Heißer Trip ins Glück

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Hier kommt die Braut nicht! Denn auf dem Weg zum Altar macht High Society-Girl Clair Beauchamp kehrt und verlässt die Kirche auf dem schnellsten Weg. Der Grund: Der attraktive Privatdetektiv Jacob Carver hat ihr kurz zuvor erzählt, dass sie adoptiert wurde und ihre leibliche Familie in Texas auf sie wartet! Auf geht es, noch ganz in Weiß, zusammen quer durchs Land. Und dabei erfährt Clair so vieles, was sie vorher nicht wusste. Zum Beispiel, wie sexy Jacob ist und wie gut er küssen kann ...


  • Erscheinungstag 06.03.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746001
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Um Himmels willen, Clair, kannst du nicht endlich stillstehen? Wie soll Evelyn denn weiterkommen, wenn du immer so zappelst?“ Josephine Dupre-Beauchamp sah ungeduldig auf ihre goldene Rolex und dann tadelnd zu ihrer Tochter. „Nun halt dich schon gerade, Liebes und nimm den Kopf hoch. So werden wir nie fertig. Die Hochzeit ist in drei Tagen, und ich dulde da nicht die geringste Nachlässigkeit.“

Josephine mit ihrer gertenschlanken Figur und ihrer bis ins letzte Detail gepflegten Erscheinung verkörperte jene Perfektion, die sie unnachsichtig auch von anderen forderte, besonders von ihrer Tochter, von der alle sagten, dass sie ihrer Mutter unglaublich ähnlich sähe, obwohl Clair Josephine um einen halben Kopf überragte und auch nicht ihre braunen Augen hatte, sondern blaue. „Ein Erbe unserer französischen Vorfahren“, pflegte Josephine den Unterschied zu kommentieren.

Während ihre Mutter weiterhin hektisch um sie herumschwirrte, zog Clair gehorsam den ohnehin schon flachen Bauch ein, nahm die Schultern zurück und versuchte, so gut es ging, die Nadeln zu ignorieren, mit denen das Kleid, in dem sie sich kaum rühren konnte, festgesteckt war.

Nur noch drei Tage! Das brauchte man Clair nicht extra zu sagen. Sie blickte zur Wanduhr. Um genau zu sein, waren es noch achtundsiebzig Stunden und zweiundvierzig Minuten. Clair fühlte sich, als ob ihr jemand den Hals zuschnürte. Aus dem hohen, dreiteiligen Spiegel der Schneiderin blickten sie drei identische junge Frauen in einem Brautkleid aus weißem Satin und feinster italienischer Spitze an. Merkwürdigerweise hatte Clair das Gefühl, mit keinem dieser Spiegelbilder auch nur das Geringste zu tun zu haben.

„Sie ist ja schon wieder dünner geworden!“ Evelyn Goodmyer seufzte verzweifelt, während sie einen Abnäher unter Clairs rechtem Arm neu absteckte. Evelyn war Inhaberin des teuersten und gefragtesten Geschäfts für Brautmode in ganz South Carolina. „Bei der Anprobe vor vier Wochen hat das alles noch perfekt gepasst. Jetzt müssen wir schon wieder etwas abnehmen. Ich weiß wirklich nicht, wie ich da noch hinterherkommen soll.“

„Jo! Jo! Hast du das gesehen?“ Eine Zeitung in der Hand, kam Victoria Hollingsworth hereingestürmt. Einen Augenblick hielt sie vor den Spiegeln inne und prüfte den Sitz ihres figurbetonten Hosenanzugs aus edler Seide.

„Vickie!“ Josephine war über die Art und Weise, in der Victoria hereingeplatzt war, sichtlich schockiert.

Victoria ließ sich jedoch nicht beirren. Nachdem sie sich von ihrem Spiegelbild losgerissen hatte, hielt sie Josephine strahlend die aufgeschlagene Zeitung unter die Nase. „Hier, lies! Es ist die heutige Ausgabe der ‚Charleston Times‘.“

Victoria Hollingsworth war Clairs Patentante. Sie und Josephine kannten sich schon seit ewigen Zeiten. Sie waren auf der Vassar University Zimmergenossinnen gewesen. Sehr bald würde ihre Bindung noch enger werden. In – Clair schaute erneut beklommen auf die Wanduhr –, in achtundsiebzig Stunden und neununddreißig Minuten würde Victoria ihre Schwiegermutter sein.

Clair reckte den Hals, um einen Blick auf die Zeitung zu erhaschen. Doch das Einzige, was sie erkennen konnte, war ein Fotobericht über einen Zuchtbullen, der bei einer Landwirtschaftsausstellung sämtliche Barrieren durchbrochen hatte, in ein nahes Porzellangeschäft gerast war und dort erhebliche Verwüstungen angerichtet hatte.

Mit atemloser Stimme las Victoria aus den Gesellschaftsnachrichten vor: „,Unser Foto zeigt Oliver Hollingsworth mit seiner Verlobten Clair Beauchamp auf dem Wohltätigkeitsball, der zugunsten der neuen Kinderstation des St. Evastine’s Memorial Hospital gegeben wurde. Am kommenden Samstag will das Paar sich in der Chilton Cathedral das Jawort geben.‘“

Josephine pflückte sich einen nicht vorhandenen Fussel von ihrer beigefarbenen Leinenjacke. „Ist das alles?“

„Wo denkst du hin.“ Victoria räusperte sich ein paar Mal und fuhr fort: „,Miss Beauchamp, 25, Tochter des Großreeders Charles Beauchamp III. und seiner Frau Josephine Dupre-Beauchamp aus Hillgrove, bringt einen Abschluss Summa cum laude der Radcliffe University in die Ehe. Oliver Hollingsworth, 26, Sohn von Nevin und Victoria Hollingsworth und ebenfalls aus Hillgrove, Absolvent des Elitecolleges in Princeton, hat jüngst in Harvard promoviert und ist zurzeit geschäftsführender Direktor in der Firma seines Vaters Hollingsworth and Associates im benachbarten Blossomville.‘“

Tränen standen in Victorias Augen. „Oliver, mein Baby! Wo sind bloß all die Jahre geblieben? Und sieh dir unsere wunderschöne Clair an.“

Herzzerreißend seufzend blickten die beiden Mütter auf die Braut. Clair hätte am liebsten laut aufgeschrien. Sie hatte diese ganze Rührseligkeit satt. In den letzten Wochen waren bei Josephine und Victoria so viele Tränen geflossen wie sonst beim gesamten weiblichen Publikum in einem Konzert der Back Street Boys.

Im nächsten Moment schossen ihr allerdings selbst die Tränen in die Augen. Das hatte aber einen völlig anderen Grund. Evelyn hatte sie mit einer Nadel gestochen.

„Da hast du es, Vickie! Jetzt fängt Clair auch noch an zu weinen.“ Josephine nahm entschlossen Victoria die Zeitung aus der Hand und legte sie beiseite. „Du kannst das später lesen“, sagte sie zu Clair. „Jetzt müssen wir uns beeilen. Der Tisch bei Season’s ist für halb zwölf bestellt.“

Clair wollte etwas antworten, aber Evelyn kam ihr zuvor: „Also so kann ich nicht arbeiten. Ich muss das hier in Ruhe fertig machen. Die Schuhe müssen auch noch anprobiert werden. Könnten Sie nicht schon vorgehen, und Clair kommt dann nach, wenn wir fertig sind?“

„Das wird wohl das Beste sein.“ Josephine trat zu ihrer Tochter und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich schicke dir Thomas wieder hierher, Liebes, damit er dich abholt. Und ruf kurz an, wenn ihr losfahrt, dann kann ich für dich schon etwas bestellen.“

Während Evelyn Josephine und Victoria hinausbegleitete, blickte Clair ein weiteres Mal auf die Wanduhr. Nur noch achtundsiebzig Stunden und neunundzwanzig Minuten. Jetzt war ihr wirklich zum Heulen zumute, und das lag nicht an den stechenden Nadeln.

Jacob Carvers Laune war auf dem Tiefpunkt. Dafür gab es mehrere Gründe. Erstens: Es war unerträglich heiß und stickig in seinem Auto. Zweitens: Seit vierundzwanzig Stunden hatte er kein Bett mehr gesehen, weil er von New Jersey bis hierher ohne Pause durchgefahren war. Und drittens: Er saß jetzt bereits seit zwei Stunden schwitzend im Wagen, den er vor einem Geschäft für Brautmode geparkt hatte, und starrte auf die Eingangstür, ohne dass sich dort auch nur der Schatten der Frau zeigte, auf die er wartete.

Was, zum Teufel, kann man zwei Stunden lang in so einem Laden treiben?, fragte er sich. Nicht dass es ihn wirklich interessierte.

Jacob griff in die Kühltasche, die neben ihm vor dem Beifahrersitz stand, holte eine Wasserflasche heraus und setzte zu einem langen Schluck an. Es gab ein paar Dinge, mit denen er nie etwas zu tun haben wollte. Alles, was mit Heirat und Ehe zusammenhing, gehörte unbedingt dazu. Und Frauen, deren Leidenschaft es war, Einkaufsorgien zu veranstalten, mit Sicherheit auch.

Aber es half nichts. Er hatte von Lucas Blackhawk den ausdrücklichen Auftrag erhalten, Clair Beauchamp nur dann anzusprechen, wenn sie allein war. Vor einer halben Stunde hatte ihre Mutter das Geschäft verlassen, und da ihm inzwischen klar geworden war, wie kurz die Leine war, an der die Beauchamps ihre Tochter hielten, war dieses vielleicht die einzige Gelegenheit, die sich ergab.

Es fiel ihm nicht schwer, sich vorstellen, was passieren würde, wenn Mommy und Daddy Beauchamp mitbekämen, dass ein zwielichtiger, langhaariger Kerl sich ihrem Juwel Clair näherte. Er hätte die Cops auf dem Hals, und ehe er auch nur einen Ton sagen könnte, würde er sich hinter Gittern wieder finden. Ob es einen legalen Grund gäbe, ihn einzusperren oder nicht, spielte dabei keine Rolle. Wer genug Geld und Ansehen hatte, hatte auch das Gesetz auf seiner Seite.

Er hatte aber nicht die geringste Lust darauf, in Polizeigewahrsam genommen zu werden. Er liebte seine Freiheit über alles. Er mochte auch seinen Job als Privatdetektiv, und er machte ihn gut. Er kassierte sein Honorar, wenn er einen Auftrag abgewickelt hatte, stieg in den Wagen, und weg war er wieder.

Das Gebiet, auf das er sich spezialisiert hatte, führte ihn kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten. Es war das wahrscheinlich schwierigste und sensibelste Gebiet: die Suche nach vermissten Personen. Seine Wohnung in New Jersey sah er nur selten. Aber das machte ihm nichts aus. Er war gern unterwegs – und er war gern schnell unterwegs.

Das richtige Auto dafür hatte er, einen Charger Baujahr 68, den er eigenhändig und mit großer Liebe frisiert hatte, und der weniger als sechs Sekunden brauchte, um von null auf hundert zu beschleunigen. Es war höchste Zeit, dass er sich einmal wieder um den Wagen kümmerte. Und um sich selbst – vorzugsweise am Strand von Miami, mit ein paar kühlen Longdrinks und verwöhnt von dieser kühlen Blondine, die er dort mal getroffen hatte. Wie hieß sie noch? Richtig, Sandy.

Abrupt wurde Jacob aus seinen Träumen gerissen. In der Tür des Brautmodengeschäfts erschien Clair Beauchamp, eine Einkaufstüte in der einen Hand, eine kleine Handtasche in der anderen. Das Sonnenlicht verlieh dem teuren hellblauen Seidenstoff ihres eleganten Hosenanzugs einen leichten Schimmer und ließ ein paar Strähnen ihres schulterlangen dunklen Haars rötlich glänzen. Sie blieb nun stehen, setzte ihre Sonnenbrille auf und blickte suchend die Straße entlang, als erwarte sie einen Wagen, der sie abholte.

Nicht schlecht, stellte Jacob anerkennend fest, während er sie eingehend betrachtete. Hochgewachsen, etwa eins fünfundsiebzig groß, sehr schlank, lange Beine, traumhafte Figur. Ihr schön geschnittenes, ovales Gesicht hatte hohe Wangenknochen. Und der Schwung ihrer vollen Lippen war sehr sinnlich.

Jacob pfiff leise durch die Zähne, besann sich aber gleich wieder. Er war geschäftlich hier und nicht zum Vergnügen. Er zog den Zündschlüssel ab und stieg aus dem Wagen. Darauf bedacht, Clairs Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken, ging er hinüber auf ihre Straßenseite. Ihm war klar, wenn sie tatsächlich auf jemanden wartete, musste er sich jetzt beeilen.

Er hatte den Bürgersteig noch nicht erreicht, als Clair sich plötzlich umdrehte und schnellen Schritts um die nächste Ecke bog.

Verdammt!, fluchte Jacob. Hatte sie ihn kommen sehen? Das konnte er sich eigentlich nicht vorstellen. Er war geübt in solchen Dingen und machte keine Fehler. Er beeilte sich, um zu der Ecke zu kommen, hinter der Clair verschwunden war. Die Straße war belebt. Geschäftsleute waren unterwegs, Frauen beim Einkaufen oder auf dem Weg zum Lunch, aber weit und breit war keine Spur von Clair Beauchamp. Hatte sie noch weitere Einkäufe vor und war in das nächste Geschäft gegangen?

Jacob steuerte gerade das Juweliergeschäft an, um durch das Schaufenster zu spähen, als ihm der Duft von Pizza und frisch gebratenen Hamburgern in die Nase stieg. Der Duft kam aus einem Torweg. Spontan änderte Jacob die Richtung, durchschritt den Torbogen und gelangte auf einen ziemlich großen, gepflasterten und mit Grünpflanzen überwucherten Hof.

In der Mitte waren mehrere Stände, die Hotdogs, Pizza und Bratwürste anboten. Daneben waren Tische und Stühle aufgestellt – und, siehe da, gleich vor dem ersten Stand war Clair, einen Hotdog mit Mayonnaise, Ketchup und Röstzwiebeln in der linken Hand, während sie mit der anderen Hand bezahlte.

Jacob trat schnell hinter einen Blumenkübel zurück, als Clair sich umdrehte und unschlüssig in seine Richtung blickte. Dann wartete er eine Weile ab, bis sie ein paar Schritte weitergegangen war und ihm den Rücken zukehrte.

Es geht los, sagte er sich leise, trat vor und blieb etwa einen Meter hinter ihrem Rücken stehen. „Clair Beauchamp!“

Sie fuhr herum. Im selben Augenblick warf sie zu seiner Verwunderung den Hotdog in den Papierkorb neben sich. „Ja bitte?“, sagte sie, nachdem sie ein, zwei Sekunden gebraucht hatte, um sich zu sammeln.

Auch er war verblüfft. Dass sie fantastisch aussah, hatte er schon aus der Entfernung feststellen können, aber jetzt von Angesicht zu Angesicht war sie atemberaubend schön.

„Miss Beauchamp, ich …“ Jacob stockte und blickte leicht verwirrt auf den Papierkorb. „Warum haben Sie das gemacht?“

„Was gemacht?“

„Warum haben Sie diesen Hotdog weggeworfen? Der sah doch sehr gut aus.“

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“ Sie setzte ihre Sonnenbrille, die sie in die Stirn geschoben hatte, wieder auf. „Kennen wir uns?“

Donnerwetter, die Frau hat Klasse, dachte Jacob. Sie traf mit ihrem weichen Südstaatenakzent genau den richtigen Ton, ihn höflich, aber bestimmt in die Schranken zu weisen. Warum war er auch so dumm gewesen, sie nach dem Hotdog zu fragen. Als ob ihn das etwas anginge.

„Mein Name ist Jacob Carver.“ Er zeigte ihr seine Marke, die ihn als Privatdetektiv auswies. „Ich bin im Auftrag einer Rechtsanwaltskanzlei in Wolf River, Texas, hier, um mit Ihnen Kontakt aufzunehmen.“

„Und in welcher Angelegenheit?“

„Können wir uns nicht einen Moment hinsetzen und das besprechen?“

„Ich fürchte, nein. Ich bin zum Essen verabredet und ohnehin schon zu spät.“ Clair holte eine Karte aus ihrer Handtasche und hielt sie ihm hin. „Unter dieser Nummer erreichen Sie den Privatsekretär meiner Mutter. Mit ihm können Sie einen Termin vereinbaren. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen …“

„Miss Beauchamp.“ Jacob trat einen Schritt vor und verstellte ihr den Weg. Er sah, dass sie ärgerlich ihren hübschen Mund verzog. „Mein Auftraggeber beharrt darauf, dass ich persönlich mit Ihnen rede. Unter vier Augen.“

„Und ich beharre darauf, dass Sie mir jetzt bitte aus dem Weg gehen.“

„Es dauert nur zwei Minuten.“ Jacob hob beschwichtigend die Hände. „Sie brauchen sich nicht vor mir zu fürchten. Ich tue Ihnen nichts.“

„Ich fürchte mich nicht vor Ihnen. Ich hab’s eilig.“

Natürlich fürchte ich mich nicht vor ihm, dachte Clair, warum sollte ich auch – so etwas Albernes. Trotzdem war ihr die Situation unbehaglich. Nicht nur, dass dieser Mann sie dabei erwischt hatte, wie sie gerade in einen Hotdog beißen wollte; nicht nur, dass er sich nicht abschütteln ließ; dieser Mann sah auf eine beunruhigende Weise gut aus. Sein muskulöser Oberkörper sprengte fast das marineblaue T-Shirt, das er trug, und seine kräftigen langen Beine steckten in verwaschenen Jeans, die so eng waren, dass sie seine Beine wie eine zweite Haut umspannten. Dass sein Haar seit Längerem keinen Friseur und sein Bart seit mindestens zwei Tagen keine Klinge mehr gesehen hatte, unterstrich seine Erscheinung – und die war keineswegs unattraktiv, wie Clair sich eingestehen musste. Hinzu kamen Augen, die so schwarz waren wie sein Haar, eine markant gebogene Nase und ein leicht arroganter Zug um den Mund.

Sie riss sich zusammen. „Es tut mir leid, aber ich …“

Jacob ließ sie nicht ausreden. „Sind Ihnen die Namen Jonathan und Norah Blackhawk bekannt?“

„Nein.“

„Rand Blackhawk? Seth Blackhawk?“

Clair stutzte. Ein eigenartiges Gefühl stieg in ihr hoch. Sie war sich sicher, diese Namen nicht zu kennen, und verspürte trotzdem etwas wie Schmerz.

In der nächsten Sekunde schüttelte sie entschieden den Kopf. „Nein, bestimmt nicht. Sollte ich sie kennen?“

„Eigentlich schon. Jonathan und Norah Blackhawk waren Ihre leiblichen Eltern, und Rand und Seth sind Ihre Brüder.“

Fassungslos starrte sie ihn an. Dann fing sie an zu lachen. „Das ist das Absurdeste, was ich je gehört habe.“

Jacob blieb vollkommen ernst. „Jonathan und Norah Blackhawk kamen vor dreiundzwanzig Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Ihre drei Kinder, die mit im Wagen saßen, blieben weitgehend unverletzt, aber dann wurden sie getrennt. Rand, der damals neun Jahre alt war, wurde von einem Ehepaar namens Edward und Mary Sloan in San Antonio adoptiert; Seth, zwei Jahre jünger als er, von Ben und Susan Granger in New Mexico. Die Dritte ist Elizabeth Blackhawk, damals zwei Jahre alt, heute Adoptivtochter von Charles und Josephine Beauchamp, wohnhaft in South Carolina, zeitweilig auch in Frankreich. Mit anderen Worten: Elizabeth Blackhawk sind Sie, Miss Beauchamp.“

Das Lachen war Clair im Hals stecken geblieben. Das schmerzliche Gefühl, das sich in ihr bei den Namen Rand und Seth geregt hatte und das sie zu unterdrücken versucht hatte, kam zurück und wurde stärker. „Mr. Carver, Sie sind entweder ein großartiger Witzbold oder ein lausiger Detektiv. Ich glaube Ihnen jedenfalls kein Wort.“

„In solchen Dingen mache ich keine Witze und erst recht keine Fehler“, entgegnete Jacob unwirsch. „Der Name, auf den Sie getauft wurden, lautet Elizabeth Marie Blackhawk. Sie wurden illegal von Ihren jetzigen Eltern, den Beauchamps, adoptiert, als diese in Frankreich lebten. Als sie ein Jahr später mit einer kleinen Tochter in die USA zurückkehrten, hat sich hier niemand darüber gewundert oder Fragen gestellt.“

Clair kam es vor, als würden die Stimmen und Geräusche um sie herum in weite Ferne rücken. „Ich … ich glaube Ihnen das einfach nicht.“

„Kommen Sie, setzen Sie sich“, sagte Jacob. Seine Stimme klang warm und freundlich. „Nur eine Minute.“ Er berührte leicht ihren Arm und zog am nächststehenden Tisch einen Stuhl für sie heran.

Clair ließ sich benommen darauf sinken. „Das ist unglaublich, einfach lächerlich.“ Unwillig drehte sie sich von ihm weg.

Ein paar der Umstehenden drehten sich bereits nach ihnen um. Clair merkte es kaum.

Jacob zog einen zusammengefalteten Umschlag aus seiner Gesäßtasche und hielt ihn ihr hin. „Ich kann mir vorstellen, dass es Ihnen schwerfällt, das zu glauben, Miss Beauchamp. Aber wenn Sie diese Papiere hier gelesen haben, wissen Sie, was damals geschehen ist. Und fragen Sie Ihre Eltern. Sie können mich anrufen, wenn Sie sich Gewissheit verschafft haben.“

Als hielte Jacob ihr eine giftige Kröte entgegen, rührte Clair den Umschlag nicht an. Nach einem resignierten Seufzen ließ Jacob ihn in ihre Einkaufstüte gleiten. Clair schloss für einen Moment die Augen, als der Schmerz sie zu überwältigen drohte.

Dann sprang sie wortlos auf und rannte davon, ohne sich noch einmal umzusehen.

2. KAPITEL

„Clair, Darling, schließ jetzt bitte die Tür auf und lass mich herein. Ditte!“

Clair hatte sich lang auf ihr Bett geworfen. Seit einer Viertelstunde schon stand ihre Mutter draußen und hämmerte an ihre Schlafzimmertür. Allmählich waren ihre Bitten, die Tür zu öffnen, in Betteln und Weinen übergegangen, aber Clair weigerte sich nachzugeben.

„Ich weiß, dass du da bist, Liebes. Mach auf! Lass uns miteinander reden und erzähl mir, was los ist. Mommy und Daddy bringen das schon wieder in Ordnung.“

Clair drehte sich schweigend auf den Rücken und starrte an die Zimmerdecke. In der Hand hielt sie noch immer die Papiere, die Jacob Carver ihr gegeben hatte. Es waren Dokumente, beglaubigt von einem Notar namens Henry Barnes: Die Kopien einer Geburtsurkunde sowie eines Zeitungsartikels über den von Jacob Carver erwähnten Autounfall und die Vergrößerung einer Fotografie, die Norah Blackhawk mit einem Neugeborenen auf dem Arm in einem Krankenhausbett zeigte, umgeben von ihrem Mann und zwei Jungen. Clair hatte sich dieses Foto lange angesehen. Die Ähnlichkeit zwischen Norah Blackhawk und ihr war unverkennbar: Sie hatten das gleiche schwarze Haar, die gleichen hohen Wangenknochen und die gleichen blauen Augen.

Der schlagendste Beweis allerdings war die Kopie des Vertrags zwischen einem Anwalt mit Namen Leon Waters in Granite Springs und dem Ehepaar Charles und Josephine Beauchamp, in dem es um eine nicht näher genannte Summe Geld ging, das dieser Anwalt erhalten sollte, wenn ein gewisses „Paket“ zur Zufriedenheit der Beauchamps ausgefallen war.

Clair war nach ihrem Zusammentreffen mit dem Privatdetektiv auf direktem Weg nach Hause gegangen. Sie hatte kein einziges Wort von dem geglaubt, was er ihr gesagt hatte. Selbst jetzt konnte sie es immer noch nicht glauben. Wie könnte sie annehmen, dass ihre Eltern zu so etwas imstande gewesen waren? Obwohl ihr die Namen Rand und Seth irgendetwas sagten. Sie wusste nicht, was es war, aber sie hatten eine Bedeutung für sie.

„Charles, Gott sei Dank, dass du endlich kommst“, hörte Clair ihre Mutter draußen sagen. „Clair hat sich eingeschlossen und will nicht herauskommen. Wir waren zum Essen verabredet, aber sie ist nicht gekommen. Ich hab dann hier angerufen, und Tiffany hat mir erzählt, dass Clair schon da ist, aber niemanden sehen und mit niemandem sprechen will.“

Es rüttelte an der Türklinke. „Clair, hier ist dein Vater. Mach sofort auf, hörst du? Ich habe keine Zeit für solch ein Theater.“

Seufzend setzte Clair sich auf. Sie wusste, dass es keinen Zweck hatte zu versuchen, ihren Vater hinzuhalten. Und da sie die Sache ohnehin zur Sprache bringen wollte, konnte sie das auch ebenso gut jetzt gleich tun. Sie musste Gewissheit haben. Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend stand sie auf, während ihr Vater schon wieder ungeduldig gegen die Tür hämmerte.

Kaum hatte sie geöffnet, kam sofort ihre Mutter auf sie zugestürmt und schloss sie in die Arme.

„Was ist hier eigentlich los?“, fragte Charles Beauchamp streng.

Clair machte sich von ihrer Mutter los und trat zur Seite. „Kommt bitte herein und setzt euch“, sagte sie und wunderte sich selbst, wie ruhig sie klang.

„Was, zum Teufel, ist in dich gefahren?“, polterte ihr Vater. „Deine Mutter holt mich aus einer wichtigen Konferenz und behauptet, du seist krank oder etwas in dieser Art. Ich will jetzt endlich wissen, was hier gespielt wird.“

„Hör auf, sie anzuschreien, Charles. Siehst du denn nicht, dass sie ohnehin schon ganz durcheinander ist.“ Josephine strich Clair über die Wangen. „Clair, mein Liebling, es ist alles gut. Jede Braut ist vor ihrer Hochzeit aufgeregt. Das ist ganz normal. Charles, geh doch bitte und hol das Beruhigungsmittel aus dem Medizinschrank im Bad.“

„Nein, stopp!“

Charles und Josephine erstarrten. Noch nie hatte Clair in dieser Weise mit ihnen gesprochen. Es war selten genug, dass ihre Tochter überhaupt einmal Nein sagte.

„Clair, mein Kind, was ist los mit dir? Du machst mir Angst.“

„Wolf River.“ Clair sagte nur diese beiden Wörter.

„Wolf River?“, wiederholte Josephine leise und warf ihrem Mann einen furchtsamen Blick zu.

Dieser eine Augenblick genügte, und Clair wusste, dass es stimmte, was sie erfahren hatte. Ihre Mutter war leichenblass geworden, als sie den Ortsnamen genannt hatte. Josephine wollte einen Schritt auf Clair zugehen, aber die hielt sie zurück.

„Es stimmt also. Ihr habt mich adoptiert.“ Clair schlug das Herz bis zum Hals.

„Woher hast du das?“, wollte Charles wissen. Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst.

Die ganze letzte Stunde hatte Clair inständig gehofft, dass Jacob Carver sich geirrt hatte. Er hatte zwar gesagt, er mache keine Fehler, aber sie hatte trotzdem darauf gehofft. Die Reaktion ihrer Eltern zeigte ihr jetzt, dass er sich tatsächlich nicht geirrt hatte.

„Von einem Mann, der sich mir als Jacob Carver vorgestellt hat und sich als Privatdetektiv ausgewiesen hat, als ich aus Evelyns Geschäft kam“, antwortete Clair schließlich mit tonloser Stimme. „Ein Notar aus Wolf River hat ihn engagiert. Der Detektiv hat mir einen Zeitungsausschnitt über einen Autounfall und ein Familienfoto gegeben.“ Sie hielt die Papiere hoch, die sie noch immer in der Hand hielt. „Außerdem gab er mir die Kopie eines Vertrags zwischen euch und einem gewissen Leon Waters.“

Josephine rang nach Luft und hielt sich Halt suchend bei ihrem Mann fest.

„Schließlich hat er mir noch meinen wirklichen Namen verraten: Elizabeth Marie.“ Clair verstummte. Sie drehte sich um und trat ans Fenster. Vor dem Haus lag der Rasen. Dahinter folgte der Park. Auf diesem Anwesen war sie aufgewachsen, inmitten dieses üppigen, aber gepflegten Grüns zwischen Azaleen und Myrte. Das Haus, ein zweistöckiges Landhaus im Tudorstil, war das größte und prächtigste in der ganzen Nachbarschaft.

Autor

Barbara McCauley
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