Heiß, kalt ... und noch viel heißer

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"Ich finde Frauen sexy, die kein Blatt vor den Mund nehmen", sagt Guy mit erregend tiefer Stimme, als Amber sich über seine laute Musik beschwert. Lässig lehnt der Songwriter im Türrahmen und mustert sie mit einem so aufreizend sinnlichen Blick, als wolle er sie auf der Stelle vernaschen. Amber ist empört - und kann sich doch nicht wehren gegen die männliche Ausstrahlung ihres neuen Nachbarn. Aber kaum beginnt sie sich auf sein verführerisches Spiel einzulassen, macht Guy einen Rückzieher. Verletzt beschließt sie, ihn wieder zu vergessen. Da umwirbt er sie nur noch heißer …


  • Erscheinungstag 19.02.2013
  • Bandnummer 0004
  • ISBN / Artikelnummer 9783954464029
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Guy Wilder hatte die Jagd aufgegeben. Frauen, die ewige Liebe schworen und dann auf Nimmerwiedersehen verschwanden, konnten ihm gestohlen bleiben! Seine Gefühle ließ er inzwischen lieber in Songtexte einfließen. Meistens drückten die richtig auf die Tränendrüsen und kamen nach Mitternacht am besten in Kneipen an, wo sich unglücklich Verliebte versammelt hatten. Trotzdem waren seine Songs beschwingt und meistens mit einem sexy Soulbeat unterlegt. Und sie hatten immer ein Happy End.

Eigentlich fühlte er sich ganz gut als Single. Tagsüber baute er seine Firma auf, nachts komponierte er, und die Blue Suedes traten mit seinen Songs auf.

Die Band hatte durchaus Potenzial, auch wenn die Jungs seine Texte manchmal furchtbar verhackstückten. Also gewährte er ihnen Zuflucht in der über der Kirribilli-Mansions-Einkaufspassage gelegenen Wohnung seiner Tante, als er von einer Geschäftsreise aus den Staaten zurückkehrte und die Band plötzlich ohne Übungsraum dastand. Jean würde sicher nichts dagegen haben. Sie hatte ihm die Wohnung vorübergehend anvertraut.

Die Band spielte einen ziemlich wilden Beat, sodass Guy sich Sorgen um den Geräuschpegel machte. Als die Jungs sich mit ihren Instrumenten durch die Tür drängten, warf er einen besorgten Blick auf das Oberlicht im Tiffanystil über der Nachbarwohnung, doch dahinter war es dunkel.

Zum Schlafen war es noch viel zu früh. Wer konnte denn ahnen, dass jemand anwesend war?

Guy bestellte Pizza, doch bald waren er und die Band so vertieft in den neuen Song, dass niemand mehr ans Abendessen dachte. Deshalb überhörten sie zunächst auch das Klingeln an der Tür.

Schließlich horchte Guy, der am beeindruckenden Flügel seiner Tante saß, doch auf, brach die Probe ab und eilte zur Tür. Der Pizzabote stand vor der Nachbarwohnung.

„Ich habe keine Pizza bestellt“, sagte eine Frau mit voller, melodischer Stimme. „Ehrenwort! Versuchen Sie es mal nebenan, wo der Krach herkommt. Haben Sie da schon an die Tür geklopft? Na ja, wahrscheinlich brauchen Sie einen Presslufthammer, um sich bei denen Gehör zu verschaffen.“

Guy räusperte sich. Sofort wirbelte die Frau herum und sah ihn an. Der Pizzabote folgte ihrem Beispiel.

Ernst dreinblickende veilchenblaue Augen, die von langen schwarzen Wimpern umkränzt waren, hohe Wangenknochen, ein herzförmiges Gesicht. Ein Mund zum Küssen – weich und süß.

Hinreißend, war Guys erster Eindruck. Eine hinreißende, begehrenswerte, verführerische … Falle. Die Frau war knapp einen Meter siebzig groß, falls ihn sein Kennerblick nicht trog. Das lange dunkle, seidig schimmernde Haar war zum Pferdeschwanz gebunden, und die Beine … traumhaft. Dazwischen unter einem Sweatshirt verborgene Hügel, Täler, Kurven.

Normalerweise starrte er einer Frau ja nicht so auffällig auf die Brüste oder auf andere eher private Zonen. Doch das kurze durchsichtige Röckchen, das unter dem langen Sweatshirt hervorlugte, zog nun mal die Blicke auf sich. Insbesondere, da sie dazu noch Ballettschuhe trug.

Sie schien ihn auch zu mustern, jedoch eher streng und ohne sexuelle Hintergedanken.

Guy lächelte. „Ich glaube, die sind für mich.“ Schnell drückte er dem Pizzaboten einige Scheine in die Hand und griff nach den Schachteln. „Vielen Dank, Kumpel. Den Rest können Sie als Trinkgeld behalten.“

Der Junge bedankte sich und verschwand im Fahrstuhl, die Treppe hinunter oder durch die Wand – wer konnte das schon wissen?

„Entschuldigen Sie bitte die Störung, Miss …?“

„Amber O’Neill. Offenbar haben Sie keine Vorstellung davon, wie sehr es in diesen hellhörigen Wohnungen hallt. Geräusche scheinen sich geradezu zu verstärken.“

Fragend zog Guy eine Augenbraue hoch. „Ach? Das ist ja ein interessantes Phänomen. Eine einmalige Akustik. Vielen Dank, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben.“

Diese veilchenblauen Augen fesselten ihn. Und dieser sexy Mund … Guy spürte ein heißes Ziehen in seinem Körper. Es war schon lange her, seit er zuletzt …

Offensichtlich war sie immun gegen seinen Charme, denn sie presste die sinnlichen Lippen zusammen. „Hier wohnen auch Leute, die arbeiten und sich um ihr Geschäft kümmern müssen“, sagte sie vorwurfsvoll.

„Tatsächlich?“ Er dachte gar nicht daran, sich um halb neun abends wegen Ruhestörung anmeckern zu lassen. Aber irgendwie amüsierte ihn die Situation, deshalb fragte er neckend: „Haben diese Leute nichts Besseres zu tun?“

Vielleicht sollte er vorschlagen, dass sie ihn zur Strafe übers Knie legen solle. Das wäre doch mal inspirierend gewesen. Und gleich nebenan. Wie praktisch!

Jetzt ertappte er sie doch dabei, wie sie ihn blitzschnell taxierte. Ihr Blick glitt über seine Brust und seine Arme, bis hinunter zur Gürtelschnalle und noch ein kleines Stück tiefer. Guy sah genau, wie ihre Augen plötzlich interessiert aufleuchteten. Die Büchse der Pandora hatte sich einen Spaltbreit geöffnet und verhieß beunruhigende Möglichkeiten.

Stopp! Energisch stemmte sich Guy gegen eine Welle heißen Verlangens, wandte sich ab und verschwand wieder in der Wohnung seiner Tante. Hinter der geschlossenen Tür musste er sich erst einmal fassen, bevor ihm sein absurdes Verhalten bewusst wurde. Verärgert machte er die Tür wieder auf.

Zu spät. Der Korridor lag verlassen da.

Amber stand atemlos unter dem Dachfenster ihres leeren Wohnzimmers und versuchte, die Stimmung von vorher wiederzufinden. Erneut erklangen die ätherischen Akkorde von „Clair de Lune“. Für gewöhnlich wurde sie von jeder einzelnen Note verzaubert. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, streckte die Arme dem durchs Dachfenster fallenden Mondschein entgegen, aber sosehr sie auch versuchte, die Musik in Bewegung umzusetzen – Arabesque, Arabesque, Glissade – der Zauber war verflogen. Mutwillig zerstört!

Ärgerlich stellte sie die Musik aus und überlegte, wann sie zuletzt so wütend gewesen war. Jedenfalls war es jetzt zwecklos, sich müde zu tanzen. Aus der Nachbarwohnung drang noch immer dieser schreckliche Lärm, wenn auch eine Spur leiser. Wie sollte sie ihn dabei vergessen?

Es lag nicht an seinem Mund oder den engen Jeans. Sie war ja an den Anblick gut gebauter Kerle gewöhnt. Ehrlich gesagt hatte sie die alle satt. Auch an seinen Augen lag es nicht. Mit sechsundzwanzig Jahren hatte sie schon viele große graue Augen mit Lachfältchen gesehen.

Nein, es lag an dem spöttischen Ausdruck seiner Augen. An der amüsierten, selbstgefälligen Annahme, dass da etwas ginge, da er ein Mann war und sie eine Frau. Der Typ war so von sich eingenommen, dass er grußlos wieder in der Wohnung verschwunden war.

Er lag völlig falsch. Der letzte Mann, der sie verführt hatte, hatte sie mit gebrochenem Herzen sitzen lassen.

Amber befreite sich von den Ballettschuhen und verkroch sich wieder im Bett. Angespannt warf sie sich von einer Seite auf die andere. Immer wieder. An Schlaf war einfach nicht zu denken. Die übliche Grübelei über Geld, den Laden und Renovierungsarbeiten hielt sie wach. Neu, aber auch nicht gerade beruhigend waren andere Gedanken – Gedanken über Einsamkeit und Männer mit frechem Lächeln.

Am Spätnachmittag war im Fleur Elise am anderen Ende der Einkaufspassage normalerweise wenig los. Heute hatte sich den ganzen Tag lang noch kein einziger Kunde blicken lassen. Nach drei schlaflosen Nächten hätte Amber in dem Hinterraum, wo sie die Sträuße band, liebend gern ein Nickerchen gemacht. Leider hinderte Ivy sie daran, die Buchhalterin, die sie mit dem Laden zusammen von ihrer Mutter geerbt hatte.

„Du musst Kosten sparen, Amber! Hörst du mir eigentlich zu?“

Amber zuckte zusammen. Ivys durchdringendes Organ könnte wahrscheinlich Fensterscheiben zum Zersplittern bringen. Müde legte Amber den schmerzenden Kopf auf den Schneidetisch. Der durch den Nachbarn verursachte Schlafmangel setzte ihr immer mehr zu. Seit zwei Tagen pochte es nun schon in ihren Schläfen. Vielleicht hält Ivy den Mund, wenn ich sie einfach ignoriere, dachte Amber hoffnungsvoll. Sie war einfach zu müde, sich jetzt mit der Buchhaltung zu beschäftigen. Momentan interessierte sie nur, wann der Radau in Jeans Wohnung endlich aufhören würde, den der Typ Nacht für Nacht veranstaltete.

Sie biss die Zähne zusammen. Unerhört, wie der sie mit Blicken verschlungen hatte! Und dann dieses anzügliche sexy Lächeln … Je eher Jean und Stuart aus den Flitterwochen zurückkehrten, desto besser.

Vielleicht hatte er geglaubt, sein Blick würde ihr schmeicheln. Aber wenn man ein ausgeleiertes Sweatshirt über dem Nachthemd trug, war das doch wohl kein sehr schöner Anblick, oder? Eigentlich ließ sich aus seinem Verhalten nur schließen, dass er hinter jedem Rock her war. Wie ihr Vater. Ein egoistischer Schürzenjäger. Doch selbst er würde heute keinen Blick an sie verschwenden, so erledigt wie sie aussah.

Amber bettete den Kopf auf den verschränkten Armen. Besonders ein Song, den die Band unermüdlich einstudiert hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Der Typ hatte die Melodie am Morgen auch noch unter der Dusche fröhlich vor sich hin gepfiffen, als Amber sich gerade in der Badewanne entspannen wollte.

Jean hätte sie ruhig vorwarnen können. Schließlich waren sie doch befreundet, und Jean hatte sie gebeten, die Fische zu füttern und die Blumen zu gießen.

„Du musst Ausgaben einsparen.“ Ivys schrille Stimme war nicht zu überhören. „Ich schlage vor, bei dieser Serena anzufangen.“

Schockiert merkte Amber auf. „Was? Hast du gerade gesagt, ich soll Serena entlassen?“

„Genau. Es sei denn, du kannst woanders sparen.“

„Aber Serena ist unsere einzige ausgebildete Floristin! Wir brauchen sie. Seit der Geburt ihres Babys kann sie natürlich noch nicht wieder Vollzeit arbeiten. Aber das wird sich ändern, sowie sie jemanden gefunden hat, der sich um das Kind kümmert. Außerdem ist Serena auf den Job angewiesen.“

„Ich leite doch keinen Wohltätigkeitsverein“, murrte Ivy. „Wahrscheinlich fängst du auch gleich wieder davon an, die Seitentür zur Straßenseite zu öffnen und ein Vermögen für die Renovierung auszugeben.“

Amber ärgerte sich. Fleur Elise war ihr Geschäft. Sie hatte es von ihrer Mutter geerbt. Ivy leitete gar nichts! Mühsam beherrschte sie sich. Gerade hatte sie in ihrem Lehrgang für Selbstständige gelernt, dass man bei Konflikten stets ruhig bleiben sollte. Also atmete sie mehrmals tief ein und aus, bis sie sich wieder beruhigt hatte.

Ihre Mutter hatte viel von Ivys Fähigkeit gehalten, Kosten zu minimieren. Amber hingegen war sich nicht so sicher, wie man einen Blumenladen ohne Blumen leiten sollte. Sie stand zwar noch ganz am Anfang ihres Lehrgangs, spürte jedoch instinktiv, dass Ivys Pfennigfuchserei der falsche Weg war. Kunden wurden doch von betörendem Blumenduft und farbenfrohen Blüten angezogen. Klatschmohn, Tulpen, Löwenmaul, Veilchen, Narzissen, Vergissmeinnicht und ein Meer von Rosen, deren herrlicher Duft Menschen von der Straße direkt in den Laden locken würde.

Sinnliche Vollblutfrauen wie sie selbst standen darauf, wenn sie nicht gerade unter akutem Schlafmangel litten …

Wäre sie hellwach gewesen, hätte sie sich niemals auf eine Diskussion mit Ivy eingelassen. Die Frau hatte eine vorgefasste Meinung, von der sie auch nicht einen Millimeter abwich.

„Ich denke darüber nach, einen Kredit aufzunehmen“, sagte Amber und gähnte.

Ivy fielen fast die Augen aus dem Kopf vor Entsetzen. „Hast du jetzt völlig den Verstand verloren, Kind?“, kreischte sie empört. „Wie willst du den denn je zurückzahlen, wenn die Kunden ausbleiben?“

„Welche Kunden?“ Amber ärgerte sich, von dieser kleinen Frau, die sich zwar großmütterlich kleidete, aber erst achtunddreißig war, „Kind“ genannt zu werden. „Müssen wir unbedingt jetzt darüber sprechen, Ivy? Ich habe schreckliche Kopfschmerzen“, stöhnte sie.

Außerdem wollte sie in Ruhe grübeln. Über Männer und Verrat. Liebe und Leid. Unerwiderte Leidenschaft. Zwar war ihr unerklärlich, wieso gerade diese Thematik sie ausgerechnet dann beschäftigte, wenn sie todmüde war, aber seit drei Nächten konnte sie an nichts anderes mehr denken. Seit sie diesen Flegel von nebenan kennengelernt hatte.

Dabei fand sie ihn gar nicht so unwiderstehlich. Okay, sexy war er ja schon irgendwie, auf eine raue, schmutzige Art. Seine Jeans beispielsweise gehörten verbrannt. Und dieses uralte T-Shirt, in dem sie ihn gestern beim Bäcker gesehen hatte, machte den Eindruck, als hätte jemand versucht, es ihm vom Leib zu reißen. Eine verzweifelte Frau möglicherweise, die es kaum noch erwarten konnte …

Auf sie selbst traf das natürlich nicht zu. Sie war nicht verzweifelt. Sie war lediglich sehr sinnlich veranlagt und fand sonnengebräunte Männer, deren muskulöse Arme feucht glänzten, durchaus ansprechend.

Genau wie Eustacia Vye. Diese Romanheldin hatte sie gestern beim heimlichen Schmökern im Laden entdeckt. Hätte Ivy nicht darauf bestanden, heute Nachmittag im Geschäft auszuhelfen, wäre Amber jetzt wieder in die erregende Lektüre vertieft gewesen. Doch so befand sich das Buch in ihrem Geheimversteck hinter dem Topffarn.

Die sinnliche, lustvolle Eustacia spazierte durch die Wälder von Wessex und geriet schon in Verzückung, wenn ein Zweig nur ihr Haar streifte.

Nur dass ich nicht so bildhübsch und bezaubernd bin wie sie, dachte Amber selbstkritisch. Es sei denn, sie war in Tüll und Federn gehüllt und schwebte über die Bühne. Dann war sie allerdings unwiderstehlich bezaubernd.

Wie Eustacia sehnte sie sich nach Berührung, Liebkosung. Hungerte förmlich danach. Doch sie zog Männerhände eindeutig Zweigen vor.

Wieder musste sie laut gähnen. Eigentlich hatten Musiker doch dünne Arme und waren eher schmalbrüstig, oder?

Ein vernehmliches Zungenschnalzen drang in ihren Tagtraum. „Hast du diese Rechnungen etwa versteckt, Amber?“ Ivy musterte sie misstrauisch.

Amber spürte, wie sie rot wurde. „Natürlich nicht! Ich muss sie verlegt und dann vergessen haben. Hör mal, Ivy, ich fühle mich heute wirklich nicht fit genug, um mich mit Buchhaltung zu beschäftigen.“

Doch Ivy kannte keine Gnade. Wenn sie sich mit ihren kleinen scharfen Zähnen erst mal in eine Sache verbissen hatte, gab es kein Entkommen. Sie wedelte mit den Rechnungen vor Ambers Nase herum. „Weißt du, was ich glaube? Du bist dieser Arbeit nicht gewachsen und solltest den Laden verkaufen, bevor du Insolvenz anmelden musst.“

Der armen Amber stockte vor Schreck der Atem. Verzweifelt versuchte sie, ruhig zu bleiben – wie sie es in ihrem Kurs gerade gelernt hatte. „Versuch bitte, mich zu verstehen, Ivy. Es war Mums Blumenladen. Sie hat ihn so geliebt.“

In den humorlosen Augen unter dem schnurgeraden braunen Pony spiegelte sich nicht das geringste Verständnis wider. „Deine Mutter hat es immer geschafft, ihre Rechnungen zu begleichen. Sie hat nämlich auf meinen Rat gehört.“

Amber zuckte zusammen. Der Vorwurf schmerzte. Zumal sie nur zu genau wusste, dass Lise keineswegs immer in der Lage gewesen war, ihre Schulden zu bezahlen. Darüber mit Ivy zu diskutieren, kam allerdings überhaupt nicht infrage.

Ihre Mutter war tot, und es war unerträglich, wie Ivy ständig das Gespräch auf sie brachte. Es tat so weh. Warum kann sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? überlegte Amber zum wiederholten Mal. Sie sehnte sich nach Ruhe und einigen Stunden Schlaf. War das etwa zu viel verlangt?

Seit sie ihren Beruf aufgegeben hatte, um sich um ihre arme Mutter zu kümmern, hatte sie keine ruhige Minute mehr gehabt.

„Hast du gesehen, was die langstieligen Rosen kosten?“, zeterte Ivy. „Warum kannst du keine billigere Ware einkaufen? Du wirst es nie begreifen, oder?“

Jedes Wort traf Amber wie ein Nadelstich.

„Und was ist das hier? Wieso bestellst du außerhalb der Saison Freesien? Das kannst du dir nicht leisten.“

Mühsam bewahrte Amber die Fassung. „Du weißt doch, dass Mum Freesien geliebt hat. Es waren ihre Lieblingsblumen.“ Und mit Tränen in den Augen fügte sie traurig hinzu: „Es ist wichtig, duftende Blumen im Angebot zu haben.“

„Unsinn! Duft ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können.“

Noch zehn Minuten bis Ladenschluss, stellte Amber bei einem unauffälligen Blick auf die Armbanduhr fest. Wahrscheinlich meinte Ivy es nur gut und wollte ihr vermitteln, wie sie das Geschäft führen müsste, doch Amber hielt diese keifende Stimme keine Minute länger aus. Womöglich würde sie dem verbissenen kleinen Terrier sonst doch noch die Meinung sagen.

Erschöpft stand sie auf. „Entschuldige, Ivy. Diese Migräne bringt mich um. Ich muss mich hinlegen. Schließ bitte ab.“

Ivy schien es nicht fassen zu können. Deine Mutter hat den Laden nie zu früh geschlossen, sagte ihre unwillige Miene unübersehbar.

Auch das entsprach nicht den Tatsachen, doch Amber hatte nicht die Kraft, sich auf eine Diskussion einzulassen. Wozu? Schon damals hatten sich nur wenige Kunden ins Blumengeschäft verirrt. Daran würde sich in den nächsten zehn Minuten wohl kaum etwas ändern.

Müde schleppte sie sich an Kübelpflanzen und einer kläglichen Auswahl von gebundenen Sträußen vorbei und entkam den Fängen der Buchhalterin, bevor diese weitere Ratschläge vom Stapel lassen konnte. Als Amber auf dem Weg zum Fahrstuhl an all den anderen eleganten Geschäften der Einkaufspassage vorbeiging, verstärkte die Migräne sich noch.

Beim Gedanken an Fleur Elise wurde es Amber ganz elend.

Im neunten Stock herrschte zur Abwechslung einmal wohltuende Stille. Leider schlug Amber beim Betreten der Wohnung eine Welle feucht-schwüler Luft entgegen. Die Versuchung war groß, die Klimaanlage einzuschalten, doch Amber öffnete lieber die Fenster und Balkontüren, bevor sie sich die Nadeln aus dem Haar zog und es bis zur Taille fallen ließ. Dann entkleidete sie sich und streckte sich auf dem Bett aus. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

Sie schloss die Augen. Wäre sie noch beim Ballett, säße sie jetzt in der Straßenbahn auf dem Nachhauseweg nach einem herrlichen Tag voller Musik und harter Proben, würde Tschaikowsky vor sich hin summen, ihre Muskeln spüren und mit sich und der Welt zufrieden sein.

Würde sie je wieder so glücklich sein im Leben?

Ein beängstigender Gedanke durchzuckte sie. Was sollte aus ihr werden, wenn das Management der Passage ihren Mietvertrag nicht verlängerte?

Zukunftsangst hinderte sie am Einschlafen, und es dauerte eine Weile, bis die Erschöpfung doch die Oberhand gewann und Amber eindöste. In der kühlenden Brise, die vom Sydney Harbour herüberwehte, ließen die Kopfschmerzen langsam nach.

Der Schlaf hatte sie fast übermannt, als plötzlich ein heftiges Geräusch den Boden erschütterte. Erschrocken riss sie die Augen wieder auf und lauschte. Wie nicht anders zu erwarten, drang der Lärm aus der Nachbarwohnung. „Das ist doch nicht zu fassen!“

Fluchend sprang sie aus dem Bett, zog sich einen Rock und irgendein frisches Top aus dem Kleiderschrank an, lief barfuß in den Korridor und hämmerte nebenan gegen die Wohnungstür.

Gerade wollte sie erneut wütend klopfen, als die Tür aufging und er vor ihr stand. In voller Größe von einem Meter sechsundachtzig, mit Dreitagebart und tiefschwarzen Wimpern, die seine silbergrau schimmernden Augen umkränzten. Lässig lehnte er sich an den Türrahmen und musterte Amber mit einem so aufreizend sexy Blick, als wollte er sie auf der Stelle vernaschen.

„Hallo, Amber“, sagte er mit erregend tiefer Stimme. „Wie schön, dass du vorbeikommst.“

Sollte das ein Witz sein? Im schwarzen T-Shirt und den hautengen Jeans wirkte er genau wie der sexbesessene Typ Mann, mit dem gewisse Frauen sich gern einen flirtenden Schlagabtausch geliefert hätten.

Zu dieser Sorte gehörte sie nicht.

„Der Lärm ist ohrenbetäubend“, stieß sie heiser hervor. „Ich versuche zu schlafen, und der Krach stört mich.“

Guy zog eine schwarze Augenbraue hoch. „Um sechs Uhr abends? Haben Sie keine Freunde, mit denen Sie ausgehen können?“ Er wollte die Tür wieder schließen, doch Amber schob schnell einen Fuß in den Türspalt.

„Moment! Ich habe sehr wohl Freunde, viele sogar. Aber weil Sie jede Nacht Jeans Flügel malträtieren …“ Wütend schüttelte sie den Kopf – Jeans schöner Steinway … „Sie und Ihre Freunde mit dem dämlichen Schlagzeug … Deshalb muss ich um sechs Uhr abends schlafen.“

Ungläubig musterte er sie. „Mögen Sie keine Musik?“

Sie sollte keine Musik mögen? Ausgerechnet sie, die getanzt hatte, noch bevor sie gehen konnte? Erbost funkelte sie ihn an. „Ich liebe Musik. Mit Betonung auf Musik. Hören Sie, ich habe es im Guten versucht, aber ich kann auch anders. Wenn Sie nicht sofort mit diesem Krach aufhören …“

„Ja? Was dann?“, erwiderte er herausfordernd und ließ einen so begehrlichen Blick über Amber gleiten, dass es sie heiß überlief.

In ihrer Hast hatte sie ein fast durchsichtiges Top mit tiefem Ausschnitt aus dem Schrank gezogen, und einen BH trug sie auch nicht. Kein Wunder, dass der Typ sie so anstarrte. Instinktiv hätte sie fast die Arme vor der Brust verschränkt.

„Ich finde Frauen sexy, die kein Blatt vor den Mund nehmen“, sagte er und lächelte lasziv. „Was also haben Sie mit mir vor, wenn ich nicht gehorche?“

Durch andauernden Schlafmangel, Zukunftsangst und Ärger mit Ivy hatte sich so viel Wut bei Amber aufgestaut, dass sie diesem arroganten Kerl jetzt am liebsten an die Gurgel gegangen wäre.

Er amüsierte sich köstlich über ihren mörderischen Gesichtsausdruck. „Bitte nicht!“, bat er lachend. „Kommen Sie doch herein, damit wir gemeinsam eine Lösung finden.

Das hätte er wohl gern! „Hören Sie, Mr …“, zischte sie wütend.

„Guy. Guy Wilder.“ Sein schöner Mund verzog sich zu einem unwiderstehlichen Lächeln.

Sie versuchte, unbeeindruckt zu bleiben. „Wie auch immer. Ich wollte Sie lediglich bitten, mit Ihrer Band woanders zu proben. Sollte der Lärm hier nicht aufhören, werde ich mich bei der Eigentümervertretung beschweren.“

„Warum denn gleich so hitzig?“, fragte er amüsiert.

„Weiß Jean überhaupt, dass Sie hier sind?“, erkundigte sie sich wütend, ohne auf seine Frage einzugehen.

„Mein liebes Tantchen hat mich sogar ausdrücklich gebeten, während ihrer Abwesenheit die Wohnung zu hüten. Sie können Jean gern anrufen, falls Sie mir nicht glauben.“

„Jean und ich sind gut befreundet. Sie würde niemals erlauben, dass Sie ihre Nachbarn ärgern und Tag und Nacht mit der Band proben.“

„Von Tag und Nacht kann wohl kaum die Rede sein“, widersprach Guy ruhig. „Ich schreibe Songs. Die Band, die Sie an den letzten beiden Abenden gehört haben – nicht jeder kommt in diesen Genuss, aber das nur am Rande – hatte vorübergehend keinen Probenraum. Da die Jungs aber demnächst auftreten, müssen sie üben. Und das heißt …“

„Leider weiß ich nur zu genau, was das heißt“, fuhr Amber dazwischen. „Von Genuss kann übrigens kaum die Rede sein. Die Band ist das Letzte!“

Seine schwarzen Brauen schossen hoch. „Ich werde es den Jungs bei passender Gelegenheit ausrichten.“

„Tun Sie das.“ Ob er wirklich Jeans Neffe war? Jean hatte mal von einem Familienmitglied erzählt, das Filmregisseur werden wollte. Dann war da dieser Wissenschaftler gewesen, der sich auf einer Reise in die Antarktis verliebt hatte. Und noch ein junger Mann, den die Liebe seines Lebens vor dem Altar versetzt hatte, weil sie am Tag der geplanten Trauung mit einem Offizier durchgebrannt war. Aber einen Musiker hatte Jean nicht erwähnt.

Der Typ machte eine leichte Bewegung zur Seite. Entsetzt stellte Amber fest, in welch desolatem Zustand sich Jeans Zimmerpflanzen im Eingangsflur befanden.

„Was um alles in der Welt haben Sie mit den Flamingoblumen angestellt? Jean wird Sie umbringen, wenn sie das hier sieht. Hat sie Ihnen denn nicht erklärt, wie oft Sie gießen müssen?“

Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. „Kann sein.“

„Und was ist mit den Fischen?“

„Fische?“

„Haben Sie die etwa nicht gefüttert? Das Aquarium ist Jeans ganzer Stolz.“ Wütend funkelte sie ihn an, doch er amüsierte sich offensichtlich nur über ihren Zorn. Es kribbelte ihr in den Händen, dem arroganten Kerl das Lächeln aus dem Gesicht zu wischen. So wütend war sie in ihren sechsundzwanzig Lebensjahren noch nie gewesen!

„Ich weiß nicht, wie es den Fischen geht“, behauptete er gelassen. „Vielleicht sollten Sie mal einen Blick aufs Aquarium werfen. Dann können Sie sich auch gleich ein Bild davon machen, was ich sonst noch für Schäden angerichtet habe.“

Seinen sarkastischen Tonfall kann er sich sparen, dachte sie, drängte sich an ihm vorbei und blieb mitten im Wohnzimmer stehen.

Selbst in der Abenddämmerung, dem gedämpften Schein einer Lampe und dem grünlichen Licht aus dem Aquarium war das Chaos nicht zu übersehen. Zeitungen stapelten sich neben einem Laptop auf dem Sofatisch und dem Teppich darunter. Jeans kostbare Notenblätter waren auf den Boden gefegt worden. Am zerwühlten Sofa lehnten zwei teure schwedische Kristallweingläser.

„Wirkt das Zimmer durch die leichte Unordnung nicht gleich viel gemütlicher?“, fragte Guy provokant.

Amber fehlten die Worte. Wut schnürte ihr die Kehle zu. Dieser Typ würde schon sehen, was er von seinem unmöglichen Verhalten hatte!

Blitzschnell hob sie Jeans Sonate auf und marschierte zum Aquarium, in dem allerdings alles in Ordnung zu sein schien. Jedenfalls schwammen keine toten Fische an der Wasseroberfläche.

Sie warf ihm einen schnellen Blick zu. Guy hatte die Daumen durch die Gürtelschlaufen geschoben und lächelte frech. „Sie haben die Fische gefüttert, oder?“ Wütend rollte sie die Notenblätter unbewusst in der Hand zusammen. „Das war nur eine Finte, um mich in die Wohnung zu locken, stimmt’s?“

Gespielt ertappt breitete er die Arme aus. „Sie haben mich durchschaut.“

Drohend fuchtelte sie mit der Rolle in seine Richtung. „Sie brauchen sich gar nicht über mich lustig zu machen. Es ist mein gutes Recht, mich über den Lärm zu beschweren.“

„Sicher.“

Er kam zwei Schritte auf sie zu und war ihr plötzlich so nah, dass sie seine Körperwärme spürte. Ausweichen konnte Amber nicht, dann wäre sie gegen das Aquarium gestoßen. Also blieb sie reglos stehen. Nur ihr Herz klopfte plötzlich schneller.

Autor

Anna Cleary
Schon als kleines Mädchen liebte es Anna Cleary zu lesen. Unter der Bettdecke (und mit einer Taschenlampe bewaffnet) ließ sie sich von ihren Romanhelden Nacht für Nacht in eine Welt voller Fantasie entführen. Und sie träumte davon, irgendwann einmal ihre eigenen Geschichten zu schreiben. Doch zunächst wurde sie Lehrerin und...
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