Hemmungslose Lust einer Nacht

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Und hier ist das … Als Maklerin Hailey die Tür zum Schlafzimmer des Anwesens öffnet, ist sie sprachlos: In dem Bett liegt ein Fremder! Ein faszinierender Fremder. Wie gerne würde sie … Und Rob scheint für alles zu haben zu sein - nur nicht für eine gemeinsame Zukunft …


  • Erscheinungstag 10.10.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728052
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Wegen Krankheit beurlaubt?“ Rob Klassen konnte nicht glauben, was der Chefredakteur der World Week, des Nachrichtenmagazins, für das er seit zwölf Jahren als Fotojournalist arbeitete, gerade zu ihm gesagt hatte. „Ich bin nicht krank!“

Gary Wallander nahm seine Brille ab und warf sie auf den Schreibtisch. Darauf lagen Robs Fotoabzüge, die ein Gefecht in einer kleinen Stadt im Grenzgebiet von Ras Ajdir zwischen Tunesien und Libyen dokumentierten. „Wie soll ich es sonst nennen? Beurlaubt wegen eines Schusses in den Hintern? Du warst wieder kurz davor, getötet zu werden, verdammt.“ Er mochte es nicht, wenn sich seine Reporter zu nah an das Geschehen heranwagten.

Rob verlagerte das Gewicht auf das unverletzte Bein. Der pochende Schmerz im linken Oberschenkel machte ihm zu schaffen. „Ich bin so schnell weggerannt, wie ich konnte.“

„Ich habe die Krankenakte gesehen. Du bist in Richtung des Schützen gerannt. So etwas lässt sich anhand der Eintritts- und Austrittswunde feststellen. Pech für dich.“

In der folgenden unbehaglichen Stille hörte Rob die Geräusche des Verkehrs auf den Straßen Manhattans weit unter ihnen überdeutlich. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Gary die Details herausfinden würde, die er lieber für sich behalten hätte.

„Wenn du ein Kriegsheld sein willst“, fuhr ihn der Chefredakteur an, „geh zur Army. Unsere Aufgabe ist es, darüber zu berichten, was in der Welt passiert.“

„Es flogen überall Kugeln herum. Ich hatte die Orientierung verloren.“

„Quatsch. Du hast wieder den Helden gespielt, nicht wahr?“

Rob hatte noch immer das kleine Mädchen vor Augen, zusammengekauert hinter einem Ölfass. Ja, sein Chef wäre glücklicher gewesen, wenn er es verängstigt im Kugelhagel zurückgelassen hätte. Aber er war derjenige, der sich morgens im Spiegel in die Augen blicken musste. In Wahrheit hatte er überhaupt nicht nachgedacht, sondern war einfach zu dem Kind gerannt und hatte es in Sicherheit gebracht. „Für Fotos mit dem Teleobjektiv werden keine Pulitzer-Preise vergeben. Ich musste nah genug herangehen, um das Geschehen richtig einzufangen.“

„Nah genug, um eine Kugel ins Bein zu bekommen.“

„Das war unglücklich“, gab Rob zu. „Trotzdem kann ich noch immer laufen und eine Kamera bedienen.“ Demonstrativ stolzierte er in Garys Büro auf und ab. Wenn er sich konzentrierte, konnte er gehen, ohne zu humpeln. Aber vor Anstrengung brach ihm der Schweiß aus.

„Nein.“

Ruckartig blieb er stehen und drehte sich um. „Ich bin der Beste, den du hast. Du musst mich wieder mit einem neuen Auftrag losschicken.“

„Das tue ich. Sobald du anderthalb Kilometer in fünf Minuten zurücklegst.“

„Warum so schnell?“

„Damit du es das nächste Mal schaffst, außer Schussweite zu kommen, wenn du um dein Leben rennen musst“, antwortete Gary trocken.

Rob hielt inne und stützte sich auf eine Stuhllehne. Er und Gary waren seit langer Zeit Freunde. Auch wenn er stocksauer war, wusste er, dass sein Boss die richtige Entscheidung traf. „Ich hatte einfach Pech. Wenn ich statt nach links nach rechts ausgewichen wäre …“

„Die meisten Leute an deiner Stelle wären ziemlich glücklich, noch am Leben zu sein. Und froh, bezahlten Urlaub zu bekommen.“ Gary setzte seine Brille wieder auf.

„Es war lediglich eine Fleischwunde.“

„Die Kugel hat den Oberschenkelknochen gestreift. Ich habe die Krankenakte des Militärkrankenhauses gründlich gelesen. Geh nach Hause. Ruh dich aus. Die Welt wird auch noch voller Probleme sein, wenn du zurückkommst.“

Offenbar war Gary immer noch verärgert. Denn er hatte Rob nicht für seine Fotos gelobt – die ausgezeichnet waren, das wussten sie beide. Stattdessen schickte er ihn nach Hause wie ein ungezogenes Kind. Robs Gesichtszüge verfinsterten sich. Nach Hause. Er war in den letzten Jahren so oft unterwegs gewesen, dass gewöhnlich dort sein Zuhause war, wo er seinen Rucksack abstellte.

Wenn er jemals ein Zuhause gehabt hatte, dann in Fremont, Washington. Im Moment schien der Vorort von Seattle der einzige Ort zu sein, wohin er gehen könnte. Auch wenn alles, was sein Zuhause einmal ausgemacht hatte, jetzt nicht mehr existierte. „In Ordnung. Aber meine Wunde heilt schnell. In höchstens zwei Wochen laufe ich die anderthalb Kilometer in fünf Minuten.“

„Ich brauche den Bericht deines Arztes, bevor ich dich wieder mit einem Auftrag in die Welt schicke.“

„Oh, komm schon, Gary. Verschone mich.“

Er nahm erneut die Brille ab und sah ihn an. „Genau das tue ich. Ich könnte dir auch einen Schreibtischjob hier in New York geben. Das ist die Alternative.“

Rob schüttelte den Kopf. Keinesfalls würde er sich in einen kleinen Raum einsperren lassen. Dann hätte er das Gefühl, in der Falle zu sitzen. „Wir sehen uns in zwei Wochen.“ Er verließ das Büro. Im Flur gab er es auf, den starken Mann zu spielen, und belastete das verletzte Bein möglichst wenig.

„Du solltest Krücken nehmen, Rob.“

Er erkannte die Frauenstimme, drehte sich um und brachte ein erfreutes Lächeln zustande. „Hallo, Romona.“ Die blitzgescheite Wirtschaftsreporterin der World Week war auf dem Sprung ins Fernsehen. Sie sah aus wie ein südamerikanisches Model. Wenn sie sich beide in New York aufhielten, genossen sie es, sich Gesellschaft zu leisten und miteinander zu schlafen. Aber weder sie noch er hatten Interesse an einer Beziehung.

„Ich habe gehört, dass du verletzt bist. Wie geht es dir?“

Er zuckte die Schultern. „Okay.“

Romona warf ihm einen verführerischen Blick zu und senkte die Stimme. „Warum kommst du später nicht zu mir? Dann küsse ich dir den Schmerz weg.“

„Ich bin schmutzig – habe mich seit Tagen nicht rasiert, war seit Wochen nicht beim Friseur. Mein …“

„Ich mag es, wenn du so aussiehst. Wie ein sonnenverbrannter Pirat.“

Rob wurde klar, dass er seinen Tiefpunkt erreicht hatte: Er hatte kein Interesse daran, die Nacht mit einer leidenschaftlichen Frau zu verbringen. Die Wunde brannte. Er hatte einen schlimmen Jetlag, und er war beurlaubt. Sogar zum Sex war er zu müde und erschöpft. Er wollte sich nur eine Weile lang irgendwo verstecken und wieder auf die Beine kommen. „Tut mir leid, ich muss einen Flieger erwischen.“ Er versuchte, enttäuschter zu wirken, als er war.

Obwohl sie genauso gut wusste wie er, dass er den Flug umbuchen könnte und einfach zu erschöpft war, tätschelte sie ihm den Arm. „Nächstes Mal vielleicht.“

Das war das Tolle an Romona. Sie war ihm so ähnlich. Er hatte im Lauf der Jahre mit vielen Frauen geschlafen. Er liebte Sex, wollte jedoch keine Beziehung führen. Die Karriere hatte Vorrang. Vielleicht war das oberflächlich. Vielleicht sehnte sich ein Teil von ihm nach einer Frau, die ihn tröstete, sich seine Geschichten anhörte, seinen Schmerz teilte. Doch die einzige Frau, die das jemals getan hatte, war seine Großmutter gewesen. Vielleicht war sie die Liebe meines Lebens, dachte er reuevoll. Und jetzt war sie nicht mehr da.

Rob hatte so viele Bonusmeilen gesammelt, dass es kein Problem darstellte, am Flughafen LaGuardia ein Upgrade zu bekommen. Er ergatterte einen Sitz am Gang, der es ihm ermöglichte, das verletzte Bein ein wenig auszustrecken.

Nach dem Start der Maschine erinnerte er sich daran, dass der Anwalt seiner Großmutter versucht hatte, mit ihm zu sprechen. Aber er war durch seine Verletzung noch nicht dazu gekommen, ihn zurückzurufen. Es hatte etwas mit dem Haus in Fremont zu tun gehabt. In Bellamy House hatte er so viel Zeit mit seiner Großmutter verbracht. Er konnte sich den alten Familienbesitz nicht ohne sie vorstellen. Um sich von seinem Kummer abzulenken, nahm er ein Taschenbuch aus seinem Rucksack und fing an zu lesen.

Hailey Fleming war eine Frau, die sehr gut organisiert war. Sie verließ sich völlig auf ihren elektronischen Organizer. Allein der Gedanke, ihn zu verlieren, machte sie nervös. Daher notierte sie in letzter Zeit ihre Termine zur Sicherheit auch noch in einem Organizer aus Papier.

Jetzt erschien sie pünktlich zum besten Termin des Tages. Nach der Arbeit bei Dalbello and Company, wo sie viele Überstunden machte, um sich als selbstständige Immobilienmaklerin zu profilieren, traf sie sich auf ein Glas Wein mit ihrer Kollegin Julia Atkinson, die zu einer engen Freundin geworden war. Sie sah sich im Bistro um. Julia kam wie immer zu spät. Sie setzte sich an einen freien Tisch, bestellte ein Glas Wein und ging sorgfältig ihre Termine für den nächsten Tag durch. Dann notierte sie einige Verbesserungsideen für ihre Website.

„Bin ich zu spät?“, fragte ihre Freundin atemlos und sank auf den Stuhl Hailey gegenüber.

„Natürlich. Wie immer.“

Julia lächelte. „Ich war bei der Eröffnung einer neuen Möbelgalerie, die einige fantastische Modelle aus Mailand präsentiert. Ich habe mich so gut unterhalten, dass ich glatt die Zeit vergessen habe. Außerdem gab es diese köstlichen Kekse, ich konnte mich kaum bremsen. Aber ein schlechtes Gewissen habe ich nicht – ich wette, du hast eine Menge Arbeit erledigt, während du gewartet hast.“

„Ein halbes Tagespensum mindestens“, lachte Hailey. Ihre Freundin bestellte sich einen Wodka Tonic, was nur bedeuten konnte, dass Julia wieder eine ihrer Diäten machte. Und das hieß …

„Ich habe einen Mann getroffen!“

Hailey lehnte sich nach vorn. „Wow, das ging schnell. Wir haben uns doch erst letzte Woche gesehen. Erzähl mir alles!“

Julia zog ihre Jacke aus. Darunter trug sie passend zu ihren kinnlangen, roten Locken ein schwarzrotes Kleid und eine ihrer vielen glitzernden Vintage-Halsketten. „Er ist Ingenieur und wohnt Downtown. Er war verheiratet. Aber seine Frau hat ihn verlassen und ihm das Herz gebrochen.“

„Wo bist du ihm begegnet?“

Julia trank einen Schluck ihres Wodka Tonic, den der Kellner inzwischen gebracht hatte. „Tatsächlich bin ich ihm noch nicht begegnet.“

„Wie?“ Hailey war irritiert.

Sie zuckte die Schultern. „Ich habe ihn auf LoveMatch.com entdeckt.“

„Oh. Online-Dating.“

„Vorher habe ich das noch nie ausprobiert. Aber viele Frauen treffen online tolle Männer. Also warum nicht? Wenn man beruflich Immobilien, die zum Verkauf stehen, aufmöbelt und dekoriert, lernt man keine Männer kennen.“ Sie dachte eine Sekunde lang nach. „Zumindest keine Heterosexuellen.“

„Woher weißt du schon so viel über ihn?“

„Wir haben miteinander telefoniert. Er hält sich momentan geschäftlich auf den Philippinen auf. Nächsten Dienstag treffe ich ihn.“ Ihre Augen leuchteten. „Willst du ein Foto von ihm sehen?“

„Natürlich.“

Julia holte ihren Tablet-PC aus der Tasche und drehte den Bildschirm nach ein paar Sekunden zu Hailey herum.

Der grinsende blonde Mann auf dem Foto war absolut nicht ihr Typ. Er war zu schön für ihren Geschmack. Doch ihrer Freundin gefielen schöne Männer. „Wow.“

„Meine große Angst ist, dass er zu gut für mich aussieht. Oh, und er hat einen sehr süßen Akzent. Er wurde in Manchester geboren, hat aber auf der ganzen Welt gelebt. Er stammt wie du aus einer Soldatenfamilie.“

Hailey betrachtete noch einmal das Foto. Trotz des markanten Kinns schien es dem Mann irgendwie an Charakter zu mangeln. Aber das würde sie Julia niemals sagen. Außerdem war ihr klar, dass sie ausgesprochen wählerisch war. „Er sieht nicht zu gut für dich aus. Du bist so hübsch.“

„Glaubst du, dass ich bis Dienstag zehn Pfund abnehmen kann?“

„Hör auf damit.“ Hailey verkniff sich ein Lachen. „Er hat doch dein Foto gesehen, richtig? Offenbar hat ihm gefallen, was er gesehen hat.“

Julia biss sich auf die Unterlippe. „Ich habe ein Foto genommen, das letztes Jahr aufgenommen wurde. Damals war ich dünner.“

Obwohl ihre Freundin eine gescheite, selbstbewusste Frau war, hatte sie Komplexe wegen ihrer Figur. Hailey wusste, dass es keinen Zweck hatte, darüber mit ihr zu diskutieren. „Es wird sicher gut gehen“, versicherte sie stattdessen.

„Vermutlich. Ich habe einfach solches Pech mit Männern.“ Sie warf einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf das Foto und steckte den Tablet-PC weg. „Wie geht es dir?“

„Ich habe auch Neuigkeiten“, sagte Hailey aufgeregt.

Julia sah sie überrascht an. „Du hast einen Mann getroffen?“

„Nein. Für Männer habe ich keine Zeit, schließlich baue ich mir ein Unternehmen auf. Vielleicht in ein paar Jahren, wenn ich das Gefühl habe, erfolgreich zu sein …“

„Ich weiß. Du und dein Organizer in zweifacher Ausführung.“

„Listen halten mich auf dem Laufenden.“ In ihrem Leben hatte so viel Chaos geherrscht. Manchmal dachte sie, dass ihr diese Listen ein Gefühl der Kontrolle und Stabilität vermittelten, das sie als Kind nie gehabt hatte. Sie war damals in dreizehn Jahren zwölfmal umgezogen. Daher rührte ihr Bedürfnis nach Ordnung. Ihre Mutter hatte es irgendwann sogar aufgegeben, die Wohnungen herzurichten, weil es sinnlos gewesen war. Irgendwann hatte Hailey Umzugskisten gehasst. Deswegen war sie Immobilienmaklerin geworden. Sie wollte Menschen helfen, ein dauerhaftes Zuhause zu finden.

„Vermisst du es nicht, einen Mann in deinem Leben zu haben?“ Julia senkte die Stimme. „Den Sex?“

„Es gibt viele Männer in meinem Leben. Kunden, Immobilienmakler, Freunde.“

„Und Sex?“

„Ich habe Sex“, verteidigte sie sich. „Okay, nicht viel Sex. Es ist eine Weile her. Aber flüchtige und unverbindliche Abenteuer sind einfach nichts für mich.“ Hailey zuckte mit den Schultern. „Seitdem meine Verlobung in die Brüche gegangen ist …“

Sie hatte damals geglaubt, Drake, ein Anwalt, sei perfekt für sie. Sie hatten bei der Abwicklung einiger Projekte gut zusammengearbeitet, waren beide ehrgeizig und engagiert. Erst als sie über einen möglichen Hochzeitstermin gesprochen hatten, war ihnen aufgefallen, wie wenig ihre Lebensentwürfe zusammenpassten.

Drake hatte nach New York ziehen wollen, um in einer größeren Kanzlei zu arbeiten, sie dagegen stand in Seattle erst am Anfang ihrer Karriere. Er hatte sich sofort Kinder gewünscht, sie hatte noch einige Jahre warten wollen. Vor einem Jahr war er ohne sie nach New York gegangen. Seitdem hatte Hailey sich in die Arbeit gestürzt und ihn weniger vermisst, als sie vermutet hatte.

„Er war ein Vollidiot, dass er New York dir vorgezogen hat.“

„Danke. Ganz meine Meinung.“

„Also, was sind deine großen Neuigkeiten?“

„Ich habe heute eine tolle Immobilie hereinbekommen. Das ist meine große Chance. Onkel Ned, ein alter Freund meines Vaters und Anwalt, hat mir Bellamy House angeboten.“

Julia machte große Augen. „Dieses schöne alte Haus auf dem Hügel?“

„Ja. Die Besitzerin ist vor zwei Monaten gestorben. Onkel Ned ist der Testamentsvollstrecker. Es gibt einen Enkel, der dem Verkauf zugestimmt hat.“

„Das ist fantastisch!“

„Ich weiß.“ Hailey setzte ein ernstes Gesicht auf. „Es gibt nur ein Problem.“

Ihre Freundin griff nach ihrer Hand. „Es muss aufgemöbelt werden?“

„Ja! Und am besten sofort. Ich glaube, ich habe bereits die perfekten Käufer dafür. Ich würde ihnen das Haus gern am Dienstagmorgen zeigen. Natürlich ist es viel verlangt – aber kannst du morgen schon loslegen?“

„Ich bin bekannt dafür, dass ich Wunder vollbringe. Hast du den Schlüssel für das Haus?“

„Ja.“

„Wenn du es mir heute Abend zeigen kannst“, meinte Julia, „sehe ich, was ich brauche. Und bis morgen Abend hast du dann dein Wunder.“

„Ich kann es kaum erwarten, es dir zu zeigen. Dieses Haus ändert alles.“

Als Rob aus dem Taxi stieg, schmerzte sein verletztes Bein fürchterlich. In Chicago hatte das Flugzeug wegen des Nebels Startverbot gehabt. Dadurch hatte sich eine relativ unkomplizierte achtstündige Anreise in eine zweitägige Tortur verwandelt. Seine Augen brannten vor Müdigkeit. Obwohl er beruflich ständig unterwegs war, hatte er noch nicht herausgefunden, wie man in einem Flugzeug schlafen konnte.

Aber jetzt stand er endlich vor dem Haus, das er immer als sein Zuhause betrachtet hatte. Plötzlich wurde ihm das Herz schwer. Seine Großmutter war nicht mehr da. Durch ihren plötzlichen Tod hatte er es nicht einmal geschafft, zur Trauerfeier zu kommen. Das letzte Mal hatten sie sich vor ein paar Monaten gesehen, als er sie zwischen zwei Aufträgen besucht hatte.

Hatte sie gebrechlicher gewirkt als früher? Rob schüttelte den Kopf. Nein, sie war mit ihren achtundachtzig Jahren geistig fit wie immer gewesen. Sie hatte ihn sogar ermahnt, sich mit dem Heiraten und Kinderkriegen zu beeilen, damit sie vor ihrem hundertsten Geburtstag Urenkel bekäme. Natürlich hatte er ihr nicht gesagt, dass er nicht heiraten und eine Familie gründen würde, bis er eine Frau wie sie gefunden hätte. Das war in fünfunddreißig Jahren nicht geschehen. Und er bezweifelte, dass es je passieren würde.

Seine Großmutter hatte gelacht und gesagt, dass er seine Ansprüche herunterschrauben sollte. Er grinste, als er sich daran erinnerte. Nein, sie hatte definitiv nicht vorgehabt zu sterben. Verdammt. Er vermisste sie. Wahrscheinlich musste er einige Dinge regeln und Papiere unterschreiben. Doch jetzt brauchte er zuerst einmal etwas zu Trinken, eine heiße Dusche und viel Schlaf – ohne Unterbrechungen in einem richtigen Bett.

Rob humpelte den Weg zur Haustür. Es war ein kühler Abend, obwohl es erst Anfang September war. Rob bemerkte, dass die Stufen vor der Haustür vor Kurzem gefegt und blühende Büsche in die Hochbeete gepflanzt worden waren. Wer das oder warum das jemand getan hatte, konnte er sich nicht erklären. Im Moment war er auch viel zu erschöpft, um sich über solche Nebensächlichkeiten Gedanken zu machen.

Hailey sah ihre Aufgabe als Immobilienmaklerin vor allem darin, das richtige Haus mit dem richtigen Käufer zusammenzubringen. Heute Morgen etwa hatte sie dank der Empfehlung eines zufriedenen Kunden ein kleines Loft in der Innenstadt hereinbekommen. Fehlte nur noch der ungebundene Single, der sich in das Apartment verliebte. Sie war noch relativ neu im Geschäft. Daher erfüllten sie jede Empfehlung, jeder neue Auftrag und besonders jeder Verkauf einer Immobilie mit Stolz.

Jetzt war sie bereit für eine weitere Zusammenführung. Bellamy House, das sie jetzt Samantha und Luke MacDonald zeigen würde, war wie für das Ehepaar geschaffen. Das hatte sie im Gefühl.

Sie hatte Reinigungskräfte und einen Fensterputzer angeheuert. Julia hatte die Innenräume des soliden, aber in die Jahre gekommenen Hauses neu dekoriert. Um vom vernachlässigten Garten abzulenken, hatte Hailey vor der Haustür blühende Büsche gepflanzt. Alles war so perfekt hergerichtet, wie ihre Zeit und ihre Möglichkeiten es ihr erlaubt hatten. Der Sonnenschein spiegelte sich in den blitzblank geputzten Fenstern des Hauses im Stil der Jahrhundertwende, das früher einmal ein richtiges Prunkstück gewesen sein musste.

Pünktlich um elf Uhr kam das junge Ehepaar zum Besichtigungstermin. „Dieses Haus wird Ihnen bestimmt gefallen.“ Hailey reichte Ihnen ein Papier mit den wichtigsten Informationen. „Es ist gerade erst auf den Markt gekommen. Ich habe sofort an Sie gedacht.“

Sie schloss die Haustür auf. Das frisch gewachste Eichenparkett schimmerte im hereinfallenden Licht. Es war erstaunlich, was ein gründlicher Hausputz bewirken konnte. Obwohl die vorherige Besitzerin Agnes Neeson das Haus in Ordnung gehalten hatte, war es seit ihrem Tod verstaubt. Inzwischen war der muffige Geruch verschwunden. Stattdessen duftete es nach den Lilien und Rosen, die Julia in einer gläsernen Vase auf dem Tisch im Foyer arrangiert hatte.

Hailey führte das Ehepaar herum, wies auf die Größe des Wohn- und des Esszimmers sowie auf den geschnitzten Kaminsims und die Einbauschränke aus Glas hin. Julia hatte wirklich ein Wunder vollbracht. Sie hatte persönliche Dinge von Agnes Neeson, den Schnickschnack und die meisten der veralteten Möbel eingelagert und sie durch moderne Möbel, Kissen und Decken in leuchtenden Farben ersetzt.

Samantha und Luke waren sichtlich angetan und ein wenig aufgeregt. Hailey konnte das nachvollziehen. Wer wollte nicht ein großes Haus wie dieses? Der Preis lag an der oberen Grenze ihres Budgets. Aber sie könnten den Betrag aufbringen und unterhielten sich bereits darüber, wie sie die Räume kindersicher machen könnten.

„Hier ist genug Platz für eine neue Einbauküche“, sagte Hailey, als sie weitergingen. Ihr gefiel die Küche mit den alten Schränken und den gelben Wänden. Doch die MacDonalds bevorzugten wahrscheinlich Haushaltsgeräte aus Edelstahl und Arbeitsplatten aus Granit. Als Samantha ihren Ehemann daran erinnerte, Renovierungskosten einzuplanen, wusste sie, dass sie richtig gelegen hatte. Er stöhnte theatralisch, grinste aber und schien einverstanden zu sein.

Hailey war gern Single. Aber in Momenten wie diesen, wenn sie einen Blick in ein anderes mögliches Leben erhaschte, stellte sie sich vor, wie es wäre, mit einem Mann eine Familie zu gründen und ein Zuhause zu haben.

„Es gibt noch vier weitere Zimmer?“, fragte Samantha.

„Ja. Eines wäre ideal als Kinderzimmer. Eines hat die richtige Größe für ein Gästezimmer. Das andere könnte ich mir gut als Arbeitszimmer vorstellen. Das Schlafzimmer ist ein besonderes Highlight. Kommen Sie mit.“

Im ersten Stock zeigte sie dem Ehepaar zuerst die beiden kleineren Räume. Dann öffnete sie die Schlafzimmertür. „Das ist mein Lieblingszimmer. Darin steht ein altmodisches Himmelbett, das Sie zusammen mit dem Haus kaufen könnten. Der Raum ist groß, gut geschnitten, verfügt über einen Fenstersitzplatz, einen Kamin und Zugang zu einem eigenen Bad.“ Sie schaltete die Deckenlampe an, damit sie die begeisterten Gesichter ihrer Kunden besser sehen konnte.

Doch statt in Freudenschreie auszubrechen, blinzelte Samantha MacDonald verdutzt und schaute dann ihren ebenso verblüfften Ehemann an.

Verwirrt drehte Hailey sich um. Auf der weißen Bettdecke, die sie am Tag zuvor sorgsam glatt gestrichen hatte, lag ein großer, unrasierter Mann und schlief. Er trug ein kariertes Hemd, abgetragene Jeans und Socken, die nicht zusammenpassten. Zumindest die schmutzigen Sneakers hatte er ausgezogen. Sie standen auf dem Designerteppich vor dem Bett.

Ein Moment lang herrschte Schweigen.

„Gehört er ebenfalls zur Ausstattung des Hauses?“, fragte Samantha.

Der Fremde blinzelte verschlafen. Er hatte blaue Augen und ein schmales, vom Wetter gegerbtes Gesicht. Seine halblangen, braunen Haare waren zerzaust. Er betrachtete sie, schien über die Frage nachzudenken und lächelte.

„Man kann über alles reden“, sagte er mit vom Schlaf heiserer Stimme.

Zum Glück kicherte Samantha. Doch Hailey fand es absolut nicht amüsant, dass ein obdachloser Mann mit einem sonderbaren Sinn für Humor ausgerechnet in dem Haus ein Nickerchen machte, das sie gerade zu verkaufen versuchte. Dann sah er sie an und Hailey überkam das merkwürdige Gefühl, eine Verbindung zu dem Fremden zu haben. Einen Moment lang schauten sie sich in die Augen. Ihr Herz klopfte schneller. Irgendetwas in ihr, das in Unordnung geraten war, schien wieder an die richtige Stelle zu rücken. Die Empfindung war so seltsam, dass sie die Augen schloss.

Sie versuchte zu fragen: „Wer sind Sie?“ Und: „Was tun Sie hier?“ Aber diese Fragen sprudelten so schnell aus ihr heraus, dass sie sich verhaspelte. „Wer tun Sie hier?“

Samantha kicherte erneut.

„Ich meine: Was tun Sie hier?“

Er gähnte und legte sich auf den Rücken. „Bis Sie aufgetaucht sind, habe ich geschlafen.“

Sie widerstand der Versuchung, ihm etwas an den Kopf zu werfen. „Okay, versuchen wir es mit der anderen Frage. „Wer sind Sie?“

„Robert Klassen. Und wer sind Sie?“

„Mein Name ist Hailey Fleming. Ich bin Immobilienmaklerin. Dieses Haus steht zum Verkauf.“

Er rieb sich die Augen. „Sieht es hier deshalb wie in einem Möbelgeschäft aus? Ich habe das Haus kaum wiedererkannt. Einen derart modernen Geschmack hatte meine Großmutter nie. Das Einzige, was ich wiedererkannt habe, war dieses Bett.“ Er warf den MacDonalds einen Blick zu. „Sie ist darin gestorben.“

Autor

Nancy Warren
Nancy Warren hat mehr als 20 erotische und witzige Liebesromane mit großem Erfolg veröffentlicht. Ihren großen Durchbruch hatte sie im Jahr 2000, als sie den Harlequin Blaze-Wettbewerb für bisher unveröffentlichte Autoren gewann. Daraufhin erhielt sie sogleich den Auftrag, drei Romane zu verfassen. Es folgten weitere Preise bei etlichen Wettbewerben. Zudem...
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