Heiße Nächte in Paris

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Sex mit Max? Das war für die hübsche Primaballerina Maddy ausgeschlossen. Er war immer ihr bester Freund, aber nie mehr! Bis sie ihn in Paris, der Stadt der Liebe, besucht. Plötzlich beginnt ein erotischer Pas de deux – ein Tanz der Verführung …


  • Erscheinungstag 30.05.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529600
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Maddy Greens Atem ging schwer, dennoch beschleunigte sie ihre Schritte, um möglichst rasch den Probenraum zu erreichen. Sie glaubte, die glatte Ballettstange schon unter den Händen zu fühlen, bildete sich ein, die hellen Lichter in den Spiegeln strahlen zu sehen und die gleichmäßigen Geräusche der anderen Tänzer um sich herum zu hören, während sie sprangen, wieder auf dem Boden aufkamen, sich drehten und sich in den Hüften wiegten.

Gerade jetzt brauchte sie dringend etwas, das ihr vertraut war.

Die Doppeltür des Probenraums A der Sydney Dance Company erschien zu ihrer Linken. Maddy schob sie auf. Sobald sie eingetreten war, umfing sie der Geruch nach sauberen warmen Körpern, frischem Schweiß und einem Dutzend verschiedener Deodorants, Parfums und Aftershaves.

Daheim. Sie war daheim.

„Maddy! Wie war dein Termin beim Arzt?“, fragte Kendra sofort, als sie Maddy entdeckte.

Mit erwartungsvollen Gesichtern drehten sich nun auch die anderen Tänzer zu ihr um. Maddy zwang sich zu lächeln und zuckte gleichmütig mit den Schultern.

„Alles in Ordnung“, sagte sie. „Keine Probleme.“

Sie brachte es einfach nicht über sich, den Befund laut auszusprechen, denn dadurch würde er real werden. Wenigstens eine Weile wollte sie sich noch in der Welt verlieren, die sie verzaubert hatte, seit sie als Vierjährige zum ersten Mal das Bild einer Ballerina gesehen hatte.

Kendra flog förmlich quer durch den Raum auf sie zu und zog sie in ihre schlanken kräftigen Arme.

„Fantastisch. Großartige Neuigkeiten. Einfach super“, sagte sie.

Der durchscheinende Trainingsrock flatterte um ihre Beine, als sie zu ihrem Platz in der Mitte des Raumes zurückkehrte. Kendra war erst zweiundzwanzig und hatte ihre Karriere noch vor sich. Sie war eine wundervolle Tänzerin – kraftvoll, grazil, gefühlvoll und leidenschaftlich. Sie würde es an die Spitze schaffen, davon war Maddy überzeugt.

Sie merkte, dass jemand sie beobachtete. Als sie den Blick hob, entdeckte sie Stephen Jones, den Choreografen.

Rasch drehte sie sich weg, um Blickkontakt zu vermeiden. Stephen hatte sie in letzter Zeit oft beobachtet, ihre Bewegungsfähigkeit geprüft und das Leistungsvermögen ihres verletzten Knies. Hatte er gewusst oder geahnt, was der Arzt ihr sagen würde? War irgendjemandem außer ihr klar gewesen, dass es mit ihr vorbei war? Dass sie nie wieder tanzen würde?

Ihr Herz schlug so heftig, dass sie erneut das Gefühl hatte, ihr würde die Luft abgeschnürt.

Sie warf ihre Tasche in die Ecke, schlüpfte aus den Straßenschuhen und beugte sich hinunter, um mit zitternden Händen die Ballettschuhe anzuziehen. Die Bänder raschelten leise, als sie sie um die Knöchel wickelte und sorgfältig festband. Unter dem Rock, den sie nun auszog, trug sie Trikot und Strumpfhose. Als sie fertig war, ging sie an die Stange und fing an, sich aufzuwärmen.

Zuerst machte sie pliés, dann ein paar rond de jambes. Dabei hielt sie den Kopf gerade und entspannte die Arme. Jedes Mal, wenn sie sich auf die Fußspitzen stellte, fühlte sie, wie sich ihr Körper geschmeidig und makellos nach ihrem Willen bewegte, und sie sah in dem von der Decke bis zum Boden reichenden Spiegel eine perfekte Haltung und eine formvollendete Figur.

Ihr Herzschlag beruhigte sich. Sie war Tänzerin. Das war sie immer gewesen und das würde sie immer sein.

„Maddy.“

Als sie den Blick von ihrem Spiegelbild löste, entdeckte sie Andrew McIntyre, den Direktor der Company. Er hatte ebenfalls ihren perfekten Körper und ihre Bewegungen im Spiegel betrachtet.

„Könntest du bitte einen Augenblick in mein Büro kommen“, bat er sie. Seine Stimme klang sanft.

Er wusste Bescheid.

Er hat mit Dr. Hanson gesprochen, dachte Maddy. Natürlich hatte er das. Hanson war schließlich der Arzt der Company. Als sie aufgenommen worden war, hatte sie einen Vertrag unterschrieben und darin zugestimmt, dass die Company Zugriff auf alle Berichte hatte, die ihre Gesundheit und körperliche Verfassung betrafen und Einfluss auf ihre Karriere hatten.

„Nach der Probe“, erklärte sie. „Jetzt bin ich aufgewärmt, und alle anderen warten auf mich.“

„Ich denke, wir sollten sofort miteinander reden, nicht wahr?“, erwiderte er. Dabei legte er die Stirn in Falten, als würden seine Worte ihm Schmerzen bereiten. Er kam näher und streckte die Hand aus, um Maddy zu berühren.

Sie trat einen Schritt zurück, ging mit dem verletzten Bein auf die Spitze und hob das rechte Bein zum seitlichen grand battement. Sie hob es hoch, hoch, hoch, bis ihre Zehen zur Decke zeigten und sich ihr Oberschenkel neben ihrem Ohr befand.

Diese Position hielt sie, als wollte sie ihre Geschicklichkeit und Stärke deutlich machen, während sie im Spiegel wagemutig Andrews Blick begegnete.

Er hielt ihrem Blick stand und sah nicht eine Sekunde weg. Als ihre Muskeln in dieser äußerst anstrengenden Haltung zu schmerzen und zu zittern anfingen, trat er zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

„Genug, Maddy. Komm in mein Büro.“

Sie senkte das Bein und ruhte sich auf dem flachen Fuß aus. Der Schmerz in ihrem Knie pulsierte, wie er das in den letzten Tagen ständig tat, sobald sie das Bein überforderte. Maddy ließ den Kopf hängen und starrte auf den polierten Holzfußboden.

Sie spürte, wie Andrew den Arm um ihre Schultern legte und ließ sich von ihm zur Tür führen. Die anderen Tänzer unterbrachen ihre Übungen und sahen ihnen nach. Sie konnte das Schweigen und die Blicke förmlich fühlen, als sie mit Andrew auf den Flur hinausging. Er ließ sie erst los, als sie in seinem Büro ankamen.

„Setz dich“, forderte er sie auf.

Er ging zum Einbauschrank aus Holz, der eine ganze Wand seines Büros einnahm, und öffnete eine Tür. Maddy hörte Glas gegen Glas stoßen, während er etwas einschenkte.

„Trink das.“

Der Duft von Brandy stieg ihr in die Nase, als er ihr ein Glas an die Lippen hielt.

„Nein“, sagte sie und drehte den Kopf weg.

Abwartend hielt Andrew ihr weiterhin das Glas hin. Endlich trank sie.

„Und noch einmal“, forderte er sie auf.

Diesmal nahm sie einen größeren Schluck. Der Alkohol brannte in ihrer Kehle. Als Andrew ihr das Glas zum dritten Mal anbot, schüttelte sie entschieden den Kopf, und er stellte es auf den kleinen Tisch neben ihr. Dann setzte er sich in einen Sessel ihr gegenüber.

Andrew war Ende fünfzig und hatte früher ebenfalls getanzt. Sein Körper war schlank und durchtrainiert, obwohl er schon viele Jahre nicht mehr auf der Bühne stand. Seine Haut war gebräunt und spannte sich über hohen Wangenknochen. Nur um seinen Mund waren feine Linien zu sehen. Mit sanftem Blick musterte er Maddy. In der Ballettwelt war Andrew in erster Linie als Perfektionist bekannt, aber gleich danach für seine Menschlichkeit.

„Wir werden auf dich aufpassen, Maddy. Das musst du wissen. Rente, eine Aufgabe als Lehrerin – du brauchst nur zu sagen, was du willst. Du warst eine unserer großartigsten Tänzerinnen, und wir werden dich nicht vergessen.“

Maddy spürte, wie ihr Körper in dem klimatisierten Raum kühl wurde.

„Ich will weiterhin tanzen“, erklärte sie. „Das ist es, was ich will.“

Entschieden schüttelte Andrew den Kopf. „Das geht nicht. Nicht bei uns. Nicht beruflich. Dein Verstand will das vielleicht, doch dein Körper schafft es nicht. Dr. Hanson hat sich in diesem Punkt sehr klar ausgedrückt. Wir wussten immer, dass bei einem derartig signifikanten Kreuzbandriss sehr wenig Aussicht auf vollständige Heilung besteht. Es ist Zeit, die Ballettschuhe an den Nagel zu hängen, Maddy.“

Ihre Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt. Maddy empfand Zorn, Kummer, Ärger, Trotz, alles auf einmal, und wusste nicht, was sie sagen oder wie sie reagieren sollte.

„Ich will auch in Zukunft tanzen“, sagte sie erneut. „Gib mir mehr Zeit. Ich beweise dir, dass ich es schaffen kann. Ich mache noch mehr Krankengymnastik, noch mehr Pilates. Alles, was nötig ist.“

Einen Moment war Andrews Miene angespannt. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen, während er sich die Nasenwurzel rieb. Er sah plötzlich sehr niedergeschlagen aus.

„Maddy. Ich weiß genau, wie schwer es ist, das Tanzen aufzugeben. Glaub mir. Ich wäre an diesem Problem beinahe zugrunde gegangen, aber ich habe mir eine neue Aufgabe gesucht.“ Er machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen. „Du bist eine wunderschöne, kluge und findige Frau. Dort draußen gibt es ein anderes Leben, das auf dich wartet. Du musst es bloß finden.“

Ich will es nicht finden.

Beinahe hätte sie ihre Gedanken laut ausgesprochen, doch der Alkohol entspannte sie etwas.

„Wir veranstalten eine Party für dich. Eine richtige Abschiedsparty. Und wir helfen dir, wo wir nur können. Umschulung oder, wie ich vorhin schon sagte, falls du unterrichten willst …“

Ihr kam die Galle hoch bei dem Gedanken an eine Party, bei der sie vor ihren gleichaltrigen Kollegen stand, während die Leute Toasts auf ihr früheres Talent ausbrachten.

„Nein. Keine Party“, erklärte sie.

Mit einem Mal wollte sie nicht länger in diesen Räumen sein. Als der Arzt ihr vor einer Stunde die Nachricht überbracht hatte, war ihr die Company wie ihr Zuhause vorgekommen, wie ein sicherer Ort. Doch jetzt wusste sie, dass sie sich hier nie wieder daheim fühlen würde.

„Die Kollegen werden sich verabschieden und dir ihre Aufwartung machen wollen“, meinte Andrew.

„Ich bin nicht tot“, sagte sie, stand abrupt auf und stürmte aus dem Büro.

Vor der Tür zum Probenraum zögerte sie einen Moment, dann riss sie sich zusammen und ging hinein, um ihre Tasche zu holen. Sie hielt den Kopf gesenkt und gab keine Antwort, als Kendra wissen wollte, ob alles in Ordnung sei.

Sie würden alle noch früh genug Bescheid wissen. Eine andere Tänzerin würde aufrücken und ihren Part in der aktuellen Produktion übernehmen. Vielleicht Kendra. Vielleicht eine der anderen Solistinnen. Das Leben ging weiter.

Draußen in der warmen Sommerluft atmete Maddy tief ein und aus, weil sie mit den Tränen kämpfte.

In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie so alleine gefühlt oder sich mehr gefürchtet. Ihr ganzes Leben schien zerstört zu sein – die Disziplin und die Leidenschaft, die ihre Tage und Nächte bestimmt hatten, hatten sich in nichts aufgelöst. Sie hatte keine Zukunft, und ihre Vergangenheit spielte keine Rolle. Sie hatte einen kaputten Körper, zerbrochene Träume und sonst herzlich wenig.

In ihrer Handtasche befanden sich die Autoschlüssel, aber sie wusste nicht, wohin sie fahren sollte. Zurzeit gab es keinen Liebhaber, der ihr eine Schulter zum Ausweinen bieten konnte. Ihre Mutter war meilenweit entfernt in Amerika, wo sie gerade zum dritten Mal geheiratet hatte, und ihren Vater hatte sie nie kennengelernt. Ihre Freunde waren alle Tänzerinnen und Tänzer, und der Gedanke an das Mitgefühl, das sie sicher zeigen würden, schnürte ihr erneut die Kehle zu. Wo sollte sie hin?

Wo sollte sie bloß hin?

Mit einem Mal tauchte ein Gesicht in ihrer Erinnerung auf. Klare graue Augen, schwarzes Haar und ein Lächeln, das gleichzeitig Schalk, Humor, Trost und Verständnis ausdrückte.

Max.

Ja, sie brauchte Max, obwohl es Jahre her war, seit sie sich gesehen hatten, und sich ihre Freundschaft mittlerweile auf gelegentliche E-Mails und eine Postkarte zu Weihnachten beschränkte.

Er würde verstehen, das hatte er immer. Er würde sie mit seinen starken, kräftigen Armen festhalten, und sie würde sich geborgen fühlen, so wie früher.

Und dann konnte sie vielleicht auch nachdenken und sich eine Welt ohne Ballett vorstellen. Nach vorne blicken.

Max.

Max klappte die Lasche an der Kiste zu und hielt sie mit einem Unterarm fest, während er nach dem Klebeband griff und mit dem Daumennagel den Anfang ertastete.

„Ich bin fertig. Was ist mit dir?“, tönte eine Stimme von der Tür her.

Er blickte hoch und betrachtete seine Schwester Charlotte, die die Hände in die Hüften gestemmt mit einem selbstgefälligen Lächeln im Türrahmen stand.

„Das kannst du vergessen“, sagte er, während er ein Stück Klebeband abriss und die Lasche zuklebte.

„Mein Raum ist fertig. Technisch gesehen bedeutet das, meine Arbeit ist erledigt“, erklärte sie.

Max warf ihr eine zweite Rolle Klebeband zu. Bis jetzt hatten sie gerade mal die Hälfte der Bücher aus der umfangreichen Sammlung ihres verstorbenen Vaters eingepackt.

„Je früher du anfängst, mir zu helfen, desto eher können wir beide hier weg“, meinte er.

Charlotte lehnte sich gegen den Türrahmen.

„Du hättest dir ein leichteres Zimmer aussuchen sollen, Max“, neckte sie ihn.

„Ich war einfach nur galant. Indem ich dir die Küche überließ und mich an diese Herkulesaufgabe machte, habe ich dir stundenlange harte Arbeit erspart. Nur für den Fall, dass du das nicht gemerkt hast.“

Charlottes Lächeln verschwand, und sie straffte sich. „Wo soll ich anfangen?“

Max warf einen Blick auf die massive Wand aus Büchern, die immer noch die Regale zierte. „Such dir irgendeins aus.“

Charlotte stellte sich einen neuen Faltkarton zurecht, während Max anfing, Bücher in eine weitere Kiste zu stapeln. Staub hing in der Luft und tanzte im schwachen Licht der Wintersonne, die durch die schmutzigen Fenster der Wohnung schien.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, nach zwei Monaten wieder hier zu sein. Die ganze Welt schien sich seitdem verändert zu haben.

Sein Vater war tot.

Max konnte das immer noch nicht wirklich glauben. Vor zehn Wochen war Alain Laurent einer Lungenentzündung erlegen, eine ständige Gefahr für Quadriplegiker. Nach wochenlangem Kampf war er schließlich ruhig im Schlaf gestorben. Er, Max, war gerade nicht im Zimmer gewesen, weil er einen Telefonanruf entgegengenommen hatte. Nachdem er acht Jahre ständig für seinen gelähmten Vater gesorgt und ihn hingebungsvoll gepflegt hatte, nachdem er so viele Krisen seiner Krankheit mit ihm durchgestanden hatte, war er im schwersten Augenblick nicht bei ihm gewesen.

Hatte sein Vater gewusst, dass er alleine war? Oder, wie seine Schwester behauptete, hatte sein Vater diesen Moment gewählt, um für immer zu gehen, um seinem Sohn den Kummer zu ersparen, Zeuge seiner letzten Atemzüge zu werden?

„Hör auf, dir das Leben schwer zu machen“, sagte Charlotte von der anderen Seite des Raumes.

Max runzelte die Stirn. „Was?“

„Du hast schon verstanden. Jetzt behaupte bloß nicht, du hättest nicht schon wieder über Père nachgedacht. Du hast alles getan, was du konntest. Das haben wir beide“, fügte Charlotte mit bestimmtem Ton hinzu.

Er machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich wieder den Büchern zu.

„Das stimmt, weißt du. Was du eben gesagt hast. Du bist galant. Einerseits ist das charmant, aber andererseits kann einen das auch zur Weißglut bringen.“

Er lächelte über die Wortwahl seiner Schwester. Sie waren zur Hälfte Australier und zur Hälfte Franzosen, aber für ihn war Charlotte im Grunde immer europäisch gewesen mit ihrem dunklen Haar und ihrem erlesenen Modegeschmack. Aus heiterem Himmel benutzte sie dann aber plötzlich wieder ein paar australische Slangausdrücke und erinnerte ihn daran, dass sie beide als Jugendliche in Sydney in Australien gelebt hatten und ihre Zeit mit Schwimmen, Surfen und damit verbracht hatten, beim Grillen im Garten die Mücken zu vertreiben.

„Ich meine das ernst, Max“, sagte sie. „Du eilst immer allen zu Hilfe, denkst an alle anderen, nur nicht an dich selbst. Du musst lernen, egoistischer zu sein.“

Er schnaubte verächtlich und arbeitete weiter. „Den Tag, an dem du zuerst an dich selbst denkst, werde ich mir im Kalender rot anstreichen.“

Stirnrunzelnd schob Charlotte sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Das ist etwas anderes. Ich habe eine Familie. Als ich Mutter wurde, habe ich das Recht aufgegeben, egoistisch zu sein.“

Max ließ das Buch fallen, das er gerade hielt, und presste eine Hand auf sein Herz. Nicht mehr so atemberaubend wie früher, aber immer noch anmutig und graziös stolzierte er tänzelnd zu Charlotte hinüber, wobei er übertriebene Aufopferungsbereitschaft und Martyrium darstellte.

„Sehr lustig“, sagte seine Schwester.

Rasch wich er dem dünnen Buch aus, das sie nach ihm warf, und sie schüttelte den Kopf.

Eine Weile arbeiteten sie schweigend weiter, jeder in Gedanken versunken. Max fragte sich, wer auf Eloise und Marcel aufpasste. Das waren die beiden Kinder, die Charlotte mit ihrem Ehemann Richard hatte. Richard arbeitete als Handelsbankier. Max wusste, dass Charlotte im Augenblick Schwierigkeiten hatte, einen Babysitter zu finden, der in der Lage war, Eloises ganz bestimmte Bedürfnisse zu erfüllen, dennoch wäre es unmöglich gewesen, die beiden Kinder in diese Wohnung mitzunehmen. Jede Änderung in Eloises Routine war für das Kind eine unerträgliche Qual.

„Ich habe mich nie wirklich bei dir bedankt, oder?“, unterbrach Charlotte die Stille.

Er schloss die Klappen einer neu gefüllten Bücherkiste. Der Händler für antiquarische Bücher würde mit der Sammlung seines Vaters einen großen Fang machen. Angefangen bei Groschenromanen aus den Sechzigerjahren bis hin zu Proust und Dante war alles vorhanden.

„Weil es nichts gibt, für das du mir danken musst.“

„Vermisst du das Ballett?“, fragte Charlotte.

Er begann, einen neuen Karton zu falten.

„Manchmal. Nicht mehr so sehr. Seitdem ist viel Zeit vergangen.“

„Erst acht Jahre. Vielleicht könntest du …“

„Nein“, unterbrach er sie in schärferem Ton, als er beabsichtigt hatte. „Im Ballett sind acht Jahre eine Ewigkeit, Charlie. Dafür bin ich jetzt zu alt. Ich habe meine Beweglichkeit verloren und meinen Vorsprung.“

Als man ihm vor acht Jahren mitteilte, dass ihr Vater einen schweren Autounfall gehabt hatte, war Max direkt von Sydney nach Paris geflogen. Damals hatte er inständig gehofft, ihm bliebe genügend Zeit, um sich vor dessen Tod von seinem Vater verabschieden zu können. Wie sich dann herausstellte, blieben ihm dazu acht Jahre.

Sobald klar war, dass ihr Vater seine Verletzungen überleben würde, aber in Zukunft an einen Rollstuhl gefesselt wäre, hatte Max alle notwendigen Vorkehrungen getroffen, um die Versorgung sicherzustellen. Er kündigte bei der avantgardistischen Danceworks Company, durch die er sich in Australien bereits einen Namen gemacht hatte, und veranlasste, dass seine Sachen nach Paris geschickt wurden. Dann zog er in das Apartment seines Vaters im vornehmen Arrondissement St. Germain und begann mit den Umbauten, die dort nötig waren, damit er seinen alten Herrn zu Hause versorgen konnte.

Die Entscheidung war ihm nicht leichtgefallen, und es hatte Augenblicke gegeben – besonders in der Anfangszeit, als er und sein Vater sich noch an ihre neuen Rollen gewöhnen mussten –, in denen er sie bitter bereute. Er hatte so viel aufgegeben. Seine Karriere, seine Träume, seine Freunde. Die Frau, die er liebte.

Alain Laurent war immer ein großmütiger und liebevoller Vater gewesen. Als ihre Mutter starb – damals war Max zehn und Charlotte erst acht Jahre alt – hatte Alain alles in seiner Macht Stehende getan, damit sie den Verlust der Mutterliebe nicht spürten. Er war einzigartig gewesen, und für Max hatte es nie Zweifel gegeben, dass er und Charlotte alles tun würden, was notwendig war, um ihrem Vater die verbleibende Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten.

„Du hättest die Sorge für Vater mir überlassen können. Tausende andere Männer hätten das getan“, sagte Charlotte.

„Na, du hast ja eine hohe Meinung von meinem Geschlecht“, erwiderte er trocken.

„Du weißt, was ich meine.“

Er hielt mit der Arbeit inne und blickte seine Schwester an. „Lass uns ein für alle Mal einen Schlussstrich unter diese Sache ziehen. Ich habe gemacht, was ich tun wollte, okay? Er war auch mein Vater. Ich habe ihn geliebt. Ich wollte für ihn sorgen. Anders hätte ich das gar nicht ertragen. Genauso wie du nicht ertragen hättest, wenn du dich zwischen Richard und den Kindern und Dad hättest entscheiden müssen. Ende der Geschichte.“

Charlotte öffnete den Mund, dann schloss sie ihn wieder, ohne etwas zu äußern.

„Gut. Können wir jetzt weitermachen?“, fragte Max.

Charlotte grinste. „Ich hatte ganz vergessen, wie herrisch du sein kannst. Es ist schon eine Weile her, seit du mir die Leviten gelesen hast.“

„Gib es ruhig zu, dass du das vermisst hast“, sagte er grinsend und war froh, dass sie mit dem Gerede von Dankbarkeit aufhörte.

Er hatte sich bewusst dafür entschieden, seinen Vater zu unterstützen. Trotzdem hatte das sein Unterbewusstsein nicht völlig davon abgehalten, sich manchmal die Frage zu stellen, was gewesen wäre, wenn … Das geschah besonders häufig in stillen, entspannten Momenten, zum Beispiel vor dem Einschlafen.

Was wäre gewesen, wenn er seinen Traum hätte verwirklichen können und in London, New York, Moskau und Paris getanzt hätte? Wäre er ein vollendeter Solotänzer geworden? Hätte er seinen Namen in großen Leuchtbuchstaben an den großen Opernhäusern lesen können?

Und was wäre mit Maddy geschehen? Hätte er ihr jemals seine Gefühle gestanden? Hätte er ihr gesagt, wie sehr er sie liebte, und zwar nicht nur als zuverlässiger Freund und gelegentlicher Tanzpartner?

Wie immer, wenn er an Maddy dachte, stellte er sie sich auf der Bühne vor. Sie stand im Scheinwerferlicht, und ihr schlanker, anmutiger Körper bildete eine perfekte arabesque. Dann tauchten Erinnerungen daran auf, wie sie lachend zusammen auf der schäbigen Couch in der Bruchbude von einem Haus saßen, das sie zusammen mit zwei anderen Tänzern bewohnt hatten. Bei großer Hitze hatten sie am Abend manchmal auf der Veranda gefaulenzt.

Trügerische Erinnerungen, dachte er. Die Zeit und die große Entfernung beschönigten alles. Unmöglich konnte Maddy so witzig, herzlich, schön und sinnlich sein, wie er sie in Erinnerung hatte. Für ihn war sie zum Symbol für das geworden, was er aufgegeben hatte.

„Was wirst du jetzt tun?“, fragte Charlotte, während sie eine Kiste über den abgenutzten Parkettboden zu den anderen schob, die er an einer Wand aufgestapelt hatte.

Absichtlich tat er so, als würde er die Frage missverstehen, und erwiderte: „Ich packe diese Kisten fertig, und anschließend suche ich mir ein warmes Plätzchen, um ein kühles Bier zu trinken.“

Sie verdrehte die Augen. „Das meine ich nicht. Was wirst du jetzt tun, nachdem du sozusagen dein Leben zurückbekommen hast?“

Er zuckte die Achseln, obwohl ihm sofort das Apartment einfiel, das er auf der anderen Seite des Flusses gemietet hatte. Seine Schwester hatte es noch nicht gesehen, obwohl es sehr schwierig war, etwas vor ihr geheim zu halten. Bald würde er ihr seine Pläne verraten müssen, doch er war noch nicht bereit, sich missbilligende Kritik von ihr anzuhören, denn im Augenblick musste er sich noch an die eigene Courage gewöhnen.

„Darüber habe ich wirklich noch nicht nachgedacht“, schwindelte er.

Charlotte wischte sich die staubigen Hände am Hosenboden ab. „Das solltest du aber. Du könntest Pères Geld dazu benutzen, um zu studieren und ein Diplom zu erwerben. Oder du kaufst dir eine Wohnung. Fang an, dein eigenes Leben zu leben. Liebe Güte, du könntest dir sogar eine Freundin anschaffen. Bring endlich Leben in die Bude.“

Nun war Max an der Reihe, die Augen zu verdrehen. „Woran liegt es bloß, dass verheiratete Leute immer glauben, auch der Rest der Welt könnte nur in einer Beziehung glücklich werden?“

„Weil das stimmt. Außerdem bist du geradezu zum Ehemann geschaffen, Max. Wenn ein Mann Kinder haben sollte, dann du. Sie würden bestimmt prächtig werden. Und talentiert. Und klug und liebenswürdig.“

„Irgendwie klingt das wie eine Partnerschaftsannonce.“

„Entspann dich. Ich werde nicht gleich eine Anzeige in der Zeitung aufgeben, aber ich habe einige wunderhübsche Freundinnen, die ich dir gerne vorstellen möchte.“

„Nein.“

„Warum nicht? Nenn mir einen triftigen Grund, weshalb du keine attraktive, alleinstehende Frau treffen willst.“

„Ich finde meine eigene Frau, wenn ich das will.“ In Wahrheit würden die nächsten zwölf Monate Herausforderung genug sein, ohne dass er auch noch eine Partnerschaft einging.

„Liebe Güte, du musst doch zumindest an Sex interessiert sein. Wie lange hält ein Mann es überhaupt mit reiner Handarbeit aus?“, fragte Charlotte jetzt allen Ernstes.

Autor

Sarah Mayberry
<p>Sarah Mayberry wurde in Melbourne in Australien als mittleres von drei Kindern geboren. Sie hat die Leidenschaft für Liebesromane von Ihren beiden Großmüttern geerbt und wollte Schriftstellerin werden, solange sie denken kann. Dieses Ziel verfolgte sie ehrgeizig, indem sie zunächst eine Bachelor in professionellem Schreiben und Literatur machte. Trotzdem hat...
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