Historical Band 307

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DIE BRAUT DES SCHOTTISCHEN RITTERS von GIFFORD, BLYTHE
Rebell ohne Land: Als unehelicher Sohn eines englischen Prinzen und einer Schottin hat Gavin Fitzjohn keine Heimat - bis er der schönen, feinsinnigen Clare Carr begegnet. Wenn er sie heiratet, weiß er endlich, wohin er gehört! Doch er hat einen Rivalen um Clares Gunst: einen französischen Comte, der die Gesetze der höfischen Ritterlichkeit ebenso gut kennt wie Gavin die männlichen Gesetze des Eroberns …

EINE NACHT MIT DEM HIGHLANDER von LETHBRIDGE, ANN
"Um Mitternacht im Landgasthof …" Hat Highlander Gordon McLaughlin sich das nur eingebildet, oder hat Lady Annabelle es ihm wirklich zugeraunt? Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden: im Schutze der Dunkelheit auf sie zu warten. Als sich knarrend die Zimmertür öffnet und eine verführerische Gestalt erscheint, weiß er: Die Frau, um die sich dunkle Gerüchte ranken, ist wirklich zu ihm gekommen …


  • Erscheinungstag 29.07.2014
  • Bandnummer 307
  • ISBN / Artikelnummer 9783733763879
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Blythe Grifford, Ann Lethbridge

HISTORICAL BAND 307

BLYTHE GRIFFORD

Die Braut des schottischen Ritters

Clares Schicksal ist besiegelt: Ihr Vater verkündet, dass sie bald heiraten wird! Nicht den galanten Comte aus Frankreich, der ihre romantische Seele auf höfische Weise zu bezaubern weiß. Sondern Gavin Fitzjohn, den Bastard- Sohn des englischen Prinzen mit dem Herzen eines schottischen Rebellen. Er kann sie verführen – aber kann sie ihn jemals lieben?

ANN LETHBRIDGE

Eine Nacht mit dem Highlander

Ein Gerücht geht um in Edinburgh. Man munkelt, die schöne Lady Annabelle habe ihren Ehemann umgebracht, um sich ihren liebestollen Gelüsten hinzugehen. Wahrheit oder Lüge? Der Highlander Gordon McLaughlin, mit dem Annabelle sich um Mitternacht im verschwiegenen Landgasthaus treffen wird, will sie erst fragen – und dann sinnlich küssen …

1. KAPITEL

Haddington, Schottland im Februar 1356

Nach zehn Jahren war er endlich nach Hause zurückgekehrt.

Und er hatte den Krieg mitgebracht.

Der kalte, feuchte Nebel verdunkelte das schwindende Licht des düsteren Februartags und waberte um die Mauern der Kirche, die sich vor ihnen erhob. Die Ringe seines Kettenhemds legten sich kalt an seinen Nacken, und die englischen Ritter an seiner Seite fröstelten auf ihren Pferden.

Der Winter war eine schlechte Zeit, um einen Krieg zu führen.

Gavin Fitzjohn sah zu seinem Onkel hinüber, König Edward III., dem stolzen Löwen, der auf dem Höhepunkt seiner Macht war. Schon vor mehr als zwanzig Jahren hatte dieser König einen ähnlichen Angriff auf Schottland angeführt. Damals hatte sein Vater, der Bruder des Königs, ein illegitimes Kind mit einer Schottin gezeugt und zurückgelassen.

Heute ritt dieser Sohn, Gavin, wieder an der Seite seines Onkels, genauso wie letztes Jahr in Frankreich. Ohne Bedenken hatten sie damals Soldaten und Dorfbewohner bekämpft, so lange, dass der Geruch von Blut und Rauch Gavin noch jetzt in seinen Träumen heimsuchte. Doch er hatte es nur getan, weil er ein Ritter in einem Krieg war.

Doch dies war nicht Frankreich. Jetzt hatte der König die verbrannte Erde nach Hause gebracht. In den vierzehn Tagen, seit sie Berwick zurückerobert hatten, hatte seine Armee selbst das wenige, das die schottische Armee zurückgelassen hatte, zerstört und verbrannt.

Gavins Pferd trat unruhig von einem Bein aufs andere. Durch die Fenster der Kirche leuchtete der Chorraum wie eine einladende Lampe, so hell und freundlich wie alle Kirchen, die er jenseits des Kanals gesehen hatte.

Die Dorfbewohner drängten sich vor ihrem Gotteshaus zusammen, unsicher, was sie erwartete. Gavin sah einen Mann mit gefalteten Händen, der mit geschlossenen Augen still betete. Dann schlug er die Augen auf und sah Gavin an.

Angst. Sie war so groß, dass man sie fühlen konnte.

Er hatte das Töten gründlich satt.

Ein Knappe lief mit einer brennenden Fackel auf den König zu. Im Zwielicht warfen die Flammen gespenstische Lichter und Schatten über die von Schlamm bedeckten Wappenröcke und Rüstungen.

Er warf seinem Onkel einen Blick zu. Schluss jetzt, dachte er. Ein frommer Wunsch.

Denn es war Ärger, kein Mitleid, das sich in Edwards Gesicht spiegelte. Die Schotten hatten dem Waffenstillstand nur zugestimmt, um sich auf den Krieg vorzubereiten. Nachdem Lord Douglas schließlich das Friedensangebot Englands ausgeschlagen hatte, hatte Edward geschworen, ihnen den Krieg zu geben, nach dem es sie verlangte.

Der König bedeutete dem Knappen, die Fackel Gavin zu ­reichen.

„Nimm die Fackel“, befahl er. Wie ein Höllenfeuer flackerte sie zwischen den beiden auf. Edward wies mit dem Kopf auf die Kirche. „Zünde sie an.“

Der Knappe drückte Gavin die Fackel in die Hand. Er nahm sie entgegen, wie er es bereits oft getan hatte, doch diesmal war sein Griff zögerlich, beinahe zittrig. Oder spielte das flackernde Licht ihm einen Streich?

Die misstrauischen Blicke der Dorfbewohner wanderten von ihm zu der Kirche. Was würde mit ihnen geschehen, wenn sie ihr Gotteshaus verloren?

Das Weinen eines Säuglings hallte von den Steinmauern der Kirche wider. Gavin versuchte, die Fackel dem Knappen wieder zurückzugeben, schon donnerte Edward los und ließ seiner tiefen Enttäuschung über den gescheiterten Feldzug freien Lauf. „Worauf wartest du?“

Schwere Stürme hatten seine Flotte versenkt, und da keine Schiffe nachkamen und ihnen die Vorräte ausgingen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen. Doch nicht ohne das Land vorher zu verwüsten, wie Edward es beabsichtigte.

„Lasst sie. Sie haben uns nicht bekämpft“, sagte Gavin.

„Sie haben ihr eigenes Land zu Grunde gerichtet, damit wir kein Vieh zum Essen und kein Ale zum Trinken haben.“ Edwards Ritter murrten zustimmend. Knurrende Mägen erschufen grausame Krieger.

Gavin sah von der Fackel zur Kirche. Steinmauern boten keinen Schutz. Er wusste das. Schließlich hatte er große und kleine Feuer von der Picardie bis zum Artois gelegt und gehört, wie das Dach knisternd Feuer fing, das Gebälk zu Boden fiel und die hölzernen Altäre entzündete. Er selbst hatte die Hitze durch seinen Brustpanzer hindurch gespürt. Die goldenen Löwen und Lilien auf seinem Wappenrock waren von Asche versengt worden.

Doch dies hier war anders. Schon seit dem Augenblick, als sie die Grenze überquerten, hatte er den vertrauten Duft der Erde eingeatmet, das sanfte Ansteigen der Hügel unter den Hufen seines Hengstes gespürt und zu dem immerwährenden grauen Nebel über ihnen aufgeblickt. Und es war ihm klar geworden.

Egal, wie lange er fort gewesen war, wo und bei wem er sich aufgehalten hatte, dies hier war seine Heimat.

„Was ist los, Fitzjohn?“, brüllte der König. „Hält dich etwa das Blut deiner Mutter zurück, der schottischen Hure?“

Seine Mutter war keine Hure gewesen. Doch der König hatte Gavins Vater diese Sünde nie vergeben, selbst nachdem er gestorben war.

„Es gibt keinen Grund, dies zu tun“, antwortete er. „Diese Leute bekämpfen uns nicht.“

„Dein Vater hätte nicht gezögert!“ Sein Vater hätte Schlimmeres getan.

Doch Gavin konnte es nicht mehr. Er ließ die Fackel fallen und hörte ein Zischen, als sie auf den durchweichten Boden fiel. Dann zog er sich den rot-gold-blauen Wappenrock aus, den das Zeichen seines Vaters schmückte, und hielt ihn über die zischende Fackel, bis er Feuer fing.

„Vielleicht hätte mein Vater es getan. Aber ich werde es nicht tun.“ Damit ergriff er die Zügel, wandte sein Pferd und ritt allein in die Dunkelheit.

Er war nicht wie sein Vater. Zumindest hoffte er das.

Ein paar Wochen später, in den Cheviot Hills

Der Falke war den ganzen Tag unruhig auf der Sitzstange hin und her gerutscht, hatte an den Lederfesseln herumgepickt und war sogar dann noch nervös gewesen, als Clare ihm die Falkenhaube über den Kopf zog, um seine Augen zu bedecken. Seltsam. Normalerweise fürchtete das Tier nichts, wenn es nichts sah.

„Was ist los, Little?“, flüsterte Clare, während sie die Tür schloss, und gab dem Falkner ein Zeichen, sich zu entfernen. Sie tat so, als gehörte es zu ihren Pflichten als Herrin von Carr Tower, sich um die Jagdvögel zu kümmern, doch natürlich gab es einen Falkner, der gut dafür bezahlt wurde, sich um die Bedürfnisse der Vögel zu kümmern. Doch sie wollte diese Aufgabe selbst erledigen, ganz besonders, wenn es sich um diesen Vogel handelte. Clare hielt ihm einen Leckerbissen hin, und der Falke knabberte ihn aus ihrer Hand.

„Ihr verwöhnt den Vogel, Mistress Clare“, sagte der alte Falkner. Seine mit Grau durchsetzten Augenbrauen trafen sich beinahe, als er die Stirn runzelte. „Sie wird nicht jagen, wenn sie nicht hungrig ist.“

„Es ist nur ein Krümel.“ Eine Bestechung wäre das passendere Wort gewesen, womit sie sich vormachte, dass dem Vogel etwas an ihr lag und nicht nur an dem Fressen, das sie ihm brachte.

Sie überprüfte, ob sich die Lederfesseln an den Klauen des Falken nicht gelöst hatten. „Ich glaube, eine kleine Belohnung von Zeit zu Zeit tut ihr gut.“

Neil schüttelte den Kopf. „Ihr werdet nicht mehr so denken, wenn Ihr sie verliert. Sollte sie je herausfinden, dass sie ohne unsere Hilfe überleben kann, wird sie nie wieder zu Euch zurückkehren.“

Seit Jahren hielt er ihr dies vor. Doch mit Ausnahme dieses kleinen Verstoßes hatte Clare sich an alle Regeln gehalten, als sie Little abgerichtet hatte.

Sie zog einen dicken Lederhandschuh über und streckte ihren linken Arm aus. Der Vogel hüpfte auf ihre Faust, und Clare eilte aus dem Mauserhaus und auf den Befestigungswall, wo Angus bereits auf sie wartete. Der Page, der bald Knappe werden würde, war zurückgelassen worden, als ihr Vater mit den meisten Männern in den Krieg gezogen war. Kein Wunder, dass er sich jetzt als Beschützer der Damenwelt berufen fühlte.

„Hol mein Pferd und den Hund, Angus.“

Er zögerte. „Ihr solltet nicht allein ausreiten, Mistress Clare.“

Das war ihr bewusst, aber sie hatte den Jungen ausgesucht, weil er sich ihr nicht widersetzen würde. „Sowohl der Vogel als auch ich brauchen etwas Bewegung. Und mein Vater hat eine Nachricht geschickt. Er wird bald zu Hause sein. Die Engländer sind inzwischen auf halbem Weg nach Carlisle.“

In Wahrheit konnten die Engländer ebenso gut in der Nähe von Melrose sein, aber sie war es leid, sich zu verstecken, sie war den Winter überdrüssig und hatte genug davon, wie die Vögel eingesperrt zu sein. Außerdem gewährten die wilden Hügel ebenso viel Schutz, wie eine Armee es getan hätte. Manche nannten es „Die große Einöde“. Niemand kam hierher, es sei denn, er wollte der zivilisierten Welt entfliehen.

Angus brachte Clare ihren Hund und ihr Pferd und hielt den Falken, während sie aufstieg. Dann, stolz auf seinem Pony sitzend, ritt er neben ihr her. Als sie den Schatten des Wohnturms verließen, sah sie hinauf zu dem blauen, wolkenlosen Himmel. Sie hatten dergleichen seit Monaten nicht gesehen.

„Clare! Warte!“

Sie wandte sich um und sah Euphemia, die Tochter der Witwe Murine, die ihr hinterher galoppierte. Clare unterdrückte einen Seufzer, da sie soeben einen kostbaren Moment allein mit ihrem Falken verloren hatte. Ihre persönliche kleine Freiheit.

Sie hielt ihr Pferd im Zaum, um das Mädchen nachkommen zu lassen. Euphemia sah keinesfalls so aus, als sei sie bereit, auf die Jagd zu gehen. Im Gegenteil. Die junge Frau wirkte eher, als könnte sie jederzeit in das Bett des nächsten Mannes fallen, dem sie begegnete. Es lag nicht an ihrer Kleidung – ihr Kleid war ebenso züchtig wie Clares –, sondern daran, dass sie bereits jetzt, im Alter von sechzehn Jahren, mit ihrem Lächeln und ihrem Augenaufschlag jeden Mann von einer gemeinsamen Nacht träumen ließ.

„Ich musste einfach mitkommen“, erklärte das Mädchen, als sie sie einholte. „Vielleicht gibt es bis Juni keinen so schönen Tag mehr.“ Ihre Wangen waren gerötet, und ihr dunkles Haar fiel über ihre Schultern.

„Du darfst mitkommen, aber bleib in meiner Nähe. Little war seit Tagen nicht draußen, und ich möchte sichergehen, dass sie einen guten Flug hat.“

Sie sah zum Himmel empor und hielt nach einer möglichen Beute für den Vogel Ausschau. Doch stattdessen hörte sie die flatternden Flügel eines anderen Falken. Little, immer noch unter der Falkenhaube, wandte den Kopf, als suche sie nach der Quelle des Geräuschs.

„Was war das?“, fragte Euphemia.

Clare blickte den Vogel an – ein Männchen, ein Terzel, dachte sie, aufgrund seiner kleineren Statur. Er flog über ihren Weg hinweg, vor und zurück, wild, dunkel, mit gelb umrandeten Augen, die starrten, als wolle er sie zum Anhalten zwingen.

„Ich weiß nicht.“ Clare runzelte die Stirn, weil sie plötzlich befürchtete, dass der fremde Vogel Little zur Freiheit verführen könnte. Sie versuchte, ihn abzuschütteln, indem sie davongaloppierte und erst anhielt, als sie halb den Bergrücken hinaufgeritten und der Terzel außer Sichtweite war.

„Seht!“, flüsterte Angus, als der Hund sie auf eine Beute aufmerksam machte.

Ein paar Yard entfernt kauerte ein Rebhuhn unter einem Busch. Es würde einfach sein, es aufzuscheuchen. Die perfekte Beute für einen Falken!

Clare sah über ihre Schulter zurück, um sicherzugehen, dass sie den Terzel abgehängt hatten. Dann entfernte sie Littles Haube und bemühte sich, die Lederriemen festzuhalten, die der Wind ihr beinahe aus den Fingern riss. Sie streckte den Arm, und Little erhob sich flügelschlagend, bis sie nur noch ein winziger Fleck am Himmel war. Dort oben würde sie kreisen, so wie sie es gelernt hatte, bis die Menschen ihr ihre Beute in den Himmel hinaufscheuchten.

Angus hetzte den Jagdhund in Richtung des Busches, um das Rebhuhn hochzujagen, sodass es in den Himmel emporflog, wo es sich sicher wähnte. Doch der kleine Punkt am Himmel stürzte auf seine Beute zu, schneller als ein Pferd galoppieren konnte.

Sie ritten los und folgten.

Gegen Nachmittag hatten sie den halben Weg in Richtung Tal zurückgelegt. Der Falke hatte den ganzen Tag lang gejagt, drei Vögel getötet und ihnen mehrere großartige Sturzflüge vorgeführt. Jedes Mal hatte Clare sie mit einem Stück Fleisch belohnt. Dann ließ sie die Beute schnell verschwinden, weil sie nicht wollte, dass der Falke ohne seinen Herrn fraß und lernte, dass er die Hilfe der Menschen nicht brauchte.

Das letzte Rebhuhn entkam. Clare rief ihren Falken mit einem schrillen Pfiff und lächelte, als Little sich gehorsam auf ihrer Faust niederließ.

Dieser Vogel würde immer wieder zu ihr zurückkehren.

Der Gedanke rief ihr die Liste ihrer unerledigten Pflichten ins Gedächtnis zurück. Sie wendete das Pferd und gab Angus und ­Euphemia ein Zeichen, ihr zu folgen. Die Wärme des Vormittags war verflogen, und ein kühler Nebel waberte durch das Tal. Er erinnerte sie an die Gefahren, die überall lauerten. Die englische Armee mochte weit entfernt sein, doch die englische Grenze war es nicht.

Das war ihr letzter Gedanke, bevor er wie ein Geist aus dem Nebel auftauchte, ein goldener Mann auf einem schwarzen Pferd.

Ein Mann ohne Banner.

Ein Mann, der niemandem Treue gelobt hatte.

Der Vorstehhund bellte kurz auf und knurrte dann, als sei er eingeschüchtert.

Der Fremde sah ihr direkt ins Gesicht. Seine Augen waren blau wie der Sommerhimmel, und hinter diesem Blau lauerte eine flammende Hitze.

Wie Feuer.

Was auch immer sie hatte sagen wollen, die Worte blieben ihr im Hals stecken. Neben ihr rang Euphemia nach Luft und kicherte dann. „Wo wollt Ihr hin, mein Herr?“

Clare blickte sie wütend an. Das Mädchen war ein hoffnungsloser Fall. Sie hatten Glück, wenn sie es schafften, sie zu verheiraten, bevor sie ein Kind unter dem Herzen trug.

„Dorthin, wo man mich aufnimmt“, antwortete er Euphemia, doch er sah Clare an.

Ihre Wangen brannten.

Neben ihr zog Angus seinen Dolch, die einzige Waffe, die er tragen durfte. „Ich werde die Damen verteidigen.“

„Ich bin sicher, das wirst du.“ Das Lächeln des Fremden, träge und anmaßend, passte nicht zu der Intensität seiner Augen. „Das ist ein schöner Dolch, und ich bin sicher, du weißt ihn gegen mich zu führen, aber ich bitte dich, mein Pferd nicht zu verletzen.“

Er klang auf seltsame Weise freundlich. Wo war sein eigener Knappe? „Wer ist bei Euch?“

„Niemand.“

„Ein gefährliches Unterfangen.“ Sagte er die Wahrheit? Es hätte sich eine ganze Armee hinter ihm im Nebel verstecken können. Sie war ohne Wachen und unbewaffnet ausgeritten und hatte sie alle in Gefahr gebracht. „Wisst Ihr nicht, dass Edwards Armee immer noch in der Gegend ist?“

Er runzelte die Stirn. „Tatsächlich?“

Sein Akzent verwirrte sie. Er rollte das R wie man es in den Gegenden näher am Meer tat, aber da war noch etwas anderes, das sie nicht recht einordnen konnte. Doch bereits hinter dem nächsten Hügel sprach jede Familie auf andere Weise. Er könnte ein Robson von der anderen Seite des Hügels sein, der die Lage für einen Raubzug auskundschaftete, oder er könnte zu den Männern aus Treviotdale gehören, die sich auf Edwards Seite geschlagen hatten.

„Ihr seid kein Engländer, hoffe ich?“

„In mir fließt ebenso schottisches Blut wie in Euch.“

„Und woher wollt Ihr wissen, wie schottisch mein Blut ist?“

„Das schließe ich aus der Art, wie Ihr die Frage gestellt habt.“

Klang sie in Alains Ohren ebenso provinziell? Clare zuckte zusammen bei dem Gedanken an den französischen Ritter, der zurzeit bei ihnen zu Gast war. Sie wollte ihn beeindrucken, nicht in Verlegenheit bringen. „Wie heißt Ihr, Schotte?“

„Gavin.“ Er hielt inne. „Gavin Fitzjohn.“

Ein Bastard. Doch selbst ein Bastard trug das Wappen seines Vaters. Dieser Mann offenbarte keinerlei Hinweis auf seine Herkunft. Kein Motto auf seinem Schild, kein Wappenrock. Nur die ungepflegte Rüstung, die vom Rost dunkel geworden war. Kein Wappen, kein Knappe. Also war seine Herkunft nicht edel genug, um ihn zu einem wahren Ritter zu machen.

„Seid Ihr ein Deserteur?“ Little auf ihrer Faust wurde unruhig und flatterte wild mit den Flügeln. Sanft berührte Clare die weichen Brustfedern und versuchte, sowohl den Vogel als auch sich selbst zu beruhigen.

Sein träges Lächeln blieb ungerührt. „Nur ein müder und hungriger Mann, der ein Bett sucht, das ihn willkommen heißt.“ Er ließ seinen Blick über sie gleiten, als frage er sich, wie sehr ihr Bett ihn willkommen heißen würde.

„Nun, bei uns werdet Ihr kein solches finden.“

„Ich habe nicht darum gebeten. Noch nicht.“

Glaubte er tatsächlich, sie würde ihm anbieten, seine Bettgefährtin zu sein? Sie sollte mit einem solchen Mann überhaupt nicht reden. „Nun, wenn Ihr es tut, werde ich Einsprüche erheben.“

„Ich werde nicht danach fragen, bevor ich weiß, ob ich mit Freund oder Feind spreche.“

„Und ich werde nicht antworten, bevor ich dasselbe erfahre.“

„Seid Ihr eine Frau mit vielen Feinden?“

„Drei Könige erheben Anspruch auf dieses Land. Wir haben mehr Feinde als Freunde.“

„Aye“, erwiderte er düster und streckte seine Finger aus, als wolle er nach seinem Schwert greifen. „Wer sind Eure Feinde?“

Wieder trafen sich ihre Blicke. Sie hätte ihn zuerst fragen sollen. Wem diente er? Dem Thronanwärter Balliol, der erst kürzlich entmachtet worden war? David the Bruce, der immer noch von dem englischen König Edward festgehalten wurde und darauf wartete, dass jemand ein Lösegeld zahlte? Vielleicht hatte er sein Blut betreffend gelogen und war ein Gefolgsmann Edwards.

Neben ihr seufzte das Mädchen auf. „Dies ist Mistress Clare, und ich bin Euphemia, und ich habe keine Feinde.“

„Euphemia!“ Klimperte sie etwa mit den Wimpern? Tatsächlich. „Willst du, dass er uns umbringt?“

„Das würde er nicht tun. Ein Ritter muss Damen beschützen, nicht wahr?“ Sie warf ihm erneut einen koketten Blick unter gesenkten Lidern zu und wandte sich dann an Clare. „Behandle ihn nicht wie einen Feind.“

„Wenn ich das tue, dann deshalb, weil es vernünftig ist.“ Sollte sie losgaloppieren, könnte sie dem Fremden dann entkommen? Nicht mit Angus und Euphemia im Schlepptau und mit Little auf ihrer Faust.

Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. „Er sieht wie ein gefährlicher Schurke aus, nicht wie ein Ritter. Er trägt keinerlei Wappen, dafür hat seine Rüstung Rostflecken!“ Und falls der Fremde mit den Regeln der Ritterlichkeit vertraut war, kümmerten sie ihn offensichtlich nicht.

Euphemia zuckte mit den Schultern und wandte sich dem Mann zu. „Ihr seid nicht gefährlich und schmutzig, nicht wahr?“

Etwas verdunkelte sein Gesicht, bevor ein Lächeln erschien. „Nun, das kommt darauf an, was genau ihr darunter versteht, doch ich würde sagen, dass Mistress Clare eine Gabe dafür hat, einen Charakter einzuschätzen.“

Er klang ruhig, ohne jegliche Empörung. Ein Ritter würde niemals zulassen, dass man seine Ehre so infrage stellte. Alain, der Inbegriff französischer Ritterlichkeit, hätte eine solche Kränkung niemals durchgehen lassen.

„Auf wessen Ländereien reite ich, Mistress Euphemia?“, fragte er.

„Nicht Mistress. Nur Euphemia“, erklärte Clare und weigerte sich, näher darauf einzugehen. Schlimm genug, dass ihr Vater ihrer toten Mutter Schande gemacht hatte, als er sich mit der Witwe Murine einließ, dessen Kind er darüber hinaus noch wie eine eigene Tochter behandelte. „Und Ihr befindet Euch auf den Ländereien der Carrs.“

„Wer ist der Lehnsherr?“

„Douglas“, antwortete sie.

„Es dürfte schwierig sein, sich in Middle March nicht auf Douglas’ Ländereien zu befinden, nicht wahr?“ Sein langsames Kopfnicken verriet seine Gedanken nicht. „Seid Ihr König David treu ergeben?“

„Wie könnt Ihr das fragen, wenn das Herz eines Bruce auf Douglas’ Schild abgebildet ist?“ Vor Überraschung vergaß sie ihre höfische Sprechweise. „Seid Ihr blöde?“

„Nein, aber Carr-Männer waren abwesenden Königen nicht immer treu ergeben.“

König David hatte die Hälfte ihres Lebens in englischer Gefangenschaft verbracht, wie es schien. In dieser Zeit herrschten ein Stewart und ein Douglas in seinem Namen über Schottland. „Macht Euch das zu einem Feind von Douglas und Carr, Gavin Fitzjohn?“

„Nein, solange sie mir nicht feindlich gesinnt sind.“

Wieder trafen sich ihre Blicke, und sie maßen einander schweigend. An der Grenze konnte eine Allianz so stark sein wie der unerbittliche Wind. Und ebenso wechselhaft.

„Siehst du Clare? Er ist kein Feind. Wir sollten alle nach Hause reiten. Ich bin jedenfalls durchgefroren und will mich ans Feuer setzen.“ Euphemia ließ ihr Pferd lostrotten, und der Fremde folgte ihr.

Clare übergab Angus den Falken und beeilte sich, die beiden einzuholen, während der Page und der Jagdhund folgten. Sie ritt neben Euphemia her, und der Fremde fiel zurück, um Angus für sein Pferd zu loben.

„Du führst ihn geradewegs zu uns nach Hause!“

Euphemia zuckte mit den Schultern. „Warum machst du dir solche Sorgen? Er ist allein, und wir sind zu dritt.“

„Und er ist der Einzige, der ein Schwert trägt.“

Zwar waren ein paar Männer beim Turm zurückgeblieben, doch wenn er als Spion unterwegs war, dann führten sie ihn genau dorthin, wo er hinwollte. Dennoch, entschied sie, könnte sie sich zu Hause in der Burg sicherer fühlen, wo ihre Waffenknechte ihm überlegen waren.

Kurz darauf näherte sich ihr der Fremde. „Angus hat mir erzählt, dass Euer Falke heute drei Rebhühner getötet hat, die doppelt so groß waren wie er selbst. Ein mutiger Vogel.“

„Gut, dass Ihr das sagt.“ Euphemia lächelte. „Little ist Clares Liebling.“

„Dann beurteilt Eure Schwester Jagdvögel ebenso gut wie Menschen.“

Clare warf ihm einen Blick zu, ohne den Kopf zu wenden, und zerbrach sich immer noch den Kopf über ihn. Er hatte sich nicht den höfischen Regeln entsprechend verhalten, wie es ein Ritter tun sollte, doch er führte sein Ross mit der Leichtigkeit eines Kriegers, der sich seiner Stärke bewusst war.

Er ertappte sie dabei, wie sie ihn betrachtete, und sie blickte zähneknirschend beiseite, als er lachte. „Es ist zu spät, um mir zu schmeicheln, Fitzjohn.“

„Oh, Mistress Clare“, begann er und klang immer noch amüsiert, „kein Mann, der Euren Charakter beurteilen könnte, würde versuchen, Euch zu schmeicheln.“

„Doch ein wahrer und edler Ritter würde immer höflich und galant zu einer Dame sein“, widersprach sie. Alain tat dies immer. „Also dürftet Ihr wohl kein echter Ritter sein.“

„Oder Ihr keine echte Dame.“

Sie erstarrte. Hatte sie sich verraten? „Ich bin mit Sicherheit mehr Dame, als Ihr ein edler Ritter seid.“

Er neigte den Kopf. „Vielleicht, Mistress Clare, ist es noch zu früh, um zu diesem Schluss zu kommen.“

Sein sanfter Tadel ließ sie schlucken. Eine Dame hätte niemals so etwas gesagt. Doch in diesem wilden Land war es schwer, sich an die höfischen Verhaltensregeln zu halten, die sie als Kind in Frankreich gelernt hatte.

Da sie sich inzwischen in Sichtweite des Turms befanden, blieb ihr eine Antwort erspart, und sie bedeutete der Wache, die auf der Mauer bereitstand, das Tor zu öffnen. „Wer ist bei Euch, Mistress?“

Der Fremde neben ihr wartete nicht darauf, dass sie antwortete, sondern rief: „Ein hungriger, müder Mann, der auf der Suche nach einem warmen Bett und einem warmen Mahl ist.“

Die Wache wartete auf ein Zeichen von ihr. Sie nickte. „Öffnet das Tor.“

Sie ritten in den Befestigungswall hinein, und Clare reichte dem Falkner den Sack mit dem Wild.

Sie wollte absteigen und erwartete, dass Angus ihr vom Pferd helfen würde, aber stattdessen sah sie sich dem Fremden gegenüber. Er war da, bevor sie merkte, dass er sich bewegt hatte, so schnell wie ein Falke, der sich auf seine Beute stürzte.

Höflich streckte er die Arme aus, um ihr herabzuhelfen. Sie zögerte. Auf eine seltsame Weise schien seine Hand sie zu mehr aufzufordern.

Ohne auf ihre Zustimmung zu warten, umschloss er ihre Taille und hob Clare aus dem Sattel. Sie hatte keine Wahl.

Er hielt sie beinahe zu fest. Als sie ihre Zehen in Richtung Boden streckte, spürte sie, wie ihr Busen an seine Brust gedrückt wurde. Ein Gefühl, wie das Streichen einer Vogelfeder, kribbelte ihr über die Haut. Sie legte den Kopf ein wenig in den Nacken, doch seine wohlgeformten Lippen waren ihr immer noch zu nah.

Endlich spürte sie Boden unter den Füßen.

Aufrecht stehend war er einen Kopf größer als sie. Obwohl der Reisestaub an ihm haftete, konnte sie seinen Duft wahrnehmen, vielschichtig und gefährlich, wie ein Feuer aus Eichen- und Kiefernholz, das am Ende einer langen Nacht noch schwelte.

Er lächelte sie immer noch an und wandte auch nicht den Blick von ihr ab. Seine Augen waren verblüffend blau, umrahmt von dichten Brauen, und er sah sie ebenso fest an, wie er sie hielt.

„Ich bin bereit zum Absteigen.“ Man konnte Euphemias Schmollen deutlich hören.

Und damit ließ er sie los.

Clare bemerkte, dass sie die ganze Zeit, als er sie berührte, den Atem angehalten hatte, und lehnte sich an ihr Pferd. Dieser Mann war gefährlich. Eine Frau, die ihm vertraute, würde verlassen und allein enden.

Oder noch Schlimmeres.

Sie zwang sich zu gehen und ignorierte seinen Blick in ihrem Rücken. Der Koch und der Hausmeier näherten sich mit ernsten Gesichtern. Sie hoffte, das frische Geflügel würde ihren Ärger darüber, dass sie ihre täglichen Pflichten vernachlässigt hatte, besänftigen.

„Mistress Clare.“ Die Worte des Fremden klangen wie ein ­Befehl.

Sie drehte sich um, als er ihren Namen aussprach, und hasste sich selbst dafür, aber auch ihn, dass er sie dazu ­gebracht hatte. „Wenn Ihr Essen wollt, das Nachtmahl wird in Kürze serviert.“

„Ich will den Carr sprechen, der hier die Verantwortung hat.“

„Ihr habt schon mit ihr gesprochen.“

Als sie sich zum Hausmeier umwandte, umspielte immer noch ein Lächeln ihre Lippen.

Gavin sah, wie die Frau sich lächelnd von ihm abwandte.

Ihr habt schon mit ihr gesprochen.

Das hatte er tatsächlich. Mit ihrem hellen Haar, das fest zu einem Zopf geflochten war, den misstrauischen graugrünen Augen und den geraden Augenbrauen war ihr Gesicht nicht vollkommen. Aber sie besaß das Aussehen einer Frau, die es gewohnt war, dass man ihr gehorchte, und es erschien ihm nur natürlich, dass sie die Herrin über den Turm war, solange ihr Vater oder ihr Ehemann sich im Krieg befanden.

Bis jetzt hatte er sich diese Frau sicher noch nicht zum Freund gemacht, aber nun musste er alles daransetzen. Er schritt zu ihr hinüber. „Dann seid Ihr diejenige, mit der ich sprechen möchte. Ich möchte mich Euren Männern anschließen.“

Das Zittern ihrer Lippen konnte Ärger oder Angst bedeuten. Falls sie herausfand, wer er war, könnte es nur Angst sein. Letztendlich würde es keine Möglichkeit geben, seine Identität zu verheimlichen. Sie hatte mit seinem Namen nichts anzufangen gewusst, obwohl auch der kleinste Verband von Kriegern ihn inzwischen zu kennen schien.

Dennoch wollte er sich nicht hinter einer Lüge verstecken. Die Menschen würden ohnehin glauben, was sie wollten. Er hatte gelernt, es zu ignorieren.

„Nein. Das ist unmöglich.“ Ihr Ton duldete keinen Widerspruch.

„Warum?“ Zweifellos waren die meisten Männer der Burg dabei, Edward zurück nach England zu treiben. „Ein zusätzlicher Waffenknecht sollte willkommen sein.“

„Oh, wir werden genug Männer hier haben, sobald sie Edward gefangen nehmen und nach Hause kommen.“

Gavin spürte einen Anflug von Bedauern. Er hatte gewusst, dass er den Mann im Stich ließ, der ihm die Ritterwürde verschafft hatte, aber er hatte gehofft, dass es ihm nicht so viel ausmachen würde. „Nun, bis dahin biete ich Euch meine Dienste an.“

„Erwartet Ihr immer, dass Ihr bekommt, was Ihr verlangt?“

Was er wollte, war ein Ende des Krieges. Das konnte er nicht erwarten. Oder gar erhoffen. „Meine Pflicht als Ritter ist es zu kämpfen. Mehr erwarte ich nicht.“

Sie betrachtete sein Gesicht so genau, dass er befürchtete, sie könnte das englische Blut sehen, das in seinen Adern floss. „Also seid Ihr wirklich ein Ritter?“

Die Überraschung in ihrer Stimme besagte, dass ein Ritter ein besonderes Geschöpf war, und kein Mann, der wie ihr Falke darauf abgerichtet war, auf Befehl hin zu töten.

„Aye“, erwiderte er, mit dem schottischen Tonfall seiner Kindheit. „Ich bin ein echter Ritter.“

Er sah, wie sie über seine Erwiderung nachdachte, bevor sie antwortete.

„Dennoch lautet meine Antwort Nein. Wenn Ihr hungrig seid, füllt Euren Magen heute Abend bei Tisch. Wenn Ihr müde seid, schlaft heute in der Halle. Aber morgen früh verschwindet Ihr.“

Er verbeugte sich, als sie ging, dankbar, wenigstens eine Nacht unter einem Dach verbringen zu können. Voller Ärger und Verzweiflung hatte er die letzten Wochen versteckt in diesen verlassenen Hügeln verbracht, wo er sowohl Schotten als auch Engländern aus dem Weg gegangen war. Gleich im Süden, nahe den Gipfeln, lag die Grenze, die zwei Könige vor mehr als hundert Jahren gezogen hatten.

Nun hatte er seine Seite gewählt.

Und wie einsam und düster es auch aussehen mochte, Mistress Clare würde ihn auf seiner Seite leben lassen.

2. KAPITEL

Euphemia lief hinter ihr her, als Clare die Halle betrat. „Kein Wunder, dass du noch nicht verheiratet bist. Da taucht ein gut aussehender Mann hier auf, und du beleidigst ihn nur.“

„Du klingst so, als sollte ich für jeden Kerl meine Röcke heben.“ Natürlich war es genau das, was die Mutter des Mädchens tat, wie sollte sie es also besser wissen.

Euphemia zuckte mit den Schultern. Ihre Mutter mochte seit zehn Jahren die Gefährtin des Barons sein, doch sie würde niemals seine Frau werden.

„Was ist schon dabei?“

„Er ist ein Bastard, der uneheliche Sohn eines Mannes, und er folgt keinem Herrn. Vielleicht wurde er von seinen Kameraden verbannt. Wir können uns glücklich schätzen, wenn er uns nicht in unseren Betten ermordet.“ Und falls er das tat, wäre es ihre Schuld.

„Nun, wenn du nicht willst, dann werde eben ich freundlich zu ihm sein.“

„Nein, das wirst du nicht. Ich will seinen Bastard nicht in deinem Bauch sehen, wenn er fort ist. Und jetzt geh und sieh nach, ob der Koch Hilfe mit dem Geflügel braucht.“

Das Mädchen lächelte und ging ohne ein Wort zu sagen.

Clare knirschte mit den Zähnen. Sie hatte versucht, Ordnung an diesem Ort zu schaffen, aber Frankreich und alles, was sie dort gelernt hatte, waren weit weg. Die Wildheit dieser ungezähmten Hügel kroch in alles und jeden. Sogar sie selbst erlebte Tage, an denen nichts sie besänftigen konnte, außer ihrem Falken dabei zuzusehen, wie er sich emporhob und tötete.

Sie sah auf. Fitzjohn betrachtete sie immer noch. Er lächelte, als spürte er ihren inneren Aufruhr. Schnell wandte sie ihm den Rücken zu.

Er sollte seinen Magen füllen und verschwinden.

Clare versuchte, ihn zu ignorieren, als er zum Abendmahl in der Großen Halle erschien, wo er am unteren Ende bei den Rangniedrigsten saß. Er schien sich unter den Waffenknechten wohlzufühlen, dennoch hob er sich von den anderen ab.

Euphemia beugte sich vor, um ihm Suppe zu servieren, und presste ihre Brust fest an seine Schulter. Clare ballte die Hände zu Fäusten.

Er sah, wie sie ihn anstarrte, und ließ im Gegenzug seinen Blick über sie schweifen, als sähe er nicht nur unter ihre Kleidung, sondern bis in ihr Innerstes.

Sie schaute beiseite. Er war die Aufmerksamkeit einer Dame nicht wert. Stattdessen betrachtete sie den kleinen Webteppich, ein Geschenk von Alain.

Alain, der Comte de Garencieres, war vor einem Jahr mit Soldaten und Geld nach Schottland gekommen, um den Schotten zu helfen, oder genauer gesagt, um den Krieg der Schotten gegen die Engländer neu anzufachen. Er hatte die Erinnerung an all das mitgebracht, was sie zurücklassen musste, als sie vor zwei Jahren, nach vielen Jahren der Erziehung in Frankreich, zurückgekehrt war.

Der Teppich, gewirkt aus roten, weißen und goldenen Fäden, zeigte einen Mann und eine Frau mit ausgestreckten Armen, die kurz davor waren, sich zu vereinigen. Auf der Schulter der Dame thronte der Falke, der bereits zu Clare zurückgekehrt war.

Der Teppich war zu schön, um darauf zu sitzen, obwohl er als Decke für eine Bank gedacht war. Stattdessen hatte sie ihn über einer Truhe neben der Herdstelle drapiert, wo sie ihn sehen konnte.

Alains Geschenk war eine Erinnerung an eine bessere Welt, in der Anstand und Ritterlichkeit regierten. Und sobald die Kämpfe vorüber waren, würden sie heiraten. Sie würde als Gemahlin des Comte nach Frankreich zurückkehren und weit entfernt von ihrem rauen und wilden Heimatland leben.

Sie sah Fitzjohn unter gesenkten Lidern an, ohne ihren Kopf zu heben. Er war ein rüpelhafter Schotte wie all die anderen auch. Nur an Kämpfen, Essen und Frauen interessiert.

Als das Abendmahl beendet war und sie die Wendeltreppe zu ihrer Kammer emporsteigen wollte, dachte sie bereits nicht mehr an ihn. Doch als sie den dritten Stock erreichte, tauchte Fitzjohn im Kerzenlicht vor ihr auf.

„Dies ist der Bereich der Familie. Was wollt Ihr hier?“

„Ich suche ein Bett.“

Sie blickte zu ihrer Tür hinüber, die geschlossen war. Hatte er es gewagt hineinzuspähen? „Ich habe Euch gesagt, Ihr könnt mit den anderen in der Halle schlafen.“ Sie ging die letzte Stufe hinauf, doch er überragte sie immer noch.

„Ihr könntet mir zumindest eine Decke und ein Kissen anbieten.“

„Ich habe Euch ein Dach über Eurem Kopf angeboten.“ Und das war schon mehr, als sie hätte tun sollen. „Lasst es mich nicht bereuen.“

„Die Gastfreundschaft einer Dame beinhaltet normalerweise etwas Bequemeres.“

Bequem hatte den Unterton einer Beleidigung, doch die Worte weckten ihr Schuldgefühl. Eine Dame sollte tatsächlich gastfreundlicher sein. Doch sein Benehmen ziemte sich nicht für einen Ritter, daher fiel es ihr schwer, sich wie eine Dame zu benehmen.

„Ich habe Euch so willkommen geheißen, wie ich es bei jedem Krieger gemacht hätte. Wenn das nicht annehmbar ist, dann werdet Ihr morgen nicht bedauern, uns zu verlassen. Nun geht beiseite, damit ich in meine Kammer kann.“

Er bewegte sich nicht, aber dennoch fühlte ihre Haut sich an, als hätte er sie berührt. Sie versuchte, um ihn herum zu gehen, doch der Gang war schmal, und sie stieß gegen ihn, stolperte, und die Kerze schwankte bedrohlich in ihrer Hand.

Er hielt Clare mit einem Arm fest, bevor sie zu Boden fiel, und als sie zu ihm aufsah, bemerkte sie die Kerze, die er aufrecht und ruhig in seiner anderen Hand hielt.

Die Knie gebeugt, versuchte sie aufzustehen, aber sie fiel nur gegen seine Brust. Verlegen musste sie sich an seinen Schultern festhalten, als er sich aufrichtete, um ihr zu helfen, dann gab er ihr die Kerze.

Sie wich zurück, ihr Arm gebrandmarkt von seiner Hand. An ihren Brüsten spürte sie immer noch seine Brust, die er einen Augenblick zu lange an sie gedrückt hatte.

„Träumt schön, Mistress Clare.“

Sie fasste hinter sich und öffnete ihre Kammertür, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Aber er bewegte sich nicht, und als sie das Licht mit sich nahm, verschwand sein Lächeln in der Dunkelheit.

Clare schloss die Tür und lehnte sich zitternd dagegen.

Morgen würde er fort sein.

Als sie ihm die Tür vor der Nase zuwarf, hatte Gavin Mühe, seinen Ärger zu unterdrücken. Ihre Verachtung wurde von so geringen Regelüberschreitungen entfacht, von Dingen, die nichts von der Dunkelheit, die er verbarg, widerspiegelten. Wenn der Zustand seiner Rüstung sie schon derart beunruhigte, was würde sie dann erst denken, wenn er ihre Tür aufbrach und sich den Zugang zu ihrem bequemen Bett mit Gewalt erzwingen würde?

Gavin hatte Männer erlebt, die Schlimmeres getan hatten. Er hatte die Engländer verlassen, weil ihr Krieg es zu einfach gemacht hatte, diese düsteren Visionen auszuleben. So einfach, wie es für seinen Vater gewesen war, eine schottische Dame zu verführen und sie mit einem Kind zurückzulassen, das dazu gezwungen war, das Erbe dieses gemischten Blutes zu bekämpfen.

Er hatte den Krieg satt – den auf dem Feld und den in seiner Seele.

Gavin ging die Steinstufen zur Halle hinab. Ein paar der Männer spielten noch in einer Ecke. Die Übrigen hatten es sich für die Nacht bequem gemacht. Das Feuer war bis auf die Glut niedergebrannt, und sein dünnes Bettzeug bot ihm nur wenig Gemütlichkeit auf dem harten Boden. Seit Wochen hatte er der Kälte und dem Regen getrotzt, war Lord Douglas’ Männern, die Edwards Truppen verfolgten, aus dem Weg gegangen. Gras und Schlamm waren sein Bett gewesen. Er sehnte sich nach Geborgenheit.

Nah an der Herdstelle ausgestreckt, sah er den Webteppich, der die Truhe neben dem Herd bedeckte und das Holz wärmte, während ein Mann fror.

Er ergriff den Teppich, zog ihn zu sich herüber und wickelte sich darin ein. Die Erinnerung an ihre Finger, mit denen sie sanft darüber gestrichen hatte, als sie sich unbeobachtet glaubte, wärmte ihn mehr als der Teppich selbst.

Als sie am nächsten Morgen die Halle betrat, lächelte Clare und durchquerte den Raum, um den Teppich, der die Truhe bedeckte, zu bewundern. Es war zu einem täglichen Ritual geworden, das sie daran erinnerte, was Alain von ihr erwartete. Nämlich dass sie sich wie eine Dame benahm, die an dem festhielt, was seine Mutter ihr beigebracht hatte.

Ihr Lächeln verschwand, als sie näher kam. Schwarze und graue Flecken verunstalteten die rote und goldene Wolle.

Ärger vermischte sich mit Übelkeit, als sie sich neben den Teppich kniete. Was würde Alain denken, wenn er sah, was mit seinem wunderbaren Geschenk geschehen war?

Sie sah sich in der Halle um. Keiner ihrer Männer hätte es gewagt, den Teppich anzurühren. Es musste der Fremde gewesen sein. Zorn vertrieb den Kummer. Erst war sie wütend auf sich selbst, weil sie so dumm gewesen war, ihn in ihr Heim zu lassen. Dann verlagerte sich ihre Wut auf ihn.

Vorsichtig legte sie den Teppich zusammen, dessen Rückseite ebenso sorgsam gearbeitet war wie die Vorderseite. Sie war sich sicher, dass er es mit Absicht getan hatte – er hatte versucht, etwas zu zerstören, das ihr wichtig war.

Sie trug den gefalteten Teppich so ehrfürchtig, als sei es ein Altartuch, während das Hämmern in ihren Ohren mit jedem Schritt anschwoll. Eine Dame durfte nie Ärger zeigen. Eine Dame musste sich immer mäßigen. Dennoch pochte die Wut in ihren Schläfen. Dass sie so heftig reagierte, erschreckte sie ebenso wie die anderen Gefühle, die Fitzjohn in ihr geweckt hatte.

Die Gefühle, die sie in der letzten Nacht wachgehalten hatten.

Sie fand ihn im Stall. Er kniete vor seinem Pferd und untersuchte dessen Fesseln. Zumindest hatte der Fremde genug Verstand, sich um sein Pferd zu kümmern, das zweifelsfrei wertvoller war, als er es verdiente.

Sie fragte sich, ob er den Ritter getötet hatte, dem es gehörte.

Angus saß zu seinen Füßen im Stroh, den Kopf über sein Kettenhemd gebeugt, während er jeden Eisenring geduldig polierte.

„Angus!“ Ihre Stimme klang schneidend. „Frag den Falkner, ob er Hilfe im Mauserhaus benötigt.“

„Das ist keine Aufgabe für einen Knappen.“

Es war das erste Mal, dass der Junge ihr widersprach, und sie setzte es auf die Liste von Fitzjohns Sünden. „Wenn du nicht tust, was man dir sagt, dann wirst du niemals ein Knappe werden.“

Fitzjohn deutete mit einem Kopfnicken in Richtung der Tür. Der Junge legte die Bürste nieder und eilte hinaus.

„Gebt mir die Schuld, wenn es sein muss“, sagte er. „Nicht dem Jungen.“

„Das tue ich.“

Die Morgensonne, die in den Stall fiel, betonte die goldenen Strähnen in seinem Haar. An diesem Morgen lächelte er nicht. Stattdessen warf das Sonnenlicht scharfe Schatten um seine Nase und seinen Mund. Er sah so wild aus wie ein Adler. Mächtig, elegant, gut aussehend.

Tödlich.

Ein solcher Vogel würde Little mühelos aus der Luft greifen, ohne seine eigenen Federn zu zerzausen.

Anklagend hob sie den Teppich hoch. „Das war ein wunderschönes Stück.“ Sie schluckte und versuchte, ihre Wut zu unterdrücken. „Er kommt den weiten Weg aus Frankreich.“

Sie streckte ihm den Teppich entgegen, doch er nahm ihn nicht.

Sein merkwürdiges Lächeln kehrte zurück. „Das ist eine lange Reise.“

„Ihr habt ihn ruiniert. Absichtlich.“ Ihre Stimme zitterte, und sie hasste ihn dafür, dass er es schaffte, sie so aufzuregen.

„Nun, das ist eine schwere Anschuldigung. Ihr habt mich zum Schlafen in die Halle geschickt, ohne mir auch nur eine Decke zu gönnen. Ich habe mich darin eingewickelt, und während der Nacht ist sie in die Asche gefallen.“ Er schien keinerlei Reue zu empfinden. „Dafür wurde er gemacht. Um die Kälte abzuhalten.“

„Um die Kälte abzuwehren, wenn man auf einer Bank sitzt.“

Sein Lächeln wurde langsam breiter. „Doch Euer Hinterteil saß letzte Nacht nicht auf der Bank, daher dachte ich mir, es mache Euch nichts aus.“

Er genoss ihren Ärger. Dieses Lächeln schien zu sagen: Ich weiß, was Ihr seid. Ihr seid nicht die Dame, die Ihr vorgebt zu sein.

Sie ließ den Teppich auf das Stroh zu seinen Füßen fallen, und eine kleine Staubwolke erhob sich. „Ihr habt ihn schmutzig gemacht. Säubert ihn, bevor Ihr geht.“

Er sah auf den Teppich hinab, dann, immer noch lächelnd, wieder zu ihr. „Ihr macht großes Aufheben um einen kleinen Fleck auf einem Stück Stoff.“

„Es ist ein Teppich, nicht einfach nur ein Stück Stoff.“ Sie biss sich in die Wange, um die Tränen zurückzuhalten. „Aus Arras. Er war ein Geschenk.“

„Seid Ihr sicher, dass Ihr deswegen so verstört seid?“

„Was sollte mich sonst beschäftigen?“

„Ich.“

„Ihr?“ Sie sprach das Wort so schnell aus, als hätte er sie geohrfeigt. Woher wusste er das? Seine Anwesenheit verletzte bereits die natürliche Ordnung. Ritter sollten edel, ehrenhaft und freundlich zu Damen sein. Er war genau das Gegenteil, und was noch schlimmer war, es gefiel ihm.

„Genau. Ich glaube, Ihr seid meinetwegen innerlich aufgewühlt.“

Es stimmte. Er wühlte sie mehr auf als irgendjemand zuvor.

„Ja, Sir Gavin, falls Ihr ein ‚Sir‘ seid. So ist es.“ Sie streckte ihr Kinn vor, darum bemüht, die Ruhe und Gelassenheit einer Dame wiederzuerlangen. „Aber das sollte Euch nicht erfreuen. Ihr wühlt mich auf, weil Ihr absichtlich die Regeln der Ritterlichkeit missachtet.“

„Ritterlichkeit?“ Sein spöttischer Tonfall hatte einen düsteren Widerhall.

„Ja. Das Wort sollte Euch geläufig sein.“

Befriedigt sah sie sein Lächeln verschwinden. Sein Blick wurde kalt, und er trat einen Schritt näher. Sie war gezwungen, einen Schritt zurückzuweichen. Doch sie konnte sich nicht weit genug wegbewegen. Er raubte ihr immer noch den Atem.

„Oh, ich habe davon gehört. Aber ich habe in einem Krieg gekämpft, nicht in einem Turnier, um Damen zu unterhalten. Ihr wollt es vielleicht nicht glauben, Mistress Clare, aber im Krieg sieht man nicht viel Ritterlichkeit, also vergebt mir, wenn ich vergessen habe, wie man sich verbeugt und auf die Knie geht. In einem echten Krieg werden weder Lanzen noch der Schal einer Dame geschwenkt, in der Hoffnung, eine Seidenbörse zu gewinnen. In einem echten Krieg stirbt der Verlierer. Und manchmal genießt der Sieger sogar das Töten.“

Sie erschauerte. Hatte er das Töten genossen?

Vor ihrem inneren Auge tauchte eine kurze Vision von Little auf, die ihre Beute fing. Doch das war nicht dasselbe. Ganz und gar nicht. „Christliche Ritter töten einander nicht. Der Ehrenkodex verlangt, dass ein anderer Ritter verschont wird, sonst wäre der Krieg nichts anderes als brutaler Mord.“

„Der Krieg ist nichts anderes als brutaler Mord.“

Was war das für ein Mann? In wessen Krieg hatte er gekämpft, und welchen Dämonen war er begegnet?

„Ich weiß nicht, wo Ihr gewesen seid, aber Ihr befindet Euch nun in einem zivilisierten Haushalt, wo getan wird, was sich gehört, auch wenn ich nicht erwarte, dass Ihr das wisst. Ich schlage vor, Ihr lernt es.“

Das Lächeln kehrte zurück und vertrieb die Düsterkeit aus seiner Miene. „Mais oui, demoiselle.“

Sein Französisch verblüffte sie. Es war flüssiger als ihres.

Und diesmal war sein Lächeln breit genug, dass sie zum ersten Mal das Grübchen in seiner rechten Wange bemerkte.

Gavin verging das Lächeln, als er mit dem Teppich kämpfte, einem kleinen, armseligen Ding im Vergleich zu denen, die er in Edwards Palästen gesehen hatte. Zuerst schüttelte er ihn aus, in der Hoffnung, die Asche würde sich so entfernen lassen. Dann versuchte er, die Flecken auszubürsten, aber auf diese Weise verschmutzte er nur den Rest des Teppichs und seine Finger. Er hatte keine Ahnung, wie man etwas in Ordnung brachte, nur, wie man Dinge zerstörte.

Und Mistress Clare hatte es gewusst. Sogar ohne seinen Namen zu kennen, behandelte sie ihn wie den Deserteur, der er war. Wie einen Mann, der mit einer Fackel in der Hand vor einer Kirche stand.

Und in ihm floss das Blut eines Vaters, der sie niedergebrannt hätte.

Wenn es ihm so deutlich ins Gesicht geschrieben stand, dann war es richtig, seinen Namen nicht zu verheimlichen. Die Menschen würden ihn verurteilen, ohne sich darum zu kümmern, ob er in Wahrheit besser war, als sie dachten.

Und Mistress Clare, in ihren Träumen gefangen, war sehr gut darin, Menschen zu beurteilen.

Blind dem rauen Leben gegenüber, das sie umgab, benahm sie sich, als spaziere sie durch Windsor Palace.

Ihre Vorstellungen erinnerten ihn an König Edward. Vor ein paar Jahren hatte der König seine Freunde um einen runden Tisch herum versammelt und sie Ritter des Hosenbandordens genannt, benannt nach dem Strumpfband einer Dame, der der König angeblich Gewalt angetan hatte.

Mistress Clare würde dieser Teil der Geschichte sicherlich nicht gefallen. Es würde all ihre Vorstellungen von Ritterlichkeit verletzen und sie verärgern. Der Ärger würde Farbe auf ihre Wangen und Wärme in diese kühlen, graugrünen Augen zaubern. Das würde ihm gefallen. Er spürte, dass Mistress Clare ihre Gefühle nicht zeigte. Bei einer Frau wie ihr wäre es ein Vergnügen, sie vollkommen umzukrempeln und sie zu zwingen, die Leidenschaft zu erleben, die sie so verachtete. Er würde ihren Zopf lösen, der so fest geflochten war, und würde ihr Gefühle verschaffen, von denen sie bisher nicht einmal wusste.

Oder von denen sie nichts wissen wollte.

Gavin sah erneut den Teppich an. Dieser zeigte einen Mann mit ausgestreckten Armen, vor ihm eine Frau. Eine Hand schwebte hinter ihrem Kopf. Sein Kopf war nahe an ihrer Brust. Der andere Arm schlang sich um ihre Hüfte.

Er fragte sich, ob Mistress Clare sich der Sinnlichkeit dieses Motivs bewusst war.

Doch er verbot sich, den Gedanken zu Ende zu spinnen. Er musste seine Gefühle im Zaum halten. Denn er hatte von den Waffenknechten erfahren, dass ihr Vater an der Seite von Lord Douglas kämpfte und bald nach Hause kommen würde. Gavin musste sie bei Laune halten, bis Baron Carr zurückkehrte. Dieser Mann würde wissen, dass der Wert eines Ritters in seinem Schwert lag, nicht in seinen Manieren. Sicherlich würde Carr ihn auf seinen Ländereien bleiben lassen, versteckt in dieser gottverlassenen Ecke der Grenze.

Er blickte ein weiteres Mal auf den Teppich und seufzte. Um ihn zu reinigen, tauchte er ihn ins Wasser. Vielleicht sollte er dasselbe mit seinem eigenen Körper machen.

Schließlich ging er in Richtung der Quelle, mit dem unguten Gefühl, dass das Ergebnis ihn am Ende doch nicht überzeugen würde.

Wie Clare feststellte, verpasste Fitzjohn das Mittagsmahl. Sie bemerkte es nicht deshalb, weil sie ihn wiedersehen wollte, sondern weil sie ungeduldig darauf wartete, ihren Teppich zurückzubekommen. Er musste ihn ja nur über eine Leine hängen, von hinten ausklopfen, und dann die Vorderseite mit einem kleinen Besen abbürsten. Eine einfache Aufgabe.

Doch als ihre Wut verflog, meldeten sich Zweifel. Für sie mochte es eine einfache Aufgabe sein, daher hatte sie törichterweise vermutet, ihm sei klar, was er zu tun hatte. Sie hätte ihn niemals aus den Augen lassen dürfen, ohne ihm vorher genaue Anweisungen zu geben.

Als die Sonne hoch am Himmel stand, ignorierte sie ihre restlichen Pflichten, um nach ihm zu suchen. Schließlich sah sie draußen, außerhalb des Mauserhauses, etwas Rotes aufleuchten.

Über einer Leine hing der nasse Teppich, nicht länger eine Darstellung höfischer Liebender, sondern ein zerknittertes, durchnässtes Stück Stoff.

Sie schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten. Wie sollte sie das Alain erklären?

Fitzjohn, der seinen Fehler offensichtlich zu spät bemerkt hatte, zog an einem Ende des Teppichs. Euphemia hielt das andere Ende fest, während sie gemeinsam versuchten, den Teppich wieder in Form zu bringen. Murines Tochter dabei zu sehen, wie sie ihm half, ärgerte Clare ebenso wie all das, was er getan hatte.

„Euphemia! Geh hinein.“

„Du bist nicht meine Mutter.“

Wollten sich ihr, angesteckt von Fitzjohn, jetzt alle widersetzen?

„Nein, aber ich bin die Herrin dieser Burg.“ Dennoch machte sie weiterhin Fehler. Fehler, die sie nicht machen würde, wenn ihre Mutter lange genug gelebt hätte, um sie zu unterrichten. „Jetzt geh.“

Euphemia gehorchte, warf Fitzjohn aber noch ein strahlendes Lächeln zu.

Autor

Blythe Gifford
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Ann Lethbridge
Ann Lethbridge wuchs in England auf. Dort machte sie ihren Abschluss in Wirtschaft und Geschichte. Sie hatte schon immer einen Faible für die glamouröse Welt der Regency Ära, wie bei Georgette Heyer beschrieben. Es war diese Liebe, die sie zum Schreiben ihres ersten Regency Romans 2000 brachte. Sie empfand das...
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