Herz in Gefahr?

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Endlich kann er es ihr heimzahlen! Seit die schöne Harriet seine Liebe verriet, hat der attraktive Selfmade-Millionär James Crawford Rache geschworen. Jetzt ist der Moment da: Er wird den hochherrschaftlichen Landsitz ihrer verarmten Familie für eine exklusive Party mieten, Harriet verführen - und dann fallenlassen! Sein Entschluss ist gefasst. Bis er Harriet bei einem langsamen Walzer an sich zieht und küsst. Überraschend spürt er keinen Hass mehr, nur pure Zärtlichkeit. Ist Harriet doch nicht so berechnend, wie er glaubte? Oder ist sein Herz gerade erneut in höchster Gefahr?


  • Erscheinungstag 18.08.2012
  • Bandnummer 2041
  • ISBN / Artikelnummer 9783864946028
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Seit er die Stadt vor zehn Jahren in einer stürmischen Nacht Hals über Kopf verlassen und sich geschworen hatte, nie wieder einen Fuß auf dieses Pflaster zu setzen, schien sich auf den Straßen um die im Mittelalter erbaute Markthalle nicht viel verändert zu haben. Die liebevoll restaurierten Fachwerkhäuser lagen im Sonnenschein, als er den Stadtkern Richtung Broad Street hinter sich ließ. Nur wenige Häuser wurden privat genutzt. Arztpraxen, Geschäftsbanken, Steuerberater, Rechtsanwälte und sogar Innenarchitekten hatten sich hier niedergelassen. Um seine Neugier zu befriedigen, betrat er eine bestimmte Bank und erfuhr, dass sich doch etwas verändert hatte. Gerade als er sich zum Gehen wandte, hörte er hinter sich eine vertraute Stimme und blieb wie angewurzelt stehen. Sein Herz klopfte wild. Langsam drehte er sich um und freute sich diebisch, als die Frau, die nun auf ihn zukam, bei seinem Anblick kreidebleich wurde und schwankte. Beinahe hätte er instinktiv die Arme ausgestreckt, um einen möglichen Sturz abzufangen.

„James!“, stieß sie schockiert hervor, als er ihr höflich die Tür aufhielt.

„So eine Überraschung! Wie geht es dir, Harriet?“, erkundigte er sich freundlich.

„Sehr gut.“ Das war so unübersehbar gelogen, dass er sie fast ausgelacht hätte. „Und dir?“

„Bestens.“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Es war schön, dich wiederzusehen. Leider habe ich keine Zeit. Ich bin spät dran. Bis dann.“

James Crawford machte sich auf den Weg, ohne sich noch einmal umzublicken. Es ärgerte ihn, dass diese zufällige Begegnung mit Harriet Wilde ihn so aus der Fassung brachte. Sie hatte sich sehr verändert seit damals. Unsterblich war er in die blutjunge Frau verliebt gewesen, doch sie hatte ihm den Rücken zugekehrt und sein Leben aus den Fugen gebracht.

Reglos stand Harriet vor dem Bankgebäude und sah dem Mann nach, der eilig die abschüssige Straße hinunter marschierte. Schließlich atmete sie zitternd aus und machte sich leicht benommen auf den Weg zu ihrem Wagen. Jahrelang hatte sie sich davor gefürchtet, James Crawford wieder zu begegnen. Zu viele schlaflose Nächte und ein erheblicher Gewichtsverlust waren die Folge gewesen. Ihre Schwestern hatten ihr sogar vorgeworfen, es mit ihrer angeblichen Diät zu übertreiben. Es hatte eine halbe Ewigkeit gedauert, bevor sie aufhören konnte, in jedem hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann, den sie in der Ferne sah, James zu erkennen. Dabei hatte sie ihn tatsächlich zehn lange Jahre nicht gesehen. Und jetzt musste das Schicksal sie ausgerechnet fast mit ihm zusammenprallen lassen, während sie nach einem anstrengenden Arbeitstag vermutlich genauso alt aussah, wie sie inzwischen tatsächlich war! Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, nach dem Mittagessen die Lippen neu zu schminken. Verbittert lächelte sie vor sich hin. Es bedurfte bedeutend mehr, die Unstimmigkeiten mit James auszubügeln. Wahrscheinlich hatte er inzwischen Frau und Kinder. Diese Vorstellung versetzte ihr einen heftigen Stich. Dabei war sie so sicher gewesen, über ihn hinweg zu sein. Was er nach all den Jahren wohl hier wollte? Ihr Handy klingelte, als sie die steile, kurvige Auffahrt hinauffuhr. Der Anruf ihres Vaters wurde auf die Mailbox geleitet. Nach der aufwühlenden Begegnung mit James musste sie sich erst einmal zu Hause in Ruhe sammeln, bevor sie den Abend in Gesellschaft überstehen konnte.

Nach dem Abschluss als Wirtschaftsprüferin hatte Harriet eine Stelle bei einem ortsansässigen Unternehmen angenommen und ein verlockendes Jobangebot aus London abgelehnt. Dann überraschte sie ihre Familie mit der Ankündigung, ganz ins Pförtnerhaus des elterlichen Landsitzes River House zu ziehen.

„Wieso das denn?“, hatte ihre älteste Schwester Julia verblüfft gefragt. „Das ist doch viel zu klein.“

Weil sie dort völlig für sich wohnen konnte und ihre Privatsphäre geschützt war, denn das Häuschen lag etwas entfernt vom Herrenhaus. Jedoch nah genug, ein wachsames Auge darauf zu haben. „Ich finde es gemütlich“, erklärte Harriet. „Außerdem habe ich dort immer gelernt. Es ist doch wohl verständlich, dass ich in meinem Alter auch meine eigenen vier Wände haben möchte.“

Aubrey Wilde hatte sofort sein Veto gegen diesen Plan eingelegt. „Mach dich nicht lächerlich, Harriet! Warum willst du denn ganz für dich sein?“

Weil es wesentlich angenehmer wäre, als allein mit ihrem Vater im Herrenhaus zu wohnen. Die smarte Julia war Chefredakteurin einer Modezeitschrift in London und ließ sich nur selten auf dem Landsitz blicken. Die hübschere, aber nicht annähernd so intelligente Sophie war mit Mann und Kind und gesellschaftlichen Verpflichtungen in Pennington so ausgelastet, dass sie selten Zeit fand, nach River House zurückzukehren.

„Wenn dir das nicht passt, Vater, kann ich mir auch eine Wohnung in der Stadt nehmen“, hatte Harriet ihm ungerührt zu verstehen gegeben. Da seine Tochter sich immer streng an die Regeln hielt, wenn man mal von einem Vorfall aus Teenagertagen absah, an den er nicht mehr erinnert werden wollte, war Aubrey Wilde schließlich widerstrebend auf ihren Wunsch eingegangen.

Es würde ungleich schwerer werden, ihm heute Abend sein Einverständnis abzuringen. Zur moralischen Unterstützung zog Harriet ihr Lieblingskleid an und bürstete ihr langes Haar, das sie offen tragen wollte. Tagsüber steckte sie es stets straff auf. Nur sie hatte die üppigen Locken ihrer Mutter geerbt. Die stets neidische Sophie musste zur Haarverlängerung greifen und Stunden beim Friseur verbringen und erreichte trotzdem nicht annähernd die gleiche Haarpracht. Julia ließ sich regelmäßig eine elegante Kurzhaarfrisur schneiden, die wahrscheinlich so teuer war, wie sie aussah.

Harriet legte noch ein leichtes Make-up auf, schlüpfte in ihre höchsten High Heels und fühlte sich so gewappnet für den Gang in die Höhle des Löwen.

Als Harriet das geliebte alte Haus durch den Hintereingang betrat, umwehte sie in der riesigen, jedoch verlassenen Küche sofort ein appetitanregender Duft. Aus dem Salon drangen Stimmen. Offensichtlich unterhielten Julia und Sophie sich bei einem Aperitif angeregt mit ihrem Vater. An das Abendessen verschwendeten sie keinen Gedanken. Ihre Schwestern erwarteten, dass die Mahlzeiten ohne ihr Dazutun bereitet und aufgetragen wurden.

Wieder einmal dankte Harriet im Stillen der Perle, die River House so vorbildlich in Schuss hielt. Margaret Rogers kam jeden Wochentag für drei Stunden ins Herrenhaus, sorgte für Ordnung und Sauberkeit, bereitete Aubrey Wilde ein leicht bekömmliches Mittagessen, sofern er nicht auswärts aß, und füllte die Tiefkühltruhe mit schmackhaftem Abendessen, das er sich in der Mikrowelle aufwärmen konnte. Seit sie ihm vor einiger Zeit gezeigt hatte, wie das Gerät bedient wurde, brüstete er sich oft damit, wie gut er allein zurechtkam. Das Los des Hausherrn wog leicht auf seinen Schultern. Seit Bankdirektor Aubrey Wilde in Frühpension gegangen war, hielt er sich vorwiegend auf dem Golfplatz, in der Bar seines Klubs oder bei gesellschaftlichen Veranstaltungen auf.

Harriet vergewisserte sich, dass die duftende Wildterrine im Backofen nur warm gestellt war und nicht anbrennen konnte. Dann brachte sie die Vorspeise ins Esszimmer. Die wie immer sehr gepflegte und dominante Julia gesellte sich zu ihr, als sie die Salatteller auf dem für vier Personen gedeckten Ende des langen Esstisches abstellte.

„Da bist du ja endlich“, sagte Julia schroff. „Pa hat schon mehrmals bei dir angerufen.“

Harriet küsste die Luft neben der sorgfältig geschminkten Wange, die Julia ihr bot. „Mein letzter Klient hat mich vorhin aufgehalten. Daher konnte ich das Büro nicht pünktlich verlassen.“

„Und ich habe mir extra die Mühe gemacht, aus London anzureisen, obwohl ich an einer sehr wichtigen Besprechung hätte teilnehmen müssen“, erklärte Julia vorwurfsvoll.

Unbeeindruckt zog Harriet eine Augenbraue hoch. „Du hast doch sicher die gesamte Zugfahrt über am Handy gehangen und deine Mitarbeiter gescheucht.“

Ihre Schwester stritt diesen Vorwurf nicht einmal ab. „Sag mal, warum hast du uns eigentlich alle zusammengerufen? Doch sicher nicht zum gemeinsamen Gebet.“

„Wer weiß? Ich brauche heute Abend zumindest eure Unterstützung.“

„Das sind ja ganz neue Töne.“ Julia musterte sie scharf. „Du bist doch nicht etwa wieder mit einem nicht standesgemäßen Typen liiert, oder?“

Harriet warf ihr einen vernichtenden Blick zu und machte sich wieder auf den Weg in die Küche.

„Ich sage Vater Bescheid, dass du da bist“, rief Julia ihr nach. „Möchtest du einen Drink?“

„Später.“ Harriet spürte, wie ihre modebewusste Schwester ihr kritisch auf den Po in dem eng anliegenden Kleid starrte. Es war ihr egal. Seit dem massiven Gewichtsverlust nach der Trennung von James vor zehn Jahren hatte sie wieder etwas zugenommen. Doch ihre Kleidergröße war immer noch eine Nummer kleiner als Julias und mindestens zwei Nummern kleiner als Sophies.

Sie setzte frischen Spargel auf und presste die Lippen zusammen, als sie heute bereits zum zweiten Mal an James Crawford erinnert wurde, den ihr Vater als nicht standesgemäß für seine Tochter erachtet hatte, da er ja nur ein Computertechniker gewesen war. Es hatte Harriet damals in tiefe Verzweiflung gestürzt, dass auch ihre Patentante sich zum ersten Mal gegen sie und auf Aubrey Wildes Seite stellte.

„Du bist noch viel zu jung, Liebes“, hatte Miriam Cairns gewarnt. „Dein Studium geht vor. Wenn der junge Mann wirklich so wundervoll ist, wie du sagst, dann wartet er auf dich, bis du das Examen in der Tasche hast.“

Doch James wollte nicht warten, sondern hatte Harriet überredet, eine gemeinsame Wohnung in Uninähe mit ihm zu beziehen.

Aubrey Wilde hatte völlig die Beherrschung verloren, als er Wind davon bekam. Puterrot im Gesicht hatte er gebrüllt, er werde den Inhaber der Computerfirma, bei der James beschäftigt war, veranlassen, seinen Angestellten fristlos zu entlassen. Sein Golffreund schulde ihm sowieso noch einen Gefallen. Sollte Harriet sich trotz seines Verbots weiterhin mit dem „jungen Schnösel“ treffen, werde er eine Bannmeile gegen ihn erwirken. Beim geringsten Verstoß gegen diese Auflage würde James Crawford verhaftet werden.

Verzweifelt hatte Harriet mit allen Mitteln versucht, ihren Vater davon abzubringen. Vergeblich. Schließlich fügte sie sich, weil sie James schützen wollte. Sie erklärte, es wäre ihr nicht möglich, mit ihm zusammenzuleben, bevor sie ihr Studium abgeschlossen hatte. „Du würdest mich so sehr ablenken, dass ich das Examen nie schaffen würde“, behauptete sie.

Zuerst hatte James gelacht, weil er dachte, sie machte Witze. Als er seinen Irrtum erkannte, versuchte er, Harriet umzustimmen. Schließlich gab er sich geschlagen und fragte bedrückt: „Das war’s dann also, oder? Verschwinde Crawford, und lass dich hier nie wieder blicken!“

„Nein!“ Harriet liefen die Tränen nur so über die Wangen. „Sowie ich das Examen in der Tasche habe, ändert sich alles.“

„Erwartest du im Ernst, dass ich so lange auf dich warte, Harriet?“ Sein sarkastisches Lächeln verletzte sie zutiefst. „Dein Vater hat dir den Umgang mit mir verboten, oder? Und du als gehorsame Tochter wehrst dich nicht einmal“, fügte er verbittert hinzu.

„Ich hatte keine Wahl“, stieß sie verzweifelt hervor.

„Jeder Mensch hat eine Wahl. Und du hast deine getroffen, Kleine. Also verschwinde! Lauf zu Daddy und werde erst mal erwachsen!“

Sowie sie zu Hause angekommen war, hatte sie versucht, ihn anzurufen, musste jedoch am Boden zerstört feststellen, dass er weder telefonisch noch per E-Mail zu erreichen war. Der Computerexperte James Crawford hatte alle Verbindungswege abgebrochen. Gleich am nächsten Morgen eilte sie zu dem Haus, wo er zur Untermiete wohnte und musste erfahren, dass er ausgezogen war und keine Kontaktadresse hinterlassen hatte.

Der durchdringende Piepton des Herdtimers beförderte sie unsanft zurück in die Gegenwart. Harriet stellte die Auflaufform auf den Servierwagen, schob ihn ins Esszimmer und begab sich zum Salon. „Das Essen steht auf dem Tisch.“

„Wird auch Zeit“, murrte Sophie und sprang auf. „Ich bin schon halb verhungert.“

„Dann hättest du mir zur Abwechslung ja mal helfen können“, erwiderte Harriet in so ungewöhnlich scharfem Tonfall, dass der Rest der Familie sie erstaunt anstarrte.

„Hattest du einen anstrengenden Tag?“, erkundigte ihr Vater sich vorsichtig.

Sophie wehrte sich entrüstet. „Ich hatte auch einen anstrengenden Tag. Annabel macht mich völlig fertig.“

„Tatsächlich? Ich dachte, sie macht eure wundervolle Pilar fertig“, entgegnete Harriet in Anspielung auf das spanische Au-pair-Mädchen ihrer Schwester.

Julia lachte schadenfroh. „Jetzt hat sie’s dir aber gegeben, Sophie.“

Aubrey Wilde musterte Harriet beunruhigt. „Ist was passiert?“

„Nein, nur das Übliche“, behauptete Harriet. „Lasst uns erst mal etwas essen, bevor die arme kleine Sophie uns noch vor Unterernährung umkippt.“

Sophie, die weder klein noch unterernährt war, wollte ihrer Schwester gerade eine passende Antwort geben, verkniff sie sich jedoch, als sie den warnenden Blick ihres Vaters auffing. Beleidigt setzte sie sich zu Tisch.

Dankbar nippte Harriet an dem Wein, den der Hausherr ihr eingeschenkt hatte. Appetit hatte sie allerdings nicht, da sie die ganze Zeit daran denken musste, worüber sie ihre Familie nach dem Essen informieren musste.

Julia stellte die Salatteller aufs Sideboard und forderte Sophie auf, die Essteller aufzudecken, damit Harriet die Wildterrine auffüllen konnte. Aubrey freute sich, dass seine Töchter plötzlich so einträchtig zusammenarbeiteten.

„Warum hast du uns denn nun heute Abend hergebeten, Daddy?“, fragte Sophie schließlich, als sie wieder im Salon Platz genommen hatten.

„Meine Idee war das nicht.“ Er zuckte die Schultern und schenkte sich ein Glas Cognac ein. „Sondern Harriets. Aber ich freue mich sehr, meine Mädchen mal wieder alle um mich zu haben.“

Julia zog die perfekt gezupften Augenbrauen hoch. „Habe ich etwa ein wichtiges Ereignis übersehen, Harriet? Geburtstag hast du heute ja nicht. Bist du vielleicht befördert worden?“

„Leider nicht.“ Harriet zog ihren Aktenkoffer heran.

„Oh nein!“ Sophie stöhnte. „Brauchst du etwa unsere Unterschriften?“

„Nein, keine Sorge.“ Harriet breitete einige Dokumente auf einem Beistelltisch aus. „Aber es ist wichtig, dass du und Julia an diesem Gespräch teilnehmen.“

Ihr Vater warf ihr einen verärgerten Blick zu. „Die Bilanz hättest du zuerst auch mit mir allein durchgehen können, Harriet.“

„Dann hätte ich mir von dir anhören müssen, dass meine Aufstellung pessimistischer Unfug ist“, antwortete Harriet gelassen.

Sophie wollte gerade protestieren, wurde jedoch mit einer Handbewegung von Julia zum Schweigen gebracht. „Hast du den Jahresabschluss gemacht, Harriet?“

„Ja.“ Sie war froh über Julias unerwartete Unterstützung. „Ich habe zwar darauf verzichtet, heute Abend mit Vater zunächst unter vier Augen zu reden, aber ich kann euch versichern, dass ich immer wieder versucht habe, ihn zur Einsicht zu bringen. Schließlich blieb mir gar nichts anderes übrig, als euch hinzuzuziehen.“

Aubrey lief rot an. „Ständig werde ich von ihr ermahnt zu sparen“, beschwerte er sich. „Dabei führe ich seit meiner Pensionierung ein ganz einfaches Leben und gönne mir keinerlei Luxus. Wo soll ich denn noch sparen?“

Harriet ließ die Bombe platzen. „Verkauf das Haus, Vater!“

Ausnahmsweise waren Julia und Sophie sich mal einig. Entsetzt blickten sie zwischen Harriet und ihrem Vater hin und her.

„Er soll River House verkaufen?“, fragte Sophie fassungslos.

Julia runzelte die Stirn. „Steht es wirklich so schlecht mit den Finanzen?“

Harriet warf ihrem Vater einen herausfordernden Blick zu. Aubrey räusperte sich und räumte schließlich kleinlaut ein, dass es tatsächlich alles andere als rosig aussah. „Leider musste auch ich in der letzten Zeit durch die Wirtschaftskrise erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen.“

„Was heißt das im Klartext, Harriet?“ Julia wandte sich wieder ihrer Schwester zu.

„Ohne zusätzliches Einkommen kann Vater sich das Haus nicht mehr leisten. Es verschlingt einfach zu viel Geld.“

Verdrießlich verzog Aubrey das Gesicht. „Eurem Großvater stand noch ein Maurer zur Verfügung, wenn Reparaturen anfielen. Außerdem beschäftigte er zwei Gärtner in Vollzeit. Ich kann Ed Haines nur engagieren, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Und sein Sohn kümmert sich einmal die Woche um den Garten.“

„Selbst dafür ist kaum noch Geld vorhanden“, warf Harriet ein.

Wütend fuhr Sophie ihre Schwester an. „Bist du sicher, dass du dich auch nicht verrechnet hast? Vielleicht wäre es besser, Vaters Buchhaltung einem der Seniorpartner in deiner Kanzlei zu überlassen.“

Das ging zu weit! Verärgert forderte Aubrey seine Tochter auf, sich sofort bei Harriet zu entschuldigen.

„Tut mir leid!“ Sophie brach in Tränen aus. „Aber die Vorstellung, River House verkaufen zu müssen, bringt mich um“, schluchzte sie.

„Harriet ist Wirtschaftsprüferin. Selbstverständlich hat sie sich nicht verrechnet.“ Julia, mit ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, sprang ihr zur Seite.

„Ich habe die Zahlen von einem der Seniorpartner überprüfen lassen. Rex Barlow ist zu dem gleichen Ergebnis gekommen wie ich“, erklärte Harriet müde. „Ohne zusätzliche Einnahmen kann Vater das Haus nicht mehr halten. Es muss verkauft werden.“

„Leider kann ich nur wenig Geld beisteuern“, sagte Julia bedauernd. „Die Hypothek auf meine neue Wohnung frisst alles auf.“

„Gervase kann ich nicht um finanzielle Unterstützung bitten. Er hat mir fast den Kopf abgerissen, als er meine letzte Kreditkartenabrechnung gesehen hat.“ Geknickt senkte Sophie den Kopf.

„Selbst wenn ihr einen Beitrag leisten könntet, wäre das nur eine vorübergehende Lösung. Allerdings …“ Der Anblick der drei hoffnungsvollen Gesichter hätte sie unter anderen Umständen amüsiert. „Allerdings gäbe es vielleicht eine andere Lösung, Vater, wenn du partout nicht verkaufen willst.“

„Und welche wäre das?“ Aubrey schöpfte neue Hoffnung.

„Kannst du Vater nicht eine höhere Miete für das Pförtnerhaus bezahlen?“, fragte Sophie.

„Wenn dir nichts Besseres einfällt, solltest du lieber den Mund halten, Sophie“, fauchte Julia. „Nur interessehalber: Wie viel Miete zahlst du, Harriet?“

Aubreys Gesicht lief erneut rot an, als Harriet die Summe nannte.

„Ich weiß, dass es zu viel ist“, gestand er kleinlaut.

„Viel zu viel.“ Julia musterte ihn vorwurfsvoll. „Niemand sonst würde auf die Idee kommen, eine so horrende Summe für das winzige Haus zu bezahlen. Du hast es natürlich bezaubernd hergerichtet, Harriet. Auf eigene Kosten. Für das Geld könntest du eine Luxuswohnung in der Stadt mieten.“

„Und warum bleibst du dann hier?“, fragte Sophie weinerlich.

„Weil sich ständig jemand um River House kümmern muss, wenn es in Familienbesitz bleiben soll“, erklärte sie. „Nach dem Examen habe ich Vater meine kostenlose Hilfe angeboten, das heißt, ich kümmere mich um die Buchhaltung, sorge dafür, dass die Rechnungen pünktlich bezahlt werden, und berate mich mit Ed Haines über dringende Reparaturen. Aber wenn nicht bald etwas passiert, ist kein Geld mehr da. Du wirst Margaret Rogers entlassen müssen, Vater, und dich selbst um Haushalt und Garten kümmern. Und du musst deinen neuen Wagen verkaufen“, fügte sie gnadenlos hinzu.

Das schien für Aubrey der Tropfen zu sein, der das Fass zum Überlaufen brachte. „Wie also lautet deine Lösung?“, erkundigte er sich ungewöhnlich demütig.

„Charlotte Brewster ist die Klientin, deretwegen ich mich vorhin verspätet habe.“

„Die Charlotte Brewster, die zu meiner Zeit Schulsprecherin war?“, fragte Julia interessiert.

Harriet nickte bestätigend. „Dieser Verbindung ist es zu verdanken, dass Charlotte mich gebeten hat, ihre Wirtschaftsprüferin zu werden.“

„Das ist ja alles schön und gut. Aber was hat das mit unserem Problem zu tun?“ Aubrey wurde ungeduldig.

„Sie arbeitet als Maklerin für Leute, die ihr Haus für Filmprojekte, PR-Veranstaltungen, Fotoaufnahmen und so weiter zur Verfügung stellen“, erklärte Harriet und lächelte zufrieden, als ihr Vater sie sprachlos anstarrte.

„Du willst doch nicht im Ernst vorschlagen, dass eine Filmcrew in meinem Haus herumtrampeln soll?“

„Wieso nicht, wenn es sich für ihre Zwecke eignet?“

„Wie aufregend!“ Sophie strahlte begeistert.

„Respekt“, sagte Julia. „Das ist eine hervorragende Idee und bringt richtig gutes Geld ein. Ich werde mein eigenes Team veranlassen, Modeaufnahmen in River House zu machen. Außerdem werde ich die Fühler nach anderen Auftraggebern ausstrecken.“

„Klingt super.“ Harriet wandte sich wieder ihrem Vater zu. „Eine andere Möglichkeit wäre, dass du vorübergehend zu Miriam ziehst und das Haus während der Sommermonate vermietest.“

„Niemals!“ Entsetzt schüttelte er den Kopf. „Miriam und ich würden uns innerhalb weniger Tage gegenseitig an die Kehle gehen.“

„Dann ziehst du eben ins Pförtnerhaus, Vater. Ich werde mir in der Stadt ein Zimmer suchen.“

Julia nickte nachdenklich. „Der Garten allein wäre sehr attraktiv für Modeaufnahmen. Ich sehe schon vor mir, wie Modedesigner sich die Klinke in die Hand geben. Models posieren auf der Veranda vor den blühenden Glyzinien oder lehnen sich lässig über die Balkonbrüstung vor meinem Zimmer.“

„Und vor meinem.“ Sophie wollte nicht außen vor bleiben.

Gespannt schaute Harriet ihren Vater an. „Wie lautet deine Antwort?“

Er rang sich ein Lächeln ab. „Ihr habt mir die Entscheidung ja schon abgenommen.“

„Wollen wir abstimmen?“

„Nicht nötig“, befand Julia. „Es steht drei zu eins.“

Aubrey gab sich geschlagen. „Ihr habt mich überzeugt. Der Entschluss wird einstimmig gefasst. Aber unter einer Bedingung: Du bleibst im Pförtnerhaus, Harriet, und behältst alles im Auge, wenn die Leute hier einfallen. Ich suche mir eine Bleibe in der Stadt. So, und nun würde ich vorschlagen, Sophie, dass du mit Julia den Tisch im Esszimmer abdeckst und den Geschirrspüler einräumst.“ Er wartete, bis die beiden Schwestern gehorsam den Salon verlassen hatten, bevor er Harriet fragte: „Bist du sicher, dass das funktioniert?“

„Es muss funktionieren. Ich habe mich kürzlich mit Ed beraten. Wir brauchen Geld, um das Dach zu reparieren.“

„Warum hast du das nicht mit mir besprochen?“

„Weil du nur siehst, was du sehen willst.“

Er seufzte ergeben. „Du hast dich sehr verändert, Harriet.“

„Das kommt dir nur so vor“, entgegnete sie.

„Ich sehe mehr, als du denkst“, behauptete er. „Und ich weiß auch, warum du mit mir nicht unter einem Dach leben willst.“

Harriet atmete erleichtert auf, als ihre Schwestern zurückkehrten und das unangenehme Schweigen im Salon beendeten. Kurze Zeit später fuhr Sophie nach Hause, und Harriet zog sich ins Pförtnerhaus zurück, froh, dass es ihr erspart geblieben war zu erwähnen, dass es bereits einen ersten Interessenten für eine Veranstaltung auf dem Landsitz gab. Ihr Vater sollte sich erst an den Gedanken gewöhnen, sein Haus demnächst zeitweise nicht mehr allein zur Verfügung zu haben.

Doch statt sich darauf zu konzentrieren, wie sie schnellstmöglich den Finanzbedarf des Landsitzes langfristig sichern konnte, kreisten Harriets Gedanken um den idyllischen Sommer, den sie vor zehn Jahren mit James Crawford verbracht hatte. Verträumt kuschelte sie sich unter die Bettdecke.

Harriet war fünfzehn gewesen, als Margaret aus dem Pförtnerhaus auszog, nachdem sie John Rogers geheiratet hatte. Es dauerte eine Weile, bevor Aubrey der Bitte seiner Tochter nachgab, dort einziehen zu dürfen, um in Ruhe zu lernen. Sie musste versprechen, sich selbst um das Häuschen zu kümmern.

Da saß sie nun einige Jahre später an einem heißen Sommermorgen an ihrem Schreibtisch, als ihr Computer abstürzte. Panisch hatte sie umgehend mit dem Inhaber des Computerladens in der Stadt telefoniert, der ihr versprach, sofort einen Fachmann zu schicken.

Wenig später tauchte ein schlaksiger junger Mann auf mit langem schwarzen Haar und nussbraunen Augen, die bei Harriets Anblick aufleuchteten.

„Hallo, ich komme von Combe Computers“, sagte er mit tiefer, heiserer Stimme, bei deren Klang ihr ein prickelnder Schauer über den Rücken rieselte.

Harriet lächelte schüchtern, bat den jungen Mann in das kleine Wohnzimmer, das sie als Arbeitszimmer nutzte und zeigte auf den Computer. „Können Sie den reparieren?“

„Ich werde mir die größte Mühe geben, Miss Wilde.“

„Harriet.“

„James.“ Er lächelte. „James Crawford.“

Sie setzte sich ans Fenster und beobachtete ihn beeindruckt bei der Arbeit.

„Die Hauptplatine ist defekt“, erklärte er schließlich und öffnete seinen voluminösen Arbeitskoffer. „Ich tausche sie aus. Es wird nicht lange dauern.“

Nicht lange genug für Harriets Geschmack. Im Handumdrehen lief der Rechner wieder, und James Crawford wollte sich verabschieden.

„Ich bin Ihnen unendlich dankbar“, sagte Harriet und lächelte ihm herzlich zu, als sie ihn zur Tür begleitete. „In meiner Verzweiflung hätte ich mir fast die Haare ausgerissen, bevor Sie aufgetaucht sind.“

„Das wäre aber sehr schade gewesen, es ist nämlich wunderschön.“ Er erwiderte ihr Lächeln. „Arbeiten Sie eigentlich auch am Abend?“

„Manchmal.“

„Hätten Sie Lust, sich heute Abend auf einen Drink mit mir zu treffen?“

„Gern.“

Sein strahlendes Lächeln raubte ihr fast den Verstand.

„Eine Frau schneller Entschlüsse. Das gefällt mir. Ich hole Sie um sieben Uhr ab.“

„Mir wäre es lieber, wenn wir uns treffen. Wo?“

Sie trafen sich in einem kleinen Pub außerhalb der Stadt, wo niemand sie kannte und verstanden sich auf Anhieb blendend. Weder Aubrey Wilde, noch Harriets Patentante Miriam Cairns oder Sophie, die auf Einladung der Familie ihrer besten Freundin die Ferien in Frankreich verbrachte, ahnten, dass Harriet und James jede freie Minute miteinander verbrachten. Wenn Aubrey wissen wollte, was sie vorhatte, erzählte sie ihm, sie nutze die Semesterferien, um möglichst viel Zeit mit ihrer ehemaligen Schuldfreundin Anne zu verbringen.

Als der Beginn ihres zweiten Studienjahrs immer näher rückte, schlug James vor, sich in der Nähe der Uni eine gemeinsame Wohnung zu nehmen, damit sie nicht getrennt sein müssten.

„Ich kann mich selbstständig machen und trotzdem weiter für die Firma arbeiten“, versicherte er Harriet. „Am wichtigsten ist doch, dass wir zusammen sind.“

Sie stimmte begeistert zu. Irgendwie würde sie ihrem Vater schon beibringen, dass sie mit dem Mann zusammenleben wollte, den sie liebte. Doch dann wurde doch nichts aus dem schönen Plan, denn sie konnte es nicht verantworten, dass James Crawfords berufliche Zukunft von Aubrey Wilde vernichtet wurde. Genau das hatte ihr Vater für den Fall angedroht, dass Harriet sich seinem Verbot widersetzte, James jemals wiederzusehen.

Autor

Catherine George
Die öffentliche Bibliothek in ihrem Heimatort nahe der walisischen Grenze war der Ort, an dem Catherine George als Kind in ihrer Freizeit meistens zu finden war. Unterstützt wurde sie dabei von ihrer Mutter, die Catherines Lesehunger förderte. Zu einem Teil ist es sicher ihrer Motivation zu verdanken, dass Catherine George...
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