Heißer Flirt im Paradies

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Golden glitzert das Meer, sanft streichelt der Wind Abbys sonnenwarme Haut. Liegt es an der paradiesischen Kulisse, dass zwischen ihr und Jugendschwarm Judd plötzlich die Funken sprühen? Abby gibt sich ihren Gefühlen hin - und riskiert, den besten Freund zu verlieren …


  • Erscheinungstag 23.09.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719456
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Style-Beraterin Abby Weiss begeistert die Modewelt. Bewundern Sie ihr neuestes Werk im Trendmagazin Finesse. Als perfekte Kulisse für ihre Arbeit dienten Weiss die paradiesischen Whitsunday Islands. Abby Weiss – das aufstrebende neue Talent am Modehimmel!

Abby konnte die Schlagzeilen schon vor sich sehen.

Im Grunde schwirrten sie ihr im Kopf herum, seit sie den Anruf von Marc Pyman erhalten hatte. Marc war der Chefredakteur von Finesse, und er hatte Abby ein unwiderstehliches Angebot unterbreitet: Sie sollte für die Sommerausgabe der Zeitschrift als Modestylistin arbeiten. Während des Fluges auf die Sapphire Islands und selbst nachdem sie ihre Suite im eleganten Resort-Hotel bezogen hatte, waren ihre Gedanken immer nur um diese Schlagzeilen gekreist.

Was Abby bisher von der Insel gesehen hatte, genügte, um ihre Fantasie zu beflügeln. Mit Kreativität und Fleiß müsste es ihr eigentlich gelingen, aus diesem Auftrag die Chance ihres Lebens zu machen. Marc hatte so eine Andeutung gemacht, und Abby wusste, dass er Recht hatte.

Selbst die Schrift der Schlagzeile erschien schon vor ihrem geistigen Auge. In großen fetten Lettern würde der Text in der Finesse stehen. Und Abby war klar, dass sie den Artikel ausschneiden und zu Hause in Sydney über ihren Schreibtisch hängen würde.

Da war sie also. Die Chance, auf die sie immer gewartet hatte.

Mit federnden Schritten durchquerte sie die Poolbar. Die vielen tropischen Pflanzen und exotischen Orchideen waren die perfekte Inspiration für das bevorstehende Fotoshooting.

Die Sapphire Islands hatten schon oft als Kulisse für Modestrecken gedient. Viele australische Designer ließen ihre neuesten Modelle hier ablichten. Und jedes Mal waren die Fotos ein Knaller. Zum Glück hatte Marc auch Abby professionelle Models zur Seite gestellt, was die Arbeit um einiges erleichtern würde.

„Das gibt es doch nicht! Was das Meer so alles zu Tage fördert!“

Abby wirbelte herum, als sie eine vertraute Stimme neben sich vernahm. Sie traute ihren Augen nicht.

„Du meine Güte! Ich glaube es nicht. Bist du es wirklich?“

Vor ihr stand Judd Calloway. Leibhaftig. Seit mehr als drei Monaten hatte sie nichts von ihm gehört. Eine ziemlich lange Zeit, wo sie doch eigentlich immer regelmäßig Kontakt hielten – auch wenn sich dieser Kontakt in den letzten acht Jahren auf Internet und Telefon beschränkt hatte. Acht Jahre. Acht Jahre seit ihrem Fehltritt am Abend der Schulabschlussparty. Zum Glück war es ihnen gelungen, diesen einmaligen Ausrutscher zu vergessen und stattdessen eine lange und enge Freundschaft aufzubauen. Eine Telefonfreundschaft, um genau zu sein. Aber was machte das schon.

Vergessen konnte manchmal hilfreich sein, zumindest war es das in all der Zeit gewesen, in der Abby nichts weiter als Judds Seelenfreundin gewesen war.

Jetzt streckte sie ungläubig eine Hand aus und tippte ihm zögernd an die Brust: Er fühlte sich echt an. Sehr echt sogar. Seine kräftigen Muskeln gaben unter ihrer Berührung kaum nach. „Was bitte machst du hier?“

Judd grinste. Seine hellbraunen Augen funkelten, und Abby antwortete instinktiv mit einem Lächeln. Unglaublich, dass er wirklich hier vor ihr stand.

„Was ist denn das für eine Art, seinen neuen Starfotografen zu begrüßen?“

„Wie, Starfotograf? Du meinst … Soll das heißen, dass Du das Shooting machst? Aber das sind Modefotos, Judd, keine Wildtieraufnahmen!“

Judd setzte sich auf den nächsten Barhocker und klopfte mit der Hand auf den Platz neben sich.

„Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich hab gestern Abend einige von deinen Leuten feiern sehen, und das sah nicht viel anders aus.“

„Das sind nicht ‚meine Leute‘. Ich arbeite nur mit ihnen.“

„Und du gehst mit ihnen aus“, neckte er. Dann griff er nach einer von Abbys Locken und strich sie ihr hinters Ohr. „Geschmäcker sind verschieden, stimmt’s?“

Abby versuchte gegen ihr Erröten anzukämpfen, doch es gelang ihr nicht. Judd hatte irgendetwas in ihr ausgelöst, das sie sich nicht erklären konnte.

Es war so lange her, dass er sie das letzte Mal berührt hatte. Abgesehen von ihren wirren Träumen, in die er sich in manch heißer Nacht eingeschlichen hatte.

„Da hast du recht. Geschmäcker sind verschieden. Es ist wohl ein Wunder, dass ich ausgerechnet zu dir noch Kontakt halte, was?“

Er lachte nur. Es war ein warmes, kehliges Lachen, das immer noch so klang wie damals.

„Jetzt erzähl schon, Judd. Ich dachte, du bist in Südafrika und fotografierst Wildkatzen? Was um alles in der Welt bringt einen begnadeten Wildtierfotografen dazu, Designermode abzulichten?“

Judd hatte Abby immer damit aufgezogen, dass sie in der Modebranche arbeitete. Seiner Meinung nach war das eine „oberflächliche Szene“, und er interessierte sich überhaupt nicht dafür. Nur irgendetwas oder irgendjemand Wichtiges konnte ihn also dazu bewogen haben, selbst hier zu arbeiten.

„Das werde ich dir noch früh genug verraten.“ Judd imitierte einen Kellner: „Was möchte die Dame trinken?“

„Wie immer, bitte.“

Judd grinste und um seine Augen herum bildeten sich sympathische Lachfältchen. „Das soll ein Test sein, oder?“

„Ganz genau.“

„Trinkst du etwa immer noch dieses scheußliche Gemisch? Wie damals in der Highschool? Wie furchtbar.“

„Genauso furchtbar wie die Tatsache, dass du dich noch daran erinnerst“, neckte Abby. Plötzlich musste sie lächeln, als sie an Judds alberne einzeilige Postkarten dachte. Nie hatte er auf einer seiner zahlreichen Reisen vergessen, ihr eine zu schicken. Was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass sie jede einzelne aufgehoben hatte?

Judd wandte sich an den Barkeeper: „Wasser mit einem Schuss Limonensirup für die Dame und ein Bier für mich. Danke.“

„Und, hab ich bestanden?“, fragte er mit einem Grinsen.

„Du hattest schon immer ein gutes Gedächtnis“, lobte Abby. Insgeheim war sie beeindruckt, aber das behielt sie lieber für sich. „Jetzt verrat mir endlich, was dich hierher führt.“

„Die glückliche Fügung hast du einer Freundin von mir zu verdanken. Sie hat mich gebeten, ihr den Gefallen zu tun und den Job anzunehmen. Sie wollte sich damit bei Marc Pyman bedanken, der ihr schon einige Aufträge vermittelt hat. Deshalb bin ich hier.“

Während Judd die Getränke entgegennahm, wiederholte Abby seine Worte im Stillen.

Eine Freundin. Er hatte eine Freundin gesagt.

Wer war diese mysteriöse Frau, auf die Judd offenbar so große Stücke hielt, dass er ihr zuliebe zum Modefotografen mutierte? Seit er Pier Point verlassen hatte, war es noch niemandem gelungen, ihn seine Wildtierleidenschaft auszutreiben.

Betont lässig nippte Abby an ihrem Glas.

„Kenne ich diese Freundin?“

„Wahrscheinlich. Paula macht eine Menge für Finesse.“

„Paula? Das australische Supermodel? Ja, wir haben ein paar Mal zusammen gearbeitet. Sie ist nett. Ich wusste nur nicht, dass ihr euch kennt.“

Judd trank einige Schlucke seines eiskalten Bieres. Zum Glück bemerkte er nicht, wie verärgert Abby darüber war, dass Paula so einen großen Einfluss auf ihren besten Freund hatte.

„Ich war in Südamerika, wo ich eine Fotostrecke über Anakondas gemacht habe. Danach bin ich einige Tage in Rio gewesen. Und dort habe ich Paula bei einem Bikinishooting kennengelernt.“

„Das hast du nie erzählt.“ Abby bemühte sich, ganz ungezwungen zu klingen. Es gelang ihr nicht wirklich. Aber wieso sollte Judd ihr eigentlich Rechenschaft darüber ablegen, mit wem er sich traf?

Judd zuckte die Achseln, und sofort wurde Abbys Aufmerksamkeit auf seine breiten Schultern gelenkt. Er war schon immer muskulös gewesen, doch jetzt wirkte er richtig durchtrainiert. Abby erinnerte sich wieder daran, wie er sich angefühlt hatte, an jenem Abend vor mehr als acht Jahren.

„Paula ist eine tolle Frau. Wir haben viel gemeinsam.“

„Ach ja?“

Es gelang Abby nicht, ein verächtliches Naserümpfen zu unterdrücken. Es war die pure Eifersucht. Bisher hatte ihr jede von Judds Eroberungen einen Stich versetzt, und insgeheim war sie jedes Mal überglücklich gewesen, wenn seine Beziehungen schon nach wenigen Wochen wieder in die Brüche gingen.

Natürlich hatte auch sie in der Zwischenzeit einige Männer kennengelernt. Aber es war nie der Richtige dabei gewesen, und letztendlich war es immer Judd gewesen, dem Abby von ihren Fehlgriffen berichtete. Manchmal hatten sie gemeinsam stundenlang über ihre Pannen und unmöglichen Verabredungen gelacht.

Warum nur verursachte ihr die Vorstellung, dass Judd mit dieser langbeinigen Paula ausging, einen so bitteren Geschmack im Mund? Vielleicht lag es ja nur an dem säuerlichen Limonenwasser, das sie gerade trank.

Wahrscheinlich.

Doch Abby kannte den wahren Grund: Obwohl ihm diese Frau angeblich nichts bedeutete, unterbrach Judd ihretwegen seine Reisen und kehrte zum ersten Mal seit Jahren wieder in die Heimat zurück. Das konnte kein gutes Zeichen sein.

„Ja. Paula und ich sind beide ständig unterwegs, und wir lieben dieses Gefühl. Uns hält nichts lange an einem Fleck. Und wir essen beide für unser Leben gerne Vanilleeis.“

Gott, wie rührend! Bitte nicht!

Vanilleeis? Willst du mich auf den Arm nehmen? Paula, die Bohnenstange, isst Eis?“

Judd runzelte die Stirn. Überrascht musterte er Abby. „Das ist doch gar nicht deine Art, so gehässig zu sein. Was ist denn los mit dir?“

Abby fühlte sich auf unangenehme Weise ertappt. Scheinbar war ihr die tropische Hitze zu Kopf gestiegen. Judd war doch ihr bester Freund. Sie hatte ihn seit acht Jahren nicht gesehen, und jetzt führte sie sich auf wie eine hysterische Ziege. Nur weil er eine neue Bekannte hatte. Eine äußerst attraktive Bekannte.

„Nichts ist los. Ich glaube, ich bin nur etwas müde.“

Judds Gesichtszüge entspannten sich wieder. Noch ehe Abby ihm ausweichen konnte, hatte er einen Finger unter ihr Kinn gelegt und hob sanft ihren Kopf. Er grinste: „Für mich klang es eher, als wärst du ein wenig eifersüchtig?“

„Dann stimmt etwas mit deinem Gehör nicht.“

Seine Berührung hatte Abby durcheinandergebracht. Ganz so wie damals.

Sie bemerkte, wie ihr Puls raste. Doch sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen, während er sich zu ihr hinüberbeugte und ihr tief in die Augen blickte. Er lächelte, bevor er einen flüchtigen Kuss auf ihre Nasenspitze hauchte.

„Ich hab dich vermisst, Miss Weiss.“

Der Duft seines Aftershaves hüllte sie ein. Es war eine warme männliche Note, die leicht nach Moschus roch. Abby musste zugeben, dass der Duft zu Judd passte.

In der Schule hatte er nie Parfum benutzt. Trotzdem hatte er schon damals herrlich gerochen. Sie musste es wissen, schließlich hatte sie das T-Shirt, das er ihr am Tag seiner Abreise vor acht Jahren geschenkt hatte, etwa einen Monat nicht gewaschen. Ab und an hatte sie es aus dem Schrank genommen und daran geschnuppert, und manchmal hatte sie sogar darin geschlafen.

Das Traurige war, dass Abby dieses T-Shirt immer noch aufbewahrte. Es lag zusammengelegt ganz unten in ihrer Wäscheschublade. Als Erinnerung an eine Zeit, in der sie noch dachte, dass Judd eines Tages mehr für sie empfinden könnte als nur Freundschaft.

Instinktiv wich Abby zurück. „Wie konntest du mich denn vermissen? Wir haben doch ständig telefoniert.“

„Eben. Wir haben immer nur telefoniert.“

Judd griff nach Abbys Hand. Seine warmen Finger schlossen sich um ihre. Abby fühlte, wie eine wohlige Welle des Glücks sie durchflutete. Sie hatte Judd so lange nicht gesehen. Und sie hatte seine Berührungen so oft herbeigesehnt. Die spielerischen Knuffe, das Händchenhalten und die schüchternen Umarmungen. In der Highschool waren er und sie unzertrennlich gewesen.

Natürlich hatte Judd recht. Telefonkontakt war eine völlig andere Sache als das hier.

„Es ist ganz schön lange her, Judd …“

„Acht Jahre.“

Abby nickte, während sie versuchte, mit dem Strohhalm nach den Eiswürfeln in ihrem Glas zu fischen. Sie verstand nicht, warum sie plötzlich so nervös war.

Der Mann neben ihr war doch nur Judd. Judd Calloway aus Pier Point.

Ihr bester Kumpel.

Wieso nur hatte sie plötzlich das Gefühl, dass irgendetwas zwischen ihnen anders war als früher? Eigentlich war es ihr doch gelungen, ihre Schwärmerei für ihn abzulegen. Sie war so glücklich gewesen, dass sie es trotz der großen Entfernung geschafft hatten, eine gute Freundschaft zu pflegen.

In den letzten Jahren war sie erwachsen geworden. Was für einen Grund gab es also, dass sie sich in seiner Gegenwart so unsicher fühlte? Lag es daran, dass er immer noch unverschämt gut aussah? So verdammt sexy?

Sie musste dringend das Thema wechseln. „Wie läuft es beruflich bei dir? Gefällt dir die Arbeit immer noch?“

„Mit Tieren zu arbeiten ist das Beste, was es gibt. Eines Tages solltest du mitkommen und es dir ansehen.“

Plötzlich ließ er ihre Hand los und griff hastig nach seinem Bier. Abby fragte sich, was so plötzlich das Lächeln aus seinem Gesicht getrieben hatte.

„Na ja, im Moment ist das eher schwierig. Wenn ich diesen Job hier gut mache, werde ich vielleicht richtig bei Finesse einsteigen.“

„Dann ist der Job also sehr wichtig für dich?“

„Auf jeden Fall.“ Es ist der Grund, weswegen ich am Morgen aufstehe.

Die Wahrheit war, dass Abby nicht viel mehr hatte außer ihrer Arbeit. Ihr bester Freund reiste in der Weltgeschichte herum, und außer ihren Kollegen hatte sie kaum Bekannte. Für die meisten von ihnen bestand das Leben ohnehin nur aus Partys.

Judds Reaktion auf ihre Worte überraschte sie. Er schien irgendwie enttäuscht zu sein. Dabei war die Arbeit doch auch für ihn das Wichtigste, oder etwa nicht? Warum sonst war er acht Jahre lang nicht zu Hause gewesen?

„Auf uns und auf eine erfolgreiche Woche.“ Judd prostete ihr zu.

Eine Woche. Eine ganze Woche mit dem Mann, den sie so sehr vermisst hatte und dem es immer noch gelang, ihr ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.

„Gut, trinken wir darauf.“

Als sie miteinander anstießen, bildete sich ein kleiner Riss in Abbys Glas. Hoffentlich kein schlechtes Omen, dachte sie.

Vielleicht war sie in letzter Zeit zu streng mit sich gewesen. Vielleicht hatte sie zu lange niemanden mehr kennengelernt.

Vielleicht würden schon diese paar Tage mit Judd ausreichen, um sie wieder glücklich und zufrieden zu machen.

Doch was auch immer dieses nervöse Kribbeln in ihrem Bauch auslöste, sie musste es schnellstens loswerden. Judd bedeutete ihr viel, und keinesfalls wollte sie seine Freundschaft aufs Spiel setzen.

Um nichts in der Welt.

2. KAPITEL

Judd fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und starrte in sein Spiegelbild auf der anderen Seite der Bar.

Er hatte sich in den letzten acht Jahren kaum verändert. Gut, er war reifer und erwachsener geworden. Aber er war immer noch derselbe Mann. Warum also hatte Abby ihn angestarrt, als hätte sie einen Geist gesehen?

Er hatte erwartet, dass sie überglücklich sein würde, ihn nach all der Zeit wiederzusehen. Gefreut hatte sie sich natürlich. Und doch spürte er, dass etwas mit ihr nicht stimmte.

Obwohl ihr letztes Gespräch schon einige Monate zurücklag, wusste Judd, dass er Abby fast besser kannte als sie sich selbst. Schon mehrfach hatte es ihn erschreckt, wie vertraut sie miteinander umgingen.

Zum Glück war Abby anders als die meisten Frauen. Sie erwartete nichts von ihm. Es genügte ihr, seine beste Freundin zu sein. Wenn sie jemals mehr von ihm verlangt hätte, wäre er geflüchtet. So wie damals, vor acht Jahren.

„Na, bewunderst du mal wieder dein Spiegelbild? Du hast dich überhaupt nicht verändert.“

Verwirrt drehte er sich zu Abby um. Er hatte nicht bemerkt, wie sie von der Damentoilette zurückgekommen war. Jetzt nahm sie wieder auf ihrem Barhocker Platz und lächelte ihn an. Für einen Moment glaubte er in ihren Augen zu versinken.

Sie hatten sich immer mal wieder Fotos zugeschickt. Er wusste also, dass Abby ihre Haare immer noch lang trug und dass sie eine Schwäche für viel zu teure Designerfummel hatte. Doch sie jetzt hier in Fleisch und Blut vor sich zu sehen, war etwas völlig anderes. Und es gefiel ihm.

Auf den Fotos, die sie ihm geschickt hatte, war nie ihr ganzer Körper zu sehen gewesen. Judd ließ seinen Blick unauffällig über ihre langen Beine, die schmale Taille und den hübschen Busen wandern. Die sportliche Figur von damals war weiblicheren Kurven gewichen, die ihr ausgesprochen gut standen. Und er wäre kein Mann gewesen, hätte er es nicht bemerkt. Freundschaft hin oder her.

„Ich habe noch nie mein eigenes Spiegelbild bewundert“, versuchte er sich zu verteidigen. Er war sich nicht sicher, ob Abby ihm das abkaufte. Sie wusste so einiges über seine Vergangenheit.

Amüsiert hob sie eine Augenbraue. „Ach ja? Ich erinnere mich dunkel, wie du einmal vor meinem großen Spiegel posiert hast, nachdem du aus dem Fitnessstudio kamst. Und dann hast du dir einmal dieses schicke neue Hemd gekauft, an dem du dich nicht satt sehen konntest …“

„Schon gut, schon gut. Verschone mich.“

Abwehrend hob er die Hände. Abby versuchte sie lachend wieder herunterzuziehen. Die Berührung überraschte sie beide gleichermaßen. Die spielerische Geste schien sekundenlang nachzuklingen.

Mit einem unbeholfenen Grinsen hoffte Judd von seiner eigenen Unsicherheit abzulenken. Und er hatte gedacht, er wäre über sie hinweg! Scheinbar hatte er sich geirrt.

„Du hast ein Gedächtnis wie ein Elefant, Abby Weiss. Ich möchte nicht wissen, woran du dich sonst noch so erinnerst.“

„Du wärst überrascht“, erwiderte sie, selbst verwundert darüber, wie dunkel ihre Stimme plötzlich klang. Sie prostete ihm zu und strahlte. Auf ihren glänzenden Lippen lag ein wissendes Lächeln.

Judd wollte gerade sein Bierglas zum Mund führen, als ihm klar wurde, dass sie allen Ernstes versuchte, mit ihm zu flirten.

Das hatte sie noch nie getan. Sie hatten sich geneckt, aufgezogen, sich einander das Herz ausgeschüttet. Aber noch niemals geflirtet.

So etwas machten gute Freunde nicht. Mit den Jahren war es ihm fast so vorgekommen, als hätte es den einen Moment auf der Abschlussfeier überhaupt nicht gegeben. Und das war vermutlich auch besser so.

Warum also gefiel ihm ihr Flirten? Weil er das prickelnde Gefühl genoss, dieses Kribbeln und die plötzliche Wärme in seinem Körper?

„Soso, das nennt der Chef also Arbeit. Man sieht’s.“

Hinter Judd war wie aus dem Nichts sein Assistent aufgetaucht. Tom Bradley begrüßte ihn, indem er ihm auf die Schulter klopfte. Judd wusste nicht, ob ihm die plötzliche Störung willkommen war oder ob sie ihn ärgerte.

„Ich bin gerade mitten in einer wichtigen Besprechung“, erklärte Judd eilig. Er warf Abby einen Blick zu, der ihr zu verstehen gab, dass er gleich wieder für sie da sein würde. Zufrieden stellte er fest, wie sie daraufhin errötete. Sie hatte zwar mit dem Flirten angefangen, aber sie schien immer noch ein wenig schüchtern zu sein. „Tom, darf ich vorstellen: Abby Weiss, unsere begnadete Stylistin.“

Toms verblüffter Gesichtsausdruck ließ Judd seinen Hocker instinktiv näher an Abby heranrücken. Zu spät wurde ihm klar, was er da gerade tat.

„Freut mich sehr, dich kennenzulernen“, sagte Tom und reichte Abby die Hand. Dann zog auch er sich einen Barhocker heran.

„Freut mich ebenfalls.“ Abbys Stimme klang völlig natürlich, sympathisch und höflich. Ganz normal also.

Dennoch spürte Judd zu seinem Erstaunen Eifersucht in sich aufsteigen. „Abby und ich sind zusammen zur Schule gegangen“, erklärte er kühl.

Toms Augen weiteten sich vor Überraschung. „Die Abby?

Deine gute Freundin Abby?“

Judd nickte. „Genau die.“

Toms Blick wanderte zwischen ihm und Abby hin und her. „Ist das nicht toll? Nach so vielen Jahren könnt ihr beide endlich mal zusammen arbeiten.“

Abby lachte. „Ich frage mich, was dir Judd über mich erzählt hat. Hoffentlich nur Gutes.“

„Ausschließlich nur Gutes.“ Tom grinste. Dann winkte er dem Barkeeper und bestellte ein Bier. Schließlich widmete er Abby wieder seine volle Aufmerksamkeit. „Allerdings konnte er nicht in Worte fassen, wie bezaubernd du wirklich bist.“

„Oh, vielen Dank. Nett von Ihnen“, flachste Abby und kokettierte übertrieben mit ihrem Augenaufschlag. Sie und Tom kicherten, während Judd versuchte, seine Eifersucht zu zügeln.

Wahrscheinlich war er nur durcheinander von dem langen Flug. Er hatte sich doch sonst immer ganz normal mit Abby über ihre verflossenen Liebhaber unterhalten können. Gemeinsam hatten sie sich noch darüber lustig gemacht. Wie kam es nur, dass es ihn auf einmal störte, sie mit einem anderen Mann lachen zu sehen?

„Ihr beide wart also schon immer befreundet?“

„Schon immer“, bestätigte Judd, dankbar darüber, dass Tom das Thema wechselte.

Ihm war schon mehrfach aufgefallen, mit welcher Leichtigkeit sein attraktiver Assistent Frauen um den Finger wickelte. Tom war groß und blond, eine nordische Erscheinung. Und Judd wusste nicht, wie Abby auf seine Verführungskünste reagieren würde.

Was geht dich das überhaupt an?

Judd merkte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Ein angenehmer Schauer jagte ihm über den Rücken, als er Abbys bezauberndes Lächeln, ihr wallendes Haar und die attraktive Figur betrachtete. Was war nur los mit ihm?

„Und, wart ihr jemals mehr als nur Freunde?“

Abby gab einen Laut von sich, der sich wie eine Mischung aus Hüsteln und Schnauben anhörte. Dann versteckte sie sich hastig hinter ihrem Glas. Sie erwartete, das Judd darauf antwortete.

Toms Frage ließ den Abend, an dem Abby und er sich so leidenschaftlich in den Armen gehalten hatten, wieder lebendig werden. Und Judd hatte nicht die Absicht, seinem Assistenten davon zu erzählen.

Es war einfach zu gefährlich gewesen, damals. Seine Gefühle hatten ihn überwältigt. Nie hätte er gedacht, dass er zu so starken Empfindungen fähig sein könnte. Viel zu sehr hatte er es genossen, Abbys Körper so nah an seinem zu spüren. Damals hatte er alles auf die Hormone geschoben. Welcher 18-Jährige hätte nicht die Gelegenheit ergriffen, einem der attraktivsten Mädchen der Schule näher zu kommen?

Allerdings war Judd von der Intensität seiner Gefühle völlig überrumpelt gewesen. Und dann Abbys unglaubliche Reaktion auf seine Küsse: ihr zärtlicher Blick, ihre Wärme. Das alles hatte ihn Reißaus nehmen lassen. Und bis heute war er nicht zurückgekehrt.

Er warf Tom einen mahnenden Blick zu. „Du bist ganz schön neugierig. Heb dir deine Fragen fürs nächste Mal auf. Wir müssen in einer knappen Stunde für die ersten Aufnahmen unten am Strand sein. Also beweg dich, hol die Ausrüstung. Wir treffen uns gleich unten.“

„Aye-aye, Sir!“ Tom verdrehte die Augen und wandte sich an Abby. „Es war schön, dich kennenzulernen. Ich freue mich jetzt schon auf unsere Zusammenarbeit.“

„Ebenfalls.“

Judd wartete, bis Tom den Raum verlassen hatte. Dann beugte er sich zu Abby hinüber und flüsterte ihr ins Ohr: „Und, sind wir?“

Ihre blauen Augen weiteten sich unmerklich, als sie endlich verstand, was er meinte. Dennoch stellte sie sich dumm. „Sind wir was?“

„Mehr als nur Freunde gewesen?“

„Das wüsste ich gerne von dir.“ Mit Schwung warf Abby ihr Haar zurück.

Judd lachte. Plötzlich war es ihm peinlich, dass er so eifersüchtig auf Toms Annäherungsversuche reagiert hatte.

„Ich könnte mir vorstellen, dass du dich an diesen großartigen Moment gar nicht mehr richtig erinnern kannst, was?“

„Da hast du recht.“ Unruhig nestelte Abby am Saum ihres Rockes. Als sie Judds Blick auf ihre Finger gerichtet sah, strich sie den Stoff glatt und bemühte sich, ihre Hände still zu halten. „So toll war es nun auch wieder nicht.“

„Lügnerin“, murmelte Judd lächelnd. Dann legte er seine Hände auf ihre. Er spürte Abbys Wärme und ihren Puls. Dazu kam noch die Tatsache, dass seine Hände nur wenige Millimeter von ihren nackten Beinen entfernt waren.

Ob ihre Haut wohl genauso zart war, wie er sie in Erinnerung hatte?

Ob sie sich wohl weich und warm anfühlte?

Ob eine Berührung ihrer Schenkel wohl der Auftakt zu mehr sein würde?

„Na gut, du hast mich erwischt. In Wirklichkeit warst du der beste Küsser, den ich je hatte. Bist du jetzt zufrieden?“

Abby versuchte ihre Sitzposition zu verändern, und Judd nahm seine Hände wieder fort. Er fühlte sich etwas benommen.

„Zufrieden wäre ich, wenn ich dir glauben könnte.“ Er zwang sich zu einem Lachen und bemühte sich, Abby nicht in die Augen zu sehen. Sicherlich tat sie nur so unnahbar. Vielleicht ging es ihr ja genauso wie ihm?

Was war nur los?

Der heiße Kuss aus Jugendtagen war längst Vergangenheit. Seit acht Jahren waren er und Abby nur gute Freunde. Wieso geriet sein Blut bei ihrem Anblick auf einmal dermaßen in Wallung?

Abby leerte ihr Glas und stellte es eine Spur zu laut auf der Theke ab. Dann glitt sie von ihrem Barhocker. „So gerne ich auch bleiben und dir weiterhin Komplimente machen würde: Ich muss jetzt leider an die Arbeit. Wir sehen uns dann gleich am Strand.“

„Alles klar, Boss.“

„Das will ich hoffen.“ Abby winkte ihm beim Verlassen der Bar über die Schulter zu. Judd betrachtete ihre hübschen Beine, ihren Gang, die Art, wie ihr kurzer Rock die Hüften umspielte. Seine Aufmerksamkeit wurde immer mehr darauf gelenkt, was sich wohl darunter verbarg.

Er spürte Verlangen in sich aufsteigen.

Wie um die Gedanken an Abby zu vertreiben, fuhr er sich mit dem Handrücken über die Augen. Dann griff er nach seiner Fotoausrüstung und verließ ebenfalls die Bar.

Er konnte keine Komplikationen in seinem Leben gebrauchen.

Stellte die neue, die verführerische Abby genau das für ihn dar? Eine Komplikation? Er würde es nicht so weit kommen lassen.

Abby durchstöberte ein Dutzend Bikinis und Sarongs. Sie konzentrierte sich auf deren Stil und Farbe. Viele Muster imitierten Zebra- oder Tigerfelle, und die Modelle sahen aus, als wären sie gerade aus Paris oder Mailand eingeflogen worden. Abby liebte große Muster auf klassischen Schnitten.

Sie lächelte, während sie ein sexy Bikini-Oberteil mit einer fast knabenhaften Shorts kombinierte. Sie genoss es, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Ihre künstlerische Ader in Verbindung mit ihrem Stilgefühl ermöglichte es ihr, für jede Saison die richtigen Kombinationen zu finden. Und wenn sie den Lesern von Finesse Glauben schenken durfte, dann gefielen denen ihre Kreationen ebenso gut wie Marc Pyman. Warum sonst hätte er sie wohl engagiert?

Abby fragte sich, wie es Judd eigentlich fand, dass sie mittlerweile so erfolgreich war. Er hatte sie in der Vergangenheit immer wieder damit aufgezogen, dass sie für die Modeindustrie arbeitete. Einmal hatte er sie sogar „Barbie“ genannt, nur um sie zu ärgern. Und obwohl Abby sich stets verteidigte, wusste sie, dass ihre unterschiedlichen Ansichten genauso zu ihrer Freundschaft gehörten wie die vielen Gemeinsamkeiten.

Während sie an Judd dachte, tauchten erneut die Bilder ihres Wiedersehens vor ihrem geistigen Auge auf. Sie war völlig verblüfft gewesen, als er plötzlich vor ihr gestanden hatte. Oh, er sah so unglaublich gut aus! Seine gebräunte Haut ließ die hellbraunen Augen grünlich schimmern, sein kräftiges dunkles Haar reichte bis zum Hemdkragen. Und dazu dieses umwerfende Lächeln. Ganz klar, Judd konnte jede Frau haben, die er wollte. Aber auf gar keinen Fall würde Abby ihn darin noch bestätigen!

„Welchen Bikini soll ich anziehen? Sag jetzt bitte nicht den Tanga …“

Autor

Nicola Marsh
Als Mädchen hat Nicola Marsh davon geträumt Journalistin zu werden und um die Welt zu reisen, immer auf der Suche nach der nächsten großen Story. Stattdessen hat sie sich für eine Karriere in der Gesundheitsindustrie entschieden und arbeitete dreizehn Jahre als Physiotherapeutin

Doch der Wunsch zu schreiben ließ sie nicht los...
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