Herz oder Krone

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Seit Jahrhunderten herrscht die mächtige Dynastie der Rinaldis über ein malerisches Inselreich im Mittelmeer. Jetzt muss der geschwächte König abdanken. Doch wer tritt das Erbe der Rinaldis an? Intrigen, Leidenschaft und zehn unumstößliche Regeln werden für jeden Thronanwärter zu einer persönlichen Herausforderung. Die Suche beginnt ...

Prinz Marco ist bereit: Er wird König Giorgio auf dem Thron folgen und San Rinaldi in ein neues Zeitalter führen. Doch der Abschied von London fällt ihm unerwartet schwer. Denn er bedeutet das Aus für seine Liebe mit der schönen Emily: Als König darf er keine Frau haben, die bereits verheiratet war - so wie Emily. Aber Marco gehorcht der Pflicht. Bis er eine Entdeckung macht, die ihn vor die wichtigste Frage seines Lebens stellt: Herz oder Krone?

Der erste Teil der großen Königssaga!


  • Erscheinungstag 05.10.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769734
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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Königliche Gesetze des Hauses Rinaldi

I .

Der Herrscher von San Rinaldi gilt seinem Volk als Vorbild und bürgt für tugendhaftes Verhalten . Wer die Monarchie durch unmoralisches Verhalten in Verruf bringt, ist von der Thronfolge ausgeschlossen .

II.

Kein Mitglied der Königsfamilie darf ohne Zustimmung des Regenten heiraten.

III.

Jede Eheschließung, die den Interessen von San Rinaldi entgegen steht, ist verboten. Jeder Verstoß gegen diese Vorschrift führt zum unmittelbaren Ausschluss aus der Thronfolge sowie zur Aberkennung sämtlicher Ehren und Privilegien.

IV.

Kein Herrscher von San Rinaldi darf eine geschiedene Frau heiraten.

V.

Zwischen blutsverwandten Mitgliedern des Königshauses darf keine Ehe geschlossen werden.

VI.

Der Unterricht aller Familienmitglieder wird durch den König geregelt. Die Eltern haben für die Umsetzung der Anweisungen zu sorgen.

VII.

Kein Mitglied des Königshauses darf sich verschulden.

VIII.

Kein Mitglied der Königsfamilie darf ohne Einwilligung des Königs finanzielle Zuwendungen oder Erbschaften annehmen.

IX.

Der Herrscher von San Rinaldi muss sein Leben seinem Land widmen und darf daher während seiner Regentschaft keinen eigenen Beruf ausüben.

X.

Die Mitglieder des Königshauses müssen ihren Wohnsitz auf San Rinaldi haben. Im Einzelfall kann der König gestatten, dass ein Familienmitglied in ein anderes Land zieht. Der Herrscher selbst muss jedoch im Palast auf San Rinaldi leben.

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Das Königshaus Rinaldi

Eine der reichsten königlichen Familien der Welt – vereint durch Blut und Leidenschaft, zerrissen durch Verrat und Begierde, unterworfen den strengen Regeln der Rinaldis

Aus blauen Fluten, umweht vom Duft der Zitronen- und Orangenbäumen, ragt majestätisch eine Insel empor: San Rinaldi, die Perle des Mittelmeers. Gesegnet mit einzigartig schöner Natur, üppiger Vegetation und reichen Ernten, wird das idyllische Eiland seit vielen Jahren von König Giorgio aus dem Geschlecht der Fierezzas beherrscht. Schon seit dem Mittelalter lenkt seine Familie die Geschicke der Insel, machte sie zu einem florierenden Handelsplatz und gelangte so zu unermesslichem Reichtum – Reichtum, der zu allen Zeiten zu Neid, Intrigen, Verrat und Auseinandersetzungen führte.

Auseinandersetzungen und Probleme stehen auch König Giorgio ins Haus. Besorgt beobachtet man im Palast von San Rinaldi, dass es dem neunzigjährigen Monarchen gesundheitlich immer schlechter geht.

Doch wer soll nach dem tragischen Tod der beiden Kronprinzen das Erbe der Rinaldis antreten?

König Giorgio muss seine Wahl treffen unter den Prinzen und Prinzessinnen der Dynastie. Kein leichtes Unterfangen! Denn wer den Thron von San Rinaldi besteigen und über das blühende Inselreich herrschen will, muss sich entscheiden, ob er sich den strengen Gesetzen des Hauses Rinaldi unterwirft – oder der Stimme seines Herzens folgt und statt der Krone die Liebe wählt ...

1. KAPITEL

Sein Herz klopfte wild. Heftig atmend riss Marco Fierezza die Augen auf und warf einen Blick auf den Wecker. Es war drei Uhr morgens. Kalter Regen peitschte gegen die Fenster der Wohnung am Eaton Square.

Was für ein Traum! Wieder einmal hatte Marco im Schlaf eine der vielen Auseinandersetzungen mit seinem Großvater, dem König von San Rinaldi, durchlebt.

Die ständigen Streitigkeiten mit dem unbeugsamen alten Mann hatten schließlich dazu geführt, dass Marco damals, im Alter von zweiundzwanzig Jahren, einen schwerwiegenden Entschluss gefasst hatte: Fernab von San Rinaldi wollte er es zu etwas bringen. Ohne den Einfluss seines mächtigen Großvaters. Ohne die Privilegien seiner adligen Herkunft.

Heute, mit sechsunddreißig, vertrug er sich längst wieder mit seinem Großvater, auch wenn dieser das Verhalten seines Enkels nicht verstand. Marco wollte auf seine Weise und durch harte Arbeit bestehen, ohne die Hilfe seiner Familie. Das hatte er geschafft. Als Jungunternehmer Marco Fierezza war er in London zum anerkannten Finanzgenie und Multimillionär aufgestiegen.

Marco lächelte amüsiert. Seit einigen Jahren wandte sich sein Großvater an ihn, wenn er in finanziellen Angelegenheiten Rat suchte. Gleichzeitig weigerte König Giorgio sich, ihn für seine Arbeit zu bezahlen, indem er sich auf die Blutsbande berief. Großvater ist eben ein listiger alter Fuchs, dachte Marco. Für ihn steht das Wohl seines Königreichs an erster Stelle. Und er scheut auch nicht davor zurück, andere zum Wohle von San Rinaldi auszunutzen und zu manipulieren.

San Rinaldi ...

Das Trommeln der Regentropfen verstärkte Marcos Sehnsucht nach der herrlichen Insel im Mittelmeer. Jener Insel, über die seine Familie bereits seit vielen Generationen herrschte.

San Rinaldi war wie ein grüner Edelstein in einer goldenen Fassung aus Sonnenschein, umgeben von der tiefblauen See. Dunkle Vulkane stachen in den Himmel, silberne Wolken verhüllten die Spitzen.

Niemals würde Marco vergessen, dass die See erst kürzlich seine Eltern verschlungen und ihn dadurch zum Thronerben gemacht hatte.

Dass er eines Tages der König von San Rinaldi sein würde, stand schon seit langer Zeit fest. Nur hatte Marco noch nicht so bald damit gerechnet. Den Gedanken an seine Verpflichtungen hatte er bisher stets weit von sich geschoben und sein freies Leben in London genossen. Nun war allerdings alles anders. Die Pflicht rief nicht erst in ferner Zukunft, sondern jetzt.

Vielleicht enthielt der Traum eine Warnung. Wenn Marco den Wunsch seines Großvaters erfüllte und als Herrscher nach San Rinaldi zurückkehrte, waren Konflikte vorhersehbar. Wie ein junger Löwe müsste ich mir harte Kämpfe mit dem alternden Rudelführer liefern, überlegte er.

Marco kannte und durchschaute seinen Großvater sehr gut. König Giorgio behauptete zwar, die Zügel aus der Hand geben zu wollen, würde jedoch weiterhin versuchen, so viel wie möglich zu kontrollieren. Trotzdem reizte es Marco, die Herausforderung anzunehmen. Er wollte über San Rinaldi herrschen und das Land nach seinen Vorstellungen umformen. Der autoritäre Herrschaftsstil seines Großvaters war längst veraltet. Es war Zeit für einen Neubeginn.

Seit Marco denken konnte, stand für ihn fest, dass er San Rinaldi in ein modernes Königreich verwandeln wollte. Allerdings hatte er stets geglaubt, dass vor ihm sein freundlicher und sanftmütiger Vater den Thron besteigen würde. Doch nun musste er das Zepter direkt von seinem tyrannischen Großvater übernehmen.

Marco seufzte leise. Sein verstorbener Vater war ein stiller und in sich gekehrter Mann gewesen, den König Giorgio wenig geschätzt und stets gnadenlos herumkommandiert hatte. Marco dagegen hatte seinem Großvater von Kindesbeinen an Paroli geboten. Denn genau wie der alte Mann verfügte auch er über ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein.

Dieser gemeinsame Charakterzug bildete sozusagen die Wurzel des Konflikts zwischen ihnen, dessen war sich Marco vollkommen bewusst. Gleichzeitig war er fest entschlossen, sich von seinem Großvater nicht dreinreden zu lassen.

Dennoch würde sich durch die Thronbesteigung sein ganzes Leben ändern. Es gab Gesetze, die für den König San Rinaldis galten und die er anerkennen musste. Obwohl Marco plante, diese Gesetze ganz allmählich zu ändern, würde er sich zunächst nach ihnen richten müssen. So viel stand fest.

Eines dieser Gesetze verbot, dass der König eine geschiedene Frau heiratete. Zwar hatte es Marco mit der Ehe nicht allzu eilig. Doch wenn es eines Tages so weit war, wurde von ihm eine Verbindung mit einer Prinzessin von tadellosem Ruf erwartet. Bestimmt würde es bei seinen Untertanen für Empörung sorgen, wenn Marco sich in Begleitung einer bürgerlichen Geliebten zeigte, anstatt pflichtgemäß eine ebenbürtige Gefährtin zu wählen.

Nachdenklich warf er einen Blick auf die schlafende Emily. Sie ahnte noch nicht, dass ihre Beziehung schon bald enden musste. Ihr langes blondes Haar lag ausgefächert auf dem

Kopfkissen. Marco konnte nicht widerstehen und ließ die seidigen Strähnen durch die Finger gleiten, obwohl er Emily damit weckte. Gleichzeitig erwachte sein Verlangen. Es war erstaunlich, dass er sie noch immer so heftig begehrte, obwohl er mit ihr schon so lange zusammen war. Bisher hatte ihn jede andere Frau schon sehr bald gelangweilt. Doch Emily war anders.

Dennoch – die sinnlichen Bedürfnisse des Marco Fierezza verloren an Bedeutung im Vergleich mit der Herausforderung, König von San Rinaldi zu werden.

König von San Rinaldi ...

Emily war gänzlich ahnungslos. Weder kannte sie seine Verbindung zu San Rinaldi, noch wusste sie etwas über seine vorgezeichnete Zukunft. Was hätte das auch gebracht? Weshalb hätte er ihr die Wahrheit anvertrauen sollen, nachdem er sich ganz bewusst dafür entschieden hatte, unerkannt zu bleiben? Er hatte San Rinaldi verlassen, um zu beweisen, dass Marco Fierezza auf eigenen Beinen stehen und ohne seine königliche Herkunft Erfolg haben konnte. Und rasch hatte sich herausgestellt, dass diese Anonymität höchst vorteilhaft für ihn war.

Als Zweiter in der Thronfolge von San Rinaldi war er eine höchst attraktive Partie und wurde von vielen Frauen umschwärmt. Sein Großvater hatte ihn schon in jungen Jahren vor diesen Mitgiftjägerinnen gewarnt und ihm eingeschärft, stets auf der Hut zu sein. Der künftige König von San Rinaldi könne nie wissen, ob eine Frau ihn oder seine gesellschaftliche Stellung begehrte.

Seit er in London nicht als Prinz Marco, sondern als Marco Fierezza lebte, wirkten zwar sein gutes Aussehen und der Reichtum sehr anziehend auf das andere Geschlecht. Aber niemand hier kannte seinen Titel. Außerdem bot Marco seinen Geliebten stets einen luxuriösen Lebensstil und verwöhnte sie mit teuren Geschenken, solange er mit ihnen zusammen war.

Er runzelte die Stirn. Auch nach so langer Zeit störte es ihn, dass Emily sich standhaft weigerte, auch nur ein einziges Schmuckstück von ihm anzunehmen. Dabei versuchte er oft genug, sie zu beschenken.

Schon nach dem ersten gemeinsamen Monat hatte er ihr eines Abends ein Diamantarmband angelegt. Auf die Frage, wofür es sei, antwortete Marco lässig, sie solle es als Bonus betrachten. Emily wurde blass und betrachtete fassungslos das Lederetui mit dem herrlichen Schmuckstück, das aus der Auslage eines königlichen Juweliers stammte.

„Du brauchst mich nicht zu bezahlen, Marco“, sagte sie spröde. „Ich bin deinetwegen mit dir zusammen und nicht wegen deines Geldes.“

Noch heute ärgerte er sich über ihren unglaublichen Starrsinn. Doch seine Rache hatte nicht lange auf sich warten lassen.

„Nein, du hast das falsch verstanden“, hatte er leise und mit einem warnenden Unterton erwidert. „Schließlich weiß ich genau, dass du mit mir zusammen bist, weil du mich begehrst, Emily. Wenn du das Armband unbedingt als Bezahlung ansehen möchtest, kannst du das gerne tun. Aber du musst dir klar darüber sein, dass ich keineswegs vorhabe, dich mit meinem Geld fester an mich zu binden. Ganz im Gegenteil. Es dient vielmehr dazu, dass du rasch und widerspruchslos verschwindest, wenn ich genug von dir habe.“

Auf diese Bemerkung war sie zwar nicht eingegangen, aber ihre Gefühle waren ihr deutlich anzusehen gewesen. Kurz darauf war sie ohne weitere Erklärung für ein paar Tage geschäftlich verreist.

War es ihre Absicht gewesen, auf diese Weise sein Verlangen nach ihr zu verstärken? Wenn ja, hatte sie sich getäuscht. Keiner Frau würde das jemals gelingen. Er war kein Mann, der sich von seinen Gefühlen beherrschen ließ. Schließlich hatte er schon in jungen Jahren miterlebt, wie sein herrschsüchtiger Großvater die aufrichtige Liebe des eigenen Sohnes dafür missbrauchte, ihn zu manipulieren. In Marcos Augen war sein Vater durch König Giorgios Machtspiele gedemütigt worden.

Zwar machte er sich keine Illusionen darüber, welch verheerende Auswirkungen zu großer Stolz haben konnte. Doch andererseits wusste Marco genauso gut, dass ein freundliches und sanftmütiges Wesen nur allzu leicht missbraucht werden konnte. Er hatte seinen Vater so sehr geliebt, dass er in jungen Jahren häufig zornig auf seinen Großvater losgegangen war, wenn dieser seinen unmittelbaren Erben wieder einmal schlecht behandelt hatte.

Das wird mir nie passieren, dachte Marco. Niemand durfte ihn unterdrücken, nicht einmal der König von San Rinaldi.

Er hatte den Großvater oft durch seine rebellische Haltung verärgert. Trotzdem respektierte ihn Giorgio inzwischen, wenn auch nur widerstrebend. Stolz und Zielstrebigkeit zeichneten sie beide gleichermaßen aus. Ja, sie waren einander in vieler Hinsicht sehr ähnlich. Allerdings unterschieden sich ihre Pläne deutlich. Denn schon jetzt stand für Marco fest, dass er als König zahlreiche Änderungen durchführen würde, um das Reich endlich zu modernisieren.

Sein Großvater regierte wie ein Feudalherr. Schon Marcos Vater hatte die Meinung vertreten, dass die Menschen über ihr Leben selbst bestimmen sollten. Niemand sollte einen Erwachsenen wie ein ahnungsloses kleines Kind behandeln, dem man nichts zutrauen konnte. Doch genau das tat König Giorgio.

Marco hatte große Pläne für San Rinaldi und konnte es daher kaum erwarten, London zu verlassen und sein Geburtsrecht einzufordern. Zwar störte ihn die Aussicht, dadurch seine Geliebte zu verlieren. Schließlich war er ein Mann. Doch letztlich wünschte er sich mehr als nur eine willige Gespielin im Bett, an die er sich gefühlsmäßig nie binden würde.

Ich werde Emily nicht vermissen, sagte er sich. Es gab nur einen Grund, aus dem er so viel über sie nachgrübelte: die Frage, wie sie es aufnehmen würde, wenn er ihr das Ende ihrer Affäre verkündete. Schließlich wollte Marco diese ebenso sensible wie schöne Frau unter keinen Umständen verletzen.

Bis jetzt hatte er noch nicht entschieden, wie viel er ihr tatsächlich enthüllen sollte. Natürlich musste er London verlassen, und die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass die Paparazzi über die Vorgänge auf San Rinaldi Bescheid wussten. Dort herrschte schließlich eine der reichsten königlichen Familien der Welt.

Emily musste einfach einsehen, dass ihre Gefühle seine Zukunft als König von San Rinaldi nicht gefährden durften.

Weshalb sie seine teuren Geschenke ablehnte und sich auch nicht als Innenarchitektin von ihm helfen ließ, begriff Marco bis heute nicht. Seit drei Jahren waren sie nun schon ein Liebespaar. Seit Langem überlegte er, was Emily wirklich von ihm erwartete. Was war es, wonach sie suchte und das ihr mehr als Geld bedeutete?

Es war ihm zur zweiten Natur geworden, keinem Menschen zu vertrauen. Außerdem hatte er seinen Großvater und die Mitglieder des Hofs genau beobachtet. Was geschah, wenn man sich von jemandem ausnutzen ließ, wusste Marco daher nur zu genau. Sein Vater war ihm ein trauriges Beispiel gewesen.

Bei dem Gedanken an seine Eltern biss Marco die Zähne zusammen. Er scheute den Schmerz. Und er scheute nicht nur dieses Gefühl, sondern auch noch zahlreiche andere Emotionen, die der Verlust der Eltern ausgelöst hatte.

Seit Jahren kämpfte er schon gegen die Schuldgefühle an. Hätte ich Großvater nicht daran hindern können, Vater so schlecht zu behandeln?, fragte Marco sich oft. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Umgekehrt war er auf seinen Vater zornig, weil dieser es nie geschafft hatte, sich durchzusetzen. Vor allem aber verübelte Marco es seinem Großvater, diese Schwäche ausgenutzt zu haben.

Seit einiger Zeit war es ihm jedoch gelungen, Frieden mit seinem Großvater zu schließen. Marcos Vater lebte nicht mehr, und er selbst war inzwischen ein erwachsener Mann. Mittlerweile wurde er nur noch in seinen Träumen von der Vergangenheit eingeholt. Und Emilys Nähe half ihm, diese Träume zu verscheuchen.

Wie würde es weitergehen, wenn sie nicht mehr bei ihm war? Aber weshalb verschwendete er seine Zeit mit solchen Überlegungen? Irgendwann fand er bestimmt eine neue Geliebte, auch wenn er in San Rinaldi wahrscheinlich viel diskreter vorgehen musste. Eine jüngere Frau, mit einem älteren Mann verheiratet, erschien Marco ideal. Natürlich durfte sie nicht so jung sein, dass sie kein Verständnis für die Gepflogenheiten bei Hofe aufbrachte.

Grundsätzlich wäre er sogar bereit gewesen, Emily mit einem Höfling zu verheiraten, der das Spiel mitmachte. Sie wäre dann eine respektable Frau und könnte heimlich die Affäre mit ihm als König fortsetzen. Marco war jedoch überzeugt, dass Emily aufgrund ihrer Leidenschaft und ihrer bedingungslosen Offenheit nicht mit der Rolle einer heimlichen Mätresse einverstanden wäre.

Das war besonders bedauerlich, da San Rinaldi ihr bestimmt gefallen hätte. Wenn Marco an sein Heimatland dachte, sah er eine Insel im Sonnenschein vor sich, die von den Göttern so großzügig bedacht worden war, dass sich zahlreiche Legenden um dieses Paradies rankten.

Und doch gab es kein Paradies ohne Schlange. Das traf durchaus auf San Rinaldi zu. Die Götter hatten einen hohen Preis für ihre Gaben gefordert.

Da Marco jetzt ohnedies nicht schlafen konnte, schlug er die Bettdecke zurück. Im schwachen Licht der Straßenlaternen erschien sein schlanker kräftiger Körper wie gemalt.

Lautlos trat er ans Fenster.

Der Wind hatte an Stärke zugenommen, ließ den Regen gegen die Fenster prasseln und rüttelte an den kahlen Bäumen, die die Straße säumten.

Auch San Rinaldi wurde gelegentlich von heftigen Stürmen heimgesucht, die das Meer rings um die Insel aufpeitschten. Die Menschen dort hüteten sich, während solcher Unwetter den Wogen zu trotzen, die gegen die Vulkanklippen donnerten.

In den unwegsamen Bergregionen lebten noch heute die Nachkommen jener Piraten, die vor langer Zeit die Insel erobert hatten. Die mächtigen Wellen des Meeres hatten im Lauf der Zeit den Fels ausgehöhlt, sodass ganze Teile der Küste den Gezeiten zum Opfer gefallen waren. Auch die Olivenhaine und die Weinberge der Insel wurden immer wieder von den Naturgewalten heimgesucht. Jahr für Jahr wüteten die Herbststürme, als wollten sie das Land dafür bestrafen, dass die Ernte bereits sicher eingefahren worden war.

Als Junge hatte Marco fasziniert beobachtet, wie der Sturm das Land tief unterhalb des Königsschlosses verwüstete. Auf eine weich gepolsterte Fensterbank gekuschelt, beobachtete er das Naturschauspiel und wünschte sich sehnlichst, ins Freie zu laufen und sich den Elementen zu stellen. Doch er war kein normales Kind, das draußen spielen durfte. Auf Wunsch seines Großvaters musste er im Schloss bleiben, um alles über die Vergangenheit der Familie und seine Rolle als zukünftiger Herrscher der Insel zu lernen.

Erinnerungen an die Kindheit tauchten wie ungebetene Gäste auf, als Marco jetzt am Fenster seiner Londoner Wohnung stand. Eine Kindheit, die nicht durch die liebevolle Erziehung der Eltern, sondern durch die Befehle seines Großvaters geprägt worden war. König Giorgio hatte die Gesetze aufgestellt und auch für deren Einhaltung gesorgt ...

„Marco, komm wieder ins Bett. Dir muss doch kalt sein.“

In Emilys leiser, warmer Stimme schwang ein süßes Versprechen mit, süß wie die Früchte von San Rinaldi zur Zeit der Ernte.

Er drehte sich um. Also hatte er sie doch geweckt.

Emily besaß ein kleines Geschäft nahe der Sloane Street. Sie waren sich zufällig auf einer Party begegnet, und Marco hatte die zierliche Frau auf den ersten Blick begehrt. Also setzte er alles daran, um sie zu bekommen. Schließlich war er daran gewöhnt, stets seinen Willen durchzusetzen – selbst wenn er dafür kämpfen musste. Von dieser Grundhaltung wich er nie ab.

Sehr schnell brachte er damals in Erfahrung, dass sie geschieden war und keine Kinder hatte. Ideale Voraussetzungen für eine Geliebte. Hätte er allerdings von Anfang gewusst, wie tief ihre Gefühle waren, hätte er sich nicht um Emily bemüht. Als er schließlich die Wahrheit herausfand, war es bereits zu spät. Sein Begehren war bereits so groß gewesen, dass er nicht mehr von ihr lassen konnte.

Auch jetzt weckte ihr Anblick in ihm ein so starkes Verlangen, dass er sich instinktiv dagegen wehrte. Er bekämpfte naturgemäß alles, das ihn zu beherrschen drohte.

„Marco, irgendetwas stimmt doch nicht. Was ist es denn?“

Wieso erahnte sie Dinge, die sie gar nicht wissen konnte?

Im Todesjahr seiner Eltern waren die Unwetter früher als sonst über San Rinaldi hereingebrochen. Trotz seiner kühlen Selbstbeherrschung hatte Emily sofort gemerkt, dass ihn etwas bedrückte.

Andererseits erriet sie zwar seine Gefühle, stellte jedoch keine Verbindung zu den Fernsehberichten über San Rinaldi her. Gerade deshalb hatte es sie schwer getroffen, dass sie ihn nicht zu der Trauerfeier begleiten durfte. Marco hatte sie nur knapp über den Tod seiner Eltern informiert, ohne Einzelheiten zu nennen. Sie wusste lediglich, dass seine Familie nicht aus England stammte und dass er zu der Beerdigung ins Ausland flog. Ohne sie.

Zwar verlor Emily kein weiteres Wort darüber, aber das tat sie wahrscheinlich nur, um einen Streit zu vermeiden, der das Ende der Affäre bedeuten konnte.

Trotz ihres offen zur Schau gestellten Desinteresses an teuren Geschenken gab es seiner Meinung nach eigentlich nur einen Grund, aus dem Emily an der Beziehung festhielt: Sie wollte ihn wegen seines Reichtums nicht verlieren.

Marco hielt es für unmöglich, dass eine Frau sich vom Wohlstand ihres Geliebten so wenig beeindrucken ließ wie Emily. In diesem Punkt hatte sein Großvater ausnahmsweise recht. Frauen, die sich um einen reichen Mann drängten, erwarteten immer Geschenke. Auch wenn sie es nicht offen zugaben.

Emily war froh, dass Marco ihr Gesicht in der Dunkelheit nicht sah. Sonst hätte er bestimmt gemerkt, wie sehr sie sich über den flehenden Unterton in ihrer Stimme ärgerte. Wieso kann ich mich nicht beherrschen?, dachte Emily. Wieso gehe ich immer wieder Beziehungen ein, in denen ich mich unsicher fühle?

„Alles in Ordnung“, behauptete Marco in einem kühlen Ton, der sie tief traf.

Wenn man erst einmal damit beginnt, sich etwas vorzumachen, kann man sich der Wahrheit nur noch schwer stellen. Doch irgendwann holen einen die Fragen ein. Emily seufzte nachdenklich.

Musste es wirklich immer so sein, dass einer in der Liebe zu kurz kam? Gab es wirklich immer einen Menschen, der nicht genug geschätzt und respektiert wurde? Und warum musste sie dieser Mensch sein?

Energisch verbot sie sich jegliches Selbstmitleid. Tatsache war, dass sie sich ganz allein die Schuld an ihrer gegenwärtigen Lage geben musste. Niemand sonst trug die Verantwortung.

Schon seit den ersten Wochen wusste sie, was für ein Mann Marco war und welche Art von Beziehung er wollte. Bedrückt erkannte Emily, dass sie seine Wünsche und Ansprüche besser kannte als die eigenen. Trotzdem wurde sie immer wieder schwach und malte sich aus, dass er sich ändern würde.

In ihren Wunschträumen war Marco Fierezza kein attraktiver Multimillionär, sondern ein normaler Mann mit ganz gewöhnlichen Zielen: Heirat, eine Familie und ...

Der Gedanke versetzte ihr einen schmerzhaften Stich ins Herz, der sich vertiefte bei der Vorstellung, eigene Kinder zu haben.

Wieso um alles in der Welt war sie so dumm gewesen, sich in jemanden wie Marco zu verlieben? Jemand, der so reich und so attraktiv war, dass er jede Frau bekommen konnte? Wieso nur?

Gleich zu Beginn ihrer Beziehung hatte Marco ihr klar und deutlich gesagt, was er von ihr wollte. Liebe kam dabei nicht vor. Doch Emily hatte ihn so sehr begehrt, dass sie sich bereitwillig auf eine Affäre ohne Verpflichtungen eingelassen hatte, die so lange andauern sollte, wie er es wünschte.

Aus diesem Grund musste sie die Verantwortung für den Schmerz, der sie jetzt zu überwältigen drohte, auch ganz allein bei sich selbst suchen. Schlimmer noch: Sie allein war auch für die Lüge verantwortlich, unter der ihre Beziehung litt. Sie spielte Marco vor, dass sie keine tieferen Gefühle für ihn hegte. Doch in Wahrheit liebte sie ihn und litt unter der ständigen Angst, dass er dieses Theater eines Tages durchschauen und fortgehen könnte.

Ihre eigene Schwäche erfüllte Emily mit Verachtung. Sie sehnte sich nach der Kraft, ihm endlich ihre Liebe zu gestehen und dann die Konsequenzen zu ziehen. Doch war sie wirklich stark genug, den unvermeidlichen Schmerz der Trennung auf sich zu nehmen?

Vielleicht würde es sie sogar befreien, wenn sie Marco verließ. Sagte man nicht, ein tapferer Mann würde nur einmal, ein Feigling dagegen tausendmal sterben? Für sie galt das bestimmt. Im Grunde wusste sie genau, was sie zu tun hatte: Sie musste sich zurückziehen und ganz allein mit ihren Gefühlen fertig werden. Stattdessen blieb sie bei Marco und litt darunter, dass er ihr ständig bewies, wie wenig er sie liebte.

Er begehrte sie. Daran bestand kein Zweifel. Daher klammerte Emily sich verzweifelt an diesen schwachen Hoffnungsschimmer. Vielleicht würde sich eines Tages das Schicksal doch noch wenden. Marco würde plötzlich doch noch erkennen, dass er sie liebte und ihr jenen Teil seines Herzens öffnen, den er bisher eisern verschlossen hielt. Vielleicht würde er sogar sagen, dass er sie niemals allein lassen wollte ...

2. KAPITEL

In ihren Träumen machte Marco ihr eine Liebeserklärung und bat sie, für immer bei ihm zu bleiben. Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus. Seit einiger Zeit kam es Emily so vor, als würden sie sich immer weiter voneinander entfernen. Darum nahm sie jetzt ihren ganzen Mut zusammen.

„Marco, ich war stets offen und ... und ehrlich zu dir und ...“

Nein, es hatte keinen Sinn. Sie schaffte das nicht. Es war ganz einfach unmöglich, ihm die alles entscheidende Frage stellen: Willst du unsere Beziehung beenden?

Außerdem stimmte es auch gar nicht, dass sie stets offen und ehrlich zu ihm gewesen war. Dass sie sich in ihn verliebt hatte, behielt sie schon viel zu lange für sich. Seine abweisende Art schnürte ihr im entscheidenden Moment stets die Kehle zu.

Marco musterte sie schweigend. Sein dichtes dunkles Haar war kurz geschnitten und doch lang genug, dass Emily mit den Fingern hindurchstreichen konnte, wenn sie sich liebten. Das schwache Licht genügte ihr, um seine Augen zu erkennen und den scharfen Blick, den er unverwandt auf sie richtete. Erriet er ihre Gedanken und ahnte, wie sehr sie ihn begehrte? Kein anderer Mensch konnte einen derart durchdringend ansehen.

Das war schon an jenem ersten Abend so gewesen. Inmitten des Partygetümmels hatte Marco sie nicht mehr aus den Augen gelassen. Und Emily hatte vergeblich versucht, seinem Zauber zu widerstehen und vernünftig zu bleiben.

Energisch verscheuchte Emily die aufkommenden Erinnerungen. Es hatte keinen Zweck, sich in die Vergangenheit zu flüchten. Hier und jetzt musste sie ihre Probleme lösen und herausfinden, warum sich Marco in der letzten Zeit so merkwürdig verhielt.

Doch die Erfahrungen in ihrer Kindheit machten es Emily schwer, über ihre Gefühle zu sprechen. Sosehr es in ihrem Inneren auch brodeln und kochen mochte – nach außen hin blieb sie stets gelassen. Und schwieg.

Hatte sie Angst, was passieren würde, wenn sie ihren Gefühlen endlich einmal freien Lauf ließ? Oder fürchtete sie sich schlicht und einfach vor der Realität? Eines war jedenfalls sicher: Irgendetwas stimmte mit Marco nicht. Er hatte sich eindeutig verändert, wirkte besorgt und in sich gekehrt.

Aber was konnte es sein, das ihn so sehr beunruhigte? Marco Fierezza war ein gut aussehender, erfolgreicher Geschäftsmann, der das Leben in vollen Zügen genoss. Ging es etwa doch um ihre Trennung? Spürte er, was sie in Wahrheit für ihn empfand und wollte der Sache schnell ein Ende setzen?

„Tut mir leid, Emily. Aber es stimmt ganz einfach nicht, dass du immer offen und ehrlich zu mir warst.“

Ihr blieb fast das Herz stehen. Er wusste Bescheid? Offenbar hatte er ihre Gedanken erraten und steuerte nun bewusst auf einen Streit zu. Wahrscheinlich, damit er sich endlich von ihr trennen konnte.

„Erinnerst du dich noch an das Abendessen, als du mir von deiner Ehe erzählt hast?“, fuhr Marco spöttisch fort. „Du hast zwar sehr offen gewirkt. Aber in Wahrheit hast du mir damals eine ganze Menge verschwiegen.“

Sie brachte kein Wort hervor. Ihre anfängliche Erleichterung verflog, und sogleich machten sich neue Sorgen breit.

Es geht also um meine Ehe, dachte Emily voller Bitterkeit. Bis jetzt hatte sie stets geglaubt, dass Marco wusste, wie bedrückend dieses Thema für sie war. Dass er begriff, wie sehr sie die Narben der Vergangenheit noch immer schmerzten. Aber offenbar hatte sie sich geirrt.

„Das habe ich doch nicht absichtlich getan, Marco“, erwiderte sie und versuchte möglichst ruhig zu bleiben. „Ich habe dir nichts bewusst verschwiegen.“ Wieso kam er überhaupt so plötzlich auf dieses Thema zu sprechen? Weil er nach einem Grund für die Trennung suchte? So etwas hatte er doch gar nicht nötig. Dieser Mann war viel zu selbstbewusst, um auf eine Ausrede zurückzugreifen oder die Wucht des Schlages zu mildern, den er ihr versetzen wollte.

Marco wandte verärgert den Blick ab. Wie dumm, dass er diese Sache überhaupt erwähnt hatte. Es war ganz gewiss nicht seine Absicht gewesen, Erinnerungen an vergangene Zeiten heraufzubeschwören. Doch nun war es zu spät. Seine Gedanken ließen sich nicht aufhalten ...

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