denn, es gibt noch eine andere Patientenliste.“

Suchend blickte Rose sich um. Nein, außer diesem eleganten, ledergebundenen Terminkalender konnte sie nichts entdecken. Da fiel ihr Blick auf den Computer. Rasch schaltete sie ihn an. „Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich. „Da drin verbirgt sich wohl die andere Liste. Sobald ich den PC hochgefahren habe, kann ich Ihnen genau sagen, wer für heute eingeplant ist.“

Wieder lächelte Dr. Cavendish. „Da werden Sie nichts finden. Ich fürchte, Mrs Smythe-Jones hält nicht viel von Computern. Sie benutzt den PC ausschließlich zum Briefeschreiben. Mehr als den Terminkalender da vor Ihnen gibt es nicht.“ Er stand auf und rückte sich die ohnehin tadellos sitzende Krawatte zurecht. „Drei Patienten klingt korrekt. Wenn der erste kommt, drücken Sie einfach auf diesen Summer.“ Er lehnte sich über den Schreibtisch, wobei Rose den Duft eines sehr exklusiven Aftershaves wahrnahm.

Jonathan richtete sich auf und zeigte auf einige Aktenschränke aus Eichenholz. „Die Unterlagen sind dort verwahrt. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden? Vicki, unsere Krankenschwester, kommt sicher gleich. Sie wird Ihnen alles Weitere erklären.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand er in seinem Sprechzimmer und schloss die Tür hinter sich.

Die Putzfrau kam herein und nahm das Tablett vom Schreibtisch. „Seine Lordschaft ist also da? Ich bin übrigens Gladys“, sagte sie.

Seine Lordschaft? Das ist aber keine sehr respektvolle Art, von seinem Chef zu sprechen, dachte Rose.

Gladys lachte. „Sie haben keine Ahnung, wovon ich rede, Schätzchen, oder? Seine Lordschaft? Jonathan? Der Ehrenwerte Jonathan Cavendish?“

Wow, sie arbeitete also für einen Adligen. Fragend wies Rose mit dem Kopf auf die Tür des Sprechzimmers.

„Sie haben’s erfasst. Gut, das wär’s dann für heute, meine Liebe.“ Gladys schlüpfte in ihren Mantel. „Ich mach mich auf den Heimweg. Die Schwester kommt gleich. Bis morgen.“

Wie betäubt saß Rose an ihrem Schreibtisch. Als eine gestresste Mitarbeiterin der Agentur am Freitagnachmittag bei ihr angerufen hatte, war Rose heilfroh gewesen, für die folgenden Wochen einen Job in Aussicht zu haben. So hatte sie sich nicht näher nach der Praxis erkundigt.

„Es ist für mindestens vier, wahrscheinlich sogar fünf Wochen“, hatte die Frau ihr mitgeteilt. „Bitte sagen Sie Ja. Das sind neue Klienten von uns, und wir möchten sie wirklich gerne behalten. Es handelt sich um die übliche medizinische Sekretariatsarbeit, inklusive Anmeldung und vermutlich auch ein bisschen Betreuung. Für jemanden mit Ihrer Erfahrung ist das ein Kinderspiel.“

Rose kam das Angebot wie gerufen. Nachdem ihr Vater einen Schlaganfall erlitten hatte, hatte sie sich entschlossen, sich von ihrem Job in Edinburgh beurlauben zu lassen, um ihrer Mutter beizustehen. Ihre Eltern hatten nicht gewollt, dass sie nach London zurückkehrte. Aber für Rose war dies eine Selbstverständlichkeit gewesen. Zum Glück hatte sich die Praxis ohne Weiteres bereit erklärt, sie für fünf Wochen freizustellen. Wenn nötig, auch noch länger. In dieser Zeit hatte sie Gelegenheit, die Situation zu Hause zu beurteilen und konnte danach entscheiden, ob sie endgültig nach London zurückgehen sollte.

Harley Street war ziemlich weit von ihrem Elternhaus entfernt, was für Rose morgens und abends jeweils eine Stunde Fahrzeit mit der U-Bahn bedeutete. Aber es war ein Job, und sie hatte die Gelegenheit sofort ergriffen. Im Augenblick war sie allerdings nicht mehr ganz so sicher, ob es wirklich das Richtige war.

Seufzend nahm sie sich eine Praline aus der Schale auf dem Tresen. Die Trüffel zergingen auf der Zunge. Einfach köstlich. Rasch vernaschte sie auch noch die restlichen.

Da ging die Tür auf, und eine ältere Dame mit sorgfältig frisiertem Haar und einem kleinen Hund unterm Arm rauschte herein. Rose warf einen Blick auf ihre Liste. War das etwa L.S. Hilton?

„So ein ungezogener Junge.“ Missbilligend schnalzte Mrs Hilton mit der Zunge. „Dem armen Mann nach dem Bein zu schnappen. Wenn du das noch mal machst, wird Mummy sehr böse mit dir.“ Ehe Rose sich versah, drückte ihr die alte Dame den Hund in die Arme. Er trug ein kleines Mäntelchen und ein purpurrotes Schleifchen auf dem Kopf. „Können Sie ihm etwas Schokolade geben? Wenn sein Blutzucker abfällt, wird er immer recht ungnädig.“

Sie musterte Rose über den Rand ihrer Brille hinweg. „Oh, ich glaube, wir sind uns noch nicht begegnet, meine Liebe. Wo ist Tiggy?“

„Sie musste für eine Weile fort“, erklärte Rose.

Der Hund schaute zu ihr hoch, wirkte allerdings ziemlich unbeeindruckt. Rose, die fürchtete, dass er womöglich nach ihr schnappen würde, sah ihm direkt in die Augen. Sie war den Umgang mit Hunden gewohnt. Ihre Eltern hatten früher immer einen gehabt. Man musste den Tieren von Anfang an zeigen, wer der Boss war. Der kleine Hund winselte leise und entspannte sich dann auf ihrem Arm.

„Mr Chips mag Sie“, meinte Mrs Hilton erfreut. „Normalerweise ist er auf Fremde nicht gut zu sprechen, schon gar nicht, wenn er schlecht gelaunt ist.“

„Wenn Sie bitte einen Moment Platz nehmen? Ich werde dem Doktor sagen, dass Sie hier sind. Danach schaue ich mal, ob ich ein Leckerchen für Mr Chips finde. Kann ich Ihnen irgendetwas anbieten? Kaffee oder Tee?“

Mrs Hilton setzte sich in einen Sessel und nahm sich eine Zeitschrift. „Nein, danke. Zu viel Koffein tut meiner Arthritis nicht gut, außerdem …“ Scharf sah sie Rose an. „Wissen Sie denn nicht, dass es ganz schlecht für den Teint ist? Genau wie Schokolade.“ Ihr Blick ging zu der leeren Konfektschale, und Rose spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. „Obwohl Ihre Haut gut zu sein scheint. Braves Mädchen. Die meisten Frauen denken nicht an ihren Teint, bis sie in mein Alter kommen. Und dann ist es viel zu spät, um noch etwas zu retten.“ Verschwörerisch zwinkerte sie Rose zu. „Jedenfalls ohne die Hilfe eines guten Schönheitschirurgen.“

Rose wusste nicht recht, ob sie sich über Mrs Hiltons Bemerkungen ärgern oder sich geschmeichelt fühlen sollte. Doch an den funkelnden Augen der alten Dame erkannte sie, dass diese es nicht böse meinte.

Wie angewiesen, betätigte Rose den Summer, um Jonathan Bescheid zu sagen, dass seine erste Patientin wartete, eine Mrs Hilton.

„Es heißt Lady Hilton“, verbesserte er milde. „Ich komme.“

Noch ehe Rose den Hörer aufgelegt hatte, öffnete sich bereits die Tür. Jonathan blieb belustigt stehen, als er sah, wie Rose mit Mr Chips auf dem Arm nach Lady Hiltons Akte suchte.

„Sophia.“ Mit langen Schritten ging er auf die alte Dame zu. „Wie schön, dich zu sehen.“

Lady Hilton hob ihm das Gesicht entgegen, und Jonathan küsste sie auf beide Wangen.

„Du weißt doch, dass ich dich auch zu Hause aufgesucht hätte, nicht wahr?“, meinte er. „Das hätte dir die Fahrt in die Stadt erspart.“

„Ich musste sowieso herkommen, um einige Einkäufe zu machen. Und ich wollte mit dir über Giles sprechen. Aber nicht zu Hause. Er weiß nicht, dass es mir nicht so gut geht.“ Streng sah sie ihn an. „Und er soll es auch nicht erfahren.“

„Sophia, alles, was du mir sagst, unterliegt der Schweigepflicht“, erwiderte Jonathan bestimmt. Er legte ihr die Hand unter den Ellbogen und half ihr beim Aufstehen. Trotz Lady Hiltons entschlossener Miene merkte Rose, dass ihr die Bewegung Schmerzen bereitete.

An Rose gewandt, fragte die alte Dame: „Würde es Ihnen sehr viel ausmachen, auf Mr Chips aufzupassen, solange ich beim Doktor bin? Der Hund wird immer so unruhig, wenn ich ihm nicht meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenke.“

Mr Chips Hund schien auf ihrem Arm eingeschlafen zu sein, und Rose lächelte. „Keine Sorge. Ich kümmere mich um ihn. Und wenn er aufwacht und Sie sucht, bringe ich ihn rein.“

Während sie auf den nächsten Patienten wartete, überlegte sie, was sie tun könnte. Sie nahm ihre Strickjacke von der Stuhllehne, machte daraus ein kleines Nest unter dem Schreibtisch und bettete den Hund darauf. Mr Chips öffnete ein Auge, seufzte zufrieden und schlief wieder ein. So, was jetzt? Irgendwie musste Rose sich beschäftigen, sonst würde sie hier vor Langeweile eingehen.

Ihr Blick fiel auf den Stapel Zeitschriften, den Lady Hilton in der kurzen Zeit im Wartezimmer durchgesehen hatte, Modemagazine und Gesellschaftsillustrierte. Neugierig blätterte Rose eine der Zeitschriften durch. Darin stieß sie auf Fotos einiger Lokalgrößen. Plötzlich hielt sie inne. Den Arm um eine Frau mit langem rot gelocktem Haar, einer fantastischen Figur und einem Kleid, das vermutlich ein ganzes Jahresgehalt von Rose gekostet hatte, erblickte sie Jonathan. Bekleidet mit einem Dinnerjackett und einem weißen Hemd, wirkte er locker und entspannt. Rose betrachtete das Foto genauer. Trotz seines Lächelns lag ein Ausdruck in seinen Augen, der darauf hindeutete, dass es ihm nicht sonderlich gefiel, fotografiert zu werden. Die Bildunterschrift lautete: Der Ehrenwerte Jonathan Cavendish und seine Freundin, die Schauspielerin Jessamine Goldsmith bei der Premiere ihres Films „Eine Nacht im Himmel“.

Rose konnte es immer noch nicht fassen. Er war adlig, der Sohn eines Lords, seine Freundin war ein Filmstar. Und er war ihr Chef, ein Allgemeinmediziner. Geringschätzig verzog sie den Mund. Von solchen Ärzten hielt sie nicht viel. Sie fand, man sollte Mediziner werden, um anderen zu helfen, nicht um den eigenen Playboy-Lebensstil zu finanzieren. Aber schließlich ging es sie ja wirklich nichts an. Sie war hier, um ihren Job zu erledigen. Und solange ihr neuer Boss seine Patienten nicht aus lauter Unfähigkeit umbrachte, konnte es ihr egal sein.

In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und Rose ließ erschrocken die Zeitschrift fallen.

Eine Frau mit einem kurz geschnittenen Lockenkopf stürzte panisch herein. Wortlos rannte sie an Rose vorbei und direkt zur Mitarbeiter-Toilette. Einmal mehr war Rose leicht verwirrt. Allmählich fühlte sie sich, als wäre sie in einem Irrenhaus gelandet. Ob das vielleicht die erwartete Krankenschwester war?

Ein paar Minuten später tauchte die Frau wieder auf. Obwohl sie noch sehr blass aussah, war wenigstens ein bisschen Farbe in ihre Wangen zurückgekehrt.

„Es tut mir so leid.“ Sie ließ sich in einen der Sessel fallen. „Sie müssen die Aushilfe sein, die für Tiggy einspringt. Sie hat mich am Samstag angerufen, um mir Bescheid zu sagen.“ Die junge Frau holte tief Luft. „Wahrscheinlich halten Sie mich für unglaublich unhöflich, dass ich ohne Gruß einfach so hereingestürmt bin.“

Rose eilte an ihre Seite. „Geht es Ihnen wieder gut?“

„Eher nicht.“ Sie verzog das Gesicht, ehe sie Rose die Hand entgegenstreckte. „Ich bin Vicki. Mir war gerade fürchterlich übel. Zum Glück habe ich es gerade noch rechtzeitig bis hierher geschafft. Es wäre mir doch zu peinlich gewesen, mich in aller Öffentlichkeit zu übergeben.“

„Sollten Sie nicht lieber zu Hause sein?“, meinte Rose.

„Ich wäre auch zu Hause geblieben, wenn Tiggy nicht auch fehlen würde. Oder wenn ich gewusst hätte, dass es so schlimm wird. Bis ich aus der U-Bahn ausgestiegen bin, ging es mir noch einigermaßen gut. Aber dann wurde es immer schlimmer.“

„Dr. Cavendish hat gerade eine Patientin bei sich. Soll ich ihn rufen?“

Vicki sah furchtbar aus. So konnte sie auf keinen Fall arbeiten. Besorgt bemerkte Rose, wie ihre Kollegin erneut kalkweiß wurde.

„Oh nein, Verzeihung.“ Sie presste sich die Hand vor den Mund und raste zur Toilette.

Während sie darauf wartete, dass die Krankenschwester wieder auftauchte, stellte Rose den Wasserkocher an, um Pfefferminztee zu machen, der Vickis Magen hoffentlich beruhigen würde. In diesem Zustand konnte sie unmöglich nach Hause fahren.

„Sie wundern sich bestimmt, wo Sie hier hingeraten sind“, sagte Vicki da hinter ihr. „Die Krankenschwester ist kränker als die Patienten. Und wie ich sehe, hat Lady Hilton Mr Chips mitgebracht. Hoffentlich erleichtert er sich nicht wieder in den Palmentopf. Oh, ist das Tee? Kann ich vielleicht was davon haben?“

„Ich denke, Sie sollten probieren, ihn in kleinen Schlucken zu trinken“, antwortete Rose. „Setzen Sie sich doch. Sie sehen aus, als würden Sie jeden Moment kollabieren.“

Vicki setzte sich auf einen der Stühle am Küchentisch. „Jonathan wird nicht besonders erfreut sein“, vertraute sie Rose an. „Beim letzten Mal war ich volle acht Monate außer Gefecht. Er musste eine Aushilfe für mich einstellen, und die war nicht so toll.“

„Sie sind schwanger?“, fragte Rose.

Vicki nickte. „Oh, das sollte ich lieber lassen“, stöhnte sie sogleich. „Bewegung macht’s nur schlimmer.“

„Sie haben bei Ihrer letzten Schwangerschaft also auch unter Schwangerschaftserbrechen gelitten?“

„Hey, Sie kennen sich aus. Haben Sie das auch schon erlebt?“

„Nein, aber ich bin examinierte Krankenschwester“, erwiderte Rose. „Sie Ärmste. Wie heftig war es denn beim letzten Mal?“

„So, dass ich ins Krankenhaus musste und den größten Teil der Schwangerschaft nicht arbeiten konnte.“ Vorsichtig trank sie einen Schluck Tee. „Mir graut schon davor, es Jonathan sagen zu müssen.“

„Er weiß nicht, dass Sie schwanger sind?“

„Ich wollte es ihm noch nicht sagen, weil ich erst in der neunten Woche bin. Und ich hatte gehofft, dass es mir diesmal besser geht.“

„Er hat bestimmt Verständnis“, meinte Rose beschwichtigend.

„Jonathan ist ein echter Softie. Natürlich hat er Verständnis. Ich finde es nur schrecklich, ihn im Stich zu lassen. Die Patienten wollen, dass ich sie betreue. Sie sind an mich gewöhnt. Und die meisten älteren Leute mögen keine Veränderungen“, erklärte Vicki. „Meine Gynäkologin hat gesagt, nach der zwölften Woche könnte es besser werden. Aber darauf würde ich nicht wetten.“

Rose hörte, wie die Tür des Sprechzimmers geöffnet wurde. „Bin gleich wieder da“, versicherte sie Vicki. „Bleiben Sie einfach sitzen.“

Sie hob Mr Chips von seinem Strickjacken-Bettchen hoch und brachte ihn zu Lady Hilton. Dabei wachte er auf und versuchte, Rose über das Gesicht zu lecken. Sie konnte dem feuchten Hundekuss noch gerade eben ausweichen, indem sie Mr Chips an sein Frauchen übergab.

„Ist er denn brav gewesen?“ Lady Hilton drückte ihren Hund an sich, als wären sie Tage und nicht nur zwanzig Minuten voneinander getrennt gewesen. Mit Tränen in den Augen drückte sie das Gesicht an das Fell des Hündchens.

„Ich komme im Lauf der Woche noch mal bei euch zu Hause vorbei“, versprach Jonathan. „In der Zwischenzeit probieren wir das neue Medikament aus und schauen, ob es besser wirkt.“ Er tätschelte ihr die Hand. „Die nächsten Wochen werden hart. Aber ihr könnt mich jederzeit rufen, das weißt du.“

Er blickte sich um. „Rose, haben Sie Vicki gesehen? Sie müsste inzwischen hier sein.“

„Sie ist in der Küche und trinkt einen Tee. Sie fühlt sich wohl nicht besonders gut.“

Ein besorgter Ausdruck flog über Jonathans Miene. „Ich geh gleich zu ihr. Bis bald, Sophia. Pass auf dich auf.“ Er gab ihr zum Abschied einen Wangenkuss, und Rose begleitete sie bis zur Tür.

Kurz darauf erschien Jonathan, den Arm um Vicki gelegt. „Ich fahre Vicki nach Hause“, sagte er. „Können Sie hier solange die Stellung halten? In ungefähr einer Stunde bin ich wieder zurück.“

„Ihr nächster Patient kommt in zehn Minuten“, wandte Rose ein. „Lord Bletchley.“

„Ich schaff das schon, Jonathan“, meinte Vicki mit schwacher Stimme. „Ich nehme mir ein Taxi. Bleib da und kümmere dich um deinen Patienten. Du kennst Lord Bletchley. Wenn man ihn warten lässt, geht er an die Decke.“

„Und wenn schon“, entgegnete Jonathan. „Ich will nicht, dass du mit dem Taxi fährst, wenn du dich vielleicht wieder übergeben musst. Du weißt ja, wie manche Taxifahrer so sind. Die werfen dich womöglich noch raus.“

„Vielleicht könnte ich Ihren Wagen nehmen und Vicki nach Hause bringen“, schlug Rose vor. „Dann ist zwar keiner am Empfang, aber da Lord Bletchley in der nächsten Stunde der einzige Patient ist, sollte das kein großes Problem sein.“

Jonathan lächelte, und Rose spürte, dass ihr Herzschlag einen Moment lang aussetzte. Kein Mann dürfte ein solches Lächeln haben, dachte sie. Das ist uns Frauen gegenüber einfach nicht fair.

Autor

Anne Fraser
Anne wurde in Schottland geboren, ist aber in Südafrika aufgewachsen. Nachdem sie die Schule beendet hatte, kehrte Sie sie wieder an die Geburtsstätte ihrer Eltern, nach Schottland, zurück. Sie schloss dort eine Ausbildung als Krankenschwester ab, bevor sie auf die Universität ging, um englische Literatur zu studieren. Nach der Geburt...
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