Hier, jetzt und vielleicht für immer

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Zwei süße Adoptivtöchter und einen spannenden Job als Polizistin: Soweit ist Saras Leben perfekt. Doch immer öfter träumt sie davon, sich zu verlieben und einen Vater für die Mädchen zu finden. Da führt ihr neuester Fall sie mit dem charmanten Adam Canfield zusammen. Vom ersten Moment an fühlt Sara sich zu Adam hingezogen. Nach einem Wohltätigkeitsball küsst er sie so zärtlich, dass sie sich wünscht, zwischen ihnen würde es ewig währen. Aber Adam hat seine Gründe, aus denen er sich nicht hundertprozentig auf Sara einlassen kann. Und sie will ihn nur ganz - oder gar nicht …


  • Erscheinungstag 28.05.2013
  • Bandnummer 1887
  • ISBN / Artikelnummer 9783954465828
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Landschaftsgärtner, der die Grünanlage zwischen dem Sea Breeze Hotel und dem Strand bearbeitete, musterte den Schnappschuss des vierzehnjährigen David Taylor und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, den hab ich nicht gesehen.“

Seufzend steckte Sara Greene das Foto ein. Diese Aussage hörte sie schon den ganzen Vormittag über. Auch sie wiederholte sich, als sie dem Mann ihre Visitenkarte reichte und bat: „Falls Sie ihn doch noch sehen, rufen Sie mich bitte an.“

Sie ging ein paar Schritte weiter. Dann blieb sie auf dem Sand stehen, schloss die Augen und hob das Gesicht zum strahlend blauen Floridahimmel.

Der Junge schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Trotzdem wollte sie weiterhin daran glauben, dass er einfach ausgezeichnet Versteck spielen konnte. Den Gedanken, dass ihm etwas Schlimmes zugestoßen sein könnte, ließ sie noch nicht zu.

Sie gönnte sich noch einen tiefen Zug frischer Seeluft, bevor sie die Augen aufschlug und über den hölzernen Steg zu der strohgedeckten Strandbar namens Beach Bum am Rande der Dünen ging. Sie bezweifelte, dass David Taylor dort aufgetaucht war, aber sie musste jede Möglichkeit ausschöpfen. Vielleicht hatte einer der Angestellten ihn doch irgendwo gesehen.

Nur ein älteres Paar saß an der offenen Bar, beobachtete die Wellen und nippte eisgekühlte Limonade. Für harte Getränke war es schließlich noch zu früh am Tag.

Das Klirren von Flaschen hinter dem langen hölzernen Tresen kündete davon, dass jemand bei der Arbeit war.

„Hallo?“

Das Klappern ging noch ein paar Sekunden lang weiter. Doch dann schoss von hinter dem Tresen so plötzlich wie ein Springteufel jemand hervor. Auf Anhieb erkannte Sara das gebräunte attraktive Gesicht von Adam Canfield, obwohl sie ihn bisher nur auf der anderen Seite der Bar gesehen hatte.

Das strahlende Lächeln, das er bei seinen unzähligen Flirts mit vollbusigen Geschöpfen einzusetzen pflegte, verlor beträchtlich an Glanz, als er Sara erblickte. „Hallo, Detective.“ Er schob die Hände in die Gesäßtaschen seiner Kakishorts. „Noch ein bisschen früh für einen Drink, oder?“

Für einen flüchtigen Moment bedauerte sie, dass er nicht mit ihr schäkerte wie bei ihrer ersten Begegnung. Er gehörte zu den Männern, die mühelos ein Kribbeln bei einer Frau auslösen konnten. Dazu reichte bereits ein verführerischer Blick aus diesen leuchtend grünen Augen oder eine zweideutige Anspielung. Aber er hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr ihn ihre Arbeit als Kriminalistin abstieß.

Das konnte ihr nur recht sein, weil sie kein bisschen an einem Typen interessiert war, der das Leben so sehr auf die leichte Schulter nahm wie er. Deshalb verdrängte sie vorsichtshalber jegliche erotische Fantasien, bevor sie sich ihm näherte. „Ich bin noch im Dienst.“

„Zac ist nicht hier.“ Er warf einen leeren Karton in den Mülleimer. „Hat sich mal wieder irgendwer falsche Beschuldigungen gegen ihn ausgedacht?“

„Eine interessante Vermutung, aber es geht nicht um Mr Parker.“

Adam zog eine dunkle Augenbraue über ihre höhnische Bemerkung hoch. Zac Parker, der Besitzer der Strandbar, war vor einiger Zeit der Brandstiftung bezichtigt worden. Doch die zuständige Brandermittlerin war zu dem Ergebnis gekommen, dass man ihm die Sache in die Schuhe geschoben hatte, und sie war seit Neuestem mit ihm verheiratet.

Sara reichte Adam das Foto. „Hast du diesen Jungen gesehen?“

Während er den Schnappschuss von David auf einem Schulkorridor musterte, kam Suz Thackery aus dem Lagerraum hinter ihm. Sie spähte über seine Schulter auf das Foto. Wie es nicht anders zu erwarten war, schüttelten beide die Köpfe.

„Hat er was ausgefressen?“, fragte Suz.

„Er ist von zu Hause ausgerissen. Da er erst vierzehn ist, läuft die Suche nach ihm auf Hochtouren.“

Erneut betrachtete Adam das Foto. „Wovor läuft er denn weg?“

Sara sah ihn nachdenklich an. Sie musterte die verwegenen Bartstoppeln und die sandfarbenen zerzausten Haare und wünschte sich, diese Attribute würden sie kalt lassen. Obwohl sie stillschweigend übereingekommen waren, dass eine Liaison nicht auf dem Programm stand, beschleunigte sich ihr Puls unwillkürlich jedes Mal, wenn sie ihn sah.

Sie zwang sich, in die reale Welt zurückzukehren. „Du bist die erste Person, die mich das fragt. Die meisten Leute gehen davon aus, dass er ein Problemkind ist, weil er weggelaufen ist.“

Er zuckte die Schultern. „Manchmal ist es nicht das Kind, das einen Tritt in den Hintern verdient.“

Dem konnte sie nur zustimmen. Denn sie wusste durch ihre Berufserfahrung, dass Ausreißer nicht immer aus Auflehnung gegen ihre Eltern handeln. Doch bisher war es ihr nicht gelungen, die Behauptung von Davids Vater zu widerlegen, dass es sich um eine solche Trotzreaktion handelte. Auch wenn ihr der Mann noch so unsympathisch war, ihr lag nun einmal kein Gegenbeweis vor. „Trotzdem ist es nicht gut, wenn er ganz allein unterwegs ist. Es ist zu gefährlich.“

Adam begegnete ihrem Blick. „Mag sein, aber ein Junge in dem Alter kann besser auf sich aufpassen, als die meisten Leute glauben.“

Unwillkürlich fragte sie sich, was ihn zu einer solchen Aussage veranlasste, doch es ging sie eigentlich nichts an und war nicht relevant für ihre Ermittlungen. Sie gab ihm und Suz je eine Visitenkarte. „Trotzdem möchte ich gern angerufen werden, falls ihr etwas seht oder hört, was mir weiterhelfen könnte.“

Obwohl er nickte und die Karte einsteckte, war sie nicht überzeugt, dass er sich tatsächlich bei ihr melden wollte. Sie presste die Lippen zusammen und sagte sich, dass es töricht war, sich weiteren Kontakt zu ihm zu erhoffen.

Plötzlich zerriss ein Schrei die Stille. Sara wirbelte herum und suchte den Strand ab. Eine kleine Menschenmenge stand am Ende des Piers und starrte ins Meer.

Adam stieß einen Fluch aus. „Da ist gerade ein Kind ins Wasser gefallen“, erklärte er, und schon setzte er sich in Bewegung.

Sie schlüpfte aus den Schuhen, schnallte gleichzeitig das Schulterhalfter ab und legte es auf den Tresen. „Pass darauf auf“, trug sie Suz auf und rannte Adam hinterher.

Er erreichte gerade das Ende des Stegs. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, hechtete er kopfüber über das Geländer ins Wasser.

„Aus dem Weg!“, rief Sara den Schaulustigen zu, bevor sie ihm nachsetzte.

Das trübe Wasser schlug über ihrem Kopf zusammen. Suchend drehte sie sich im Kreis, bis sie an die Oberfläche kommen musste, um ihre Lungen mit Luft zu füllen. Adam tauchte neben ihr auf. „Hast du ihn gesehen?“, fragte sie.

Er schüttelte den Kopf und tauchte wieder ab.

Sie folgte ihm und entdeckte das unter Wasser treibende Kind, gerade als er es um den Brustkorb packte. Sie begleitete die beiden an die Oberfläche und schwamm neben ihnen ans Ufer.

Sobald der Junge auf dem Trockenen lag, leitete Sara Wiederbelebungsmaßnahmen ein. Das hysterische Weinen einer Frau, wahrscheinlich seiner Mutter, durchdrang kaum das Rauschen in ihren Ohren, während sie sich ganz auf ihre Aufgabe konzentrierte.

Nach einer Weile begann das Kind zu husten und das Wasser auszuspucken, das es verschluckt hatte. Seine Mutter stürzte zu ihm und drückte es an sich.

„Der Krankenwagen ist unterwegs“, verkündete einer der Umstehenden.

Sara setzte sich auf den Sand und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Ihr Herzschlag beruhigte sich gerade wieder, als Adam vor ihr auftauchte. Wasser rann ihm über die nackte Brust, die ihre Aufmerksamkeit fesselte und ihren Puls prompt wieder beschleunigte.

Sie hatte gesehen, wie er das Hemd auf dem Weg zum Pier abgestreift und auf den Sand geworfen hatte. Das hatte sie erstaunlicherweise kaum berührt. Aber das lag bestimmt daran, dass sie sich absolut auf den Notfall konzentriert hatte.

Doch nun, da das Kind wieder wohlauf war, erregte es sie, seinen bloßen Oberkörper zu betrachten. Was war nur in sie gefahren? War es die Nachwirkung des Adrenalinstoßes?

Sie zwang sich, den Blick zu seinem Gesicht zu heben. Ihr fiel auf, dass er blass und erschüttert aussah. „Ist dir nicht gut?“

Ohne jegliche Reaktion starrte er für einige Sekunden zu dem Kind. Dann schien er aus einer Art Trance aufzuwachen. „Doch, doch.“ Er konzentrierte sich auf Sara, heftete den Blick zunächst auf ihr Gesicht, ließ ihn dann tiefer wandern.

Dadurch wurde ihr bewusst, dass ihr nasses weißes T-Shirt wie eine zweite Haut an ihr klebte und der BH durchschimmerte. Sie nahm ihm nicht wirklich ab, dass er sich wohlfühlte, ließ es aber dabei bewenden. Schließlich geschah es nicht jeden Tag, dass man Zeuge eines beinahe tödlichen Unfalls wurde. „Du hast deine Sache gut gemacht.“

„Du auch.“

Sie blieben im Sand sitzen, bis der Krankenwagen auf dem Parkplatz hinter den Dünen eintraf und die Sanitäter das weinende Kind und seine Mutter abholten.

Dann mussten Sara und Adam dem Einsatzleiter der Polizei Rede und Antwort stehen und sich anschließend den Fragen eines Reporters von der Lokalzeitung stellen.

Adam sah aus, als wäre er lieber mit einem Fallschirm aus Blei eine Klippe runtergesprungen, und Sara sehnte sich danach, sich zu Hause mit warmem Wasser abzuduschen, das nicht nach Fisch roch.

„Willst du jetzt vielleicht doch einen Drink?“, fragte Adam.

„Ich bin immer noch im Dienst, leider.“

Außerdem bezweifle ich, dass Adam Canfield auf der Getränkekarte steht.

Adam nahm einen großen Schluck Limonade und wünschte sich dabei einen kräftigeren Drink. Gedankenverloren beobachtete er, wie Detective Sara Greene über die Dünen davonging. Sie hatte sich das Schulterhalfter wieder umgeschnallt; es war das Einzige an ihr, das nicht tropfnass war.

Er konnte nicht nachvollziehen, warum Frauen sich für eine so gefährliche Branche wie den Gesetzesvollzug entschieden. Weshalb sie sich freiwillig in die Schusslinie begaben. Wieso begreifen sie nicht, dass es keinen Sinn macht, ein Gutmensch zu sein, der die Welt von allem Übel befreien will? Es gibt einfach zu viel Böses auf der Welt, um es beseitigen zu können.

Er schüttelte den Kopf. Das war nicht sein Problem. Sicher, Sara war hübsch anzusehen und beachtlich gebaut, wie das nasse T-Shirt erahnen ließ. Aber es gab so viele reizvolle Püppchen am Strand von Horizon Beach, dass es nicht lohnte, einer Frau nachzustellen, die seine Lebensphilosophie absolut nicht teilte. Er brauchte keinen Doktortitel, um zu wissen, dass sie rein gar nichts von dem Kodex hielt, nach dem er lebte: so sorglos wie möglich, nicht mehr Verantwortung als nötig.

In der Bar auszuhelfen, die er normalerweise als Gast frequentierte, grenzte für ihn bereits an Zumutung. Er tat es nur aus Gefälligkeit für seinen besten Freund Zac, der gerade mit seiner Braut Randi auf Hochzeitsreise war.

Adam konnte es kaum erwarten, dass sie zurückkehrten, damit er wieder eine ruhige Kugel bei seinem regulären Job schieben konnte. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, saß er stundenweise im Kassenhäuschen am Pier seines Wahlheimatortes und knöpfte den Besuchern die Eintrittsgebühr ab.

Selbst nachdem Sara längst seiner Sicht entschwunden war, spukten ihm ihre dunklen Augen und Haare immer noch im Kopf herum.

Suz, die während Zacs Abwesenheit die Strandbar leitete, schob ihn beiseite. „Hör auf, nach ihr zu gieren. Das ist schlecht fürs Geschäft.“

Er wandte sich von den Dünen ab und bewarf sie mit einem Geschirrhandtuch. „Ich habe nicht gegiert. Ich habe nur an das verschwundene Kind gedacht.“

„Ja, ja“, entgegnete sie in spöttischem Ton. „Ich gebe dir keine vierundzwanzig Stunden, bevor du sie unter irgendeinem Vorwand anrufst.“

Er schüttelte den Kopf. „Sie ist viel zu ernst für mich.“ Doch er wusste, dass die Dinge ganz anders gestanden hätten, wenn Sara Sekretärin oder Verkäuferin in einer Eisdiele gewesen wäre.

Suz ging an das andere Ende der Bar, um dem älteren Paar Limonade nachzuschenken und drei Jugendliche zu bedienen, die vom Bodyboarding hereingekommen waren.

Adam ging ins Lager und kramte nach der Kleidung, die Zac dort zum Wechseln aufbewahrte, um seine nasse Hose gegen trockene Shorts zu tauschen.

Eine Getränkelieferung traf ein. Also schleppte Adam einen Kasten nach dem anderen in den Kühlraum. Dann setzte er sich auf die letzte Kiste, um sich von der Anstrengung zu erholen.

Und während er so dasaß, malte er sich aus, mit Sara an diesem kühlen dunklen Ort zu sein und sie zu küssen.

Fluchend strich er sich durch das Haar. Er musste da draußen unter Wasser den Verstand verloren haben. Hatte er es etwa nötig, von einer Frau zu träumen, die sich nicht für ihn interessierte? Er konnte scharenweise weibliche Wesen an Land ziehen. Dabei war er nicht unbedingt auf hirnlose, aber auf unbefangene und entspannte Gespielinnen aus.

Seit er nach Horizon Beach gekommen war, ging er sein ganzes Leben bewusst locker an. Nachdem er zwölf Jahre lang in der Armee gedient und von einem ungastlichen heißen Ort zum nächsten verfrachtet worden war, hatte er ein sorgloses Dasein verdient.

Ein Leben am Meer mit Bikinischönheiten, so weit das Auge reichte, kam ihm da gerade recht. Nichts, was ihm abverlangte, zu denken oder sich zu erinnern oder sich um jemanden zu kümmern.

Abrupt sprang Adam auf und trat gegen eine Bierkiste. Eigentlich sollten die Albträume ihn nur attackieren, wenn er schlief. Aber die Erinnerung an den Jeep, der in die Luft flog, war in seine grauen Zellen eingebrannt.

Erneut rief er sich in Erinnerung, dass ein Gutmensch wie Sara tabu für ihn war. Früher hatte auch er die Welt verbessern wollen, doch dabei war er beinahe draufgegangen.

Manchmal wünschte er sich, er hätte es nicht überlebt.

Die Nachwirkung des beinahe tödlichen Badeunfalls und die Enttäuschung darüber, dass sich keinerlei Anhaltspunkte für David Taylors Aufenthaltsort ergeben hatten, hielten Sara noch immer im Bann, während sie sich zu Hause umzog. Darüber vergaß sie sogar, wie üblich auf dem Weg zur Wache beim Coffeeshop vorbeizufahren.

Koffein wäre jetzt trotzdem eine gute Idee. Da in dem Gebräu, das ihr Kollege Keith Hutchens zuzubereiten pflegte, der Löffel stehen blieb, machte sie einen Umweg zum Getränkeautomaten und kaufte sich eine Cola.

Auf dem Weg zu ihrem Büro begegnete ihr Keith, der zum Streifendienst eingeteilt war. Er deutete mit dem Kopf zum Pausenraum. „Es ist noch Kaffee für dich da.“

„Nein danke. Ich sage es dir höchst ungern, aber ich bin ziemlich sicher, dass in der Kanne altes Motoröl ist.“

„Weiß denn hier niemand einen guten starken Kaffee zu schätzen?“

Lachend ging sie weiter. Doch sobald sie ihren Schreibtisch erreichte, wurde sie sehr ernst. Erneut musterte sie das Foto von David Taylor. Er war ein niedlicher Junge mit dunklem Haar und blauen Augen. Obwohl er in die Kamera lächelte, wirkte er irgendwie traurig und neben der Spur.

Die Frage, die Adam gestellt hatte, kam ihr in den Sinn. „Wovor läufst du wirklich weg?“, murmelte sie.

Wie lange sie das Foto auch anstarrte, es gab ihr keine Antwort und enthüllte auch keinen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort. Dass er irgendwo da draußen ganz auf sich gestellt war, gefiel ihr gar nicht.

„Wie ich hörte, wäre es am Pier fast zu einer Tragödie gekommen“, eröffnete ihr Captain Mark Pierce, als sie ins Büro kam.

Sie warf das Foto auf den Schreibtisch und sah zu ihrem Boss hoch. „Ja, aber es ist alles noch mal gut gegangen.“

Er deutete auf das Foto. „Glück gehabt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nichts seit dem Anruf von der Lady, die ihn am Stadtrand gesehen haben will.“

„Inzwischen könnte er sonst wo sein. Hunderte von Meilen in jeder Richtung.“

Sara wurde das Herz schwer. Noch wollte sie nicht glauben, dass sie dem Jungen nicht helfen konnte. „Er ist jung und hat nicht viel Geld. Ich glaube nicht, dass er sehr weit gekommen ist. Das ist allerdings nur ein Bauchgefühl.“

„Tja, ich weiß aus Erfahrung, dass man ein Bauchgefühl nicht unterschätzen sollte.“ Er klopfte mit den Knöcheln auf den Schreibtisch. „Bleiben Sie dran, aber vernachlässigen Sie die andere Arbeit nicht“, trug er ihr auf, bevor er sich abwandte.

Seufzend nahm sie sich den Aktenstapel auf ihrem Schreibtisch vor und fragte sich, wie Kripobeamte in größeren Städten mit ihren Aufgaben klarkommen mochten. Horizon Beach war gewiss keine Metropole und keine Brutstätte des Verbrechens, und doch war Sara vom Anfang ihrer Schicht bis zum Ende und manchmal darüber hinaus schwer beschäftigt.

Sie steckte das Foto von David in den Ordner, der alle Informationen über den Fall enthielt, die bisher äußerst spärlich waren. Dann sah sie die Post durch. Unter den zahlreichen Briefen, die sie entweder direkt in den Papierkorb warf oder in verschiedene Akten ablegte, befanden sich auch zwei Eintrittskarten zum Helping Hands Ball – dem Wohltätigkeitsfest, das alljährlich von Polizei und Feuerwehr gemeinsam veranstaltet wurde.

Sara seufzte. Ihr schien, als hätte sie die Tanzveranstaltung erst vor einigen Wochen statt vor fast einem Jahr besucht. Und sie war in der Zwischenzeit ihrem Ziel, den richtigen Mann zu finden, kein bisschen näher gekommen.

Das Bild von Adam Canfield tauchte vor ihrem geistigen Auge auf, so abwegig die Vorstellung von ihm in der Rolle des Mr Perfect auch sein mochte. Sie steckte die Karten zurück in das Kuvert und legte es in ihre Schreibtischschublade.

Dass sie überhaupt wieder an ihn dachte, ärgerte sie. Ihr Verstand rebellierte gegen die bloße Idee, dass er attraktiv auf sie wirken könnte. Dass es sie bei ihrem Abgang aus der Bar ihre ganze Willenskraft gekostet hatte, sich nicht umzudrehen und zu prüfen, ob er ihr nachblickte, wollte sie nicht wahrhaben.

Natürlich hat er es nicht getan, sagte sie sich. Sie zählte nicht zu den Frauen, für die er sich interessierte.

Entschieden verdrängte sie die unliebsamen Gedanken an Adam und betrachtete das gerahmte Foto von ihren Töchtern, das auf ihrem Schreibtisch stand. Ihre Priorität war nach wie vor, die bestmögliche Mutter für Lilly und Tana zu sein und einen soliden liebevollen Vater für sie zu finden.

„Ist Ihre Schicht noch nicht vorbei?“

Sara schreckte aus ihren Gedanken auf und blickte zu Captain Pierce hoch, der auf dem Weg zum Ausgang war.

„Eigentlich schon. Ich sortiere nur noch schnell die Post, bevor ich gehe.“ Und ich versuche, dabei nicht davon zu träumen, wie Adam Canfield mit glitzernden Wassertropfen auf der nackten Brust aussieht.

Captain Pierce ging, aber Sara blieb noch eine Weile, bis ihr Verstand wieder korrekt arbeitete. Dann nutzte sie die zehnminütige Fahrt nach Hause, um in den Mommy-Modus zu schalten und unangemessene Fantasien abzuschütteln.

Sie stellte das Auto vor ihrem kleinen gelben Bungalow ab, überquerte die Straße und betrat das Haus von Ruby Phelps, der großmütterlichen Babysitterin der Mädchen.

„Mommy!“, kreischte die dreijährige Lilly und lief zur Tür, um sich Sara in die Arme zu werfen und ihr einen feuchten Schmatzer auf die Wange zu drücken.

Sara wurde es nie leid, das Kosewort von ihren Adoptivtöchtern zu hören. „Wie geht’s denn meinem kleinen Krümel?“

„Super.“

Ruby erschien in der Tür zur Küche. „Wir essen gerade Rosinenkekse. Komm doch rein und iss mit.“

„Gern. Ich bin total erledigt.“ Plötzlich war Sara froh, dass Freitagnachmittag war und ihr zwei freie Tage bevorstanden, die sie mit den Mädchen verbringen konnte.

„Ich habe reichlich gemacht. Also bedien dich nur.“

Sara folgte der älteren Frau in die fröhlich bunt gestrichene Küche und nahm sich einen Keks von dem Teller, der mitten auf dem Tisch stand.

Liebevoll musterte sie Tana, die über ein Schulheft gebeugt am Kopfende saß, mit einem Keks in einer Hand und einem Kugelschreiber in der anderen. Die Adoptionspapiere für die Dreizehnjährige waren noch nicht rechtskräftig, aber in Saras Augen waren sie bereits eine richtige Familie. „Hallo! Wie war’s in der Schule?“

„Gut. Ich muss übers Wochenende für ein Projekt in Biologie zum Pier.“

Sara stöhnte insgeheim bei der Erinnerung an den kleinen Jungen, der beinahe gestorben wäre. „Kannst du das nicht irgendwo anders erledigen?“

„Nein.“

Sie seufzte. Der letzte Ort, an den sie sich an ihrem freien Tag begeben wollte, war der Pier, an dem Adam Canfield Eintrittsgelder von Touristen wie Einheimischen kassierte, die am Golf von Mexiko fischen oder spazieren gehen wollten. Der Pier, der sich zufällig beim Beach Bum, seinem zweiten Zuhause, befand. Der Pier, an dem sie besonders lebhaft und unangemessen von ihm zu fantasieren pflegte.

Hätte sie nicht schon lange die Überzeugung vertreten, dass das Schicksal einen verdrehten Sinn für Humor aufwies, wäre sie spätestens jetzt zu dieser Erkenntnis gekommen. „Was ist das für ein Projekt?“

Tana hob den Kopf. Ihre dunklen Augen wirkten ernst. „Ich muss eine Stunde lang alle Meerestiere auflisten, die von den Fischern gefangen werden. Dann muss ich Details über ihre Population und Migrationsmuster recherchieren.“

„Die siebte Klasse hat sich gewaltig verändert, seit ich sie absolviert habe.“

„Tja, das ist ja auch eine Ewigkeit her.“

„So lange nun auch wieder nicht, du Frechdachs“, widersprach Sara mit gespielter Empörung.

Tana grinste nur und biss in den Keks.

„Am besten gehen wir ganz früh hin, bevor es zu heiß wird.“ Vielleicht war Adam dann noch zu verschlafen oder zu verkatert, um ihre Anwesenheit zu bemerken.

„Wenn’s sein muss“, murmelte Tana wenig begeistert, weil sie ein ausgesprochener Morgenmuffel war.

Sara plauderte ein paar Minuten mit Ruby, bevor sie die Mädchen über die Straße zu ihrem eigenen Haus scheuchte. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als ein ausgedehntes warmes Bad. Nun, vielleicht gab es etwas, das ihr noch lieber gewesen wäre. Aber ihr ausgeprägter Sinn für Realität veranlasste sie, ein duftendes Schaumbad ganz oben auf die Wunschliste zu setzen. Vorher musste sie allerdings das Abendessen zubereiten und wollte ein paar schöne Momente mit den Mädchen verbringen.

Kaum hatte sie in der Küche zu hantieren begonnen, da klopfte es an die Haustür. Es war Ruby mit Lillys Winnie-Pooh-Kuscheldecke. „Die hat sie bei mir vergessen. Ohne die schläft sie bestimmt nicht ein.“

„Danke.“

Ruby neigte den Kopf zur Seite und musterte Sara eingehend. „Ist bei dir alles klar? Du siehst aus, als ob dich etwas bedrückt.“

„Es war nur ein langer Tag.“

„Ich habe gehört, was am Pier passiert ist. Geht es dem kleinen Jungen gut?“

„Ja.“ Dank Adam. Er mochte nicht der Richtige für Sara sein, doch er hatte einem Kind das Leben gerettet. „Aber ich habe den Tag überwiegend damit zugebracht, nach einem vierzehnjährigen Ausreißer zu suchen, der sich in Luft aufgelöst zu haben scheint. Niemand hat ihn gesehen.“

„Leute aufzuspüren, die nicht gefunden werden wollen, ist meistens schwer. Wovor läuft er denn weg?“

Sara beobachtete, wie Ruby sich das kinnlange silbergraue Haar aus dem runzeligen Gesicht strich. „Du bist schon die zweite Person, die mich das heute fragt.“

„Wer war denn die andere?“

„Niemand Wichtiges. Das Entscheidende ist, dass ich das Kind nicht finden konnte und es vermutlich die Nacht ganz allein irgendwo da draußen verbringt.“

„Honey, du kannst nicht alles und jeden retten.“

„Ich weiß“, räumte Sara ein, doch sie seufzte dabei schwer.

„Du solltest dir mal einen Tag ganz für dich nehmen und vielleicht sogar etwas ganz Verrücktes tun – wie mit einem Mann ausgehen.“

„Ich gehe häufig aus.“

„Wann war denn das letzte Mal?“

Sara öffnete den Mund, nur um festzustellen, dass sie keine Antwort parat hatte.

„Genau das meine ich.“

„Horizon Beach bietet nicht gerade eine große Auswahl an Männern, die infrage kommen.“

„Vielleicht stellst du zu hohe Erwartungen und legst zu strikte Maßstäbe an“, gab Ruby mit funkelnden Augen zu bedenken. „Du solltest etwas lockerer werden. Es geht nur um ein Date, nicht um eine lebenslange Verpflichtung.“

Sara sagte nichts dazu. Doch sie sah nicht ein, warum sie Zeit mit Männern vergeuden sollte, die von vornherein nicht ihren Vorstellungen entsprachen.

Und Adam Canfield passt so ganz und gar nicht in mein Konzept.

2. KAPITEL

Die Straße lag still und verlassen da, als Adam nach der Arbeit in seine Auffahrt einbog und den Motor abstellte. Kein Wunder um zwei Uhr morgens. Die einzigen Geräusche, die er hörte, waren das ferne Rauschen der Wellen und das Summen von Klimaanlagen.

Es geschah nicht zum ersten Mal, dass er zu dieser Stunde nach Hause kam. Da er den Abend entgegen seiner Gewohnheit hinter statt vor der Bar verbracht hatte, war seine Müdigkeit jedoch ausgeprägter als üblich. Ganz zu schweigen von den vielen Fragen der Gäste, die herausgefunden hatten, dass er derjenige war, der vom Pier gesprungen war, um dem Jungen das Leben zu retten.

Es wurde höchste Zeit, dass Zac endlich zurückkam. Andererseits verdienten er und Randi die ausgedehnten Flitterwochen nach allem, was sie durchgemacht hatten. Brandstiftung, falsche Beschuldigungen, nur knapp dem Tode entronnen.

Es erschien Adam seltsam, dass sein bester Freund nun verheiratet war, aber er gönnte den beiden ihr Glück. Es muss ein schönes Gefühl sein, jeden Abend zu einer Person nach Hause zu kommen, von der man geliebt wird, und in ihren Armen einzuschlafen und wieder aufzuwachen.

Bei dieser Vorstellung kam ihm unwillkürlich Sara Greene in den Sinn. Das gefiel ihm gar nicht. Er musste sich gründlich ausschlafen, anstatt sich für eine Frau zu erwärmen, die er längst für sich abgeschrieben hatte.

Auf dem Weg vom Carport zur Haustür hörte er ein Geräusch neben dem Haus. Er blieb stehen und lauschte. Da war es erneut. Es kam aus dem Garten. Er schlich sich an der Mauer entlang. Am rückwärtigen Zaun bewegte sich etwas. Ihm schien, dass jemand in das Nachbargrundstück an der Parallelstraße schlüpfte. Er lief zu der Stelle hinüber, an der er die Gestalt gesehen hatte, und suchte den Garten nebenan ab, konnte aber nichts entdecken. Weil er zu müde war, um die Sache weiterzuverfolgen, kehrte er zu seinem Haus zurück.

Die Eingangstür war verschlossen; trotzdem durchsuchte er alle Räume, um sich zu vergewissern, dass niemand eingedrungen war und nichts fehlte.

Nach einigen Minuten war er überzeugt, dass alles in Ordnung war. Er atmete erleichtert auf, denn er fühlte sich zu erschöpft, um sich zum zweiten Mal an diesem Tag mit Polizisten und Reportern auseinanderzusetzen. Er wollte nur noch ins Bett fallen und zwölf Stunden durchschlafen. Leider waren ihm nur fünf vergönnt.

Er stopfte sein verschwitztes T-Shirt in den Wäschekorb. Als er sich die Shorts auszog, fiel ihm die Visitenkarte in der Gesäßtasche ein. Er zog sie heraus und setzte sich auf die Bettkante.

Einen Moment lang zog er in Erwägung, dass der Eindringling in seinem Garten David Taylor gewesen sein könnte. Das wäre ein legitimer Grund, Sara anzurufen.

Autor

Trish Milburn
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