Herzöge küssen besser

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Binnen eines Tages verliert Roxy ihre Wohnung, den Job – und das Bewusstsein. Als sie erwacht, erblickt sie ausgerechnet den Mann, der sie auf die Straße gesetzt hat: Titus Alexander, Herzog von Torchester! Und über dessen verführerische Lippen kommt bereits die nächste Überraschung …


  • Erscheinungstag 31.10.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536035
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das war fraglos der schmuddeligste Laden, der ihm je untergekommen war. Titus Alexander schüttelte sich angewidert. Ohne die neugierigen Blicke zu beachten, die er mit seiner aristokratisch wirkenden, durchtrainierten Erscheinung auf sich zog, setzte er sich in dem abgeschabten Sessel bequemer zurecht und schaute sich um.

Der Nachtclub war nur zur Hälfte gefüllt, hauptsächlich mit Leuten, denen man lieber nicht im Dunkeln begegnen wollte. Das Outfit der Kellnerinnen hätte vielleicht zur Not noch als sexy durchgehen können, wenn es für die allzu üppigen Körperformen nicht viel zu knapp bemessen gewesen wäre. Titus erstarrte, als zwei enorme Brüste gefährlich nah an seinem Gesicht vorbeischaukelten, während ihm ein Cocktail serviert wurde, von dem er jetzt schon wusste, dass er ihn nicht anrühren würde. Dabei fragte er sich, wie ein nur halbwegs zivilisierter Mensch in so einem erbärmlichen Schuppen arbeiten konnte.

Aber das sollte ihm eigentlich egal sein. Er war schließlich nicht hier, um sich über unhaltbare Zustände aufzuregen, sondern aus gutem Grund. Er war wegen einer Frau gekommen. Wegen einer Frau, die …

In diesem Moment schlug der Pianist einen scheppernden Akkord an, bevor der Conférencier die nächste – künstlerisch garantiert wieder völlig misslungene – Darbietung ankündigte.

„Ladies und Gentlemen! Ich bin stolz, Ihnen heute Abend eine Poplegende präsentieren zu dürfen. Sie hat vor einigen Jahren mit ihrer Girl-Band The Lollipops Furore gemacht und jene Art Berühmtheit erreicht, von der die meisten nur träumen können. Sie hat königliche Hoheiten und Prominente verzaubert, und heute Abend gehört sie uns. Begrüßen Sie mit mir die schöne und talentierte … Roxanne … Carmichael!“

Der Applaus in dem halbleeren Club war blamabel spärlich. Titus bewegte nur dreimal pflichtschuldig die Hände, während er beobachtete, wie die Frau aus den Kulissen auftauchte. Als sie in die Mitte der Bühne trat, erstarrte er.

Roxanne Carmichael.

Er kniff die Augen zusammen. War sie das wirklich?

Er hatte viel über sie gehört. Und gelesen. Vor Jahren hatte sie mit schöner Regelmäßigkeit die Titelseiten der Illustrierten geschmückt, mit ihren Katzenaugen und diesem geschmeidigen Körper, der für weiß der Teufel was alles geworben hatte. Mit ihrer schrillen Schönheit und einer bedenklich langen Liste von Liebhabern hatte sie damals alles verkörpert, was er verabscheute. Deshalb war es umso unverständlicher, dass er jetzt bei ihrem Anblick ein heftiges Ziehen in der Leistengegend verspürte, das sich verdächtig nach Lüsternheit anfühlte.

Vielleicht lag es ja daran, dass sie in nichts mehr an die junge Provokateurin erinnerte, die vor einem Jahrzehnt mit ihrer Band den Siegeszug durch die internationalen Charts angetreten hatte. Damals hatte sie bei ihren Auftritten eine aufreizend knappe Schuluniform mit zerrissenen Nylonstrümpfen getragen und ständig provokant an einem Lutscher genuckelt. Eine Aufmachung, auf die sie mit wachsendem Erfolg verzichtet hatte, aber das Böse-Mädchen-Image war geblieben.

Er ließ seinen Blick über ihren Körper schweifen. Sie war immer noch genauso gertenschlank wie vor zehn Jahren, fast zerbrechlich, trotz der vollen Brüste. Ob die echt waren? Sie hatte ausgeprägte Wangenknochen und ein scharf konturiertes Kinn. Das Haar, früher eine ungebändigte lange Mähne in unzähligen Schattierungen von Honigblond bis Bronze, fiel ihr jetzt dunkelblond und glänzend über die Schultern.

Aber ihre Augen waren immer noch auffallend blau, die Lippen sündig, ein passenderes Wort fiel ihm dazu nicht ein. Allerdings musste Titus zugeben, dass sie trotz der verwaschenen Jeans und des glitzernden Pailletten-T-Shirts eine natürliche Anmut ausstrahlte. Auch wenn sie müde wirkte. Abgekämpft. Wie eine Frau, die zu viel gesehen hat, dachte er, als sie nach dem Mikrofon griff und es ganz nah an ihre dunkelrot geschminkten glänzenden Lippen brachte.

„Guten Abend, Ladies und Gentlemen, ich freue mich sehr, bei Ihnen zu sein, und möchte Sie alle ganz herzlich begrüßen!“ Nach einer kleinen Kunstpause fuhr sie fort: „Ich bin Roxy Carmichael und wünsche Ihnen heute Abend viel Vergnügen.“

„Mit dir jederzeit, Roxy“, grölte es aus dem hinteren Teil des dunklen Clubs, und irgendwer lachte.

Es folgte eine angespannte Stille, und eine Sekunde lang wirkte sie fast verletzlich … und verunsichert. Doch dann schlug der Pianist den ersten Akkord an, und sie begann zu singen. Trotz seiner Abscheu verspürte Titus beim Klang ihrer Stimme einen seltsamen Kitzel. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück und lauschte mit geschärften Sinnen den süßen Tönen, die sie ihrer Kehle entlockte. Talent hatte sie ja, das musste er zugeben.

Die Zeit verging wie im Flug, während sie von Liebe, Schmerz und Verlust sang. Jedes Mal, wenn sie in pseudoleidenschaftlicher Geste den Kopf in den Nacken warf, verspürte Titus wieder dieses verräterische Ziehen in der Leistengegend. Am Ende ihres letzten Songs erstarb ihre Stimme mit einem kleinen atemlosen Seufzer, und Titus hatte fast Mühe, sich aus ihrem Bann zu befreien. Das war lächerlich! Dabei war sie nichts als eine nur auf ihren eigenen Vorteil bedachte kleine Schlampe, der es auch nichts ausmachte, einer anderen Frau den Mann wegzunehmen.

Sie beendete ihre Darbietung abrupt. In dem Moment, in dem der letzte Ton verklungen war, riss sie die Augen auf, als ob sie soeben unsanft aus einem Traum erwacht wäre. Der lahme Beifall wurde mit einer gefühlvollen Zugabe belohnt, deren Refrain sich in dem schäbigen Ambiente des Kit-Kat-Clubs höchst bizarr ausnahm. Nachdem der Song zu Ende war, machte sie eine temperamentvolle Kehrtwendung, wobei die Pailletten an ihrem billigen T-Shirt noch ein letztes Mal heftig blinkten, und verschwand wieder im Dunkel der Kulissen.

Der Pianist stolperte in Richtung Bar davon, während sich die staubigen Samtvorhänge lautlos schlossen. Als Titus in seinen Mantel schlüpfte, fühlte er sich seltsam schmutzig, als ob ihm der Mief des Clubs sämtliche Poren verstopfte. Draußen sog er erst einmal gierig die frische kalte Nachtluft tief in die Lungen, bevor er um das Gebäude herum zu einer Tür auf der Rückseite ging.

Die mittelalte Frau, die auf sein Klopfen hin öffnete, musterte ihn fragend von oben bis unten. „Kann ich Ihnen weiterhelfen?“

„Ich hoffe. Ich möchte zu Roxy Carmichael.“

„Sind Sie angemeldet?“

Titus schüttelte den Kopf. „Nicht direkt.“

Diesmal musterte ihn die Frau noch eingehender. „Sind Sie von der Presse?“

Titus verzog den Mund zu einem sardonischen Lächeln. Er mit seiner sich über Jahrhunderte erstreckenden aristokratischen Ahnenreihe sollte aussehen wie irgendein x-beliebiger Presseheini? Er schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ich bin nicht von der Presse.“

„Sie empfängt keine Besucher“, informierte ihn die Frau desinteressiert.

„Sind Sie sicher?“ Titus zog eine schmale lederne Brieftasche aus der Innentasche seines Mantels und holte einen Geldschein heraus, den er ihr in die Hand drückte. „Vielleicht versuchen Sie es ja noch mal … in aller Freundlichkeit, okay?“

Die Frau zögerte einen Moment, bevor sie die Banknote hastig in die Tasche ihres Kleides stopfte. „Aber ich kann nichts versprechen“, murmelte sie unwirsch und bedeutete ihm, ihr zu folgen.

Sobald die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, fühlte sich Titus von einer deprimierend trübseligen Backstage-Atmosphäre umfangen. Natürlich hätte er Roxanne Carmichael auch erst morgen mit der harten Realität konfrontieren können, doch da sein Blut jetzt schon mal in Wallung war, hatte er beschlossen, die Sache unverzüglich hinter sich zu bringen. Zumal er es hasste zu warten.

Die Frau in dem geblümten Kleid blieb vor einer Tür stehen und klopfte.

„Wer ist da?“, fragte eine atemlose Stimme, die er umgehend Roxy Carmichael zuordnete. Der sinnliche Unterton darin bewirkte, dass die Haut in seinem Nacken zu kribbeln begann. Er stand verdeckt im Schatten, als die Tür aufging und aus der schäbigen Garderobe ein Streifen Licht auf den Gang fiel.

„Ich bin’s, Margaret“, erwiderte die Frau, während sie in ihrer Tasche kramte, als wollte sie sich davon überzeugen, dass der Geldschein, den sie eben erhalten hatte, noch da war.

Roxanne, die sich vor dem Garderobenspiegel gerade die letzten Reste des schmierigen Bühnen-Make-ups aus dem Gesicht gewischt hatte, drehte sich um, bemüht, sich ihre Frustration nicht anmerken zu lassen. Was gar nicht so einfach war. Immerhin war es wirklich nicht der Abend ihres Lebens gewesen, und was gab es Deprimierenderes, als in einem heruntergekommenen, schlecht besuchten Club vor einem angetrunkenen Publikum zu singen? Der Kit-Kat-Club befand sich im Niedergang, und sie wusste, dass es ihr nicht gelungen war, die Gäste zu erreichen. Aber hatte das Management sie nicht genau davor heute Morgen erst gewarnt … dass Erfolglosigkeit nicht toleriert werden konnte?

Sie versuchte sich einzureden, dass es nicht persönlich gemeint war, sie wusste schließlich, wie hart das Musikgeschäft war. Wahrscheinlich war sie immer noch verwöhnt, weil sie zu Beginn ihrer Karriere mehr Glück als Verstand gehabt hatte. Aber sie war müde. Hundemüde. Ausgelaugt und leer, außerdem hatte sie ständig so ein grässliches Kratzen im Hals, dem einfach nicht beizukommen war.

Mit einem unterdrückten Gähnen betrachtete sie die Frau in dem geblümten Kleid, die mit erwartungsvollem Gesicht auf der Schwelle stand, und zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, was gibt’s, Margaret?“

„Da ist ein Herr, der Sie sprechen will.“

Ein Herr? Roxanne legte den feuchten Wattebausch auf den ramponierten Garderobentisch, während um ihre Mundwinkel ein Grinsen huschte. Früher hatten tobende und kreischende Fans den Gang vor ihrer Garderobe belagert. Ganze Horden von Sicherheitsleuten waren dafür bezahlt worden, ihr diese Menschenmassen vom Leib zu halten, aber das war lange her. Heutzutage waren Besucher selten, und wenn es wirklich einmal einer hinter die Bühne schaffte, war Misstrauen angebracht. War es möglich, dass ihr Vater aus der Versenkung aufgetaucht war … mit einem neuen lächerlichen Plan für ein „Comeback“? Sie presste den Mund zusammen. Zweifellos benötigte ihre Karriere dringend neuen Schwung, aber ihren Vater konnte sie dabei getrost vergessen. Als sie an die rapide dahinschmelzende Anzahl ihrer Fans und die immer schmuddeligeren Clubs dachte, brach es ihr fast das Herz. So wie jetzt konnte es jedenfalls nicht mehr lange weitergehen, das stand fest. Sie würde sich ganz schnell etwas Neues einfallen lassen müssen.

„Hat er gesagt, wie er heißt?“, fragte sie. „Ist er von irgendeiner Zeitung?“

Margaret zuckte die Schultern. „Er sagt Nein. Und er sieht auch nicht so aus. Er sieht … na ja …“ Sie senkte die Stimme. „Also, er sieht … richtig gut aus.“

Roxanne fröstelte. Es gab nur eines, was noch schlimmer war als ein Journalist, der von seiner Zeitung den Auftrag bekommen hatte, für die Was-macht-eigentlich-Rubrik einen Artikel über sie zu schreiben, und das war ein Mann, der fand, dass es sich immer noch lohnte, Jagd auf sie zu machen. Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin an gutaussehenden Männern nicht interessiert.“

„Und reich“, fügte die ältere Frau mit Nachdruck hinzu.

Jetzt horchte Roxy auf, wahrscheinlich, weil sie sich noch immer irgendwelchen Illusionen hingab. Konnte es sein, dass ihr Traum am Ende doch noch wahr wurde? Dass irgendein reicher Impressario im Publikum sie singen gehört und beschlossen hatte, ihr eine Chance zu geben? Irgendjemand, der erkannt hatte, dass sie immer noch viel zu viel Talent besaß, um es in irgendwelchen schmuddeligen Nachtclubs zu verschleudern? Und falls das so war, konnte es doch bestimmt nicht schaden, ein bisschen Charme zu versprühen, oder?

Sie strich sich mit der Hand übers Haar und legte einen warmen Unterton in ihre Stimme. „Und warum bitten Sie den Herrn dann nicht herein?“

Titus, der jedes Wort mitgehört hatte, presste die Lippen zusammen. Obwohl er wirklich nicht überrascht sein sollte. Was hatte er erwartet? Dass sie genug Stolz besaß, um den unbekannten Besucher abzuweisen? Natürlich nicht. Das Wort reich war das Schlüsselwort gewesen, danach hatte ihre Stimme vor Gier gezittert. Es gab Frauen, die käuflich waren, und sie war eine davon. Plötzlich hatte er einen gallebitteren Geschmack im Mund, aber er schluckte und machte einen Schritt nach vorn.

„Sie können …“, begann Margaret, doch Titus war bereits in der winzigen Garderobe.

Roxy riss überrascht die Augen auf, als sie im Spiegel hinter sich die hochgewachsene Gestalt sah, die den vollgestopften engen Raum fast ganz ausfüllte. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander, während der Mann die Tür hinter sich schloss. Als sie sich der immensen Energie bewusst wurde, die er ausstrahlte, fühlte sie sich für einen kurzen Augenblick richtig schwach. Es war, als würde sie in ein Magnetfeld gezogen, und als sie zum ersten Mal seinem eisigen Blick begegnete, war da noch etwas. Etwas, das sie sofort wieder vergessen wollte, es aber nicht konnte.

Verlangen.

Sie schluckte. Verlangen war das Letzte, was sie jetzt brauchte. Sie spürte hilflos, wie es sich, einem Strom glühender Lava gleich, durch ihre Adern wälzte, und plötzlich bekam sie in dem engen Raum klaustrophobische Ängste. Sie wollte nur noch raus hier, ganz weit weg von diesen Empfindungen, die er in ihr auslöste. Sie wollte davonlaufen vor diesem stahlgrauen Blick, der sie durchbohrte und ihr Herz zum Rasen brachte. „Ich kann mich nicht erinnern, Sie gebeten zu haben, die Tür zuzumachen“, sagte sie scharf.

Titus schaute sie an. Um seine Mundwinkel zuckte ein hartes Lächeln, als er registrierte, dass sich – wenig überraschend – ihre Pupillen geweitet hatten. Er wusste, dass Frauen so auf ihn reagierten. „Vielleicht wissen Sie es ja zu schätzen, wenn das, was ich Ihnen zu sagen habe, unter uns bleibt“, erwiderte er mit samtiger Stimme.

Roxy, eigentlich fest entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen, brachte plötzlich kein Wort heraus. Ob das an seinem Aussehen, seinem Auftreten oder an der arroganten Färbung seiner Stimme lag, die ihn unüberhörbar als ein Mitglied der feinen Gesellschaft auswies, wusste sie nicht. Was immer es auch sein mochte, sie war machtlos dagegen. Ihr Blick klebte an ihm, und sie schaffte es nicht, ihn loszureißen.

Der Mann war ungefähr ein Meter fünfundachtzig groß, vielleicht sogar größer. Eingehüllt in seinen eleganten dunklen Kaschmirmantel, der ihn bestimmt traumhaft wärmte, strahlte er mehr Charisma aus als jeder andere Mann, der ihr bisher begegnet war. Und das wollte im Musikgeschäft schon etwas heißen.

Sein atemberaubender Körper war mit Sicherheit ein Grund, dass ihm die meisten Frauen einen zweiten Blick zuwarfen, aber die edlen Stoffe, in die er diesen Körper hüllte, garantiert auch. Sein Gesicht war das faszinierendste Gesicht, das sie jemals gesehen hatte. Hohe, wie gemeißelt wirkende Wangenknochen, die in einem scharfen Kontrast zu den sinnlichen Lippen standen. Das Haar glänzte und erinnerte an die Mähne eines Löwen. Und es gab noch mehr Ähnlichkeiten mit dem König des Dschungels. Er bewegte sich mit der geschmeidigen Anmut eines Raubtiers, wobei er alles, was seine kalten Augen erfassten, als sein Eigentum zu betrachten schien.

Roxy reagierte nicht auf seinen durchdringenden Blick, zumindest nicht offensichtlich. Auch wenn sie angesichts seiner verheerenden Ausstrahlung unweigerlich Herzklopfen bekommen hatte, würde er das niemals erfahren. Sie war es gewohnt, ihre Gefühle vor ihren Mitmenschen zu verbergen. Nein, mehr noch … sie war eine Expertin.

Sie drehte ihm immer noch den Rücken zu, während sie erneut den Wattebausch ergriff und sich mit ihm den blutroten Lippenstift von den Lippen wischte und ihn dabei im Spiegel unauffällig im Auge behielt. Weil ihr sehr schnell klar geworden war, dass das kein Impresario war. „Es wäre nett, wenn Sie sich erst einmal vorstellen würden“, sagte sie kühl.

Titus verschlug es für einen Moment die Sprache. So eine Behandlung war er nicht gewohnt und von einer Frau schon gar nicht. Er schluckte, runzelte die Stirn. „Mein Name ist Titus Alexander“, sagte er schließlich, wobei er ihr Gesicht im Spiegel genau beobachtete, aber sie verzog keine Miene. Sie war immer noch damit beschäftigt, sich diesen knalligen Lippenstift abzuwischen. Und plötzlich ertappte er sich bei der Frage, wie diese Lippen wohl schmecken mochten. Ob sie dieselbe Magie entfachen konnten wie ihre Stimme …

„Und was kann ich für Sie tun, Mr Alexander?“, fragte sie gelangweilt.

„Ich möchte mit Ihnen reden.“

„Dann reden Sie.“

„Vielleicht hätten Sie ja die Güte, sich umzudrehen“, sagte er.

Ihre Blick begegneten sich im Spiegel. „Warum sollte ich? Ich bin beschäftigt, das wird Ihnen ja wohl kaum entgangen sein“, entgegnete sie.

Weil deine Augen so unvorstellbar blau sind, dass ich sie unbedingt aus der Nähe sehen muss. Peinlich berührt von dem Gedanken zwang er sich, sofort an etwas anderes zu denken. Sie war ein abgehalfterter Popstar, eine geldgierige kleine Schlampe. „Auch wenn Sie es vielleicht altmodisch finden, behagt es mir trotzdem nicht, mit Ihrem Rücken zu reden“, meinte er von oben herab.

Jetzt endlich geruhte sie sich umzudrehen … langsam, unerträglich langsam. Das Dunkelrot war von ihren Lippen verschwunden. „Also, was wollen Sie?“, fragte sie schroff.

Als Titus wieder von demselben heftigen Ziehen in der Leistengegend heimgesucht wurde, wünschte er sich, dass sie sich nicht umgedreht hätte. Weil er jetzt von ihren Brüsten abgelenkt wurde, die sich allzu verführerisch unter dem billigen glitzernden T-Shirt abzeichneten. Fast, als bettelten sie darum, berührt zu werden. Nur mit Mühe riss er seinen Blick los und schaute ihr in die saphirblauen Augen. „Sie kennen Martin Murray?“

Roxy zuckte wegwerfend die Schultern. „Ich kenne viele Leute.“

„Soweit ich weiß, kennen Sie ihn sehr gut.“

Sie überhörte die Unterstellung, die in seinem Ton mitschwang. Wie käme sie dazu, sich zu rechtfertigen? „Ob oder wie gut ich ihn kenne, geht nur mich etwas an.“

„Oh, darüber kann man geteilter Meinung sein.“

Roxy warf den Wattebausch in den Abfalleimer und stand auf, wobei ihr erst in diesem Moment bewusst wurde, dass sie immer noch ihre abenteuerlich hohen Bühnenpumps trug. „Es ist spät. Ich bin müde und will nach Hause. Deshalb schlage ich vor, dass wir das jetzt abkürzen und Sie mir verraten, warum Sie hier sind und mich diesem Verhör unterziehen.“

„Vielleicht, weil ich das Recht dazu habe“, erwiderte er. „Weil Sie zufälligerweise in meinem Haus ohne gültigen Mietvertrag eine Wohnung bewohnen.“

Roxy schnaubte verächtlich, aber als sie sein Gesicht sah, begann ihr Herz ängstlich zu klopfen. „Machen Sie sich nicht lächerlich“, fauchte sie ihn an. „Ich werde ja wohl meinen Vermieter kennen. Sie sind es jedenfalls nicht.“

„Sind Sie sicher?“

„Absolut.“

„Sie wohnen in Notting Hill Gate, in einem Penthouse, richtig?“

Woher zum Teufel wusste er das? Wieder bekam sie ein mulmiges Gefühl, was sie mit einem empörten Blick zu kaschieren versuchte. „Laufen Sie mir nach?“

Jetzt lachte Titus leise auf. „Träumen Sie ruhig weiter, Sweetheart. Glauben Sie ernsthaft, ich hätte es nötig, irgendeiner Frau nachzulaufen, geschweige denn einer abgetakelten Popsängerin, die sich ihren Lebensunterhalt in vergammelten Clubs verdienen muss?“

Das hatte gesessen, aber Roxy gelang es, ihr Pokerface beizubehalten. Das fehlte noch, dass sie sich anmerken ließ, wie sehr seine Worte sie verletzt hatten. „Und woher wissen Sie dann, wo ich wohne?“

„Ich sagte es bereits. Weil mir das Haus gehört.“

Roxy spürte das Gewicht ihres langen Haars im Nacken, der nach ihrem Auftritt immer noch schweißfeucht war. „Das kann nicht sein“, widersprach sie heiser. „Zumindest das Penthouse, in dem ich wohne, gehört Martin.“

„Martin, ja? Hat er Ihnen das weisgemacht? Und auch, dass er reich ist, damit Sie mit ihm ins Bett gehen?“ Er schnaubte angewidert. „So läuft das doch, oder? Die Männer belügen nicht nur ihre Ehefrauen, sondern auch ihre Geliebten. Nur dass die Ehefrau meistens ahnungslos ist, weil sie damit beschäftigt ist, sich um das Wohl der Familie zu kümmern, während die Geliebte weiß, dass es zu diesem erbärmlichen Spiel dazugehört. Aber wem sage ich das.“ Er durchbohrte sie mit seinem verächtlichen Blick. „Eine Frau, die einer anderen Frau den Ehemann wegnimmt, ist moralisch verkommen.“

Roxy schob ihre Hände tief in die Taschen ihrer Jeans, damit er nicht sah, dass sie zitterten, und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich habe noch nie einer Frau den Mann weggenommen.“

„Tatsächlich?“ Seine dunklen Augenbrauen schossen nach oben. „Dann haben Sie sich von Martin also kein Liebesnest einrichten lassen?“

„Wie käme ich dazu!“

„Sparen Sie sich Ihre Lügen, sie interessieren mich nicht“, fuhr er sie an. „Mich interessiert nur, dass einer unserer Angestellten Ihnen unbefugt eine unserer Wohnungen vermietet hat. Deshalb verlange ich, dass Sie ausziehen!“

„Einer Ihrer … Angestellten?“, wiederholte Roxy, während sie sich zu erinnern versuchte, ob Martin Murray Titus Alexanders Namen jemals erwähnt hatte. Titus war ein ungewöhnlicher Vorname, der ihr bestimmt nicht entfallen wäre. „Ich habe nie von Ihnen gehört, Mr Alexander. Warum sollte ich Ihnen glauben?“

„Nun, vielleicht überzeugt Sie ja das hier.“ Er zog eine Visitenkarte aus seiner Manteltasche und hielt sie ihr hin.

Roxy nahm die Hand aus der Hosentasche und griff nach dem Kärtchen, das von genauso auserlesener Qualität war wie alles an ihm. Auf aufwendigem Grund prangten stolz erhabene schwarze Buchstaben, und als diese sich in ihrem Kopf zu Worten formten, wurde ihr plötzlich ganz schwummrig.

Titus Alexander, Duke von Torchester.

Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen; gleichzeitig bekam sie weiche Knie. Sie hatte nichts im Magen, weil sie sich angewöhnt hatte, kurz vor einem Auftritt nichts mehr zu essen. Unter anderen Umständen wäre sie jetzt vielleicht schockiert auf einen Stuhl gesunken, aber ihr Instinkt warnte sie, sich etwas anmerken zu lassen. Immer noch mit Herzklopfen, schaute sie ihm in die kalten Augen. „Sie sind … Sie sind der Duke von Torchester?“

„Richtig“, bestätigte er knapp. „Und Ihr Geliebter Martin Murray war bei meinem verstorbenen Vater als Verwalter tätig. Klingelt es jetzt bei Ihnen, Miss Carmichael?“

Natürlich klingelte es! Roxy zwang sich, ganz ruhig zu bleiben. Sie durfte jetzt nicht die Nerven verlieren, auch wenn ihr wieder einfiel, was sie über den jungen Duke gehört hatte.

Dass er ein Dreckskerl sein sollte.

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