Heiße Nächte im Hotel - Zwischen Sehnsucht und seidenen Laken

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

LIEB MICH, BIS DER MORGEN KOMMT

"Schläfst du lieber unter Sternen oder in einer Luxussuite?" Rachel weiß, dass ihre Frage provokant ist. Schließlich kennt sie Alex erst wenige Stunden. Sie haben zusammen gelacht, gegessen, getanzt - und jetzt sind sie auf dem Weg in ihr Hotel! Noch eine letzte Nacht will Rachel sinnlich genießen. Denn bald ist alles vorbei: Schon in wenigen Tagen heiratet sie den nüchternen Ajax. Sie ahnt nicht, welche böse Überraschung der Morgen ihr bringen wird: Alex ist niemand anders als der Erzfeind ihres Verlobten! War die heiße Liebesnacht nur ein Teil seines perfiden Plans?

SINNLICHER MASKENBALL IN VENEDIG

"Keine Namen", flüstert der geheimnisvolle Fremde, den Valentina auf einem Maskenball in Venedig trifft. Er ist so attraktiv und charmant, dass sie sofort in seinen sinnlichen Bann gerät. Wie verzaubert tut sie, was sie noch niemals tat, und lässt sich zu einer leidenschaftlichen Liebesnacht im Hotel hinreißen. Doch kaum schläft ihr Verführer, wagt sie heimlich einen Blick hinter seine Maske. Ihr stockt der Atem: Es ist Niccolo Gavretti, der Erzfeind ihres Bruders! Schockiert läuft Valentina davon - und muss bald darauf entdecken, dass sie ein Kind unter dem Herzen trägt …

GLAUB AN DIE LIEBE, KIT!

Granatäpfel, Gewürzaromen und ein Hotel wie aus 1001 Nacht … Kit Fitzroys Besuch in Marrakesch ist ein Fest für die Sinne - besonders wegen seiner betörenden Verlobten. Fast lassen Sophies heiße Küsse Kit den Grund seiner Reise vergessen: Er soll seine Mutter treffen, die er seit Jahren nicht gesehen hat. Wird sie ihm endlich gestehen, wer sein Vater ist? Gebannt erwartet Kit das Wiedersehen - und erlebt ein böses Erwachen. Denn was er erfährt, kann all seine Zukunftsträume zunichtemachen. Soll er sich Sophie anvertrauen? Oder ihr gemeinsames Glück genießen, so lange es hält?

PRICKELNDES SPIEL IN MONTE CARLO

Megan kann ihr Glück kaum fassen: Sie hat ein Hotel in Monte Carlo geerbt! Doch als sie in der Stadt des Jet-Set am Mittelmeer ankommt, erkennt sie schnell: So einfach ist das alles nicht. Sie muss, um eine Testamentsklausel zu erfüllen, zwei Wochen mit dem Hotelier Lucien Delacroix zusammenwohnen. Ausgerechnet mit Lucien, für den sie früher schon heimlich geschwärmt hat! Nichts scheint sich seitdem geändert zu haben: Megan sehnt sich nach dem gefährlich attraktiven Mann - und muss doch fürchten, dass sie niemals mit ihm glücklich werden kann …


  • Erscheinungstag 25.05.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778217
  • Seitenanzahl 576
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Maisey Yates, Lynn Raye Harris, India Grey, Penny Roberts

Heiße Nächte im Hotel - Zwischen Sehnsucht und seidenen Laken

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2014 by Maisey Yates
Originaltitel: „One Night to Risk it All“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2187 - 2015 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Helga Meckes-Sayeban

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733701840

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY, CORA CLASSICS

 

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

 

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.

1. KAPITEL

Wie magnetisch wurde Rachels Blick zum Nachttisch gezogen. Zu dem Ring, der im Schein der Nachttischlampe schimmerte. Langsam hob sie die Hand und blickte auf den Finger, an dem er noch vor wenigen Stunden gesteckt hatte.

Komisch, wie nackt er wirkte, nachdem sie den Ring so lange getragen hatte!

Aber irgendwie war es ihr nicht richtig erschienen, ihn aufzubehalten.

Rachel tastete danach und hielt ihn hoch, sodass er im Lampenlicht funkelte. Dann drehte sie sich zu dem Mann um, der neben ihr schlief. Er hatte einen Arm halb übers Gesicht gelegt, die dunklen Locken fielen ihm in die Stirn. Wie ein Engel sah er aus.

Ein gefallener Engel, der sie himmlisch sündige Dinge gelehrt hatte.

Aber er war nicht der Mann, der ihr den Ring an den Finger gesteckt hatte. Nächsten Monat sollte sie ihren Verlobten heiraten …

Das war das Problem.

Doch ihr Bettgefährte sah so fantastisch aus, dass es ihr schwerfiel, ihn als Problem zu sehen: Alex mit den elektrisierenden blauen Augen und der gebräunten Haut, den sie am Nachmittag kennengelernt hatte. Im Hafen. Meine Güte, sie kannte diesen Traummann noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden!

Rachel blickte auf die Uhr. Genau genommen sogar erst acht! Acht Stunden, in denen sie alle Hemmungen bedenkenlos über Bord geworfen und den Verlobungsring abgelegt hatte, um ihrem … Herzen zu folgen. Na ja, mit Herz hatte es wohl weniger zu tun. Mit ihr waren schlichtweg die Hormone durchgegangen.

So etwas war ihr noch nie passiert! Jahrelang war sie so vernünftig und brav gewesen und nie in Versuchung geraten, sich von Gefühlen oder gar Leidenschaft zu etwas Unüberlegtem hinreißen zu lassen.

Aber von vernünftig oder brav konnte hier beim besten Willen nicht die Rede sein!

Bei diesem Mann hatte es sie aus heiterem Himmel erwischt … wie er sich bewegt hatte, das Spiel seiner Muskeln beim Deckschrubben …

Rachel schloss die Augen und hatte die wahnwitzigen Augenblicke wieder vor sich. Es fiel ihr nicht schwer, sich zu erinnern, wie sie um den letzten Funken Verstand und ihre Kleidung gekommen war …

Seit der Ankunft auf Korfu hätten die Freundinnen sich kein schöneres Wetter wünschen können. Es war noch nicht zu heiß, und vom Meer her wehte eine sanfte Brise.

Sie hatten zu Mittag gegessen, und Alana musste später zum Flughafen, um nach New York zurückzufliegen. Rachel würde noch länger auf der Insel bleiben, um die Familie Holt auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung zu vertreten.

Der Urlaub war so etwas wie ihr letzter Soloflug vor der Hochzeit, die im kommenden Monat stattfinden sollte. Die letzte Gelegenheit, sich noch einmal auszutoben – natürlich auf anständige Weise –, ehe sie sich für immer an ihren Verlobten band.

„Noch ein Paar High Heels?“ Alana deutete zu der kleinen Boutique auf der anderen Seite der kopfsteingepflasterten Straße.

„Ich werde Nein sagen.“ Geistesabwesend blickte Rachel auf die Schiffe und Jachten, die im Hafen ankerten.

„Bist du krank?“ Besorgt betrachtete Alana ihre Freundin.

Rachel trat an die Küstenmauer und stützte sich lachend darauf. „Vielleicht.“

„Dir macht die Hochzeit zu schaffen, stimmt’s?“

„Ja … aber das dürfte es eigentlich nicht. Schließlich hatte ich lange genug Zeit, mich darauf einzustellen. Seit sechs Jahren sind wir zusammen und seit einer Ewigkeit verlobt. Vor elf Monaten haben wir den Hochzeitstermin festgesetzt, da …“

„… kannst du es dir immer noch anders überlegen“, erinnerte Alana sie.

„Nein. Unvorstellbar! Die Hochzeit ist das gesellschaftliche Ereignis des Jahres. Jax kann endlich Holt übernehmen. Mein Vater will seinem Schwiegersohn die Firma übertragen – wie es sich beide wünschen.“

„Und was willst du?“

Das hatte Rachel sich lange nicht mehr gefragt.

„Ich … mag Jax.“

„Liebst du ihn?“

Ein Mann auf einer Jacht erregte ihre Aufmerksamkeit. Er schrubbte das Deck, sein Oberkörper war nackt, und er trug nur verwaschene Jeans. Im Schein der Abendsonne konnte Rachel das Muskelspiel seines durchtrainierten Körpers deutlich erkennen.

Der Anblick verschlug ihr den Atem.

Auf einmal verspürte sie Leidenschaft, ein Verlangen, das sie bisher vermisst hatte. Wie eine Brandungswelle riss der Anblick des Mannes sie aus ihrem Langweilerdasein.

„Nein.“ Sie konnte den Blick nicht von dem Muskelmann abwenden. „Nein, ich liebe Jax nicht. Jedenfalls nicht, wie du denkst. Ich mag ihn, aber mehr ist da nicht.“

Hatte sie das nicht längst gewusst? Doch nach der atemberaubenden Entdeckung beunruhigte Rachel die Erkenntnis mehr, als sie wahrhaben wollte.

Irgendwie hatte sie gedacht, es läge an ihr. Oder weil sie und Ajax zu verschieden waren. Er war nun mal kein leidenschaftlicher Mann und bestürmte sie nie. Im Gegenteil. Er rührte sie kaum an. Nach all den Jahren ging er nie weiter, als sie zu küssen. Lieb, gelegentlich auch innig. In seinem Penthaus dauerte ein Kuss auf der Couch manchmal sogar länger. Aber da wurde nichts ausgezogen. Es war keine erderschütternde Angelegenheit. Aufzuhören fiel Ajax nie schwer.

Und weil er ein fabelhaft aussehender Mann war, hatte Rachael angenommen, dass sie sich nach den Jahren der Zurückhaltung geändert und nach den wilden Ausrutschern gerade noch rechtzeitig den Absprung geschafft hätte.

Seitdem hatte sie sich eisern gezügelt und sich und Ajax für ein ideales Paar gehalten.

Doch das waren sie nicht. Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

In ihr schlummerte Leidenschaft. Sie war immer noch da. Und sie sehnte sich danach …

„Und was willst du nun tun, Rachel?“, fragte Alana besorgt.

Ihr schoss das Blut ins Gesicht. „Tun?“

„Nachdem du erkannt hast, dass du Ajax nicht liebst.“

„Ach …“ Sie wedelte mit der Hand. „Das weiß ich schon lange.“

Alana konnte nicht ahnen, dass Rachels Welt soeben von einem nur vierzig Meter entfernten Herkules aus den Angeln gehoben worden war.

„Was blickst du so fasziniert zu dem Typ auf der Jacht da drüben?“

Rachel riss sich zusammen. „Tue ich das?“

„Ja.“

„Na ja, er ist …“

„Mm. Ja, das ist er. Geh und sprich ihn an.“

Entsetzt wirbelte Rachel herum. „Was? Einfach so?“

„Klar. Ich fliege erst in einigen Stunden. Falls du Rettung brauchst – ich bin da. Natürlich diskret im Hintergrund.“

„Aber was soll ich ihm sagen?“

Flirten, gefährlich leben, den Augenblick genießen – das alles lag so weit zurück und gehörte in eine andere Welt. Die Rachel, die fast Schande über sich und ihre Familie gebracht hätte, gab es nicht mehr. Eine neue Rachel war der Asche entstiegen. Mit neuen Regeln. Eine friedliche Rachel, die mit dem Strom schwamm und es allen recht zu machen versuchte. Und aufpasste, dass sie sich nicht zu weit über den Rand des Sicherheitsnetzes wagte, das ihr Vater gespannt hatte.

Doch aus einem ihr selbst nicht erklärlichen Grund fühlte Rachel sich hier im Sonnenschein beim Gedanken an die gesellschaftliche Vorgaben ihres Vaters und die Sicherheit, die Ajax ihr bot, als würde sich ihr eine Schlinge um ihren Hals legen …

Mach kein Theater! ermahnte sie sich. Es ist eine Hochzeit. Niemand will mich aufknüpfen.

Dennoch kam es Rachel so vor. Weil die Heirat so endgültig war. Die Entscheidung für eine Zukunft als Ajax’ Frau. Für die neue Rachel, die keine Wellen mehr machen durfte.

„Geh und rede mit ihm“, drängte Alana. „Du bist rot geworden. Es scheint dich erwischt zu haben.“

„Blödsinn“, wehrte Rachel ab.

„Na gut, ich habe mich zurückgehalten, als du dich mit Ajax verlobt hast. Aber wie du jetzt zugibst, liebst du ihn nicht. Das sieht eigentlich jeder, der Augen im Kopf hat.“

„Ich weiß“, gab Rachel kleinlaut zu.

„Was sind wir doch für Langweiler geworden! Im College haben wir die verrücktesten Dinger gedreht …“

„Milde ausgedrückt“, bemerkte Rachel.

„Aber ich finde, jetzt bist du ein bisschen zu langweilig“, hielt Alana ihr vor.

„Die Alternative steht nicht mehr zur Debatte.“

„Mag sein. Aber eine brave Zukunft erscheint mir auch nicht verlockend.“

„Was bleibt mir anderes übrig?“ Rachel seufzte. „Mein Dad hat mich oft genug aus der Patsche geholt. An einem Punkt wollte er sogar nichts mehr mit mir zu tun haben. Und jetzt? Ich liebe meinen Dad, endlich ist er stolz auf mich. Und wenn die Heirat mit Ajax der Preis ist, den ich zahlen muss … bin ich einverstanden.“

„Bekommst du bei ihm Herzklopfen?“

Rachel blickte wieder zu dem Muskelmann auf der Jacht. „Nein“, musste sie zugeben. „Das nicht.“

„Dann solltest du dir ein Erdbeben mit einem Mann gönnen, bei dem das der Fall ist.“

„Meinst du?“

„Ja.“

„Ich soll ihn einfach ansprechen? Und wenn er mich mit einer Flut griechischer Schimpfwörter überschüttet und wieder an die Arbeit geht?“

Erheitert lachte Alana. „Das tut er bestimmt nicht, Rachel.“

„Woher willst du das wissen? Vielleicht steht er nicht auf Blondinen.“

„Auf dich bestimmt. Du machst die Männer verrückt.“

„Jetzt nicht mehr.“ Vor elf Jahren war es für sie mit Flirts, Spielchen und Anmachen vorbei gewesen. Und Ajax hatte nie den Eindruck erweckt, als würde sie ihn verrückt machen.

„Mich kannst du nicht täuschen“, winkte Alana ab. „Lebe ein bisschen gefährlich, Schätzchen. Ehe du dich ins Eheleben verabschiedest.“

Rachel blickte immer noch gebannt zu dem Fremden hinüber und gönnte ihrer Freundin nicht mal einen bösen Blick. „Hast du das aus einem Glückskeks?“

„Hattest du noch nie einen Orgasmus bei einem richtigen Mann? Ich schon. Also …?“

Rachels Wangen brannten. Nein, da musste sie passen. Einigen Männern hatte sie einen beschert, aber selbst nie einen gehabt. „Na gut. Ich spreche ihn an. Sprechen“, betonte sie. „Kein Orgasmus. Also spar dir den bedeutsamen Blick, Alana.“

„Okay. Ich bleibe in der Nähe. Falls du … na, du weißt schon … Hilfe brauchst, schick eine SMS.“

„Ich habe Pfefferspray dabei. Ajax bestand darauf.“

Bei der Erwähnung ihres Verlobten wand Rachel sich innerlich. Aber sie würde ja nichts Unanständiges tun. Nicht wirklich. Sie wollte sich mit dem halbnackten Matrosen nur unterhalten.

Nur einen Moment. Um zu beweisen, dass sie Abenteuergeist besaß. Alana zeigen, dass sie ein falsches Bild von ihr hatte. Etwas tun, das andere ihr nicht zutrauten.

Nur einen Moment. Mit dem Herkules reden, den sie schlichtweg atemberaubend fand.

Rachel atmete tief durch und warf das Haar zurück. „Wünsch mir … hm … Glück wohl besser nicht.“

Alana zwinkerte ihr zu. „Es wird schon klappen.“

„Nein – nein! Ich werde Jax nicht betrügen.“

„Okay“, sagte Alana nur.

„Ich betrüge ihn nicht.“ Die bloße Vorstellung war lachhaft.

Manche mochten so sein. Draufgänger, leichtlebige Mädchen, die mitnahmen, was sich ihnen bot. Sie nicht! Nicht mehr. Die Rachel von damals gab es nicht mehr. Ihre rebellischen Jahre waren nur das gewesen: Rebellion. Kein Ausdruck von Freiheitsdurst, eher der Wunsch, ihre Grenzen zu testen. Irgendwann war ihr bewusst geworden, wie das auf andere wirkte. Und auf sie zurückfiel. Nicht nur momentan, sondern langfristig.

Aber was war schon dabei, einfach hallo zu sagen? Es konnte doch nicht schaden, sich einen Augenblick in der glutvollen Aura dieses Fremden zu sonnen.

„Neiin!“, tönte Alana.

„Sscht!“ Rachel drehte sich um und ging bebend auf die Anlegestelle zu. Ihre Handflächen waren feucht, ihr Herz jagte, und sie hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Ja, alle Signale schrillten warnend und standen auf Flucht.

Rachel ignorierte sie.

Ein letztes Mal drehte sie sich zu Alana um, die reglos an der Mauer stand und ihr nachblickte, dann wandte Rachel sich ihrem Opfer zu.

Sie würde einfach hallo sagen. Und vielleicht ein bisschen flirten. Es war doch nur ein harmloser kleiner Flirt. So halbwegs wusste sie noch, wie das ging. In ihren besten Tagen hatte sie es zu wahrer Meisterschaft gebracht: ein bisschen mit den Wimpern klimpern, dem Typ wie unabsichtlich die Hand auf die Schulter legen. Den Marktwert testen. Sich bestätigt sehen. Ein einziger großer Spaß war das gewesen. Ein Spiel mit oder ohne Grenzen …

Warum es nicht noch mal probieren? Als letztes Aufbäumen vor dem großen Bravsein. Hatte sie das nicht sowieso vorgehabt? Einige Tage mit Alana herumziehen, shoppen, sich faul am Strand aalen, Filme reinziehen, Spaß auf der Wohltätigkeitsgala. Alles ohne die Familie oder Ajax …

Warum sollte dieser Flirt nicht dazugehören? Eine kleine Auszeit von Rachel Holt, dem Mediendarling. Der Rachel Holt, die sich Mühe gab, ihre Familie würdig zu vertreten, zu tun, was von ihr erwartet wurde.

Endlich einmal Rachel sein! Nicht die neue Rachel. Und nicht die alte. Einfach nur Rachel.

Vor der Jacht blieb sie stehen und atmete tief durch.

Als sie nach oben blickte, hatte sie die unglaublichsten blauen Augen vor sich, die ihr je begegnet waren. Der gebräunte Matrose lächelte ihr zu, sodass seine weißen Zähne aufblitzten. Atemberaubend, dieser Mann! Er schob sich die dunklen Locken aus der Stirn, dabei spielten seine Muskeln. Nur für sie. Rachels Hormone spielten verrückt und schrien nach mehr.

Zum Teufel mit den Hormonen …

„Haben Sie sich verlaufen?“, fragte der Fremde. Wie Ajax, sprach er Englisch mit einem leichten Akzent, aber er klang anders. Nicht so kultiviert. Er war etwas härter und weckte etwas in Rachel: in den vernachlässigten, ausgetrockneten Ecken – und schürte Funken, die einen Brand entfachten.

Und das alles mit vier Worten. Sie war verloren, wenn sie nicht schleunigst den Rückzug antrat.

Rachel tat es nicht. Wie angewurzelt blieb sie stehen.

„Hm … ich war zufällig dort drüben.“ Sie deutete zur Mauer, an der sie mit Alana gestanden hatte. Von ihrer Freundin war nichts mehr zu sehen. „Da sah ich Sie.“

„Sie sahen mich?“

„Ja.“

„War das ein Problem?“

„Ich …“ Rachels Stimme streikte. „Kein Problem, nein. Ich habe Sie einfach gesehen.“

„Ist das alles?“ Der Fremde stellte einen Fuß auf die Reling und schwang sich mit einer geschmeidigen Bewegung auf den Anlegesteg.

„Ja“, erwiderte Rachel. „Das ist alles.“

„Und wie heißen Sie?“

„Rachel Holt.“

Sie wartete. Auf das erkennende Aufblitzen in seinen Augen. Dass er überrascht war, eine halbwegs bekannte Medienpersönlichkeit vor sich zu haben. Oder sich abwandte. So oder so reagierten die Leute. Selten anders.

Aber er schien sie nicht zu kennen. Zeigte keine Regung. Nichts.

„Also, Rachel“, sagte er in einem Ton, der ihr Schauer über die Haut jagte. „Was ist Ihnen an mir aufgefallen?“

„Dass … mm … Sie ein heißer Typ sind.“ Noch nie hatte sie zu einem Mann so direkt gesprochen. Oder war das schlicht verrückt? Sonst konnte sie mit Leuten umgehen. Sie war die perfekte Gastgeberin. Alle mochten sie, selbst die abgebrühten Medienvertreter. Ihren Ruf hatte sie über Jahre hinweg aufgebaut und sorgfältig gepflegt.

Aber Leuten kalte Drinks zu reichen, war nun mal etwas anderes, als sich selbst anzubieten.

Der Fremde zog eine Braue hoch. „Sie finden mich heiß?“

„Ja. Hat Sie noch nie eine Frau angesprochen?“ Rachels Wangen brannten, aber das lag nicht an der Nachmittagssonne. Natürlich dürfte sie ihn nicht anmachen, aber sie konnte nicht anders.

Es war einfach über sie gekommen. Ihre Hormone spielten verrückt.

„Das schon. Aber nicht so charmant. Haben Sie sich auch ausgedacht, wie es mit uns weitergehen soll?“

„Ich dachte …“ In der Sekunde wusste Rachel es. Sie wollte alles von diesem Fremden. Alles auf einmal. Sie wollte ihn berühren, ihn küssen, seine Fingerspitzen auf der nackten Haut spüren, während er sie zu Gipfeln der Ekstase jagte, die sie nie für möglich gehalten, geschweige denn, ersehnt hätte. „Ich dachte, wir könnten etwas trinken gehen.“ Ein Drink. Ein kühles Getränk. Das war innerhalb ihres Erfahrungsbereichs und vielleicht etwas eleganter. Erst recht, da sie nicht einmal seinen Namen kannte. „Wie heißen Sie?“, fragte sie, weil ihr das höflich erschien, nachdem sie bei diesem Herkules bereits in Nacktfantasien schwelgte.

„Alex“, erwiderte er.

„Einfach nur Alex?“

Er zuckte mit den Schultern, dabei hob und senkte sich seine muskulöse Brust.

„Warum nicht?“

Ja, warum nicht? Warum sollte er nicht einfach Alex sein? Wozu brauchte sie einen Nachnamen? Diesen Mann würde sie auf keiner Party oder sonst wo vorstellen. Nach dem heutigen Abenteuer würde sie ihn nie wiedersehen.

„Gut“, entschied sie. „Gehen wir etwas trinken? Oder hätte Ihr Chef etwas dagegen?“

„Mein Chef?“

„Der Jachteigentümer.“

Alex drehte sich zum Schiff um und wandte sich ihr wieder zu. „Ach der ist für einige Tage in Athen. Ich soll hier nur ab und zu nach dem Rechten sehen und muss nicht ständig an Bord sein.“

„Schön. Sie werden sicher nicht abdriften.“ Rachel lachte und kam sich dumm vor – als wäre sie wieder achtzehn statt eine Frau von achtundzwanzig. Aber selbst damals hatte sie bei Begegnungen mit Männern nicht albern gekichert. Da hatte sie ihre Lektion bereits gelernt.

Doch bei diesem Mann war es um ihre Vernunft und die Lektionen geschehen.

Er krauste die Nase und blinzelte gegen die Sonne an. Seine jungenhafte Art bewirkte, dass Rachel noch heißer wurde. „Wohl nicht. Aber es ist mir schon passiert.“

„Ach?“

„Ja. So bin ich hier gelandet. Ich habe mich einen Großteil meines Lebens treiben lassen.“

Das war eindeutig doppeldeutig! Aber komischerweise hatte Rachel das Gefühl, dass dieser Fremde, den sie nur wenige Minuten kannte, ehrlicher mit ihr war als der Mann, den sie heiraten wollte.

„Also?“, fragte er. „Ein Drink?“

„Gut.“

„Ich ziehe mir nur schnell ein Hemd über.“ Er lächelte ihr zu und kletterte an Bord zurück. Es kostete Rachel alle Willenskraft, nicht zu sagen: „Bitte nicht! Kommen Sie oben ohne.“ Aber das wäre wohl doch zu direkt. Vor allem, da sie letztlich nicht zu mehr bereit war.

Ein Drink. Mehr durfte sie nicht riskieren.

Einträchtig gingen sie zur nächsten Bar und bestellten zwei Soda. Irgendwann schickte Rachel eine SMS an Alana, um sie wissen zu lassen, dass alles bestens lief – dass sie keinem Axtmörder in die Hände gefallen war. Doch sie meldete sich nicht mehr, während sie mit Alex stundenlang durch den Ort schlenderte. Auch nicht, als sie am Pier zu Abend aßen und sich plaudernd und lachend an Fisch und Pasta erfreuten. Und schon gar nicht, als Alex sie mit seiner Gabel seine Vorspeise kosten ließ … und sie sich in die Augen sahen – dass ihr heiß wurde.

Später führte Alex sie in einen Klub.

In einem Klub war Rachel nicht mehr gewesen, seit sie sich unter falschem Namen eingeschmuggelt hatte. Klubs wie dieser waren Brutstätten für Skandale, Sex und andere anstößige Dinge, die ihr Vater und Ajax nie gebilligt hätten. Und die Medien würden sie kreuzigen, wenn sie in so einem Sündenpfuhl erwischt wurde.

Alkohol, ohrenbetäubende Musik, Tanzflächen mit schweißüberströmten Körpern. Früher hatte Rachel nicht genug davon bekommen können. Bis sie gemerkt hatte, auf was sie sich einließ. Welchen Ärger sie sich damit einhandeln konnte. Und erkannt hatte, dass sie auf dem besten Weg war, ein böses Ende zu nehmen.

Doch heute wollte sie sich keinen Zwang antun. Hier fühlte sie sich sicher, getarnt durch den Zauber, den Alex vom ersten Moment an über sie gebreitet hatte. Niemand nahm Notiz von ihr oder erwartete, dass sie aus der Rolle fiel. Sie lief nicht einmal Gefahr, sich auszutoben wie früher.

Es war aufregend, mit Alex zusammen zu sein. Er gab ihr das Gefühl, gefährlich zu leben. Endlich verspürte sie wieder den irren Adrenalinkick, den sie sich so lange versagt hatte.

Es war wie ein einziger Rausch. Der ganze Tag. Sie machte Urlaub von sich selbst. Mit sich selbst.

„Das macht wahnsinnig Spaß!“, versuchte Rachel übermütig, den dröhnenden Bass zu übertönen.

„Es gefällt Ihnen also?“, fragte Alex.

„Sehr!“

Als er ihre linke Hand nahm, durchzuckte sie ein Stromstoß. „Ich wollte Sie schon vorhin danach fragen.“ Alex drehte ihre Finger so, dass der Verlobungsring in den Strahlen der Stroboskopkugel aufblitzte.

Rachel bemerkte es und seufzte ernüchtert. Die Wirklichkeit holte sie ein. Daran wollte sie nicht denken.

„Ich bin nicht verheiratet“, sagte sie.

Nun lächelte er, und seine elektrisierenden blauen Augen funkelten amüsiert. „Das wäre mir egal“, erwiderte er. „Ich hätte mich höchstens erkundigt, wie groß Ihr Mann ist. Und ob er Verbindungen zur Mafia hat.“

Die bloße Vorstellung, Ajax könnte mit etwas so Wüstem oder Aufregendem wie der Mafia zu tun haben, war irrsinnig komisch. Für so etwas Tollkühnes war er viel zu bieder. Er war der beruhigende, ausgleichende Faktor in ihrem Leben. Zumindest sah ihr Vater das so. Und sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Ajax es wagen würde, mit ihr diesen Klub zu besuchen.

Er war kein Partyfreund. Wenn sie ihm einen Klubbesuch vorschlagen würde, hätte er abgewinkt und ihr bestenfalls viel Spaß gewünscht, um sich wieder seinen Zahlenaufstellungen zu widmen, von denen er sich selbst abends kaum loseisen konnte.

„Hm … Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen“, versuchte Rachel, ihn zu beruhigen. „Außerdem haben wir nichts getan, dessen wir uns schämen müssten. Ich habe keine … Gelübde gebrochen.“

„Noch nicht.“ Alex lächelte bedeutsam. „Es ist noch früh am Tag.“

„Ja“, sagte sie nur, weil ihr Herz wild zu klopfen begann.

„Möchten Sie tanzen?“

Rachel blickte auf seine ausgestreckte Hand. Nichts wünschte sie sich mehr. Ajax hatte nie mit ihr getanzt. Sie nie dazu aufgefordert. Ihr war nicht einmal bewusst gewesen, wie sehr ihr das fehlte.

Doch hier ging es nicht nur um einen Tanz. In diesem Moment entschied sich alles. Wenn sie Ja sagte, würde sie für den Rest der Nacht nicht mehr Nein sagen können.

Aber hatte sie das nicht schon vor Stunden gewusst? Seit dem Augenblick, als sie Alex in die Augen geblickt hatte, war es ihr nicht mehr möglich gewesen, Nein zu sagen.

„Ja.“ Verrückt, aber sie fühlte sich wie befreit! Die Würfel waren gefallen. Heute Nacht würde sie sich ausleben, was immer das bedeutete. „Ja, Alex. Ich möchte tanzen.“

2. KAPITEL

Auf der Tanzfläche küsste Alex sie zum ersten Mal. Hier waren sie umgeben von Paaren, die völlig miteinander beschäftigt waren. Rachel genoss es, geschoben und an Alex gedrängt zu werden, sodass sie die Hitze seines harten Körpers spürte.

Als Rachel wieder gegen ihn gepresst wurde, sah sie ihn verlangend an. Sie wusste, was das bedeutete, doch sie brauchte das. Mehr als die Luft zum Atmen. Egal, was morgen war. Diese Nacht gehörte ihr.

Sie wurde verrückt, wenn sie Alex nicht berühren, ihn nicht schmecken und spüren konnte.

Und er ließ sie nicht warten.

Er beugte sich über sie, küsste sie, drang mit der Zunge in ihren Mund ein. Und sie öffnete sich ihm, nahm ihn tief in sich auf, küsste ihn, bis ihr schwindlig war. So einen Kuss hätte Rachel nie für möglich gehalten. Sie konnte nichts mehr denken, die letzten Bedenken lösten sich in nichts auf. Es gab nur noch dieses Verlangen, diese wahnwitzigen Empfindungen …

Selbstvergessen legte sie Alex die Arme um den Hals und klammerte sich an ihn, bewegte sich wie in Trance mit ihm und schob die Finger in sein dichtes Haar, legte alles, was sie seit Jahren vermisst hatte, in diesen Kuss, der nicht sein dürfte.

Die Erkenntnis ärgerte Rachel. Sie war entschlossen zu bekommen, was sie brauchte. Was sie nach dieser Nacht nicht mehr durfte.

Dies war ihre letzte Chance. Ihr ganz persönlicher Nervenkitzel. Ein verbotenes Abenteuer, von dem niemand je erfahren durfte.

„Komm mit in mein Hotel“, hauchte sie an seinen Lippen.

Statt zu antworten, küsste Alex sie erneut.

Offenbar hörte er sie wegen der dröhnenden Musik nicht. Sie zog seinen Kopf zu sich herab und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich habe ein Hotelzimmer. Komm mit.“

Mehr wollte Alex nicht hören. Schon zog er sie von der Tanzfläche in die warme Sommernacht hinaus. Vor dem Klub drückte er Rachel an die Mauer und küsste sie begehrend. Und sie drängte sich an ihn, rieb ihre Brüste an seinem harten Oberkörper. Es gab nur noch das Verlangen, das ungezähmt wie ein wildes Tier in ihr tobte.

„Hör mal ….“ Atemlos schloss sie einen Moment die Augen. „Mein Hotel ist … nicht weit entfernt. Aber ich habe keine Ahnung, wo wir hier sind.“

Lachend legte Alex die Stirn an ihre. „Dafür weiß ich es.“

„Wohin?“

„Zu dir.“

Rachel atmete tief ein und verdrängte die letzten Gewissensbisse. Gefühle durften hier nicht ins Spiel kommen. „Wow, Alex! Du sagst die tollsten Dinge.“

Er nahm sie bei der Hand. „Komm.“

Endlich war Rachel sie selbst. Als hätten die beiden Frauen in ihr – die öffentliche und die private – zum ersten Mal zueinandergefunden.

Sie fühlte sich stark. Selbstsicher.

Glücklich.

Wer sie früher gewesen war, hatte sie zu verdrängen gelernt. Vor dem Debakel mit Colin. Seiner Erpressung. Ehe sie ihrem Vater gegenübertreten und ihm gestehen musste, was sie getan hatte. Und was für Folgen das haben könnte.

Ich kann dich nicht mehr schützen, Rachel. Die Leute, mit denen du dich umgibst, sind gefährlich. Wegen dem, was du bist und aufgrund deiner Verbindungen werden Männer dich unweigerlich ausnützen und die Medien dich jagen. Du forderst es förmlich heraus. Damit muss endlich Schluss sein! Wenn du so weitermachst, kann ich nicht mehr für dich da sein. Ich liebe dich zu sehr, um dich auf diesem Weg weiter zu unterstützen.

Und dann die schockierten Vorhaltungen ihrer Mutter, die sie unter vier Augen zur Rede gestellt hatte: Eine junge Frau in deiner Stellung kann sich solche Entgleisungen nicht leisten. Sie sind nicht nur unmoralisch, sondern auch gefährlich. Bedenke, wie die Medien über dich herziehen werden. Und uns. Ich habe mich nicht all die Jahre über bemüht, uns gesellschaftlich nach oben zu bringen, um zuzusehen, wie du mit deinem unmöglichen Verhalten alles zunichtemachst!

Von der Seite hatte Rachel ihre Mutter nicht gekannt.

Doch sie hatte sich ihre Worte zu Herzen genommen und sie nie vergessen.

Bis zu diesem Augenblick.

Aber der zählte nicht. Er stand unter einem Zauber und hatte nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Und Alex wusste schließlich nicht, wer sie war. Er wollte sie nicht ausnützen, sie nicht in kompromittierende Situationen bringen, um Fotos oder ein Schmutzvideo zu verkaufen.

Selbst Ajax, ein wirklich netter Mann, interessierte sich mehr für ihren Namen – und was sie darstellte.

Nicht so Alex. Er begehrte sie einfach.

Damit verdrängte Rachel alles Unbequeme aus ihrem Bewusstsein. Es gab nur das Jetzt. Und das war himmlisch!

Anfangs gingen sie lachend den Gehsteig entlang, dann begannen sie zu rennen. Schließlich streifte Rachel sich die Schuhe ab und eilte barfuß über das Steinpflaster.

Vor dem Hotel blieben sie stehen, wo die Beleuchtung aus der Lobby Alex und die plätschernden Springbrunnen vor dem Eingang in warmes Licht tauchte. „Ach ja“, klärte sie ihn atemlos auf. „Ich wohne in einem Nobelhotel.“

„Das kann man wohl sagen.“ Alex’ Lachen jagte ihr Schauer über den Rücken.

„Aber du musst dich nicht genieren.“

„Tue ich auch nicht“, versicherte er ihr.

Natürlich nicht. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Mann sich je genierte. „Gut. Aber ehe wir reingehen, möchte ich drei Dinge von dir wissen, okay?“

„Das hängt davon ab. Willst du wissen, ob ich Geld habe?“

„Nein!“, wehrte sie ab. „Ich brauche auch keine Fingerabdrücke. Aber … du bist mir fremd, und das möchte ich ändern.“

„So? Und was willst du wissen?“

Rachel schloss kurz die Augen, dann sah sie Alex an. „Deine Lieblingsfarbe?“

„Ich habe keine.“

„Ach komm! Welche Farbe hat deine Bettdecke?“

Nun lachte er. „Schwarz.“

„Okay. Wie alt bist du?“

„Sechsundzwanzig.“

„Aha.“ Ein feiner Schauer überlief Rachel. „Tja, ich bin achtundzwanzig. Ich hoffe, das stört dich nicht.“

„Nicht im Geringsten.“ Alex lächelte sinnlich. „Das macht es noch aufregender. Falls das überhaupt möglich ist.“

Rachels Puls legte einen Gang zu. „Noch eins“, sagte sie. „Schläfst du lieber unter den Sternen oder in einer Luxussuite?“

„Das ist mir egal, solange du bei mir bist. Möglichst ausgezogen.“

Befreit atmete sie aus. „Mehr wollte ich nicht wissen.“

„Gehen wir rein?“

„Natürlich.“ Nun gab es kein Zurück mehr. „Jetzt bist du kein Fremder mehr. Alles ist bestens.“

Sie betraten das Hotel und gingen schnell durch die Lobby. Rachel bediente den Aufzugknopf und wartete ungeduldig, während die Sekunden verstrichen.

Sobald die Türen hinter ihnen zuglitten, drückte Alex sie an die Wand und küsste sie verzehrend, begann, ihren Körper zu erkunden.

Rachel spürte seine Härte an ihrem Schoß, es gab keinen Zweifel, wie sehr er sie begehrte: Er war so erregt, dass er sich nur noch mühsam beherrschte, das sagte ihr sein Herzschlag, die Art, wie er sie küsste.

Nicht einmal in ihren wildesten Fantasien hätte Rachel für möglich gehalten, dass ein Mann sie so leidenschaftlich küsste … dass sie seinen Kuss erwiderte, als würde ihr Leben davon abhängen.

Natürlich besaß sie Erfahrung mit alkoholisierten Küssen und zudringlichen Männern. Doch diesmal war kein Alkohol im Spiel. Und sie wurde auch nicht bedrängt. Sie rebellierte nicht gegen ihr geordnetes, fest umrissenes Dasein. Hier gab es kein Pflichtgefühl. Es ging nur um sie und etwas, das sie wollte.

Für Rachel konnte der Aufzug nicht schnell genug auf ihrer Etage halten. Noch langsamer, und sie hätte den Verstand verloren – oder Alex hätte sie angekleidet im Fahrstuhl genommen. Sie war nahe daran, so nahe …

Für eine leidenschaftliche Frau hatte Rachel sich nie gehalten. Aber ganz ohne Sex wollte sie auch nicht sein. Und da Ajax die Dinge viel zu langsam vorantrieb, besaß sie genug Erfahrung, um sich ihre Sexfantasien selbst zu erfüllen.

Was ein Orgasmus war, wusste sie. Aber sich dafür einem Mann auszuliefern, war ihr neu. Sie hatte Colin Orgasmen beschert, obwohl er sie nie so berührt hatte, wie sie es brauchte. Außerdem lag das elf Jahre zurück … wie auch ihre Erfahrungen mit Nacktauftritten.

Jetzt war sie hier, und was Alex mit ihr machte, war sehr viel mehr als berühren. Er verstand es meisterlich, ihr auf beängstigende Weise Lust zu bereiten.

Bebend stolperte Rachel auf den Gang hinaus und kramte in ihrer Handtasche nach der Schlüsselkarte. Dummerweise hatte sie das Ding mittags achtlos hineingeworfen. Aber da hatte sie nicht ahnen können, was auf sie zukam. Wie dringend sie die Chipkarte jetzt brauchte! Wo war das verflixte Ding?

Erst als sie den Boden der Handtasche mit den Fingern abtastete, fand sie die Karte. „Gott sei Dank.“ Sie stöhnte auf. „Oje, war das eine Gotteslästerung?“ Schuldbewusst sah sie Alex an.

„Wieso?“

„Ich danke Gott, dass ich die Codekarte gefunden habe, damit wir … Na ja Sex, wie wir ihn vorhaben, ist doch Sünde, oder?“

„In fünf Minuten bestimmt“, musste er ihr recht geben. „Im Moment ist es einfach nur Verlangen.“

„Aber ein ziemlich gottloses.“ Rachel wandte sich ihrer Suite zu und schob die Karte in den Schlitz. Grünes Licht! „Endlich!“

Doch Alex blieb stehen und berührte ihre Wange sanft mit der Fingerspitze. „Du bist bezaubernd, wenn die Nerven mit dir durchgehen.“

Ihr schoss das Blut ins Gesicht. „Das … hast du nett gesagt.“

Er blickte ihr in die Augen, als gäbe es nur sie für ihn. Als wäre nur sie wichtig. So hatte noch kein Mann sie angesehen. „Ich meine es ehrlich.“

Sie schluckte, weil ihr Hals sich wie zugeschnürt anfühlte. „Dann … danke. Meinen Nerven geht es besser, wenn du mich küsst. Wir sollten weitermachen.“

Darum musste sie ihn nicht zweimal bitten.

Unter Küssen zog Alex sie ins Zimmer und aufs Bett. In Sekundenschnelle lag Rachel auf dem Rücken, unter sich die weiche Matratze, über sich hart und erregt Alex. Da blieb ihr keine Zeit, nervös zu sein. Nur zu bereitwillig ließ sie sich vom Sturm seiner Leidenschaft mitreißen.

Nichts an Alex war nun mehr jungenhaft. Das lustige Funkeln in seinen Augen war verschwunden. In ihnen entdeckte Rachel etwas Dunkles, Wildes. Gefährliches.

Das ihr gefiel.

„Beim nächsten Mal gehen wir es langsam an, das verspreche ich dir. Ein gutes Vorspiel ist fantastisch.“ Alex kniete sich auf und streifte sich das Hemd ab. „Wir holen alles nach. Bald.“ Er holte seine Brieftasche hervor, nahm ein Kondom heraus und warf sie auf den Fußboden. Die restliche Kleidung folgte.

Rachel hatte vergessen, dass sie unruhig war – sie war zu sehr damit beschäftigt, Alex anzusehen. Wie ein griechischer Gott …

Nie hätte sie erwartet, einen Mann so zu begehren!

Ungeduldig streifte er ihr das Kleid von den Schultern, betrachtete ihre nackten Brüste und beugte sich über sie, nahm eine Brustspitze leidenschaftlich zwischen seine Lippen, während er ihr den Rock bis zu den Hüften hochschob.

Dann hatte Alex sie auch von ihrem Slip befreit. Er lehnte sich kurz zurück, streifte sich das Kondom über, schob sich zwischen ihre Schenkel und drang tief in sie ein.

Rachel zuckte leicht zusammen, als sie einen feinen stechenden Schmerz verspürte, doch sie gab keinen Laut von sich, um den Zauber des Augenblicks nicht zu brechen. Trotz des kleinen Schmerzes war es das Aufregendste, Wunderbarste und Wildeste, was sie je erlebt hatte.

Falls Alex etwas bemerkt hatte, ließ er sich nichts anmerken. Rachel war froh darüber. Unersättlich stieß er tief und tiefer in sie hinein, trieb sie gemeinsam in schwindelnde Höhen, bis sie atemlos waren. Ekstatisch krallte Rachel sich in sein Haar, in die Laken, um nicht in Millionen Stücke zu zerbersten.

Der Schmerz verebbte rasch, mit jedem Stoß katapultierte Alex sie näher an den Kraterrand. Es war wie Donner und Blitz … die Erlösung kam so plötzlich wie eine Explosion.

Ihre Gewalt riss Rachel mit sich, sie schrie und klammerte sich an Alex, bohrte die Fingernägel in seine Haut, verlor jedes Gefühl für Raum und Zeit …

Alex gab einen heiseren Laut von sich und hielt inne, als er selbst den Gipfel erreichte. Dann stand er auf, verließ das Bett und verschwand im Bad.

Benommen blieb Rachel liegen, nackt bis auf das Kleid, das sich auf ihrem flachen Bauch zusammengeschoben hatte. Sie schlug die Hände vors Gesicht und versuchte, wieder zu sich zu kommen.

Meine Güte, was hatte sie getan?

Etwas später kehrte Alex zurück. „Du hättest es mir sagen müssen“, hielt er ihr grimmig vor.

„Was sagen?“ Rachel setzte sich auf und versuchte, sich das Kleid zurechtzuzupfen, während es Alex nicht zu stören schien, dass er nackt war.

„Dass du noch Jungfrau bist.“

„Ach das. Na ja, ich hätte es dir sagen können. Es ist einfach nur …“

„Nur was?“

„Ich wollte nicht darüber reden. Ist das sehr dumm?“

Er kam zu ihr ans Bett, hob ihre linke Hand mit dem Ring und hielt sie ihr vor die Augen. „Wer dir den angesteckt hat, ist ein Idiot.“

Rachel kehrte in die Wirklichkeit zurück und blickte auf den Ring, der vereinsamt auf dem Nachttisch lag.

In den letzten Stunden hatten sie sich mindestens vier Mal geliebt. Und Alex hatte ihr nicht zu viel versprochen. Er war ein Meister des Vorspiels und beherrschte die Kunst auf buchstäblich atemberaubende Weise.

Vorsichtig setzte Rachel sich auf, weil ihre Muskeln sich meldeten. Alex hatte ihr sehr viel mehr Bewegung verschafft, als sie gewöhnt war. Verklärt lächelte sie. Es war komisch, aber sie fühlte sich … anders. Als würde sie schweben. So unglaublich lebendig.

War sie verliebt?

Rachel schloss die Augen. Ein dummes Klischee. Schließlich kannte sie den Mann kaum. Sie war nackt mit ihm zusammen gewesen, das war alles.

Dennoch fiel es ihr leicht, sich zu erinnern, wie sie mit ihm getanzt hatte, mit ihm Hand in Hand barfuß den Gehweg entlanggeeilt war. Wie anders hatte sie sich da gefühlt. So beschwingt und frei.

Glücklich.

Ja, sie hatte Feuer gefangen. Aber das war gefährlich. Schon einmal hatte sie sich in einen Mann verliebt – mit verheerenden Folgen. Es kam ihr vor, als wäre das in einem anderen Leben gewesen und einer anderen passiert.

In den elf Jahren hatte sie sich geändert. Ihr war keine andere Wahl geblieben. Jetzt kam sie sich wie in einer Haut vor, die ihr viel zu eng war.

Was in der Nacht gewesen war, hatte sie verändert.

Rachel verließ das Bett und tappte ins Bad. Während der Morgentoilette betrachtete sie ihr Spiegelbild. Ihr Haar war zerwühlt, und die dunkle Stelle am Hals war eindeutig ein Knutschfleck.

Unwillkürlich musste sie lächeln.

Und lächelte immer noch, als sie ins Zimmer zurückkehrte. Sie hielt inne, als sie die Brieftasche auf dem Boden bemerkte. Nachdem Alex das Kondom herausgenommen und sie fortgeschleudert hatte, lag sie immer noch offen da.

Im Sturm der Leidenschaft hatten sie sich irgendwann ohne Schutz geliebt, danach hatte Alex beim Pförtner Nachschub besorgt. Wenn sie ehrlich war, hatte es ihnen die Pforten zum Paradies geöffnet, dass Alex gleich eine ganze Schachtel mitgebracht hatte.

Neugierig bückte Rachel sich und hob die Brieftasche auf. Es war eine Luxusausführung: schwarzes, handgenähtes Leder, wie sie zu ihrem Vater oder Ajax gepasst hätte. Seltsam, dass ein Matrose, der in abgewetzten Sachen herumlief, sich so ein teures Stück leistete …

Rachel warf einen Blick auf seinen Führerschein. Ein amerikanischer … Komisch. Alex war eindeutig Grieche. Aber vielleicht war sein Arbeitgeber Amerikaner.

Okay, Schnüfflerin. Das geht dich nichts an!

Da sie sich keine Lebensbeichten schuldeten, war es unanständig, in Alex’ persönlichen Dingen herumzuschnüffeln.

Ehe Rachel die Brieftasche zuschlug, um sie auf den Nachttisch zu legen, erhaschte sie einen Blick auf den Namen. Und blieb wie versteinert stehen.

Den Namen kannte sie.

Und es dauerte nur Sekunden, bis ihr einfiel, woher.

Alexios Christofides.

Wie Schuppen fiel es Rachel von den Augen. Von Alexios Christofides hatte Ajax öfter gesprochen. Wütend. Ihn zum Teufel gewünscht. Seit Monaten brachte der Mann Ajax in Rage. Mit feindlichen Aktienübernahmen, Verdächtigungen über Steuerhinterziehung und Umweltvergehen. Alles ungerechtfertigte Anschuldigungen, aber sie hatten Ajax viel Zeit und Geld gekostet.

Ein Kabinenboy war Alex also nicht.

Und ein Fremder schon gar nicht.

Der Erzfeind ihres Verlobten hatte sie ins Bett gelockt!

Wie Sand schien der Boden unter Rachel nachzugeben. Die Vergangenheit wiederholte sich. Am liebsten hätte sie laut geschrien.

Als sie sich geweigert hatte, mit Colin zu schlafen, hatte er ihr wütend enthüllt, wer er wirklich war. Und was er von ihr wollte.

Wenn du nicht mit mir schlafen willst, gut. Aber ich habe all die hübschen Fotos von dir. Und ein sehr überzeugendes Video. Von all den Dingen, die du mit mir gemacht hast. Ich brauche keinen Sex. Ein Batzen Geld von den Medien ist mir viel lieber.

Rachel hatte geglaubt, klüger geworden zu sein. Besser geschützt. Anders.

Doch sie war immer noch dasselbe arglose Mädchen von damals. Schlimmer noch: Diesmal hatte der Verführer bekommen, was er wollte. Sogar sehr viel mehr als das!

Was sie mit Alex gemacht hatte … und er mit ihr …

„Alexios?“

Der Mann in ihrem Bett rührte sich, und Rachel riss sich zusammen, obwohl sie am liebsten schreiend aus dem Raum gestürzt wäre.

Sie musste herausfinden, was los war. Ausloten, ob Alex wusste, wer sie war.

Natürlich wusste er es. Rein zufällig war er ihr bestimmt nicht über den Weg gelaufen. Wie hatte sie nur so dumm, so unsäglich naiv sein können?

„Alexios?“

Sinnlich lächelnd richtete er sich auf. Doch als er Rachels Gesichtsausdruck sah, verschwand das Lächeln.

Selbst halb verschlafen, wie er war, begriff er, dass das nicht zum Nachspiel gehörte. Ihm wurde klar, dass er auf den falschen Namen reagiert hatte. Vermutlich hatte er sogar vergessen, mit welcher Frau er wo im Bett war.

Rachel wurde übel. Dann packte sie die Wut.

Dennoch musste sie sich fürs Erste bremsen. Sie brauchte Antworten auf einige Fragen.

„Rachel …“ Seine Stimme klang so rauchig wie starker Whisky und guter Sex und hätte ihr glatt zu Kopf steigen können. „Komm wieder ins Bett.“

„Nein …“ Sie strich sich über die Stirn. „Noch nicht. Ich …“

Er bemerkte die Brieftasche in ihrer Hand – dann zog er eine Braue hoch und blickte ihr ins Gesicht. In Sekundenschnelle war er wie verwandelt … ein anderer Mann.

Als er sich die dunklen Locken aus der Stirn strich, wirkte er wie ein Fremder. Ein nackter Fremder.

Und das war er schließlich auch, wurde Rachel entsetzt bewusst. Sie kannte den Mann gar nicht. Vertrauensselig hatte sie sich vorgemacht, etwas mit Alex gemeinsam, einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Nichts lag der Wahrheit ferner!

Was hier gelaufen war, bewies nur, wie dumm sie war. Wie schwach.

Letzte Nacht war sie sie selbst gewesen. Frei. Außerhalb der Reichweite der jahrelangen wohlmeinenden, seelenaufweichenden Ermahnungen ihrer Eltern. Da hatte sie sich als die echte Rachel gefühlt. Aber wie sich nun herausstellte, war die wahre Rachel unsäglich dumm. Kein Wunder, dass man sie beschützen musste …

Ihr schlug das Herz bis zum Hals. „Du weißt, wer ich bin?“ Angespannt wartete sie.

Alex stand immer noch schweigend da. Beim Anblick seines herrlichen Körpers stockte Rachel selbst jetzt noch der Atem.

„Warum bist du meine Brieftasche durchgegangen?“

„Sie lag auf dem Boden, da habe ich sie aufgehoben. Ich dachte: schicke Brieftasche für einen Kabinenjungen. Zu schick. Jetzt kannst du mir ruhig die Wahrheit auftischen.“

„Ja, ich weiß, wer du bist“, gab Alex zu. „Stell dir vor, wie überrascht ich war, als du mich gefunden hattest, ehe ich dich suchen gehen konnte. Und stell dir meine noch größere Überraschung vor, als ich merkte, dass ich keine Woche oder einen Anlass brauchte, um dich ins Bett zu bekommen. Du warst sehr viel leichter zu haben, als ich gedacht hatte.“

„Und wozu das Ganze?“ Ihre Hände bebten. „Warum wolltest du …?“

„Weil ich haben wollte, was er hat. Alles. Jetzt habe ich ihm etwas unendlich Kostbares genommen. Und wir wissen beide, dass ich der Erste war.“

„Du … Teufel!“ Außer sich blickte Rachel sich nach ihrer Kleidung um. „Das ist mein Hotelzimmer.“ Sie hörte auf, ihre Sachen aufzuheben, und raffte seine zusammen. „Nimm deinen Kram und verschwinde!“ Sie schleuderte ihm Shorts und Hemd entgegen. „Raus!“

Ungerührt begann Alex, sich anzuziehen. „Ich weiß nicht, für wen du deinen Verlobten hältst, aber ich kenne ihn.“

„Und ich kenne dich! Du bist ein … mir fällt kein Wort für einen so charakterlosen Kerl wie dich ein! Selbst die Bezeichnung Mann wäre noch zu nobel für dich!“

„Du und ich, wir wissen, dass ich einer bin.“

„Dein Talent, Frauen auszutricksen, um sie ins Bett zu bekommen, macht dich noch zu keinem Mann!“

„Habe ich dich ausgetrickst? Oder nur wie du manches verschwiegen? Ich habe dich nicht gezwungen, mit mir ins Bett zu gehen.“

Nein, das hatte Alex wirklich nicht getan! Also war sie die Trickserin. Die dumme, naive Rachel …

„Du … hast mit mir geschlafen, weil du wusstest, dass meine Verlobung dann in die Brüche geht. Nur darauf warst du aus!“

„Wolltest du sie nach dem Sex mit mir aufrechterhalten? Ist es das? Oder bist du einfach wütend, weil ich alles geplant habe?“

„Natürlich bin ich wütend! Ich bin außer mir! Und ich dachte, zwischen uns wäre etwas Besonderes. Ich …“ Ihre Stimme versagte.

„Rachel, die eiserne Jungfrau“, bemerkte Alex trocken.

„Das bin ich nicht mehr, wie wir beide wissen. Durch deine Schuld!“ So weit hatte sie eigentlich nicht gehen wollen, aber dann hatte Alex sie alles vergessen lassen.

„Du hast mich angesprochen, agapi.“ Alex zog sich die Hose hoch und schloss den Bund. „Also mach kein Theater, weil ich bewiesen habe, wie treulos du bist.“

Da ihr keine gepfefferte Antwort einfiel, schleuderte Rachel die Brieftasche nach ihm. Haarscharf an seinem Ohr vorbei landete sie an der Wand. „Raus!“

Gerade hatte sie ihre Verlobung zerschmettert. Die Zukunft des Familienunternehmens. Und das für Sex! Sex mit einem Mann, der sie erbarmungslos ausgenutzt hatte. Um Ajax eins auszuwischen …

Ajax, der ein netter Mann war und das nicht verdient hatte. Und ihr Vater … Nach allem, was er für sie getan hatte …

Rachel schlug die Hände vors Gesicht und kämpfte gegen die Tränen an. „Raus! Raus! Raus“, brachte sie heiser hervor.

„Rachel …“

„Du hast mein Leben zerstört!“, schrie sie Alex an und breitete die Arme aus. „Und ich dachte, du wärst anders und würdest wirklich etwas für mich empfinden. Dabei hast du mich schamlos belogen. Ich habe mein Leben weggeworfen … für eine Lüge!“

„Ich habe dir nichts versprochen“, gab er ungerührt zu bedenken. „Du hast einen Fehler gemacht. Pech für dich.“

„Ruf Ajax ja nicht an!“, forderte Rachel. „Wehe wenn du …“

„Das brauche ich gar nicht“, unterbrach er sie kühl. „Du wirst ihn nicht heiraten.“

„Du denkst: Eine Nacht mit dir, und ich verlasse den Mann, mit dem ich seit Jahren verlobt bin? Fällt mir nicht im Traum ein!“ Noch vor wenigen Augenblicken hatte Rachel vorgehabt, genau das zu tun.

Für Alex hätte sie den Skandal riskiert. Diesen Kerl ihrer Familie zugemutet. Und alles zerstört, was sie seit Jahren aufgebaut hatte. Was war nur auf einmal in sie gefahren?

Und jetzt? Wie konnte sie? Sie hatte den Verstand verloren, war wie im Rausch gewesen. Verstrickt in Fantasiegespinste, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatten.

Jetzt saß sie hier, am Boden zerstört, nur noch Asche zu ihren Füßen … der Held ihrer Träume hatte sich als Betrüger entpuppt.

„Geh endlich. Ich will dich nie wiedersehen! Und wage es ja nicht, Ajax anzurufen!“

Alex lächelte spöttisch. „Ich bin ein Mann, der alles sorgfältig plant, agapi. Ich habe bekommen, was ich wollte. Und ich denke nicht daran, meine Pläne über den Haufen zu werfen, nur weil du eine Träne vergießt.“

Er ging zur Tür und ließ sie ohne einen Blick zurück hinter sich zufallen.

Rachels Knie gaben nach, matt ließ sie sich zu Boden sinken. Erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie splitternackt war. Doch selbst wenn sie sich anzog, könnte sie sich nicht entblößter … und schmutziger fühlen.

Das war es. Sie fühlte sich schmutzig.

Sie hatte Ajax verraten.

Ajax …

Wegen Alex wäre sie bereit gewesen, ihre Verlobung zu lösen … wenn er sich nicht noch rechtzeitig als Lügner und Schuft entpuppt hätte …

Rachels Entschluss war gefasst. Sie würde nach Hause zurückkehren. Ihr Leben musste weitergehen, die Hochzeit stattfinden … als wäre nichts geschehen.

Deshalb war sie romantischen Anwandlungen seit Jahren aus dem Weg gegangen. Weil sie zu riskanten Verrücktheiten führten. Hatte die Erfahrung sie nicht gelehrt: Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich? In ihrer Brust breitete sich ein stechender Schmerz aus.

So etwas durfte ihr nie wieder passieren! Sie musste zu Ajax und der Geborgenheit zurückkehren, die er ihr bot. Falls Alex ihm die Wahrheit erzählte, würde sie Ajax auf Knien um Verzeihung anflehen.

Eine Weile blickte Rachel starr ins Leere. Ihre Tränen waren getrocknet.

Sie würde die Nacht der Leidenschaft aus ihrem Gedächtnis streichen.

Und Alexios Christofides vergessen.

3. KAPITEL

Alex war fest entschlossen, der Hochzeit fernzubleiben. Auch, als er in New York an Bord der Maschine nach Griechenland ging. Und selbst noch, während er sich in der ersten Klasse zurücklehnte und mehr Wein trank als sonst auf Flügen.

Er schwor es sich immer noch auf der Fahrt vom Flughafen zum Anwesen der Familie Holt, wo die Hochzeit stattfand.

Jeder wussten davon. Die Nachricht hatte international Schlagzeilen gemacht. Die Heirat des geheimnisvollen Geschäftsmanns und Herzensbrechers Ajax Kouros mit der beliebten Holt-Erbin. Fotos von der Hochzeit brachten ein kleines Vermögen ein. Mit angehaltenem Atem wartete die Welt darauf, Blicke auf das große Ereignis zu erhaschen.

Seit Alex Korfu verlassen hatte, schleuderten die Hochglanzmagazine ihm die Bilder förmlich entgegen. Seit Rachel Holt ihn aus ihrem Bett geworfen hatte.

Rachel.

Er konnte nicht an sie denken, ohne einen Stich im Herzen zu spüren. Ihre zarte Haut, das Lächeln … Wie sie ihn geliebt hatte … so unerfahren und dennoch voller Leidenschaft. Sie war noch unberührt gewesen – aber sie hatte ihn begehrt wie noch keine Frau.

Irgendwann in der Nacht mit ihr hatte er vergessen, dass er nicht nur Alex war. Und sie nicht nur Rachel. Da war er einfach ein Mann gewesen, der verrückt nach einer Frau war. Und nicht ein verkorkster, verbissener Kerl, der gnadenlos auf Rache sann.

Doch als sie ihn dann sanft mit Alexios geweckt hatte, war er brutal mit der Wirklichkeit konfrontiert worden. Und dann war plötzlich die Hölle los gewesen. Er hatte sich schrecklich gefühlt, als Rachel entdeckte, dass sie Ajax’ Erzfeind vor sich hatte.

Dass er sich in dem Moment geschämt hatte, überraschte Alex. Und als sie ihn mit Tränen in den Augen angefleht hatte, Ajax nichts zu verraten, hätte er es ihr fast versprochen.

Doch wozu der ganze Aufwand, um Ajax die Frau auszuspannen, wenn er dem Gegner den Sieg nicht triumphierend unter die Nase reiben konnte? Alex war wütend auf sich selbst. Den Zeitpunkt, Rachel für sich zu gewinnen, hatte er verpasst. Also musste er wenigstens die Hochzeit verhindern, damit Ajax die Firma nicht bekam.

Dennoch hatte Alex den verhassten Rivalen bisher nicht über die Treulosigkeit seiner Braut aufgeklärt. Warum wusste er selbst nicht genau. Immerhin befand er sich jetzt mit einer raffiniert gefälschten Einladung auf dem Anwesen der Familie Holt. Damit gehörte er zu den wenigen erlesenen Gästen, die vor der eigentlichen Zeremonie zu einem Kanapee-Empfang und einem Rundgang über das Anwesen eingeladen worden waren.

Die Einladung hatte Alex vor zwei Wochen mit seiner persönlichen Assistentin zusammengebastelt. Reine Vorsichtsmaßnahme. Das erwies sich nun als richtig.

Es war stets gut, sich abzusichern. Aus Erfahrung wusste Alex, dass das Leben keinen Platz für die Trägen und Ehrlichen hatte.

Am besten war, hart zu arbeiten und moralisch flexibel zu sein.

Alex reichte der Empfangsdame auf dem Podium seine Einladung. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und trug das blonde Haar zu einem strengen Knoten gewunden. Die Ausschmückung der Gartenanlagen – von Zierschleifen bis zu den Blumenarrangements – war vornehm zurückhaltend. Elegant. Rüschen oder romantischer Schnickschnack passten nicht hierher.

Alles übermittelte das Bild der Rachel aus den Medien – nicht der Frau, die er an dem strahlenden Sonnentag in Griechenland kennengelernt hatte.

Alex merkte sich das vor. Es konnte nützlich sein.

Die Schwarzgekleidete scannte den Code auf der Rückseite seiner Einladung – das war der knifflige Teil des Unterfangens. Aber da seine persönliche Assistentin mit einer Bekannten von Ajax’ persönlicher Assistentin befreundet war, hatte es kaum Probleme gegeben, an die Zahlenfolge der Codes heranzukommen. Die Empfangsdame strahlte ihn an, als das Gerät einen Piepser von sich gab. Der Code war angenommen, registrierte Alex zufrieden.

Die Frau deutete hinter sich. „Bitte folgen Sie dem Weg in den Garten. Dort werden Erfrischungen gereicht, Mr Kyriakis.“

Hübscher Deckname. Da Alex sich sein Leben lang mit falschen Namen durchgeschlagen hatte, war sein Gespür für einen guten sehr ausgeprägt.

„Danke.“

Er folgte dem gepflegten Weg zum rückwärtigen Teil des Hauses. Auf den weitläufigen Parkanlagen waren Stuhlreihen mit Blick auf den Altar und das Meer aufgestellt. Alles ganz in Weiß. Makellos rein und pur.

Auch hier sprach alles von der Rachel, die die Medien feierten – und nichts von der Frau, die Alex auf Korfu erlebt hatte.

Die sich alles andere als rein und pur gegeben hatte, als sie mit ihm zusammen war – die Beine um ihn gelegt, ihr Atem heiß an seinem Ohr, während sie vor Lust gestöhnt hatte.

Hitze durchströmte ihn, seine Haut prickelte verräterisch. Unwillkürlich spreizte er die Finger. Rachel war nicht die erste Frau, die er gehabt hatte.

Für einen Straßenjungen über vierzehn gab es viele Möglichkeiten. Wenn sich nichts anderes ergab und er ein Bett brauchte, hatte er eine Frau aufgegabelt und sich nicht beklagen können.

Warum war er dann wie verhext von der Sexnacht mit einer Jungfrau? Er fand keine Erklärung dafür.

Vielleicht, weil es so höllisch befriedigend war, sie Ajax abgejagt, ihm das genommen zu haben, was der Kerl sich als besonderen Höhenflug für die Hochzeitsnacht aufgespart hatte? Warum sonst hatte er Rachel nicht angerührt?

Bei der bloßen Vorstellung, dem Verhassten so nahe zu sein, hatte Alex einen bitteren Geschmack im Mund. Wenn er sich vor Jahren nicht dagegen entschieden hätte, Ajax umzubringen, wäre er jetzt in Versuchung geraten.

Es juckte Alex … aber er würde es nicht tun.

Er war ein Bastard. Das Leben hatte ihn dazu gemacht. Doch eiskalt war er nicht. Im Gegensatz zu Ajax.

Und ihrem Vater.

Ganz gleich, wie fantastisch er jetzt dastand, Ajax war da gewesen – genau wie er, dem schon als Teenager die Frauen nachgelaufen waren.

Frauen, die für den nächsten Schuss alles getan hätten – wie Alex’ Mutter. Letztlich waren sie nur Sklavinnen. Opfer. Die umgeben von Reichtum armselig lebten. Hörige. Angekettet an ihre Sucht. Und im Fall seiner Mutter dem Hausherrn hoffnungslos hörig.

Eine teuflische Hörigkeit, die sie Liebe genannt hatte … und dafür auf dem Fußboden verblutet war. Die scharlachrote Lache würde Alex nie vergessen oder aus dem Gedächtnis löschen können.

Daran würden auch die Jahre und sein Aufstieg zum Erfolg nichts ändern. Nichts konnte seine Mutter zurückbringen …

Unfasslich, dass Ajax trotz seiner Vergangenheit ganz oben angekommen war. Unbefleckt von der Vergangenheit. Als Mitglied einer Elitefamilie. Mit einer Braut, die ihn zu lieben schien. Er wirkte so selbstverständlich – so anständig und geradeheraus. Aber so gekonnt er sich auch als achtbarer Mann gab, Alex kannte die Wahrheit.

Weil die Wahrheit auch in ihm war. Doch er hatte nie vorgegeben, etwas anderes als ein Bastard zu sein. Während Ajax all das Grausige durchgemacht und dennoch sauber und unbeschadet aus allem herausgekommen war.

Alex wusste: Er selbst würde nie sauber sein.

Er ballte die Hände zu Fäusten und blickte zum Haus. Eine kleinere Gästegruppe wollte hineingehen, geführt von einer Frau in Schwarz – der Einheitsuniform des Eventteams, wie es schien.

Alex gesellte sich zu ihnen und mischte sich unter die Gruppe. Alle lauschten gebannt den Erläuterungen der Frau zu einem Fresko an der Außenmauer, das aus einer antiken Kirche stammen sollte. Blabla, das Alex nicht interessierte.

Griechenland war die Antike. Hier gehörte so ein Fresko zum Alltag.

Alex hatte mehr Nächte in baufälligen Ruinen verbracht, als er zählen konnte. Moderne Luxussuiten waren ihm lieber – solange er nicht mit einem gewalttätigen Sexverrückten unter einem Dach leben musste.

Da waren ihm Ruinen doch lieber. Ein Leben auf der Straße mit Hunger und Kälte und allem, was dazugehörte.

Vor diesem Leben war er davongelaufen. Und allem, was es darstellte. Dorthin wollte er nie wieder zurück.

Alex folgte den Gästen ins Haus, trennte sich an der ersten Abbiegung von ihnen und ging die Treppe hinauf. Niemand hielt ihn auf. Weil er aussah, als gehörte er dazu.

Das war inzwischen seine Welt. Er war kein Niemand mehr, den die Reichen und Mächtigen mit Füßen treten konnten.

Inzwischen war er selbst reich und mächtig. Und machte, was er wollte.

„Ich habe ein Geschenk für die Braut“, sagte er zu einem vorübergehenden Hausmädchen. „Wo finde ich sie?“

„Miss Rachel ist in ihrer Suite – den Gang entlang, dann gleich links“, erwiderte die Angestellte, ohne mit der Wimper zu zucken.

Weil er Selbstbewusstsein ausstrahlte und dazugehörte.

Alex nickte nur und ging weiter den Gang entlang.

Jetzt war er froh, doch gekommen zu sein.

Noch nie hatte Rachel verzweifelt auf ihre Periode gewartet. Für sie war es selbstverständlich gewesen: die Krämpfe, das Unwohlsein. Mit fünfzehn hatte sie ihre Tage bekommen, die immer pünktlich gewesen waren.

Diesmal nicht.

Panik überkam Rachel. Seit zwanzig Minuten lief sie im Slip rastlos durchs Schlafzimmer. Auf dem Nachttisch lag ein Tampon, daneben ein ungeöffneter Schwangerschaftstest.

Ein Monat war seit der Nacht mit Alex verstrichen. Ein Monat, in dem sie ihn abwechselnd verflucht und im Dunkeln an die Decke gestarrt hatte, um nicht in Tränen auszubrechen. Gefühlsaufwallungen konnte sich jemand wie sie nicht leisten.

Ihre Periode war ausgeblieben. Selbst als sie überfällig war, hatte Rachel im Stillen weiter gebetet, ihre Regel würde einsetzen und alles würde wie immer sein. Dass sie den Schwangerschaftstest nicht brauchte.

Sie hoffte vergeblich.

Tampon oder Test. Eins von beiden musste sie jetzt aufreißen.

Sechs Tage war die Periode schon überfällig. Sechs Tage lang lebte sie hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Panik.

Rachel griff nach dem Schwangerschaftstest. Und plötzlich brach ihr Hoffnungskartenhaus zusammen, und sie sah ihre Situation kristallklar. In vier Stunden wollte sie Ajax heiraten, obwohl sie möglicherweise ein Baby von Alex erwartete.

Das konnte sie nicht tun!

Ihre Hände bebten, verzweifelt flüsterte sie: „Ach Jax … bitte verzeih mir!“

Sie musste zu ihm gehen … es ihm sagen. Jetzt. Vor der Hochzeit. Doch erst wollte sie Bescheid wissen.

„Okay“, sagte sie zu der kleinen weiß-rosa Schachtel. „Bringen wir’s hinter uns!“

Die Schlafzimmertür wurde aufgestoßen, und Rachel wirbelte herum. Um ihre Blöße zu bedecken, hielt sie sich instinktiv die Schachtel vor die Brust. Als ihr bewusst wurde, dass es der Schwangerschaftstest war, versteckte sie ihn hinter dem Rücken.

Wie versteinert blieb sie stehen, als sie den Eindringling mit den elektrisierenden blauen Augen erkannte.

Hatte sie ihn mit ihren Gedanken herbeibeschworen?

Alex hätte in keinem unmöglicheren Moment auftauchen können.

Sein Haar war kürzer, und statt der abgewetzten Arbeitssachen trug er einen Maßanzug.

Doch der feurige Liebhaber von damals hatte sich nur getarnt. Dies war der echte Alex.

Die Erkenntnis traf Rachel wie eine Ohrfeige. Sie hasste Alex. Hasste ihn …!

Heute war ihre Hochzeit. Wie konnte er es wagen, hier aufzutauchen! Während sie nicht aus noch ein wusste, weil sie befürchtete, schwanger zu sein …

„Was, zum Teufel, willst du hier?“, fuhr sie ihn an.

Immer noch stand er reglos da.

„Mach wenigstens die Tür zu!“ Verspätet war Rachel eingefallen, dass jeder, der vorbeiging, sie halb nackt im Slip sehen konnte.

Alex folgte der Anweisung und trat näher.

„Ich bin nackt!“, rief Rachel empört.

„Nein, bist du nicht.“

„Aber fast.“

„Nicht nackt genug.“ Alex betrachtete sie, als wollte er prüfen, wie durchsichtig ihr Slip war.

„Lass das! Was willst du hier?“

„Ich bin zu deiner Hochzeit gekommen.“

„Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Ajax seinen Todfeind eingeladen hat.“ Rachel packte den Schwangerschaftstest hinter ihrem Rücken fester.

Sie saß in der Falle. Nackt bis auf den Slip, konnte sie nichts tun, aus Angst, Alex könnte den Test bemerken.

„Vielleicht doch. Hast du nachgesehen, ob ich nicht etwa unter ‚Feind‘ oder ‚Todfeind‘ auf der Gästeliste stehe?“

„Ich habe mir die Namen mit ‚A‘ für A… angesehen.“

„Du wirst ihn nicht heiraten“, erklärte Alex drohend.

„Wie bitte?“

„Du weißt nicht, wer er ist.“

Gespielt gleichmütig zuckte Rachel eine Schulter. Mit seinem unerwarteten Auftauchen hatte Alex ihre Lage untragbar gemacht. „Ich kenne Ajax seit fünfzehn Jahren und weiß, wer er ist.“

„Trotzdem hast du nie mit ihm geschlafen.“

„Das holen wir nach.“ Rachel wich zum Bad zurück. „Heute Nacht.“

Alex’ blaue Augen glitzerten eisig. Er kam näher, legte den Arm um sie und zog sie an sich. „Du heiratest ihn nicht.“

„Oh doch.“ Nun sprudelte es förmlich aus ihr hervor. Ehe er hereingeplatzt war, hatte sie beschlossen, Ajax nicht zu heiraten. Aber sie wollte Alex wehtun. Er sollte ebenso leiden wie sie. „Heute Nacht werde ich mit ihm schlafen.“ Die bloße Vorstellung ließ Rachel schaudern. „Und all die unanständigen Dinge mit ihm machen wie mit dir!“

Statt zu antworten, küsste Alex sie – als wäre alles wunderbar. Als würde die Hochzeit nicht in vier Stunden stattfinden. Als hätte sie ihm nie ins Gesicht geschrien, sie hasse ihn und wolle ihn nie wiedersehen.

Als gäbe es keinen Ajax. Keine verunglückte Rache, nur noch Sehnsucht und Verlangen. Selbstvergessen legte sie Alex einen Arm um den Hals – in der anderen Hand hielt sie immer noch den Test – und bot ihm die Lippen, ließ zu, dass er ihren Mund erkundete, und erwiderte den Kuss, weil sie nichts anderes mehr denken konnte, wenn Alex sie berührte.

Weil es unwichtig war, dass sie vor einem Monat im Zorn auseinandergegangen waren. Es gab nur noch den Kuss und die Empfindungen, die alles andere auslöschten.

Als Rachel auch den anderen Arm um Alex legen wollte, streifte sie sein Ohr mit der Schachtelecke. Er zuckte zurück, blickte auf ihre Hand mit dem Schwangerschaftstest – und stand wie angewurzelt da.

Meine Güte. Das fehlte jetzt noch …

„Was ist das?“ Alex löste sich von ihr und packte ihr Handgelenk.

„Nichts.“

Er zog eine Braue hoch. „Komm schon!“

„Es ist … ein Geschenk. Für eine Freundin.“

„Ein Geschenk für eine Freundin?“

„Ja …“ Fieberhaft überlegte Rachel, wie sie die idiotische Lüge überspielen konnte. „Sie wollte einen Blick in die Zukunft tun, und da dachte ich an ein Magisches Auge oder einen Schwangerschaftstest. Ich habe mich für den Schwangerschaftstest entschieden, weil er eine Frage klar mit Ja oder Nein beantwortet.“

„Du glaubst, schwanger zu sein?“

„Meine Periode ist ausgeblieben. Wenn alles normal wäre, würde ich denken: He, tolles Timing! Ich heirate sowieso.“

„Aber?“

„Aber da ich vor einem Monat mit dem Feind meines Verlobten geschlafen habe, läuft es nur auf eins hinaus: Ja, ich könnte schwanger sein.“

„Na los! Finde es heraus!“ Alex wich etwas zurück. „Hier und jetzt.“

„Und wenn ich mich weigere?“

„Du wolltest den Test sowieso gerade machen. Also lass das Theater!“

Alex war bleich geworden. Er nahm es also auch nicht besser auf. „Was könnte es dir schon ausmachen, wenn ich schwanger wäre?“

„Es macht alles aus, weil ich am Leben des Kindes teilnehmen möchte.“

„Kommt nicht infrage!“, erwiderte Rachel, ohne nachzudenken.

„Glaubst du, ich würde zulassen, dass dieser Kerl mein Kind aufzieht?“, fuhr Alex sie an. „Ich weiß, was mit Kindern der Familie Kouklakis passiert. Aber ich bezweifle, dass du es weißt.“

„Ajax ist kein Kouklakis, sondern …“

„Er hat einen anderen Namen angenommen! Bist du wirklich so ahnungslos, Rachel?“

Sie zögerte. „Ich weiß nicht …“

„Los! Mach den Test!“

Auf einmal brachte Rachel nicht mehr den Mut auf, sich mit Alex auseinanderzusetzen. Matt nickte sie und verschwand mit der Schachtel im Bad.

Alex blickte ihr nach. Sein Herz raste, als wollte es seine Brust sprengen.

Ein Kind.

Sein Kind.

Hier ging es nicht mehr um Rache. Eigentlich schon nicht mehr, seit er mit Rachel geschlafen hatte. Er begehrte sie und wollte sie für sich haben. Deshalb war er hier.

Und weil er nicht zulassen würde, das Ajax Kouros seinem Kind auch nur nahe kam.

Sicher, Ajax handelte weder mit Menschen noch mit Drogen, das wusste Alex, denn er hatte ihn überprüfen lassen. Seine Geschäfte waren sauber und legal.

Aber böses Blut war böses Blut. Davon war Alex überzeugt. Er spürte es. Schließlich war er mit Ajax blutsverwandt. Davon hatte er sich nie wirklich befreien können. Warum sollte Ajax den Absprung geschafft haben?

Verbittert verdrängte Alex den Gedanken. Das brennende Gefühl, das ihn jedes Mal überkam, wenn er sich bewusst machte, dass Gift durch seine Adern rann.

Jetzt führte er ein anderes Leben.

An der Börse hatte er ein Vermögen gemacht – erst mit anderer Leute Geld, jetzt mit eigenem. Als geborener Spieler hatte er sich in der Finanzwelt nach oben jongliert, wo es neben Glück auf analytische Fähigkeiten, Gedächtnisstärke und ein Gespür für Trends ankam.

Mit Börsengeschäften hatte er Millionen verdient. An seinem sechsundzwanzigsten Geburtstag vor sechs Monaten hatte er die erste Milliarde verbucht.

Er war nicht mehr machtlos. Würde es nie mehr sein.

Bleich kam Rachel aus dem Bad. Ihre Augen schimmerten verdächtig.

„Was ist?“, fragte Alex.

„Da waren zwei Linien.“

„Und was heißt das?“ Angespannt wartete er.

„Dass ich schwanger bin. Und ehe du mich fragst – das Baby ist von dir.“

„Du wirst ihn nicht heiraten.“

„Aber … tausend Gäste sind geladen, hunderte Reporter …“

„Du hast zwei Möglichkeiten, Rachel.“ In seinen Adern tobte das Adrenalin. „Du kommst mit mir und sprichst mit niemandem. Oder du ziehst die Hochzeit durch. Aber ich warne dich: Falls du es versuchen solltest, unterbreche ich die Zeremonie. Dann erfahren alle, dass du ein Kind von mir erwartest. Dass ich auf Korfu mit dir geschlafen habe und dein erster Mann war. Auch ohne Vaterschaftsnachweis weiß Ajax dann Bescheid: Die Zeit zwischen der Hochzeitsnacht und der Geburt des Kindes spräche für sich selbst.“

„Aber die Medien …“

„Die Medienvertreter sind hier und werden begierig aufnehmen, was ich zu sagen habe. Die Entscheidung liegt bei dir.“

„Eben nicht.“ Rachel verschränkte die Arme vor der Brust, weil ihr bewusst wurde, dass sie immer noch im Slip dastand. „Das würde mich in eine unmögliche Situation bringen. Ich kann nicht zurück. Diese Sache könnte ich nicht irgendwie ausbügeln …“ Sie schwieg kurz. „Aber ich könnte eine …“ Sie blickte fort. „Ich könnte das Baby loswerden.“

Alles in ihm verkrampfte sich. „Nein!“

Rachel schüttelte den Kopf, ihr kamen die Tränen. „Du hast recht. Ich … das könnte ich nicht tun.“

„Komm mit.“

„Und was dann?“

„Heirate mich.“

4. KAPITEL

„Du bist verrückt!“ Rachel drehte den Ventilator zu sich hin, während Alex’ roter Sportwagen die Familienauffahrt hinunterbrauste.

Meine Güte! Sie hatte es getan. Sie flüchtete vor der eigenen Hochzeit. Und hatte so gut wie nichts eingepackt. Nur einige Kleidungsstücke. Ihre Lieblingsschuhe. Den Computer, das Handy, Bücher.

Als Alex sie vor die Wahl gestellt hatte, war es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen. Sie konnte unmöglich in jungfräulichem Weiß dort hinausgehen und Ajax ewige Treue schwören – obwohl sie von einem anderen ein Kind erwartete. Die Medien würden sie und ihre Familie niedermetzeln, wenn Alex den versammelten Hochzeitsgästen berichtete, was sie getan hatte.

Rachel war klar, in welcher Lage sie sich befand. Das hatte ihr Vater ihr in seinem Büro damals unmissverständlich klargemacht: Er könne sie nicht mehr länger vor Skandalen bewahren, in die sie sich selbst verstricke.

Vor der Öffentlichkeit stand sie inzwischen untadelig da, weil die Medien sie auf ein Podest gehoben hatten – von dem die Reportermeuten sie glatt herunterfegen würden, wenn sie sich auch nur den Hauch eines Skandals leistete.

Ein Idol wurde nicht wirklich geliebt. Man umschwirrte es nur, um es irgendwann vom Sockel stürzen zu sehen. Das war Rachel bisher erspart geblieben. Weil sie unter dem Schutz ihres Vaters stand. Nachdem sie erkannt hatte, wie tief sie gesunken war, hatte sie sich vorgenommen, für den Rest ihres Lebens die brave Tochter und Ehefrau zu spielen.

Man würde sie in der Luft zerfetzen, wenn die Wahrheit bekannt wurde. Ganz gleich, wie sie ihre Karten spielte, sie würde als gefallene Sünderin dastehen. Aber sie hatte nicht den Mut, das Ganze vor Publikum durchzustehen. Sich anzuhören, was Alex vor versammelter Gästeschar zum Besten gab.

Die bloße Vorstellung …

Ihr ganzes Leben, der Ruf, den sie sich seit ihrem siebzehnten Lebensjahr mühsam wieder aufgebaut hatte, würde wie Sand zerrinnen … Rachel Holt, die Holt-Erbin, die Stilikone, der Medienliebling. Die unermüdliche Gastgeberin, das Rollenmodell …

In jener Nacht hatte Alex etwas in ihr geweckt, von dem sie nichts geahnt hatte. Und jetzt bezahlte sie teuer dafür.

Den schmalen, streng vorgezeichneten Pfad der Tugend verlassen zu haben, würde dauerhafte Folgen haben. Und davor nahm sie fürs Erste Reißaus. Weil sie Ajax’ Gesicht nicht sehen wollte, wenn er herausfand, was passiert war. Die Reaktion ihres Vaters …

Oder Leahs.

Tapfer holte Rachel ihr Handy hervor. „Wenigstens Leah muss ich eine SMS schicken“, erklärte sie Alex.

Ihre Schwester hatte sich darauf gefreut, ihre Brautjungfer zu sein. Ihre wunderbare, liebenswerte Schwester, mit der die Medien so unfreundlich umgegangen waren, obwohl sie einer der nettesten Menschen war, die Rachel kannte.

Bei der Vorstellung, wie Leah ihre Flucht treffen würde, fühlte Rachel sich elend.

Wie würde ihr Vater den Schock verkraften?

Und Ajax …

Sie hatte alles zerstört.

Panik überkam sie.

„Schick bitte keine SMS, bis die Maschine abhebt“, forderte Alex. „Und wieso bin ich verrückt?“

Nun explodierte Rachel. „Weil das alles hier völlig verrückt ist … dass du mich heiraten willst. Ich denke nicht daran. Schließlich kenne ich dich gar nicht. Und ich mag dich auch nicht.“

„Wie kannst du mich nicht mögen, wenn du mich nicht kennst?“

„Na gut. Ich kenne dich nicht besonders gut. Aber was ich von dir weiß, gefällt mir nicht.“

„Mein Körper gefällt dir.“

„Du hast einen tollen Körper. Aber leider sitzt unter den harten Muskeln ein Charakter, den ich nicht mag.“

„So?“

„Du bist ein Lügner und schreckst vor nichts zurück, um den Ruf meines Verlobten zu erschüttern. Ich habe keine Ahnung, warum du mich benutzt, um dich an ihm zu rächen.“

„Trotzdem hast du nichts dagegen unternommen, agapi.“

„Warum bist du gekommen?“

„Um deine Hochzeit zu torpedieren. Und meinen Rachefeldzug zu beenden. Insofern war es gut, dass ich gekommen bin.“

„Nein!“

„Du hättest Ajax trotz des Babys geheiratet?“

„Nein.“

„Na bitte!“

„Warum hasst du ihn so sehr? Das muss ich endlich wissen.“ Rachel merkte, dass ihre Hände bebten.

„Wie gesagt, Ajax Kouros ist nicht sein richtiger Name. Den hat er erfunden. Teufel noch mal, meiner ist auch zur Hälfte falsch. Christofides jedenfalls. Meinen wirklichen Nachnamen habe ich nie benutzt.“

„Und warum nicht?“

„Ich war der Sohn einer Frau, die sich an ihren wirklichen Namen nicht mehr erinnerte. ‚Meli, also ‚Honig‘ nannte sie sich manchmal. Ich vermute, das war mit meinem Vater abgesprochen. Wir lebten auf dem Anwesen des berüchtigten Nikola Kouklakis.“

„Wie bitte?“

„Sicher hast du von ihm gehört.“

„Unglaublich, wie weit sein Drogenring verzweigt war! Als er vor einigen Jahren gesprengt wurde …“

„Ja, es war schrecklich. Er hat viele Menschen auf dem Gewissen. Meine Mutter hat er nicht entführt, sondern verführt. Mit Drogen. Seinem Geld und seiner Art von Liebe. Auch Ajax lebte auf dem Anwesen. Ich weiß noch, anfangs bewunderte ich seine Anzüge. Seine tollen Wagen. Aber dann lernte ich schnell, ihn zu fürchten. Weil er der Sohn des Drogenbarons war. Schon früh ahnte ich, was auf mich zukommen könnte, wenn ich Ärger machte.“

„Alex … das kann ich einfach nicht glauben!“

„Meinst du, ich hätte mich aus Spaß mit dem Verbrecherkönig angelegt? Unzählige Menschen müssen mit den schrecklichen Folgen leben, denen er sein Vermögen verdankt.“

„Aber Ajax hatte mit diesen … Verbrechen nichts zu tun. Er kam als Jugendlicher in meine Familie und arbeitete für meinen Vater. Praktisch aus dem Nichts hat er es bis ganz nach oben geschafft.“

„Rachel, du kennst ihn nicht wie ich. Du glaubst, ihn zu kennen, aber da irrst du dich.“

„Oh doch, ich kenne ihn.“

„Und warum hast du nie mit ihm geschlafen?“

„Er ist nicht sehr … leidenschaftlich. Und da ich auch kein Bedürfnis nach Sex hatte, war das in Ordnung.“

Alex lachte höhnisch. „Ich habe ihn oft genug auf unserem Anwesen erlebt. Ja, er ist kühl und leidenschaftslos. Aber da ich seinen Hintergrund kenne, wundert es mich, dass er dich nicht angerührt hat. Vielleicht wollte er sich die Eroberung der eisernen Jungfrau als Triumph für die Hochzeitsnacht aufheben.“

Rachel bewegte sich unbehaglich. „Ajax … wusste nicht, dass ich noch Jungfrau war. Vor ihm war ich mit einem anderen zusammen. Auch mit Colin habe ich nicht geschlafen, obwohl unsere Beziehung alles andere als … keusch war. Aber da Ajax mich nie darauf angesprochen hat, wusste er offenbar nichts davon.“

„Glaube mir, agapi, er wusste es.“

„Du doch auch nicht.“

„Schließlich war ich mit dir nur eine Nacht zusammen.“

„Mit bleibenden Folgen.“ Rachel lehnte sich ans Wagenfenster und blickte auf die Landschaft hinaus. „Warum ich mit dir durchbrenne, ist mir schleierhaft.“

„Weil du deinen Ruf nicht erneut aufs Spiel setzen – oder Ajax vor dem Altar nicht blamieren willst?“

Ihr schwirrte der Kopf. Sie sah Ajax vor sich, der stets elegante Anzüge trug. Unvorstellbar, dass er in einem Drogentempel inmitten von Prostituierten gelebt hatte!

Na ja … was sie über Ajax erfahren hatte, war schockierend, aber es brach ihr nicht das Herz. Ihr war längst klar: Sie liebte Ajax nicht. Und war erleichtert, der Hochzeit entronnen zu sein – wenn auch mit Alexios Christofides.

Obwohl sie ein Baby von ihm erwartete.

Ihr Magen verkrampfte sich. Nein, erleichtert war sie nicht. Im Moment konnte sie über das, was jetzt auf sie zukam, nicht einmal nachdenken.

„Du nimmst mich doch hoffentlich nicht als Geisel?“, fragte Rachel, als der Wagen am Flughafen vorfuhr.

„Wenn ich das wollte, hätte ich es damals auf Korfu getan.“

„Hm.“

„Ich konnte dich um den Finger wickeln, agapi mou.“

Sie schwieg und öffnete die Wagentür. Als Alex ausstieg, eilte ein Träger herbei und übernahm das Gepäck. Das war ungewöhnlich. Bei ihr geschah das nicht, obwohl sie es gewöhnt war, erster Klasse zu fliegen.

Herausfordernd drehte Rachel sich um. „Mein lieber Alex, ich habe dich um den Finger gewickelt!“

„Na ja, du hast mit mir allerlei gemacht, aber ich bin sicher, nicht mit dem Finger.“

Sie lächelte abschätzig. „Du bist schrecklich. Von welchem Terminal fliegen wir?“

„Wir nehmen eine Privatmaschine. Dort lässt es sich besser streiten.“

„Wieso habe ich das Gefühl, den großen bösen Wolf vor mir zu haben?“

„Wegen meiner kräftigen … Zähne?“

Rachel schnitt ein Gesicht. „Eher wegen deines überdimensionalen Egos.“

„Das könnte es sein“, erwiderte er ungerührt.

„Ich mag dich nicht.“ Bei ihm fiel es ihr leicht, brutal ehrlich zu sein.

„Ich weiß. Aber du begehrst mich immer noch, und das beunruhigt dich.“

Rachel erschauerte. Leider stimmte das. „Nicht halb so wie der Umstand, dass ich ein Baby von dir erwarte.“

„Warum brennst du dann mit mir durch?“

Kopfschüttelnd ging sie weiter. „Ich bin wütend auf dich – aber du bist nicht an allem schuld. Ich habe meine Zukunft selbst zerstört, indem ich eine Bombe mitten hinein geworfen habe. Und jetzt liegt alles in Trümmern. Es gibt keine Möglichkeit, das Ganze rückgängig zu machen. Wenn ich bleibe, würde ich meiner Familie noch Schlimmeres zumuten, als wenn ich still flüchte.“

„Für dich zählt nur, was du deiner Familie antust?“

„Natürlich. Meine Mutter war für mich die schönste und liebenswerteste Person. Man musste sie einfach mögen. Mein Vater ist ein hochanständiger Mann, und meine Schwester wird von den Medien unter Beschuss genommen, weil sie einen Punchingball brauchen, an dem sie sich austoben können. Ich kann meiner Familie das Leben nicht noch schwerer machen.“

„Und was ist mit dir?“

„Ich hasse es auch, wenn sie mir Kameras ins Gesicht halten und mich mit Fragen bombardieren. Und du, Alex – du bist der Vater meines Kindes, ob es mir gefällt oder nicht. Deshalb sollte ich dir eine Chance geben. Versteh mich richtig: Ich rede nicht vom Heiraten – nur von einer Chance.“

„Und was möchtest du?“

„Dich besser kennenlernen. Das wäre ein guter Anfang.“

„Meinst du, kennenlernen im biblischen Sinn?“

„Nein, nein! Das habe ich ausprobiert. Und was hat es mir eingebracht? Eine Schwangerschaft und eine geplatzte Hochzeit. Hoffen wir also, mit anderen Möglichkeiten des Kennenlernens besser zu fahren.“

„Wenn du erwartest, ich würde herumsitzen und mit dir über Gefühle plaudern, hast du Pech. Aber ansonsten bin ich für jede Annäherung zu haben …“

„Da fällt mir nur ein Wort ein, mein lieber Alex, und das beginnt mit ver…“

„Nach den Medienberichten hatte ich eher den Eindruck, du wärst ein gelehriges, freizügiges Mädchen.“

Ihr schoss das Blut in die Wangen. „Ich kann nichts dafür, dass die Medien mich so hinstellen: leicht zu haben und willig.“

„Und das bist du nicht?“

„Nicht wirklich.“

Rachel hatte ihre Lektion gelernt. Nach den Partys, die ihr anhingen. Nach Colins miesen Verführungsversuchen, die damit geendet hatten, dass sie zu viel getrunken und zu Pornofotos und einem Videoclip bereit gewesen war.

Was sie ihrem Vater notgedrungen gebeichtet hatte. Auf seine entsetzte Reaktion war sie nicht gefasst gewesen. Er hatte ihr vor Augen gehalten, wie naiv und dumm sie sich verhalten hatte. Dennoch hätte sie Glück gehabt, weil das Schlimmste die Fotos selbst seien. Sich von einem Mann, den sie nur kurz kannte, betrunken machen zu lassen, hätte noch schauriger enden können.

Und dann waren da noch die ausufernden Partys, die Drogen gewesen, mit denen sie experimentiert hatte. Die Nacht, in der sie mit ihrem Sportflitzer betrunken nach Hause gefahren war …

Die schockierte Moralpredigt ihres Vaters hatte sie mehr als verdient – seine Drohung, ihr jede finanzielle Unterstützung zu entziehen. Und als sie die Fotos mit Colin gesehen hatte, war ihr beschämt klargeworden, wie tief sie gesunken war.

Diesen Weckruf hatte sie dringend gebraucht. Doch nachdem ihr Vater die Sache mit den Fotos und dem Video in Ordnung gebracht und Colin bezahlt hatte, war ihre Mutter krank geworden. Daraufhin hatte Rachel sich völlig ihrer Mutter gewidmet, sie zu Terminen gefahren, ihr Gesellschaft geleistet und der geschwächten Frau geholfen, die angesetzten Wohltätigkeitstermine zu organisieren.

Und nach dem Tod ihrer Mutter war da Ajax gewesen.

Rachel atmete tief durch. Ihr Vater hatte erwartet, dass sie Ajax heiratete, und gemeint, sie würde ihn lieben lernen.

Ajax hatte sie wie kostbares, zerbrechliches Porzellan behandelt, während Alex ziemlich grob mit ihr umging. Das täte ihr gut, schien er sich einzubilden …

Rachel schniefte. Laut.

„Was ist?“, fragte Alex.

„Du bist nicht sehr nett zu mir.“ Sie folgte dem Gepäckwagen, den der Dienstmann vor ihnen herschob. „Interessant, dass du Ajax als Schuft hinstellst, obwohl er mich behandelt wie …“

„Eine Nonne?“

„Wie eine Prinzessin.“

„Aber du bist keine Prinzessin, sondern eine ganz normale Frau.“

„Ajax hält mich für eine Prinzessin.“

„In spätestens vier Stunden hält er dich für eine Verräterin, die ihn vor dem Altar versetzt hat.“

Rachel presste die Lippen zusammen. Was konnte sie dagegenhalten? Außerdem durfte sie Alex nicht die ganze Schuld geben – weil sie ihren Teil zu dem Dilemma beigetragen hatte.

Sie schwiegen, bis sie auf der Rollbahn einen modernen Jet erreichten, vor dem eine mit rotem Teppich ausgelegte Gangway sie erwartete.

„Protzig“, konnte Rachel sich nicht verkneifen zu bemerken, als sie die Stufen hinaufstieg.

Das luxuriöse Innere der Maschine übertraf alle Erwartungen – vom cremefarbenen Teppichboden bis zu den weichen ledernen Sitzgruppen.

„Hier gibt es zwar eisgekühlten Champagner“, Alex betrat die Maschine hinter Rachel, „den du aber leider nicht trinken darfst. Du musst an das Baby denken.“

„Bist du immer so unerträglich?“

„Kommt drauf an. Und du?“

„Ich bin lieb und nett. Nur du machst mich rebellisch. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, wenn du in meiner Nähe bist.“

„Du fühlst dich unwiderstehlich zu mir hingezogen?“

Rachel kniff die Augen zusammen. „So würde ich es nicht nennen.“

„Bist du dir da sicher?“

„Todsicher.“

„Warum hast du mich dann vorhin geküsst?“

Seufzend ließ Rachel sich auf eine Couch sinken. „Du machst mich verrückt. Wenn ich mit dir zusammen bin, tue ich die idiotischsten Dinge.“

„Ich nehme das als Kompliment.“

Sie lehnte sich zurück. „Lieber nicht. Könntest du mir wenigstens einen Orangensaft besorgen?“

„Klar.“ Alex bediente einen Knopf auf seiner Armlehne und bestellte das Getränk.

Kampflustig verschränkte Rachel die Arme vor der Brust. „Wohin fliegen wir überhaupt?“

„Zu mir. Weit weg vom Feuersturm der Medien, der garantiert ausbricht, wenn sich herausstellt, dass die Braut durchgebrannt ist. Irgendwann musst du dich dem Ascheregen stellen, aber ich rate dir, damit noch eine Weile zu warten.“

Das klang gut. Der Wirklichkeit fürs Erste entfliehen.

„Jetzt kannst du deiner Schwester eine SMS schicken.“

Ach ja … Das gehörte zur Wirklichkeit. Sonst würde ihre Familie die Polizei nach ihr ausschicken. Nur kurz spielte Rachel mit dem Gedanken, Alex wegen Entführung verhaften zu lassen. So eine Zeitungsmeldung sollte ihr Kind später lieber nicht lesen!

Sie kramte ihr Handy hervor und überlegte. Was sagte man, nachdem man durchgebrannt war?

„Übrigens könntest du Ajax auch gleich Bescheid geben“, bemerkte Alex.

„Eher wälze ich mich in Honig, als mich auf eine SMS-Schlacht mit ihm einzulassen.“

Kurz und nett. Nicht gleich alles servieren …

Alex hatte es sich im Sessel bequem gemacht – wie eine Raubkatze, die auf eine falsche Bewegung der Beute lauerte …

Rachel versuchte, sich zu sammeln. Je weniger sie zu ihrer Flucht sagte, desto besser. Nur, dass sie Ajax nicht heiraten konnte. Was mit Alex werden sollte, war ihr völlig unklar.

ICH KOMME NICHT ZURÜCK. BLEIBE BEI ALEX. ENTSCHULDIGE. SAG JAX, ES TÄTE MIR LEID.

Rachel atmete tief durch und drückte auf SENDEN.

„Erledigt. Sie wissen Bescheid.“

„Über was?“

„Dass ich nicht komme. Mehr nicht. Na ja, ich habe dich erwähnt. Mit Vornamen.“

„Mal sehen, wie lange Ajax braucht, um einen Auftragskiller loszuschicken.“

Rachel bemerkte, dass die Maschine über die Rollbahn glitt. „Ja, da bin ich auch neugierig.“

„Auf was?“

„Warum du die Hochzeit verhindert hast. Warum du Ajax nicht angerufen hast, um deinen Triumph auszukosten. Warum du das blutgetränkte Laken nicht einfach wie früher die Ritter aus dem Fenster gehängt hast.“

Alex zögerte nur kurz. „Du hast mich rausgeworfen. Da blieb mir für das Laken keine Zeit.“

„Hast du deinen Teufelsplan deshalb über den Haufen geworfen?“

„Na ja, schließlich ist alles anders gelaufen, weil du mich gefunden hast, agapi.“

Die Stewardess erschien mit Scotch für Alex – den Schuft! – und einem Glas Orangensaft für Rachel. Sie bedankte sich und nahm das kühle Glas entgegen.

„Stimmt“, musste sie zugeben. „Ich habe dich entdeckt.“

„Komisch, findest du nicht?“

„Mehr als komisch.“ Doch sie konnte es nicht abstreiten. Alex hatte sie nicht angesprochen, sondern sie ihn. Wenn er nicht hoffnungslos eingebildet war, hatte er nicht ahnen können, dass sie sich an ihn heranmachen und sich dann so stark zu ihm hingezogen fühlen würde, dass ihr Verstand aussetzte.

„Ich war deinetwegen nach Korfu gekommen.“ Alex schwenkte sein Glas und trank einen Schluck Whisky. „Ich wollte dich aufspüren, um dich zu verführen. Genau nach Plan. Fürs Wochenende hattest du eine Spendengala angesetzt …“

„An der ich dann nicht teilgenommen habe.“ Pikiert blickte Rachel in ihren Saft.

„Ich weiß“, sagte Alex.

„Und woher?“

„Weil ich dort war.“

„Aha.“ Sie räusperte sich. „Wieso?“

„Das weiß ich nicht. Jedenfalls wollte ich dich bei der Gala kennenlernen und mit meinem Reichtum ködern. Dich meinem Rivalen ausspannen. In aller Öffentlichkeit. Ich wollte dich erobern und ihn machtlos zusehen lassen.“

„Und was sollte dann aus mir werden?“

Er zuckte mit den Schultern. „Das war mir egal. Stattdessen hast du mich im Hafen entdeckt, als ich gerade auf Korfu angelegt hatte. Wie kann man so etwas planen?“

„Keine Ahnung“, musste Rachel zugeben.

„Für mich hat sich alles so überstürzt entwickelt wie für dich“, hielt Alex ihr vor. „Ich war fest entschlossen, meinen Plan auszuführen. Stattdessen …“

„Sind wir uns über den Weg gelaufen, haben den Tag miteinander verbracht …“

„Und die Nacht.“

„Danach war die Hölle los“, erinnerte Rachel ihn.

„Aber als ich heute bei euch auftauchte, hatte das nichts mehr mit Rache zu tun. Ich war gekommen, um dich zu holen.“

Gebannt blickten sie sich in die Augen, und Rachel bekam Herzklopfen …

Das Summen ihres Handys holte sie auf den Boden der Tatsachen zurück.

Eine Nachricht von Leah.

WELCHER ALEX? KENNE ICH IHN?

Wozu jetzt lügen? Es kam sowieso heraus. Die Medien würden sie mit Alex aufspüren. Dann musste sie erklären, schwanger zu sein. Und wer der Vater war.

Warum die Bombe nicht stufenweise platzen lassen? Rachel tippte eine Antwort ein.

DU KENNST IHN NICHT. ALEX CHRISTOFIDES. ES TRAF MICH AUS HEITEREM HIMMEL. TUT MIR LEID.

Eine Lüge.

Leah konnte ihn nicht kennen. Aber Ajax. Rachel hatte es so formuliert, als hätte sie Alex vorher nicht gekannt.

Auch eine Lüge.

Im Moment lief bei ihr nur noch das Selbstschutzprogramm. Aber war das nicht verständlich?

Komischerweise war Alex bis auf die geplante Nacht offen mit ihr gewesen. Als sie ihn zur Rede gestellt hatte, war er sogar brutal ehrlich gewesen. Warum er sie verführt hatte. Wer er war. Dennoch ergab das Ganze irgendwie keinen Sinn …

„Warum hast du dich nicht gerechtfertigt – oder mir etwas vorgelogen?“

„Weil ich nicht mehr klar denken konnte.“

Weil Rachel ihn angesehen hatte, als hätte er ihr ein Messer in die Brust gestoßen. Und weil er verrückt nach ihr war. Und irgendwann vergessen hatte, wer sie war.

Danach hatte es nur noch Rachel gegeben. So liebenswert und elegant … und so wild und leidenschaftlich.

Als er sie gesehen hatte, hatte er sie mit jeder Faser seines Seins begehrt.

Und mit ihr geschlafen. Am Morgen danach hatte er ihr einfach die Wahrheit gestanden … weil er nicht mehr zurückkonnte.

Doch jetzt war alles anders. Rachel war schwanger. Also würde er mit ihr zusammenbleiben.

Dass sie Ajax heiraten könnte – schwanger oder nicht –, war undenkbar! Sie war etwas Besonderes.

Aber Gefühle konnte er sich nicht leisten.

Zwei Ziele hatte er verfolgt: reich werden und sich rächen. Alles andere war Nebensache gewesen.

Natürlich würde er sich jetzt auf das dritte Wesen in seinem Leben einstellen müssen. Und er wollte verdammt sein, wenn er zuließ, dass sein Kind bei einem Fremden aufwuchs.

Er hatte genug Schreckliches erlebt und würde alles daransetzen, um sein Kind davor zu bewahren.

Buchstäblich alles!

5. KAPITEL

Alex’ Insel war ein Paradies. Hier war er glücklich. Schon, weil sie ihm gehörte.

Ein Ort, wo nur er das Sagen hatte!

Auf dem Anwesen seines Vaters hatte er alles teilen müssen. Aber teilen war zu nett ausgedrückt. Man hatte sich alles erkämpfen müssen. Dort hatte es eine Unterklasse gegeben – die Frauen, die Wächter. Aber da die Sicherheitsleute bewaffnet waren, hatten die Frauen auf einer noch erbärmlicheren Ebene gelebt …

Und die Kinder dieser Frauen …

Viele waren von ihren Müttern weggegeben worden. Verkauft, wie Alex wusste. Gegen Drogen. Jahrelang war er dankbar gewesen, dass seine Mutter es nicht getan hatte. Also hatte sie ihn doch irgendwie geliebt …

Ein Wunder, hatte er damals gedacht.

Bis er die schreckliche Wahrheit herausgefunden hatte. Und die hatte nichts mit bunten Träumen oder Mutterliebe zu tun.

Seine Mutter war abhängig von Heroin gewesen – und von Nikola Kouklakis.

Der ältere Mann hatte sie behalten, weil sie die Mutter seines Sohnes war. Doch dann hatte Alex die Wahrheit entdeckt. Nachdem der Drogenbaron seine Mutter fortgeschickt hatte, weil er ihrer leid war, hatte sie den Schlussstrich gezogen.

Daraufhin war er, Alex, davongerannt. Geflüchtet. Ohne einen Blick zurück.

Als er endlich innegehalten und beim Kartenspiel genug gewonnen hatte – Geld und die Insel –, hatte er Leute gefunden, mit denen er Geschäfte ausgetüftelt, genug über die Börse gelernt und endlich den Gipfel des Erfolgs erreicht hatte. Und zum ersten Mal zurückgeblickt:

Auf all die Schmerzen, die Ungerechtigkeit – und den Mann, der sich über alles erhoben hatte: sauber und hoch angesehen. Reich wie ein Gott, mit einer wunderschönen Frau am Arm.

Da hatte Alex beschlossen, dafür zu sorgen, dass Ajax Kouros lernte, was Hilflosigkeit und Angst waren. Dass er erfuhr, wie es war, die Dinge zu verlieren, die er liebte.

Und obwohl Alex bisher nicht versucht hatte, Ajax’ Unternehmen zu zerschlagen, hatte er ihm die Verlobte ausgespannt. Zwar sah er Rachel jetzt nicht mehr als Mittel, um sich zu rächen, doch die bloße Vorstellung beflügelte Alex.

„Wo sind wir hier?“, fragte Rachel, als die Maschine landete und weißer Sand und türkis schimmerndes Meer in Sicht kamen.

„Auf einer Insel vor der Türkei.“ Alex fiel ein, dass er den Namen seiner Mutter erwähnt hatte. Das bewies, wie sehr er immer noch an der Frau hing, die sich umgebracht hatte, statt für ihn da zu sein. „Ich habe sie Melis Fluchtburg getauft“, gestand er Rachel. „Und ehe du mich danach fragst, meine Mutter hat die Insel nie gesehen. Kurz bevor ich Kouklakis’ Anwesen verließ, starb sie. Ich hatte sie herbringen wollen, damit sie endlich zur Ruhe kommt. Jetzt hat sie ihre Ruhe.“ Hätte sie ihm wenigstens eine Chance gegeben …

„Tut mir leid“, sagte Rachel mitfühlend. „Meine Mutter ist auch gestorben. Es hat mich schwer – wirklich hart getroffen.“

Alex zuckte mit den Schultern. „Das Leben ist hart.“

„Du denkst sehr zynisch.“

„Das Leben ist hart, und dann stirbt man. Gefällt dir das besser?“

Rachel schüttelte den Kopf. „Nein. Du genießt die Reise nicht, stimmt’s?“

Die Maschine hielt, und Alex stand auf. „Die Reise zu genießen, ist für Menschen die anders leben. Wie du, agapi.“

„Ich habe eine wunderbare Familie und bin mit viel Schönem gesegnet. Ja, ich genieße die Reise.“

Das stimmte nicht. Er spürte es. Komisch, denn als er Rachel auf Korfu begegnet war, hatte sie so viel Licht und Lebensfreude verströmt. Auf den Pressefotos war davon nichts zu sehen gewesen.

Eine Lichtgestalt schien sie nur selten zu sein.

„Wolltest du den Rest der Reise mit Ajax verbringen?“

Rachel nickte. „Natürlich. Ich habe ihn sehr gern.“

„Aber du liebst ihn nicht.“

„Warum sind die Menschen so auf Liebe fixiert?“ Alana hatte sie von der Hochzeit abzubringen versucht: Man sollte nur aus Liebe heiraten.

„Ich habe Ajax gern und liebe ihn auf meine Weise“, erklärte Rachel. „Es mag nicht die überwältigende große Liebe sein …“

„Aber du weinst dir im Moment nicht gerade die Augen aus“, bemerkte Alex.

„Weil ich mir viel aufgeladen habe. Gerade habe ich herausgefunden, dass ich schwanger bin.“ Rachel seufzte müde. „Schwanger … Das Ganze wächst mir über den Kopf. Ich habe meine Hochzeit platzen lassen. Und jetzt bin ich in der Türkei. Mit dir.“

„Nicht in der Türkei. Auf meiner Insel.“

„Ach ja, das ist im Moment wirklich ein Riesenunterschied.“

„Falls es dich tröstet, ich fühle mich wie du von den Ereignissen überrollt.“

„Ja … als wäre ein ganzer Güterzeug über mich hinweggebraust.“

„Es gä zbe eine einfache Lösung.“ Sollte er seinen Heiratsantrag wiederholen? Rachel war nicht darauf eingegangen. Aber da hatte sie unter Schock gestanden. Sie würde sich wieder beruhigen.

Eins stand fest: Bei seinem Kind würde er sich nicht im Hintergrund halten, keine Schattenrolle spielen. Er war kein Mann wie sein Vater und der Rest der Familie und würde alles anders machen.

Er würde sein Kind lieben, es nicht beherrschen und an sich zu ketten versuchen …

Wie seine Eltern wollte er nie werden!

„Was meinst du mit einfacher Lösung?“, fragte Rachel.

Die Bordtür wurde geöffnet, und schwülwarme Luft strömte in die Kabine.

„Das liegt doch auf der Hand.“

„So?“ Sie ging zum Ausgang.

„Du klingst wenig überzeugt.“

„Bin ich auch nicht.“ Rachel stieg die Gangway hinunter, und Alex folgte ihr.

Sie trug eine weiße Caprihose, die ihre aufregenden Rundungen betonte. Die letzten Stunden mochten stressig gewesen sein, aber er war immer noch ein Mann.

Und Rachel die Versuchung in Person. Egal was sie trug. Sie besaß Klasse, eine erhaben kühle, unübertreffliche Eleganz, der ein Mann wie er selten begegnet war.

Aber natürlich hatte Rachel Holt ihren Stil, ihr ganzes Auftreten umgeben von Reichtum und Kultur erworben – beobachtet von Kameras, die jede ihrer Bewegungen verfolgten.

Wohl auch deshalb war er so fasziniert von ihr. Von ihrer stilsicheren, makellosen Erscheinung. Alles an ihr war elegant und perfekt: Frisur, Make-up, ihre bewundernswerte Art, Haltung zu bewahren – selbst nachdem sie von der Schwangerschaft erfahren hatte und die Hochzeit platzen ließ. Dennoch war er zu ihr durchgedrungen. Er hatte sie erlebt, als ihre Haut rosiger war als das Top, das sie trug – mit zerwühltem Haar, schweißnasser Haut …

Wie sie die gepflegten Fingernägel in seine Schultern gekrallt hatte, würde er nie vergessen.

Alex bewegte sich, um den Druck seiner Erregung zu mildern. Es half nichts. Er sah nur Rachels verführerische Gestalt. Die Insel war ihm egal. Alles andere auch.

„Und warum bist du nicht überzeugt?“

„Weil ich dich nicht mag.“ Sie blickte zu den Zypressen, die ein üppiges grünes Blätterdach bildeten, dem weißen Sandstrand, der sich vor ihnen erstreckte.

„Auf der Insel gibt es erstaunliche Ruinen aus der Kolonialzeit und dem Osmanischen Reich.“

„Ich komme gerade aus Griechenland. Ruinen haben wir dort mehr als genug.“

„Das weiß ich“, sagte Alex. „Ich wollte nur etwas Nettes sagen.“

„Wohnst du in einer Ruine? Oder in einem richtigen Haus?“

„Einem Haus. Manche würden es eine Ruine nennen.“

Rachel gab einen abschätzigen Laut von sich. „Im Moment würden manche das von mir auch behaupten.“

„Hör auf, die gefallene Sünderin zu spielen.“

„Ach ja?“ Sie strich sich über die Nase. „So fühle ich mich jedenfalls.“

Alex blieb stehen und sah sie forschend an. „Wirklich?“

„Wirklich.“

„Interessant. Möchtest du zum Haus laufen oder fahren?“

„Im Smoking dürfte es sich nicht gut laufen.“

Er blickte an sich herab. „Stimmt. Ich bin noch nicht ganz hier. In New York ist es jetzt früh am Morgen. Biologisch habe ich die Nacht durchgemacht.“

„Du bist aus New York herübergeflogen?“

„Ja.“

„Warum?“

Er betrachtete ihre geröteten Wangen. „Ich wollte dich holen.“

„Einfach so?“

„Ja.“

„Warum?“

„Das weiß ich nicht genau“, gab er zu. „Um zu verhindern, dass Ajax dich heiratet. Weil ich dich für mich haben will. Weil du wunderschön und die einzige Frau bist, mit der ich schlafen möchte. Und da ich das bald vorhabe, würde es mich gewaltig stören, wenn du einen anderen heiratest.“

Zweifelnd sah Rachel ihn an. „Das ist ja fast schmeichelhaft.“

„Fast. Komm, wir laufen.“ Alex streifte sich das Jackett ab, warf es in den Sand und krempelte sich die Ärmel hoch. „Das hilft, den Zeitunterschied auszutricksen.“

Alex führte sie einen Strandweg entlang und verwünschte den Sand, der ihm in die handgearbeiteten Schuhe rieselte. Die er von selbst erarbeitetem Geld gekauft hatte. Nicht durch das Leid anderer.

Autor

India Grey
<p>India Grey liebte schon als kleines Mädchen romantische Liebesgeschichten. Mit 13 Jahren schrieb sie deshalb das erste Mal an den englischen Verlag Mills &amp; Boon, um die Writer's Guidelines anzufordern. Wie einen Schatz hütete sie diese in den nächsten zehn Jahren, begann zu studieren … und nahm sich jedes Jahr...
Mehr erfahren
Lynn Raye Harris

Lynn Raye Harris las ihren ersten Harlequin Mills & Boon Roman als ihre Großmutter mit einer Kiste Bücher vom Flohmarkt zurück kam. Sie wusste damals noch nicht, dass sie eines Tages selber Schriftstellerin werden wollte. Aber sie wusste definitiv, dass sie einen Scheich oder einen Prinzen heiraten und ein so...

Mehr erfahren
Maisey Yates
<p>Schon von klein auf wusste Maisey Yates ganz genau, was sie einmal werden wollte: Autorin. <br/>Sobald sie mit einem Stift umgehen und ihre erste Worte zu Papier bringen konnte, wurde sie von der Leidenschaft fürs Schreiben gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen. <br/><br/>Von da an konnte nichts und niemand...
Mehr erfahren
Penny Roberts
<p>Hinter Penny Roberts steht eigentlich ein Ehepaar, das eines ganz gewiss gemeinsam hat: die Liebe zum Schreiben. Schon früh hatten beide immer nur Bücher im Kopf, und daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Und auch wenn der Pfad nicht immer ohne Stolpersteine und Hindernisse war – bereut haben...
Mehr erfahren