Herz verloren, Glück gefunden

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In seiner Arzt-Familie gilt Dr. David Wilder als schwarzes Schaf. Dabei setzt der Schönheitschirurg sein Können nicht nur für alternde Hollywoodstars ein. Unentgeltlich operiert er Courtneys Tochter, deren Gesicht bei einem Autounfall verletzt wurde. Um diese kleine Patientin kümmert er sich ganz besonders liebevoll. Denn er hat längst sein Herz verloren - nicht nur an die süße Janie, sondern auch an ihre bezaubernde Mutter. Trotzdem zögert David, ihr seine Gefühle zu gestehen. Ihn quält die Frage: Empfindet Courtney nur Dankbarkeit für ihn - oder ist es wirklich Liebe?


  • Erscheinungstag 25.01.2009
  • Bandnummer 1665
  • ISBN / Artikelnummer 9783862953448
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Für ihr Kind würde sie betteln oder lügen, betrügen oder stehlen.

Courtney Albright wusste, dass das, was sie tun musste, nicht ganz so schlimm war. Aber irgendwie fiel es ihr noch schwerer. Sie brauchte einen Gefallen von einem Mann, dem sie nicht traute. Dr. David Wilder, genialer plastischer Chirurg, lausiger Familienmensch. Wahrscheinlich war es ganz folgerichtig: Wer oberflächlich genug war, ihm nahe stehende Menschen zu ignorieren, der hielt sicher auch die äußerliche Verschönerung von Stars und Promis für einen lohnenden Beruf.

Courtney biss sich auf die Lippe. Das Problem war, sie hatte gerade einen Verkehrsunfall hinter sich – und ihre Tochter hatte mit im Wagen gesessen. Janies Gesicht war verletzt, und die Ärzte hier in Walnut River waren keine Spezialisten für derartig komplizierte Operationen. David Wilder dagegen war einer der besten Fachleute auf diesem Gebiet. Er hatte sich bereit erklärt, Janie zu untersuchen. Damit tat er ihr einen Gefallen, und Courtney wollte in niemandes Schuld stehen. Erst recht nicht in der eines Mannes.

Aber ihr kleines Mädchen lag im Krankenhaus, das halbe Gesicht unter einem Verband verborgen. David Wilders Hilfe in Anspruch zu nehmen wäre ein kleiner Preis für Janies Gesundheit. Wo blieb er nur? Vielleicht kam er gar nicht.

Courtney unterdrückte das Schluchzen, das in ihr aufstieg. Tränen halfen nicht – das hatten sie noch nie. Um das hier durchzustehen, brauchte ihre Sechsjährige Kraft und Aufmunterung, keine Mutter, die selbst zusammenbrach. Courtneys eigene Mutter hatte sie im Stich gelassen, geblieben war ihr damals nur der Vater mit allen seinen Fehlern. Aber Janies Vater war tot. Janie hatte nur sie, und sie durfte ihre Tochter nicht enttäuschen.

Nicht schon wieder. Wenn sie könnte, würde sie auf der Stelle mit Janie tauschen und ihre Schmerzen auf sich nehmen. Courtney hatte eine Beule am Kopf und ein gebrochenes Handgelenk davongetragen, doch das war nichts verglichen mit dem, was das kleine Mädchen durchlitt. Courtney hatte darauf bestanden, bei Janie zu bleiben. Krankenhäuser machten jedem Angst. Das wusste sie, denn sie arbeitete hier, wenn auch nicht in der Pflege.

„Mrs. Albright?“

Courtney drehte sich nach der tiefen Stimme um. Er war es – Dr. Wilder. Er war tatsächlich gekommen! Komisch, er wirkte sogar noch attraktiver als bei ihrer einzigen Begegnung bisher. Sie zitterte vor Erleichterung und schämte sich gleichzeitig dafür.

„Da sind Sie ja! Ich dachte schon …“ Sie presste die Lippen zusammen. „Danke, Dr. Wilder.“

„Sie kennen mich?“

„Von der Beerdigung Ihres Vaters.“

James Wilder war vor zwei Monaten an einem Herzinfarkt gestorben, und Courtney vermisste ihn noch immer. Nie wieder hatte sie einen Mann getroffen, der anderen half, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

„Dort waren viele Menschen“, erwiderte David erstaunt.

Aber er war ein prominenter Schönheitschirurg aus Beverly Hills, also hatte man über ihn getuschelt. Er tauchte oft in den Zeitungen auf, und sein Name wurde mit Hollywood-Schauspielerinnen in Verbindung gebracht. Manchmal trat er im Fernsehen auf, als Fachmann für Schönheitsoperationen an Topmodels. Er hatte ständig prominente, wunderhübsche Frauen an der Seite – einen oder zwei Abende lang, bevor er sich die Nächste suchte.

Dr. David Wilder hätte selbst zum Film gehen können. Dunkles, sorgfältig zerzaustes Haar, strahlend blaue Augen. Kantiges Kinn mit einem Zweitagebart, wie „man“ ihn heute trug. Eine alte, leicht zerschlissene Lederjacke um die breiten Schultern, dazu verwaschene Jeans, die die schmale Taille und muskulösen Schenkel betonte. Er sah aus wie der Typ von nebenan – der äußerst gut aussehende Typ von nebenan.

Selbst wenn er nicht an der Westküste lebte – Courtney wusste, dass sie sich praktisch nie über den Weg laufen würden. Sie bewegten sich einfach nicht in denselben Kreisen. Er hatte keinen Grund, sich an die unscheinbare Person zu erinnern, die die Geschenkboutique des Krankenhauses betrieb. Seit über sechs Jahren wohnte sie in Walnut River, und trotzdem hatte sie Dr. David Wilder vor der Beerdigung seines Vaters nie zu Gesicht bekommen.

„Ich erwarte nicht, dass Sie sich an mich erinnern“, sagte sie.

„Da täuschen Sie sich, Mrs. Albright. Ich erinnere mich durchaus.“ Sein Lächeln war freundlich und einnehmend.

„Danke, dass Sie gekommen sind.“

„Sie klingen überrascht.“ Das Lächeln verschwand.

„Ella hat mir erzählt, dass Sie auf dem New Yorker Flughafen waren, um nach Kalifornien zu fliegen. Ich … war nicht sicher, dass Sie den Umweg über Walnut River auf sich nehmen würden.“

„Zufällig war ich zu einem Kongress in New York, als meine Schwester angerufen hat“, erklärte er. „Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.“

„Das hätte ich nicht gedacht.“ Courtney konnte kaum glauben, dass sie es wirklich ausgesprochen hatte. Aber sie hatte die schlimmsten Stunden ihres Lebens hinter sich und ließ ihre Anspannung an ihm aus. „Streichen Sie das. Es hört sich undankbar an. Ich entschuldige mich. Im Moment bin ich nicht gerade in Hochform.“

„Schon vergessen“, erwiderte er, aber seine Augen strahlten nicht mehr. „Sie arbeiten also hier im Krankenhaus, können aber nicht …“ Er brach ab. Las sie da etwa Mitleid in seinem Blick? „Ella hat gesagt, dass die Gesichtsverletzungen Ihrer Tochter ziemlich ernst sind.“

Courtneys Augen wurden wieder feucht, und rasch wandte sie sich ab. Als er ihr eine Hand auf die Schulter legte, empfand sie das beinahe übermächtige Bedürfnis, ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Doch sie riss sich zusammen und betrachtete Janies unverbundene Gesichtshälfte. Die sonst so rosige Haut war blass. „Seit dem Unfall schläft sie meistens.“

„Das liegt am Schock und an den Medikamenten.“

„Das hat man mir gesagt.“

Die Schwestern waren nicht nur Kolleginnen, sondern auch Freundinnen, und ohne diese wäre sie längst zusammengebrochen, das wusste Courtney genau.

David Wilder ging auf die andere Seite des Betts und löste vorsichtig die Pflaster, die den Verband über Janies Wange und Ohr hielten. „Ich bin gerade erst angekommen und wollte mich nur kurz vorstellen und mir die Patientin …“

„Janie. Sie heißt Jane Josephine Albright. Alle nennen sie Janie.“

„Janie.“ Ihre Blicke trafen sich kurz, bevor er die Untersuchung fortsetzte. „Sie ist ein sehr hübsches Kind.“

„Ja, sie …“ Courtney brach ab, denn fast hätte sie war gesagt.

Es musste ernst sein, sonst wäre er nicht hier.

Sie erinnerte sich kaum noch an den Unfall und den Rettungshubschrauber, der sie und Janie ins Walnut River General Hospital geflogen hatte. Sie war aus der Bewusstlosigkeit erwacht, als sie geröntgt und das Handgelenk in Gips gelegt wurde. Der Arzt in der Notaufnahme hatte ein CT für Janie angeordnet. Danach hatten sie ihrer Tochter die Wunden gesäubert, das Gesicht verbunden und einen Chirurgen gerufen.

Wie schnell alles gegangen war! Die Erinnerung ließ Courtney wieder die Tränen in die Augen steigen. Vor der Arbeit beziehungsweise Janies Schule hatte sie mit ihrer Tochter frühstücken gehen wollen. Sie beide aßen nur selten auswärts, weil Courtney es sich nicht leisten konnte, aber Janie war Schülerin des Monats geworden. Das musste gefeiert werden.

Es war ein grauer Märzmorgen mit schlechtem Wetter gewesen, und sie hatte bei dem Gedanken an die glatten Straßen kein gutes Gefühl gehabt. Hätte sie doch nur darauf gehört! Aber man konnte schlecht dem Wetter die Schuld geben. Für den Unfall, an dem kein anderer Wagen beteiligt gewesen war, war sie allein verantwortlich.

Der Arzt deckte die Wunden wieder ab und strich Janie das blonde Haar aus der Stirn – eine überraschend zärtliche Geste. Er sah Courtney an.

„Wird sie wieder gesund?“, fragte sie ängstlich.

„Ihr Zustand ist ernst, aber die Verletzungen sind nicht lebensgefährlich.“

„Das haben sie mir schon gesagt. Ich will wissen, ob ihr Gesicht wieder so wird wie vorher.“

„Ich muss mir erst die Testergebnisse ansehen.“

„Was soll das heißen, Dr. Wilder?“

„Bitte nennen Sie mich David.“

Na gut, wenn er Wert darauf legte. Hauptsache, er sagte ihr die Wahrheit. „David, was verheimlichen Sie mir?“

„Wie gesagt, die Verletzungen an Wange, Auge und Nase sind ernst, aber ich kann nur die Oberfläche sehen. Zunächst muss ich wissen, inwieweit Muskeln, Nerven und Knochen in Mitleidenschaft gezogen sind. Vorher kann ich Ihnen nichts versprechen.“

„Na gut.“ Das verstand sie. „Aber wenn Sie Bescheid wissen, will ich die ganze Wahrheit hören.“

„Sie haben mein Wort darauf, Mrs. Albright.“

„Nennen Sie mich Courtney.“

Er nickte und ging hinaus. Warum fühlte sie sich plötzlich so allein? Sie hatte doch gar nicht damit gerechnet, dass er kam. Weshalb wollte er Janie helfen? Versprach er sich etwas davon? Vermutlich war sie die undankbarste Frau auf dem Planeten. Aber ihr Bauchgefühl zu ignorieren hatte ihr oft genug geschadet. Und dieses Mal auch ihrer Tochter.

Die Situation gefiel ihr nicht, aber hatte sie eine andere Wahl? Nein. Sie allein war schuld an Janies Zustand und musste alles tun, um sie wieder gesund und glücklich zu machen. Selbst wenn dazu ein Wunder nötig war.

An jedem anderen Ort auf der Welt wäre David in diesem Augenblick lieber gewesen als in Walnut River. Und das lag nicht an den Aufnahmen des Computertomografen, die er gerade studierte. Es würde zwar eine Menge Arbeit erfordern, aber er konnte Janie Albrights Gesicht wiederherstellen. Sicher würde sie zu einer ebenso schönen Frau wie ihre Mutter heranwachsen.

Courtney.

Obwohl er ihren Namen erst heute erfahren hatte, erinnerte er sich an sie. Bei der Beerdigung seines Vaters war sie der einzige Lichtblick an einem düsteren, traurigen Tag gewesen. In ihren braunen Augen hatte er ehrliches Mitgefühl gelesen.

Er hatte sich gefragt, in welcher Beziehung sie wohl zu seinem Dad gestanden hatte. Warum sie um den Mann trauerte, den er selbst vor so vielen Jahren enttäuscht hatte. Sie sah aus wie das sprichwörtliche hübsche Mädchen von nebenan – einschließlich der hinreißenden Grübchen, für die so manche seiner eitlen Patientinnen ein Vermögen ausgeben würde.

Von Ella wusste er, dass Courtney nicht viel Geld hatte. Also brauchte sie ihn, und das machte ihn vorsichtig. Denn er hatte längst gelernt, dass ein Mann zu allen möglichen Dummheiten verleitet werden konnte, wenn er allzu intensive Gefühle für eine attraktive Frau hegte. Zu Fehlern, die er ein Leben lang bereuen würde.

Aber auch das war nicht der Grund dafür, dass er jetzt lieber anderswo wäre. Nein, der lag in der Vergangenheit und hatte mit dem zu tun, was er falsch gemacht hatte und niemals wiedergutmachen konnte. Sein Vater war tot und die Chance, sich mit ihm auszusöhnen, für immer vertan.

Er selbst musste erst in ein paar Tagen wieder in Beverly Hills sein. In der Praxis vertraten ihn seine Kollegen. Das war kein Problem. Aber wie sollte er einer besorgten jungen Mutter erklären, wie kompliziert es war, ihre Tochter wieder zu einem hübschen kleinen Mädchen zu machen?

David nahm die Bilder vom Leuchttisch und schaltete ihn aus. Noch einmal überflog er die anderen Unterlagen und ging dann zur Intensivstation, wo Courtney die Hand ihrer Tochter hielt. Janie war wach, und als sie ihn sah, wurde ihr Blick ängstlich.

„Mommy …“

Courtney schaute über die Schulter, und auch ihre Augen wurden groß. Wie die Mutter, so die Tochter, dachte David.

Sie sah ihre Tochter an. „Süße, das ist Dr. Wilder. Er hat extra den weiten Weg gemacht, um dich zu untersuchen und uns zu erklären, wie du wieder ganz gesund wirst.“

David trat ans Bett und lächelte seiner Patientin zu. „Hi, Hübsche.“

Janie musterte ihn mit dem unverletzten Auge. Es war blau. „Hi.“

Er wusste inzwischen, wie es unter ihrem Verband aussah. Das zertrümmerte Jochbein zog das andere Auge nach unten, und das Lid war eingerissen. Die Wunden am Kinn und am Ohr sahen weniger schlimm aus und waren einfach zu nähen. Dazu würde eine örtliche Betäubung ausreichen. Allerdings sollte die Operation nicht später als sechs Stunden nach dem Unfall vorgenommen werden, um eine Infektion zu vermeiden.

„Macht es dir etwas aus, wenn ich deine Mom mal kurz entführe, um mit ihr zu reden?“, fragte er.

Janie warf ihrer Mutter einen besorgten Blick zu, und ihr Mund zitterte. „Warum muss Mommy mit dir gehen? Willst du die Beule an ihrem Kopf wegmachen?“

Courtneys Verletzung würde von allein verheilen und ihr Gesicht wieder so makellos aussehen wie bei ihrer ersten Begegnung. Dass sie sich nur notdürftig hatte behandeln lassen, um bei ihrer Tochter bleiben zu können, bewies eine Selbstlosigkeit und Charakterstärke, die David imponierten.

Er lächelte Janie aufmunternd zu. „Deine Mom braucht meine Hilfe nicht. Aber ich muss ein paar Minuten mit ihr sprechen.“

„Über mich?“

„Ja.“

„Über mein Gesicht?“, fragte Janie, und eine Träne rann über die nicht verbundene Wange. „Mommy hat gesagt, mein Arm ist gebrochen. Ist mein Gesicht auch gebrochen?“

In seiner Brust regte sich etwas – ein Gefühl, das ihn beunruhigte. Ein Arzt sollte keine persönliche Beziehung zu seinen Patienten aufbauen, aber manche schafften es trotzdem irgendwie, seine Abwehr zu überwinden. Janie Albright könnte eine davon sein.

„Hat deine Mom dir erzählt, dass Dr. Ella deinen Arm heil gemacht hat und er deshalb in einem Gips steckt?“ Sie nickte. „Er wird wieder so gut wie neu.“ David wählte seine Worte sorgfältig. „Es gibt Ärzte, die auch dein Gesicht wieder so gut wie neu machen können.“

„Wirklich?“ Aus Courtneys Blick sprach Hoffnung.

„Wirklich.“ Er sah das kleine Mädchen an. „Und das alles muss ich deiner Mom erklären, aber es ist ziemlich langweilig. Ist es okay, wenn wir zur Tür gehen?“ Er zeigte hin. „Du kannst sie sehen, und wir sind hier, falls du etwas brauchst. Was hältst du davon?“

„Ist okay.“

„Tut es dir irgendwo weh?“, fragte er.

„Ein bisschen.“ Sie schaute auf den Gips. „Mein Arm.“

„Sie haben ihr vorhin etwas gegen die Schmerzen gegeben“, warf Courtney ein.

„Das ist gut. Gleich fühlst du dich besser, Janie, das verspreche ich.“

„Na gut.“

David ging zur Tür. Courtney folgte ihm.

„Sie haben versprochen, mir die Wahrheit zu sagen“, erinnerte sie ihn, als glaubte sie nicht, dass er Wort hielt.

„Und genau das habe ich vor.“

Sie nickte und zuckte zusammen, weil die Bewegung ihr offensichtlich Schmerzen verursachte. „Na gut. Wie schlimm ist es? Kann man ihr Gesicht operieren?“

„Ja. Es wird wieder so aussehen wie vorher.“

„Gott sei Dank“, flüsterte sie.

„Aber es ist sehr aufwendig.“

„Inwiefern?“

„Zunächst müssen die oberflächlichen Verletzungen versorgt werden, möglichst innerhalb von sechs Stunden.“

Courtney sah auf die Uhr. „Dann ist noch Zeit.“

„Ja. Der zweite Teil kommt später. Das Jochbein ist zertrümmert, und die rechte Gesichtshälfte muss gerichtet werden. Statt die Knochenstücke zusammenzuflicken, würde ich vorschlagen, ein Implantat einzusetzen.“

„Sie ist erst sechs und wächst noch. Wird sie noch mehr Operationen brauchen?“, erkundigte sich Courtney mit zitternder Stimme.

„Das ist möglich. Aber eins nach dem anderen. Zuerst müssen die oberflächlichen Wunden behandelt werden. Da ich schon mal hier bin, werde ich das übernehmen.“

„Ich möchte nicht undankbar sein, aber …“ Sie zögerte. „Es wäre mir lieber, wenn ein Arzt von hier das macht. Nur dann trägt meine Versicherung die Kosten.“

„Natürlich kann das auch ein Kollege vom Walnut River General tun, aber wenn Sie das Beste für Janie wollen, sollte ein plastischer Chirurg die Operation übernehmen. Mein Bruder hat mir erlaubt, als Gast am Walnut River General zu praktizieren.“

„Bedeutet das, meine Versicherung zahlt Ihr Honorar?“

„Nein.“ Aber er war hier, und das Kind brauchte seine Hilfe. Und zwar sofort. „Aber ich bin der Spezialist und verlange kein Honorar.“

Sie erstarrte. „Aus Wohltätigkeit?“

„Sie sind zu stolz. Ich will ihr nur helfen.“

Nach einem Moment des Zögerns seufzte Courtney. „Danke.“

„Keine Ursache.“

Sie sah zerbrechlich aus. Verletzlich und verzweifelt. „Wann kann das Implantat eingesetzt werden?“

„Sobald die Schwellung zurückgeht. In etwa drei oder vier Wochen, schätze ich.“

„Okay.“ Sie betrachtete ihre Tochter. „Dann bleibt mir Zeit, meine Krankenversicherung zu überprüfen.“

David wusste, dass es in Walnut River keinen Arzt gab, der eine solche OP vornehmen konnte. „Ich kann Ihnen einen Kollegen empfehlen, der so nahe wie möglich bei Walnut River praktiziert.“

„Also müsste ich noch mehr aus meiner eigenen Tasche bezahlen“, sagte sie leise zu sich selbst, als dächte sie laut nach.

„Das kann sein.“ Ella hatte ihm erzählt, dass Courtney alleinerziehende Mutter war. Vermutlich geschieden. Er wünschte, er könnte den Gedanken vertreiben, dass sie ungebunden war, aber irgendwie gelang es ihm nicht. „Bestimmt wird Janies Vater einspringen …“

„Wohl kaum.“ Ihr Blick wurde bitter. „Ihr Vater war Soldat.“

„War?“

„Er ist im Irak umgekommen. Leider hat er nicht besonders gut für seine Familie vorgesorgt.“

„Das tut mir leid.“

Das und noch viel mehr. Er war ein Idiot. Ein Idiot, der sich von großen braunen Augen und zwei Grübchen verzaubern ließ. Courtney Albright brauchte seine Hilfe.

Sich mit einer verzweifelten Frau einzulassen war gefährlich, das wusste er. Beim letzten Mal hatte es ihn fast ruiniert.

2. KAPITEL

Courtney hielt die Hand ihrer Tochter, während David die Latexhandschuhe überstreifte und seine Instrumente inspizierte. Er hatte sich umgezogen und sah in der OP-Kleidung genauso gut aus wie in Jeans und Lederjacke.

Im nächsten Moment rief sie sich zur Ordnung. Warum fiel ihr das nur auf?

„Okay, können wir anfangen, Hübsche?“, fragte er seine kleine Patientin.

„Tut es weh?“ Janies Mund zitterte.

„Nicht sehr.“

„Versprochen?“

„Ja.“

„Und was passiert noch?“

David sah ihr in die Augen. „Ich werde dir genau erklären, was ich mache.“

„Kein Fachchinesisch, für das man einen Übersetzer braucht?“, fragte Courtney.

„Ehrlichkeit ist immer am besten.“ Er sah in ihr skeptisches Gesicht. „Vor allem bei Kindern. Sie spüren ganz genau, wenn man ihnen etwas vormacht. Ich möchte, dass sie ruhig bleibt. Wenn sie auf das hier nicht vorbereitet ist, wird sie sich aufregen. Aus Aufregung wird Anspannung und Stress. Nichts davon ist hilfreich.“

„Ich verstehe.“

David nickte zufrieden und konzentrierte sich wieder auf das Kind. „Du wirst gleich ein leichtes Ziehen fühlen, mehr nicht. Davor brauchst du keine Angst zu haben. Ich möchte, dass du ganz still liegst. Stiller als jedes andere sechsjährige Mädchen. Meinst du, das kannst du?“ Janie nickte ernst, und er lächelte. „Gut. Auf geht’s.“

Courtney streichelte Janies Hand, während David die Verletzungen mit einem Wattebausch abtupfte.

„Ich finde, ein kleines Mädchen, das so still liegt, verdient eine Belohnung“, begann Courtney, um Janie abzulenken.

„Was für eine?“

„Es muss schon eine ganz besondere sein, findest du nicht auch?“

„Wie wäre es mit Eiscreme?“, warf David ein.

„Ich mag Vanille“, sagte Janie. „Milchshakes sind am besten. Aber Spielzeug wär auch gut.“

„Was für ein Spielzeug?“, fragte Courtney.

„Hmm, eine Puppe vielleicht? Oder …“

„Also, Janie, jetzt darfst du dich nicht bewegen. Danach reden wir über die Puppe.“

Janie zuckte leicht zusammen, als er das Betäubungsmittel injizierte.

„Das war’s schon“, verkündete er kurz darauf. „Jetzt warten wir darauf, dass die Medizin wirkt. Dann können wir die Wunde vernähen.“

„Krieg ich jetzt die Belohnung?“, wollte Janie wissen.

„Du hast dir auf jeden Fall eine verdient“, lobte David.

„Nimmst du zum Nähen eine große Nadel? So eine wie die, mit der Mommy meine Jeans geflickt hat?“

„Ich weiß nicht, wie groß die war, aber für dich nehmen wir eine möglichst kleine.“

„Weil ich auch klein bin?“

Courtney schluckte. Sie ist zu klein für das hier, dachte sie. Eigentlich sollte sie als gute Mutter Janie beruhigen, das wusste sie, brachte jedoch kein Wort heraus.

David schien es zu spüren. „Janie, selbst wenn du so groß wie Shrek wärst, würde ich winzige Instrumente benutzen.“

„Warum?“

„Weil die Narbe dann fast unsichtbar wird.“

„Also können die Instrumente zaubern?“

„In den richtigen Händen.“

Courtney warf einen Blick auf seine langen, schmalen Finger. „Können Ihre Hände zaubern?“

„Ja.“ Er lächelte.

Er klang nicht arrogant, nur sachlich. In dem Blick, mit dem er sie ansah, lag nichts Sinnliches oder gar Anzügliches. Trotzdem fühlte sie ihn wie eine Berührung. Sie spürte ein Kribbeln. Wie machte er das? Sie fand den Mann ja nicht mal besonders sympathisch. Offenbar konnten nicht nur seine Hände zaubern!

„Sie sagten ‚fast‘ unsichtbar. Das heißt, die Narbe bleibt ein bisschen sichtbar?“, erkundigte sie sich.

„Stimmt.“ Er lächelte Janie zu. „Aber die am Kinn liegt genau am Unterkiefer.“ Er zeigte auf die Stelle. „Sie wird also kaum auffallen. Und Janies Ohr hat Falten. Das heißt, dass sich darin die Nähte gut verstecken lassen. Man kann das, was einem die Natur bietet, zur Tarnung nutzen.“

Courtney fragte sich, ob ihm wirklich nur Äußerlichkeiten wichtig waren. Immerhin war er zur Beerdigung seiner Mutter nach Hause gekommen. Und zu der seines Vaters. Aber in der Zeit dazwischen hatte er sich kein einziges Mal nach Walnut River verirrt. Ganz offenbar besaß er nur wenig Ähnlichkeit mit dem verstorbenen Dr. James Wilder. Der hatte sich mehr für das interessiert, was in seinen Mitmenschen vorging.

„Okay, Janie, ich fange jetzt an. Kannst du wieder stillhalten?“

„Sie brauchen keine Schwester?“, warf Courtney ein.

„Die sind alle beschäftigt, und ich bin es gewohnt, allein zu arbeiten.“

„Darf ich die Augen zumachen?“, fragte Janie ängstlich.

„Wenn du möchtest.“

Das hätte Courtney am liebsten auch getan. Allerdings stellte sie fest, dass sie von ihrem Stuhl aus ohnehin gar nicht viel sehen konnte. Sie bekam nur mit, wie langsam, aber geschickt sich Davids schmale Hände bewegten. Der Faden war so fein, dass er kaum zu erkennen war, und der Arzt hielt ihn mit einer Pinzette. Nach einer Weile schlief Janie ein, erschöpft von der Anspannung und müde vom Schmerzmittel.

David mochte seinem Vater nicht sehr ähnlich sein, aber ihrer Tochter gegenüber verhielt er sich sehr einfühlsam. Das hatte sie nicht erwartet. „Wo haben Sie gelernt, so auf Kinder einzugehen?“

Ihre Blicke trafen sich kurz. „Ich war selbst mal eins.“

Sie auch. Vor etwa einer Million Jahren. Eigentlich erinnerte sie sich kaum daran. Sie hatte immer erwachsen sein und sich um ihren Vater kümmern müssen, wenn er zu betrunken gewesen war, um es selbst zu tun.

Falls David während des Medizinstudiums einen Kurs über den richtigen Umgang mit Kindern gemacht hatte, musste er ihn als Bester bestanden haben. Der Mann nähte Janies Kinn, und sie vertraute ihm so sehr, dass sie dabei einschlief. Das alles passte überhaupt nicht zu dem wenigen, was Courtney über ihn wusste.

„Aber jetzt nicht mehr“, sagte sie. Das war die Untertreibung des Jahrhunderts. Wenn das stimmte, was über ihn in der Klatschpresse stand, dann war er ein Frauenheld ersten Ranges. Models und Schauspielerinnen schienen sich ihm nur so an den Hals zu werfen. „Und Sie haben überhaupt nicht von oben herab mit ihr gesprochen.“

„Kinder merken so was. Und sie mögen es nicht.“

Wieder lachte sie. „Das stimmt.“

Wer hätte gedacht, dass jemand sie unter diesen Umständen zum Lachen bringen konnte? Vielleicht verfügte er wirklich über Zauberkräfte. Die Vorstellung machte sie nervös, und wenn sie nervös wurde, war es höchste Zeit, wieder auf Distanz zu gehen.

„Warum waren Sie bereit, sich Janie anzusehen?“

Er warf ihr einen Blick zu. „Weil meine Schwester mich angerufen hat.“

„Aber Sie helfen nicht Ihrer Schwester, sondern uns. Obwohl wir für Sie Fremde sind.“ Und soweit sie wusste, stand seine Familie ihm auch nicht viel näher. Trotzdem stand er hier im OP, weil Ella ihn verständigt hatte. Das war nett von ihm. Aber Männer, die etwas Nettes taten, versprachen sich meistens etwas davon. Und das beunruhigte sie.

„Sagen wir, es ist das Geringste, was ich für die Witwe und die Tochter eines Kriegshelden tun kann“, erwiderte David.

Courtney zögerte. Das dachten alle. Gegen ihren Willen stiegen Zorn und Enttäuschung in ihr auf, und nach einem Tag wie diesem besaß sie nicht mehr die Kraft, diese Gefühle zu verbergen.

„Joe ist nicht zur Armee gegangen, um für Wahrheit, Gerechtigkeit und Demokratie zu kämpfen. So edel war mein Mann nicht.“

David hielt inne und sah sie an. „Er hat sein Leben für sein Land gegeben. Das kommt mir ziemlich edel vor.“

Joe war nur deshalb in den Krieg gezogen, um von seiner Frau und dem gemeinsamen Baby wegzukommen. Er hatte Freiheit gewollt, aber nicht für sein Land. Er wollte fort von den Pflichten und Zwängen des Familienlebens, um sich mit anderen Frauen amüsieren zu können.

Sie war so müde. Sie war es leid, sich über etwas aufzuregen, das sie nicht mehr ändern könnte. Erst pochte es in ihrem Kopf, dann im Handgelenk. Und das war die einzige Ausrede, die sie hatte. Wie hätte sie sonst auf die Idee verfallen können, mit diesem wildfremden Arzt über ihre gescheiterte Ehe zu reden?

Sie begegnete seinem fragenden Blick. „Ist es zu spät, das zurückzunehmen?“

„Ich glaube, ja.“

Courtney seufzte. „Es ist nicht meine Art, über derartig persönliche Dinge zu sprechen. Schon gar nicht mit jemandem, den ich nicht kenne. Vermutlich ist die Gehirnerschütterung daran schuld. Können wir so tun, als hätte ich nichts gesagt?“

„Einverstanden.“

Einfach so? Vermutlich wollte er ihre tragische Geschichte ebenso wenig hören, wie sie sie erzählen wollte. Sobald er seine gute Tat vollbracht hatte, würde er von hier verschwinden. Und das war besser so. Der Mann löste etwas in ihr aus. Das überraschte sie. Courtney mochte keine Überraschungen.

Denn die waren ihrer Erfahrung nach niemals angenehm.

Autor

Teresa Southwick
Teresa Southwick hat mehr als 40 Liebesromane geschrieben. Wie beliebt ihre Bücher sind, lässt sich an der Liste ihrer Auszeichnungen ablesen. So war sie z.B. zwei Mal für den Romantic Times Reviewer’s Choice Award nominiert, bevor sie ihn 2006 mit ihrem Titel „In Good Company“ gewann. 2003 war die Autorin...
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