Heißer Kuss, kaltes Herz

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Es ist die Story ihres Lebens! Als Journalistin Emma über den geheimnisvollen Nikolai Cunningham schreiben will, sprühen zwischen ihr und dem Banker heiße Funken. Eine süße Winternacht gibt sie sich ihm bedingungslos hin – doch anschließend ist Nikolai plötzlich kalt wie Eis …


  • Erscheinungstag 29.06.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751522687
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Wind seines Heimatlandes blies Nikolai Cunningham eisig ins Gesicht, während er auf den Zug wartete, mit dem Emma Sanders eintreffen sollte. Die am Himmel hängenden schweren grauen Wolken versprachen noch mehr Schnee und passten zu seiner Verärgerung darüber, dass sich eine wildfremde Person in sein Leben einmischte und ihn zwang, nach so vielen Jahren wieder nach Russland zurückzukehren. Als er mit seiner Mutter nach New York ausgewandert war, war er zehn Jahre alt gewesen, und bis zum heutigen Tag wurde sein Leben von den Ereignissen überschattet, die diesem Umzug vorausgegangen waren.

Während der Zug rumpelnd in den Bahnhof einfuhr, machte er sich auf ein paar schlimme Tage gefasst. Sein Leben spielte sich in New York ab, und er hatte nie vorgehabt, jemals wieder nach Vladimir zurückzukehren. Bis seine Großmutter wie ein Geist aus der Vergangenheit aufgetaucht war und der Zeitschrift World in Photographs ihre Familiengeschichte angeboten hatte.

Auf der Suche nach einem Gesicht, das Ähnlichkeit mit dem Foto aufwies, das er im Internet von Miss Sanders gefunden hatte, beobachtete er, wie die Reisenden ausstiegen. Und dann entdeckte er sie, dick eingemummelt gegen die Kälte, auf dem Kopf eine tief in die Stirn gezogene Mütze aus Kunstpelz und um den Hals einen dicken Schal. Nervös blickte sie sich um, wobei sie mit einer behandschuhten Hand den Griff ihres kleinen Rollkoffers umklammerte. Schnell schlug er seinen Mantelkragen gegen die Kälte hoch und ging ihr entgegen, entschlossen, diese Sache möglichst schnell hinter sich zu bringen.

„Miss Sanders.“ Direkt vor ihr blieb er stehen und registrierte, dass sie fast so groß war wie er, was er seltsam erfreulich fand.

„Mr. Petrushov?“ Ihre Stimme war frisch und klar wie ein kalter Wintermorgen, während ihre moosgrünen Augen Erinnerungen an die dichten russischen Sommerwälder in ihm weckten. Völlig in ihren Anblick versunken, bemerkte er erst jetzt, dass sie ihn angesprochen hatte.

Die Dame hatte offenbar ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Nikolais Verärgerung nahm zu. Bereits vor siebzehn Jahren hatte er seinen Geburtsnamen abgelegt und hieß seitdem Cunningham wie sein Stiefvater.

„Cunningham“, korrigierte er sie schroff. „Nikolai Cunningham. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise?“

„Oh, entschuldigen Sie … ja, danke, die Reise war gut, Mr. Cunningham.“ Obwohl er sah, dass sie irritiert die dunklen Augenbrauen zusammenzog, dachte er gar nicht daran, ihr zu erklären, wie er als gebürtiger Russe zu einem typisch amerikanischen Nachnamen kam. Das ging sie nichts an.

Er musterte die junge Frau, von deren Gesicht nur die obere Hälfte mit den strahlend grünen Augen sichtbar war, während die Mundpartie weitgehend von ihrem dicken Schal verdeckt wurde. „Und Sie müssen Miss Sanders von World in Photographs sein.“ Die vorhat, in der Vergangenheit meiner Familie herumzuwühlen, fügte er in Gedanken hinzu.

„Bitte, nennen Sie mich Emma.“ Sie streckte ihm eine behandschuhte Hand hin, die er jedoch übersah, immer noch abgelenkt von ihren Augen.

In seine Verärgerung mischte sich Irritation. Er fühlte sich doch nicht etwa zu ihr hingezogen? Unmöglich. Sie wäre wirklich die allerletzte Frau, die ihn interessieren sollte. Allein durch ihre Anwesenheit hier in Vladimir konnte sie seiner Mutter richtig wehtun, und er war gekommen, um genau das zu verhindern.

„Lassen Sie uns ins Warme gehen“, schlug er vor. „Ich war so frei, mir im selben Hotel wie Sie ein Zimmer zu nehmen, das dürfte manches vereinfachen.“

„Danke.“ Sie lächelte ihn an, und er lächelte zufrieden zurück. Die erste Runde ging an ihn. In ein paar Tagen konnte er diesen Unsinn vergessen und beruhigt nach New York zurückfliegen. „Sehr aufmerksam von Ihnen.“

„Das Hotel hat eine bequeme Lounge, da können wir ungestört über alles reden, was Sie für Ihren Artikel brauchen.“

„Gute Idee.“ Der dicke Schal dämpfte ihr leises Auflachen, aber er sah das belustigte Glitzern in ihren Augen. Das weckte Empfindungen in ihm, die stark im Widerspruch zu der Wut standen, die in ihm gärte, seit er erfahren hatte, dass seine Großmutter vorhatte, ihre Familiengeschichte an diese Zeitschrift zu verkaufen.

„Gestatten Sie …“ Er streckte die Hand nach ihrem Gepäck aus, zufrieden darüber, dass es sich dabei nur um einen kleinen Koffer und ihre Fototasche handelte. Das bedeutete, dass sie nicht vorhatte, länger zu bleiben als die drei Tage, die World in Photographs mit ihm und seiner Familie vereinbart hatte.

Seine Familie. Was für ein Witz.

„Danke.“ Als sie jetzt mit ihrer behandschuhten Hand ihren Schal etwas nach unten schob, sah er, dass sie wieder lächelte. Was erneut eine höchst beunruhigende Wirkung auf ihn hatte. Plötzlich verspürte er den unwiderstehlichen Drang, diesen Mund zu küssen. Was soll das denn jetzt? dachte er grimmig und schob den Gedanken rigoros beiseite. Das war garantiert nicht der richtige Zeitpunkt, seinem Begehren freien Lauf zu lassen, und erst recht nicht die richtige Frau.

„Hier entlang, Miss Sanders“, sagte er und schlug damit ihr Angebot, sie bei ihrem Vornamen zu nennen, absichtlich aus. Dabei ging er mit langen Schritten auf das Hotel zu, in dem sie beide abgestiegen waren.

Jetzt, da er Emma Sanders kennengelernt hatte, zweifelte er nicht mehr daran, dass er auf seine Art mit ihr fertigwerden würde. Dabei galt es nur zu verhindern, dass er ihrem Charme erlag und sich ablenken ließ.

„Sie sind diese Kälte ja wahrscheinlich gewöhnt, aber für mich ist es ein Schock“, bemerkte sie, während sie das Hotel betraten. Hier herrschte eine intime und romantische Atmosphäre, die seinen Zielen gewiss dienlich war.

„Ich wohne in New York, Miss Sanders.“

„Oh“, sagte sie. Sobald sie die Lounge betreten hatten, wo im Kamin ein gemütliches Feuer loderte, zog sie sich die Pelzmütze vom Kopf. „Entschuldigen Sie, aber ich dachte, dass Sie ebenso wie Ihre Großmutter hier leben.“

Er beobachtete, wie sie ihren Schal abwickelte, wobei ihr langes, glattes nerzbraunes Haar zum Vorschein kam. Mit der Folge, dass er sich für einen winzigen Moment vergaß und von Verlangen übermannt wurde. Erzürnt über sich selbst, schüttelte er den Kopf.

„Man sollte nie etwas als gegeben betrachten, Miss Sanders.“ Nur mit Mühe gelang es ihm, einen einigermaßen neutralen Ton anzuschlagen. Sie war eine schöne Frau, und seine Reaktion auf sie führte dazu, dass seine Stimme plötzlich verdächtig heiser klang.

Sie zog die schmalen Augenbrauen zusammen und musterte ihn forschend. „Da erzählen Sie mir nichts Neues, Mr. Petrushov. Es ist eine Lehre, die mir das Leben selbst erteilt hat.“

„Cunningham“, korrigierte er sie erneut, aber etwas an der Art, wie sie gesprochen hatte, und der gehetzte Ausdruck, der dabei über ihr schönes Gesicht gehuscht war, bewirkten, dass er ein schlechtes Gewissen bekam. Er sollte nicht so hart, so aggressiv sein. Jedenfalls nicht, wenn er das Geheimnis seiner Familie vor ihr verbergen wollte. Vielleicht sollte er die Anziehung nutzen, die zweifellos zwischen ihnen bestand, um so für die gewünschte Ablenkung zu sorgen. Ihre Bemerkung schien ein Hinweis darauf, dass das Leben es nicht immer gut mit ihr gemeint hatte. Aber er widerstand dem Drang nachzufragen, weil dieser Schuss auch nach hinten losgehen konnte.

„Da haben wir ja schon etwas gemeinsam.“ Er zog Mantel und Mütze aus und hängte beides auf. Als er ihr ihre Sachen abnahm, berührten sich ihre Finger. Er verspürte einen Stromstoß, und während sie die Hand zurückzog, schaute sie ihn aus großen grünen Augen überrascht an. Ihre vollen glänzenden Lippen waren leicht geöffnet, und er verspürte den fast übermächtigen Drang, sie zu küssen. Nicht sanft oder zärtlich, sondern hart und fordernd. Die Art Kuss, die üblicherweise zu heißem, leidenschaftlichem Sex führte.

He, was, zum Teufel, war nur in ihn gefahren?

Als sie einen Schritt zurücktrat, sah er, dass ihre Wangen rot und ihre Augen dunkel geworden waren. Sie hatte dasselbe gefühlt wie er, so viel war klar. Bei jeder anderen Frau hätte er jetzt nicht mehr gezögert. Aber sie war nicht jede andere Frau. Sie konnte die schmutzigen Geheimnisse seiner Familie ans Licht der Öffentlichkeit zerren, und damit stand nicht nur das Glück seiner Mutter, sondern auch sein eigener Ruf auf dem Spiel. Das durfte er auf keinen Fall zulassen.

„Jaja, das stimmt. Wir … wir verstehen uns perfekt“, stammelte sie, was ihn erleichtert aufatmen ließ. Vielleicht hatte er ja Glück, und die gegenseitige Anziehungskraft ließ sich in seinem Sinne nutzen.

Emma hasste es, dass sie kaum einen zusammenhängenden Satz herausbrachte, während Nikolai Cunningham sie eingehend musterte. Er hatte sie vom ersten Moment an verwirrt, sie war total aufgewühlt. Als ob ein Funke des Wiedererkennens von ihm auf sie übergesprungen wäre und sie unaufhaltsam näher an ihn heranzöge.

Sie dachte an Richard, den Mann, von dem sie sich immer gewünscht hatte, dass er mehr wäre als nur ein Freund, und verglich ihn mit diesem atemberaubend männlichen Exemplar der Spezies Mann vor ihr. Richard sah zweifellos gut aus, aber seine Attraktivität war nichts gegen den nahezu tödlichen Sexappeal dieses Mannes. Bei dem Gedanken erschauerte sie. Er hielt ihren Blick fest, und sie musste sich vergegenwärtigen, dass er der Schlüssel zu ihrem Erfolg war. Wenn sie mit diesem Auftrag bei World in Photographs eine ordentliche Arbeit ablieferte, hatte sie eine gute Chance auf einen festen Arbeitsvertrag.

Und damit auf ein geregeltes Einkommen. Was sie auch dringend benötigte, wenn sie ihr Versprechen halten und ihre kleine Schwester Jess weiterhin bei deren sehnlichstem Wunsch, Ballerina zu werden, unterstützen wollte. Sie und Jess waren in wechselnden Pflegefamilien aufgewachsen. Sie hatten beide kämpfen müssen, und Emma fand, dass Jess ein bisschen Glück verdient hatte. Wie sie selbst auch, aber wenn Jess glücklich war, reichte das für sie beide.

Der große dunkelhaarige Mann, dessen Anblick ihr soeben einen Schauer über den Rücken gejagt hatte, war anfangs sehr kalt gewesen. Doch in den letzten Minuten hatte sich etwas Grundlegendes verändert. Wenn er sie anschaute, wurde ihr ganz heiß, und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. So etwas war ihr bei Richard noch nie passiert.

„Ich werde Sie zu dem Treffen mit Marya Petrushov begleiten, aber vorher möchte ich Ihnen noch ein paar Orte zeigen, wo Sie Fotos machen können.“ Irgendetwas in seinem Tonfall sagte ihr, dass es wenig ratsam war, ihn um mehr zu bitten, besonders nicht im Zusammenhang mit seiner Großmutter, weil es ganz offenbar noch viele unerledigte Dinge zwischen ihnen gab.

Sie zwang sich, ihre Neugier vorerst zu bezähmen, reckte das Kinn und schaute ihm fest in die Augen. „Fotos von Orten sagen nicht allzu viel aus, Mr. Petrushov. Deshalb hätte ich auch gern welche von Ihnen und Ihrer Großmutter … und vielleicht noch von ein paar weiteren Familienmitgliedern.“

Sie hatte den Auftrag, den Leserinnen und Lesern von World in Photographs einen Einblick in das Leben einer reichen russischen Familie zu vermitteln. Wenn sie diesen Anforderungen nicht gerecht wurde, konnte sie die Aussicht auf einen festen Arbeitsvertrag vergessen. Ebenso wie Jess ihren Platz an der vielgerühmten Ballettschule im russischen Perm.

Und als sie Nikolai jetzt anschaute, begann sie fast daran zu zweifeln, dass das Schicksal es mit ihr und Jess tatsächlich gut meinte. Der Mann dominierte die große Lounge, und es wirkte, als hätte hier außer ihm nichts mehr Platz. Er war der Mittelpunkt und beherrschte alles.

Und er schüchterte sie ein, obwohl sie entschlossen war, sich nichts anmerken zu lassen. Bei einem Mann wie ihm Schwäche zu zeigen wäre bestimmt keine gute Idee. Nein, um den so dringend benötigten Erfolg zu haben, musste sie ihm auf Augenhöhe begegnen.

„Außer uns gibt es keine Familienmitglieder, Miss Sanders.“ Er steuerte auf eine Sitzgruppe mit komfortabel wirkenden Sesseln vor dem Kamin zu. Während sie ihm folgte, ermahnte sie sich, sich auf keinen Fall von ihm entmutigen zu lassen. Sie plante, eine Woche in Russland zu bleiben, weil sie auch noch vorhatte, Jess in Perm zu besuchen.

Er bedeutete ihr, sich zu setzen, und nahm den Sessel neben ihrem, wobei plötzlich seine langen Beine in ihr Blickfeld ragten. Durch die Art, wie er sie ansah, fühlte sie sich verunsichert wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie versuchte, in seinen dunklen Augen zu lesen, aber diese gaben nichts preis.

„Ein Foto von Ihnen und Ihrer Großmutter …“ Sie brach ab, als er sich so weit vorbeugte, dass sie sich auf intime Art nah waren. Zu nah, um den Satz zu vollenden.

„Nein.“ Das klang endgültig. Und vor allem wütend. Dann, als ob ihm klar geworden wäre, wie hart und unbeugsam er geklungen haben musste, lehnte er sich zurück und erklärte: „Ich habe meine Großmutter seit vielen Jahren nicht gesehen, deshalb wird ein liebevolles Familienfoto nicht möglich sein, Miss Sanders.“

Das lief nicht gut. Wo sollte sie jetzt das Material für ihren Artikel herbekommen? Seine blitzenden Augen ließen keinen Zweifel daran, dass er das, was er eben gesagt hatte, auch wirklich so meinte.

„Schauen Sie, Mr. Petrushov … Verzeihung, Mr. Cunningham.“ Als sie sah, wie er die Kiefer zusammenpresste, wusste sie, dass ihr dieser Lapsus nicht noch einmal unterlaufen durfte. Aber einschüchtern lassen wollte sie sich auch nicht. „Ich weiß nicht, was für ein Problem Sie mit mir haben, ich mache hier nur meinen Job. Ihre Großmutter hat der World in Photographs Ihre Familiengeschichte angeboten, und ich bin vom Verlag beauftragt, diese festzuhalten.“

In der Hoffnung, seiner Dominanz mit ihrer Entschlossenheit etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen, starrte sie ihn an. Dabei fragte sie sich, warum sie überhaupt eingewilligt hatte, ein Interview zu führen, obwohl sie ja eigentlich Fotografin war. Die Antwort war einfach: Sie wollte, dass der Traum ihrer Schwester in Erfüllung ging.

Forschend musterte er ihr Gesicht und verharrte dabei ein wenig zu lange auf ihren Lippen. Die Atmosphäre zwischen ihnen knisterte, und plötzlich schien die Welt um sie herum stillzustehen. Es dauerte eine ganze Weile, bis es ihr gelang, den Blick von ihm loszureißen. Jetzt war kein guter Zeitpunkt, sich von einem Mann angezogen zu fühlen, insbesondere von diesem Mann.

Ihre gesamte Teenagerzeit hindurch hatte sie sich an ihren Schwur gehalten, sich nie von einem Mann den Kopf verdrehen zu lassen. Bis sie vor zwei Jahren Richard, einen Fotografen, kennengelernt hatte. Sie hatte gehofft, ihre Freundschaft möge sich in etwas anderes verwandeln, doch vergebens. Und so war ihr nichts anderes übrig geblieben, als vom Spielfeldrand aus frustriert zuzuschauen, wie er sich mit anderen Frauen verabredete.

„Es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass in meiner Familie niemand unter Ihrem Eindringen in unsere Privatsphäre leidet, Miss Sanders.“ Seine dunklen Augen funkelten hart. Aber die alte Dame war doch aus eigenem Entschluss auf die World in Photographs zugekommen. Wie konnte sie da leiden?

„Es liegt mir fern, irgendwem zu nahe zu treten.“ Sie schaute ihm in diese mitternachtsschwarzen Augen und ermahnte sich, dass sich Feuer nicht mit Feuer bekämpfen ließ. Wenn sie versuchte, an Härte und Kompromisslosigkeit mit ihm gleichzuziehen, konnte sie diesen Auftrag gleich vergessen. Kurz blickte sie auf ihre Hände, bevor sie ihm unter dichten Wimpern hervor einen versteckten Blick zuwarf. „Bitte entschuldigen Sie. Können wir noch mal von vorn anfangen?“

Nikolai war perplex. Eben noch hatten ihre Augen vor Empörung gefunkelt, doch dann war sie innerhalb von Sekundenbruchteilen weich und nachgiebig geworden. Da musste man ja misstrauisch werden. Sie spielte Spielchen mit ihm.

Dennoch konnte er nicht widerstehen und fragte: „Müssen wir dann auch noch mal raus in die Kälte und Hände schütteln?“ Sie belohnte ihn mit einem zarten Erröten.

„Nein.“ Als sie leise auflachte, leuchteten ihre Augen wie junges Grün, auf dem sich die Strahlen der Frühlingssonne brachen. „Aber vergessen wir einfach, was bisher gesagt wurde, und fangen wir noch mal von vorn an. Wir könnten etwas Heißes trinken und dabei überlegen, wie wir uns am besten entgegenkommen können.“

Jetzt war er wirklich überrascht. Sie führte irgendetwas im Schilde, versuchte die Situation zu ihren Gunsten zu manipulieren, doch er war vorgewarnt.

„Ich wüsste nicht, womit Sie mir entgegenkommen könnten, Miss Sanders, aber einverstanden, lassen Sie uns etwas trinken, dann erzähle ich Ihnen, wie die nächsten Tage ablaufen werden.“

Noch bevor sie antworten konnte, gab er einem Angestellten ein Zeichen und orderte Tee. Was etwas war, das er in New York nicht getan hätte, aber hier in Russland kamen auf beunruhigende Weise seine Kindheitserinnerungen wieder an die Oberfläche.

„Bitte, nennen Sie mich Emma“, sagte sie, während sie sich in ihrem Sessel zurücklehnte. Wobei ihre langen, wohlgeformten und von hautengen Jeans umschlossenen Beine seine Aufmerksamkeit auf sich zogen und sein Gehirn mit Gedanken überschwemmten, die ihm in keiner Weise zustanden. „Und darf ich Sie Nikolai nennen?“

„Nikolai, ja“, erwiderte er scharf. Damals, nach seinem Weggang aus Russland, hatte er seinen Namen in Nik ändern wollen – um sich von der Familie seines Vaters abzugrenzen –, aber seine Mutter hatte ihn gebeten, bei Nikolai zu bleiben. Weil es ein häufig vorkommender Name in der Familie war und er wenigstens ein paar von seinen russischen Wurzeln behalten sollte.

„Irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, dass es Ihnen nicht recht ist, wenn ich mit Ihrer Großmutter rede, Nikolai, obwohl sie es doch selbst war, die sich an World in Photographs gewandt hat. Das führt mich zu der Vermutung, dass es da irgendetwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es an die Öffentlichkeit kommt.“

„Damit haben Sie direkt ins Schwarze getroffen.“ Und er hatte geglaubt, sie mit links um den kleinen Finger wickeln zu können, aber da hatte er sie wohl unterschätzt. Sie schützte ihre Naivität nur vor.

„Vielleicht können wir uns ja darauf einigen, dass ich genug Informationen erhalte, um meinen Auftrag zu erfüllen, ich Ihnen im Gegenzug aber die gewünschte Privatsphäre garantiere.“ Erneut lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück und sah ihn mit siegessicher hochgezogenen Augenbrauen an. Nun, sie würde sich noch wundern.

„Unter einer Bedingung.“ Er nahm einen Schluck von seinem Tee, dann suchte er ihren Blick – und glaubte, für einen ganz kurzen Moment Beunruhigung in ihren Augen zu entdecken. Nein, mehr als das … Angst.

„Und die wäre?“

„Ich möchte, dass Sie mir sagen, warum dieser Job so wichtig für Sie ist. Warum unternehmen Sie so eine weite Reise, nur um sich die weitschweifigen Reden einer alten Frau anzuhören?“ Er wusste nicht, ob seine Großmutter weitschweifige Reden zu halten pflegte, immerhin hatte er sie seit fast dreiundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Das war an dem Tag gewesen, an dem sie seinen Vater zu Grabe getragen hatten. Er, ein verstörter Zehnjähriger, hatte sich dauernd gefragt, warum seine Großmutter ihn und seine Mutter aus dem Haus geworfen hatte. Erst sechs Jahre später hatte er die schreckliche Wahrheit erfahren und sich geschworen, alles zu tun, um seine Mutter vor weiterem Schmerz zu bewahren. Ein Schwur, an den er sich auch jetzt zu halten gedachte.

„Weil es für mich eine gute Gelegenheit war, nach Russland zu kommen. Meine Schwester Jess hat einen Platz an der Ballettschule in Perm, und wenn ich meine Arbeit hier beendet habe, werde ich noch ein paar Tage mit ihr verbringen.“ Ihre schönen grünen Augen begannen zu leuchten, und er dachte wieder einmal über die Ungerechtigkeit der Welt nach. Sie hatte eine glückliche Kindheit gehabt, mit einer Schwester, an der sie offensichtlich hing, während er von so etwas nur träumen konnte.

„Ihre Schwester ist hier? In Russland?“, fragte er überrascht. Er hatte versucht, Emma Sanders’ Hintergrund zu recherchieren, aber kaum etwas über sie gefunden. Sie war als Fotografin praktisch unbekannt. Und auch sonst war sie ein gänzlich unbeschriebenes Blatt. Es gab nichts, was er irgendwie für seine Zwecke nutzen konnte.

„Ja, sie hat schon als kleines Mädchen davon geträumt, Balletttänzerin zu werden, und ich will alles tun, um ihr diesen Traum zu ermöglichen.“ Ihr Gesicht hatte sich aufgehellt, und in ihrer Stimme schwang Stolz mit. „Jess ist erst sechzehn, und jetzt können wir uns früher sehen als geplant, wenn auch nur kurz.“

Immerhin verstand er jetzt, warum sie den Auftrag angenommen hatte, und das hieß, dass ihn sein stets vorhandener Argwohn dazu verleitet hatte, falsche Schlüsse zu ziehen. Was allerdings immer noch nicht die Frage beantwortete, warum seine Großmutter das alles überhaupt in Gang gebracht hatte. Was hoffte die alte Frau damit zu erreichen? Und, schlimmer noch, wie weit war Emma bereit, ihrer Karriere zuliebe zu gehen?

„Gut, Emma. Ich werde Sie an Orte bringen, die mit der Vergangenheit meiner Familie in Verbindung stehen, da können Sie dann nach Lust und Laune fotografieren.“ Er machte eine Pause und überlegte, warum er das Wort Lust verwendet hatte. Lag es daran, dass ihr Körper ihn auf völlig unangemessene Gedanken brachte? Wieder stieg ihr die Röte in die Wangen, und er fragte sich, ob sie die sexuelle Spannung, die sich zwischen ihnen aufbaute, ebenfalls spürte.

„Und was ist mit Ihrer Großmutter? Wann treffe ich sie?“ Ihre Stimme war leicht heiser geworden, und sie knabberte an ihrer Unterlippe, was er besser nicht interpretieren sollte. Nicht solange er die Kontrolle über diesen Unsinn behalten und den Versuch seiner Großmutter, wieder einmal Unruhe zu stiften, durchkreuzen wollte.

„Bald. Aber erst werde ich Ihnen ein paar Orte zeigen. Wir können gleich morgen los.“

Sie wirkte unübersehbar zufrieden. „Wunderbar, dann freue ich mich darauf, ein paar Tage mit Ihnen verbringen zu dürfen.“

Autor

Rachael Thomas
Vor über zwanzig Jahren wählte Rachael Thomas Wales als ihre Heimat. Sie heiratete in eine Familie mit landwirtschaftlichem Betrieb ein und konnte in ihrem neuen Zuhause endlich Wurzeln schlagen. Sie wollte schon immer schreiben; noch heute erinnert sie sich an die Aufregung, die sie im Alter von neun Jahren empfand,...
Mehr erfahren