Herzen in Brand! - Wenn Feuerwehrmänner heiße Glut entfachen

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WENN DU MICH SO ANSIEHST von LAURA MARIE ALTOM
Wer könnte diesem Blick aus goldbraunen Augen widerstehen? Wider jede Vernunft sagt die Lehrerin Annie Ja, als ihr attraktiver Nachbar Jed Hale sie um Hilfe bittet. Der Feuerwehrmann kann sich doch unmöglich allein um die Drillinge seiner verschwundenen Schwester kümmern. Annie weiß: Sie ist seine letzte Rettung! Schnell sind die weinenden Kinder beruhigt – und Annie umso beunruhigter. Denn sie fühlt sich immer stärker von Jed angezogen. Doch was geht in ihm vor? Interessiert er sich auch für sie als Frau – oder braucht er sie womöglich nur als Babysitter?

VERFÜHRT! von WENDY ETHERINGTON
Als Skyler versucht, ein Kätzchen zu retten, und auf einen Baum klettert, stürzt sie und fällt direkt in die starken Arme des Feuerwehrmannes Jackson Tesson. Es ist Liebe auf den ersten Blick, und Jackson hat nur noch eins im Sinn: diesen hinreißenden blonden Engel, der vom Himmel gefallen ist, zu verführen!

VORSICHT, VIEL ZU HEISS! von Jill SHALVIS
Lichterloh brennt es zwischen Brooke und dem Feuerwehrmann Zach Thomas. Aber Brooke hat sich geschworen, ungebunden zu bleiben. Ein Vorsatz, den sie nicht aufgeben will. Nicht einmal für den Experten der Brandbekämpfung, der in ihr dieses heiße Feuer entfacht?

NOCH IMMER BRENNT DAS FEUER von HEATHERLY BELL
Feuerwehrmann Hud Decker ist es leid, die Tränen seiner besten Freundin Joanne zu trocknen, weil sie ein anderer wieder mal unglücklich gemacht hat. Stattdessen will er sie selbst! Spürt sie nicht, wie heiß das Feuer ihrer Highschool-Liebe immer noch brennt.

NIEMALS MEHR DIE LIEBE ERLEBEN? von JENNIFER TAYLOR
Als der Feuerwehrmann Ross Tanner mit einer Rauchvergiftung in die Notaufnahme eingeliefert wird, funkt es sofort zwischen ihm und der diensthabenden Ärztin Heather Cooper. Doch sie lässt ihn abblitzen. Nachdem ihr Verlobter bei einem Brand ums Leben gekommen ist, hatte sie geschworen, sich nie wieder zu verlieben ...


  • Erscheinungstag 24.08.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527309
  • Seitenanzahl 603
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Laura Marie Altom

Wenn du mich so ansiehst …

IMPRESSUM

BIANCA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

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Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
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Geschäftsführung: Thomas Beckmann
Redaktionsleitung: Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)
Cheflektorat: Ilse Bröhl
Produktion: Christel Borges, Bettina Schult
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)
Vertrieb: Axel Springer Vertriebsservice GmbH, Süderstraße 77,
20097 Hamburg, Telefon 040/347-29277

© 2005 by Laura Marie Altom
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA
Band 1829 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Rita Hummel

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 04 / 2012 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 978-3-86494-064-4

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
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1. KAPITEL

Wuäh! Wuäh! Wuähäääh!

Gerade hatte Annie Harnesberry es sich auf der Terrasse ihres neu erworbenen Reihenhauses gemütlich gemacht. Sie saß in ihrem Lieblingskorbstuhl und blätterte in der neuesten Zeitschrift für Wohnideen.

Wuäääääh!

Stirnrunzelnd blickte Annie von ihrer Lektüre auf. Zwar war sie nicht selbst Mutter, doch als Vorschullehrerin konnte man ihr eine gewisse Kompetenz, was Kindererziehung betraf, nicht absprechen. Seit sieben Jahren übte sie ihren Beruf bereits aus. Und die letzten zwei Jahre, die sie mit Conner, einem Witwer und Vater von fünf Kindern, zusammen gewesen war, hatten ihr noch so einiges an zusätzlicher Erfahrung eingebracht. Nicht nur, was Kinder anbelangt.

Wenn man bedachte, wie sehr dieser Mann sie verletzt hatte, dann konnte sie wirklich von Glück sagen, dass sie ihn los war. Der Abschied von den Kindern war ihr allerdings schwergefallen.

Die kleine Sarah war gerade mal neun Monate alt gewesen, als Conner sie und seine Zweitjüngste, die dreijährige Clara, zum ersten Mal in den Kindergarten brachte, in dem Annie damals arbeitete.

Sämtliche Betreuerinnen waren sofort hingerissen gewesen von den süßen kleinen Mädchen mit den blonden Lockenköpfen und den großen blauen Augen.

Und den Vater fanden alle mindestens ebenso beeindruckend. Auch Annie ließ sich von seinem Charme blenden und verliebte sich Hals über Kopf in ihn. Eine Zeit lang war sie tatsächlich überzeugt gewesen, dass er sie ebenfalls liebte und sie nicht nur als kostenloses Kindermädchen betrachtete.

Nachdem sie zwei Jahre mit ihm zusammengelebt und für ihn und die Kinder gesorgt hatte, kam das böse Erwachen. Am Valentinstag holte er ein Ringetui aus der Jackentasche, und Annie hielt schon den Atem an, weil sie dachte, er würde ihr gleich den Verlobungsring anstecken.

Doch stattdessen zeigte er ihr bloß den Ring, den er einer gewissen Jade schenken wollte, die seine Frau werden sollte, und fragte Annie im selben Atemzug, ob sie nicht in Zukunft als Kindermädchen bei ihnen arbeiten wolle.

Denn Jade mache sich leider so gar nichts aus Kindergeschrei und Fußgetrappel, und daher müsse er ganz schnell ein Kindermädchen finden. „Wir alle zusammen unter einem Dach, als glückliche Großfamilie. Das wäre doch toll, findest du nicht auch?“

Wuäh! Wuääääääh!

Wer ließ denn sein Kind so jämmerlich schreien? Hatten die Leute aus dem Reihenhaus gegenüber denn gar keine Ahnung, wie man mit Babys umging? Man musste doch etwas tun, um das Kind zu beruhigen. War es womöglich krank?

Annie zupfte ein verwelktes Blatt von dem Fleißigen Lieschen ab, das ihren Gartentisch zierte, dann widmete sie sich wieder dem Artikel über innovative Wandanstriche. Sie würde diese neue Technik gern in ihrem Gäste-WC in der Nische unter der Treppe ausprobieren.

Vielleicht in Weinrot?

Oder in Gold?

Irgendetwas Luxuriöses, Dekadentes musste her. Viel zu lange hatte sie zwischen langweilig gestrichenen Wänden gewohnt.

Als Kind hatte sie das Haus ihrer Großeltern geliebt, das vom Keller bis zum Dachboden in lebhaften bunten Farben gestrichen war. Im Alter von sechs Jahren war sie in das schöne alte Haus gezogen, damals wurde sie schulpflichtig. Zuvor war sie mit ihren Eltern, die als Ingenieure arbeiteten, in der Welt herumgereist. An keinem Ort waren sie länger als ein halbes Jahr geblieben.

Ihre kurze, katastrophale Ehe mit Troy hatte sie in einem Haus verbracht, das innen in einem schmutzigen Beige gestrichen gewesen war. Sie war gar nicht mehr dazu gekommen, die Wände neu zu streichen, denn bald schon hatte sie dieses Scheusal von Ehemann verlassen.

Danach war sie in ein kleines Apartment gezogen, dessen Farbgestaltung ebenso trist gewesen war wie die ihres vorherigen Domizils. Damals war sie total am Boden zerstört gewesen und hatte nicht die Energie gehabt, alles neu zu gestalten.

Ihr neues Zuhause wollte sie nun farblich ganz nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten. So gern sie ihre Arbeitswoche zwischen grellbunten, mit Kinderzeichnungen behängten Wänden verbrachte, in ihrer Freizeit bevorzugte sie eine etwas stilvollere Umgebung.

Wuäh! Wuäh! Wuäh!

Wuäh häää!

Wuääääääääh!

Annie klappte ihre Zeitschrift zu. Irgendwie hörte sich das Babygeschrei komisch an. Waren es vielleicht mehrere Kinder?

Zwei auf jeden Fall, entschied sie nach genauerem Hinhören, vielleicht sogar drei.

Als sie vor ein paar Wochen hier eingezogen war, war weit und breit kein Baby zu sehen oder zu hören gewesen. Zum Teil war das der Grund, weshalb sie sich überhaupt für diese Gegend entschieden hatte.

Unten am Fluss hätte sie eine viel bessere Aussicht gehabt. Auf die Stadt und die Uferpromenade mit den Pecannussbäumen, denen das Städtchen Pecan in Oklahoma seinen Namen zu verdanken hatte. Allerdings war dieses Apartmenthaus auf Familien mit Kindern ausgerichtet. Nachdem sie gerade tränenreich von Sarah, Clara und ihren drei älteren Geschwistern Abschied genommen hatte, konnte sie keine glücklichen Familien um sich herum ertragen.

Conners Kinder waren von Jades plötzlichem Erscheinen genauso verwirrt gewesen wie Annie. Es hatte ihnen gar nicht gefallen, eine Stiefmutter und ein neues Kindermädchen vorgesetzt zu bekommen, denn sie hatten sehr an Annie gehangen.

Um Conner und seiner Familie nicht ständig zu begegnen, war sie aus ihrer Heimatstadt Bartlesville nach Pecan gezogen. Hier kannte sie niemanden, und es gab keine vertrauten Orte, die quälende Erinnerungen hochkommen ließen. Keine Erinnerungen an Einkäufe mit den Kindern im Einkaufszentrum von Bartlesville oder an Hamburger-Restaurants, wo sie oft in fröhlicher Runde ihr Essen verspeisten. Kein klopfendes Herz mehr, wenn sie in der Hauptstraße von Bartlesville ein Auto sah, das Conners silbernem BMW ähnelte.

Diese kleine, charmante Stadt, in die Conner nie einen Fuß setzen würde, war genau richtig für einen Neuanfang.

Wuäh! Wuäh häää! Wuääääh!

Keine verantwortungsvolle Person würde ein Baby derart lange schreien lassen. Ob den Eltern etwas passiert war? Am Ende war das Kind – oder die Kinder – allein.

Nachdenklich knabberte Annie an ihrem kleinen Finger, dann stand sie auf und spähte über die Hecke, die ihre Terrasse umgab, zu dem Haus gegenüber.

Der kühle Wind blies ihr durchs blond gelockte Haar. Er brachte den heimeligen Duft nach frisch gebackenem Brot aus der nahegelegenen Großbäckerei mit sich.

Normalerweise hätte sie in der heißen Jahreszeit drinnen im kühlen Wohnzimmer gesessen. Aber nach dem Regen der vergangenen Nacht hatte die Hitze nachgelassen, und es lag fast schon ein Hauch von Herbst in der Luft.

Wuäääääh!

Kurz entschlossen zog Annie ihre Schuhe an, schloss die Terrassentür ab und überquerte die kleine Rasenfläche, die ihr Grundstück umgab. Nach dem langen, trockenen Sommer sah der Rasen etwas verdorrt aus. Auch das Vogelbad, das der Vorbesitzer stehen gelassen hatte, war ausgetrocknet. Das nächste Mal, wenn sie Blumen goss, musste sie es unbedingt auffüllen.

Wuäääh!

Über die Grünfläche zwischen den Reihenhäusern lief sie zu dem Haus, aus dem das Babygeschrei zu hören war. Ihr fiel ein, dass Veronica, die in der Wohnanlage ein Klubhaus betrieb, ihr erzählt hatte, dort wohne ein alleinstehender Feuerwehrmann. Merkwürdig, hatte der etwa Kinder?

Beim Anblick der vertrockneten Azaleenbüsche neben der Eingangstür hoffte Annie, dass der Mann brennende Häuser besser wässerte als seine durstigen Pflanzen.

Wuäh häää! Wuääääh!

Unschlüssig blickte sie auf die verschlossene Haustür. Was auch immer da drin vor sich ging, war eigentlich nicht ihre Angelegenheit.

Ihre Freundinnen meinten, sie kümmere sich viel zu sehr um andere Leute, statt sich mit ihren eigenen Problemen zu beschäftigen. Aber abgesehen von ihrem Liebeskummer, was hatte sie schon für Probleme?

Klar, sie fühlte sich ein wenig einsam, seit sie eine Autostunde von ihrer Großmutter entfernt wohnte. Und ihre Eltern erreichte sie telefonisch nicht, weil die sich gerade in einer abgelegenen chinesischen Provinz aufhielten. Doch davon abgesehen ging es ihr ziemlich gut, und bald …

Wuäääääääääh!

Egal, was ihre Freundinnen meinten, genug war genug. Sie konnte doch nicht untätig danebenstehen, wenn ein Baby hilflos schrie – möglicherweise sogar mehrere.

Zunächst klopfte sie bloß zaghaft an. Wie eine besorgte Nachbarin eben.

Als niemand reagierte, wurde ihr Klopfen lauter, und schließlich hämmerte sie ein paar Mal kräftig gegen die Tür. Ohne Erfolg.

Gerade wollte sie um das Haus herumgehen, als die Tür aufflog. „Patti? Wo zum … oh, tut mir leid. Ich dachte, es sei meine Schwester.“

Annie starrte ihr Gegenüber mit offenem Mund an.

Vor ihr stand der bestaussehende Mann, den sie je gesehen hatte – mit sage und schreibe drei Babys im Arm. Alle drei plärrten mit hochroten Gesichtern. Drillinge?

Ganz automatisch griff sie nach dem Baby, das am jämmerlichsten schrie, und drückte das zitternde Wesen an ihre Brust. Dem rosafarbenen Strampelanzug nach zu urteilen, handelte es sich um ein Mädchen.

„Hallo du“, sagte sie leise und wiegte das Baby im Arm, während sie ihm gleichzeitig über den Kopf streichelte. Zu dem umwerfend aussehenden Mann sagte sie: „Ich bin Ihre neue Nachbarin, Annie Harnesberry. Ich wollte wirklich nicht aufdringlich sein, aber es hat sich angehört, als ob jemand Hilfe brauchte.“

Der Mann lächelte gequält, wobei er eine Reihe blendend weißer Zähne zeigte. „Da haben Sie ganz richtig vermutet. Meine Schwester hat mir heute Vormittag diese drei Kerlchen gebracht und wollte sie nach zwei Stunden wieder abholen, aber …“

Das kleine Mädchen hatte sich inzwischen beruhigt, und Annie schob sich an ihrem Nachbarn vorbei, um es vorsichtig in eine der Babywippen zu legen, die im Flur standen. Dann nahm sie sich das nächste der plärrenden Babys vor.

„Reden Sie ruhig weiter, ich wollte Sie nicht unterbrechen. Aber ich kann nun mal rein von Berufs wegen keine Kinder schreien hören.“

„Ich leide auch am Helfersyndrom“, sagte er und verzog gequält das Gesicht, als das verbliebene Baby in seinem Arm einen neuerlichen Schreianfall bekam. „Ich bin nämlich Feuerwehrmann. Jed Hale.“ Er streckte ihr seine freie Hand hin. „Und was machen Sie beruflich?“

„Mittlerweile bin ich Vorschullehrerin, aber davor war ich Erzieherin in einem Kindergarten.“

Sein jungenhaftes und doch männliches Lächeln wärmte Annie bis in die Fußspitzen.

Bald hatte sie auch das zweite Baby beruhigt und legte es in eine der Wippen. Dann nahm sie den dritten Schreihals auf den Arm, der nach ein paar beruhigenden Worten nur noch einen kurzen Schluchzer von sich gab und sofort einschlief.

„Wow“, sagte sein Onkel und blickte Annie ehrfürchtig an. „Wie machen Sie das bloß?“

Annie zuckte mit den Achseln und legte das Baby behutsam in die dritte Babywippe. „Übung. Außerdem war mein Hauptfach frühkindliche Entwicklung, und ich habe bestimmt mein halbes Studium im Uni-Kindergarten verbracht, um die Kinder zu beobachten. Das fand ich äußerst faszinierend.“

Jed lehnte sich gegen den Türrahmen. „Das hört sich sehr gebildet an. Ich wusste gar nicht, dass man als Vorschullehrerin ein Studium braucht – ich meine, nicht, dass Sie mich falsch verstehen, aber …“

„Ich verstehe, was Sie meinen. Sie haben recht, für meinen Beruf braucht man kein Studium. Ursprünglich wollte ich allerdings Kinderpsychologin werden, und das interessiert mich noch immer, aber …“ Sie brach verlegen ab. Warum sie das alles diesem wildfremden Mann erzählte, war ihr schleierhaft. „Tut mir leid, ich wollte Sie wirklich nicht belästigen. Jetzt, da Sie alles im Griff haben, gehe ich mal wieder.“ Sie ging rückwärts zur Tür und deutete mit einer linkischen Geste zu ihrem Haus hinüber.

Was für wundervolle Augen der Mann hat, dachte sie. Braun, mit goldenen Sprenkeln. Solche Sprenkel wollte sie an ihre Badezimmerwände malen. Sinnlich und warm und definitiv ganz ihr Geschmack …

Vielleicht wäre der Mann was für eine ihrer Kolleginnen … Sie selbst hatte ja im Augenblick keinen Bedarf.

„Bitte bleiben Sie doch“, sagte Jed und merkte selbst, wie flehend seine Stimme klang. Bisher hatte er immer steif und fest behauptet, er brauche niemanden. Doch diese Frau brauchte er unbedingt. Unglaublich, wie schnell sie seine Nichte und seine beiden Neffen beruhigt hatte. Ihm war klar, wenn seine Schwester nicht bald kam, um ihre Sprösslinge abzuholen, würde er ohne Annies Hilfe nicht zurechtkommen.

Mit einer Geste bat er sie ins Wohnzimmer. „Ich hatte sowieso bei Ihnen vorbeikommen wollen, um Hallo zu sagen. Aber ein paar von meinen Kollegen sind krank oder in Urlaub, und ich muss Doppelschichten einlegen.“ Er blickte auf die Uhr. „In ein paar Stunden muss ich wieder los. Ich hoffe, meine Schwester ist bis dahin zurück.“

Er hörte sich selbst reden und reden und dachte, was ist bloß los mit mir? Sicher, er brauchte seine Nachbarin als Babysitterin, aber er merkte auch, dass sie ihn als Frau interessierte.

Sie war bezaubernd. Blonde Locken umkräuselten ihre Wangen und ihren Nacken, ihr eng anliegendes weißes T-Shirt erlaubte verlockende Blicke in ihren Ausschnitt und betonte ihre leicht gebräunte Haut. Und ihre Beine in den Jeansshorts waren einfach atemberaubend.

Wuäh! Wuäh! Wuhähäääh!

Natürlich liebte er Pattis kleine Schreihälse, aber es wäre gut, wenn sie möglichst bald lernten, dass sie nicht Onkel Jeds Chancen beim weiblichen Geschlecht vermasseln durften.

„Wahrscheinlich hat er Hunger“, stellte Annie fest und nahm den schreienden kleinen Jungen aus seiner Wippe. „Haben Sie irgendwo eine Milchflasche?“

Ihre Lippen waren eine Wucht. Wenn sie sprach, kräuselten sich ihre Mundwinkel so lustig. Zu gern hätte er mit ihr über etwas anderes als Babys geredet. Zum Beispiel, wo sie herkam und wo sie vielleicht noch irgendwann hinwollte. Was sie so im Leben machte.

„Jed? Alles okay?“ Annie lächelte ihn an. „Wenn Sie mir mal eben zeigen würden, wo ich die Fläschchen finde. Dann füttere ich den kleinen Kerl, und Sie können sich etwas ausruhen.“

„Nein, ich bin nicht müde.“ Er ging ihr voraus in die Küche, eine schmale, beigefarben gestrichene Zelle, die er nur ungern benutzte. Meistens aß er in der Feuerwehrstation oder auf dem Sofa vor dem Fernseher.

Er nahm eine Flasche aus dem Kühlschrank und drehte sich zu Annie um. „Soll ich sie in die Mikrowelle tun?“

Annie lächelte und küsste das Baby auf die Stirn. „Wir stellen sie besser in ein Wasserbad, sonst wird die Milch zu heiß.“

„Aha.“

Sie trat an die Spüle. „Haben Sie eine große Schüssel?“

Jed holte die einzige Schüssel, die er besaß, aus dem Schrank. Einen Behälter für Kartoffelchips mit dem Aufdruck einer Bierfirma, den er mal beim Billardspielen in der Bar eines Freundes gewonnen hatte. „Geht das?“

Etwas argwöhnisch beäugte Annie das Ding, dann sagte sie: „Ja, ich denke schon.“

Eine Stunde später hatte Annie die Babys gefüttert und gewickelt. Inzwischen kannte sie auch ihre Namen und ihr Alter. Sie waren fünf Monate alt. Das kleine Mädchen hieß Pia, ihre beiden Brüder Richard und Ronnie.

Da die beiden Jungs gleich angezogen waren, konnte man sie kaum auseinanderhalten, und deshalb trugen sie normalerweise Bändchen ums Handgelenk. Doch die waren Jed, wie er bedauernd erwähnte, am Morgen abhandengekommen.

„Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen genug danken kann“, sagte Jed, der neben Annie am Wickeltisch stand. „Patti kann was erleben, wenn sie kommt! Das wird so ähnlich wie damals, als ich sie in der Kirche beim Rauchen erwischt habe.“

„Ihre Schwester war wohl ein kleiner Wildfang“, bemerkte Annie, während sie den letzten Druckknopf an Pias Strampelanzug zuknipste.

Jed lachte. „Das ist noch stark untertrieben. Ich war heilfroh, als sie endlich Howie ihr Jawort gegeben hat und ich nicht mehr für sie verantwortlich war.“

„Mussten Sie sich denn viel um Ihre Schwester kümmern?“, fragte Annie und setzte sich mit Pia im Arm aufs Sofa.

„Ja“, sagte Jed und nahm im Sessel gegenüber Platz. „Unsere Eltern sind tödlich verunglückt, als ich gerade angefangen hatte zu studieren. Patti war damals dreizehn und hatte ihre rebellische Phase. Sie fing an zu rauchen und zu trinken und zog mit Jungs herum. Manchmal dachte ich, dass sie sich nur ablenkte, weil sie traurig war. Gelegentlich hatte ich auch den Eindruck, dass sie mich einfach ärgern wollte.“ Er zog eine Grimasse. „Tut mir leid, ich will Sie nicht mit meinem Kram belästigen.“

„Das macht doch nichts“, sagte Annie. Inzwischen war die kleine Pia auf ihrem Arm eingeschlafen. Ihre Brüder schliefen bereits tief und fest.

„Vor Kurzem war sie ziemlich deprimiert, weil ihr Mann seine Stelle hier in Pecan verloren hat“, fuhr Jed fort. „In seinem neuen Job muss er viel herumfahren und ist oft tagelang weg, sodass sie die Kinder alleine versorgen muss. Natürlich ist sie dann entsprechend erledigt.“

„Kein Wunder, mit Drillingen“, erwiderte Annie. Sie streichelte Pias weiches Haar. So süß die Babys waren, sie konnte gut verstehen, dass Jeds Schwester das alles manchmal über den Kopf wuchs.

„Deshalb habe ich ihr angeboten, ein paar Stunden auf die drei aufzupassen, damit sie sich ein bisschen ausruhen kann. Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie so lange wegbleiben würde. Jetzt ist das schon über sechs Stunden her.“ Er schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, weshalb sie sich nicht meldet. Ich erreiche sie nicht am Handy, und ihre Nachbarin, die ich angerufen habe, meinte, Patti sei gegen Mittag in meinem Jeep weggefahren.“

Erklärend fügte er hinzu: „Sie hat mir ihren Wagen dagelassen, weil in meinem kein Platz für drei Kindersitze ist.“

Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, bevor er weitererzählte. „Als sie jünger war, ist sie ein paarmal weggelaufen. Ich habe Angst, dass sie wieder abgehauen ist. Aber vielleicht ist ihr ja auch was passiert …“

Annie wurde es mulmig. „Haben Sie denn schon versucht, ihren Mann anzurufen? Oder vielleicht die Polizei?“

Er zuckte mit den Achseln, stand vom Sofa auf und begann, im Zimmer hin und her zu laufen. „Ja, sicher. Howie ist nicht zu erreichen. Und die Leute hier im Polizeirevier haben mir geraten abzuwarten, sie würde schon von selbst wiederkommen. Sie sind Freunde von mir und kennen die Vergangenheit meiner Schwester. Sie meinten, dass ihr vielleicht der Stress mit den Babys zu viel geworden ist und sie sich für eine Weile abgesetzt hat.“

„Und ihr Mann meldet sich gar nicht?“

„Nein, sein Handy springt immer auf den Anrufbeantworter, genau wie sein Telefon im Büro. Und anscheinend geht in dieser komischen Firma niemand anderer an den Apparat.“

„Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen.“

„Das haben Sie doch schon. Was hätte ich bloß ohne Sie gemacht.“ Er betrachtete das schlafende Trio. „Wenn die drei gleichzeitig zu schreien anfangen, kann man schon in Panik geraten. Irgendwie könnte ich es verstehen, wenn meine Schwester das nicht mehr ausgehalten hat.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Mutter so einfach ihre Kinder im Stich lässt.“

„Ich will ja nicht schlecht von ihr denken, aber was könnte es sonst für eine Erklärung geben? Ich meine, wenn ihr was passiert wäre, hätte sie oder jemand anderer mich doch längst benachrichtigt.“

„Vielleicht hat sie keine Möglichkeit, sich zu melden.“

„Ich bitte Sie, nennen Sie mir heutzutage auch nur einen Grund, weshalb jemand nicht anrufen kann.“

Annie hätte ihm gern ein Dutzend Gründe genannt, aber ihr fiel absolut keiner ein.

2. KAPITEL

Patricia Hale-Norwood starrte die Krankenschwester vor der Intensivstation fassungslos an. „Wieso lassen Sie mich denn nicht kurz telefonieren? Ich möchte doch nur meinem Bruder Bescheid geben, wo ich bin. Ich bin Hals über Kopf losgefahren, und er wollte ja mit meinen Drillingen spazieren gehen, und ich konnte ihn nicht …“

„Tut mir leid.“ Der Wachhund in Schwesternuniform bedachte Patti mit einem stahlharten Blick. „Das Telefon darf nur in absoluten Notfällen benutzt werden. Das ist strenge Vorschrift.“

„Aber das ist ein Notfall!“ Patricia ballte die Fäuste. Ihr Herz schlug mindestens doppelt so schnell wie das des Patienten auf Zimmer 110, den ein Monitor piepend verkündete. Seit dem verhängnisvollen Anruf kam sie sich vor wie in einem nicht enden wollenden Albtraum. Gerade hatte sie sich wohlig in ihr Schaumbad gleiten lassen, als das Krankenhaus anrief und ihr mitteilte, Howie sei schwer verunglückt, und sie wüssten nicht, ob er durchkäme.

Im Nachhinein war ihr schleierhaft, wie sie es in ihrem kopflosen Zustand überhaupt bis ins Krankenhaus geschafft hatte. Zu allem Überfluss hatte sie sich noch den Knöchel verstaucht, als sie in Windeseile die Treppe hinuntergesaust war, nachdem sie hastig ein paar Sachen eingepackt hatte. Dann war sie im Jeep ihres Bruders zum Flughafen gerast und hatte den nächsten Flug nach North Carolina gebucht. Bei der Ankunft hatte sie sich einen Leihwagen genommen und war ins Krankenhaus gerast, wo ihr Mann mehr tot als lebendig auf der Intensivstation lag.

Die Schwester seufzte. „Ich darf Ihnen das Telefon nicht geben, es sei denn, Sie brauchen eine Bluttransfusion oder wollen ein Organ spenden. Aber überall im Krankenhaus stehen Münzautomaten.“

„Jetzt reicht’s aber.“ Patricia schlug mit der Faust auf den Tresen. „Falls Sie es noch nicht wissen, in diesem tollen neuen Flügel, der gerade gebaut wird, hat ein Bagger es geschafft, sämtliche Telefonleitungen durchzutrennen. Es gibt auf dem ganzen Gelände kein einziges funktionierendes Telefon – außer diesem hier. Ich habe gehört, sie hätten eine Notleitung bis hierher gelegt.“

„Bitte schreien Sie nicht so, Mrs Norwood. Hier liegen schwerkranke Leute.“

„Ganz recht!“, erwiderte Patricia, um keinen Deut leiser. „Und zufällig ist einer davon mein Mann. Sein Leben hängt an einem seidenen Faden, und Sie tun so, als ob er für eine Schönheitsoperation hier wäre.“ Ihre Stimme wurde immer schriller. „Mein Akku ist leer, und das Ladegerät liegt tausend Meilen von hier zu Hause in meinem Flur. Und mein Knöchel ist mittlerweile auf Fußballgröße angeschwollen. Ich kann einfach nicht auf dem ganzen Gelände herumlaufen und ein Telefon suchen! Bitte lassen Sie mich telefonieren.“

Die Schwester lächelte Patricia honigsüß an. „Vielleicht leiht Ihnen ja einer der Besucher sein Handy. Damit können Sie dann mit dem Aufzug in den sechsten Stock in unseren Telefonierbereich fahren.“

Empört knallte Jed sein schnurloses Telefon auf den Küchentresen.

Was war denn mit diesen Typen im Polizeirevier los? Er hatte sie immer für seine Freunde gehalten. Und nun erzählte ihm dieser Ferris, dem er mehr als einmal einen Gefallen getan hatte, sie können nichts weiter unternehmen.

Was sollte er bloß anfangen, wenn die Drillinge wieder gleichzeitig aufwachten und anfingen zu schreien? Ohne die Hilfe seiner neuen Nachbarin wäre er vorhin völlig aufgeschmissen gewesen. Er hatte zwar schon etliche Medaillen für tapfere Einsätze als Feuerwehrmann bekommen, doch drei brüllenden Babys gegenüber fühlte er sich vollkommen hilflos.

Das Klingeln des Telefons unterbrach seine quälenden Überlegungen. „Patti?“, rief er atemlos in den Hörer.

„Ist sie immer noch nicht da?“, erkundigte sich Craig, sein Kollege aus der Feuerwehrstation.

„Nein.“

„Was willst du denn jetzt machen? Wir brauchen dich hier dringend. Neben dem Country Klub ist ein Feld in Brand geraten, und eben erst sind wir von einem Hausbrand in Hinton zurückgekommen.“

„Ist jemand verletzt worden?“

„Nein, ist nichts weiter passiert.“

Schon oft hatte Jed Menschen aus brennenden Häusern gerettet, aber manchmal war es auch zu spät gewesen. Was für dramatische Szenen er dabei immer wieder erlebt hatte. Die Angst- und Schmerzensschreie der Betroffenen gingen ihm jedes Mal durch Mark und Bein. Und er wusste aus eigener Erfahrung, wie traumatisch sich ein Brand auf alle Beteiligten auswirken konnte.

Er seufzte tief.

„Jed, dem Chef tut das mit deiner Schwester wirklich leid, aber du musst kommen. Soll ich Marcie anrufen und sie bitten, auf die Drillinge aufzupassen?“

Marcie war Craigs Frau. Sicher konnte sie sich hierher setzen und aufpassen, aber das war auch schon alles. Wie sollte denn jemand, der keine Kinder und nicht mal einen Hund hatte, mit drei schreienden Babys klarkommen?

Nur Annie konnte das …

„Jed? Kann ich dem Chef eine definitive Antwort geben, wann du kommst?“

„Ich komme, so schnell ich kann.“

„Okay, dann beeil dich.“

Jed hasste es, jemanden um Hilfe zu bitten. Nachdem seine Eltern gestorben waren, hatte er sich ganz allein um seine Schwester kümmern und außerdem noch Geld verdienen müssen. Denn die Summe, die sie von der Lebensversicherung bekommen hatten, war rasch aufgebraucht gewesen. Also hatte er sein Studium abgebrochen und zu arbeiten angefangen. Nach der Arbeit hatte er dann die Abendschule besucht.

Er hatte für seine Schwester Vater und Mutter zugleich ersetzt. Er hatte für sie gekocht und gewaschen, ihre Hausaufgaben überprüft und mit ihr für Klassenarbeiten gelernt. Er hatte eingegriffen, wenn er den Eindruck hatte, dass sie sich mit den falschen Freunden abgab, und sie von Partys abgeholt, wenn sie zu betrunken war, um allein nach Hause zu kommen.

Er hatte ihr Kleidung und alles, was sie brauchte, gekauft und war für Schuldgeld, Schulausflüge und Bücher aufgekommen. Und nie hatte er fremde Hilfe in Anspruch genommen.

Nachdem das Elternhaus von der Bank versteigert worden war, hatte er mit seiner Schwester ein Apartment über dem alten Stadttheater bezogen. Das Gebäude hätte längst abgerissen werden sollen. Theater wurde dort keins mehr gespielt, aber gelegentlich wurden Filme gezeigt, die er und Patti sich mit Begeisterung ansahen.

Es gab noch ein Blockhaus in Colorado, das seit Generationen seiner Familie gehörte. Ein paarmal war er nahe daran gewesen, es zu verkaufen. Doch für ihn hingen so viele schöne Erinnerungen an diesem Haus, dass er es sich jedes Mal anders überlegte und stattdessen lieber noch einen zusätzlichen Job annahm, um sich und Patti über die Runden zu bringen.

Es fiel ihm schwer, andere um Hilfe zu bitten. Doch in der aktuellen Situation sah er schlichtweg keine andere Möglichkeit.

Drei Babys versorgen und gleichzeitig seine Schwester suchen, das war einfach zu viel.

Seufzend legte er den Kopf in die aufgestützten Hände und überlegte.

Zehn Minuten später klopfte er an Annie Harnesberrys Tür.

„Hi, Jed.“ Annie fuhr sich mit den Fingern durch ihr zerzaustes Haar. Sie war gerade dabei, den hässlichen Wandverputz in ihrem Gäste-WC abzuschleifen. Um sich die Arbeit zu versüßen, hatte sie an ihren neuen Nachbarn gedacht. Zum Beispiel daran, ob er wohl genauso gern Scrabble spielte wie sie.

„Sieht aus, als seien Sie ziemlich beschäftigt.“ Jed fingerte ein Stück Verputz aus ihrem Haar.

Annie fand die Berührung verwirrend und angenehm zugleich. „Ja, ich renoviere für mein Leben gern, und da gibt es in diesem Haus so einiges zu tun.“

„Toll, und wenn Sie fertig sind, machen Sie bei mir weiter. Wir können das ja mal bei einer Pizza besprechen.“

„Vielleicht.“ Obwohl Jeds Bemerkung scherzhaft gemeint gewesen war, sah Annie das warme Leuchten in seinen Augen und fragte sich, ob er sie vielleicht näher kennenlernen wollte. War er etwa hergekommen, um sie einzuladen?

Sie schüttelte innerlich über sich selbst den Kopf. Da hatte sie nun diesen aufwendigen Umzug hinter sich gebracht, um von einem Mann loszukommen, und kaum stand der nächste vor der Tür, fing sie schon wieder an zu träumen. Und hatte insgeheim schon Ja gesagt. Doch wer könnte ihr das verdenken, wo der Mann aussah wie ein Filmstar.

Nicht, dass das Aussehen in ihren Plänen eine Rolle spielte. Mit ihrem Exmann Troy, der umwerfend aussah, hatte sie extrem schlechte Erfahrungen gemacht.

„Spielen Sie gern Scrabble?“, hörte sie sich fragen. Troy und Conner hatten beide dieses Spiel verabscheut.

„Leidenschaftlich gern“, erwiderte Jed. „Wenn mein Leben wieder etwas ruhiger verläuft, müssen wir unbedingt zusammen spielen. Aber ich warne Sie, ich bin ziemlich gut.“ Er zwinkerte ihr zu.

Prompt verließ sie der Mut. Nein! Und wenn ihr Nachbar noch so gut aussah, sie konnte unmöglich an ihm interessiert sein. Irgendwann, in ferner Zukunft, würde sie sich vielleicht wieder für Männer interessieren. Aber doch nicht jetzt! Sie war eindeutig noch nicht bereit für eine neue Beziehung.

„Also ich …“ Verlegen scharrte er mit den Füßen.

Annie bemerkte die offene Tür gegenüber und dahinter einen blaue Babywippe. „Ist Ihre Schwester immer noch nicht zurück?“

„Nein. Allmählich bin ich mit den Nerven am Ende.“

„Das kann ich Ihnen gut nachfühlen.“ Er sah so hilflos aus, dass sie ihn am liebsten in den Arm genommen hätte. Bei der Arbeit tat sie das öfters mit Eltern oder ihren Kolleginnen, aber ein Mann wie er würde das sicher falsch verstehen.

„Die Sache ist die …“ Sein betörend jungenhaftes Lächeln ließ ihr Herz schneller schlagen. „Ich muss sofort zur Arbeit fahren. Bei uns in der Station ist die Hölle los. Also, ich wollte Sie fragen, ob Sie eventuell bis morgen früh auf die drei Babys aufpassen könnten. Bis dahin dauert meine Schicht. Nur für den Fall, dass Patti nicht vorher auftaucht.“

„Sie brauchen also einen Babysitter.“ Der hübsche Jed Hale war nicht hergekommen, um sie einzuladen. Statt darüber erleichtert zu sein, war sie tief enttäuscht. Warum waren die Männer denn nie an ihr als Frau interessiert?

„Ja, genau. Natürlich gegen Bezahlung. Was verlangen Sie denn pro Stunde?“

Annies Ego bekam einen erneuten Knacks. Jetzt brachte dieser Kerl auch noch Geld ins Spiel. Warum bot er ihr nicht stattdessen an, sie in ein nettes Lokal einzuladen, sobald er die Kinder wieder los war?

„Was meinen Sie dazu, Annie? Haben Sie Zeit, auf die Babys aufzupassen?“

Am liebsten hätte sie „Nein!“ geschrien. Tagsüber war sie mit Kindern zusammen, abends tat sie lieber andere Dinge, wie Wein trinken und Scrabble spielen.

Und wenn sie ehrlich war, träumte sie manchmal auch davon, wie es wohl wäre, mit einem Mann zusammen zu sein, der sie um ihrer selbst willen liebte und sie nicht nur ausnutzte.

Doch was hatte eine Frau schon für Chancen, die immer wieder auf die falschen Männer hereinfiel?

„Ich weiß, das ist ein ziemlicher Überfall, aber Sie sind meine einzige Rettung.“

Wer könnte diesem Blick aus goldbraunen Augen widerstehen?

„Okay.“ Annie verachtete sich dafür, dass sie so ohne Weiteres auf diesen treuherzigen Blick hereinfiel. Auf keinen Fall durfte sie vergessen, dass sie es nicht für Jed tat, sondern für die drei Babys. „Soll ich sofort mitkommen?“

Wow. Zum Glück saß Annie bequem auf Jeds schwarzem Ledersofa, sonst wäre sie womöglich ohnmächtig zu Boden gesunken.

In seiner marineblauen Feuerwehruniform kam Jed die Treppe herunter, das Haar noch feucht vom Duschen. Er war glatt rasiert und duftete leicht nach Zitrus-Aftershave. Ein Mann, dem man bedingungslos vertrauen konnte. Der hilflose alte Leute und Babys aus dem Feuer rettete. Annie war sehr beeindruckt von seiner Erscheinung und instinktiv davon überzeugt, dass dieser Mann sie nie verletzen würde.

„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin“, sagte er lächelnd.

„Das ist schon in Ordnung.“

„Sie kennen mich kaum und opfern trotzdem Ihre kostbare Zeit. Das würde nicht jeder tun.“

Während er das sagte, bemerkte Annie einen traurigen Glanz in seinen Augen. War es die Angst um seine Schwester? Oder steckte noch mehr dahinter?

Ehe sie weiter über diese Frage nachdenken konnte, kam er auf sie zu und umarmte sie spontan zum Abschied. Einen berauschenden Moment lang fühlte sie sich wohlig eingehüllt von seinen starken Armen und seinem männlichen Duft. Doch es dauerte nur eine Sekunde, dann war er schon an der Tür und winkte ihr beim Hinausgehen noch kurz zu.

Mitten in der Nacht wurde Annie vom Klingeln des Telefons geweckt.

Sie brauchte ein paar Sekunden, bis sie wusste, wo sie war. Ein paar weitere Sekunden verbrachte sie damit, das Telefon zu suchen. Im Flur ging der Anrufbeantworter an. „Hallo Jed“, rief eine weibliche Stimme. „Wo bist du um Himmels willen? Es ist nach Mitternacht. Ist mit meinen Babys alles okay?“

Patti.

Nun wusste sie zwar, wo das Telefon war, aber wo befand sich der Hörer? „Du glaubst ja nicht, wie schwierig es war, ein Telefon zu finden“, fuhr die Stimme fort. „Mir geht es gut, aber …“

Als Annie den Hörer endlich in der Küche gefunden hatte und abheben wollte, wurde das Gespräch unterbrochen.

Sie hoffte, eine Nummer auf dem Display zu finden, aber offenbar war keine mitgeschickt worden.

Annie ließ sich aufs Sofa sinken. Jeds Schwester hatte ziemlich alarmiert geklungen. Nach einer lustigen Vergnügungstour ohne Kinder hörte sich das nicht an. Eher schien sie schrecklich besorgt zu sein. Kaum vorstellbar, dass sie ihre Kinder einfach so im Stich ließ.

Wuäh! Wuäh!

Keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Jetzt war Annie wieder als Ersatzmama gefragt.

Wuääääääh!

Sie nahm die kleine Pia aus ihrer Tragetasche und befühlte ihre Windel, als von Neuem das Telefon klingelte.

Diesmal war sie schneller am Hörer. „Hallo?“, meldete sie sich.

„Hi, Annie, ein Glück, dass Sie das Telefon gefunden haben.“ Sofort spürte sie wieder dieses Kribbeln im Bauch. Unglaublich, wie sexy eine Stimme klingen konnte.

„Wieso, hatten Sie es versteckt?“

„Nein, ich hatte nur vergessen, es wieder in die Ladestation zu legen. Ist alles okay?“

„Ja. Pia ist gerade wach geworden, aber die Jungs schlafen. Übrigens hat Ihre Schwester angerufen.“

„Was hat sie denn gesagt?“

„Während ich das Telefon gesucht habe, ging der Anrufbeantworter an, und als ich es endlich gefunden hatte, wurde das Gespräch unterbrochen.“

Ein tiefer Seufzer kam aus der Leitung.

„Soll ich Ihnen die Nachricht vorspielen?“

„Ja, bitte.“

Annie drückte auf den blinkenden Knopf und hielt den Hörer an den Lautsprecher. Als Pattis Stimme abbrach, fragte Annie: „Werden Sie daraus schlau?“

„Zumindest weiß ich jetzt, was zu tun ist.“

„Nämlich?“

„Ich fahre zu ihr.“

„Aber Sie wissen doch gar nicht, wo sie ist.“

„Oh doch.“

„Weihen Sie mich in Ihr Geheimnis ein?“

3. KAPITEL

Patti stand im Telefonierbereich des Krankenhauses und schüttelte das altmodische Handy in der Hoffnung, ein Freizeichen zu bekommen. Sie hatte es sich von einem alten Mann geborgt, der sich als Clive Bentwiggins aus Omaha vorstellte und seine Mutter im Krankenhaus besuchen wollte. Er trug ein Atemgerät auf dem Rücken, von dem ein Schlauch in seine Nase führte. Bei jedem Atemzug rauschte und blubberte es in dem Apparat.

„Und, sind Sie durchgekommen?“, fragte Clive, der sich gerade einen Becher Kaffee geholt hatte.

„Ja, aber nur kurz.“ Sie lief mit dem Telefon hin und her. Irgendwo zwischen dem Getränkeautomaten und dem künstlichen Ficus in der Ecke hatte sie für einen Augenblick Empfang.

„Wählen Sie schnell, bevor es wieder unterbrochen wird“, riet Clive.

Sie lächelte dem alten Mann zu und wählte erneut Jeds Nummer. Nach mehrmaligem Klingeln ging der Anrufbeantworter an. „Jed? Bist du da? Jed?“ Plötzlich war die Verbindung wieder weg.

Patti kamen die Tränen. Wo mochte Jed mit den Kindern sein?

Irgendwas stimmte nicht, sonst wäre er doch gleich drangegangen.

Clive tätschelte ihr tröstend den Rücken. „Ich habe sechs Kinder großgezogen. Glauben Sie mir, Ihren Babys geht es bestimmt gut. Um Ihren schwerverletzten Mann müssen Sie sich mehr Sorgen machen.“

„Verraten Sie mir nun endlich das große Geheimnis?“ Mit verschränkten Armen stand Annie da, während Jed hektisch hin und her lief.

Vor fünf Minuten war er von seiner Schicht nach Hause gekommen, und nachdem er sich Pattis Nachricht mehrmals angehört hatte, um auch ganz sicher zu gehen, war er in Aktion getreten. Hastig packte er alles ein, was Patti mitgebracht hatte. Das halbe Paket Milchpulver, die Flaschen, die restlichen Windeln. Das musste für die nächsten paar Stunden reichen, danach würde er neue Sachen kaufen.

„Jed?“, machte Annie sich erneut bemerkbar.

Mit den Babysachen auf dem Arm sah Jed sie an. „Ja, was ist?“

„Was machen Sie denn da?“

„Ich packe.“

„Sie werden mir jetzt aber nicht verkünden, dass Sie diese drei süßen, schlafenden Babys ins Auto verfrachten und zu Ihrer Schwester fahren wollen. Wo auch immer die sich befinden mag.“

„Wahrscheinlich halten Sie mich für verrückt, aber ich weiß tatsächlich, wo Patti sich aufhält.“

„Aha? Und wie haben Sie das herausgefunden, Sherlock Holmes?“

Jed grinste. „Ah, auch ein Fan von alten englischen Krimis?“

„Ja, und am besten kommen wir gleich zu der Szene, in der das Geheimnis gelüftet wird.“

„Simple Schlussfolgerung“, erklärte Jed und griff nach den Feuchttüchern auf dem Couchtisch. „Haben Sie das Rauschen und Blubbern auf dem Anrufbeantworter gehört?“

„Ja, wahrscheinlich war die Leitung gestört.“

„Patti ist in unserer Blockhütte in Colorado.“

„Wie kommen Sie denn darauf? Sie hat doch kaum zwei Worte geredet.“

Jed packte die Spielsachen – Plastikringe, Plüschtiere, Stoffbälle – in die Windeltasche und blickte kurz auf. „Sie kennen sich mit Babys aus, und ich kenne meine Schwester, okay? Ich schätze, sie braucht einfach mal eine Auszeit.“

Irgendwie gefiel ihm die forsche Art seiner neuen Nachbarin. Er hätte nichts dagegen, irgendwann auszuprobieren, was für ein feuriges Temperament in ihr steckte.

Schnell fegte er diesen verlockenden Gedanken beiseite und wandte sich wieder dringlicheren Angelegenheiten zu.

„Um was wollen wir wetten, dass sie nicht dort ist?“

Er stopfte eine blaue Wolldecke in seine bereits prall gefüllte Reisetasche. „Zu Ihrer Info, Dr. Watson, das Rauschen auf dem Anrufbeantworter war der Wind. Genauso hört es sich an, wenn er durch die Tannen braust, die um unser Haus herum stehen. Und da oben gibt es auch keinen guten Empfang, was erklärt, wieso die Verbindung ständig abgebrochen ist.“

Annie musste zugeben, dass das ziemlich logisch klang.

„Patti liebt diesen Ort. Als unsere Eltern noch lebten, haben wir jeden Sommer dort verbracht. Und als sie tot waren, sind Patti und ich, sooft wir konnten, dorthin gefahren. Hier in der Stadt war sie ständig darauf bedacht, möglichst cool zu wirken. Oben in unserem Cottage konnte sie ganz sie selbst sein, ein übermütiges Mädchen voller Lebensfreude.“

Annie reichte ihm die Anziehsachen der Kinder. „Aber sie ist kein kleines Mädchen mehr, Jed, sondern eine erwachsene Frau mit einer eigenen Familie. Falls Ihre Vermutung richtig ist, dass sie eine Auszeit braucht, dann will sie bestimmt nicht von ihrem großen Bruder gestört werden.“ Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Vielleicht muss sie einfach über ihr Leben nachdenken. Ich meine, das ist auch der Grund, weshalb ich hierhergezogen bin. Ich wette, Patti macht gerade etwas Ähnliches durch.“

Wie aufregend warm und männlich sich seine festen Armmuskeln unter ihrer Hand anfühlten. Dieser Mann war stark und kraftvoll und hatte einen unbeugsamen Willen. Das gefiel ihr.

„Es tut mir leid, Annie, dass ich Sie mit meinen Problemen belaste.“ Er setzte sich auf die unterste Treppenstufe und stützte den Kopf in die Hände. „Es gibt so einiges in meinem Leben, was nicht ganz rund gelaufen ist, aber jetzt ist nicht der Moment, in der Vergangenheit zu graben. Nur so viel sollen Sie wissen, ich muss nach Colorado fahren und sehen, wie es meiner Schwester geht.“

„Okay.“ Annie schob ihn sanft beiseite und setzte sich neben ihn.

Sofort fing ihre ganze rechte Körperhälfte an zu kribbeln, von der Schulter bis zur Wade, die Jeds nacktes Bein berührte. Was war bloß mit ihr los? Da versuchte sie, ihren verstörten Nachbarn zu trösten und musste die ganze Zeit daran denken, wie er sich wohl ganz nackt anfühlen würde.

„Hm …“ Sie räusperte sich. „Was wollte ich sagen?“

„Woher soll ich das wissen?“

„Ich hab’s.“ Sie hatte ihm einen Vorschlag machen wollen, nämlich wie er es vermeiden könnte, eine derart lange Fahrt mit den Babys zu unternehmen. „Es gibt einen einfacheren Weg herauszufinden, wie es Patti geht.“

„Ich weiß, anrufen. Leider hat das Cottage keinen Telefonanschluss, und auf ihrem Handy erreiche ich sie nicht. Und keiner von den Leuten, die ich angerufen habe, weiß, wo sie steckt. Ich bin sogar auf die Idee gekommen, die Ladenbesitzer in Fairfield anzurufen, so heißt der Ort, wo sich die Blockhütte befindet. Und meinen alten Freund Ditch.“

„Ditch, also ‚Graben‘? Komischer Name.“

„Ein Spitzname, erzähle ich Ihnen ein andermal. Jedenfalls hat keiner Patti gesehen, was nicht heißt, dass sie nicht trotzdem in Fairfield ist. Ich muss einfach selbst hinfahren.“

„Und wie soll das mit drei schreienden Babys auf dem Rücksitz gehen?“

„Babys schlafen doch angeblich im Auto immer.“ Er rieb sich über die Stirn. „Was haben wir heute eigentlich für einen Tag? Das Ganze bringt mich völlig durcheinander.“

„Umso mehr Grund, erstmal eine Runde zu schlafen. Es wäre fahrlässig, in Ihrem Zustand diese anstrengende Tour zu unternehmen. Können Sie nicht den Zug nehmen oder fliegen? Wenn Sie Hilfe hätten, wäre einiges …“

„Das ist es!“ Er strahlte sie an. „Ich brauche Hilfe, und ich kenne da auch schon jemanden.“

An Jeds Blick vorbei fixierte Annie die beigefarbene Wand. Ein hübsches Hellgrün wäre entschieden eine Verbesserung.

Als sie seine Finger unter ihrem Kinn spürte, zuckte sie zusammen.

„Sie wissen, wen ich meine, oder?“

„Hm …“ Sie leckte sich die Lippen. „Wenn Sie dabei an mich denken, vergessen Sie’s. Übernächste Woche fange ich meinen neuen Job an, und bis dahin muss ich das Haus von oben bis unten renoviert haben.“

„Ich bezahle Sie auch gut.“

Sie blickte auf ihre Knie. „Es geht mir nicht ums Geld, Jed.“

Es ging darum, dass sie Angst hatte, ihm tagelang so nah zu sein. Angst vor dieser verrückten Sehnsucht. Angst, sich in ihn zu verlieben.

Andererseits war ihr klar, dass er mit den Drillingen unmöglich allein zurechtkommen würde. Er war auf ihre Hilfe angewiesen. Bloß, wie würde es nach dieser Reise weitergehen? Er würde sie als Kindermädchen nicht mehr brauchen, und sie würde sich vermutlich in Sehnsucht nach ihm verzehren.

„Annie?“, sagte er leise. „Bitte.“

Sie stützte sich an der Wand ab und stand auf. Sie brauchte Abstand, um wieder zu sich selbst zu finden. Wie oft hatten ihre Freundinnen ihr geraten, sich nicht ständig die Probleme anderer Leute aufzuhalsen. Ihre Freundinnen hatten recht. Wenn sie auf Jeds Bitte einging, würde sie emotional nur den Kürzeren ziehen.

„Tut mir leid, ich kann wirklich nicht.“ Sie wandte sich zum Gehen.

Noch immer hatte sie an der gescheiterten Beziehung mit Conner zu knabbern. Von dem emotionalen Schaden, den ihr Exmann Troy ihr zugefügt hatte, ganz zu schweigen.

Jed stand ebenfalls auf, trat hinter sie und legte beide Hände auf ihre Schultern. „Seit unsere Eltern tot sind, habe ich mich um Patti gekümmert. Das war nicht immer leicht. Sie war ein ziemlich wilder Teenager. Wenn sie Liebeskummer hatte, hat sie sich bei mir ausgeweint. Und wenn sie im Trotz abgehauen ist, was öfters vorkam, war ich es, der sie gesucht und wieder nach Hause gebracht hat. Einmal habe ich sie unter einer Autobahnbrücke gefunden, total durchgefroren. Ich hatte die Patchworkdecke mitgebracht, die unsere Mutter ihr zu ihrem fünften Geburtstag genäht hatte. Als unser Haus brannte, hat Mom sie in diese Decke gewickelt, während wir rausgelaufen sind.“ Er drehte Annie sanft zu sich um.

So dicht vor ihm zu stehen, war noch gefährlicher, als neben ihm zu sitzen. Sie war doch nach Pecan gekommen, damit ihre seelischen Wunden endlich heilten. Auf keinen Fall durfte sie riskieren, von Neuem verletzt zu werden.

Jed nahm ihre Hände in seine und eine warme, beruhigende Welle durchströmte Annie. Es fühlte sich an, als habe sie endlich einen Gefährten gefunden, der mit ihr durch dick und dünn gehen würde. Seit ihrer Kindheit hatte sie kein so starkes Vertrauen mehr empfunden. Aber das war ein Trugschluss. Jed brauchte sie, das war alles.

„Bitte, lassen Sie mich gehen.“ Sie wandte sich von ihm ab und ging zur Tür.

„Meine Schwester braucht mich, Annie. Sie ist zwar verheiratet, aber solange Howie nicht aufzufinden ist, bin ich für sie verantwortlich.“

Annie schluckte schwer. Ja, das Gefühl, verantwortlich zu sein, kannte sie nur zu gut. Sie atmete tief durch, dann sagte sie: „Okay, ich mach’s.“

„Wirklich?“

Sie presste die Lippen zusammen und nickte nur. Wenn sie ihn jetzt angesehen oder etwas gesagt hätte, wären ihr die Tränen gekommen.

Spontan ging Jed auf sie zu und umarmte sie, und Annie hatte das Gefühl, in ein warmes Bad zu gleiten.

Doch er ließ sie gleich wieder los und klatschte in die Hände. „So, und jetzt kaufe ich schnell noch ein paar Sachen ein und rufe meine Kollegen an. Ich nehme an, Sie müssen auch noch einiges regeln, Ihrer Familie Bescheid sagen … oder Ihrem Freund?“

Annie schüttelte den Kopf. „Die einzige Familie, die ich habe, ist meine Großmutter, und die muss ich nicht unbedingt in Sorge versetzen wegen einer kurzen Reise.“

„Also gut, dann können wir ja bald starten. Ist Ihr Handy aufgeladen?“

„Ich besitze kein Handy.“

„Wie das?“

„Die fünfzig Dollar im Monat gebe ich lieber für die Wohnungsdekoration aus.“

Er lächelte. „Sie gefallen mir. Endlich eine Frau, die lieber was mit den Händen macht als redet.“

„Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht gern rede.“ Sie zwinkerte ihm zu.

4. KAPITEL

Am nächsten Morgen um neun fuhren sie los. Annie hatte Jed überreden können, sich hinzulegen, und er hatte tatsächlich die ganze Nacht geschlafen. Sie selbst hatte abends noch Milchpulver und Windeln eingekauft und zu Hause ihre Sachen gepackt. Dann hatte sie sich auf Jeds Sofa gelegt, um da zu sein, wenn eins der Babys wach wurde.

Sie schlug die Karte auf. „Soll ich nachsehen, ob es eine Abkürzung gibt?“

Jed saß am Steuer des Kleinbusses seiner Schwester. Er schüttelte den Kopf. „Ich fahre lieber die gewohnte Strecke. Man soll das Schicksal nicht herausfordern.“

„Ist mir auch recht, dann brauche ich wenigstens nicht ständig in die Karte zu gucken.“ Sie schlüpfte aus ihren Sandalen und legte die Füße aufs Armaturenbrett. „Ist das nicht ein tolles Pink?“, fragte sie und blickte bewundernd auf ihre frisch lackierten Fußnägel. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er die Augen verdrehte.

„Muss das sein?“

„Was denn?“

„Dass Sie Ihre Füße aufs Armaturenbrett legen? Ich habe das Auto gerade erst sauber gemacht.“

„Meine Füße sind auch sauber.“ Sie drehte sich zur Seite und zeigte ihm ihre Fußsohlen. „Sehen Sie?“

Jed umfasste das Lenkrad fester. Er hatte keine Lust, wegen dieser Frau einen Unfall zu bauen, kaum dass sie zehn Minuten unterwegs waren. Zum Glück war er ein gewissenhafter Autofahrer und hielt den Blick wie vorgeschrieben auf die Straße gerichtet. Sonst wäre er womöglich in Versuchung gekommen, diese niedlichen Füße …

Was waren das bloß für Gedanken? Sie befanden sich doch nicht auf einer Vergnügungsreise.

„Erzählen Sie mir von Ditch“, fragte die personifizierte Verführung neben ihm.

„Was wollen Sie denn wissen?“

„Woher er seinen Spitznamen hat.“

„Wir haben immer die Sommerferien zusammen verbracht. Jedes Mal, wenn wir den Waldweg an unserem Blockhaus hinuntergegangen sind und auch nur das leiseste Geräusch zu hören war, ist er in einen Graben gesprungen, aus Angst, es käme ein Bär.“

Annie lächelte und zog dabei die Nase kraus.

Selbst dieses kleine Mienenspiel entzückte Jed schon. War das denn noch normal?

„Wenn wirklich ein Bär gekommen wäre, hätte es ihm bestimmt nichts genutzt, in den Graben zu springen.“

Jed lachte. „Ja. Deshalb haben wir Kinder ihn auch immer ausgelacht.“

„Der Arme. Hat er denn …“

Eins der Babys fing an zu schreien und unterbrach ihre Unterhaltung.

Inzwischen konnte Annie die drei längst auseinanderhalten. Sie drehte sich um und fragte den kleinen Ronnie liebevoll: „Hast du etwa schon wieder Hunger?“ Dann nahm sie...

Autor

Wendy Etherington
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