Heiße Küsse auf nackter Haut

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Julia will stark bleiben – doch vor den Verführungskünsten des attraktiven Dylan Trueno kapituliert sie. Als er ihr jedoch einen Heiratsantrag macht, zögert sie. Denn trotz der sinnlichen Nächte, die sie in seinen starken Armen genießt, hat er ihr nicht gesagt, dass er sie liebt ...


  • Erscheinungstag 16.05.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529594
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Endlich hatte Dylan Trueno sie gefunden – Julia, nach der er schon so lange gesucht hatte. Und er würde sie nicht wieder gehen lassen.

Diesmal nicht.

Er war wild entschlossen, ihr diese Tatsache unmissverständlich klarzumachen, und blickte ihr geradewegs in die Augen. Julias Atem schien zu stocken.

Sie erkennt mich also, dachte Dylan, und sie scheint sich nur zu gut an die erotische Faszination der ersten Begegnung zu erinnern.

Auge in Auge standen sie sich gegenüber in dem Eingang des gemütlichen alten Hauses, das zu einem Gestüt gehörte, auf dem alte Pferde ihr Gnadenbrot bekamen. Neun lange Monate hatte Dylan nach Julia gesucht, und heute hatte er sie endlich gefunden.

Er wollte auf sie zugehen, und sofort trat sie zurück. Vor wenigen Sekunden erst hatte sie auf sein Klingeln die Tür geöffnet und war bei seinem Anblick vor Schreck zurückgezuckt.

Immer noch schwieg sie, und auch er sagte kein Wort. Er stand nur da und durchbohrte sie mit seinen Blicken. Sie trug eine helle geblümte Bluse zu einer eng sitzenden Jeans. Um ihren Hals hing lediglich ein kleines goldenes Kreuz, das Gesicht war ungeschminkt.

Irgendwie hatte er sie nicht so schlank in Erinnerung. Offenbar hatte sie einiges an Gewicht verloren, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, so, als ob sie Schlimmes durchgemacht hatte.

Wahrscheinlich war das auch der Fall.

Schließlich wandte sie den Blick ab und spielte verlegen mit einer Haarsträhne. Ihr ehemals dunkles Haar war blondiert, aber sie war ganz eindeutig dasselbe Mädchen, das damals so plötzlich verschwunden war.

„Julia …“, sagte er schließlich leise.

„Ich heiße Janie Johnson“, erwiderte sie schnell. Das war offenbar ihr Pseudonym, und sie versuchte ihm vorzumachen, sie habe mit der gesuchten Julia nichts zu tun. „Mein Boss nennt mich allerdings J. J.“

Wahrscheinlich arbeitet sie für den alten Mann, dem der Pferdehof gehört, vermutete Dylan. „Ich habe mit Henry telefoniert. Er weiß, dass ich komme, und erwartet mich.“

„Ja, er hat mir erzählt, dass jemand auftauchen würde. Ein berühmter Pferdetrainer. Aber ich wäre nie im Traum darauf gekommen, dass …“

„Dass ich es sein könnte?“ Am liebsten hätte er die Arme ausgestreckt und das junge Mädchen an sich gezogen, so wie er es früher schon getan hatte. Aber er beherrschte sich. „Dass ich hier bin, ist kein Zufall. Ich habe nach dir gesucht, Julia.“

„Sie irren sich, ich bin nicht Julia.“

„Was soll denn dieses Versteckspiel?“

Wieder schwiegen beide und starrten sich an. Dylan fluchte im Stillen. Endlich hatte er sie gefunden, nach einer verzweifelten Suche, die ihn in den letzten Monaten ordentlich auf Trab gehalten hatte. Und nun leugnete sie, die gesuchte Julia zu sein.

Ihre Sturheit ärgerte ihn. Wie kam sie dazu, so auf seinen Gefühlen herumzutrampeln? Er war schließlich in den letzten Monaten zu kaum einem anderen Gedanken fähig gewesen als dem, sie zu finden.

Und er hatte nichts dagegen tun können.

Weil er sie begehrte, wie er nie zuvor eine andere Frau begehrt hatte. Dabei spielte es keine Rolle, dass sie sich kaum kannten. Das war ihm vollkommen gleichgültig. Sie hatten nur eine kurze Zeit miteinander verbracht, die aber hatte einen solch nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass Dylan es selbst kaum fassen konnte.

Er musste an den Tag denken, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Als sie in seinen Armen lag und weinte. Als sie ihn beinahe geküsst hatte.

„Worüber wollen Sie mit Henry sprechen?“, fragte sie plötzlich.

„Über die Spendenaktion, die ihr vorhabt.“

„Dann haben Sie ihn angelogen? Sie haben behauptet, dass Sie sich in dieser Sache engagieren wollen, und in Wirklichkeit suchen Sie nach dieser Julia?“

„Ich musste ihm doch irgendeine Erklärung für mein sofortiges Kommen geben. Hätte ich ihm den wahren Grund verraten sollen? Wäre dir das lieber gewesen? Außerdem, belügst du ihn nicht auch?“ Er blickte sie lauernd an. Würde sie auf diese provozierende Frage hereinfallen und sich damit verraten?

Sie tat es, wenn auch auf eine etwas merkwürdige Art und Weise. „Henry kennt mich als J. J., und genau die will ich auch sein.“

„Dafür ist es jetzt zu spät.“

„Nicht, wenn Sie gleich wieder verschwinden.“ Sie richtete sich auf und strich sich das weizenblonde Haar zurück. „Er braucht nicht zu merken, dass Sie überhaupt hier waren.“

„Unmöglich.“ Er wollte Julia mit zu sich nach Hause nehmen. Aber erst einmal musste er ihr die Sache mit ihrer Mutter erzählen, auch wenn es ihm noch so schwer fiel, der Überbringer dieser schrecklichen Nachricht zu sein. Aber war er Julia das nicht schuldig, gerade er? „Bitte, komm mit mir ein paar Schritte vors Haus. Ich muss dir etwas sagen.“

In diesem Augenblick war eine Stimme aus dem rückwärtigen Teil des Hauses zu hören. „J. J. ist das unser Gast?“

Sie fuhr hoch, in ihren Augen stand Panik. Sie starrte Dylan beschwörend an. Verrate mich nicht!, sagte dieser Blick.

Er nickte kurz. „Wir reden später.“ Auf keinen Fall durfte sie aus lauter Angst wieder das Weite suchen, jetzt, da er sie gerade gefunden hatte.

Er sah, wie sie erleichtert ausatmete. In diesem Augenblick trat Henry aus der Tür, eine kleine gebeugte Gestalt mit einem wettergegerbten Gesicht.

Er reichte Dylan die Hand und schüttelte sie etwas zu heftig. „Herzlich willkommen!“ Der alte Mann schien sehr erfreut zu sein, ihn zu sehen. Dylan hatte sich in seinem Beruf einen landesweiten Ruf erworben. Von überall her kamen die Pferdebesitzer und bezahlten viel Geld für seinen Rat als Pferdekenner und – trainer.

Henry bat ihn hereinzukommen, und Dylan folgte dem alten Mann in ein kleines dunkles Wohnzimmer. Er setzte sich dicht neben Julia und behielt sie im Auge.

Auf keinen Fall wollte er sie wieder verlieren.

Julia schwirrte der Kopf. Würde sie sich so weit zusammennehmen können, dass sie sich nichts anmerken ließ, auch wenn ihr unter Dylans Blick heiß und kalt zugleich wurde? Diesen Mann hatte sie nicht vergessen können, seit er sie aus der Hand der Entführer befreite.

Er sah immer noch so umwerfend aus wie damals. Die Jeansjacke hing lose über seinen breiten Gürtel, dessen silberne Schnalle mit Türkisen verziert war. Die Jeans passte wie eine zweite Haut, und auf dem blauschwarzen schulterlangen Haar saß der breitrandige Cowboyhut. Ja, er ist ein Cowboy, dachte sie. Dazu noch indianischer Abstammung, dieser Mann, an den sie immer wieder denken musste und von dem sie in heißen Nächten träumte.

Jetzt schob er den Hut etwas nach hinten und blickte sie aus seinen schwarzen Augen eindringlich an. Diese Augen, die in ihr ganz klar Julia erkannten, die Frau, die sie einst gewesen war.

„J. J. ist meine rechte Hand“, meinte Henry lächelnd. „Ich weiß nicht, was ich ohne sie tun würde. Sie hält mein Haus in Ordnung, ist meine persönliche Assistentin und kümmert sich um alles, was wir hier rund um unseren Hof planen, um bei unseren Sponsoren das Geld locker zu machen. Außerdem hilft sie bei den Pferden.“

„Sehr beeindruckend“, meinte Dylan nur.

„Danke.“ Julia neigte leicht den Kopf und bemühte sich um eine ruhige Stimme. Henry durfte keinen Verdacht schöpfen, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte.

Als sie den Blick wieder hob, sah sie, dass Dylan sie immer noch ansah. Alle schwiegen, als spürten sie die Spannung, die sich bald in einer Explosion entladen musste. Henry sah zwischen den beiden jungen Leuten fragend hin und her.

Er wusste schon lange, dass Julia irgendein Geheimnis hatte. Er vermutete, dass sie vor irgendetwas davonlief, vor einer Vergangenheit, die sie lieber vergessen wollte.

Henry hatte sie nie danach gefragt. Sie war nicht die erste, die auf seiner Ranch Zuflucht gesucht hatte. Denn Henry kümmerte sich nicht nur um misshandelte und abgeschobene Pferde. Er gab auch denjenigen zu essen, zu trinken, eine Arbeit und damit ein Zuhause, die in der Welt nicht zurechtkamen. Dabei überließ er es seinen Schützlingen, ob sie ihm ihr Geheimnis anvertrauen wollten oder nicht.

Das allerdings würde sich jetzt ändern.

Julia hatte bemerkt, dass Henry sie und Dylan sehr genau beobachtete. Lange würde er sich nicht mehr zurückhalten können. Und so war es auch.

„Was geht hier eigentlich vor?“, platzte er schließlich heraus. „Habt ihr zwei etwas miteinander? Seid ihr euch früher schon mal begegnet?“

Dylan warf Julia einen Blick zu, der sie erbeben ließ. Ganz offensichtlich war Henry der Meinung, dass sie und Dylan sich früher geliebt hatten. Dass sie seinetwegen weggelaufen war.

Der berühmte Pferdetrainer schwieg und verzog keine Miene. Weder bestätigte er Henrys Verdacht, noch entkräftete er ihn.

Schnell wandte sich Julia zu ihrem Boss um und sah ihn verzweifelt an. Sie würde nicht zugeben, was sie sich selbst kaum eingestand. An dem Tag, an dem Dylan sie vor den Entführern gerettet und sie tröstend in die Arme genommen hatte, hätte sie ihn beinahe geküsst. Denn die Zärtlichkeit und die Dankbarkeit, die sie empfand, verwandelten sich unerwartet in eine tiefe Leidenschaft. Sie hatte sich in ihren Retter verliebt, sich aber geschworen, dieses Gefühl ganz tief in sich zu vergraben.

„Nein Henry, du irrst dich“, beschwor sie ihn.

„Wirklich nicht? Bist du ganz sicher?“

„Natürlich.“

Der alte Mann zog skeptisch die dicken Augenbrauen zusammen. Offenbar glaubte er ihr nicht. Wie konnte er auch, wenn sie sich selbst nicht einmal glaubte. Immer wieder hatte sie in Gedanken diesen Augenblick mit Dylan durchlebt. Sie erinnerte sich an alles, an seine breiten Schultern, das glatte kräftige Haar und den Geruch nach Heu und Pferden, in dem sein herbes Aftershave kaum wahrzunehmen war.

Schließlich ergriff Dylan das Wort. „Wir müssen miteinander reden“, sagte er zu Julia. „Ich wäre Ihnen dankbar“, dabei sah er Henry an, „wenn Sie uns ein paar Minuten allein ließen. Es ist sehr wichtig.“

Henry nickte bedeutungsvoll. „Das kann ich mir vorstellen.“

Julia musste sich fügen, so ungern sie das auch tat. Sie stand auf, und während sie zur Tür ging, sah sie sich bittend nach Henry um. Der alte Mann nickte ihr ermutigend zu. Er würde warten.

Dylan folgte Julia auf die Terrasse, seine Schritte klangen hart auf dem hölzernen Boden. Die Terrasse umgab das Haus wie eine Schutzzone, so zumindest empfand Julia es oft. Der Pferdehof lag am Fuß der sanften Berge, die sich weit nach Nevada hinein erstreckten. Weite grüne Täler wechselten ab mit dicht bewaldeten Hängen. In der Ferne war der höchste Berg zu sehen, auf seiner Spitze lag Schnee.

Julias Blick fiel auf die Kieseinfahrt, der Garten war mit Laub bedeckt. Jetzt erhob sich eine kühle Brise und wirbelte die Blätter durcheinander. Julia fuhr zitternd zusammen.

Dylan zog die Jacke aus und reichte sie Julia. „Hier nimm. Du hast deinen Mantel vergessen.“

Sie legte sie sich über die Schultern. Wie sehr sie es genoss, etwas unmittelbar auf der Haut zu spüren, was Dylan getragen hatte. Tief sog sie den Duft ein.

„Seit du weggelaufen bist, habe ich nach dir gesucht“, sagte Dylan jetzt leise. „Mein Bruder und mein Cousin haben eine Detektei, und ich habe sie beauftragt, nach dir zu suchen und auch mit dem FBI Kontakt aufzunehmen. Ich weiß, dass du einen falschen Namen angenommen hast.“ Er sah, wie sie seine Jacke enger um sich zog. „Aber du brauchst dich nicht länger zu verstecken oder so zu tun, als sei dein Name J. J. oder Janie Johnson.“

„Warum? Weil du mich aufgespürt hast?“

„Weil die Verbrecher, die hinter dir her waren, dir nichts mehr tun können. Man hat sie verhaftet.“ Sein Ton war ernst. „Man hat auch den Auftragskiller festgenommen.“

Sie starrte Dylan aus weit aufgerissenen Augen an. „Wovon redest du da? Was soll das? Man hatte mich doch nur gekidnappt, um meine Mutter zu zwingen, ihre Spielschulden zu bezahlen.“

„Ich weiß. Aber nachdem du und deine Mutter verschwunden wart, haben die Kerle einen Killer auf euch angesetzt.“

Oh Gott … Ihr schwindelte, und sie griff hinter sich, um sich an einem Stuhl festzuhalten. Langsam ließ sie sich auf dem ausgeblichenen Holzsitz nieder. „Mom und ich haben uns gestritten. Daraufhin haben wir uns getrennt. Das war vor ungefähr zwei Monaten.“ Sie suchte Dylans Blick und erkannte Trauer und Mitleid. „Meine Mutter lebt nicht mehr?“

Er zog einen Stuhl heran, setzte sich und nahm ihre Hand. „Ja, Miriam ist tot. Es tut mir so schrecklich leid, Julia.“

Schnell entzog sie ihm die Hand. Fassungslos beharrte sie: „J. J., ich bin immer noch J. J.“

„Nicht für mich.“

„Warum nicht? J. J. oder Julia, das sollte dir egal sein. Wir sind uns schließlich nur einmal begegnet.“

Er räusperte sich. „Ich habe deine Mutter begraben. Es war eine richtige Beerdigung.“

Sie schmiegte sich enger in Dylans Jacke und sagte kaum hörbar: „Es ist meine Schuld. Ich hätte nicht mit Mom streiten sollen. Ich hätte sie nie verlassen dürfen.“ Sie zog die Füße auf den Stuhl und schlang die Arme um die Knie. „Ist sie erschossen worden?“, flüsterte sie.

„Ja.“

Noch nie hatte sie sich so elend gefühlt. „Ich danke dir, dass du dich um sie gekümmert hast. Das musstest du nicht.“

„Doch. Ich hatte das FBI davon überzeugt, dass Miriam meine Hilfe brauchte.“

Weil es sonst niemanden gab, dachte Julia. Ihre Mutter hatte außer ihr keine Verwandten gehabt. Julia wehrte sich dagegen, ihre Mutter tot auf dem Boden liegend vor sich zu sehen, aber sie konnte das Bild nicht verdrängen. Ihre Mutter, von einem Schuss niedergestreckt, lag in ihrem Blut … Julia glaubte, an dem Schuldgefühl ersticken zu müssen. „Wo ist sie begraben?“, stieß sie leise hervor.

Dylan lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. „In Arizona.“

„Dort, wo du lebst. Wo auch ich einmal zu Hause war.“ Sie hob den Kopf. Dylans ernster Blick ruhte auf ihr, dunkel und gefährlich, wie ihr schien. Sie verstand nicht, warum er sich in Bezug auf ihre Mutter so verantwortlich fühlte. Er hatte doch nichts Falsches getan. Im Gegenteil, er hatte sich voll eingesetzt. Er hatte sie selbst aus der Gewalt der Entführer gerettet. Er hatte dafür gesorgt, dass ihre Mutter einen würdigen Ruheplatz fand. Warum wirkte er dann so düster, so deprimiert?

„Komm mit mir nach Hause, Julia.“

„J. J.“, entfuhr es ihr unwillkürlich.

„Julia!“, gab er scharf zurück.

Und wieder starrten sie einander an, fest entschlossen, nicht nachzugeben. Die Spannung war körperlich spürbar.

Dieser Mann da, dieser leider so attraktive Cowboy, dem nichts vorzuwerfen war, wollte nun auch noch ihre neue Identität stehlen, die sie sich so mühsam aufgebaut hatte. Er wollte Julia zwingen, J. J. für immer zu beerdigen – so wie er ihre Mutter zu Grabe getragen hatte.

„Komm mit zu mir nach Hause“, bat er wieder.

Obwohl sie sich danach sehnte, in seine Arme zu sinken, schüttelte sie den Kopf. „Nein.“

„Du willst doch bestimmt Miriams Grab aufsuchen“, versuchte er sie unter Druck zu setzen.

Um Himmels willen, nein. Das war wirklich das Letzte, was sie wollte, mit ihm zusammen nach Arizona zurückkehren, vielleicht noch neben ihm vor dem Grabstein ihrer Mutter knien. Er würde sie weinen sehen. Das durfte nicht sein. Diese Schwäche wollte sie ihm nicht zeigen.

Sie hatte bereits in seinen Armen geweint, als er sie aus dem Schlamassel rettete, in den ihre Mutter sie gebracht hatte. Als er sie aus dem verdreckten Wohnwagen trug zum Beispiel, in dem die Entführer sie versteckt hatten, und sie endlich wieder die helle warme Sonne erblickte.

Sie wollte sich nicht erneut in seine Abhängigkeit begeben, er hatte genug für sie getan. Ihre Mutter war tot, und mit dieser Tatsache musste sie erst einmal zurechtkommen. Wenn sie sich vorstellte, dass ihre Mutter dem Mörder ausgeliefert gewesen war, während sie, Julia, auf dem Pferdehof in Sicherheit war, dann krampfte sich ihr Herz zusammen.

„Ich habe meine Mutter geliebt“, sagte sie jetzt leise. „Aber unser Verhältnis zueinander war nie einfach gewesen. Schon als ich ein kleines Mädchen war, hatten wir Schwierigkeiten.“

„Ich weiß.“

„Ach so, ja, natürlich weißt du.“ Sie lachte kurz und bitter auf. „Du hast ja Privatdetektive auf mich angesetzt. Jetzt kennst du all meine Geheimnisse.“ Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie immer noch seine Jacke trug. Und irgendwie war sie noch nicht bereit, sie wieder herzugeben.

„Vielleicht“, sagte er ruhig, „vielleicht habe ich bisher aber auch erst die Spitze des Eisbergs gesehen.“

Oh nein, dachte sie. Er hatte so viel mehr gesehen und in ihr ausgelöst, viel zu viel. Schnell zog sie seine Jacke aus und gab sie ihm zurück. „Ich muss mit Henry sprechen und ihm erzählen, was los ist.“

„Gut, einverstanden.“ Dylan verschränkte die Arme. Sein ausdrucksvolles Gesicht mit den hohen Wangenknochen blieb ernst. „Aber ich gehe nicht ohne dich.“

Sie ging zur Haustür, und als sie sich noch einmal umwandte, sah sie, dass er sie nicht aus den Augen gelassen hatte. Er stand da, hochaufgerichtet wie ein stolzer Krieger, der gerade das Herz einer Frau besiegt hatte.

Julia trat in das kühle Haus und ging gleich in das kleine Wohnzimmer. Sie wusste, dass es Henrys Lieblingsraum war, weil ihn hier so vieles an seine verstorbene Frau erinnerte. Sie hatte die kleinen Deckchen gehäkelt und die hübschen Figürchen gesammelt, die in der Glasvitrine standen.

Julia blickte auf das vergilbte Hochzeitsfoto der beiden, das Henry in einem silbernen Rahmen aufbewahrte, und ihr kamen die Tränen. Sie hatte nicht ein einziges Bild ihrer Mutter. Denn als sie nachts so überstürzt geflohen waren, hatten sie nur das Nötigste mitnehmen können. Alles, was nicht zum Überleben gebraucht wurde, ließen sie zurück. Also auch die Fotoalben.

Henry saß in seinem Lieblingssessel, richtete sich aber sofort auf, als Julia das Zimmer betrat. „Was ist denn los?“, fragte er. „Was hat dieser junge Mann gesagt?“

„Er hat mir erzählt, dass meine Mutter ermordet wurde.“ Sie griff haltsuchend nach der Tischkante. „Und dass er sie begraben hat.“

Henry stand auf und nahm sie in die Arme. „Das tut mir sehr leid.“

„Es tut so weh.“ Sie wusste, Henry konnte ihren Schmerz nachfühlen. Seine Frau war vor fünf Jahren gestorben, und seitdem versuchte er mehr schlecht als recht, allein zurechtzukommen. Julia richtete sich auf. Auf keinen Fall durfte sie jetzt anfangen zu weinen, denn dann würde sie nicht mehr aufhören können. „Ich weiß nicht, wie ich dir das alles erklären soll.“

„Fang einfach irgendwie an, Kind. Erzähl mir, wer du bist und was Dylan dir bedeutet.“

„Mein richtiger Name ist Julia Joyce Alcott. Vor neun Monaten hat Dylan mich aus der Gewalt von Entführern befreit. Danach haben meine Mutter und ich die Stadt verlassen, aber Dylan hat nach uns gesucht, weil er wusste, dass man einen Profikiller auf uns angesetzt hatte.“

„Aber warum bist du entführt worden?“

Julia seufzte leise. Sie hätte sich denken können, dass Henry Genaueres wissen wollte. Und so erzählte sie alles, auch das, was sie von Dylan erfahren hatte. Dass ihre Mutter eine leidenschaftliche Spielerin gewesen war, die sich von zwielichtigen Typen Riesensummen geliehen hatte, die sie nicht zurückzahlen konnte. „Um meine Mutter unter Druck zu setzen, wurde ich entführt. Ich hatte anfangs keine Ahnung, wer meine Entführer waren. Erst als Dylan mich befreit hatte, erfuhr ich die Wahrheit. Aber meine Mutter flehte mich an, nicht zur Polizei zu gehen, denn sie war sicher, dass die Polizei uns nicht vor den Kredithaien schützen konnte. Sie meinte, wir sollten einfach verschwinden, andere Namen annehmen und uns ein neues Leben aufbauen. Ich war naiv genug mitzumachen. Aber sobald wir unterwegs waren, fing sie wieder an zu spielen.“

„Daraufhin habt ihr euch zerstritten?“, fragte Henry und sah Julia bekümmert an.

„Ja. Wir haben uns getrennt. Ich fand hier Zuflucht, und meine Mutter fand den Tod.“

„Das hätte dir auch passieren können. Aber hier bist du sicher. Hier gehörst du her, dies ist jetzt dein Zuhause. Auch wenn wir nicht viel mehr als unser Auskommen haben.“

„Danke, Henry.“

Eine Zeit lang schwiegen sie. Sie wussten beide, dass der Pferdehof Henrys Leben Sinn gab. Er hatte, solange er denken konnte, mit Pferden gearbeitet, aber nachdem seine Frau gestorben war, hatte er sich ganz darauf konzentriert, misshandelte und ausgemusterte Pferde zu retten.

„Seid ihr denn ein Liebespaar, du und Dylan?“, fragte er plötzlich.

Sie schüttelte heftig den Kopf. „Nein, nein. Für ihn bin ich immer noch Julia, die Frau, die ihm ihr Leben verdankt und für die er sich seitdem irgendwie verantwortlich fühlt.“

„Ach so. Dass er Julia zu dir sagt, ist eigentlich kein Wunder. Unter dem Namen hat er dich doch kennengelernt. Soll ich auch Julia zu dir sagen?“

„Nein, ich möchte J. J. bleiben.“

„Das passt ja auch nach wie vor.“ Henry lächelte verschmitzt. „Hast du mir nicht gesagt, deine ersten beiden Namen seien Julia Joyce? Also kannst du für mich immer J. J. bleiben.“

Jetzt musste auch Julia lächeln. „Dylan möchte, dass ich mit ihm nach Arizona komme, um das Grab meiner Mutter zu sehen.“ Sie blickte zu Boden. „Aber ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin.“

„Das musst du tun, mein Kind. Du wirst dir ewig Vorwürfe machen, wenn du nicht Frieden mit ihr schließt.“

„Aber das ist doch nun alles vorbei.“

„Nein, das ist es nicht. Du hast noch nicht einmal angefangen zu trauern. Noch bist du unter Schock, aber wenn dir irgendwann richtig klar wird, was passiert ist, wirst du sehr leiden. Und wenn du von deiner Mutter nicht Abschied nimmst, wird es nur noch schlimmer sein.“

„Weißt du das aus eigener Erfahrung? Ich meine, war das so, als deine Frau starb?“

Er nickte. „Ja. Ich war wütend auf sie, dass sie sich davonmachte und mich so einfach allein ließ. Ich wollte mich nicht damit abfinden, dass sie tot war. Erst als ich das akzeptiert hatte und mich innerlich von ihr verabschiedet hatte, konnte ich wieder frei atmen.“

„Aber ich bin nicht wütend auf meine Mutter, weil sie tot ist.“

„Das nicht, aber du verzeihst ihr nicht, dass sie dein Leben so durcheinandergebracht hat. Das musst du ihr irgendwann vergeben. Also fahre mit Dylan nach Arizona und besuche ihr Grab. Du wirst sehen, dass dann alles einfacher wird, vor allem, wenn er dir zur Seite steht.“

Sie war immer noch unschlüssig. „Ich weiß nicht. Ich mag nicht, dass er mich zwingen will. Er hat gesagt, ohne mich würde er den Pferdehof nicht verlassen.“

„Dann gehe mit ihm. Ich habe den Eindruck, er ist ein guter Mann. Jemand, auf den du dich verlassen kannst.“

Das schon. Aber deshalb wurde ihr nicht leichter ums Herz. Denn sie fürchtete, wieder entführt zu werden, wenn sie mit Dylan fuhr.

Diesmal allerdings würde der Mann, der sie gerettet hatte und in dessen Armen sie sich einst so sicher gefühlt hatte, sie gefangen halten.

2. KAPITEL

Während Dylan auf Julia wartete, ging ihm so viel durch den Kopf, dass er die friedvolle Landschaft kaum wahrnahm. Er setzte sich auf das Geländer und versuchte herauszufinden, warum er so heftig auf Julia reagierte.

So etwas wie Besitzansprüche an eine Frau kannte er nicht. Erst als er mehr oder weniger zufällig auf Julia traf und sie von dem schrecklichen Stacheldraht befreite, mit dem sie gefesselt war, hatte er dieses ihm fremde Gefühl das erste Mal empfunden. Und als er sie auf die Arme hob und sie sich an ihn presste, hatte er gespürt, wie sehr sie ihn brauchte.

Nie würde er den Moment vergessen, wie sie mit ihren Lippen über seine Wange strich, wie ihr Mund sich langsam seinem näherte, wie sie ihn beinah geküsst hätte. Zart, süß und sinnlich.

Kein Wunder, dass er sie begehrte und sich nach ihren Berührungen sehnte. Aber deshalb würde er kein schlechtes Gewissen haben. Es gab vielmehr etwas anderes, das ihn ganz krank machte.

Der gewaltsame Tod ihrer Mutter.

Er fühlte sich dafür verantwortlich, dass ein Killer auf sie angesetzt worden war.

Nie könnte er Julia davon erzählen, zumindest jetzt noch nicht. Die Wahrheit machte Miriam auch nicht lebendig. Aber sie würde das zerstören, was er unbedingt erhalten wollte. Die zerbrechliche und doch so intensive Beziehung zu ihrer Tochter.

Schon bevor ihre Mutter getötet wurde, hatte er die Sehnsucht verspürt, Julia zu beschützen, ihr näherzukommen, ja, Teil ihres Lebens zu sein.

Als er hörte, wie eine Tür in den Angeln quietschte, beschleunigte sich sein Puls. Julia trat aus dem Haus, und er ging ihr entgegen. Sie hatte sich eine Lederjacke übergezogen, war aber so blass, als sei ihr immer noch kalt.

Wie verletzlich sie aussah.

„Henry hat gemeint, ich solle mit dir nach Arizona fahren“, stieß sie kaum hörbar hervor. „Also werde ich mitkommen.“

Ob es ihn von seinem Schuldgefühl befreien würde, wenn er sie zum Grab ihrer Mutter brachte? „Ich bin froh, dass Henry meine Meinung teilt.“

„Ich habe den Eindruck, die meisten Menschen tun das, was du willst.“

„Du aber nicht.“

„Ich hätte nie gedacht, dass ich dir wieder begegnen würde. Und auf keinen Fall hier und so.“ Sie steckte die Hände tief in die Jackentaschen.

Er ließ ihren Blick nicht los. „Dann wolltest du mich vergessen?“

„Ich wollte alles vergessen, was geschehen war.“

„Aber das ist dir nicht gelungen, Julia. Oder?“

Autor

Sheri White Feather
Sheri WhiteFeather hat schon viele Berufe ausprobiert: Sie war Verkaufsleiterin, Visagistin und Kunsthandwerkerin. All das gibt ihr für ihre Romances Anregungen, aber am meisten wird sie von ihrem Ehemann inspiriert. Er stammt von den Muskogee-Creek-Indianern ab und ist Silberschmied. Er ist sehr tierlieb, so dass in ihrem Haushalt eine ganze...
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