Herzensbrecher wider Willen

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Seit er am Valentinstag einen Heiratsantrag übers Radio abgelehnt hat, scheinen alle Frauen der Stadt hinter Daniel her zu sein. Einzig seine hinreißende neue Kollegin Chloe will offenbar nichts von ihm wissen. Eine Herausforderung, der Daniel nicht widerstehen kann …


  • Erscheinungstag 13.06.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529839
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Daniel beschwerte sich ständig darüber, dass sein Handy stets im falschen Moment klingelte, und es enttäuschte ihn auch jetzt nicht. Gerade als er eine sehr empfindliche Venusfliegenfalle aus dem Topf nahm, die Hände voller Wurzeln und Kompost, vibrierte es in seiner Hosentasche.

Es hatte Zeiten gegeben, da hätte er es einfach ignoriert – vor allem, wenn er solch eine zarte Pflanze in den Händen gehalten hätte – aber jetzt bangte er immer, dass es seine jüngere Schwester sein könnte, die ihm erzählen musste, dass sie wieder krank war. Oder noch schlimmer, dass es ein Fremder war, der ihm berichtete, dass sie zusammengebrochen und in die Notaufnahme eingeliefert worden war, und Daniel möge doch bitte ihre Kinder aus dem Kindergarten abholen.

Widerstrebend schüttelte er die Erde von seiner rechten Hand, nahm den Wurzelballen in die linke und fummelte in seiner Hose nach dem Handy. Während er sich das Telefon zwischen Schulter und Ohr klemmte, versuchte er, sich die Erde von den Fingern zu wischen.

„Ja.“

„Daniel Bradford?“, fragte eine tiefe, allzu euphorisch klingende Männerstimme.

„Ja“, wiederholte er, konzentrierte sich dabei aber mehr darauf, mit einer Hand die seltene Pflanze in den Topf zu befördern. Das ließ sich nicht gut an. Dabei wollte er diese Pflanze noch gar nicht teilen.

„Hallo Daniel, hier ist Doug Harley, und Sie sind live auf Radio EROS, Londons romantischstem Radiosender!“

Daniel richtete sich auf und wirbelte herum, während er den Blick durch das Tropengewächshaus in Londons berühmten Kew Gardens schweifen ließ, überzeugt davon, dass sich irgendwo hinter einer Palme eine Gruppe feixender Praktikanten versteckte. Das war doch wohl ein Scherz, oder?

Aber den Einzigen, den er entdeckte, war ein Gartenbaustudent, der einen Wagen mit Setzlingen schob, Kopfhörer auf den Ohren und somit abgeschieden von der Welt. Ansonsten herrschte Stille in dem Glasbau.

„Daniel?“, ertönte die schmalzige Stimme wieder.

Er nahm das Telefon vom Kopf und starrte auf das Display, während er ernsthaft überlegte, einfach aufzulegen. Für so einen Quatsch hatte er wirklich keine Zeit.

„Was wollen Sie?“, schnauzte er den Mann an, nachdem er das Handy wieder ans Ohr gehoben hatte. „Ich bin beschäftigt.“

Daraufhin folgte ein genauso schmalziges – und ebenso ärgerliches – Gelächter am anderen Ende der Leitung. „Hierfür nicht, Daniel. Versprochen.“

Daniel biss die Zähne zusammen. Die vertrauliche Art und Weise, wie der Moderator in jedem Satz seinen Namen hervorhob, ging ihm gehörig auf die Nerven.

„Überzeugen Sie mich.“

Wieder wurde gelacht. Als würde es um einen Witz gehen, den nur dieser Typ verstand.

„Ich bin sicher, dass Sie wissen, was heute für ein Tag ist, Daniel?“

Verwirrt zog er die Augenbrauen zusammen. Es war Dienstag. Ja und?

Oh.

Innerlich fluchend dachte er an die Ansammlung von roten und rosa Umschlägen, die er heute Morgen auf seinem Schreibtisch vorgefunden hatte. Kopfschüttelnd hatte er sie einfach – ungeöffnet – beiseitegeschoben und sich bemüht, sie zu vergessen. Es war nicht irgendein Dienstag, sondern dieser alberne Tag Mitte Februar.

Daniel schnaubte. Wahrscheinlich ging es um irgend so einen idiotischen Radiowettbewerb auf einem Schnulzensender, von dem er noch nie gehört hatte. Er war sich ziemlich sicher, dass er kein Interesse an dem Gewinn hatte, was auch immer es sein mochte.

Ehe er jedoch etwas sagen konnte, fuhr der Mann fort und ließ wieder sein übertriebenes Lachen hören. „Wir haben heute eine Valentinsüberraschung für Sie, Daniel. Hier ist eine junge Frau, die Ihnen eine Frage stellen möchte.“

Daniel schaute auf die Pflanze in seiner Hand. Trotz ihres entwurzelten Zustands lockte sie mit ihrem süßen Duft eine Fliege an. Die umkreiste die Pflanze und flog zwischen den Blättern umher, auf der Suche nach einem Landeplatz.

„Dan?“ Diese Stimme war sanft und weiblich. Eine Stimme, die er sofort erkannte.

Er erstarrte. Sein Verstand ahnte, was kommen würde, doch er weigerte sich, es zu glauben.

„Georgia?“

Freudig überrascht hatte das nicht geklungen. Eher brummend und abwehrend, so sollte man wohl nicht reagieren, wenn man die Stimme seiner Freundin hörte. Er nahm einen weiteren Anlauf. „Was soll das alles?“

Oh, oh. Nicht viel besser.

Er hörte, wie sie krampfhaft schluckte. „Daniel … ich weiß, dass du es in letzter Zeit nicht gerade leicht hattest, und ich war gern für dich da … aber jetzt sieht doch alles schon viel rosiger aus, und ich glaube wirklich, dass wir gut zusammenpassen.“

Daniel bewegte den Mund, brachte jedoch kein Wort über die Lippen.

Am liebsten hätte er die Augen geschlossen, in der Hoffnung, so auch ihre Stimme ausblenden zu können, aber der Anblick der Fliege, die sich auf einem der fleischigen Blätter niederließ, die der Pflanze als Falle dienten, faszinierte ihn zu sehr. Er schüttelte den Kopf, um das Insekt zu warnen.

Flieg weg. Ergreif die Flucht, solange du noch kannst.

„Also, Daniel …“ Sie machte eine Pause und lachte nervös. „Was ich sagen will, ist … ich wollte dich fragen, ob du mich heiraten willst.“

Mit einer schnellen, geschmeidigen Bewegung schnappte die Falle zu. Daniel hörte noch das verzweifelte Summen des Insekts, sah, wie es in der Falle nach einem Ausweg suchte, während die Venusfliegenfalle sich immer weiter um die Fliege schloss.

Hör auf. Kämpfen macht es nur noch schlimmer.

Plötzlich herrschte eine unheimliche Stille um ihn herum. Sämtliche Geräusche schienen verstummt, fast so, als würde ganz London den Atem anhalten und auf Daniels Antwort warten.

„Soll das ein Witz sein, Georgia?“, krächzte er flehentlich.

Das war nicht die Georgia, die er kannte. Die nette, unkomplizierte, anspruchslose Frau, mit der er seit fast einem Jahr liiert war. Seine Georgia wusste, dass er zurzeit emotional nicht bereit war, eine ernsthafte Beziehung einzugehen, ganz zu schweigen von einer Ehe. Seine Georgia verstand und akzeptierte das. Wer war also diese Frau mit Georgias Stimme, die ihn mit Fragen überrumpelte – noch dazu im Radio?

Wie konnte man überhaupt auf die Idee kommen, jemandem in aller Öffentlichkeit einen Heiratsantrag zu stellen? So etwas passierte still und heimlich. Und vorzugsweise jemand anderem als ihm.

Er biss sich auf die Zunge, um nicht hier und jetzt eine Erklärung von ihr zu verlangen. Es machte ihn wütend, dass sie ihn so überrumpelte, dass sie einfach die Grundregeln ihrer Beziehung veränderte und ihn vor vollendete Tatsachen stellte. Darum war es in ihrer Beziehung nicht gegangen, und das wusste sie auch.

Jedenfalls hatte er gedacht, sie wüsste es.

Schmalzbacke lachte wieder. „Na, Georgia, wie es aussieht, haben Sie den armen Kerl sprachlos gemacht! Was sagen Sie, Daniel? Wollen Sie das arme Mädchen endlich von ihren Qualen erlösen, oder was?“

Was sollte er jetzt antworten?

Er konnte Georgia vor sich sehen, wie sie da im Sender saß, ein gequältes Lächeln auf den Lippen, mit ängstlichem Blick, während sie tapfer versuchte, so zu tun, als wäre alles bestens.

Es war nicht so, dass Georgia keine bezaubernde Frau war. Sie war entschlossen, intelligent und vernünftig. Jeder Mann könnte sich glücklich schätzen, sie als Partnerin zu bekommen. Daniel sollte Ja sagen wollen.

Aber das wollte er nicht.

Definitiv nicht.

Nie wieder! Egal wie bezaubernd die in Frage kommende Frau auch war.

Es knackte in der Leitung, und Daniel war sich plötzlich allzu bewusst, dass ein paar hunderttausend Zuhörer dieser Unterhaltung lauschten, und wie peinlich es für seine Freundin werden würde, wenn er ihr die falsche Antwort gab.

Leider war aber die falsche Antwort die einzig richtige.

Er liebte sie nicht. Vermutlich würde er das wohl auch nie tun, und Georgia verdiente etwas Besseres. Vorsichtig klemmte er das Handy wieder zwischen Schulter und Ohr und stellte die Venusfliegenfalle zurück in den Topf.

Wahrscheinlich hätte er wissen müssen, dass ihre Beziehung nicht in dieser herrlich unkomplizierten Phase stehenbleiben würde. Dinge veränderten sich nun mal, sie gediehen oder sie gingen ein.

Er war Georgia begegnet, als Kelly zur Hälfte mit ihrer Chemo durch war. Sie hatte ihm geholfen zu vergessen, dass seine kleine Schwester womöglich das nächste Weihnachtsfest nicht erleben würde, dass sein Schwager, diese Ratte, mit seiner Personal Trainerin abgehauen war und es seiner völlig geschockten Frau überlassen hatte, allein mit ihrer Krebsdiagnose und den beiden kleinen Kindern fertig zu werden. Wäre Georgia nicht gewesen, hätte Daniel Tim aufgespürt und ihn Stück für Stück an die größte und hässlichste Nepenthes seiner Sammlung verfüttert.

Er hätte wissen müssen, dass Georgia irgendwann auf dumme Gedanken kommen würde. Die schreckliche Situation, in der sie sich jetzt befanden, war nicht nur ihre, sondern auch seine eigene Schuld. Es war ja nichts Verwerfliches, worum sie ihn bat, oder? Aber es war etwas, was er ihr nicht geben konnte. Nicht mehr. Und daraus hatte er auch nie ein Geheimnis gemacht.

„Es tut mir leid …“, entschuldigte er sich, mehr für das, was direkt vor seiner Nase passiert war, ohne dass er es mitbekommen hatte, als für das, was er gleich sagen würde. „Eine Hochzeit stand nie zur Debatte. Ich dachte, du wüsstest das … Genau das war es doch, was unsere Sache so perfekt gemacht hat.“

Unsere Sache … Na toll, Daniel.

Er hörte sie am anderen Ende der Leitung atmen und wünschte, er würde ihr gegenüberstehen, um es erklären zu können, ohne dass zig Zuhörer es mitbekamen.

„Ist schon okay“, sagte sie mit gespielter Fröhlichkeit, während Daniel vermutete, dass sie bereits Tränen in den Augen hatte. Er fühlte sich, als hätte er einen Tritt verpasst bekommen.

Es war nicht okay. Er tat ihr gerade entsetzlich weh, aber das bedeutete noch lange nicht, dass er Ja sagen konnte, denn damit würde er sie letztlich beide unglücklich machen. Er musste das tun, was für Georgia – was für sie beide – am besten war. Er musste sie gehen lassen, damit sie die Chance bekam, jemand anderes zu finden, der ihr geben konnte, was sie brauchte.

„Ich kann nicht, Georgia. Du weißt, warum ich nicht Ja sagen kann.“

Einen Moment lang herrschte angespanntes Schweigen, bevor der Moderator wieder zu reden begann, nervös lachte und versuchte, das Ganze irgendwie zu einem erträglichen Ende zu bringen. Daniel nahm davon nichts mehr wahr. Er bekam nicht einmal mit, als wieder Musik eingespielt wurde.

Er kam sich vor wie ein Monster.

Wütend nahm er den Topf mit der Fliegenfalle und warf ihn gegen die Glasscheibe des Gewächshauses. Der Topf landete als Erstes auf dem Boden, und die zarte Pflanze folgte fast lautlos.

Nun zeigte sich, dass es auch von Nachteil sein konnte, wenn man in einem Glashaus arbeitete. Mehrere Augenpaare starrten ihn aus unterschiedlichen Ecken des Gewächshauses an. Wahrscheinlich dachten sie, der Leiter der Abteilung für tropische Pflanzen hätte den Verstand verloren.

Daniel schloss die Augen, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und fluchte laut, als ihm bewusst wurde, dass an seinen Fingern noch immer Erde klebte.

Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass sich niemand bewegt hatte. „Was ist?“, brüllte er, und sofort verschwanden alle wieder.

Das Einzige, was er sich jetzt noch wünschte, war, dass dieser schreckliche Tag endlich ein Ende nahm, damit er wieder ein ganz normales Leben führen konnte, ohne dass jemand zuhörte, was er sagte, ohne dass jemand hinter ihm her spionierte.

Verdammt, er hasste den Valentinstag wirklich.

Daniel saß in der Hocke, die Hand an der zarten Blüte einer Sarracenia, und erstarrte plötzlich. Sonnenstrahlen strömten durch das Glasdach, wärmten ihm den Rücken, und um ihn herum schlenderten die Besucher, die sich die exotischen Pflanzen im Princess of Wales Conservatory, einem von Kews modernen Gewächshäusern, näher anschauten. Alles in allem schien es ein ganz normaler Märztag zu sein.

Abgesehen von der Tatsache, dass ihm auf einmal die Haare zu Berge standen.

Er kam hoch und schaute sich um. Er befand sich in einem riesigen Gewächshaus, daher wäre es absurd anzunehmen, dass die Leute ihn nicht wahrnahmen, aber es war etwas anderes. Es fühlte sich an, als würde jemand ihn beobachten.

Georgias desaströser Valentins-Heiratsantrag hatte ihm eine unerwartete Medienaufmerksamkeit beschert. Mehr als einmal hatte er im vergangenen Monat in die Kameras von Paparazzi geblickt, während er versucht hatte zu arbeiten. Doch das war nicht der einzige ungewollte Nebeneffekt, den die öffentliche Demütigung seiner Freundin nach sich gezogen hatte. Jetzt schienen ihn überall die Leute zu beobachten und zu beurteilen.

Bis die Krankheit seiner Schwester ihn dazu gezwungen hatte, nach England zurückzukehren, hatte er mit Begeisterung seinen Job in der Kew-Forschungsstation auf Madagaskar ausgeübt. Er liebte es, nach seltenen Pflanzen zu suchen, die Samen einzusammeln und fast ausgestorbene Arten aufzuspüren. Aber dieses bizarre Medieninteresse vermittelte ihm das Gefühl, als wäre er die Beute und nicht länger der Jäger, und das gefiel ihm überhaupt nicht.

Nachdem er noch einmal sorgfältig die Pflanzen nach Parasiten abgesucht hatte, ging er hinüber in den Bereich, wo die tropischen Arten wuchsen, die Hitze und Feuchtigkeit brauchten. Methodisch arbeitete er auch hier weiter, entfernte verwelkte Blätter und kontrollierte die einzelnen Pflanzen auf Befall.

Da hörte er es.

„Findest du, dass er aussieht wie Harrison Ford?“, fragte eine weibliche Stimme nicht gerade leise. „Ich finde, er sieht eher aus wie einer aus dieser Krimiserie auf BBC.“

Daniel zuckte zusammen und malte sich einen schrecklichen Dschungeltod für den Reporter aus, der ihn kürzlich scherzhaft mit der Filmlegende verglichen hatte. Während der Journalist offensichtlich ganz begeistert gewesen war von seinem Witz über „Indiana Jones mit der Gartenschere“, konnte Daniel die Anspielungen nicht mehr hören.

„Weiß nicht“, meinte eine zweite Stimme nachdenklich. „Aber es stimmt schon, er ist tatsächlich so ein grübelnder, intelligent und gefährlich wirkender Typ. Hast du diese Armmuskeln gesehen?“

Die andere Frau schnaubte leise. „Arme? Ich war viel mehr damit beschäftigt, mir seinen knackigen …“

Das reichte.

Er hatte die Nase voll davon, wie ein Stück Fleisch behandelt zu werden, etwas, das man diskutieren und angaffen konnte. Vielleicht sollte er sich einfach in ein Beet setzen, denn, soweit er das beurteilen konnte, sah man in ihm sowieso keinen Angestellten mehr. Stattdessen war er zu einer der Hauptattraktionen hier geworden.

Nahm das denn gar kein Ende? Es war schon schlimm genug, dass die Londoner Presse die Geschichte aufgegriffen und weidlich ausgebreitet hatte. Er und Georgia waren das Thema unzähliger Kolumnen und Talkshowdiskussionen gewesen – ohne dass einer von ihnen mit einem Interview oder Statement dazu beigetragen hätte.

Zudem hatte die ganze Sache einen weiteren unschönen Nebeneffekt.

Er war jetzt „Der Mann, der davongekommen war“. Damit schien er zum Freiwild für die weibliche Bevölkerung von London geworden zu sein, denn seit ein paar Wochen kamen sie reihenweise, entweder allein oder zu zweit, um ihm in den Gärten aufzulauern.

Nicht, dass er sonst etwas dagegen einzuwenden hatte, wenn ihm Frauen ein wenig – oder auch viel – Aufmerksamkeit schenkten. Aber das hier war etwas anderes. Diese Frauen benahmen sich, als hätten sie den Antrag im Radio nicht gehört, als wüssten sie nicht, dass er mit der Liebe nichts am Hut hatte, geschweige denn mit der Ehe. Das Ganze war einfach nur idiotisch. Und ziemlich lästig.

Ein tiefer Seufzer rief ihn zurück in die Gegenwart. Sie kamen näher.

„Soll ich hingehen und ihn um ein Autogramm bitten?“, meinte die eine.

Jetzt reichte es wirklich. Jäger oder nicht, Daniel beschloss zu verschwinden. Zum Glück kannte er die verschlungenen Wege im Gewächshaus aus dem Effeff, und es dauerte keine Minute, da konnte er sich hinhocken und von seinem erhöhten Standpunkt bei der Orchideenausstellung aus auf die beiden Frauen hinabschauen. Natürlich hätte er auch zurück ins Treibhaus gehen können, zu dem nur das Personal Zutritt hatte, aber ihm gefiel die Vorstellung, den Spieß umzudrehen und ihnen dabei zuzusehen, wie sie vergeblich nach ihm Ausschau hielten. Damit war ein gewisses Maß an Gerechtigkeit – und Kontrolle – wiederhergestellt.

Als er sie jetzt entdeckte, fielen ihm fast die Augen aus. Die waren über siebzig! Er beobachtete, wie sie sich suchend umschauten und darüber stritten, welchen Weg sie einschlagen sollten, um seine Spur wieder aufzunehmen.

Fast hätte er leise vor sich hin gelacht. Aber nur fast.

Denn plötzlich standen ihm wieder die Haare zu Berge.

Oh nein. Schon wieder eine?

Er war nahe dran, sich umzudrehen und auf die hier loszugehen, aber er wusste, dass er ziemlich zornig werden konnte, und leider ging es nicht, dass er zahlende Besucher attackierte, um sie anschließend als wunderbaren, nährstoffreichen Kompost für seine Lieblingspflanzen zu benutzen. Es gab Gesetze, die das verbaten. Leider.

Also würde er sich wieder auf die Zunge beißen und verschwinden. Wenn dieser Zirkus aber nicht bald ein Ende nahm, dann würde er sich in seinem Büro oder in einem Treibhaus einschließen müssen, statt seinen Job auszuüben, wie es ihm gefiel. Und das wäre wirklich das Letzte. Es war schon schwer genug, dass er die Feldforschung vorläufig hatte aufgeben müssen; das hatte er auch nur getan, weil Kelly ihn gebraucht hatte, damit er sich um sie und die Jungs kümmerte.

„Na, wenn das nicht Indiana höchstpersönlich ist!“, meinte eine rauchige, weibliche Stimme. „Obwohl ich ja gehört habe, Sie hätten die Peitsche gegen eine Gartenschere eingetauscht.“

Daniel wirbelte in der Hocke herum. Das Erste, was er sah, war ein Paar knallrosa High Heels mit gepunkteten Schleifen. Na, das hier war auf jeden Fall keine Rentnerin. Unweigerlich wanderte sein Blick an schlanken Knöcheln hinauf zu wohlgeformten Waden. Sofort schwanden sämtliche Gedanken an Flucht.

Als Nächstes kam ein schwarzer, enger Rock. Er umschloss bestens proportionierte Hüften, umschmeichelte die Schenkel … Daniel schluckte.

„Also, wo ist sie?“, fragte sie.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass er noch immer in der Hocke saß. Er blickte auf, registrierte die ebenfalls eng anliegende rosa Bluse, und schaute ihr ins Gesicht. Rote Lippen sah er als Erstes. Knallrote Lippen.

Wer hatte ihm die Flüssigkeitszufuhr zu seiner Kehle abgeschnitten? Wieder schluckte er. „Was?“

Steh auf. Du kniest zu ihren Füßen und siehst aus wie ein sabbernder Neandertaler.

Zum Glück kooperierte sein Gehirn dieses Mal und schickte einen Befehl an seine Beine, sich aufzurichten. Endlich schaute er auf sie hinab statt zu ihr hinauf. Allerdings half das auch nicht wirklich. Von unten war der Blick auf das beeindruckende Dekolleté nicht ganz so offensichtlich gewesen. Jetzt musste sein Verstand sich zu sehr darauf konzentrieren, die Augäpfel unter Kontrolle zu behalten. Reden war da nicht mehr drin.

„Die Gartenschere“, meinte sie und hob ganz leicht eine ihrer gekonnt gezupften Augenbrauen. „Ist sie in Ihrer Tasche?“

Daniel nickte benommen und zog die Schere heraus.

Die Frau war blond. So blond wie Marilyn Monroe, mit schulterlangem Haar, das sich um ihr Gesicht lockte.

„Wie schade“, meinte sie. „Und da dachte ich, Sie wären so erfreut, mich zu sehen.“

Ihm klappte der Mund auf. Sein Verstand kämpfte noch immer mit all den Eindrücken. Zu seinem großen Entsetzen entschlüpfte ihm ein leises Grunzen.

„Entschuldigung … ich konnte nicht widerstehen“, meinte sie und streckte ihm eine schlanke Hand entgegen. „Sind Sie nicht auch ein Fan von Mae West?“

Eine Sekunde lang starrte Daniel auf ihre Hand, auf die langen, roten Fingernägel, die zu den Lippen passten, bevor eine Bewegung auf Brusthöhe ihn ablenkte. Ein Mitarbeiterausweis hing an einem Band um ihren Hals, aber aufgrund der nicht gerade kleinen … Oberweite, hing das Schild direkt darunter und der Name war deshalb nicht zu erkennen.

„Oh, also kein Fan von Mae, was?“

Er nickte, nicht sicher, ob er zustimmte oder verneinte.

„Chloe Michaels.“ Sie nahm seine Hand und schüttelte sie fest. „Orchideenspezialistin und die Neue hier in Kew.“

„Daniel Bradford“, erwiderte er leicht benommen.

„Ich weiß“, meinte sie mit einem kleinen Lächeln auf den roten Lippen.

„Sie haben Zeitung gelesen …“

„Na ja, eine Frau müsste schon tot sein, um nichts über Sie mitbekommen zu haben. Wie auch immer, ich kannte Sie auch vorher schon. Ich habe eins Ihrer Bücher zu Hause stehen.“

Erleichtert atmete er aus und entspannte sich. Pflanzen und Gartenbau. Endlich begegnete ihm mal eine Frau, mit der er vernünftig reden konnte. „Freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte er.

Sie nickte und strahlte ihn an. „Drüben im Gewächshaus sagte man mir, dass ich Sie hier finden würde, und da dachte ich, komme ich mal kurz vorbei und stelle mich vor“, erklärte sie und wandte sich um. „Man sieht sich.“

Daniel hatte gerade begonnen, sich wieder halbwegs normal zu fühlen, doch ihr Abgang bescherte ihm einen Anblick, auf den er nicht gefasst gewesen war … Die Art und Weise, wie sich der enge Rock um ihren Po schloss, war die reinste Sünde.

Sie blickte über die Schulter. Abrupt wandte Daniel den Blick nach oben. Sie hatte ihn doch hoffentlich nicht dabei ertappt, als er sie wie ein pubertärer Jüngling angestarrt hatte, oder?

„Übrigens“, sagte sie, „Gefahr im Anmarsch.“

Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie meinte, doch ein Klopfen an der Glasscheibe über ihm ließ ihn zusammenzucken. Er blickte hoch und sah die beiden Verfolgerinnen von vorhin auf der Treppe, die Gesichter gegen die Scheiben gepresst und wie verrückt grinsend.

Oh, Mist.

Eine von ihnen entdeckte die Tür. Ihre Augen leuchteten auf, und sie begann, mit einem Stift und einem Notizblock zu wedeln.

Daniel machte das, was jeder vernünftige Mann in seiner Lage getan hätte.

Er ergriff die Flucht.

2. KAPITEL

Mit einem so engen Rock und so hohen Schuhen ist ein eleganter Abgang nicht einfach, dachte Chloe, während sie zur Tür schritt. Heute Morgen hatte sie noch geglaubt, ihre Lieblingsschuhe würden ihr eine extra Portion Selbstvertrauen schenken, aber gepaart mit diesem engen Rock erwies sich das Gehen als schwierig.

Nachdem sich die Glastür endlich hinter ihr geschlossen hatte, blieb sie einen Moment lang stehen, blinzelte kurz und ging dann weiter.

Er hatte sie nicht erkannt.

Sie war darauf vorbereitet gewesen, lächelnd auf ihn zuzugehen, über den peinlichen Vorfall in ihrer Vergangenheit zu lachen und es darauf zu schieben, dass sie leider keinen Alkohol vertrug. Kurz gesagt, sie hatte geplant, sich genauso weltgewandt zu geben, wie ihre Garderobe vermuten ließ.

Aber dazu hatte gar keine Veranlassung bestanden.

Das ist doch gut, oder? überlegte sie, während ihr Herz heftig klopfte. Dass er Chloe Michaels, die Gartenbaustudentin, nicht mit Chloe Michaels, der neuen Leiterin der Orchideenabteilung, in Zusammenhang brachte. Sie würden einfach neu anfangen und sich wie reife Erwachsene benehmen.

Okay, das letzte Mal, als sie sich getroffen hatten, hatte Daniel Bradford keine Probleme damit gehabt, sich reif und erwachsen zu benehmen. Sie war diejenige gewesen, die sich daneben benommen hatte. Selbst nach all den Jahren ließ die Erinnerung daran sie noch erröten.

Sei nicht albern, schalt sie sich. Im Laufe der Jahre hatte er bestimmt massenhaft Kurse gegeben und Hunderte von ehrfürchtigen Studentinnen getroffen. Warum sollte er sich an eine mausgraue Studentin mit wuscheligen Haaren erinnern, die ihre üppigen Kurven unter XL-T-Shirts und ausgebeulten Hosen verbarg? Kein Wunder, dass er sich nicht einmal an ihren Namen erinnerte.

Oder an ihr Gesicht.

Schließlich sah sie jetzt ganz anders aus.

Dieses Aschenputtel hatte keine gute Fee gebraucht, um sich ein neues Aussehen zuzulegen; sie hatte es ganz allein hinbekommen, und zwar in dem Sommer, nachdem sie ihre Gartenbauausbildung auf dem College beendet hatte. Allein der entsetzte Ausdruck auf dem Gesicht des Prinzen hatte genügt, um sie in die richtige Richtung zu schubsen. Die Maus war verschwunden; lang lebe die neue Chloe.

Allerdings …

Ein kleiner Teil von ihr – ein bisher unentdeckter masochistischer Teil – hatte offenbar gehofft, er würde sich an sie erinnern, denn Enttäuschung machte sich in ihr breit. Sie seufzte. Wenn es um den fantastischen Daniel Bradford ging, war sie noch nie sonderlich vernünftig gewesen. Aber welches weibliche Wesen war das schon?

Es hatte etwas mit diesen langen Beinen, dem athletischen Körper und den hellgrünen, fast eisig wirkenden Augen zu tun. Hinzu kam dieses Wilde, das den Eindruck vermittelte, er hätte sich gerade noch aus dem dunklen, weit abgelegenen Dschungel retten können. So etwas konnte einer Frau schon den Kopf verdrehen.

Vielleicht erklärte das, warum sie sich eben so verhalten und solche unglaublichen Dinge gesagt hatte.

Auch wenn sie wusste, dass die „neue“ Chloe über genügend Selbstvertrauen verfügte, bestand schon noch ein Unterschied zwischen Selbstsicherheit und purem Draufgängertum. Eigentlich hatte sie ruhig und professionell auftreten wollen. Jedenfalls hatte sie nicht vorgehabt, ihn zu necken … oder sogar mit ihm zu flirten.

Autor

Fiona Harper
Als Kind wurde Fiona dauernd dafür gehänselt, ihre Nase ständig in Bücher zu stecken und in einer Traumwelt zu leben. Dies hat sich seitdem kaum geändert, aber immerhin hat sie durch das Schreiben ein Ventil für ihre unbändige Vorstellungskraft gefunden. Fiona lebt in London, doch sie ist auch gern im...
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