Herz ist Trumpf!

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Warum nur hat der Duke of Guilford darauf gewettet, dass er Amariah Penny verführen kann? Er hat sich in sie verliebt! Dass sie einen Spielsalon betreibt, um mit dem Gewinn Bedürftigen zu helfen, macht sie noch bewundernswerter! Doch sie weist seine Eroberungsversuche kühl zurück. Bis sie eines Nachts in Gefahr gerät und er sie auf starken Armen in Sicherheit trägt …


  • Erscheinungstag 13.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749477
  • Seitenanzahl 224
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Penny House

St. James Square, London

1805

Als überzeugter Junggeselle war Seine Gnaden Eliot Fitzharding, Duke of Guilford, in der glücklichen Lage, einem Spektakel, wie es um eine Hochzeit veranstaltet wurde, gefühlsmäßig unbeteiligt und ohne finanzielle Verpflichtungen beizuwohnen. Er konnte es sich leisten, Beobachter zu sein und einzig seinem Amüsement nachzugehen.

Die Heirat, die an diesem Tage stattgefunden hatte, war der Grund dafür, dass Guilford zu so später Stunde allein im hinteren Salon in Penny House saß und bei einem ausgezeichneten Weinbrand die Ruhe nach dem Sturm genoss. An den meisten Abenden ging es in Penny House zu wie in allen anderen Spielclubs in London – die Räume hallten wider von den wagemutigen Prahlereien der männlichen Gäste, und die gehobene Stimmung pflegte höchstens durch die Verzweiflung jener gedämpft zu werden, die an den Spieltischen verloren.

Eine Stille, wie sie heute Nacht hier herrschte, hatte Guilford nie zuvor in Penny House erlebt, doch er stellte fest, dass ihm diese Atmosphäre gefiel. Alle anderen Gäste waren gegangen, und die Diener schienen sich ebenfalls zur Nacht zurückgezogen zu haben. Das Feuer im Kamin gloste leise vor sich hin, und die Kerzen waren beinahe heruntergebrannt, sodass der große, elegante Raum in dunklem Schatten lag.

Vermutlich hätte er sich ebenfalls längst auf den Weg machen sollen. Aber statt zu gehen, streckte Guilford seine langen Beine aus und lehnte sich in die Polster seines bequemen Fauteuils zurück. Weshalb sollte er aufbrechen, wenn der beste Teil des Abends erst noch kommen würde?

Eine gähnende Hausmagd kam in den Salon geschlurft und begann, die letzten noch brennenden Kerzen zu löschen, bis sie Guilford bemerkte und erschrocken aufschrie. „Euer Gnaden, ich hatte Sie gar nicht gesehen!“

„Verzeihung, Süße“, erwiderte Guilford leichthin und lächelte auf eine Weise, die das arme Mädchen erröten ließ. Dass es ihn erkannt hatte, war nicht weiter verwunderlich, denn er war einer der Gründer des Spielclubs gewesen und gehörte dem Mitgliederkomitee an. Zudem genoss er eine bevorzugte Stellung, weil er gelegentlich aus reiner Freundlichkeit großzügige Wetten an den Kartentischen einging.

Wie zur Entschuldigung prostete er der kleinen Magd zu. „Ich hatte nicht die Absicht, dich zu erschrecken.“

Verspätet fiel der jungen Frau ein zu knicksen. „Kann ich Ihnen irgendetwas bringen, Euer Gnaden? Mrs. Todd würde Ihnen sicher …“

„Aber leider nicht Miss Bethany.“ Guilford seufzte theatralisch. Bethany Penny war eine der drei Schwestern, denen das Etablissement gehörte; sie war für die Küche verantwortlich und konnte sich in ihren Fähigkeiten ohne Weiteres mit den französischen Chefs des Königs messen. „Wie soll ich nur ohne Miss Bethanys Gänsebraten und ihre Austern auskommen?“

Das Hausmädchen sah ihn unsicher an. „Miss Bethany kommt ja wieder zurück, Euer Gnaden. Sie ist nur für kurze Zeit auf Hochzeitsreise mit dem Major.“

„Oh, der Major.“ Einen Moment lang gab Guilford sich einer weinbrandseligen Wehmut hin. Gewiss würde Bethany Penny wie jede andere Braut, die von ihrem Gatten hingerissen war, in kürzester Zeit dessen Kind erwarten. Und das bedeutete, dass sie als Köchin ruiniert war – ruiniert! „Ich kenne den Mann kaum, aber es wird ihm nicht behagen, dass seine Gattin als Köchin arbeitet.“

„Euer Gnaden mögen mir vergeben“, erwiderte das Mädchen, „doch Major Lord Callaway ist ein wunderbarer Gentleman, und er liebt Miss Bethany über alles. Das war heute ganz deutlich in seinen Augen zu sehen.“

Wieder seufzte Guilford. „Nun, nein danke, Süße, ich brauche nichts. Mach nur weiter mit deiner Arbeit.“

„Sehr wohl, Euer Gnaden. Wie Sie wünschen, Euer Gnaden.“ Unsicher knickste die junge Frau noch einmal, ehe sie die übrigen Kerzen auslöschte. Dann ging sie rückwärts hinaus, schloss leise die Tür und ließ Guilford mit dem nur mehr glimmenden Kaminfeuer als einziger Lichtquelle zurück. Irgendwo in dem großen Haus schlug eine Uhr zwei Mal. Der Klang hallte durch die nächtliche Stille.

Guilford lächelte. Das Licht war gedämpft, die Bühne bereit.

Und wie auf ein Stichwort schwang die Doppeltür auf, und der Umriss einer Frau hob sich gegen das Licht ab, das aus dem Raum hinter ihr hereinflutete. Guilford erkannte sie schon allein an ihrer Gestalt. Ihre Größe, die hochgesteckte Haarpracht, die von einer wippenden weißen Feder gekrönt war, und ihre Haltung, wie sie dort auf der Schwelle stand, sagten ihm, dass es sich nur um Miss Amariah Penny handeln konnte.

„Euer Gnaden.“ Ihre Stimme klang reizend und gleichzeitig entschlossen. Sogar zu dieser Uhrzeit und nach einem solchen Tag war Amariah Penny immer noch ganz die großartige Herrin von Penny House. „Darf ich fragen, ob etwas nicht in Ordnung ist?“

„Sie dürfen, Miss Penny“, erwiderte Guilford lächelnd, obwohl er nicht annahm, dass sie es erkennen konnte. „Und ich werde auch antworten. Es ist alles in Ordnung, vor allem jetzt, da Sie hier sind und nach mir sehen.“

Wie immer überging sie sein Kompliment. „Dürfte ich dann erfahren, Euer Gnaden, weshalb Sie sich im Dunkeln verstecken und meine Dienerschaft beunruhigen?“

„Ich verstecke mich nicht“, widersprach er. „Ich habe einfach so lange hier gesessen, bis die Dunkelheit mich verschlungen hat.“

Sie räusperte sich leise, um höflich ihr ungläubiges Staunen auszudrücken. „Dann ist Ihnen womöglich entgangen, dass alle anderen längst aufgebrochen sind, Euer Gnaden. Soll ich Ihre Kutsche vorfahren lassen?“

Guilfords Lächeln wurde breiter, während er sanft den Weinbrand in seinem Glas schwenkte. Amariah Penny trug noch das gleiche Kleid, das sie bei der Hochzeit angehabt hatte, und sie war sich offenbar nicht bewusst, wie gut sich in dem hinter ihr scheinenden Licht die Silhouette ihrer schlanken Beine durch ihre Röcke hindurch abzeichnete.

„Alle sind fort, außer Ihnen, Miss Penny“, sagte er, „und mir. Wie könnte ich so ungalant sein und Sie unter solchen Umständen allein lassen?“

„Weil meine Dienerschaft müde ist, Euer Gnaden“, entgegnete sie, „und ich möchte das Haus für die Nacht abschließen.“

„Dann schließen Sie ab und schicken Sie die Dienerschaft zu Bett.“ Guilford zog einen anderen Sessel an seinen heran. „Sie müssen doch ebenfalls erschöpft sein. Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir und leisten Sie mir Gesellschaft.“

Ihr Seufzen verriet, dass sie ebenso müde wie ihre Dienerschaft war. „Sie wissen, weshalb ich das nicht tun kann, Euer Gnaden. Dies ist ein privater Spielclub für Gentlemen und kein Ort, an dem man sich zu einem Stelldichein trifft.“

„Nun, ich bin heute Abend nicht als Clubmitglied hier“, machte er geltend. „Ich war Gast bei der Hochzeit Ihrer Schwester.“

Sie neigte sichtlich verwirrt den Kopf und gab keine Antwort. Er konnte es ihr nicht verübeln, obwohl sie dieses heikle Problem selbst verursacht hatte. Die stets ehrgeizige Amariah Penny schien ihm sehr daran interessiert, die Mitglieder, die dem Clubvorstand angehörten, bei Laune zu halten, und er vermutete, dass sie sie aus diesem Grund zusammen mit den Freunden der Familie zur Vermählung ihrer Schwester eingeladen hatte. Guilford war sicher, dass sie mit dieser Maßnahme die Verbindung zu denjenigen stärken wollte, die ihr dabei geholfen hatten, ihr Etablissement zu dem exklusiven Club zu machen, der er nun war. Amariah Pennys undamenhaft wacher Verstand suchte stets nach einem Vorteil für Penny House, und heute Nacht würde sie die Konsequenzen zu tragen haben.

„Wussten Sie, dass im Wettbuch bei White’s eine Wette steht, die besagt, dass Sie als Einzige der Penny-Schwestern unverheiratet bleiben werden?“, fragte er träge. „Nicht weil es Ihnen an Schönheit oder Anmut mangelt – das genaue Gegenteil ist der Fall, Miss Penny – sondern weil Sie bereits mit diesem Club verheiratet sind und kein Mann an zweiter Stelle stehen will.“

„Als meine Schwester heute den Brautstrauß warf, war es meine Entscheidung, ihn nicht zu fangen, Euer Gnaden.“

„Das habe ich bemerkt“, entgegnete Guilford trocken. „Und alle anderen auch. Sie standen so weit wie möglich von den kreischenden Jungfrauen entfernt und hielten die Hände fest hinter dem Rücken verschränkt.“

„Und was ist daran falsch, Euer Gnaden?“, wollte sie mit missionarischer Leidenschaft wissen. „Fast der gesamte Gewinn, den Penny House abwirft, kommt wohltätigen Zwecken zugute. Das war der Wunsch meines verstorbenen Vaters, und ich werde ihn stets befolgen. Jedes Mal, wenn Sie und die anderen Gentlemen sich an unseren Tischen amüsieren, helfen Sie, die Armen zu ernähren und zu kleiden, wie Sie es selbst niemals tun würden.“

„Sie haben recht“, räumte Guilford bereitwillig ein. Die Armen und ihre Ernährung interessierten ihn überhaupt nicht. „Das würde ich nicht tun.“

„Sehen Sie, Euer Gnaden.“ Sie nickte, als habe er gerade eine Erklärung für sämtliche Unterlassungssünden seines Lebens geliefert. Doch obwohl sie die Tochter eines Geistlichen war, hielt Guilford sie im Grunde ihrer Seele für höchst gewinnsüchtig. „Weshalb sollte ich zum Wohlergehen eines einzigen Mannes heiraten wollen, während ich hier so vielen anderen Menschen so viel Gutes tun kann?“

„Weil Sie eine Frau sind, meine Liebe“, entgegnete Guilford unbeeindruckt. „Wie sehr Sie es sich auch wünschen mögen, Sie können nicht die ganze Welt retten, nicht einmal die Unterschicht von London. Wohltätigkeitsarbeit ist ein bewundernswerter Zeitvertreib für eine Dame, aber der Gatte und die Kinder müssen natürlich an erster Stelle stehen. So liegt es Frauen im Blut, und nicht einmal Sie können die Natur leugnen, Miss Penny.“

„Ist das ebenfalls Bestandteil der Wette bei White’s, Euer Gnaden?“, fragte sie argwöhnisch. „Dass ich irgendwie … unnatürlich bin?“

„Nicht direkt unnatürlich, nein.“ Da seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, konnte er sie gut sehen, aber er wusste dennoch nicht, ob sie verärgert oder amüsiert war. „Ich glaube, der Ausdruck, der verwendet wurde, lautete ‚Xanthippe‘.“

Sie schnappte nach Luft, und er erkannte zu seiner Befriedigung, dass er sie endlich getroffen hatte.

„Ich wurde als Xanthippe bezeichnet?“, wiederholte sie ungläubig. „Als Xanthippe?“

Er hatte das Gefühl, ihren plötzlich aufwallenden Zorn beinahe mit Händen greifen zu können. Sie marschierte auf ihn zu und starrte ihn mit weit aufgerissenen blauen Augen und zusammengepressten Lippen an. Er kannte sie nun, seit sie vor fast einem Jahr nach London gekommen war und Penny House eröffnet hatte, doch heute erlebte er zum ersten Mal, wie die stets beherrschte, tüchtige Miss Amariah Penny ihre Fassung verlor und in Rage geriet.

Es war mehr, als er sich erträumt hatte.

„Welcher Dummkopf hat es gewagt, mich so zu nennen?“

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung.“ Da sie keinerlei Anstalten machte, sich zu setzen, nahm er an, er müsse ebenfalls aufstehen. Natürlich kannte er den Namen desjenigen, der sie im Wettbuch bei White’s als Xanthippe tituliert hatte, es war nämlich zufällig er selbst gewesen. „Ich bin zugegebenermaßen ziemlich gescheit, Miss Penny, aber bedauerlicherweise nicht allwissend.“

Sie hob das Kinn, sodass sie ihn hochnäsig anblicken konnte, obwohl er sie überragte. „Niemand hat Sie je eine Xanthippe genannt, Euer Gnaden.“

„Das wird auch nicht geschehen“, belehrte er sie, „wenn man bedenkt, dass diese furienartigen Wesen per Definition weiblich sind.“

„Eine alte Jungfer und eine Xanthippe“, sagte sie voller Abscheu. „Ich sollte mich umgehend zur Westminster Bridge begeben, mich in den Fluss stürzen und der Welt die Last meiner furchtbaren Schmach ersparen.“

Er brach in ein leises, tiefes Lachen aus. „Für solch ein drastisches Mittel sind Sie nicht alt genug.“

„Nicht?“ Wieder blitzte sie ihn mit ihren blauen Augen herausfordernd an und kam noch einen Schritt auf ihn zu – etwas, das sie unter normalen Umständen sicher niemals getan hätte. „Ich bin sechsundzwanzig, Euer Gnaden.“

„Herzlichen Glückwunsch.“ Er hatte gewusst, dass sie kein junges Mädchen mehr war – dafür jedoch in einem für eine Frau viel interessanteren Alter. Unsichere Unschuldslämmer übten schon seit langem keine Anziehungskraft mehr auf ihn aus, und das war einer der Gründe, weshalb Amariah Penny ihn faszinierte. „Aber diesen Kampf gewinne ich, Miss Penny. Ich bin neunundzwanzig.“

„Was macht das schon“, spottete sie. „Niemand erklärt Ihnen, dass Sie ein hoffnungsloser Fall sind, weil Sie sich für ein Leben ohne einen Gatten und Kinder entschieden haben.“

„Eigentlich erklärt man mir das ziemlich häufig“, gestand er und dachte daran, wie heftig gewisse Mitglieder seiner Familie werden konnten, weil er noch keinen Erben in die Welt gesetzt hatte. „Ehe und Nachwuchs werden auch beim Adel als erstrebenswert betrachtet.“

„Aber aus anderen Gründen.“ Sie legte den Kopf schräg und blickte argwöhnisch unter ihren langen Wimpern hervor. „Ich begreife nicht, weshalb Sie mir das anvertrauen, Euer Gnaden.“

„Um Ihnen zu zeigen, dass wir mehr gemeinsam haben, als man annehmen könnte, meine Liebe.“ Ob sie eine Ahnung hatte, wie ungeheuer verführerisch dieser Gedanke war? Vielleicht schätzte er sie nur falsch ein, vielleicht war sie bereitwilliger, als ihr Ruf vermuten ließ.

„Wohl kaum, Euer Gnaden.“ Sie lächelte leicht. „Sie wurden als Erbe eines Titels und eines großen Vermögens geboren, ich dagegen als Tochter eines Landpfarrers. Somit gibt es herzlich wenige Gemeinsamkeiten zwischen uns.“

„Mehr als genug.“ Er zuckte übertrieben die Achseln und nutzte den Vorteil des heimeligen Halbdunkels, um sich ihr noch ein Stückchen zu nähern.

Sie verschränkte entschlossen die Arme vor der Brust und bildete so eine Barriere zwischen ihnen. „Ich habe den Verdacht, Sie sind nicht ganz ehrlich zu mir, Euer Gnaden.“

Das stimmte natürlich. Die Wette bei White’s über die unnahbare Miss Penny war nur der Anfang gewesen. Danach hatte er mit einem seiner Freunde noch eine zweite, private Wette mit hohem Einsatz abgeschlossen, bei der es um eine viel größere Herausforderung ging, nämlich persönlich im Bett der Xanthippe willkommen geheißen zu werden.

Und Guilford beabsichtigte, diese Wette zu gewinnen.

„Ich würde dem entgegenhalten, Miss Penny“, sagte er langsam, „dass Sie ebenfalls nicht ganz ehrlich zu mir gewesen sind.“ In seiner Stimme lag jener heisere Unterton, bei dem die Frauen reihenweise dahinzuschmelzen pflegten. „Und da haben wir schon wieder etwas gemeinsam, nicht wahr?“

Sie runzelte die Stirn. „Euer Gnaden, ich verstehe nicht, inwiefern …“

„Still“, flüsterte er. Mit der Geschicklichkeit eines erfahrenen Mannes löste er ihre Hand von ihrem Arm und ließ seine Finger zwischen ihre gleiten. „Denken Sie an die Ähnlichkeiten, Süße, und nicht an die Unterschiede.“

„Woran ich denke, Euer Gnaden, ist, wie lange ich mir diesen Unsinn noch anhören soll, ehe ich meine Wachmänner rufe.“ Entschlossen zog sie ihre Hand fort. „Es sind große, wortkarge Burschen, stark und kräftig und sehr auf mein Wohlergehen bedacht. Es wäre ihnen sicher eine Ehre, Sie hinausbegleiten zu dürfen.“

Guilford ließ sich von ihrer Warnung nicht abschrecken und schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. „Das sind grobe Worte unter Freunden, Miss Penny.“

Sie erwiderte sein Lächeln, aber es war nicht charmant. „Ah, da irren Sie sich, Euer Gnaden. Ich bin die Herrin und Besitzerin dieses Hauses, und Sie sind eines seiner geschätzten Mitglieder. Geschäftliche Freundlichkeit ist nicht das Gleiche wie Freundschaft, und die wird es zwischen uns niemals geben.“

Er zuckte theatralisch zusammen und legte sich die Hand aufs Herz. „Wie kann ich eine so grausame Endgültigkeit akzeptieren?“

„Sie gehören zum Vorstandskomitee von Penny House, Euer Gnaden“, erinnerte sie ihn sanft. „Vielleicht sollten Sie sich die Verhaltensregeln für Mitglieder ins Gedächtnis rufen, die Sie selbst mit aufgesetzt haben. Diesen Regeln zufolge wird jeder Gentleman hinausgeworfen, der sich den Penny-Schwestern unziemlich nähert. Wie sehr würde es uns missfallen, Ihre Gesellschaft auf diese Weise zu verlieren, Euer Gnaden!“

„Aber Miss Penny!“ Guilford schlug einen schmeichelnden Ton an. „Das würden Sie mir doch nicht antun, nicht wahr?“

„Wenn Sie mich so gut kennen, wie Sie behaupten, Euer Gnaden, muss Ihnen an diesem Punkt unserer Unterhaltung klar sein, dass ich genau das tue, falls Sie versuchen, mich oder Penny House zu kompromittieren.“ Amariah lächelte gelassen. „Und nun entschuldigen Sie mich, Euer Gnaden, ich werde mich um Ihre Kutsche kümmern.“

Guilford sah ihr nach. Bei jedem energischen Schritt wippte anmutig die Feder auf ihrem Kopf. Vielleicht hatte sie an diesem Tag gewonnen, aber das war nur das erste Gefecht gewesen. Er würde wiederkommen.

Und egal was sie für ihn empfinden mochte, er hatte die Absicht, diese verdammte Wette zu gewinnen.

2. KAPITEL

Miss Penny, sind Sie sicher, dass Sie heute Abend ohne Hilfe zurechtkommen werden?“ Mit sorgenvoll gefurchter Stirn blieb Pratt, der Verwalter von Penny House, auf der Türschwelle zu Amariahs Privaträumen stehen.

Amariah lächelte trotz ihrer Müdigkeit. „Danke, Pratt, aber ich werde gut alleine fertig.“

„Sehr wohl, Miss.“ Pratt seufzte und verneigte sich. „Gute Nacht, Miss.“

„Ich wünsche Ihnen auch eine gute Nacht, Pratt“, antwortete sie leise. Sie hatte den alten Mann wirklich gern, und ohne seine Erfahrung und Unterstützung wäre es ihr nicht möglich gewesen, Penny House zu dem Erfolg zu verhelfen, den der Club inzwischen hatte. „Und vielen Dank noch einmal, dass Sie all die zusätzliche Arbeit, die wegen Miss Bethanys, oder vielmehr Lady Callaways Hochzeit anfiel, erledigt haben. Wie lange ich wohl brauche, um mich an den Titel zu gewöhnen!“

Sie lachte reuig. Es würde ihr wirklich schwerfallen, den neuen Namen und die neue Stellung ihrer mittleren Schwester im Gedächtnis zu behalten. Gelegentlich vergaß sie sogar, ihre jüngste Schwester in Anwesenheit Dritter Mrs. Blackley statt einfach nur Miss Cassia zu nennen, dabei war sie schon seit Monaten mit Richard verheiratet. Aber für Amariah würden sie immer ihre beiden jüngeren Schwestern Bethany und Cassia sein, die sich stets an sie wandten, seit ihre Mutter vor fast zwanzig Jahren gestorben war.

Als Pratt die Tür hinter sich geschlossen hatte, war Amariah zum ersten Mal an diesem langen Tag allein. Mit einem ausgiebigen Gähnen sank sie in den Sessel hinter dem Schreibtisch und zog die leichte Wolldecke, die stets dort lag, wie einen Umhang um ihre Schultern. Sie streifte ihre Slipper ab, zupfte die weiße Feder und die Nadeln aus ihrer Frisur und ließ das Haar über den Rücken hinabfallen. Sie goss sich eine frische Tasse Tee aus der Kanne ein, die Pratt ihr hingestellt hatte, und wandte sich seufzend dem Stoß ungeöffneter Briefe, Karten und Rechnungen zu, der unerledigt auf ihrem Schreibtisch lag. Obwohl der Club gestern und heute wegen Bethanys Hochzeit geschlossen hatte, schien es bei der Arbeit, die mit der Leitung von Penny House verbunden war, niemals eine Unterbrechung zu geben.

Rasch sortierte sie den Stapel. Sie hatte sich schon um die Korrespondenz ihres Vaters für die Pfarrgemeinde gekümmert, und obwohl man diese Aufgabe kaum mit der Leitung von Penny House vergleichen konnte, war sie doch eine gute Vorbereitung gewesen. Die Kosten gegen die Ausgaben abzuwägen und Händlern gegenüber hart zu bleiben war ihre besondere Fähigkeit, mit der sie Penny House nützte, genau wie Bethanys Begabung als Köchin aus den Abendessen des Clubs kulinarischen Legenden werden ließ, und Cassias Talent, Schätze in Gebrauchtwarenläden zu finden, Penny House zum elegantesten Spielclub Londons gemacht hatte. Das Beste daran war das Wissen, wie viel Geld sie jede Nacht für wohltätige Zwecke verdienten, genau wie Vater es beabsichtigt hatte. Penny House zu leiten gab Amariah das Gefühl, wie Robin Hood zu sein, der von den Reichen nahm, um es den Armen zu geben.

Aber nun war von den drei Penny-Schwestern lediglich eine unverheiratete übrig, und die Leitung des Clubs lag ganz allein in ihren Händen. Das bedeutete für sie mehr lange Nächte und frühes Aufstehen, so wie heute. Entschlossen brach Amariah das Siegel des nächsten Briefes auf, um ihn wenigstens noch zu lesen, ehe sie zu Bett ging.

Doch sosehr sie versuchte, sich auf das Geschriebene zu konzentrieren, ihre Gedanken schweiften auf höchst unergiebige Wege ab, die alle zu dem viel zu charmanten Lächeln Seiner Gnaden, des Duke of Guilford, führten.

Amariah stöhnte entnervt und rieb sich die Augen. Der Duke war bei weitem nicht der erste Gentleman, der ihr oder ihren Schwestern Vertraulichkeiten aufdrängen wollte. Bei den Clubmitgliedern handelte es sich ausnahmslos um Männer, die von Geburt an gewohnt waren, ihren Willen zu bekommen – und nichts anderes erwarteten.

Guilford hatte sie indes überrascht. Oh, er war zweifellos weltgewandt und geistreich genug, um eine kokette Tändelei anzufangen. Doch bislang hatte er immer darauf geachtet, sich ihr gegenüber mit seinem umwerfenden Charme zurückzuhalten. Er hatte sie geneckt, ihr Komplimente gemacht und mit ihr gescherzt, aber das war alles gewesen. Kein Wunder, dass er einer ihrer bevorzugten Gentlemen war. Er hatte sie und ihre Rolle in Penny House respektiert, und Amariah war davon ausgegangen, dass er verstand, weshalb sie keusch und ehrenhaft bleiben musste und dass es katastrophale Folgen für die Existenzfähigkeit des Clubs haben würde, wenn sie nicht auf ihren tadellosen Ruf achtete.

Nun würde sie in seiner Gegenwart nie mehr unbefangen sein können. Natürlich musste sie so tun, als rechne sie sein Verhalten heute Nacht dem Genuss von zu viel Weinbrand an. Aber sie wusste, wann ein Mann betrunken war, und das war Guilford nicht gewesen. Er hatte sich einfach nur deshalb so benommen, weil er glaubte, Erfolg bei ihr zu haben.

Verärgert schob Amariah ihren Sessel zurück und trat ans Fenster. Sie zog den Damastvorhang auf und starrte hinaus auf den winzigen Hinterhof des Clubs und die Dächer und Schornsteine Londons. Obwohl noch hier und da Sterne leuchteten, wurde es am Horizont allmählich heller. Überall in der Stadt gab es Menschen, deren Arbeitstag bereits begonnen hatte, doch während sie hier stand und ihren Blick schweifen ließ, kam Amariah sich vor, als sei sie als Einzige in der gesamten Metropole noch wach.

Warum hatte Guilford im Dunkeln auf sie gewartet? Woher hatte er so genau gewusst, dass er sie mit der Eröffnung, jemand habe sie als Xanthippe bezeichnet, um ihre Fassung bringen konnte? Er hatte sie angelächelt, mit diesem Grübchen auf einer Wange, während ihm sein dunkles Haar lässig in die Stirn fiel, und mit seiner tiefen, schleppenden Stimme zu ihr gesprochen, die wie geschaffen dafür war, Geheimnisse auszutauschen und eine Frau dazu zu bringen, dass sie den Kopf verlor.

War sie deshalb beinahe schwach geworden, als er ihre Hand genommen hatte? Hatte sie deshalb beinahe vergessen, wofür sie jeden Tag und jede Nacht so hart arbeitete, und um ein Haar alles verraten für das kurze Vergnügen, das der Duke of Guilford ihr im Halbdunkel des erlöschenden Kaminfeuers bieten konnte?

Sie war so erschöpft, dass ihr die Knochen wehtaten. Bestimmt kamen ihr nur aus diesem Grund solche Gedanken in den Sinn, nur deshalb schickte sie dem Morgenstern sinnlose Wünsche, die sich um einen Gentleman drehten, den sie niemals haben würde: Es war nur Müdigkeit und nichts weiter.

„Das ist es!“ Mit den Fingern klopfte Guilford auf die Ladentheke des Juweliers. „Damit wird es klappen.“

„Ah, Euer Gnaden, Sie wissen genau, was einer Dame gefällt.“ Mr. Robitaille nickte anerkennend und strich beinahe zärtlich über das aufwändig gearbeitete Rubinarmband. Als einer der beliebtesten – und teuersten – Schmuckhändler in der Bond Street wusste der alte Robitaille recht genau, was Frauen mochten, und das Armband, das der Duke ausgesucht hatte, war ein hübsches Geschmeide. Die Rubine, die sich jeweils zu fünft um eine Perle gruppierten, wirkten wie winzige rote Blütenblätter mit einem Tautropfen in der Mitte.

Genau das Richtige, um Miss Amariah Penny schwach zu machen, dachte Guilford siegesgewiss. Seiner Erfahrung nach pflegten Juwelen stets ihren Zweck zu erreichen.

„Soll es wie üblich Miss Danton zugestellt werden?“

„Ich fürchte nicht.“ Guilford runzelte die Stirn, versuchte betroffen auszusehen und stieß ein tiefes Seufzen aus. „Charlotte Danton hat mich verlassen.“

„Nein, Euer Gnaden!“ Der Juwelier wich bestürzt zurück. „Ich kann nicht glauben, dass die Dame Ihnen den Laufpass gibt!“

„Bedauerlicherweise ist genau das der Fall.“ Guilford seufzte noch einmal. In Wahrheit war er Charlottes genau zu dem Zeitpunkt überdrüssig geworden, als sie ihn loswerden wollte, aber da sie das sinkende Schiff zuerst verlassen hatte, war er der Meinung, ihr gegenüber nicht weiter verpflichtet zu sein. Er brauchte indes eine neue Unterhaltung und hatte sich umgehend auf die Wette um Amariah Penny gestürzt.

„Ein großer Verlust, Euer Gnaden.“ Robitaille neigte mitfühlend den Kopf. Er betrachtete das Armband in seiner Hand. „Darf ich fragen, wohin ich das Schmuckstück bringen lassen soll, Euer Gnaden?“

„Nach Penny House, St. James Square.“ Guilford lächelte erleichtert. Nun brauchte er nicht mehr zu seufzen und Charlotte zu beklagen. „Es ist für Miss Amariah Penny.“

„Miss Amariah Penny von Penny House?“, fragte Robitaille überrascht. „Euer Gnaden, Sie erstaunen mich!“

Der Juwelier wirkte so verblüfft, dass Guilford lachen musste. „Denken Sie, sie ist meiner nicht würdig, Robitaille, oder eher, dass ich ihrer nicht würdig bin?“

„Weder noch, Euer Gnaden“, versicherte der Juwelier rasch. „Aber Miss Penny ist … nicht so wie andere Damen, nicht wahr?“

„Ja, diese Tochter eines Geistlichen mit den feuerroten Haaren ist klug genug, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.“ Guilford lächelte bei dem Gedanken, wie böse sie am vorherigen Abend auf ihn gewesen war. „Ich nehme an, dadurch unterscheidet sie sich von meinen üblichen Eroberungen.“

Der Juwelier legte das Armband wieder auf das Seidenkissen auf der Ladentheke.

„Sie wird es nicht annehmen, Euer Gnaden“, erklärte er mit Bestimmtheit. „Nicht Miss Penny – und ihre Schwestern auch nicht. Sie akzeptieren keine Geschenke. Sie behaupten, ihre Stellung würde das nicht zulassen.“

„Das ist doch Unsinn, Robitaille“, spottete Guilford. „Ich habe gesehen, wie sie sich jede Nacht im Club schmückt, funkelnd wie eine Königin. All diese Diamanten und Saphire hat sie nicht von ihrem Papa im Pfarrhaus bekommen.“

Robitaille rümpfte verächtlich die Nase. „Sie sind alle unecht, Euer Gnaden. Es sind gute Strasssteine aus Paris, aber trotzdem Strasssteine.“

Guilford runzelte zweifelnd die Stirn. Für ihn sah echter oder unechter Schmuck ziemlich gleich aus, doch er glaubte an den Wert guter Qualität und an den Preis dafür. „Weshalb zum Teufel sollte sie Strasssteine tragen, obwohl sie sich echten Schmuck leisten kann?“

„Wohltätigkeit, Euer Gnaden“, klärte Robitaille ihn auf. „Sie möchte nichts für sich selbst – genau wie übrigens ihre Schwestern. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Juwelen wir den Damen von Penny House schon überbracht haben und wieder zurückgeschickt bekamen.“

„Aber sie waren nicht von mir“, entgegnete Guilford mit unerschütterlichem Selbstvertrauen. „Miss Penny und ich sind immer hervorragend miteinander ausgekommen. Sie werden sehen: Dieses Armband wird sie behalten.“

Der Juwelier machte eine alles andere als überzeugte Miene. „Wie Sie wünschen, Euer Gnaden“, sagte er mit einer ehrerbietigen Verbeugung. „Vielen Dank für Ihren Auftrag, Euer Gnaden. Ich werde das Armband unverzüglich an Miss Amariah Penny überbringen lassen.“

„Gut.“ Guilford wandte sich zum Gehen und erkannte verwundert, dass er gerade, wenn auch stillschweigend, eine weitere Wette mit Robitaille eingegangen war: dass das Rubinarmband, das er ausgesucht hatte, das erste Geschmeide war, das Miss Amariah Penny annehmen und an ihrem Handgelenk zur Schau stellen würde.

Leises Klappern von Geschirr weckte Amariah, dann hörte sie die zögernde Stimme ihrer Zofe Deborah.

„Guten Morgen.“ Die junge Bedienstete stellte das Frühstückstablett für ihre Herrin auf dem Tisch am Fußende des Bettes ab. „Miss Penny? Sind Sie wach?“

Amariah drehte sich auf die Seite, schob sich das Haar aus der Stirn und sah blinzelnd auf die kleine Messinguhr auf ihrem Nachttisch. Sie hatte das Gefühl, höchstens eine halbe Stunde geschlafen zu haben. Deborah war bestimmt zu früh gekommen, es konnte unmöglich Zeit sein aufzustehen.

„Wie spät ist es?“, wollte sie schlaftrunken wissen.

„Halb eins, Miss“, antwortete die Zofe entschuldigend. „Sicher sind Sie noch gar nicht ausgeschlafen nach der Hochzeit und allem, aber Mr. Pratt sagte, Sie würden ihm den Kopf abreißen, wenn er Sie nicht wecken lässt.“

„Da hat Pratt recht.“ Es war höchste Zeit, sich zu erheben. Irgendwie brachte Amariah die Willenskraft auf, sich aufzusetzen. Deborah zog die Vorhänge auf, sodass die strahlende Mittagssonne hereinflutete. Stöhnend ließ Amariah sich wieder zurückfallen und legte einen Arm über die Augen.

„Verzeihung, Miss, aber nach einer schönen Tasse Tee wird es Ihnen schon viel besser gehen.“ Deborah goss den dampfenden Tee in eine kleine Porzellantasse und tat Zucker und Zitrone hinein. „Ihr Lieblingspekoe, Miss.“

„Danke, Deborah.“ Das mit Irisblüten bemalte Teeservice ihrer Mutter war eines der wenigen Dinge, das die Schwestern von zu Hause mitgenommen hatten, und für Amariah bedeutete es eine tröstliche Erinnerung an ihre längst vergangene Kindheit in Sussex, wenn sie das zarte Porzellan jeden Morgen benutzte.

Die Zofe griff hinter ihren Rücken, um die Kissen aufzuschütteln. „Sehen Sie, Miss, Mrs. Todd hat Ihnen die Eier genauso zubereitet, wie Miss Bethany – ich meine Lady Callaway – sie immer gemacht hat.“

Amariah lächelte freudlos. Mrs. Todd war Bethanys Stellvertreterin in der Küche und selbst eine Meisterköchin. Sie kochte die Gerichte ihrer Schwester ganz genau nach, und trotzdem war es nicht dasselbe, wenn Cassia und Bethany die Mahlzeiten nicht mit ihr teilten. Besonders das Frühstück hatten die Schwestern immer zusammen eingenommen. In ihren Nachtgewändern waren sie am Tisch erschienen und hatten gelacht und getratscht und Pläne für den Tag gemacht, ehe sie sich an die Arbeit machen mussten. Nun nahmen Bethany und Cassia ihr Frühstück mit ihren Ehegatten ein.

„Miss Penny?“ Eine Küchenmagd kam ins Zimmer geeilt. Das Mädchen war noch sehr jung und neu und sah so ängstlich aus, dass Amariah befürchtete, es würde im nächsten Moment anfangen zu weinen.

„Was machst du denn hier, Sally?“, schimpfte Deborah. „Du darfst nicht einfach nach oben kommen und Miss Penny stören! Fort mit dir!“

Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen. „Aber Mr. Pratt hat gesagt …“

„Was hat Mr. Pratt gesagt?“, fragte Amariah sanft. Sie zog es vor, sich die Loyalität ihrer Dienerschaft durch Freundlichkeit und nicht durch Drohungen zu sichern. „Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Nein, Miss Penny. Das heißt, es ist dies hier, Miss Penny.“ Die Küchenmagd knickste unbeholfen. Sie hielt einen Brief in der Hand. „Ich war dabei, die Eingangsstufen zu fegen, und da hab ich den vor der Tür gefunden, und Mr. Pratt meinte, ich soll ihn umgehend zu Ihnen hochbringen.“

„Ich danke dir, Sally, das hast du richtig gemacht.“ Amariah nahm das Schreiben entgegen. Unvernünftigerweise machte ihr Herz einen kleinen, hoffnungsvollen Sprung. Aber weshalb sollte Guilford mir eine Nachricht vor die Tür legen, statt sie einem Diener zu geben? fragte sie sich. Weshalb sollte er mir überhaupt einen Brief schreiben? Sie zwang sich, ihre Neugier zu bezähmen. „Du darfst gehen.“

„Sehr wohl, Miss Penny.“ Das Mädchen knickste wieder und floh erleichtert.

Das cremefarbene Büttenpapier war von höchster Qualität, wies indes kein Wasserzeichen und kein Siegel auf, das auf den Absender verwiesen hätte. Das allein war Beweis genug, dass der Brief nicht von Guilford sein konnte, und es genügte, Amariahs törichte Erwartungen zu ersticken. Der Duke liebte seinen Titel viel zu sehr, um anonym zu bleiben.

Ihr Name stand auf der Vorderseite. Amariah runzelte die Stirn. Die Buchstaben wirkten beinahe so, als habe der Verfasser absichtlich krakelig geschrieben. Wollte er seine Handschrift etwa unkenntlich machen? Sie faltete den Brief auf und las:

„Mistress Penny,

Seien Sie gewarnt, dass Sie einen großen Betrüger an Ihrem Hazard-Tisch haben und dass ich ihn der öffentlichen Schande preisgeben werde, wenn Sie es nicht zuerst tun.

Ein Freund der Wahrheit und der Ehre“

„Ich hoffe, es sind keine schlimmen Nachrichten, Miss Penny.“ Geschäftig begann Deborah, Amariahs Tageskleidung herauszulegen.

„Schlimm nicht.“ Amariah faltete den Brief zusammen. „Nur provozierend.“ Auch wenn die Handschrift verstellt wirkte, war sie die eines gebildeten Gentleman, und Amariah hatte die Absicht, so bald wie möglich herauszufinden, wer der Mann war. „Bitte sagen Sie Mr. Pratt, ich möchte umgehend mit Mr. Walthrip und allen Lakaien und Wachleuten sprechen, die in den letzten vierzehn Tagen im Hazard-Raum gearbeitet haben“, wies sie Deborah an. „Ich werde keinen Skandal in Penny House zulassen, vor allem nicht, wenn er auf den Anschuldigungen irgendeines Schurken beruht, der zu feige ist, sein Gesicht zu zeigen.“

Zwei Stunden später stand Amariah am Kopfende des großen ovalen Tischs aus massivem Mahagoni, der für das Hazard-Spiel benutzt wurde. Die hohen Fenster waren, wie immer tagsüber, weit geöffnet, um frische Luft hereinzulassen. Amariah blickte jeden Einzelnen der Versammelten an. Einige von ihnen hatte sie zusammen mit dem Club selbst geerbt, und alle waren noch benommen, weil sie so früh zur Arbeit gerufen worden waren.

„Es tut mir leid, dass ich Sie aus dem Bett holen musste“, begann sie, „aber ich habe vorhin einen Brief erhalten, in dem wir beschuldigt werden, einen Betrüger an unserem Hazard-Tisch zu dulden.“

„Miss Penny, das kann nicht sein!“ Empört reckte Mr. Walthrip sein knochiges Kinn über dem steifen Kragen. Der Leiter des Hazard-Tisches tat seinen Dienst schon seit mindestens fünfundzwanzig Jahren. Er war ein Mann, der seine Aufgabe ausgesprochen ernst nahm. „Hazard erfordert eine Genauigkeit, die einen Betrug so gut wie undurchführbar macht!“

„Aber nicht gänzlich?“, wollte Amariah wissen.

Walthrip rümpfte die Nase. „Es ist noch kein Spiel erfunden worden, bei dem man diese Möglichkeit ausschließen könnte“, antwortete er. „Aber hier in Penny House wäre es sehr schwierig, Miss.“

„Das ist richtig.“ Pratt nickte zustimmend. „Wie Sie wissen, haben wir eigens Würfel nach unseren Anforderungen fertigen lassen, und keinem Gentleman ist es erlaubt, eigene Würfel oder Becher bei dem Spiel zu benutzen.“

„Zudem werden die Würfel und Becher ohne Vorwarnung im Laufe des Abends ausgetauscht“, warf Walthrip ein. „Wir sind in allem ganz offen, Miss, so wie das auch in den Hausregeln steht. Nichts geschieht im Geheimen oder unter der Hand.“

Amariah strich mit den Fingern über den grünen Filzbelag auf dem Tisch, der mit gelben Linien markiert war. Der Hazard-Raum war der beliebteste im Club, und hier erzielten sie jede Nacht die höchsten Einnahmen. „Gibt es eine Möglichkeit, irgendetwas an dem Hazard-Tisch so zu verändern, dass man den Fall der Würfel kontrollieren kann?“

„Nein, Miss“, mischte Talbot, der älteste Lakai, sich ein. „Die Filzbespannung wird jeden Nachmittag abgefegt und neu befestigt, und Mr. Walthrip überprüft sie persönlich. Es gibt keine Erhebungen, die irgendjemanden begünstigen könnten.“

„Und man muss auch die Art des Spiels berücksichtigen, Miss Penny“, ergänzte Walthrip. „Während ein Mann würfelt, wetten mehrere andere Herren auf seinen Erfolg. Sie beobachten ihn wie Katzen, die um eine Maus herumsitzen, und wenn er versuchen sollte, etwas Ungewöhnliches zu tun, würden sie ihn auseinandernehmen.“

„Also ist niemandem von Ihnen in der letzten Zeit etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“ Amariah blickte einen nach dem anderen an und bemerkte erleichtert, dass alle ihre Mitarbeiter den Kopf schüttelten. „Nichts, das irgendwie seltsam oder merkwürdig war?“

„Nichts“, bekräftigte Walthrip fest.

Amariah nickte. Da sie selbst nicht viel von den Spielen verstand, die in dem Club gespielt wurden, musste sie sich auf die Erfahrung und die Klugheit der von ihr angeheuerten Leute verlassen. Alles, was Walthrip und die anderen gesagt hatten, erschien ihr vollkommen einleuchtend. Trotzdem wurde sie ihr ungutes Gefühl nicht los. Ein Skandal, wie ihn der Briefschreiber angedroht hatte, konnte Penny House ruinieren, da sich die Mitglieder auf ihre Diskretion verließen, während sie sich in ihrem Etablissement amüsierten. Wenn die Gentlemen das Vertrauen in sie verloren, würden sie woanders hingehen.

Pratt hüstelte. „Würden Sie uns den Namen des Anklägers nennen, Miss Penny?“

„Zu gern, aber ich kenne ihn nicht.“ Amariah warf den Brief auf den Tisch, und die Männer beugten sich vor, um ihn zu lesen. „Er hat mit ein ‚Freund der Wahrheit und der Ehre‘ unterschrieben.“

„Es ist ein Gentleman“, erklärte Pratt. „Das Papier verrät ihn.“

Autor

Miranda Jarrett
Hinter dem Pseudonym Miranda Jarrett verbirgt sich die Autorin Susan Holloway Scott. Ihr erstes Buch als Miranda Jarret war ein historischer Liebesroman, der in der Zeit der amerikanischen Revolution angesiedelt war und 1992 unter dem Titel "Steal the Stars" veröffentlicht wurde. Seither hat Miranda Jarrett mehr als dreißig Liebesroman-Bestseller geschrieben,...
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