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Wie konnte Alison das nur passieren? Die Traumhochzeit mit Ross Templeton war doch nur gespielt, um seinen kranken Vater glücklich zu machen. Doch nun scheint es der attraktive Hotelier ernst zu meinen! So hat Alison nicht gewettet. Aus Angst vor zu viel Gefühl flieht sie…


  • Erscheinungstag 13.09.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753153
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Alison Bennett floh vor einer Nonne.

Als sie in den Vorraum der Modelagentur Little Angels stürmte, zuckte Dee Kirk, ihre Empfangsdame, erschrocken zusammen. „Sie sollten doch erst nächste Woche zurückkommen!“, rief sie, während Alison ihr Büro ansteuerte.

Alison hielt sich nicht mit Erklärungen auf und achtete auch nicht auf die kleinen Kinder und deren liebevoll oder streng dreinsehenden Eltern. Wenn sie nur schnell genug lief, merkte hoffentlich niemand, dass sie eine schlecht sitzende Nonnentracht trug und von einer Nonne mit Laufschuhen verfolgt wurde.

Aus Angst, Schwester Joan könnte sie einholen, blickte sie nicht zurück. In ihrem Büro angekommen, glaubte sie sich in Sicherheit, doch die Nonne mit Felicitys Kinderwagen hatte sie nicht abgeschüttelt.

„Lieber Himmel!“, rief Schwester Joan, die von der Verfolgungsjagd nicht im Geringsten außer Atem war. „Sie haben es aber eilig, wieder an die Arbeit zu kommen!“

Das war eine glatte Untertreibung!

Bevor Schwester Joan sie überredet hatte, sich für eine Woche ins Kloster St. Felicity’s zurückzuziehen, war Alison völlig ausgelaugt gewesen. Ihre Firma lief hervorragend, doch sie hatte seit fünf Jahren keinen richtigen Urlaub mehr gemacht.

Immer mehr Leute mieteten Kinder bei der Modelagentur Little Angels. Trotzdem konnte Alison nicht alle vermitteln, die sich jeden Tag im Warteraum drängten, und es fiel ihr schwer, so viele Kinder abweisen zu müssen.

Zu allem Überfluss rief ihre Mutter täglich an und erkundigte sich, ob sie für den Rest ihres Lebens allein bleiben wollte. Mutter stellte es geradezu so hin, als wäre Alison selbst daran schuld und nur zu stur, um etwas daran zu ändern.

Ach ja – in dieser Woche jährte sich außerdem der Tag, an dem Alison von Mr. Wesley Westerbrook vor dem Altar stehen gelassen worden war. Und dafür machte ihre Mutter sie tatsächlich noch immer verantwortlich. Das hatte sicher zum angeschlagenen Zustand ihrer Nerven beigetragen.

Alison musste also unbedingt abschalten. Auf Schwester Joans Drängen entschied sie sich für eine Woche im Kloster St. Felicity’s und hoffte, dort Ruhe und Frieden zu finden. Sie sah sich schon allein in einer spartanisch, aber behaglich eingerichteten kleinen Zelle mit einer flackernden Kerze. Vögel sangen vor dem Fenster, während Alison über die Freuden des Alleinseins nachdachte.

Eine Woche lang wollte sie wie Audrey Hepburn in Geschichte einer Nonne das Klosterleben ausprobieren – ohne Telefon, ohne enttäuschte Klienten, ohne Mutter, die ihr vorhielt, dass sie Wes hatte ziehen lassen. Nach sieben Tagen wollte sie die Klostermauern körperlich erholt und seelisch gestärkt verlassen.

Das hatte sie sich ausgemalt. Anstelle einer Woche voll Ruhe und Frieden hatte sie sich fünf Tage in einem katholischen Arbeitslager wiedergefunden. Und die Aufseherin war keine andere als Schwester Joan gewesen.

„Der Aufenthalt bei Ihnen hat mich von sämtlichen Problemen befreit“, versicherte Alison. „Im Vergleich zu den Erfahrungen im Kloster ist es ein wahrer Genuss, Hunderten kleiner Models zu einer Karriere zu verhelfen.“

Alison blickte sich in dem großen Büro um und hätte am liebsten vor Freude geweint. Wieso hatte sie jemals all diesen Luxus für selbstverständlich angesehen? Wieso hatte sie gedacht, die Leitung einer Modelagentur für Kinder wäre anstrengend? Wieso hatte sie die Lektion vergessen, die sie in zwölf scheinbar endlosen Jahren in einer katholischen Schule gelernt hatte?

„Ach, übertreiben Sie nicht“, meinte Schwester Joan lachend.

Alison warf der Schwester einen energischen Blick zu. „In Ihrem Kloster erhält das Wort Sklavenarbeit eine völlig neue Bedeutung. In fünf Tagen habe ich mehr geschuftet als in meinem ganzen bisherigen Leben. Und habe ich dafür vielleicht Ankernennung erhalten?“

„Sie können Schwester Catherine nicht vorwerfen, dass sie leicht verstimmt war“, wehrte Schwester Joan ab. „Schließlich haben Sie alle ihre preisgekrönten Obststräucher umgehackt.“

„Woher sollte ich denn Bescheid wissen? Für mich haben sie wie Unkraut ausgesehen.“ Allein schon bei der Erinnerung an Schwester Catherine, die Mutter Oberin in St. Felicity’s, schauderte Alison. Dabei hatte sie doch nur mit der Heckenschere etwas zu viel weggeschnitten. Wie demütigend, als erster Mensch aus dem Kloster hinausgeworfen zu werden! „Ich gehöre eben nicht nach St. Felicity’s.“

„Aber Sie konnten mit den Kindern so wundervoll umgehen!“

Bei dem Gedanken an das Kinderheim im Kloster stöhnte Alison. Bestimmt wurde sie noch jahrelang von Albträumen geplagt. Nach der Katastrophe im Garten hatte Schwester Catherine sie ins Kinderheim gesteckt. Immerhin hatte Alison beruflich mit Kindern zu tun. Nach vier Tagen Arbeit in der Tagesstätte von St. Felicity’s schätzte Alison sich glücklich, normalerweise nur indirekt mit Kindern zu arbeiten, die von ihren Eltern beaufsichtigt wurden.

Am Ende der Woche besaß sie kein einziges Kleidungsstück mehr, das nicht zerrissen war, Spuren von Fingerfarbe aufwies oder mit Mageninhalt in Berührung gekommen war. Nachdem die süße kleine Felicity heute Traubensaft auf Alisons Lieblingskleid gespuckt hatte, musste sie Ersatzkleidung von Schwester Joan anziehen. Der graue Pullover und die weiße Bluse waren so eng, dass Alison jetzt wusste, wie sich das Opfer einer Boa constrictor fühlte.

Zu allem Überfluss reichte Schwester Joan der Rock zwar züchtig bis zu den Knien, endete bei Alison jedoch am halben Schenkel. Dadurch sah sie weniger wie eine Novizin des Klosters, sondern eher wie eine Novizin der Straße aus.

Am liebsten hätte sie nie wieder im Leben ein Baby angesehen. Leider waren die meisten ihrer Klienten jünger als zehn Jahre, und ihre widerspenstigste und am schwersten zu bändigende Klientin saß jetzt direkt vor ihr und zog einen beeindruckenden Schmollmund.

Schwester Joan klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Teppichboden. Zu Pullover und weißer Bluse trugen die Schwestern von St. Felicity’s kleine Schleier und weiße Strümpfe. Für die Fußbekleidung gab es offenbar keine Vorschriften. Schwester Joan hatte sich mit gutem Grund für Laufschuhe entschieden. Sie brauchte schließlich Schuhwerk, das mit ihrem Tempo mithalten konnte.

„Also, Alison, gibt es diese Woche für die kleine Felicity Arbeit?“

Alison betrachtete Felicitys Mündchen, das von dem Zwischenfall mit dem Traubensaft noch bläulich verfärbt war, und schüttelte grimmig den Kopf. „Nehmen Sie es mir nicht übel, Schwester Joan, aber ich glaube nicht, dass Felicity …“

„In der Windelreklame war sie doch großartig. Das haben Sie selbst gesagt!“

Baby Felicity, das die Nonnen auf den Stufen von St. Felicity’s gefunden hatten, konnte auf einen einzigen Triumph in einer kurzen Karriere zurückblicken. Die Kleine hatte in einer Windelreklame ein weinendes Baby in einer tropfenden Windel gespielt. Diese Rolle hatte sie perfekt ausgefüllt. Leider hatte sie nicht zu weinen aufgehört, als sie ein glückliches Baby in einer trockenen Windel darstellen sollte. Ein anderes Kind musste an ihrer Stelle eingesetzt werden.

Es war kaum zu glauben, aber die Welt der Kindermodels war eine Haifischbranche, und ein solcher Vorfall verschaffte einem Baby sofort einen schlechten Ruf. Felicity war jetzt als launenhaft verschrien. Niemand wollte mehr mit diesem Kind arbeiten.

„Es tut mir leid, Schwester.“

Daraufhin versuchte Schwester Joan etwas anderes und setzte auf schlechtes Gewissen. Zuerst seufzte sie tief und dramatisch, ehe sie erklärte: „Vielleicht konnte die arme kleine Felicity nicht zu weinen aufhören, weil ihr bewusst wurde, dass sie ganz allein auf der Welt ist und ihr nur einige mittellose Nonnen helfen.“

Alison wappnete sich. „Schwester Joan …“

„Sie glauben gar nicht, wie begeistert die Leute von ihr sind. Seit das D Magazine über ihren Auftritt in dem Reklamespot berichtet hat, sind die Spenden für St. Felicity’s um dreißig Prozent gestiegen.“

Damit erreichte Schwester Joan ihren Zweck. Prompt bekam Alison ein schlechtes Gewissen. Verschaffte sie Felicity nämlich keine Arbeit, war das, als würde sie den Nonnen und Babys das Essen vom Teller nehmen.

„Habe ich Ihnen eigentlich schon erzählt, dass sie aufgrund des öffentlichen Aufsehens beinahe adoptiert worden wäre?“

„Wie schön!“

„Aber nur beinahe“, betonte die Nonne. „Das Paar hat es sich doch anders überlegt.“

Wieder um eine Hoffnung ärmer. Felicitys Adoption wäre die ideale Lösung gewesen, weil dann das Kind zu Leuten gekommen wäre, die nicht unbedingt Spendengelder auftreiben wollten.

Immerhin hatte Felicitys Gage bereits ausgereicht, um einen Treuhandfond für Waisenkinder anzulegen. In dem Artikel war ein Foto von Felicity erschienen, ein wunderhübsches Kind umgeben von lächelnden Nonnen. Seither waren so viele Spenden eingetroffen, dass in St. Felicity’s der Grundstein für eine neue Tagesstätte gelegt werden sollte.

Alison kam sich wie eine Verbrecherin vor, wenn sie Felicity keine Arbeit verschaffte. Und es machte ihr auch Angst. Bestimmt gab es im Jenseits einen besonders unangenehmen Ort für Leute, die Nonnen und Waisenkindern die Möglichkeit raubten, Geld zu verdienen.

Schwester Joan tat, als würde sie nicht merken, wie unwohl Alison sich in ihrer Haut fühlte. „Vielleicht will eine andere Familie die kleine Felicity bei sich aufnehmen, wenn sie noch einmal in einer Reklame zu sehen ist.“

Im Vorraum entstand Unruhe. Offenbar waren der Vater eines Kindermodels und Dee aneinandergeraten.

„Also wirklich“, meinte Schwester Joan geringschätzig. „Manche Leute sind unglaublich hartnäckig!“

Das musste ausgerechnet sie sagen! Alison seufzte.

„Wir sollen nächste Woche den Morning News ein Interview geben. Den Morning News“, wiederholte Schwester Joan. „Ich glaube aber nicht, dass eine der größten Tageszeitungen einen Artikel über ein Babymodel bringt, wenn herauskommt, dass die Karriere dieses Babys im Keller gelandet ist.“

Alison schüttelte bedauernd den Kopf. Es war eine Tatsache, dass es heute für Felicity keine Arbeit gab. Daran hätte sich nicht einmal etwas geändert, hätte die Kleine nicht nur das Gesicht, sondern auch das Wesen eines Engelchens gehabt.

Schon wollte Alison der Schwester das unmissverständlich klarmachen, als die Tür aufflog. Dee versuchte, den größten, attraktivsten und arrogantesten Kerl aufzuhalten, den Alison jemals gesehen hatte.

Zuerst konnte sie ihn nur anstarren. Bisher war sie ein einziges Mal dermaßen sprachlos gewesen. Das war, als sie Wes traf. Dieser Mann besaß die gleiche arrogante Ausstrahlung.

„Sind Sie hier die Chefin?“, fragte er mit einer tiefen Stimme.

Alison hoffte, dass man ihr nicht ansah, dass sie genauso atemlos wie Dee war. Der Mann mit dem rötlich schimmernden dunkelblonden Haar und sagenhaften blauen Augen war faszinierend. Diese tiefe Bräune bekam man nur in sehr exklusiven tropischen Urlaubsgebieten. Es entging Alison auch nicht, dass sich unter dem teuren Anzug ein Körper wie von einem griechischen Gott verbarg.

Das alles gab ihm jedoch nicht das Recht, einfach hereinzustürmen. „Ja, ich bin die Chefin, wie Sie sehen, und ich bin beschäftigt“, erwiderte Alison möglichst kühl. „Wenn Sie also bitte mit Ihrem Kind draußen warten, bis …“

„Mein Name ist Ross Templeton“, unterbrach er sie. „Und ich habe kein Kind.“

„Dann tut es mir sehr leid. Diese Agentur vermittelt nur Kinder. Wenn Sie Arbeit suchen …“

„Ich bin kein Model“, unterbrach er sie erneut, „sondern Hotelier.“

„Nun, Mr. Templeton, wenn Sie ein Kind in der Werbung einsetzen wollen, sind Sie am richtigen Ort. Im Moment aber …“

Wieder ließ er sie nicht aussprechen, als wäre seine Zeit dafür zu kostbar. „Ich brauche ein Baby, aber nicht für Werbung, sondern für ein Wochenende.“

„Wollen Sie am Wochenende eine Werbekampagne starten?“, fragte Alison.

Er zögerte kurz, ehe er antwortete: „Nicht direkt.“

„Mr. Templeton.“ Ihre Geduld ging allmählich zu Ende. „Das ist hier eine Modelagentur, keine Verleihfirma.“

„Nun, man könnte durchaus sagen, dass das Baby eine Rolle spielen soll.“

Das kam ihr merkwürdig vor. „Sie haben bereits gesagt, dass es sich nicht um Werbung handelt. Was für eine Rolle meinen Sie denn?“

Zum ersten Mal wirkte er unsicher. „Das ist … eine Privatangelegenheit.“

Der Mann mochte teuer gekleidet sein und selbstsicher auftreten, aber er musste verrückt sein. Eine Privatangelegenheit? Auf keinen Fall wollte Alison ihm eines ihrer Models überlassen.

Schwester Joan betrachtete den Mann missbilligend, und Dee wirkte zerknirscht, weil sie Mr. Templeton nicht zurückgehalten hatte.

Ross Templeton merkte, dass er ohne genauere Erklärung nicht vorankam, und räusperte sich. „Also, ich brauche ein Baby, um es als mein Kind auszugeben.“

Verdammt, ich hätte einfach in einem Einkaufszentrum einer Frau ein Bündel Banknoten in die Hand drücken und ihr Kind mieten sollen, dachte Ross verärgert. Aber nein, er hatte geglaubt, über eine Agentur wäre es leichter. Er schätzte schriftliche Verträge. Und er war eigens nach Dallas gefahren, weil er im Haus seines Vaters diese Agentur in den Gelben Seiten gefunden hatte.

Jetzt starrten ihn diese Leute an, als wäre er ein Schwerverbrecher. Natürlich hatte er nicht damit gerechnet, mit Nonnen verhandeln zu müssen. Allerdings war es logisch. Die Agentur hieß Little Angels – Kleine Engel.

Die eine Nonne war eine kleine, ältere Frau mit grauem Haar unter dem kurzen weißen Schleier. Die andere Nonne, die Chefin … Also, eine solche Nonne hatte er noch nie getroffen. Sie sah umwerfend aus. Das schulterlange braune Haar war so dunkel, dass es fast schon schwarz schimmerte. Zudem hatte sie eine zarte Haut, ein schönes Gesicht und große braune Augen.

Während sie ihn entsetzt anstarrte, dachte er, wie schade es doch war, dass eine so tolle Frau Nonne geworden war.

Sicher, ihm konnte das gleichgültig sein. Er brauchte nur ein Kind.

Es war ihm unangenehm zu gestehen, warum er ein Baby mieten musste. Die Verachtung der Nonnen konnte ihn jedoch nicht härter treffen als die Enttäuschung in den Augen seines Vaters.

Sein Dad lag auf der Intensivstation, als er seinen baldigen Tod ankündigte. „Ich bedaure nur, dass ich kein Enkelkind mehr sehen kann, Ross“, sagte Henry. „Ich dachte immer, du hättest dich ausgetobt und würdest endlich zur Ruhe kommen.“

„Ich bin zur Ruhe gekommen, Dad“, erwiderte Ross. „Ich arbeite.“

„Du widmest dich aber nicht der wichtigsten Arbeit überhaupt“, tadelte sein Vater. „Der Familie. Keine andere Aufgabe ist so schwierig und gleichzeitig so lohnend.“

Eine Familie! Ross hatte mit Cara eine gründen wollen. Eine tolle Mutter wäre diese Frau geworden, die ihre Karriere an die erste Stelle setzte! Wahrscheinlich wäre er allerdings auch kein besonders guter Vater gewesen. Die Idee mit dem gemieteten Kind war vermutlich die allerbeste. Im Gegensatz zu anderen Männern sehnte er sich nicht nach Häuslichkeit. Ehe und Kinder waren in seinen Augen eine Falle.

Es war nicht sonderlich fein, ein falsches Enkelkind vorzuzeigen, doch Ross hatte sich stets bemüht, ein guter Sohn zu sein. Er wollte nicht, dass sein Vater von ihm enttäuscht war, wenn er starb.

„Damit ich das richtig verstehe“, sagte die jüngere Nonne. „Sie wollen ein Baby mieten und als Ihren Sohn ausgehen?“

„Oder als meine Tochter“, stellte fest klar. „Ich bin nicht wählerisch.“

„Offenbar nicht“, bemerkte die Frau, mit der er im Vorzimmer Krach bekommen hatte. Wieso hatte eigentlich eine Mitarbeiterin einer religiösen Organisation zehn Ohrringe und eine gepiercte Augenbraue? Vermutlich war das ein sehr liberaler Orden.

Die jüngere Nonne betrachtete ihn misstrauisch. „Ich frage nur ungern, Mr. Templeton, aber warum wollen Sie das machen?“

Normalerweise hätte Ross gewusst, wie er mit dieser Frau umgehen musste. Sie war hübsch, und anfangs hatte sie ihn sogar interessiert betrachtet. Er hätte mit ihr flirten können, bis sie seine Wünsche erfüllte. So machte er das, seit er den Unterschied zwischen kleinen Jungs und kleinen Mädchen kannte.

Aber mit einer Nonne flirten? Das kam wohl nicht infrage, auch wenn die Schwesterntracht ihre gute Figur stark betonte. Die schwarzen Pumps lenkten die Blicke auf die schönen Beine. Darüber hinaus bedeckte sie nicht den Kopf, sondern ließ das herrliche Haar offen fallen. Er hatte auch noch nie eine Nonne mit Make-up gesehen.

Ross beschloss, auf Gefühl zu setzen. Immerhin war sie eine Frau, und die meisten Frauen reagierten gefühlsbetont. Das war ihre Schwäche.

„Ich mache das für meinen Vater“, erklärte er. „Er hatte einen Herzinfarkt und wird wahrscheinlich nicht mehr lange leben. Er ist schon sehr alt, und ich liebe ihn, aber leider habe ich ihn in einer Hinsicht enttäuscht. Er würde wesentlich friedlicher sterben, hätte er ein Enkelkind.“

Es dauerte eine ganze Weile, ehe die jüngere Nonne Worte fand. „Etwas so Verrücktes habe ich noch nie gehört.“

Mit Gefühl erreichte er also nichts. „Dann werden Sie mir nicht helfen?“

Sie stützte die Hände in die Hüften. „Nein! Und ich würde am liebsten die Polizei rufen.“

„Die Polizei?“

„Die Moralpolizei, wenn es das gäbe“, erklärte sie empört. „Sie sollten sich schämen, Ihren Vater dermaßen zu betrügen!“

Sie sah vielleicht nicht wie eine Nonne aus, aber sie sprach ganz sicher wie eine.

Die Reaktion der beiden anderen Frauen machte ihm wieder Mut. Die ältere Nonne wischte sich mit einem blütenweißen Taschentuch über die Augen, und die Empfangsdame himmelte ihn an, als wäre er ein Filmstar.

„Ich bin bereit, viel zu zahlen“, sagte er.

„Das glaube ich gern“, entgegnete die dunkelhaarige Nonne verächtlich. „Ein Mann, der seinen Vater dermaßen belügen will, glaubt auch, dass er so einfach in einer Agentur ein Kind mieten kann.“

„Ich zahle sehr viel“, betonte er.

„Das interessiert mich nicht“, wehrte sie ab. „Ihr Plan ist abscheulich.“

„Wie Sie meinen“, erwiderte er. „Bestimmt finde ich jemanden, der gern zwanzigtausend Dollar verdient.“

Tiefe Stille senkte sich über das Büro. Als Ross sich umdrehen und hinausgehen wollte, packte ihn die ältere Nonne am Arm.

„Zwanzigtausend Dollar?“, fragte die zierliche Frau.

Er nickte.

„Mr. Templeton“, erklärte sie daraufhin, „Sie haben ein Baby.“

Ross lächelte.

Erst jetzt entdeckte er ein weiteres Augenpaar. So blaue Augen hatte er noch nie gesehen. Die Nonnen hatten ihn dermaßen abgelenkt, dass ihm das Baby im Kinderwagen nicht aufgefallen war. Zu den blauen Augen gehörten ein süßes Gesichtchen mit zarter Haut, Pausbacken und flaumig weiches braunes Haar. Sogar der Schmollmund wirkte süß. Es war das niedlichste Kind, das Ross jemals gesehen hatte. Im letzten Moment unterdrückte er sanft gurgelnde Laute, die er ganz automatisch ausstoßen wollte.

„Ist das Ihr Kind?“, fragte er zweifelnd die Nonne.

„Dieses Mädchen ist ein Findelkind aus dem Kloster St. Felicity’s“, erklärte die jüngere Nonne.

Gut, dachte Ross. Keine Eltern, mit denen er sich herumschlagen musste.

„Wir freuen uns, wenn Sie die Kleine nehmen“, versicherte die ältere Nonne mit einem strahlenden Lächeln.

„Schwester Joan!“, rief die Jüngere entgeistert. „Wie können Sie nur? Wir kennen diesen Mann doch gar nicht.“

„Nein“, bestätigte Ross, „aber Sie haben vielleicht schon einmal in einem Templeton Inn gewohnt.“

„Sie sind der Templeton?“, fragte die Empfangsdame mit den vielen Ringen beeindruckt.

Ross fand sie immer sympathischer. „Ich bin sein Sohn.“

„Kein Wunder, dass Sie so einfach zwanzigtausend Dollar zum Fenster hinauswerfen können, nur um ein Baby zu mieten.“

„Wir vermieten keine Babys!“, rief die junge Nonne.

„Warum nicht?“

„Was Sie planen …“

Er wollte schon sagen, dass es einen Sterbenden glücklich machte, doch die ältere Nonne kam ihm zuvor.

„Er will nur seinem Vater am Lebensende etwas Glück bescheren“, meinte Schwester Joan. „Das können Sie nicht schlecht finden, Alison. Das würde nicht einmal die Mutter Oberin … vor allem nicht, wenn ich ihr das von den zwanzigtausend Dollar erzähle.“

„Was er vorhat, ist scheußlich!“, rief diese Schwester Alison trotzdem. „Es ist eine Lüge!“

Schwester Joan überlegte und schüttelte dann den Kopf. „Nur eine kleine Notlüge.“

Während die Nonnen noch über Moral diskutierten, holte Ross das Scheckbuch hervor. Alle drei Frauen blickten bei dem laut ratschenden Geräusch, das beim Herausreißen des Schecks entstand, zu ihm.

„Ich wusste nicht, auf wen ich ihn ausstellen soll“, sagte er zu Schwester Joan und reichte ihr den Scheck.

„Zehntausend Dollar“, flüsterte sie ehrfürchtig.

„Der Rest folgt, wenn das Kind seine Aufgabe erfüllt hat.“

„Jetzt warten Sie doch!“, rief Schwester Alison.

Allmählich ärgerte ihn diese Frau. „Was ist nun wieder los?“

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu und wandte sich an Schwester Joan. „Das können Sie nicht machen.“

„Ach, ich glaube schon“, erwiderte die Nonne. „Wie ich bereits sagte, würde das auch Schwester Catherine bestimmt verstehen.“

Schwester Alison verdrehte die Augen, als Ross sich mit dem Baby anzufreunden versuchte.

„Hallo, Kleine.“ Er blickte zu Schwester Joan. „Wie heißt sie?“

„Felicity.“

„Ein reizender Name für ein so goldiges Zuckerstück.“

„Zuckerstück?“, rief Schwester Alison ungläubig und warf ihm einen Blick zu, als würde sie ihren Ohren nicht trauen.

Besorgt zog Ross sich daraufhin zurück und betrachtete das kleine Mädchen genauer. Aber nein, es wirkte niedlich und absolut gesund. „Ich erwarte Felicity heute Abend um Punkt halb sieben in meinem Hotel. Wir haben einen weiten Weg vor uns.“

„Wohin denn?“, fragte Schwester Joan.

„Auf die Ranch meines Vaters in West Texas. Mit dem Flugzeug ist es allerdings nur eine Stunde. Das Baby kann doch fliegen, oder?“

„Ja, natürlich, aber …“

Er hatte schon mit einem Haken gerechnet.

Die arme Frau sah ihn beschwörend an. „Ich kann nicht zulassen, dass Sie Felicity so einfach mitnehmen. Jemand muss sie begleiten und sich um sie kümmern.“

Dummerweise hatte er daran noch gar nicht gedacht, aber sie hatte natürlich recht. „Ich könnte jemanden engagieren, der sie begleitet. Eine Frau.“

Schwester Joan geriet allmählich in Panik. „Ich möchte sie nicht gern einer Fremden überlassen.“

„Also, ich brauche ohnedies eine Frau“, erklärte Ross. „Mein Vater wird sich schließlich fragen, wie dieses Baby zustande gekommen ist.“

„Das kann ich mir vorstellen“, bemerkte Schwester Alison.

Ross störte sich nicht an ihrem Spott. „Ich brauche eine Frau, die als ihre Mutter auftritt.“

„Schwester Joan, könnten Sie nicht das Baby begleiten?“, fragte die Empfangsdame.

Alle wandten sich erwartungsvoll an Schwester Joan, doch ein Blick auf die zierliche kleine Frau in der Nonnentracht zeigte, dass sie kaum die Rolle einer ledigen Mutter übernehmen konnte.

„Damit wäre Schwester Catherine sicher nicht einverstanden“, wehrte die Nonne entsetzt ab.

„Dann muss ich eine andere suchen“, entschied Ross.

„Dafür müssen Sie sich an eine Modelagentur für Erwachsene wenden und dort jemanden bestechen“, bemerkte Schwester Alison. „Hier sind die Klientinnen eindeutig zu jung.“

„Ich übergebe dieses Kind keiner Fremden“, erklärte Schwester Joan entschieden. „Es muss eine Frau sein, die ich kenne und der ich vertraue.“

„Aber wer?“, fragte die Empfangsdame.

Ross betrachtete sie genauer. Abgesehen von dem Problem mit den Ohrringen war sie Anfang Zwanzig und hübsch, auch wenn sie wie so viele junge Frauen in der heutigen Zeit halb verhungert aussah.

„Dee wäre perfekt!“, rief Schwester Joan.

Ross nickte. „Ich bin einverstanden.“

„Aber ich … das kann ich nicht“, wandte die Empfangsdame ein. „Ich meine, es ist ausgeschlossen. Morgen heiratet meine Schwester, und ich bin die Ehrenjungfer.“

Ross unterdrückte einen Seufzer. Es lief absolut nicht wie gewünscht. Er wandte sich an Schwester Alison. Nein, die bloß nicht!

Wegen der Krankheit seines Vaters hatten seine Nerven bereits gelitten. Eine pingelige, gegen ihn eingestellte Nonne hätte alles noch schlimmer gemacht. Dazu kam, dass sie das Gesicht eines Engels und den Körper eines Fernsehstars hatte. Darüber hinaus besaß sie tolle Beine und genau die richtigen Kurven, die ein Mann sich wünschte. Dabei war sie gar nicht sein Typ. Normalerweise mochte er sportliche Blondinen, aber für eine Brünette …

Sie riss die Augen weit auf, und ihm wurde bewusst, dass er sie wie ein Jugendlicher mit zu vielen Hormonen angestarrt hatte. Eine Nonne! Lieber Himmel!

Nein, Schwester Alison konnte er auf keinen Fall mitnehmen, aber was blieb ihm anderes übrig? Von Babys verstand er nichts. Und vielleicht war es gar nicht schlecht, dass sie Nonne war. Dann kam er wenigstens nicht in Versuchung. Im Moment konnte er keine Probleme mit Frauen brauchen. Jetzt zählte nur sein Vater.

Die Empfangsdame wandte sich an die Leiterin der Agentur. „Ich habe die Lösung! Könnten Sie das nicht machen?“

Schwester Alison wehrte entsetzt ab. „Auf keinen Fall!“

Ross suchte Hilfe bei Schwester Joan. „Wäre Schwester Catherine denn dagegen, dass sie mich begleitet?“

Drei Augenpaare warfen ihm verwirrte Blicke zu.

Schwester Joan fing sich rasch. „Nein, nein! Schwester Catherine hat erst heute Morgen zu mir gesagt, dass Alison das Kloster verlassen sollte.“

„Sehr gut“, entschied er. Schwester Alison schüttelte zwar noch immer den Kopf, aber für zwanzigtausend Dollar würde die Mutter Oberin sie schon zur Ordnung rufen. „Warten Sie heute Abend um halb sieben in der Halle des Melrose auf mich.“

Die Mutter seines unehelichen Kindes durfte allerdings nicht wie eine Nonne aussehen, obwohl sie ihn sogar in ihrer Tracht reizte.

Ross zuckte zusammen. Sie reizte ihn? Eine Nonne? Offenbar hatten seine Nerven unter der Krankheit seines Vaters stärker gelitten, als er dachte.

Er wandte sich noch einmal an Schwester Alison und versuchte, nicht auf ihren aufreizenden Mund zu blicken. „Packen Sie für die Reise normale Kleidung ein“, verlangte er. „Und denken Sie daran, dass Sie eine ganz normale Frau darstellen sollen.“

„Du lieber Himmel, arbeitet der Mann schnell!“, stellte Schwester Joan fasziniert fest, während Dee Mr. Templeton hinausbegleitete.

Autor

Liz Ireland
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