Heiße Leidenschaft - Best of Baccara 2020

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Mit diesem eBundle präsentieren wir Ihnen die schönsten und erfolgreichsten Baccara-Romane aus 2020 - leidenschaftlich, aufregend und extravagant. Die kleine Auszeit vom Alltag für die selbstbewusste Frau … Happy End garantiert!

ARROGANT, REICH UND VERFÜHRERISCH von KATY EVANS

Nie wieder wird sie für diesen arroganten Tyrannen arbeiten! India Crowley fühlt sich großartig, als sie ihrem Boss William Walker die Kündigung vor die Füße wirft. Doch dann bittet er sie, als Nanny für seine kleine Nichte einzuspringen. Ein Nein ist unmöglich, schließlich kann sie das Kind doch nicht mit diesem Egoisten allein lassen! In der Villa des Womanizers knistert es bald heiß zwischen ihnen, und William als zärtlicher Dad macht India sprachlos. Sie ist sicher: Der sonst so unnahbare Workaholic verbirgt noch weitaus mehr vor ihr …

HEIßE LUST UND DUNKLE GEHEIMNISSE von JANICE MAYNARD

Eine Zweckehe! Darum bittet Reeder Jonathan Tarleton seine Assistentin Lisette, als er erfährt, dass er nur noch ein Jahr zu leben hat. Denn Lisette ist nicht nur brillant, sie ist auch die Einzige, der er bedingungslos vertraut. Deshalb soll sie für ihn die Geschäfte weiterführen und das Familienunternehmen retten. In den Flitterwochen auf Antigua merkt Jonathan: Er begehrt Lisette schon seit langer Zeit. Sie verbringen Stunden heißer Lust miteinander - doch dann entdeckt er, dass Lisette etwas vor ihm verbirgt …

GEHEIMES VERLANGEN NACH DEM TYCOON von ANDREA LAURENCE

Für Immobilien-Tycoon Sawyer Steele ist die erste Begegnung mit Wirbelwind Kat ein Erlebnis der besonderen Art: Mitten auf einem Ball verpasst sie ihm eine Ohrfeige, weil sie ihn für seinen treulosen Zwillingsbruder hält. Aber noch nie hat allein der Blick einer Frau seine Welt so aus den Angeln gehoben! Ihr Sex-Appeal bringt ihn um den Verstand, und schon bald landen sie in seinem Bett. Doch wieder und wieder fragt er sich: Gelten ihre Küsse wirklich ihm, oder begehrt sie heimlich noch immer seinen Bruder?


  • Erscheinungstag 07.01.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505437
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Katy Evans, Janice Maynard, Andrea Laurence

Heiße Leidenschaft - Best of Baccara 2020

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2019 by Katy Evans
Originaltitel: „BIG SHOT“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 2134 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Ute Augstein

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733726195

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

India

Es gibt drei Dinge in meinem Leben, die mich wirklich nerven. Als Allererstes wäre da meine Schlafstörung, die mich mit schöner Regelmäßigkeit jeden Morgen um fünf Uhr aufwachen lässt – auch an den Wochenenden. Als Zweites die Tatsache, dass nicht jeder Mensch von diesem Problem betroffen ist. Beispielsweise schwebt meine Mitbewohnerin Montana jeden Morgen ausgeruht, frisch und im Gegensatz zu mir gänzlich ohne Augenringe in die Küche, um zu frühstücken. Ich hingegen bin zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Stunden wach und fühle mich angesichts dieser unverschämten Vitalität noch miserabler. Das Schlimmste für mich ist allerdings die Tatsache, dass ich meinen Boss aus tiefstem Herzen hasse.

Meinen fordernden, arroganten Boss, der anstelle eines menschlichen Herzens einen Stein in der Brust sitzen hat.

Kennen Sie diese Typen, die fieberhaft auf den Türöffnungsknopf des Fahrstuhls drücken, wenn sie jemanden sehen, um nicht mit ihm sprechen zu müssen? Wissen Sie was?

Genau so ist mein Boss. Nur schlimmer.

Es ist gerade mal kurz nach fünf Uhr morgens.

Obwohl ich bereits seit mehreren Minuten wach bin, habe ich noch keinen Versuch unternommen aufzustehen. Meine Gedanken kreisen unentwegt darum, dass mir ein weiterer langer Tag mit dem aufgeblasenen Schönling William Walker bevorsteht. Seit ich vor einem Jahr seine Assistentin geworden bin, macht er mir das Leben zur Hölle. Seither wache ich jeden Morgen zu dieser unseligen Zeit auf und zerbreche mir den Kopf, wie ich mich vor der Arbeit drücken kann, ohne meinen Job zu verlieren.

Soll ich mich krankmelden?

Eine Schramme auf meine Stirn malen und behaupten, dass ich gefallen bin?

Erklären, dass mein Hund nicht meine Hausaufgaben, sondern mich gefressen hat?

Gewagt – zumal ich nicht einmal einen Hund habe und auch nicht mehr auf dem College bin.

Außerdem ist William Walker schlimmer als jeder Unidozent, den ich je hatte.

Schlimmer als überhaupt jemand, dem ich je begegnet bin.

Wie Voldemort, aber ziemlich sexy.

Die Minuten verstreichen. Seufzend stehe ich endlich auf und ziehe wie üblich einen grauen Hosenanzug an, der sozusagen meine Standarduniform für einen Tag bei Walker Industries ist. Schließlich will ich meinen Boss nicht mit meiner Kleidung, sondern vielmehr mit meinen Fähigkeiten und meiner Arbeitsmoral beeindrucken. Zumindest wollte ich das einmal, bis mir bewusst wurde, dass das meinen Chef nicht interessiert.

Nachdem ich mich angezogen, mir das Gesicht gewaschen und die Zähne geputzt habe, gehe ich in die Küche, um die Kaffeemaschine anzuschalten. Die Küche ist der schönste Raum in unserem Apartment, weil meine Mitbewohnerin Montana wahnsinnig gern backt. Sehnsüchtig blicke ich zu ihrer Zimmertür und wünsche mir lächelnd, dass sie aufwacht und etwas Köstliches aus dem Backofen zaubert.

Da ich allerdings weiß, dass dies innerhalb der nächsten vier Stunden nicht geschehen wird, nehme ich meinen Kaffeebecher und mache es mir mit dem Laptop auf einem der Barhocker bequem, um an meinem Roman weiterzuarbeiten. Es kann Fluch und Segen zugleich sein, morgens so früh aufzuwachen, aber es ist jedenfalls die perfekte Gelegenheit, in Ruhe zu schreiben.

An diesem Morgen spüre ich meinen kreativen Flow ganz besonders intensiv, denn ich versinke förmlich in der Geschichte. Meine Finger machen sich selbstständig und berühren die Tasten kaum, während ich schreibe. Und schon habe ich fünfhundert neue Wörter auf meinem Bildschirm.

Dabei habe ich keine Ahnung, ob das, was ich geschrieben habe, auch gut ist. Die Perfektionistin in mir sehnt sich danach, noch einmal zurück an den Anfang zu gehen und meine Fehler zu korrigieren. Doch schon vor langer Zeit habe ich gelernt, die zweifelnden Stimmen in meinem Kopf zu ignorieren. Wenn ich meinen Roman jemals zu Ende bringen möchte, dann muss ich die Wörter einfach fließen lassen, wie sie kommen. Später kann ich immer noch alles in Ruhe durchgehen und den Sätzen den perfekten Schliff verleihen.

Das ist der Teil, den ich bei der ganzen Sache am meisten liebe.

Wenn ich schreibe, fällt es mir leicht, meine Arbeit und albtraumhafte Chefs zu vergessen. In dem Moment jedoch, indem ich Montanas Wecker höre, weiß ich, dass meine friedvolle Zeit beendet ist. Zwar habe ich an diesem Morgen viel geschafft, doch ich sehne mich danach, weiterzuschreiben. Auf gar keinen Fall möchte ich daran erinnert werden, dass es heute wieder an der Zeit ist, William Walker zu treffen.

„Guten Morgen, Sonnenschein“, sagt Montana mit einem strahlenden Lächeln, als sie die Küche betritt und geradewegs auf den Kühlschrank zugeht, um die Zutaten für ihren frühmorgendlichen Smoothie zusammenzusuchen. Wie immer sieht sie beneidenswert frisch aus, obwohl sie gerade erst aufgestanden ist. Ihr schwarzes Haar hat sie zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden, und ihr zarter Teint ist makellos, obwohl sie keine Spur Make-up trägt.

„Guten Morgen, Süße“, erwidere ich lächelnd und schließe meinen Laptop. „Du bist selbst so schön wie die Sonne.“

Lachend wirft mir Montana einen Blick über die Schulter zu. „Und?“, fragt sie hoffnungsvoll. „Hast du ein bisschen schreiben können?“

„Massenweise. Nur zu schade, dass ich jetzt aufhören muss. Willst du noch joggen?“, erkundige ich mich.

Sie blickt auf ihre Armbanduhr. „Wenn ich es vorher noch hinbekomme. Ich muss heute um acht Uhr in der Bäckerei sein.“

Seit fast einem Jahr arbeitet Montana in der angesagtesten Konditorei der Stadt. Die backen dort nicht etwa Bienenstich und Brötchen, sondern die ausgefallensten Hochzeitstorten und Ausstellungsbackwaren, die man sich nur vorstellen kann. Obwohl die Sachen höllisch teuer sind, können die Leute in Chicago nicht genug davon bekommen, und die Geschäfte laufen gut.

Auch ich stehe auf die süßen Delikatessen, die Montana von der Arbeit mit nach Hause bringt.

Meine Mitbewohnerin ist wirklich eine beneidenswerte Person: Sie ist erfolgreich in ihrem Traumjob, hat den Körper einer Göttin und den besten Charakter, den man sich vorstellen kann. Insgesamt hat sie also alles, wovon normale Frauen nur träumen, trotzdem muss man sie einfach gernhaben, denn sie ist außerdem die reizendste Person, die ich kenne. Sie ist wie eine Schwester für mich, und ich wünsche ihr alles Glück auf Erden.

„Ich bin ziemlich sicher, dass dein Körper es dir verzeihen würde, wenn du mal auf ein Workout verzichtest“, sage ich und strecke scherzhaft die Zunge heraus.

Montana lacht. „Oh, nein, das kann ich nicht tun. Wenn ich erst mal damit anfange, nichts zu tun, hat mein innerer Schweinehund gewonnen. Wenn ich es jetzt nicht schaffe, trainiere ich heute Abend. Willst du mich dabei begleiten?“

Abwehrend halte ich die Hände hoch. „Nein, vielen Dank. Mein Training besteht darin, zum Kaffeeautomaten zu rennen.“

„Weißt du“, sagt Montana, während sie die Zutaten in den Mixer schüttet. „Ich finde es schrecklich, dass du für diesen Typen arbeiten musst. Weißt du, was ich neulich im Business Insider gelesen habe? Man nennt ihn auch den Mann aus Stein. Lächelt der Kerl eigentlich jemals?“

„Niemals“, erwidere ich verächtlich.

Plötzlich wird Montana ernst. „India, wirklich, ich liebe dich wie eine Schwester. Aber ich glaube, dass dieser Job nicht das Richtige für dich ist. Wann hat dich dieser Kerl neulich angerufen? Mitten in der Nacht, oder? Ich glaube, es ist drei Uhr morgens gewesen, als ich gehört habe, wie dein Handy geklingelt hat.“

„William ist ein Workaholic. Er weiß nicht, wann Schluss ist, und denkt, dass alle wach sind, wenn er wach ist“, entgegne ich und habe keine Ahnung, warum ich ihn überhaupt verteidige, denn ich hasse diesen Typen. Wirklich.

„Ich dachte nur, vielleicht … Also, wie auch immer, ich will einfach nicht mehr diese dunklen Ringe unter deinen Augen sehen, Indy.“

Schwach lächelnd verstaue ich meinen Laptop. „Glaub mir, mir gefallen sie auch nicht. Aber dieser Job ist nun mal notwendig. Durch ihn kann ich mich über Wasser halten, während ich an meinem Roman schreibe. Und genau aus diesem Grund halte ich durch, selbst wenn ich diesen Job hasse“, erkläre ich optimistischer, als ich mich fühle. „Dieses Buch wird ein Bestseller, dass spüre ich.“

„Trotzdem …“ Konzentriert schüttet Montana ihren Smoothie in ein Glas. „Du solltest dir nicht alles von diesem Typen gefallen lassen. Sag ihm deine Meinung, wenn’s nötig ist, und erinnere dich immer daran, wer dein wirklicher Boss ist. Das bist nämlich du selbst, Indy.“

Ich habe das Gefühl, mein Lächeln wirkt so gezwungen, dass meine Mitbewohnerin es bestimmt merkt. „Tja, danke für den großartigen Ratschlag, Mon. Wir sehen uns nachher, okay?“

„In Ordnung, Sweety. Ich wünsche dir einen tollen Tag. Bye.“

„Bye.“ Während ich den Raum verlasse, wird mir bewusst, dass mich jeder Schritt näher zum Büro bringt. Näher zu William Walker, dem Mann, dem man nachsagt, er hätte ein Herz aus Stein. Oh, ja. Alles an diesem Typen ist steinhart, auch sein Herz.

Unwillkürlich erschauere ich, als ich ihn mir in seinem maßgeschneiderten Anzug vorstelle. Moment mal, was mache ich denn da? Das war doch bestimmt ein Gefühl der Angst, das ich eben gespürt habe, oder? Klar, ich bin bestimmt nicht so masochistisch, dass mein Zittern einen anderen Grund haben könnte.

Nachdem ich das Apartment verlassen habe, gehe ich zur Haltestelle. Es ist nicht weit bis zu meiner Arbeit – leider. Ich bin viel schneller in der Hölle, als mir lieb ist.

Wollen Sie mal etwas Lustiges hören? Während meiner Arbeitszeit denke ich meistens an nichts anderes als daran, wie ich meinen Boss loswerden und meinen Job trotzdem behalten könnte. Das ist nicht ganz einfach, aber ich bin ziemlich geschickt darin. Schließlich habe ich nichts Besseres zu tun mit meiner Zeit, wenn ich Formulare ausfülle, Telefonate entgegennehme und versuche, alles perfekt zu machen für einen Mann, dem man nichts recht machen kann.

In den wenigen freien Minuten, die ich jeden Tag habe, hänge ich Tagträumen nach. So stelle ich mir beispielsweise vor, eine Prise Salz in seinen Kaffee zu schütten oder all seine Ordner am falschen Platz abzulegen. Natürlich bin ich viel zu perfektionistisch, als dass ich so etwas wirklich tun würde. Aber man wird ja wohl noch mal träumen dürfen, oder?

Meine Mutter hat mich schon oft über meine Arbeit ausgefragt. Wenn ich ihr Williams Verhalten beschreibe, glaubt sie immer, dass ich überreagiere. Anstatt mit mir mitzufühlen, erzählt sie mir immer, dass sie ihn im Business Insider gesehen hat und wie attraktiv er aussieht. Außerdem behauptet sie, dass ernstes Auftreten das Markenzeichen eines guten Chefs sei. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte sie für einen Tag mit zu meiner Arbeit nehmen. Dann würde sie es selbst sehen und mich verstehen.

Aber vermutlich würde sie immer noch behaupten, dass er einen fantastischen Ehemann abgäbe.

Dass ich nicht lache! Die Frau, die ihn eines Tages abbekommt, bedauere ich jetzt schon.

Okay, er mag Millionär sein, aber er hat auch Millionen von Mauern um sich herum errichtet. Ein ganzes Frauenleben würde nicht ausreichen, auch nur ein paar von ihnen einzureißen.

Als ich nach der Fahrt die U-Bahn-Station verlasse, werde ich von dem für Chicago üblichen kalten Wind begrüßt und stehe vor dem Gebäude, in dem ich den ganzen Tag verbringen werde. Es ist der Hauptsitz von Walker Industries, eines der landesweit größten Unternehmen im Bereich Online-Gaming. Mom sagt, ich kann stolz darauf sein, unter Hunderten von hoffnungsvollen Bewerberinnen als William Walkers Assistentin ausgewählt worden zu sein. Doch während ich auf das gigantische Gebäude starre, würde ich lieber sanitäre Einrichtungen reinigen, als jetzt hier reinzugehen.

Warum? Was ist bloß mit mir los?

Dabei war ich so aufgeregt, als mich die Personalabteilung von Walker Industries eingestellt hat. Ich war wissbegierig und wollte nur von den Besten lernen. William Walker hatte den Ruf, ein Genie zu sein. Ganz allein hat er das Unternehmen aufgebaut und zum Erfolg geführt. Doch als ich ihn am ersten Tag hinter seinem Schreibtisch sitzen sah, wurde mir beim durchdringenden Blick seiner blauen Augen ganz schwindelig vor Angst. Ich befürchtete, keinen besonders guten ersten Eindruck zu hinterlassen.

Also versuchte ich zu retten, was zu retten war, und begrüßte ihn. Meine Stimme klang jedoch ganz zittrig, und ich wurde immer nervöser, je durchdringender er mich anstarrte. Seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, wie wenig er von mir hielt. Von diesem Tag an hat er sich mir gegenüber wie ein Mistkerl verhalten, und ich hasse meinen Job täglich ein bisschen mehr.

Trotzdem sammle ich all meinen Mut zusammen, gehe weiter und nicke den Kollegen am Schreibtisch zu. Ihr Lächeln wirkt ein wenig mitleidig, als sie meinen Gruß erwidern. Sie wissen, für wen ich arbeite, und als sie ihre Gespräche fortsetzen, wirken sie nicht so, als ob sie mit mir tauschen wollten.

Vor dem Aufzug wartet niemand. Alle glauben, einen guten Eindruck zu machen, wenn sie statt des Fahrstuhls die Treppen nehmen – im Gegensatz zu mir. Mein Arbeitsplatz befindet sich ganz oben im zweiunddreißigsten Stockwerk im Büro des CEO und Eigentümers des Unternehmens. Des Alphatiers, größten Blödmanns, des Mannes aus Stein.

Na, wenigstens wartet William heute nicht vor dem Fahrstuhl und drückt in aller Seelenruhe den Knopf zum Schließen der Türen, während ich armwedelnd auf ihn zulaufe, damit er noch auf mich wartet.

In der obersten Etage ist es relativ still. Alle wichtigen Leute des Unternehmens arbeiten hier, und wenn sie wissen, was gut für sie ist, verhalten sie sich so ruhig wie möglich. William hasst es nämlich, gestört zu werden. Das macht es umso verlockender, für eine Störung zu sorgen, aber heute gehe auch ich ganz leise in mein Büro, weil ich nicht in der Stimmung bin, unnötigen Ärger zu verursachen. Mein Arbeitsplatz gleicht einer Glasschachtel, und mittlerweile habe ich mich an meinen leistungsstarken Computer, den ultramodernen Schreibtisch und die atemberaubende Aussicht auf Chicago gewöhnt. In jedem anderen Job hätte ich mich über diese Annehmlichkeiten gefreut, hier aber erinnern sie mich nur daran, dass ich für die nächsten acht Stunden in diesem Raum eingesperrt bin.

Ich bemerke, dass Williams noch nicht da ist. Dabei zählt er zu den Menschen, die täglich viel zu früh mit der Arbeit beginnen. Vermutlich liegt es daran, dass er kein Sozialleben hat – er ist ein einsamer Wolf, wie meine Mutter mir verraten hat. Für mich klingt das jedoch nur, als ob er ein großer Mistkerl ist, mit dem niemand etwas tun haben will und der deswegen keine echten Freunde hat. Und ich muss es schließlich wissen, denn ich führe auch seinen Kalender für private Verabredungen, und davon gibt es nicht viele.

Aber wo steckt er heute nur? Wenn er nicht vor uns anderen da ist, dann ist das schon eine Art Verspätung. Bevor er eintrifft, habe ich wenig zu tun, weswegen ich zum Kaffeeautomaten gehe, um mir eine Tasse zuzubereiten. Gerade als die Maschine die Kaffeebohnen mahlt, öffnet sich die Fahrstuhltür, und William tritt ein.

Zugegeben, er hat etwas an sich, das mir jedes Mal ein bisschen den Atem raubt. Energisch kommt er mit drei weiteren Leuten im Schlepptau auf mich zu. Sein Haar ist perfekt gestylt, sein markantes Kinn glatt rasiert. Wie immer sind seine Augen von einem durchdringenden Blau, und ich kann ihn mir ausgezeichnet auf der Titelseite des Business Insider vorstellen – als das personifizierte Selbstvertrauen. Doch heute wirkt er sehr verärgert.

Alle Kollegen im Büro sehen zu, wie er mit einem Stapel Papieren unter dem Arm auf mich zumarschiert. Seine Eskorte kann dabei kaum Schritt mit ihm halten. Nun bekomme ich es doch ein bisschen mit der Angst zu tun und vergesse meinen Kaffee. Habe ich etwas falsch gemacht?

„Guten Morgen, Mr. Walker …“

„Nur dass es kein guter Morgen ist, oder, India?“, stößt er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und drückt mir den Papierstapel in die Hand. „Beseitigen Sie dieses Chaos! Und ich möchte nichts von Ihnen hören, bevor Sie damit fertig sind.“

Dann dreht er sich um und stapft wortlos davon. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich die ganze Zeit über den Atem angehalten habe.

Und genau das ist der Grund, weswegen ich diesen Mann trotz seines guten Aussehens, trotz seines Geldes und trotz seiner energischen Ausstrahlung nicht im Geringsten ausstehen kann.

2. KAPITEL

William

Haben Sie jemals einen Fehler in dem Moment bereut, in dem Sie ihn begangen haben? Mir passiert das ständig. Gerade eben zum Beispiel, vor einigen Sekunden, als ich so unfreundlich zu meiner Assistentin gewesen bin. In dem Augenblick, als ich ihr die Dokumente in die Hand drückte, wusste ich, dass ich mich wie ein Mistkerl benehme. Als ich dann noch weggegangen bin, ohne meinen Fehler zuzugeben, wusste ich, dass ich mich wieder einmal unverzeihlich benommen habe.

Aber wen kümmert das schon? So bin ich nun mal. Mit hoch erhobenem Kopf schreite ich davon, und niemand ist ansatzweise schockiert oder enttäuscht. Die Leute, die für mich arbeiten, erwarten auch nichts anderes von mir. In all den Jahren, in denen ich mich so mies benommen habe, bin ich stets gut weggekommen. Mein schlechtes Verhalten ist für alle anderen so normal geworden, dass sie sich daran gewöhnt haben.

So sind die Dinge nun mal.

Ich betrete mein Büro und schließe die Tür, bevor mir jemand folgen kann. Ich muss unbedingt allein sein, aber das ist schwierig, wenn fast das gesamte Gebäude aus Glas besteht. Dieses Design geht auf einen Vorschlag meines Vaters zurück, den er mir in der Gründungsphase von Walker Industries unterbreitet hat. Zu jener Zeit habe ich nicht viel auf Ästhetik gegeben, weswegen ich zugestimmt habe. Mein Vater behauptete, dass auf diese Weise eine gesunde Arbeitsatmosphäre geschaffen werden würde. Er meinte, meine Angestellten würden mich als positives Vorbild betrachten, wenn sie mir bei meiner Arbeit im Büro zusehen können. Stattdessen fühle ich mich eher wie in einem riesigen Aquarium, in das man von allen Seiten hineinstarren kann.

Leise seufzend setze ich mich an meinen Schreibtisch und hoffe inständig, dass ich nicht so gestresst wirke, wie ich mich fühle. Wenn ich nach links schaue, sehe ich India, die sich in ihr Büro zurückgezogen hat, um mit dem Papierchaos fertig zu werden, das ich ihr aufgebürdet habe. Als sie flüchtig in meine Richtung sieht, lächelt sie mir etwas gezwungen zu, bevor sie ihren Stuhl so herumdreht, dass ich ihr Gesicht nicht mehr sehen kann.

India ist die Einzige, die aus ihrer Abneigung mir gegenüber keinen Hehl macht. Keine Ahnung, ob sie das absichtlich tut, aber bei ihr weiß ich stets, woran ich bin. Das wirkt auf gewisse Weise befreiend, denn alle anderen nehmen mein unfreundliches Verhalten stillschweigend hin, während sie bestimmt denkt: William Walker ist ein richtiger Mistkerl.

Lange Zeit sitze ich an meinem Schreibtisch, ohne etwas zu tun. Ich kann einfach nicht klar denken. Nicht nach den Neuigkeiten, die ich heute Morgen erhalten habe. Mein kleiner Bruder Kit, das schwarze Schaf der Familie, ist vor einigen Monaten Vater geworden, was ich immer noch nicht so richtig glauben kann. Doch die von ihm eingeführten Verbesserungen bei Cupid’s Arrow, einem der weltweit größten Datingportale, haben Kit jetzt zum Milliardär gemacht.

Eigentlich weiß ich gar nicht, warum mich das kümmert. Vielleicht weil ich es gewohnt bin, der Erfolgreichere von uns beiden zu sein – oder weil es mir gefallen hat, stets mit meinem Bruder Kit verglichen zu werden. Seine Fehler ließen mich bisher immer in einem besseren Licht dastehen. Doch das hat sich jetzt geändert. Mittlerweile befinden wir uns auf Augenhöhe, und ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.

Vermutlich bin ich ziemlich egoistisch, wenn ich mich nicht über den Erfolg meines Bruders freuen kann, oder? Dann erkenne ich, was mich so stört. Er hat alles erreicht, was mir auch gelungen ist, nur in wesentlich kürzerer Zeit: Macht, Prestige und Geld.

Selbst seine Ehefrau hat er bei der Arbeit für Cupid’s Arrow kennengelernt. Jetzt besitzt er wirklich alles – inklusive einer perfekten Familie.

Familie.

Das, wonach ich mich immer am meisten gesehnt habe. Mein Vater und ich haben uns nie besonders nahgestanden. Wie Kit ist er Brite. Kit und ich haben verschiedene Mütter. Meine ist eine kultivierte Amerikanerin, die meines Bruders Britin mit einem chaotischen Lebenslauf. Als mein Vater seine erste Frau, meine Mutter, kennenlernte, ist er in den USA sesshaft geworden. Bei einem Familienbesuch in Großbritannien hatte er eine Affäre mit Kits Mutter. Nach zwei Scheidungen lebte er schließlich wieder in Amerika und zog Kit und mich allein auf. Mein Vater und ich verbringen viel Zeit miteinander, aber wenn ich genau darüber nachdenke, haben wir eigentlich eher so etwas wie eine Geschäftsbeziehung. Wir reden über die Firma, Geld, Aktien und andere Investitionen, bevor wir uns die Hände schütteln und wieder getrennter Wege gehen.

Zu Kit hatte mein Vater schon immer eine engere Beziehung. Vielleicht liegt das daran, dass Kit ihm in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich ist. Er ist unbekümmert und unbeschwert und hat seine Zwanziger nicht damit zugebracht, immer alles richtig machen zu wollen. Arbeit, Liebe, Abstinenz. Nichts davon interessierte ihn, und während ich weiter damit beschäftigt war, die Karriereleiter emporzuklettern, hätte ich beinahe den Moment verpasst, in dem er sich veränderte und Alex, seine Frau, kennenlernte. Jetzt hat er wirklich alles, ich hingegen bin immer noch Single und frage mich, ob ich auch jemals eine Chance bekomme, mich zu verändern.

Es fällt mir nicht schwer, Frauen für mich zu interessieren, aber die Beziehungen halten nie besonders lange. In den Augen meiner Partnerinnen bin ich arrogant, unhöflich und schwierig. Vermutlich liegen sie da gar nicht so falsch. Bei meinem Kampf für den Aufbau und Erfolg von Walker Industries ist mein Herz zu Stein geworden. Das ist zumindest das, was die Leute glauben.

Natürlich mache ich ihnen deswegen keinen Vorwurf und verstehe ihre Bedenken sogar. Alles, worüber ich reden kann, ist meine Firma, mit der ich verheiratet bin. Da helfen auch mein attraktives Äußeres und mein Geld nichts.

Mein Temperament ist übrigens auch nicht besonders hilfreich.

Meistens warte ich, bis mein Stresslevel so hoch ist, dass ich einfach Dampf ablassen und meine schlechte Laune an jemandem abreagieren muss wie vorhin an India. Doch im Grunde bin ich kein schlechter Mensch. Das hoffe ich zumindest. Ich bin lediglich vom rechten Weg abgekommen und habe vergessen, wie das ist, gut zu sein. Alles, was ich brauche, um wieder auf den richtigen Kurs zu gelangen, ist die Hilfe einer Frau.

Flüchtig sehe ich zu India hinüber, die an ihrem Computer sitzt und schreibt und dabei sehr konzentriert wirkt. Mit ihrem leicht gebräunten Teint und den Sommersprossen auf der Nase ist sie eine sehr hübsche Frau. Ihre Augen haben dieselbe Farbe wie der Kaffee, den sie so gern trinkt. Große, ungebändigte Locken fallen ihr über die zarte Schulter. Dass sie sich immer in tristen Farben kleidet, spielt keine Rolle, weil sie sowieso gut aussieht.

Als mir auffällt, dass ich sie immer noch anstarre, blicke ich schnell auf meinen Monitor. Ich sollte mir wirklich nicht anmerken lassen, dass ich über meine Assistentin nachdenke, aber das macht viel mehr Spaß, als meinen trüben Gedanken über Kit nachzuhängen.

Unwillkürlich frage ich mich, wie es wohl wäre, eine Frau wie India in meinem Leben zu haben. Auf jeden Fall würde sie mich auf Trab halten, da bin ich mir ziemlich sicher. Auch wenn man es ihr bei der Arbeit nicht anmerkt, bin ich davon überzeugt, dass sie eine temperamentvolle Frau ist. Sie ist höllisch intelligent, strukturiert und ehrgeizig. Eine gute Mitarbeiterin. Außerdem hat sie Humor, und ihre witzigen Bemerkungen bringen die Kollegen am Kaffeeautomaten stets zum Lachen.

Aber ich frage mich auch, wie sie wohl in einer Beziehung wäre. In jeder Hinsicht leidenschaftlich und im Bett natürlich heiß wie ein Vulkan. Ich glaube, dass sie wegen Kleinigkeiten nachtragend und eifersüchtig sein kann, wenn eine andere Frau Interesse an ihrem Partner zeigt – ich kann mich jedoch auch irren. Immerhin hatte ich bisher keine Gelegenheit, sie besonders gut kennenzulernen.

Moment mal, schießt es mir da durch den Kopf, hatte ich gerade wirklich Fantasien bezüglich meiner Assistentin, die ich unentwegt rumkommandiere? Sie würde sich wohl kaum für mich interessieren, wenn man bedenkt, wie ich sie bisher behandelt habe. Würde ich sie gern zum Dinner einladen? Natürlich. Aber würde ich es jemals tun? Natürlich nicht, denn ich ahne, dass ihre Antwort nein lauten würde. Welche Frau würde schon freiwillig mit einem Typen ausgehen, der sie aller Voraussicht nach unglücklich macht?

Durch die Glastür höre ich das Klingeln ihres Telefons. Laut seufzend nimmt den Hörer ab und meldet sich mit ihrer fröhlichen Stimme. Als die Person am anderen Ende der Leitung zu sprechen beginnt, entspannt sie sich sichtlich. Sie lacht sogar ein bisschen, lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und hört offenbar interessiert zu. Ich verdrehe die Augen, denn ich weiß, wer der Anrufer ist.

Kit.

Solange India mit meinem Bruder spricht, muss ich mich einige Minuten gedulden. Dann sieht sie flüchtig in meine Richtung und sagt, dass sie Kit durchstellt. Nachdem sie das getan hat, dreht sie sich schnell wieder um, damit ich sie nicht sehe.

In dem Augenblick, in dem ich den Hörer an mein Ohr presse, beginnt Kit auch schon zu sprechen.

„Hey, Bruderherz! Lange Zeit nichts mehr von dir gehört. Wie geht’s dir? Ich hoffe, du hast ein Auge auf deine hübsche Assistentin geworfen. Sie ist ein Schatz.“

Ich atme einmal tief durch. Kit gibt mir so gut wie nie die Gelegenheit, ihm zuvorzukommen. Das endet normalerweise damit, dass ich zustimme, etwas für ihn zu tun, was ich ansonsten nie getan hätte. Mir wird klar, dass er mich nur anruft, weil er wieder mal meine Hilfe benötigt.

„Was willst du, Kit?“

„Was? Darf ich denn nicht ab und zu meinen wunderbaren Bruder anrufen, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln? Hältst du wirklich so wenig von mir, dass du glaubst, ich rufe nur an, wenn ich was von dir will?“

„Ja.“

Kit lacht. „In Ordnung, ist ja schon gut. Lass uns zum Geschäftlichen kommen. Du weißt doch, dass Alex und ich nächste Woche in die Flitterwochen fahren wollen, richtig?“

Ich nicke, obwohl ich weiß, dass er mich nicht sehen kann, doch Kit wartet meine Antwort gar nicht erst ab.

„Na ja, wir warten schon seit Monaten darauf. Erst der Relaunch von Cupid’s Arrow, dann kam Rosie, und wir wollten erst ein wenig Zeit mit ihr verbringen. Dann haben wir Monate gebraucht, um einen Babysitter zu finden, bei dem wir ein gutes Gefühl haben. Doch nun hat die Frau einen Notfall in der Familie und kann den Job nicht machen.“

Seufzend lehne ich mich zurück. „Und was willst du von mir?“

„Sieh mal, du bist doch Rosies Onkel. Wir sind … eine Familie, Will. Und Familien halten zusammen. Du weißt doch, wie wenig Alex Fremden vertraut, wenn es um Rosie geht. Und wir haben gesehen, wie gut du mit ihr klarkommst, wenn du uns besuchst. Wir hoffen, dass du einspringst und ein bisschen Zeit mit ihr verbringst, während wir weg sind. Es sind ja nur zwei Wochen, Bruder. Und wir wären dir wirklich sehr dankbar.“

„Dafür müsste ich mir in der Firma freinehmen. Ich kann mir nicht einfach so Urlaub nehmen, wann immer ich das will, Kit. Schließlich bin ich der CEO.“

„Dann arbeite eben von zu Hause aus!“

„Meinst du damit ernsthaft, dass ich ein ganzes Unternehmen leiten soll, während ich mich um ein Kind kümmere? Das glaube ich kaum.“

Kit seufzt. „Nun komm schon. Du bist meine letzte Hoffnung. Alex lässt nicht zu, dass sich ein Fremder um Rosie kümmert. Sie fährt nicht mit in die Flitterwochen, wenn du nicht zustimmst.“

„Was ist mit Dad? Hast du ihn schon gefragt?“

„Zur Hölle, nein. Nach ein paar Stunden wäre er schon völlig durch. Du weißt doch selbst, wie schwer Dad das Windelwechseln bei uns gefallen ist. Komm schon, Will. Du müsstest dich mal sehen, wenn du sie im Arm hältst. Dieses Lächeln in deinem Gesicht. Ich weiß, dass du das tun möchtest, und eigentlich habe ich gedacht, dass du vor Freude in die Luft springst, wenn du meinen Vorschlag hörst und mehr Zeit mit Rosie verbringen kannst.“

Zugegeben, ein Teil von mir liebt diese Idee. Ich kann nicht leugnen, dass Rosie einfach bezaubernd ist. Sie ist eins der niedlichsten Kinder, die ich kenne. Doch wenn ich mich um sie kümmern würde, müsste ich unentwegt daran denken, was mir selbst in meinem Leben fehlt. Außerdem wäre da noch das Problem mit Walker Industries. Ich habe gemeint, was ich gesagt habe: Die Firma wird immer an erster Stelle für mich stehen.

„Kit, ich kann das nicht tun. Du musst jemand anderen finden.“

„Habe ich eben richtig gehört? Du kannst dir nichts Schöneres vorstellen, als dich für zwei Wochen um Rosie zu kümmern?“

„Kit …“

„Oh, das ist einfach fantastisch, William. Du bist der beste Bruder der Welt.“

„Ich schwöre …“

„Ich bringe sie dir nächsten Montag um sieben Uhr vorbei. Ich freue mich so sehr, dass du einverstanden bist. Ich liebe dich. Bye, Bruderherz.“

„Kit, du kleines …“

Doch Kit hat die Verbindung bereits unterbrochen. Frustriert lege ich das Telefon zurück auf den Tisch und meinen Kopf gleich daneben.

Wie, zur Hölle, soll ich aus dieser Situation wieder rauskommen?

3. KAPITEL

India

Irgendetwas stimmt heute ganz und gar nicht mit William. Und das weiß ich, obwohl ich nicht ein Wort mit ihm gesprochen habe. Es ist zwar nicht so, als ob ich massenweise Zeit hätte zwischen all den Terminen, die ich verwalten muss, den Anrufen, die ich weiterleite, und dem ganzen Papierkram, den ich zu erledigen habe. Aber jedes Mal, wenn ich zu William hinübersehe, läuft er wie ein Tiger im Käfig in seinem Büro auf und ab, spricht leise mit sich selbst oder knüllt wütend Papier zusammen.

Über irgendetwas regt er sich ziemlich auf, und ich bin mir sicher, dass ich dieses Mal nicht der Grund dafür bin.

Ich habe den ganzen Tag damit zugebracht, ihn unauffällig zu beobachten. Es ist nicht die dümmste Idee, auf Alarmstufe Rot zu schalten, wenn dein Boss schlechte Laune hat. Und dann tut er noch etwas Ungewöhnliches. Pünktlich um siebzehn Uhr ist er der Erste, der das Büro verlässt. Wie auch immer, der Arbeitstag ist nun zu Ende. Ich werde nicht dafür bezahlt, mir Sorgen darüber zu machen, was in seinem Kopf vorgeht.

Während meines Heimwegs fühle ich mich, als ob eine große Last von meinen Schultern genommen wird. Vermutlich empfinden alle Menschen zum Feierabend große Erleichterung, aber ich schätze, das ist nichts, verglichen mit dem überwältigenden Gefühl, das mich durchflutet. Vor meinem geistigen Auge sehe ich eine Sanduhr vor mir, die mich unaufhörlich an den Beginn meines nächsten Arbeitstages erinnert. Kostbare Sekunden, die ich außerhalb der Hölle verbringen darf.

Warum ich heute so übermäßig mitgenommen bin? Ich schätze, weil William mich heute Morgen so beschämend behandelt hat. Normalerweise tut er das nur in seinem Büro, also diskret. Heute aber hat er mich vor dem ganzen Team bloßgestellt. Und was habe ich getan? Wie eine Idiotin stillgehalten und nichts gesagt.

Habe ich eigentlich jemals daran gedacht, für mich selbst Partei zu ergreifen? Natürlich. In schöner Regelmäßigkeit träume ich davon, William in seine Schranken zu verweisen. Ich fantasiere davon, ihn vor versammelter Mannschaft anzuschreien und ihm mitzuteilen, wohin er sich seinen Mist schieben kann. Natürlich würden alle jubeln, denn er hätte es wirklich verdient. Das Einzige, was mich davon abhält, ist die unvermeidliche Konsequenz, dass man mich daraufhin feuern würde.

Außerdem bin ich nicht so laut, sondern lieber kreativ. Vermutlich sind die Fantasien auf die Schriftstellerin in mir zurückzuführen.

Als ich zu Hause ankomme, werde ich von absoluter Stille empfangen. Es wird noch eine Weile dauern, bis Montana von der Arbeit zurückkehrt, und ich möchte die Zeit nutzen, um noch ein wenig beim Schreiben zu entspannen. Nachdem ich mich an die Küchentheke gesetzt und meinen Laptop geöffnet habe, fällt mein Blick auf eine E-Mail von einem unbekannten Absender. Im Betreff steht etwas von einem Jobangebot.

Neugierig öffne ich die Nachricht. Eigentlich kann ich mich gar nicht daran erinnern, mich in letzter Zeit auf eine andere Stelle beworben zu haben – bereits vor einer ganzen Weile habe ich die Hoffnung aufgegeben, etwas Besseres zu finden. Doch alles scheint besser, als weiterhin für jemanden wie William arbeiten zu müssen. Interessiert beginne ich zu lesen.

Liebe India,

bitte entschuldigen Sie unsere verspätete Rückmeldung. Vor einigen Monaten haben Sie sich bei uns als Journalistin beworben. Bedauerlicherweise ist diese Position zwischenzeitlich bereits besetzt worden. Trotzdem haben wir uns Ihr Resümee angesehen und sind der Meinung, dass Sie sich außerordentlich gut für eine andere Tätigkeit in unserem Team eignen würden. Sie schreiben sehr eindrucksvoll, und wir denken, dass Sie eine ausgezeichnete Redakteurin für die Gesundheits- und Schönheitsseiten auf unserer Website abgeben würden.

Die Stelle ist zwar auf Honorarbasis, und Sie würden pro Artikel bezahlt werden, doch es wäre eine gute Gelegenheit für Sie, bei uns einen Fuß in die Tür zu bekommen. Da Sie von zu Hause aus tätig werden würden, können Sie Ihre Arbeitszeiten selbst bestimmen. Falls Sie glauben, dass dieses Angebot für Sie interessant sein könnte, setzen Sie sich bitte mit uns in Verbindung.

Mit freundlichen Grüßen

Lauren Garvey

Freelance World

Oh, mein Gott!

Ich lese die E-Mail noch einmal und erinnere mich daran, mich vor Längerem um den Job beworben zu haben. Ich kann kaum glauben, dass ich nicht halluziniere, doch das ist eine echte Möglichkeit, mich endlich zu verändern. Aufgeregt knabbere ich an meinen Fingernägeln. Was soll ich bloß tun? Einen Job annehmen, der mir gefällt, jedoch schlechter bezahlt wird, oder weiterhin für den Mistkerl arbeiten, bei dem ich zwar mehr verdiene, der mir das Leben jedoch zur Hölle macht?

Montana wählt den perfekten Moment für ihre Rückkehr nach Hause aus. Lächelnd betritt sie die Küche und hält einen weißen Karton in den Händen, in welchem sich vermutlich köstliche Backwaren aus ihrem Laden befinden.

„Hi, Süße, wie war dein Tag?“, fragt sie, während sie die Schachtel öffnet und sie mir über den Tisch zuschiebt.

„Wie immer“, erwidere ich. „Aber es könnte bald besser laufen.“ Ich nehme mir einen mit Schokoladenguss versehenen Cupcake und entferne sorgfältig das Papier.

„Okay, sofort raus mit der Sprache!“

„Ich habe ein Jobangebot von einem Medienunternehmen. Ich soll für sie über verschiedene Themen schreiben. Dabei könnte ich von zu Hause aus arbeiten und vielleicht sogar meinen Job bei Walker Industries kündigen.“

Aufgeregt sieht Montana mich an. „Das sind ja fantastische Neuigkeiten!“, ruft sie. „Bitte sag mir, dass du das Angebot annimmst!“

„Ich würde schon wirklich gerne. Aber sehr wahrscheinlich verdiene ich weniger Geld als jetzt …“

„Vergiss das Geld!“, unterbricht Montana mich. „Sieh mal, Geld ist schließlich nicht alles. Du hättest doch immer noch genug, um die Miete zu bezahlen, oder?“

„Ja …“

„Und du hättest auch noch Zeit, um weiter an deinem Roman zu schreiben, korrekt?“

„Ja …“

„Und du müsstest nicht mehr zur Arbeit fahren. Das wäre doch gut, oder?“

„Ja, natürlich“, gebe ich zu und wundere mich, dass irgendetwas in mir sich dagegen zu sträuben scheint, William zu verlassen.

Mal ehrlich, welche andere Frau wäre wohl verrückt genug, um für ihn zu arbeiten?

Doch was kümmert mich das überhaupt?

„Worauf wartest du dann doch? Schreib denen zurück, und übernimm den Job!“

Zögernd beiße ich mir auf die Lippen. Ich denke an den arroganten Blick seiner blauen Augen, und mein Widerstand, diesen Bastard zu verlassen, wird noch ein bisschen größer. Was mich wie eine Verrückte dastehen lässt, denn offensichtlich scheine ich emotional abhängig von ihm zu sein, ohne dass er es überhaupt bemerkt.

„Also, vielleicht sollte ich die Dinge nicht überstürzen? Ich weiß ja noch nicht mal richtig, was genau ich für den neuen Job machen soll. Außerdem habe ich auch nicht wirklich viel Erfahrung. Was passiert, wenn ich es vermassele?“, frage ich völlig verwirrt.

Montana nimmt meine Hand. „Ich werde dir jetzt mal was sagen: Du wird es ganz bestimmt nicht vermasseln. Es gibt nur eine Sache, die du falsch machen kannst: das Angebot ablehnen.“

Natürlich hat sie recht, das hat sie immer. Energisch nicke ich und versuche, meinen Verstand auch davon zu überzeugen. Ich mache es. Ich mache es.

Nachdem ich einmal tief ein- und ausgeatmet habe, tippe ich meine Antwort. Jubelnd klatscht Montana in die Hände, als ich den Sendeknopf drücke. Aus dem Kühlschrank holt sie eine Flasche Champagner hervor, und unwillkürlich muss ich grinsen.

„Champagner? Wirklich?“

„Yep. Das müssen wir richtig feiern.“

Lachend beobachte ich, wie Montana zwei Gläser für uns holt.

„Meinst du nicht, dass wir es ein bisschen ruhiger angehen lassen sollten? Es ist Donnerstagabend, morgen müssen wir wieder arbeiten.“

„Ich nicht“, erwidert Montana achselzuckend. „Ich habe morgen frei. Und nun mal ehrlich, wen interessiert es schon, ob du auf der Arbeit einen kleinen Durchhänger hast, hm? Komm schon, wir müssen deinen neuen Job feiern.“

Ich weiß nicht so recht. Das ist weder mein Stil noch der von Montana. Im Grunde sind wir brav, halten uns an unsere Zeitpläne und geben dem Chaos keinen Raum in unserem Leben.

Allerdings bin ich gerade so aufgeregt, dass ich durchaus etwas gebrauchen könnte, was meine Nerven beruhigt. Lächelnd reicht Montana mir ein gefülltes Glas. „Cheers.“

Als ich am nächsten Morgen aufwache, fällt es mir schwer, die Augen zu öffnen. Meine Lider fühlen sich bleischwer an, und mir ist ein bisschen übel. Mein Magen protestiert immer noch gegen die Unmengen von Champagner, die ich gestern Abend getrunken habe.

Stöhnend setze ich mich auf, und noch bevor ich auf die Uhr sehe, weiß ich, dass ich spät dran bin.

Und tatsächlich – entsetzt stelle ich fest, dass es acht Uhr dreiundvierzig ist.

Ausgerechnet an dem Tag, an dem ich meine Kündigung einreichen will, komme ich zu spät zur Arbeit. So ein Mist!

Hastig dusche ich, ziehe mich an und rufe ein Taxi. Heute ist keine Zeit für die U-Bahn.

Während der Fahrt sehe ich aus dem Fenster. So hatte ich mir meinen Abschied von Walker Industries nicht vorgestellt. Hoffentlich schaffe ich es, einigermaßen würdevoll mein Kündigungsschreiben abzugeben.

Als ich das Gebäude betrete, habe ich mich bereits vierzig Minuten verspätet. Das ist zwar nicht so schlimm, wie ich befürchtet habe, aber ich weiß, dass William fuchsteufelswild sein wird. Verwundert sieht mir die Rezeptionistin am Empfang nach, als ich an ihr vorbei zum Fahrstuhl haste. Kaum bin ich eingestiegen, da höre ich jemanden rufen: „Hey! Warten Sie auf mich …“

Und was mache ich? Ich betätige den Knopf, um die Türen zu schließen.

Je schneller ich diese Sache hinter mich bringe, desto besser.

Auf der Fahrt nach oben versuche ich mich innerlich gegen das zu wappnen, was mich gleich erwartet, doch als ich oben angekommen bin, steht mir der Angstschweiß auf der Stirn.

Ich weiß, wo William ist, denn ich sehe ihn gemeinsam mit drei weiteren Anzugträgern in seinem Büro. Verdammt, denke ich, eigentlich hätte ich heute Morgen bei dem Meeting anwesend sein und Notizen machen sollen. Vermutlich wird mein Boss noch wütender sein, als ich angenommen hatte.

Mit so viel Selbstvertrauen, wie ich momentan aufbringen kann, schreite ich auf sein Büro zu. William hebt den Kopf, sieht mich, und augenblicklich verändert sich sein bisher neutraler Gesichtsausdruck in eine Maske grimmigen Zorns. Sobald ich die Tür erreicht habe, steht er auf, aber ich warte nicht ab, bis er mich hereinbittet, sondern betrete unaufgefordert die Höhle des Löwen.

Die anderen Geschäftsleute drehen sich zu mir herum, und angesichts der Stille im Raum klingt mein Atem in meinen Ohren furchtbar laut.

„Sie sind zu spät“, erklärt William und betrachtet mich zornig.

„Ja, das bin ich.“

„Sie sollten Ihren respektlosen Tonfall ändern, wenn Sie nicht wollen, dass ich Sie auf der Stelle feuere“, versetzt William aufgebracht und kümmert sich nicht darum, dass drei weitere Personen Zeugen unseres Gesprächs und der abschätzigen Art werden, mit der er mich behandelt. In diesem Moment wird mir klar, wie wichtig es für mich ist, das zu tun, was ich vorhabe. Nicht einen Augenblick länger halte ich es hier aus, wo ich ständig von diesem Mann tyrannisiert werde.

„Das brauchen Sie gar nicht, Sir“, entgegne ich und lächle ihn dabei zuckersüß an. „Denn ich kündige diesen verfickten Job.“

4. KAPITEL

William

Was, zur Hölle, hat sie da gerade gesagt?

Entgeistert starre ich India an. Weiß sie eigentlich, was sie sich da herausnimmt? Nicht nur, dass sie zu spät zur Arbeit kommt und aussieht, als hätte sie die Nacht durchgemacht, nein, jetzt droht sie mir auch noch damit, zu kündigen? Als ich einen Schritt auf sie zugehe, hält sie meinem Blick stand, obwohl sich ihr Atem sichtlich beschleunigt.

So wie mein verdammter Herzschlag.

„Können Sie das noch einmal wiederholen?“, frage ich aufgebracht und verwirrt zugleich, weil ich außer der Wut noch etwas verspüre, was ich nicht fühlen will, wogegen ich aber machtlos bin.

Je näher ich ihr komme, desto intensiver nehme ich ihren betörenden Duft wahr. Verdammt soll sie sein. Immer noch hält sie unserem Blickduell stand.

„Ich kündige“, wiederholt sie, und ich merke, wie meine Wut die Oberhand gewinnt. Was fällt ihr eigentlich ein, mich vor meinen Kunden derart zu blamieren? Ich fasse hinter sie, um die Tür zu meinem Büro zu öffnen.

„Raus. Sofort“, fordere ich sie auf, doch sie rührt sich nicht vom Fleck, sondern verschränkt herausfordernd die Arme vor der Brust. Endlich zeigt auch sie einmal ihre rebellische Seite – leider nur zum schlechtesten Zeitpunkt, den man sich vorstellen kann.

„Sie können mir nichts befehlen“, entgegnet sie, und ihre Lippen formen einen entzückenden Schmollmund. „Sie sind nicht länger mein Chef.“ Dabei sieht sie so niedlich aus, dass ich beinahe vergesse, was ich eigentlich sagen wollte. Das ist ziemlich ärgerlich, und nur mühsam gelingt es mir, mich wieder auf unser Gespräch zu konzentrieren.

„Wir müssen darüber sprechen“, stoße ich hervor. „Warten Sie in Ihrem Büro auf mich.“

Schwungvoll stoße ich die Tür auf und bedeute India, dass sie gehen soll.

Erst wirkt sie so, als würde sie widersprechen wollen, doch nach ein paar Sekunden folgt sie meiner Aufforderung schließlich – nicht ohne zuvor noch einen aufmüpfigen Blick in die Runde zu werfen.

Theodore, einer meiner Klienten, lacht leise. „Sieht ganz danach aus, als hätten Sie da eine ziemlich temperamentvolle Angestellte“, bemerkt er und lächelt wissend. „Nicht unbedingt geeignet als Assistentin, aber im B…“

„Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment, Gentlemen“, unterbreche ich ihn, weil ich nicht in der Stimmung für derart anzügliche Bemerkungen bin. „Wenn Sie in der Zwischenzeit noch einmal über die Verträge schauen könnten … Ich bin gleich wieder da.“

Tief hole ich Luft und hoffe, genauso cool zu bleiben, wenn ich mit India rede.

Als ich ihr Büro betrete, läuft sie im Raum auf und ab. Sie sieht ein bisschen blass aus, aber ich merke, dass sie immer noch wütend ist. Flüchtig schaut sie zu den Geschäftsleuten in meinem Büro, die uns durch die Glaswände neugierig beobachten. Großartig. Publikum ist das Letzte, was ich jetzt brauchen kann. Trotzdem muss ich India in ihre Schranken weisen.

„Setzen Sie sich, India“, sage ich ruhig, aber bestimmt.

Nachdem sie meiner Aufforderung nachgekommen ist, sieht sie mich misstrauisch an.

„India, Sie waren eine gute Mitarbeiterin“, gestehe ich, und sie wirkt überrascht. Offenbar hat sie von mir kein Kompliment erwartet. Aus irgendeinem Grund werde ich immer nervöser, stecke die Hände in die Hosentaschen und versuche, ausgesprochen chefmäßig zu wirken. „Deswegen bin ich bereit, Ihnen hier eine zweite Chance zu geben. Es war unüberlegt von mir, Ihnen mit Kündigung zu drohen. Und von Ihnen, mir zuvorkommen zu wollen. Nachdem Sie mich eben derart bloßgestellt haben, können Sie sich glücklich schätzen, dass ich Ihnen ein so großzügiges Angebot unterbreite.“

Mit einem Mal sieht sie nicht mehr verwirrt, sondern verärgert aus. „Großzügig? Ist das Ihr Ernst, William?“

Konsterniert betrachte ich sie. „Heute haben Sie sich ziemlich fragwürdig verhalten, India. Nicht jeder wäre bereit, darüber hinwegzusehen.“

„Und wie oft habe ich über Ihr fragwürdiges Verhalten hinweggesehen und Ihnen eine zweite Chance gegeben?“, fragt sie prompt.

„Was meinen Sie denn damit?“

Sie schüttelt den Kopf und lacht, klingt aber nicht amüsiert. „War ja klar. Sie haben nicht die geringste Ahnung. Sie wissen vermutlich nicht, was für Auswirkungen Ihr Verhalten hat. Glauben Sie wirklich, Sie können mich so furchtbar behandeln und im Gegenzug Respekt von mir erwarten? Dankbarkeit, weil Sie so gnädig sind? Wissen Sie eigentlich, dass ich mich lediglich um fünf Minuten verspätet habe? Fünf. Und dann rufen Sie mitten in der Nacht bei mir zu Hause an, weil Sie die Papiere nicht finden können, die ich am Tag zuvor auf Ihren Schreibtisch gelegt habe. Sie verabscheuen es, wenn ich Ihnen den Kaffee schwarz serviere, aber mit Sahne wollen Sie ihn auch nicht trinken. Nichts, was ich tue, kann Sie jemals zufriedenstellen. Ich habe endgültig genug von Ihnen und davon, so mies von Ihnen behandelt zu werden.“

Jetzt werde ich doch allmählich böse. „Ich habe mich Ihnen gegenüber immer fair verhalten, India. Daraus können Sie mir ja wohl schlecht einen Vorwurf machen.“

India steht auf und schüttelt den Kopf. „Warum höre ich mir das eigentlich noch an? Weshalb streite ich mit einem Mann, der keine Ahnung hat, wie gemein er sich anderen gegenüber benimmt? Zum Glück muss ich das nicht länger ertragen. Ich gehe jetzt.“

„Das können Sie nicht. Sie sind meine Assistentin.“

„Ich war Ihre Assistentin. Hören Sie den Unterschied? Ich habe nämlich gerade gekündigt. Erinnern Sie sich?“

„Machen Sie sich nicht lächerlich. Ich habe sonst niemanden, der Ihren Job machen könnte.“

„Das ist nicht länger mein Problem, Mr. Walker“, erwidert sie mit einem selbstzufriedenen Lächeln. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Ich gehe nach Hause.“

„India!“, rufe ich, um sie wie gewohnt von meiner Autorität zu überzeugen.

Doch dieses Mal dreht sie sich nicht zu mir herum, und mir bleibt nichts anderes übrig, als hilflos zuzusehen, wie sie einfach so geht.

Einfach so.

In mir erwacht das Bedürfnis, ihr hinterherzurennen und sie aufzuhalten – ein Gefühl, was mich noch mehr verwirrt.

Allerdings gibt es wohl kein Halten für sie, und plötzlich bin ich sogar erleichtert, nicht länger diese wunderschönen Augen und anderen sinnlichen Reize einer India Crowley ertragen zu müssen.

Insgeheim weiß ich, dass sie für diesen Job eigentlich viel zu gut ist. Zu gut, um mir nachzurennen und mit einem Mann, der sie niemals freundlich behandelt hat, in einem Büro eingesperrt zu sein. Während ich ihr nachsehe, wird mir schlagartig klar, was ich hier auf der Arbeit und in meinem Liebesleben stets falsch mache. Warum muss eigentlich erst etwas so Dramatisches passieren, damit ich verstehe, dass ich selbst das Problem bin?

Wie betäubt kehre ich in mein Büro zurück, in dem meine Klienten auf mich warten. Sie lachen, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerken.

„Ich habe es Ihnen ja gesagt“, erklärt Theodore grinsend. „Legen Sie sich nie mit einer Powerfrau an.“

Die Heimfahrt dauert länger als gewöhnlich. Irgendwie bin ich in die Rushhour geraten und verspäte mich um eine Stunde, was mir wiederum eine Menge Zeit verschafft, meinen Gedanken nachzuhängen. Die meisten haben mit India zu tun.

Wie konnte ich nur so blöd sein? So rücksichtslos, manipulativ und völlig blind gegenüber meinen eigenen Fehlern? Als Konsequenz habe ich die beste Assistentin verloren, die ich je hatte. Und nicht nur das, sondern auch einen großen Teil meines Egos. Schätze, dass mir das nur recht geschieht.

Diese Frau berührt mich auf eine Weise, wie es bisher noch keine andere getan hat.

Ich frage mich, was sie jetzt macht, denn ich befürchte, dass sie gekündigt hat, ohne zuvor eine neue Arbeit gefunden zu haben. Ob sie ihre Miete bezahlen kann? Ob sie irgendwo einen ähnlichen Job findet oder etwas tut, was besser zu ihr passt? Eigentlich sollte mich das überhaupt nicht kümmern, aber seitdem sie einfach so mir nichts, dir nichts aus dem Büro gegangen ist, muss ich einfach an sie denken. Ich habe das Gefühl, dass das noch eine Weile so bleibt.

Endlich parke ich in der Auffahrt vor meiner Villa und stelle nicht zum ersten Mal fest, dass sie mit den hohen Räumen, imposanten Säulen, maßangefertigten Fensterfronten, massiven Holztüren und erlesenen Messingleuchten eigentlich viel zu groß für eine Person ist. Ich betrachte das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit – Jahre, ich denen in nächtelang gearbeitet und so gut wie keine sozialen Kontakte gepflegt habe. Ich schließe das Auto ab und betrete mein Zuhause, in dem alles wie immer makellos ist. Der teure Marmorboden ist auf Hochglanz poliert, und die Fenster sind so sauber, dass man das Glas nicht sieht, sondern glaubt, direkt ins Freie zu sehen. Meine Reinigungskraft – eine Frau Ende fünfzig, die ich so gut wie nie sehe – muss in der Zwischenzeit hier gewesen sein. Sie hat auch die Verpackungen der Mahlzeiten weggeschmissen, die ich in Restaurants bestellt und zu Hause gegessen habe, und das heillose Durcheinander meiner Notizen auf dem Schreibtisch aus kostbarem Eichenholz beseitigt.

Nach dem anstrengenden Tag, der hinter mir liegt, habe ich mir einen Drink verdient, wie ich finde. Im Kühlschrank entdecke ich eine Flasche Champagner, die sich schon seit einem Jahr dort befindet. Eigentlich hat mein Vater sie gekauft, um mit mir auf meinen Geburtstag anzustoßen, hat dann aber abgesagt, um stattdessen auf eine Firmenparty zu gehen. Jenen Abend habe ich im Whirlpool im Dachgeschoss verbracht und versucht, mir einzureden, dass ich zufrieden damit bin, mein Essen beim Bringdienst zu bestellen. Ich habe keine Freunde, die ich hätte einladen können, und Kit und Alex waren anderweitig beschäftigt. Auch jetzt gehe ich nach oben zum Whirlpool und habe das Gefühl, ein Déjà-vu zu erleben.

Während ich den Pool vorheize, entkleide ich mich und betrachte den spektakulären Sonnenuntergang hinter der Skyline von Chicago. Niemand kann mich hier oben beobachten, weswegen ich völlig nackt in den warmen Schaum steige und die Augen schließe. Doch trotz der Massagedüsen, die meinen verspannten Rücken bearbeiten, kann ich einfach nicht entspannen. Es kommt mir so vor, als würde ich nach einem langen Lauf wieder zu Atem kommen wollen. Obwohl ich mich auf die wohltuende Wirkung des Bads konzentrieren will, driften meine Gedanken immer wieder zu Indias Gesicht und ihrem verärgerten Blick.

Wie überrascht sie gewesen ist, als ich zum ersten Mal etwas Freundliches zu ihr gesagt habe.

So gedankenverloren bin ich, dass es eine Weile dauert, bis ich den Vibrationsalarm meines Handys bemerke. Kurz überlege ich, ob ich den Anruf entgegennehmen soll, entscheide mich schließlich dafür, steige aus dem Pool, greife nach einem Handtuch und melde mich, ohne zuvor auf das Display zu sehen. „Walker.“

Ich höre Rosie im Hintergrund weinen und Alex, die versucht, sie zu beruhigen.

„Hey, Bruder, ich will ja nicht aufdringlich sein, ehrlich nicht, William. Aber das ist ein Notfall, und ich brauche deine Hilfe“, erklärt Kit. Er klingt müde und besorgt.

„Was ist denn passiert?“, frage ich.

„Alex’ Schwester hatte einen Unfall, und sie ist völlig durch den Wind. Auf keinen Fall kann ich sie allein fahren lassen. Du musst schon früher auf Rosie aufpassen, nicht erst am Montag. Bitte!“

Panikerfüllt überlege ich wieder einmal, ob ich es wirklich schaffe, auf meine kleine Nichte aufzupassen. Ich weiß doch gar nichts über Kinder. Mein Bruder muss verrückt geworden sein – oder sehr verzweifelt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich die ganze Sache nur ausgedacht hat, um doch noch sorgenfrei in die Flitterwochen fahren zu können.

„Hör mal, Kit, es ist ja nicht so, dass ich nicht helfen will …“

„Gut, ich danke dir von Herzen. Gleich morgen früh sind wir bei dir“, sagt Kit rasch und legt auf.

Völlig überrumpelt starre ich auf meinen Garten. Plötzlich muss ich wieder an India und daran denken, was für ein Mistkerl ich Zeit meines Lebens gewesen bin. Vielleicht bekomme ich ja jetzt die Möglichkeit, ein bisschen davon wiedergutzumachen. Ich atme aus und stelle mir vor, wie es sein wird, nicht allein in diesem Haus zu leben. Wäre es wirklich so schlimm, ein wenig Zeit mit meiner Nichte zu verbringen?

Wenigstens wäre dann für Abwechslung in meiner ereignislosen Freizeit gesorgt, und ich könnte endlich beweisen, dass ich mehr bin als der herzlose Workaholic, für den mich alle halten.

5. KAPITEL

India

Ich habe es wirklich getan! Ohne mich umzusehen, gehe ich zum Fahrstuhl. Beinahe erwarte ich, dass William mir folgt, aber er tut es nicht. Und schon habe ich das Gebäude verlassen und befinde mich auf dem Weg in die Freiheit.

Doch das zufriedene Gefühl währt nicht lange – das Engelchen in mir ist schockiert. Warum musste ich ausgerechnet im unpassendsten Moment eine Szene machen? Die Antwort lässt nicht lang auf sich warten.

Weil er es nicht anders verdient hat.

Allerdings habe ich meine Chance vertan, dass William mir ein Empfehlungsschreiben ausstellt, und alles hängt nun von diesem Schreibjob ab. Plötzlich kommt mir die Freiheit gar nicht mehr so verheißungsvoll vor, und ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, während ich zur U-Bahnstation laufe. Ruhig, ermahne ich mich selbst. Ich habe alles erreicht, was ich wollte, und stehe am Anfang eines völlig neuen Lebens.

Wovor habe ich dann Angst?

Es fühlt sich völlig falsch an, als ich mittags unser leeres Apartment betrete.

Mir wird übel, und ich schätze, es liegt an meiner Angst und nicht an meinem Trinkgelage von gestern Abend. Rasch öffne ich die Fenster und mache mir einen Kaffee. Zwar muss ich noch ein paar Formalitäten für meinen neuen Job erledigen, aber ich habe außerdem noch Zeit, meine Lieblingsserie zu sehen oder an meinem Buch weiterzuschreiben.

Das Problem ist nur, dass ich im Moment weder zum einen noch zum anderen Lust habe. Am liebsten wäre ich zurück ins Büro gerannt und hätte William auf Knien angefleht, mir meinen Job wiederzugeben. Zu gern hätte ich mich wieder demütigen lassen, dann wäre alles beim Alten, und ich müsste mich nicht dem Chaos stellen, zu dem mein neues Leben so unversehens geworden ist. Natürlich gebe ich dem Drang nicht nach, auch wenn die Vorstellung sehr verlockend ist. Ein bisschen Würde besitze ich schließlich doch noch, und so stelle ich mich lieber nagenden Zweifeln und purer Ungewissheit. Außerdem bin ich ziemlich sicher, dass William keine Entschuldigung von mir annehmen würde. Mit meinem nicht gerade sehr einfühlsamen Auftritt heute habe ich es mir ein für alle Mal unmöglich gemacht, jemals wieder für Walker Industries arbeiten zu dürfen.

William ist ein harter, stolzer Mann, und niemals wird er mir die Dinge verzeihen, die ich ihm gesagt habe – auch wenn sie nun einmal der Wahrheit entsprechen.

Jetzt bin ich also ganz auf mich allein gestellt und kann schon fühlen, wie ich von Minute zu Minute immer mutloser werde.

Lange Zeit sitze ich untätig da, ohne auch nur ansatzweise wahrzunehmen, was im Fernsehen läuft. Ich weiß, dass ich viel zu tun hätte, um mich auf meine neue Arbeit vorzubereiten, aber ich kann mich einfach nicht dazu aufraffen. Stattdessen warte ich sehnsüchtig auf Montanas Heimkehr, damit sie mich von meinem Blues befreit.

Halb sechs kommt sie endlich nach Hause, beladen mit einigen Einkaufstaschen. Als sie mich auf dem Sofa sieht, weiß sie sofort Bescheid.

„Du hast es getan, oder? Du hast heute bei Walker Industries gekündigt!“, ruft sie und setzt rasch die Taschen ab, um mich zu umarmen. „Verdammt, India. Ich hätte nicht gedacht, dass du das wirklich durchziehst.“

Das trägt nicht unbedingt dazu bei, mich zu beruhigen. Ganz im Gegenteil. Ihre Bemerkung lässt mich immer sicherer werden, einen riesengroßen Fehler begangen zu haben. Mein Gesichtsausdruck wird wahrscheinlich noch mutloser als zuvor, und hastig macht Montana einen Rückzieher.

„Versteh mich bitte nicht falsch, ich finde, dass es sehr mutig von dir ist, das zu tun – im positiven Sinne. Und es ist definitiv das Richtige gewesen, weißt du? Endlich musst du nicht mehr deine Zeit an einem Ort verbringen, an dem du immer unglücklich gewesen bist.“

„Aber was ist, wenn es gar nicht so schlecht war? Was, wenn ich einen riesigen Fehler gemacht habe, weil ich nicht mit ein paar Sticheleien von meinem Chef klarkomme?“ Und mit der Art, wie er mich nervös macht … und atemlos.

Wie soll ich ihr erklären, wie sehr mich seine Verletzlichkeit berührt hat?

„India, ich kenne dich wahrscheinlich besser als sonst jemand. Du bist bestimmt kein Weichei. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du einfach nur überreagiert hast. Wenn du behauptest, dass dieser Kerl ein Albtraum ist, dann ist er das auch. Und das bedeutet, dass du besser ohne Job dran bist, als dich von diesem Typen ungerecht behandeln zu lassen.“

„Du hast ja recht … Es fällt mir nur gerade schwer, das auch zu glauben.“

„Ich weiß. Da kann man schon ein bisschen Angst bekommen, wenn man seinen Job kündigt. Aber du wirst schon sehen, alles wird gut. Schließlich hast du die neue Arbeit ja sozusagen als Trumpf im Ärmel. Du hast das Richtige gemacht. Kaffee?“

Ich muss lächeln, weil Montana immer denkt, ein Getränk wäre die Antwort auf alles. „Danke schön, aber ich hatte gerade welchen.“

Montana nickt und küsst mich auf die Wange, bevor sie sich selbst eine Tasse einschenkt. Erschöpft lehne ich mich zurück. Die Ereignisse des heutigen Tages haben mich ganz schön viel Kraft gekostet.

Als Montana zum Sofa zurückkehrt, trinken wir schweigend Kaffee. Schließlich seufze ich, denn jedes Mal, wenn ich mich an die heutigen Ereignisse im Büro erinnere, muss ich an eine bestimmte Sache denken. Vielleicht kann mir Montana ja dabei helfen.

„Darf ich dir eine Frage stellen?“, frage ich sie, nachdem sie es sich im Schneidersitz auf dem Sofa bequem gemacht hat.

„Klar, jederzeit.“

Nachdenklich beiße ich mir auf die Unterlippe. „Bevor ich gegangen bin, hat William behauptet, ich wäre eine gute Angestellte. Ich denke … Ich denke, das ist das Netteste, was er überhaupt jemals zu mir gesagt hat.“

Montana wirkt völlig unbeeindruckt. „Das ist ja wohl kaum ein richtiges Kompliment, oder? Er hätte sich wenigstens ein bisschen enthusiastischer ausdrücken können, findest du nicht?“

„Tja, wahrscheinlich hast du recht. Aber du kennst ihn nicht, Mon. Er ist ein Workaholic. Ihm fällt es schwer, jemandem ein Kompliment zu machen, aber wenn er es tut, dann ist es schon etwas ganz Besonderes.“

„Was willst du denn damit sagen?“

„Vielleicht habe ich ihn ja falsch eingeschätzt. Vielleicht wollte er mich dazu bringen, mein Bestes zu geben, mehr aus mir herauszuholen.“

„Ich weiß nicht, ehrlich“, erwidert Montana kopfschüttelnd. „Weshalb verteidigst du ihn eigentlich, India? Selbst wenn du recht hast, dann ist und bleibt er ein äußerst manipulativer Mensch.“

„Ich meine ja nur, vielleicht ist er nicht so schlecht, wie alle denken. Möglicherweise wird er nur missverstanden. Er steht unter großem Druck, schließlich leitet er ein Unternehmen von Weltrang und trägt viel Verantwortung.“

„Ja, ja. Ich verstehe, was du mir sagen willst. Sein Verhalten ist also entschuldbar, weil er so unglaublich viel arbeitet. Aber erfolgreich hin oder her, er ist nun mal kein netter Mensch. Du kannst dich glücklich schätzen, ihn endlich los zu sein.“

Vielleicht war es doch keine so gute Idee, mit Montana über diese Angelegenheit reden zu wollen. Sie ist William niemals persönlich begegnet, wie kann sie also verstehen, was ich meine? Natürlich hat sie recht, es wirft kein gutes Licht auf mich, wenn ich den Typen verteidige, der mir das Leben zur Hölle gemacht hat. Das muss ja so klingen, als ob ich darauf stehen würde, schlecht behandelt zu werden.

Doch habe ich mich ihm gegenüber nicht ähnlich verhalten? Sicher, er ist immer als Erstes unhöflich gewesen, aber vielleicht haben ihn meine trockenen Kommentare erst dazu gebracht, und er hat mich nur behalten, weil ich meine Arbeit so gut mache. Es kann ja sein, dass ich ihn seiner Meinung nach auch nicht gerade nett behandelt habe.

Der Gedanke trägt nicht unbedingt dazu bei, dass ich mich besser fühle.

Montana bemerkt meinen inneren Konflikt. „Hey“, sagt sie besorgt. „Du musst damit aufhören, dir den Kopf zu zerbrechen. Du beginnst jetzt ein neues Leben, also mach das Beste draus.“

Natürlich hat sie recht. Schließlich kann ich nicht ewig hier herumsitzen und mein Handeln infrage stellen. Also straffe ich die Schultern, greife nach meinem Laptop und öffne mein E-Mail-Postfach. Dort wartet bereits eine Nachricht von Lauren Garvey auf mich. Ich lächele. Das ist es.

„Richtig. Willkommen in deinem neuen Leben.“

6. KAPITEL

William

Es ist Samstag, und ich warte auf Alex und Kit, die gleich hier sein werden, um Rosie bei mir abzugeben. In der Zwischenzeit begutachtete ich mein Haus, um sicherzugehen, dass alles auch wirklich kindersicher ist. Zwar kann Rosie noch nicht einmal krabbeln, aber ich habe trotzdem höllische Angst davor, dass sie es irgendwie schafft, aus ihrer Krippe zu entkommen und sich zu verletzen. Aus diesem Grund habe ich alle Kabel, alles Zerbrechliche sowie Gefährliche versteckt oder außer Reichweite gelegt. Ich weiß, dass ich ein bisschen übertreibe. Schließlich ist Rosie ja noch ein Baby. Aber ich möchte es auf jeden Fall richtig machen, das ist wichtig für mich, denn von nun werde ich für ein kleines Lebewesen verantwortlich sein.

Bevor ich mich noch mehr verrückt machen kann, gehe ich hinunter ins Wohnzimmer. Unruhig wippe ich mit den Beinen, während ich versuche, geduldig auf Rosies Ankunft zu warten. Auf keinen Fall kann ich es mir leisten, nervös zu werden. Denn wenn ich nervös werde, dann beginne ich, dumme Fehler zu machen. Stöhnend reibe ich mir die schmerzende Stirn. Vielleicht sollte ich besser eine Kopfschmerztablette nehmen?

Als es an der Tür klopft, springe ich auf und hole erst einmal tief Luft, bevor ich zum Eingangsbereich gehe. Seit der Nacht meines Abschlussballs bin ich nicht mehr so aufgeregt gewesen. Damals habe ich versucht, das hübscheste Mädchen meines Jahrgangs zu küssen. Hoffentlich habe ich als Rosies Babysitter mehr Erfolg.

Vor der Tür steht meine Schwägerin Alex, die Rosie auf dem Arm hält. Sie sieht völlig erschöpft aus und hat seit unserem letzten Treffen einiges an Gewicht verloren. Panik steigt in mir auf. Ob ich nach zwei Wochen mit Rosie ebenso aussehe?

Als Alex meinen entsetzten Blick sieht, muss sie lachen. „Lass dich bloß nicht von ihrem niedlichen Gesicht in die Irre führen. Sie ist ein kleiner Terrorzwerg“, sagt sie, aber ihr Blick ist stolz und voller Liebe, als sie Rosies Stirn küsst und dann an mir vorbei ins Haus geht.

In der Auffahrt sehe ich Kit, der sich mit einem großen Berg Babyutensilien abmüht. Als ich zu ihm gehe, um ihm zu helfen, entdecke ich meinen Vater, der hinter dem Auto hervorkommt und mir fröhlich zuwinkt.

„Dad, was machst du denn hier?“, frage ich erstaunt.

„Hey, Sohn. Um nichts auf der Welt würde ich das hier verpassen wollen“, erklärt er lachend. „Du mit einem Baby!“

Dad und Kit hatten schon immer einen ähnlichen Sinn für Humor, und etwas gequält lächle ich, als sie beide gar nicht mehr aufhören wollen zu lachen.

„Ich verspreche dir, dass ich einen genauso guten Job mache wie du, Dad“, erwidere ich ironisch, was Kit zu einem weiteren heftigen Lachanfall reizt. Als wir Babys waren, konnte man Dad nicht mit uns allein lassen, weil er panische Angst vor vollen Windeln, ausgespucktem Brei und davor hatte, etwas falsch zu machen.

„Im Ernst, Bruder, ich kann dir gar nicht genug dafür danken, dass du das für uns tust“, sagt Kit, nachdem er endlich aufgehört hat zu lachen. „Ich weiß, dass es wirklich Last minute ist, aber ich hoffe, dass wir immer noch in die Flitterwochen fahren können, wenn es Alex’ Schwester besser geht. Natürlich müssen wir das erst mal abwarten.“

Kit und mein Vater tragen das Babybett, einen Laufstall und Unmengen von Spielzeug in mein Wohnzimmer. Anschließend macht mein Vater eine Runde durchs Haus, um zu überprüfen, ob auch alles babygerecht ist. Als er zurückkehrt, sieht man ihm nicht an, zu welchem Ergebnis er gekommen ist.

„Und du bist sicher, dass du mit der kleinen Prinzessin allein zurechtkommst?“, fragt Dad und betrachtet eins von Rosies Spielzeugen, als wäre es ein außerirdisches Artefakt.

Ich nicke. „Ja, ich bin auf alles vorbereitet.“

„Auch darauf, von zu Hause aus zu arbeiten?“

„Ja, Vater. Wie ich schon sagte, ich bin auf alles vorbereitet.“

Beruhigend klopft mir Dad auf die Schulter. „Ich weiß, ich weiß, mein Junge. Das habe ich auch nie bezweifelt.“

Ich glaube, mein Vater hat immer noch Probleme damit, dass ich nicht so bin, wie er in meinem Alter war. Er hält mich für einen Workaholic, der viel zu selten auf Partys geht. „Im Leben gibt es noch andere Dinge als Arbeit, William“, pflegt er zu sagen. Meinem Bruder hingegen empfiehlt er ständig, sich an meiner disziplinierten Arbeitsweise zu orientieren. Vermutlich kann es ihm keiner von uns beiden wirklich recht machen.

„Hier, nimm sie mal“, sagt Alex und streckt mir Rosie entgegen. Etwas zögernd folge ich ihrer Aufforderung, denn es ist schon eine Weile her, seit ich meine kleine Nichte auf dem Arm gehalten habe. Sie ist viel schwerer, als ich es erwartet habe, aber ich gewöhne mich schnell an ihr Gewicht auf meinem Arm.

Zärtlich wiege ich sie in der Hoffnung hin und her, alles richtig zu machen. Fragend sehe ich zu Alex, die mir daraufhin trotz ihrer Müdigkeit einen langen Vortrag darüber hält, was ich alles zu tun habe. Sie spricht so schnell, dass ich Mühe habe, mir alles zu merken.

„Also, das ist alles, was wir mitgebracht haben“, bemerkt Kit, nachdem er ein weiteres Mal mit einer Ladung Babysachen vom Auto zurückgekehrt ist. „Und jetzt müssen wir langsam los, wenn wir unseren Flug noch bekommen wollen.“

Alex beendet ihren Monolog, und ich nicke geistesabwesend, während ich lächelnd Rosie betrachte. Sie wirkt so friedlich, wenn sie schläft. Es wäre schön, wenn sie während ihres zweiwöchigen Aufenthalts bei mir auch weiterhin so pflegeleicht bliebe. Babys sind wirklich süß, wenn man keine Verantwortung für sie hat. Erst jetzt, als Alex und Kit sich darauf vorbereiten zu fahren, trifft mich die Erkenntnis mit voller Wucht: In den nächsten zwei Wochen spiele ich Daddy.

Ganz ruhig, was kann schließlich schon dabei schiefgehen?

„Ich wünsche euch eine schöne Zeit“, sage ich und umarme meinen Bruder und meine Schwägerin, die leise lacht.

„Ich kann’s kaum erwarten, meine Schwester zu sehen und sicherzugehen, dass es ihr gut geht. Und ich freue mich darauf, mal wieder zu schlafen.“ Prüfend sieht sie mich an. „Ich hoffe, dass du vor unserer Ankunft genügend geschlafen hast. Du wirst jetzt keine zweite Gelegenheit mehr dazu bekommen.“

Ich lache, obwohl ich befürchte, dass Alex eben keinen Witz gemacht hat.

„Falls etwas ist, kannst du mich jederzeit anrufen“, erklärt mein Vater und klopft mir zum Abschied auf die Schulter.

„Danke, aber das wird nicht nötig sein. Wir kommen schon klar.“

Bevor er das Haus verlässt, dreht sich Kit noch einmal zu mir um. „Ich weiß wirklich nicht, wie ich dir dafür danken soll, Bruder.“

„Schon okay, wirklich“, versichere ich und gehe mit Rosie vor die Tür, um gemeinsam mit ihr zuzusehen, wie ihre Eltern abfahren. Als das Auto nicht mehr zu sehen ist, spüre ich wieder diese Angst.

Jetzt sind Rosie und ich also allein auf uns gestellt.

Als ich ehrfürchtig auf sie hinabsehe, öffnet sie für einen kurzen Moment die Augen und lächelt mich an. Mir wird ganz warm ums Herz, und ich weiß plötzlich wirklich nicht, was so schwer daran sein soll, sich um ein Baby zu kümmern.

Bereits wenige Momente danach finde ich es heraus.

Plötzlich verdunkelt sich Rosies zarter Teint, und ihre kleinen Lippen beginnen zu zittern, bevor sie zu schreien beginnt. Es ist viel lauter, als ich es mir vorgestellt habe. Mittlerweile ist ihr Gesicht hochrot angelaufen, und Tränen kullern über ihre Wangen. Entsetzt halte ich sie ein Stück von mir weg und frage mich, wie etwas so Kleines so viel Lärm machen kann.

Und der Albtraum beginnt.

Nun ist es mittlerweile eine Stunde her, dass Rosie zu weinen begonnen hat, und sie hat immer noch nicht aufgehört. Dabei habe ich alles versucht. Ich wollte ihre Windel wechseln, doch die war völlig trocken. Ich wollte ihr etwas zu essen geben, aber sie zeigte nicht das geringste Interesse. Dann habe ich mit dem Spielzeug vor ihrem Gesicht rumgewedelt, aber sie war nicht im Geringsten interessiert. Das Ganze trägt nicht unbedingt dazu bei, meine Kopfschmerzen erträglicher werden zu lassen. Inzwischen habe ich mich von der Vorstellung, auch nur eine Minute arbeiten zu können, verabschiedet. Wie soll ich mich auf irgendetwas konzentrieren, wenn Rosie so laut schreit, dass die Fensterscheiben vibrieren?

Den Säugling hin und her wiegend, frage ich mich, was mit ihm nicht stimmt. Ist es normal, dass Babys so viel schreien? Ich habe keine Ahnung. Ich wünschte, Alex hätte mir so etwas wie eine Anleitung dagelassen. Als Rosie ein weiteres Mal den kleinen Mund aufreißt, entdecke ich etwas. Ihr Zahnfleisch sieht ein wenig gerötet aus. Plötzlich wird mir klar, was ihr Problem ist. Vorsichtig taste ich mit einem Finger in ihrem Mund herum, um zu überprüfen, ob meine Vermutung richtig ist.

Yep. Sie bekommt Zähne.

Na großartig. Genau das habe ich gebraucht. In den zwei Wochen, in denen ich auf sie aufpassen soll, macht sie das durch, was Kit als die schwierigste Zeit für ein Baby bezeichnet hat. Warum haben mir die beiden bloß nichts davon gesagt? Möglicherweise hat Alex etwas darüber gesagt, aber ich habe nicht richtig zugehört.

Nachdem ich sie in ihrem Bettchen abgesetzt habe, begebe ich mich auf die Suche nach einer Lösung. Schließlich finde ich einen Beißring und eine Tube schmerzstillendes Zahngel für zahnende Kinder. Zu meiner großen Freude beruhigt sich Rosie ein wenig, als ich das kühlende Gel auftrage und ihr anschließend den Ring gebe. Erleichtert seufze ich. Im Haus ist es seltsam still, wenn Rosie nicht schreit, aber ich will mich nicht beschweren.

Ich sehe auf die Uhr. Erst eine weitere halbe Stunde ist vergangen, und ich bin völlig erschöpft. Unglücklicherweise kann man von Rosie nicht dasselbe behaupten. Jetzt, da sie nicht mehr schreit, ist ihr offenbar langweilig.

Autor

Janice Maynard
Janice Maynard wuchs in Chattanooga, Tennessee auf. Sie heiratete ihre High-School-Liebe während beide das College gemeinsam in Virginia abschlossen. Später machte sie ihren Master in Literaturwissenschaften an der East Tennessee State University. 15 Jahre lang lehrte sie in einem Kindergarten und einer zweiten Klasse in Knoxville an den Ausläufern der...
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