Historical Exklusiv Band 109

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Zwei Romane von Hope Tarr

GEFESSELTE HERZEN
Gefesselt kommt der schottische Krieger Ewan Fraser wieder zu sich – auf der Schlafstätte der schönen Brianna MacLeod! Eine Liebesnacht soll er mit ihr verbringen, damit ihr gemeinsames Kind den Frieden zwischen ihren Clans sichert. Und obwohl es Ewan nach Freiheit dürstet, versteht es seine Feindin, ihn mit ihrem schönen Körper zur Lust zu verführen ...

BIS ZUR ZWÖLFTEN NACHT
So wahr Callums unbezähmbares Herz für Schottland schlägt, wird er Lady Alys lieben und ehren. Und morgen, am Weihnachtstag, wird dieser Bund fürs Leben besiegelt! Doch bevor der Highlander sie ehelichen und in der Hochzeitsnacht zur Seinen machen kann, taucht Alys tot geglaubter erster Mann auf. Grausam entstellt verlangt er, dass Callum sie freigibt ...


  • Erscheinungstag 14.10.2023
  • Bandnummer 109
  • ISBN / Artikelnummer 9783751517881
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Hope Tarr

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 109

1. KAPITEL

Markt am Martinstag, 11. November 1450

St. Andrews, County Fife, Schottland

Brianna schlüpfte aus dem überdachten Marktgebäude, in dem das Festgelage in vollem Gange war. Auch wenn sie hier eine Fremde war, musste sie zugeben, dass sich das Angebot mit jedem Bankett messen konnte, das in der Großen Halle ihres Vaters den ehrenwertesten Gästen kredenzt wurde. Sie war so satt, dass sie zu platzen meinte, doch wenn sie an die Delikatessen dachte, unter denen sich die aufgebockten Tische gebogen hatten, lief ihr immer noch das Wasser im Mund zusammen. Köstliche Torten und Pudding mit einem Geschmack nach Vanille, ausgefallene Nuss- und Käsesorten, Blätterteigpasteten mit süßen oder pikanten Füllungen. Das stark gewürzte Essen hatte ihr großen Durst gemacht, den sie mit vielen Bechern honiggezuckerter Milch gelöscht hatte. Jetzt konnte sie ihre volle Blase nicht länger ignorieren. Auch wenn sie eines Tages Laird – Oberhaupt ihres Clans – sein würde, so hatte sie doch menschliche Bedürfnisse, die sich nicht um ihren Rang oder ihre Herkunft scherten.

Sie zog den karierten Wollumhang enger um die Schultern, verließ den Marktplatz und strebte auf der Suche nach einem ungestörten Ort dem Haupttor zu. Ihre Schritte waren auf der mit Dreck bedeckten Gasse kaum zu hören. Teerfackeln beleuchteten den Pfad zwischen den leeren Marktständen. Die Töne einer Flöte ließ sie den Weg zu den Stallungen einschlagen. Das klagende Lied verklang, gerade als sie sich einer angelehnten Tür näherte. Anscheinend war die Musik doch von weiter her gekommen. Sie warf einen flüchtigen Blick über die Schulter, trat ein und zog den Einlass hinter sich zu.

Auf der gegenüberliegenden Wand hing eine Laterne an einem Haken und verbreitete ein schwaches Licht, das kaum die Schatten durchdrang. Brianna zitterte, als die Finsternis ihre Kindheitsängste vor Hexen mit warzigen Nasen, vor Dämonen, die einen mit ihren Heugabeln pieksten, und vor Kobolden, die unartige Kinder nachts aus ihren Betten stahlen, wiederbelebte. Vorsichtig ging sie auf das Licht zu, die Arme ausgestreckt, damit sie nicht hinfiel. Ihre Handflächen schrammten über die raue Wand. Sie lehnte sich an, als sie eine Ecke ertastet hatte, dann hob sie ihre Röcke und hockte sich hin. Ah, welch herrliche Erleichterung …

„Für ein Mädchen hast du aber einen kräftigen Strahl.“

Brianna zuckte zusammen. Mit rasendem Herzen zog sie ihre Röcke hinunter und sprang auf, um sich in den Schatten zu flüchten.

„Hier oben.“ Die heisere Stimme gehörte zu einem jungen Mann, keinem Erwachsenen, und schon gar nicht zu einem Wesen aus dem Jenseits.

Mit brennendem Gesicht verrenkte Brianna sich den Hals und kniff die Augen zusammen. Ein Paar langer, knochiger Beine baumelte vom Balken über ihr herunter. Die Füße, die nackt in Stiefeln steckten, verfehlten nur knapp ihren Kopf. Sie gehörten einem Jungen von etwa zwölf Jahren mit schulterlangem, dunklem Haar, das leicht gewellt war, und vergnügten Augen. In einer seiner breiten Hände hielt er eine Holzflöte.

Von seinem Aussichtspunkt musste er einen Blick auf ihre weiblichen Körperteile erhascht haben. Vor sechs Monaten hätte sie das kein bisschen beunruhigt, aber seit dem Einsetzen ihrer Monatsblutung hatte sie eine neue Züchtigkeit entwickelt. Ihre Wangen glühten vor Scham, als stünde sie an einem Feuer.

Entschlossen, ihre verlorene Würde wiederzugewinnen, hob sie das Kinn und durchbohrte den Jungen mit einem Blick wie ein Dolchstoß. „Du hättest mich auf deine Anwesenheit aufmerksam machen müssen.“

Er sprang hinunter und landete neben ihr im Stroh.

„Warum? Du hast es doch auch nicht für nötig erachtet, auf deine Anwesenheit aufmerksam zu machen.“ Genau wie sie sprach er Gälisch.

Er richtete sich auf, bürstete sich das Heu von Tunika und Hose, die beide dringend geflickt gehörten, und steckte die Flöte in seine Tasche. „Außerdem war ich zuerst hier.“

Das stimmte. Sie war uneingeladen hineingegangen, nichtsdestotrotz war der Stall ein öffentlicher Ort. „Das tut nichts zur Sache. Als zukünftiger Laird bin ich von höherem Rang als du.“

Anstatt eingeschüchtert zu sein, wie sie erwartet hatte, warf er seinen dunklen Kopf zurück und lachte. Er wischte sich mit einer Hand über die Augen und schüttelte den Kopf, als ob sie ein Kind und er ein Erwachsener wäre. „Mädchen können keine Lairds werden.“

Die Behauptung ließ Funken in Brianna sprühen, als würde man Zündstein an Stahl reiben. Sie hieb mit einer Faust in die Luft. „Ich kann und werde Laird sein. Mein Vater hat es mir versprochen, und da er das Oberhaupt des Clans ist, ist sein Wort Gesetz. Eines Tages werde ich bekannt sein als die Mac-Leods.“

Bevor sie zu ihrer Reise aufgebrochen waren, hatte ihr Vater ihr gesagt, dass er nicht vorhätte, sich eine neue Frau zu nehmen. Er hatte vier Kinder auf dem Friedhof begraben, das letzte zusammen mit ihrer lieben Mutter. Mittlerweile war er zu der Überzeugung gelangt, dass es ihm nicht vergönnt war, Söhne zu zeugen. Vor seinem Tod, der hoffentlich in ferner Zukunft lag, würde er sie, sein einziges lebendes Kind, zu seiner Nachfolgerin ernennen.

Der Junge rollte die Augen, und Brianna fiel auf, dass sie von einem klaren, fast leuchtendem Grau waren. Vielleicht lag es an den Schatten. „Zu den Aufgaben eines Lairds gehört es, Männer in den Kampf zu führen. Eine Frau kann das nicht.“

Damit traf er ins Schwarze. Vor ihrem Aufbruch hatte sie belauscht, wie die getreuen Ratgeber ihres Vaters so ziemlich das Gleiche gesagt hatten. „Du hast wohl noch nie von Jeanne d’Arc gehört, du Dummkopf.“

Er zuckte die Schultern, die sehr breit für sein Alter waren. „Das war etwas anderes. Ihr sind Heilige erschienen, Michael, Katharina und Margareta, um genau zu sein. Du machst auf mich nicht den Eindruck, als ob du in nächster Zeit solche Visionen haben könntest.“

Brianna biss sich auf die Lippe. Sie konnte es nicht bestreiten. Seit sie auf wackeligen Kinderbeinen ihre ersten Schritte gemacht hatte, war sie laufend in Schwierigkeiten gekommen.

Als der Junge merkte, dass er die Oberhand hatte, war er nicht mehr zu halten. „Außerdem wirst du dich eines Tages vermählen, und du weißt, was das bedeutet. Du wirst Kinder gebären. Dein Bauch wird groß werden wie ein kleiner Acker, und du wirst zu fett sein, um deine Männer in den Kampf zu führen – außer du möchtest, dass sie dabei wie eine Ente watscheln. Eure Feinde werden die MacLeods den ‚Quak-Quak-Clan‘ nennen.“

Brianna stampfte mit dem Fuß im Stroh auf. „Das werden sie nicht.“

„Werden sie doch.“

Zweifellos drohte ihre liebe verstorbene Mutter vom Himmel herunter mit dem Finger, aber im Augenblick war Brianna zu wütend, als dass es ihr etwas ausgemacht hätte. Sie ballte eine Hand zur Faust, holte aus und schlug zu.

Ihre Fingerknöchel trafen sein Zwerchfell, das steinhart war, obwohl er so jung und mager war. Ein solcher Schlag hätte sogar die meisten Jungs ihres Alters umgehauen, aber er hielt sich wacker.

„Autsch!“ Er rieb sich den Bauch und starrte sie an. Die unschuldige Reinheit seines Blicks ließ bereits Bedauern in ihr aufkommen. „Ich schätze, dein Temperament passt genau zu deinen Haaren.“

Brianna ignorierte seine Anspielung auf ihre kupferroten Locken, die sie zu einem unordentlichen Zopf geflochten trug, verschränkte die Arme und funkelte ihn an. „Das ist die gerechte Strafe dafür, dass du ungefragt geredet hast. Denn du bist weder mit mir verwandt noch mir ebenbürtig.“ Sie ließ ihren Blick abschätzig über sein gemeines Gewand gleiten.

Er starrte düster zurück. „Falls es dich interessiert, auch ich bin ein zukünftiger Laird.“

Sie betrachtete den abgenutzten Plaid, den er um Schultern und Brust geschlungen hatte. Auch wenn der Stoff verblasst war, konnte sie jetzt, da ihre Augen sich an das schwache Licht gewöhnt hatten, das Muster ausmachen. Leuchtendes Scharlachrot war verwoben mit Waldgrün, den Farben der Frasers. Brianna wich zurück. Die MacLeods und die Frasers waren zwar nicht ausdrücklich verfeindet, aber auch nicht gerade befreundet. In den letzten Jahren war es immer wieder vorgekommen, dass besonders an Markttagen Vieh der MacLeods verschwand. Sie hatte gehört, dass der Laird der Frasers Zwillingssöhne hatte, Callum und Ewan, die zwei Jahre jünger waren als sie, doch sie hatte darüber noch nie nachgedacht.

Welchem der beiden Brüder stand sie jetzt gegenüber? „Ach, wirklich?“, antwortete sie.

Er schüttelte den Kopf, sein Blick trübte sich. Dann klärte er sie auf. „Na ja, mein Bruder Callum ist eine viertel Stunde älter als ich. Ich bin Ewan, der jüngere Sohn meines Vaters.“

Sie streckte ihre Hand aus. „Ich bin Brianna, die einzige Tochter meines Vaters.“ Selbst jetzt, wo sie beschlossen hatte, freundlich zu sein, konnte sie anscheinend ihren Stolz nicht unterdrücken.

Er nahm ihre Hand. Seine langen Finger umfassten ihre. Sein Griff war fest, aber sanft und angenehm warm. „Ich freue mich, dich kennenzulernen, Brianna vom Clan der MacLeods. Was macht die Tochter eines Lairds – verzeih, ich meine: Was macht ein zukünftiger Laird auf einem Markt so fern von unserer Heimatinsel?“

„Ich helfe meinem Vater, das Vieh zum Markt zu treiben. Wir sind geblieben, um ihn anzusehen und den Festtag zu feiern.“ Sie blickte auf ihre Hand, die er immer noch hielt.

Errötend ließ er sie los, als er es bemerkte.

„Vieh zum Markt zu treiben ist eine schwere Arbeit für ein Mädchen.“

Sie spürte, dass er sie absichtlich reizte, dennoch wurmte es sie wie immer, wenn jemand darauf anspielte, dass sie kein Junge war. Wenn sie doch nur als solcher geboren worden wäre, um wie viel einfacher könnte ihr Leben sein! Sie richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. Sie befand sich zwar noch im Wachstum, überragte aber bereits die meisten Frauen ihres Clans und war mit vielen Jungen ihres Alters auf Augenhöhe. Doch Ewan Fraser war einige Zoll größer als sie, obwohl er jünger war.

„Ich bin nicht irgendein Mädchen. Ich bin die Tochter des MacLeod.“

Er schüttelte seinen dunklen Kopf und forderte sie mit seinen klaren, schlauen Augen heraus. „Nun, du bist recht hübsch, Brianna von den MacLeods. Und du duftest nach Frühlingsblumen.“

Als Brianna seinen Blick erwiderte, spürte sie im Herzen ein merkwürdiges kleines Flattern. Er musste die parfümierte Seife bemerkt haben, mit der sie sich Gesicht, Hals und Haare gewaschen hatte. Es war eine Zubereitung aus zerstoßenen Kirschblüten und Lavendel, die ihr Kindermädchen Milread speziell für sie angefertigt hatte.

Besser noch: Er hatte sie als hübsch bezeichnet. Sie war sicher nicht hässlich, aber sie hatte sich nie als schön erachtet. Erstens war sie zu groß und grobknochig. Zweitens war ihr Mund zu breit. Und dann waren da noch ihre Haare, diese rebellischen roten Locken, die sich nicht ordentlich flechten oder aufrollen ließen. Hübsche Mädchen waren zierlich wie Feen, mit rosafarbenen Schmollmündern und flachsblonden Locken, die ihnen wie Seidenvorhänge bis über die Taille fielen.

„Es ist schade, dass du so hochmütig bist“, fügte er mit verengten Augen hinzu.

Da sie gedanklich immer noch mit dem unerwarteten Kompliment beschäftigt war, dauerte es einen Moment, bis sie merkte, dass er sie soeben kritisiert hatte. Sie hatte oft genug an den vierteljährlichen Gerichtstagen ihres Vaters teilgenommen, um zu wissen, dass er den niedrigsten Kleinbauern und den höchsten Adeligen mit derselben Höflichkeit behandelte. Seine Gerechtigkeit war eine der vielen Qualitäten, mit denen Magnus MacLeod sich die unverbrüchliche Treue seines Clans verdient hatte. Obwohl Brianna sich bemühte, ihm auf jede Weise ähnlich zu sein, schien es, als ob sie dabei wieder einmal gescheitert wäre.

Sie ließ die Schultern hängen. „Ich nehme an, es würde mir nicht schaden, ein bisschen mehr Demut zu zeigen.“ In dem Bemühen, ein gerechteres Verhalten an den Tag zu legen, fügte sie hinzu: „Du darfst zurückschlagen, wenn du willst.“

Er antwortete auf ihren Vorschlag mit einem heftigen Kopfschütteln, während sich Entsetzen auf seinem fein gezeichneten Gesicht ausbreitete. „Nay, das kann ich nicht.“

„Sei nicht dumm, es ist nur gerecht.“ Sie streckte ihren alles andere als schlanken Bauch vor und machte sich auf seinen Schlag gefasst. „Nein, wirklich, nur zu.“

Seine hellen grauen Augen ruhten auf ihrem Gesicht. Trotz seines guten Benehmens fühlte sie, wie unnachgiebig er war. „Selbst wenn du eine MacLeod bist, so bist du doch immer noch ein Mädchen. Mein Vater würde mir das Fell über die Ohren ziehen, wenn er herausfände, dass ich dich geschlagen habe, und meine Mutter würde es gerben. Aber du bist wirklich mutig.“ Er zögerte. „Denkst du wirklich, dass man dir gestatten wird, Laird zu werden?“

Zum ersten Mal, seit ihr Vater sie beiseitegenommen und ihr seine Pläne anvertraut hatte, fühlte Brianna einen Hauch von Zweifel. „Wenn mein Vater es verfügt, dann muss es so sein.“

Den Blick auf die Füße geheftet, schob er das Stroh mit der Stiefelspitze hin und her. „Trotzdem wirst du einen Ehemann brauchen.“

Brianna zuckte die Schultern. „Ja, das nehme ich an.“ Von all den Dingen, auf die sie sich freute, wenn sie einmal erwachsen war, gehörte die Ehe zu denen, die weit unten auf ihrer Wunschliste rangierten. „Ich bin mit meinem Vetter Donald verlobt worden, als wir noch Säuglinge waren. Aber er spielt nicht so gern im Freien wie ich, und meine Katze Muffin bringt ihn zum Niesen.“

Ewans Kopf schoss hoch und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Heirate mich stattdessen. Ich übertrumpfe meinen Bruder in fast allen Spielen. In ein paar Jahren werde ich alt genug sein, um mit den erwachsenen Männern am Baumstammwerfen teilzunehmen. Oh, und ich mag Katzen ganz gern.“ Er zögerte und fügte dann hinzu: „Zumindest bringen sie mich nicht zum Niesen.“

Brianna starrte ihn an, neugierig und ein klein wenig aufgeregt. Hatte er ihr wirklich gerade einen Heiratsantrag gemacht? Wenn sie schon einen Mann nehmen musste, würde ihr Ewan Fraser sicher eher zusagen als ihr ruhiger, belesener Vetter.

„Ich werde meinen Vater fragen müssen, aber ich nehme an, dass das in Ordnung geht.“

Ewan lächelte noch breiter.

„Ich habe nichts, das wir als Ring benutzen könnten, aber damit die Verlobung gültig ist, müssen wir etwas austauschen.“

Sie überlegte. Das einzig Wertvolle, was sie dabei hatte, war ihr Kurzdolch, ein Geschenk ihres Vaters zu ihrem letzten Namenstag. Es widerstrebte ihr, ihn herzugeben.

„Ein Bluteid könnte den Zweck vielleicht auch erfüllen.“

Sie raffte ihren Rock und zog das kleine Messer aus der Scheide in ihrem Strumpf. Sie richtete sich auf und schwang die Klinge.

Ewan zuckte weder zusammen noch zeigte er sich entzückt über die Schönheit des juwelenverzierten Griffs, wie sie angenommen hatte. „Ich hoffe, du weißt damit umzugehen.“

„Natürlich“, erwiderte sie. „Um es zu beweisen, werde ich bei mir anfangen.“

Sie drehte die linke Hand mit der Handfläche nach oben. Um nicht aufzuschreien und sich zu blamieren, biss sie sich auf die Unterlippe, während sie mit der Spitze der Klinge über den fleischigen Teil ihres Daumenballens fuhr und einen dünnen, scharlachroten Halbkreis erzeugte. Sie hielt ihm die Hand hin und sagte: „Siehst du?“

Sie griff nach seiner Hand, aber er schüttelte den Kopf. „Ich mache meinen Schnitt selbst, danke.“

Brianna zögerte. Konnte sie es wagen, ihre Waffe einem Fremden zu überlassen, der dazu auch noch einem konkurrierenden Clan angehörte? Doch ob nun Rivale oder nicht, bezweifelte sie, dass er das Messer dazu verwenden würde, ihr den Hals aufzuschlitzen. Schließlich war er nur ein Junge, obgleich ein ungewöhnlich gut aussehender und starker. Aber was würde ihn davon abhalten, das Messer einzustecken und damit zu verschwinden?

Sein fester Blick ließ diesen Gedanken sofort verfliegen, und der Junge berührte etwas in ihr, verursachte ein sonderbares, flatterndes Gefühl, das in ihrem Herzen Wurzeln schlug. Brianna spürte, dass das Schicksal weitaus mehr für sie beide auf Lager hatte als einen unbedeutenden Diebstahl.

Sie überreichte ihm das Messer. „Nun gut. Aber komm nicht auf die Idee abzuhauen. Ich bin so stark wie jeder beliebige Junge, und ich habe Beine so flink wie die eines Kaninchens. Ich würde nicht eher ruhen, als bis ich dich eingeholt hätte, und dann würde mehr als dein Daumen einen Schnitt abbekommen.“

Lachfalten breiteten sich in seinen Augenwinkeln aus. „Brianna vom Clan der MacLeods, du bist zweifellos das kühnste Mädchen, dem ich je begegnet bin.“

Brianna konnte nicht anders als zurückzulächeln. „Vielleicht solltest du mehr aus dem Haus gehen.“ Was kümmerte es sie, dass sie bei der gegenwärtigen Reise selbst zum ersten Mal einen Fuß aufs Festland gesetzt hatte.

Er nahm den kleinen Dolch und ritzte sich mit der Spitze eine halbkreisförmige Wunde, ein fast getreues Spiegelbild ihres Schnittes, nur tiefer und klaffender. Als sie das Blut hervorsprudeln sah, musste sie ihn dafür bewundern, dass er dabei kaum gezuckt hatte.

„Hier.“ Er reichte ihr das Messer zurück.

Sie streckte ihre unversehrte Hand aus, nahm es und ließ es wieder in ihren Strumpf gleiten. Dann hielt sie ihm ihre blutende Hand entgegen und fühlte sich dabei, als wäre sie in einer Kapelle oder an einem anderen heiligen Ort. Sie verschränkten die Hände und rieben die Handflächen aneinander.

Ihre Augen trafen sich. „Ich, Ewan Fraser, schwöre, dass ich in sieben Jahren dich, Brianna vom Clan der MacLeods, zu meiner Braut machen werde.“

Mit Herzklopfen antwortete Brianna: „Ich, Brianna MacLeod, schwöre, dass ich in genau sieben Jahren, gerechnet ab dem heutigen Tag, keinen anderen als dich, Ewan Fraser, zu meinem Mann nehmen werde.“

Sie zog ihre Hand weg und sah ehrfürchtig auf das verschmierte Blut, seines und ihres, herab. „Wir haben einen Pakt geschlossen.“

„Noch nicht ganz. Wir sollten den Handel auch mit einem Kuss besiegeln.“ Er hob einen Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen, das nicht zu seinen ernsten Augen passen wollte.

Brianna Kopf schoss hoch. „Mit einem Kuss?“

„Ja.“ Er nickte, nun ein Funkeln in den Augen. „Schließlich ist es kein gewöhnlicher Pakt, sondern eine Verlobung.“

Sie war noch nie von einem Jungen geküsst worden. Als sie sich vorstellte, wie Ewans volle Lippen ihre berühren würden, durchfuhr sie ein seltsames Prickeln, teils Neugierde, teils Angst. Aber da er sich angesichts des Blutschwurs so tapfer gezeigt hatte, wie konnte sie jetzt feige sein?

Sie beugte sich vor, legte ihre Hände auf seine Schultern und berührte seinen Mund mit ihrem. Der Kuss begann so weich und sanft wie ein steter Sommerregen. Ewans Lippen waren kühl und fest, sein Atem duftete frisch nach Fenchel wie das Konfekt, das sie vorhin probiert hatte. In der Großen Halle ihres Vaters hatte sie Troubadouren und Balladensängern gelauscht, die die Lippen einer Dame mit Rosenblüten und ihre Brüste mit Turteltauben verglichen. Bis jetzt hatte Brianna nicht verstanden, was sie damit meinten, ganz zu schweigen davon, warum man deswegen so viel Aufhebens machte.

Jetzt verstand sie es.

Ewan schlang seine Hände um ihre Taille und zog sie näher an sich heran. Der Kuss wurde tiefer. Er ließ seine Zunge zwischen ihre geteilten Lippen gleiten, und ein warmes Trommeln erklang tief in ihrem Bauch. Das musste dieses ach so gepriesene Gefühl sein, das sich Begehren nannte.

Brianna zuckte zurück, überrascht angesichts der Stärke dieses Gefühls. Errötet und aufgeregt lächelte sie ihn unsicher an. „Ich schätze, du würdest ganz gut als Gemahl taugen.“

„Brianna … Brin! Wo, zum Teufel, steckst du, Mädchen?“

Die Stimme ihres Vaters, die von draußen kam, ließ Brianna sofort wieder zum Kind werden. Sie drehte den Kopf zur Tür, die sie zum Glück geschlossen hatte, als sie die Stallungen betrat. Ihr Vater war nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen, aber er würde nicht gerade erfreut darüber sein, dass seine Tochter sich mit einem Fraser verbündet hatte. Wenn er dann noch erfuhr, dass das Geplänkel mit einem Kuss geendet hatte, würde er an ihrem Urteilsvermögen zweifeln und ihren anderen Vetter, Hugh, als seinen Nachfolger einsetzen. Der war zwar sieben Jahre jünger als sie und noch grün hinter den Ohren, aber man konnte nie wissen.

Sie wandte sich wieder Ewan zu und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. „Das ist mein Vater. Ich muss gehen. Wir reisen früh am Morgen ab.“

Er sah sie betrübt an und nickte. „Ist in Ordnung, aber vergiss unsere Abmachung nicht. Wenn wir erwachsen sind, heiraten wir einander, und niemand anderen.“

„Das vergesse ich bestimmt nicht.“ Schweren Herzens ging sie zur Tür.

„Brianna, warte.“

Mit pochendem Herzen fuhr sie herum. „Ja?“

Er hielt ihr die Flöte hin. Brianna schüttelte den Kopf. „Nein, Ewan, ich kann sie nicht …“

„Doch, du kannst sie annehmen.“ Er überquerte den strohbedeckten Boden, griff nach ihrer Hand und drückte ihr das Instrument hinein. „Es ist kein besonderes Brautgeschenk, aber wenn wir erwachsen sind, werde ich ein Besseres besorgen.“

Briannas Finger schlossen sich um das glatte Holz, das warm war, weil es in Ewans Tasche gesteckt hatte. Noch nie in ihrem Leben hatte ein Geschenk sie so berührt. „Aber ich weiß nicht, wie man sie spielt.“

Ewan schien das lustig zu finden. Sein hübscher Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, und seine Augen, die eben noch traurig gewesen waren, funkelten wie Sterne. „Das macht nichts, Mädchen. Sobald wir verheiratet sind, werde ich für dich jede Melodie spielen, die du dir wünschst.“ Er unterstrich das Versprechen mit einem Zwinkern.

Draußen kamen schwere Schritte näher. „Brianna, Brin, antworte mir, Tochter.“

Brianna war schlau genug, den Unterton von Angst in der scharfen Stimme ihres Vaters herauszuhören. Er machte sich Sorgen um sie. Ganz bestimmt wagte sie nicht, länger zu zögern.

Sie starrte zu Ewan hoch und fühlte sich, als müsse sie sich von einem langjährigen Freund verabschieden, nicht von einem Jungen, den sie gerade erst kennengelernt hatte. „Mach’s gut, Ewan Fraser, bis wir uns wiedersehen.“

„Du wirst es nicht vergessen, Brin?“ Sein Blick bohrte sich in ihren.

Den Tränen nahe, schüttelte sie den Kopf. „Nein, Ewan, ich werd’s nicht vergessen.“ Sie küsste ihn auf die Wange, drehte sich um und stürzte zur Tür hinaus.

2. KAPITEL

Dunvegan, Burg der MacLeods, Isle of Skye

Pfingstsonntag, 15. Mai, zehn Jahre später

Ich habe Euren Bruder für meinen Gemahl in Zahlung genommen. „Auge um Auge …“

Mit dem Federkiel zwischen ihren tintenbeschmutzten Fingern sah Brianna, Laird der Mac-Leods von ihrem Erpresserschreiben auf und starrte aus dem Sonnenfenster. Sie hoffte auf Inspiration, besser noch auf ein Zeichen von dem fast wolkenlosen Baldachin des blauen Himmels, den zerklüfteten Bergkämmen und dem von Felsbrocken gesäumten See. Aber diesmal konnte selbst die kühne Schönheit ihrer Heimat sie nicht begeistern. Eine salzige Brise blies durch den offenen Fensterflügel herein, trocknete die frische Tinte und ließ die Ränder des angefangenen Briefs so heftig flattern, dass er fortzufliegen drohte. Sie legte den Federkiel hin und griff nach der Goldkette um ihren Hals, an der zwischen ihren Brüsten der schwere Siegelring ihres Vaters hing, der jetzt ihr gehörte. Er war zu groß für ihre Finger, sogar für den Daumen. Sie zog die schwere Kette über den Kopf und legte sie auf die tintenbekleckste, aber größtenteils unbeschriebene Seite.

Sie seufzte. Falls sie den Brief absenden wollte, müsste sie ihn noch einmal beginnen. Es half nichts. Nun, da die Entführung im Gange war, schien sie ihre Gedanken nicht ordnen zu können.

Falls die drei Krieger, die sie vergangene Nacht entsandt hatte, ihre Mission erfüllt hatten, würde Ewan Fraser noch vor der Dämmerung ihr Bett wärmen.

Der Gedanke brachte ihr Herz ins Stolpern und ließ ihre Glieder erzittern, als ob sie wieder das Kind wäre, das bei einer Mutprobe auf die Brüstungswand kletterte und die Beine darüber baumeln ließ, den Blick auf den Abgrund gerichtet, aus dem ihr Klippen so scharf wie Drachenzähne entgegenstachen.

Jetzt, ein Jahrzehnt später, fühlte sie sich, als stünde sie kurz davor, Hals über Kopf in eine andere Art von Abgrund zu stürzen, in dem gegenseitige Beschuldigungen und Rachegefühle lauerten.

Die Spannungen zwischen den MacLeods und den Frasers waren im Laufe der Jahre hochgekocht. Die Vorwürfe reichten von Viehdiebstahl bis zur Plünderung der Whiskybrennereien.

Aber dann hatte vor drei Monaten Ewans Zwillingsbruder Callum Briannas Mann Donald kaltblütig ermordet. Es war keine Liebesheirat gewesen, aber sie und Donald waren zusammen aufgewachsen. Obwohl sie ihn nur aus Pflichterfüllung geehelicht hatte – was ihr nicht leicht gefallen war –, mit Sicherheit hatte sie ihm nicht den Tod gewünscht.

Nach außen hin hatte Donald so sonnig gewirkt wie sein goldenes Haar und seine sanften, nussbraunen Augen. Aber nach der Hochzeit offenbarte er einen dickköpfigen Charakter. Entgegen ihrer Bitten und den Befehlen ihres Vaters hatte er sich mit Callum Fraser getroffen, um die Diebstahlsbeschuldigungen ein für allemal aus der Welt zu schaffen.

Als er bei Einbruch der Nacht noch nicht zurückgekehrt war, wurde ein Suchtrupp entsandt. Mit Fackeln bewehrt, hatte man im Schein des Vollmonds seine Leiche am See, dem Loch, gefunden. Ein blutverschmierter Felsbrocken lag nur knapp einen Fuß neben seinem eingeschlagenen Schädel. In der erstarrten Hand hielt er einen Fetzen Plaid mit dem Muster der Frasers, ein erdrückender Beweis.

Durch den Schock hatte Brianna eine Fehlgeburt erlitten. Den Verlust ihres Kindes konnte sie nicht so leicht verzeihen. Wegen der engen Blutsbande zwischen Brüdern hatte sie jedes Recht, Ewan für den Schaden zur Rechenschaft zu ziehen, den sein Bruder angerichtet hatte. Und doch erschien es ihr wie ein weiterer betrauernswerter Verlust, dass sie zu dem Zweck die Erinnerung an den glücklichen Markttag beiseiteschieben musste.

Aber sie hatte keine Wahl. Seit zwei Tagen lag ihr Vater auf dem Friedhof. Mit seinem letzten Atemzug hatte er ihr den Clan, die Ländereien und die Festung der MacLeods anvertraut. Und schon gab es Gemurmel unter ihren Beratern, den „Alten Herren“, dass keine Frau seinen Platz einnehmen konnte, auch wenn es die von ihm begünstigte Tochter war.

Sicher würden ihre Feinde, die Frasers, einen weiblichen Anführer geradezu als eine Einladung zum Angriff betrachten. Obwohl die Burg eine der standhaftesten Festungen war, die jemals erbaut wurden, galt es, die Sicherheit der Kleinbauern und aller anderen zu beachten, die Schutz in ihren Mauern suchten. Ein gesundes Kind, das zu gleichen Teilen das Blut der MacLeods und der Frasers in sich trug, würde die Fehde weit besser beenden, als jeder Vertrag es könnte, sei er auf Pergament geschrieben oder durch einen Händedruck besiegelt. Sie brauchte Ewan Fraser mehr als sie je wieder einen Mann zu brauchen gehofft hatte.

Ein hoher Klagelaut ließ sie über ihre Schulter zum Bett sehen. Milread, ihr ehemaliges Kindermädchen, schwenkte einen Weidenzweig über der aufgeschlagenen Bettdecke. Die alte Frau sang irgendein unsinniges Fruchtbarkeitslied, das Brianna erröten ließ.

„Milread, ich warne dich, wage es nicht, auch noch Rosenblüten auf den Laken zu verteilen, sonst lasse ich dich auspeitschen.“ Sie steckte die Feder zurück ins Tintenfass und stieß ein stilles Stoßgebet aus, die Heiligen mögen ihr die nötige Geduld gewähren, um diesen Tag durchzustehen.

Kichernd ließ Milread den Zweig fallen und trat schlurfend an Briannas Seite. „Nay, Süße, das würdest du nicht tun. Dafür liebst du mich zu sehr.“

Brianna schüttelte den Kopf, hin- und hergerissen zwischen Erschöpfung und Erheiterung. „Verzeih mir, Milread. Ich hätte nicht so streng zu dir sein sollen.“ Seit dem Tod ihrer Mutter war die Alte mehr ein Elternteil für sie gewesen als eine Dienerin.

Milread strich Brianna eine Strähne ihres kupferroten Haars hinters Ohr. „Macht nichts, Püppchen. Du musst dich fühlen, als ob du das Gewicht der Welt auf deinen schlanken Schultern trägst. Aber sei ohne Sorge. In der Nacht, als dein lieber Vater starb, habe ich für dich die Runen gelesen. Die Steine sagen dir ein langes und glückliches Leben voraus. Bald wirst du wieder ein Kind erwarten und einen lüsternen Mann mit kohlrabenschwarzem Haar dein Eigen nennen, der viele weitere mit dir zeugt.“

So verlockend es war, an eine so sichere Zukunft zu glauben, blieb Brianna doch skeptisch, ob ein Beutel voller Steine Haarfarbe oder Manneskraft ihres zukünftigen Gemahls prophezeien konnte. Wahrscheinlicher war, dass Milread einmal gehört hatte, wie jemand die Fraser-Zwillinge als dunkelhaarig und helläugig beschrieben hatte, und es ihr jetzt wieder eingefallen war. Was die Lüsternheit anbetraf, nun, das war sicher ein schöner Gedanke.

„Du solltest etwas essen.“ Milreads Genörgel brachte sie in die Gegenwart zurück. „Du wirst deine Kraft für deinen Bräutigam brauchen.“ Die kluge Frau deutete mit dem Kinn auf den Zweig, der in der Mitte des Betts mit dem Baldachin lag.

„Ewan Fraser ist nicht mein Bräutigam“, fuhr Brianna sie an. Ihre zukünftige körperliche Verbindung mit dem Bruder ihres Erbfeinds war ein Thema, auf das sie aus einer Vielzahl von Gründen empfindlich reagierte. Nachsichtig fügte sie hinzu: „Ich habe nicht vor, noch einmal zu heiraten. Und selbst wenn, dann sicher nicht den Zwillingsbruder des Mannes, der meinen Gemahl ermordet hat.“

Milread bewegte ihre krummen Schultern. „Nur der Herr kann unbehelligt Pläne schmieden. Wir Sterblichen müssen annehmen, was die Vorsehung für uns bestimmt hat. Eine Ehe wird das Zerwürfnis, ob es nun berechtigt ist oder nicht, zwischen den Clans beenden. Und mit der Zeit wird sie vielleicht auch dein Herz heilen.“

Brianna lachte freudlos. „Ich habe kein Herz, das geheilt werden könnte.“ Nach all den Verlusten war es besser, keine Gefühle zuzulassen.

Milread heftete ihren umwölkten Blick auf Briannas Gesicht. Obwohl sie halbblind war, sah die kluge Frau mehr als andere. „Drei Monate sind eine lange Zeit für ein Mädchen, um allein zu Bett zu gehen, und Lord Donald war alles andere als lüstern.“

Blut schoss Brianna ins Gesicht, denn es stimmte. Selbst wenn Donald mehr Eifer gezeigt hätte, wären dennoch dumme Fantasien über Bluteide und gestohlene Küsse in Briannas Kopf herumgespukt, über rabenschwarze Locken, die wie Federn über klare graue Augen fielen, die ihr geradewegs in die Seele zu sehen schienen. Brianna fühlte Tränen ihre Wangen hinunterlaufen und sah schnell weg. „An meinem nächsten Namenstag werde ich fünfundzwanzig, ich bin kein Mädchen mehr. Und was Ewan Fraser anbetrifft, will ich von ihm nur ein Kind empfangen. Sobald das geschehen ist, kann er zu seinem Clan zurückgehen, von mir aus auch zum Teufel.“

Angesichts des diabolischen Handels, den sie vorhatte, erschien das eine passende Einstellung.

Die beiden Frauen fuhren herum, als es an der Tür klopfte. Mit Nerven so angespannt wie eine Bogensehne, rief Brianna den Besucher herein.

Die Tür öffnete sich und Duncan, der kräftig gebaute Vetter ihres Vaters, erschien. Duncan war der Erzeuger des Kriegers Hugh und hatte ihrem Vater viele Jahrzehnte als Ratsmitglied gedient. Mit beinahe sechzig Jahren war er immer noch breitschultrig und hielt sich kerzengerade.

Mit dem Arm, an dem er ein schwarzes Trauerband trug, berührte er die Stirn und verbeugte sich. „Der Gefangene Fraser erwartet Euch, Milady.“

Als sie hörte, dass ihr Plan erfolgreich gewesen war und Ewan Fraser tatsächlich auf ihrer Burg im Kerker saß, machte ihr das erdrutschartig das ganze Ausmaß dessen klar, was sie getan hatte. Sie öffnete den Mund, um zu antworten, aber ihre Zunge war wie festgewachsen.

„Soll ich ihn zu Euch bringen, bevor das Gericht beginnt?“, fragte Duncan.

Das Gericht! Sie war so damit beschäftigt gewesen, über Ewans Ankunft nachzudenken, dass sie beinahe ihre Pflicht vergessen hätte.

Es war Brauch, dass der Laird vierteljährlich die Pacht einsammelte und Gericht hielt. In der Großen Halle und auf den Fluren warteten bereits die Bittsteller. Sie konnte unmöglich einen Gefangenen in Ketten hereinbringen lassen. Sie warf einen flüchtigen Blick auf den begonnenen Brief und entschied, ihn zunächst nicht seinen Adressaten zu überbringen. Je weniger Leute von ihren Absichten wussten, desto besser. Mit etwas Glück würde sie ihr Ziel erreicht haben, wenn Callum Fraser herausfand, wo sein Zwillingsbruder abgeblieben war – und Ewan wäre bereits auf dem Heimweg.

Sie schüttelte den Kopf. „Haltet ihn gefangen, bis ich das Gericht auflöse. Dann bringt ihn mir hierher, in meine Gemächer.“

„Wie Ihr wünscht, Milady.“ Sein Blick fiel auf das Blatt auf ihrem Schreibtisch. „Eine Lösegeldforderung? Soll ich einen Boten damit zu den Frasers schicken?“

Verärgert über die Anmaßung, zögerte Brianna. „Ich werde damit noch warten, aber danke.“ Sein prüfender Blick war ihr unangenehm, darum öffnete sie eine Schublade und ließ den Brief hineingleiten.

Er nickte und bewegte sich rückwärts zur Tür. Als ein Sonnenstrahl durch das Fenster auf sein wettergegerbtes Gesicht fiel, bemerkte sie ein blaues Auge. „Wo kommt das her?“

„Der Festgenommene war nicht besonders willig.“

Brianna war verwirrt. Sie erinnerte sich an Ewan als einen mageren, schlaksigen Jungen, der lieber die Flöte spielte als mit Fäusten zu kämpfen. Duncan mochte nicht mehr der Jüngste sein, aber er war ein gestandener Krieger, der sein Breitschwert, das Claymore, mit Kraft und Geschick führte.

„Ach so. Wir sehen uns dann nachher.“

Er verbeugte sich. Nachdem er gegangen war, schob Brianna ihren Stuhl zurück und erhob sich.

Milread tippte mit einem langen, vergilbten Fingernagel auf den Tisch. „Lass den Ring nicht herumliegen. Das Siegel des Laird ist nur an deinem Körper sicher.“

Dankbar, dass sie sie erinnert hatte, nahm Brianna den Ring auf und ließ die Kette über ihren Kopf gleiten. Falls sie sich dafür entschied, ein Lösegeld zu verlangen, würde sie das Schreiben – und ihrer aller Schicksal – besiegeln, indem sie den Karneol in das warme Wachs drückte. In den Stein geritzt waren Stierhörner und der Wahlspruch der MacLeods: „Bleib dir treu.“

„Danke, Milread. Heute scheine ich nicht ich selbst zu sein.“

„Wer sonst solltest du sein, wenn nicht du selbst? Dein Vater hat dich bestens unterrichtet. Du weißt, was es bedeutet, Laird zu sein. Jetzt beweise dich und sei eine Frau.“

„Herhören, alle herhören, das Gericht der MacLeods tagt.“

Brianna sah von ihrem Podium in die brechend volle Halle hinab. Die Tische und Bänke waren an die Wände geschoben worden, damit die Menge Platz hatte, Männer, Frauen und Kinder, die wie Klafterholz rechts und links des breiten Mittelgangs aneinandergequetscht standen. Obwohl sie im Laufe der Jahre schon manchem Gerichtstag beigewohnt hatte, fühlte es sich dieses Mal ganz anders an. Jetzt war sie selbst der Laird. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Weitere neugierigere Blicke starrten über das Geländer der Galerie auf sie herab. Sie konnte sich fast einbilden, wie Malcolm, der erste Laird der MacLeods, ihr von dem Wandteppich hinter ihr über die Schulter spähte.

Sie verbrachte die nächsten Stunden damit, den vorgebrachten Bitten und Anschuldigungen zu lauschen, und sie versuchte, alle Seiten zu hören, bevor sie ein Urteil fällte.

Wenn sie dazwischen etwas Zeit hatte, stellte sie sich vor, wie der erwachsene Ewan Fraser wohl aussah. Zweifellos war er nicht mehr so dünn. Hoffentlich hatten seine Augen die kristallene Klarheit behalten, an die sie sich erinnerte. Sie war aufgeregter als am Abend vor ihrer Heirat mit Donald. Auch wenn es unziemlich war, konnte sie es nicht erwarten, mit ihrem Feind im Bett allein zu sein.

Und doch quälten sie heftige Selbstzweifel. Vor zehn Jahren hatte er sie als hübsch bezeichnet, aber zehn Jahre waren eine lange Zeit. Ob er sie überhaupt noch ansprechend fand? Immerhin würde sie sauber sein. Sie hatte ihre Zähne wie jeden Morgen mit einem Haselnusszweig gereinigt und danach länger als sonst mit einem Tuch gerieben, das sie in Zahnpuder aus Salbei und Salz getunkt hatte, bis sie glänzten wie polierter Marmor.

Bevor sie in die Halle hinuntergegangen war, hatte sie den Mund mit Fenchel-Rosmarinessig ausgespült. Aber würde das reichen? Ihre Haare waren immer schon eine Katastrophe gewesen. Die feuerroten Locken ließen sich einfach nicht bändigen. Sie hatte verschiedene Frisuren probiert, und war schließlich wieder zu ihrem üblichen geflochtenen Zopf zurückgekehrt.

Der Saaldiener schlug mit dem Hammer auf den Tisch, um den nächsten Fall aufzurufen. Zwei Frauen erhoben Anspruch auf dasselbe Kind, einen hübschen Jungen mit goldenen Locken, runden Apfelbäckchen und den vollkommensten Babyfingern, die Brianna je gesehen hatte. Während sie das Kind anstarrte, das sich in der ungeschickten Umarmung der älteren Frau wand, fühlte sie eine verzweifelte Leere in sich aufsteigen. Sie brauchte ein Baby, um die Blutfehde zu beenden und ihre Position als Laird zu festigen. Aber vor allem sehnte sie sich danach, Mutter zu werden.

Sie gab sich einen Ruck und sah die beiden Frauen an, die vor ihr standen. Die Jüngere schien kaum älter als sechzehn zu sein. Sie trug ein fadenscheiniges, hellgelbes Kleid, die Farbe der Dirnen. Brianna hatte Mitgefühl mit der jungen Frau, deren blaue Augen in dunklen Höhlen lagen. Sie schien nicht zu wissen, wohin mit ihren spindeldürren Armen, die kein Kind zu halten hatten. Trotz ihres niedrigen Ranges hatte sie ihr hellblondes Haar ordentlich geflochten. Ihre bloßen Füße und Knöchel waren sauber geschrubbt.

Brianna ließ den Blick zu der anderen Frau wandern, die etwa fünf Jahr älter war und ein Bild der Rechtschaffenheit bot. Sie hatte ihr Kopftuch so gebunden, dass keine einzige Haarsträhne hervorschaute. Die unnatürlich hohe Stirn in tiefe Falten gelegt, hielt sie das Kind wie einen Mehlsack, nicht wir ihr eigen Fleisch und Blut.

Die Blonde sank auf die Knie. „Mein Laird, ich flehe Euch an, meine Bitte zu erhören, denn Ihr seid meine letzte Hoffnung. Vor zwei Wochen betrat diese Frau in den frühen Morgenstunden meine Hütte und raubte meinen Alasdair.“

Die Frau, die das Kind hielt, stampfte vorwärts. Das Geschrei des Kindes übertönend, keifte sie: „Alles Lügen, mein Laird. Dies ist mein eigener süßer Fearghas, das Licht meines Lebens und das Ebenbild seines lieben, verstorbenen Vaters. Ihr gebt doch nicht mehr auf das Wort einer gemeinen Schlampe!“

Brianna konnte die Witwe auf Anhieb nicht leiden, entschloss sich aber gerechterweise, beide Seiten zu hören. „Lasst sie aussprechen. Danach seid Ihr dran, Madam.“ Sie nickte der knienden Frau zu, damit sie weitersprach.

Diese atmete hörbar ein. „Ich hatte meinen Alasdair gerade gefüttert. Er kann jetzt Hafergrütze mit Milch essen, aber er verträgt sie nur mit etwas Honig und Sahne. Da stürmte sie plötzlich herein und riss ihn mir aus den Armen. Ich nahm die Verfolgung auf, aber der Nachtwachmann hielt mich zurück. Er war auf ihrer Seite, weil sie die Witwe eines Bürgers ist, während ich … nur eine Dirne bin.“ Schluchzend brach sie ab.

Das schlichte Eingeständnis rührte Briannas Herz. „Ich verstehe.“ Sie wandte sich der Witwe zu. „Und was habt Ihr zu sagen?“

Mit hartem Blick zuckte die Witwe die Achseln. „Die Schlampe lügt. Das Kind ist mein Sohn, mein Ein und Alles. Nur er ist mir geblieben, um meinen Kummer zu stillen. Da Ihr selbst Witwe seid, Milady, versteht Ihr mich gewiss.“

Brianna mochte die Art nicht, wie die Frau sie zu beeinflussen versuchte. „Dies ist ein Gerichtshof, Madam. Wir befassen uns hier mit der Wahrheit, nicht mit Gefühlen. Habt Ihr irgendwelche Dokumente, eine Taufbescheinigung oder Ähnliches, um Euren Rechtsanspruch zu beweisen?“

Die Witwe zögerte. Ihr listiger Blick glitt zu den Bänken, die an der Wand aufgereiht standen. „Nein, es gab ein Missgeschick, ein schreckliches Feuer. Die Aufzeichnungen der Kirchengemeinde wurden zerstört. Es war alles sehr tragisch.“

Brianna hatte von keinem Feuer gehört, ließ die Bemerkung aber zunächst durchgehen.

„Ich habe aber einen Zeugen der Geburt.“ Die Witwe deutete mit spitzem Finger in die sitzende Zuschauermenge. „Der fromme Mönch dort drüben kann es bestätigen.“

Sie drückte den Säugling einem Wächter in die Arme, sprang auf den schlafenden Mönch zu, dessen Schnarchen bis zur Empore zu hören war, zupfte am Ärmel seines braunen Gewands und rief schrill: „Bruder Bartholomew, wacht auf und erzählt, dass Ihr mit eigenen Augen gesehen habt, wie ich dieses Kind zur Welt brachte.“ Mit beiden Händen zog sie ihn auf die Füße.

Er blinzelte und wandte sein feistes Gesicht Brianna zu. „Ja, so war’s. Ich war bei der Geburt dabei.“

Brianna bezweifelte es. „Ein Mann Gottes, der der Niederkunft einer Dame beiwohnt, erscheint mir höchst sonderbar.“

Er antwortete mit einem kräftigen Nicken, das sein Doppelkinn wackeln ließ. „Ich habe einige Sachkenntnisse in der Viehzucht, und weil keine Geburtshelferin in der Nähe war, tat ich, was ich konnte.“

Brianna nickte und bemühte sich, einen sachlichen Gesichtsausdruck beizubehalten. „Ich verstehe. Das war sehr edel von Euch und Ihr habt Eure Sache gut gemacht. Ich habe nie ein hübscheres Kind gesehen.“

Sie betrachtete die beiden Frauen. Die ehrbare Witwe starrte mit leerem Blick zurück, aber die hübsche junge Frau im Dirnenkleid glühte vor Stolz.

Brianna war kein Salomon, doch für sie stand fest, welche der Frauen die richtige Mutter des Kindes war. Als Laird war ihr Wort Gesetz, aber sie konnte wohl kaum verlangen, dass man den Jungen halbierte wie einen Kohlkopf. Oder doch? Sie hoffte, dass die Weisheit des alten Königs Salomon auch heute noch der Gerechtigkeit dienen konnte, und sagte zu den beiden Bittstellerinnen: „Ihr müsst ihn euch teilen.“

„Ihn teilen?“ Die Witwe zog ihre dünnen Augenbrauen bis zum Haaransatz hoch.

Brianna nickte. „Ja, die ersten vierzehn Tage jedes Monats wird er bei Euch sein.“ Ihr Blick wanderte zu der immer noch knienden jungen Mutter. „Und die letzten vierzehn Tage bei dir. Sollte eine den Jungen zur abgesprochenen Zeit nicht pünktlich übergeben, verwirkt sie ihr Recht auf ihn.“

Die Witwe atmete hörbar aus und zuckte dann mit den Achseln. „Es klingt ein bisschen seltsam, aber ich denke, dass ein halber Laib besser ist als gar keiner.“

Die junge Frau erhob sich so langsam, als wäre sie gerade eben um Jahrzehnte gealtert. Sie sah sehnsüchtig zu dem Kind, das seine rundlichen Arme nach ihr ausstreckte. „Ich fürchte, ich muss das Urteil ablehnen, Milady. Wenn ein Kind von zwei Müttern erzogen wird, dann entwickelt es sich wie ein Schössling, der von Winden aus verschiedenen Richtungen hin- und hergeworfen wird. Er würde daran zerbrechen, dass er nicht weiß, wo er hingehört und wer er ist. Da ich ihn mehr liebe als mein eigenes Leben, kann ich ihn nicht aus Selbstsucht zu einem solchen Schicksal verurteilen.“

Berührt von der mütterlichen Liebe und der Weisheit dieser so jungen Frau, musste Brianna gegen Tränen ankämpfen. „Mädchen, deine einfachen, tief empfundenen Worte und deine selbstlose Liebe haben ohne jeden Zweifel bewiesen, dass das Kind das deinige ist.“ Sie schaute zu der Witwe, die aussah, als wollte sie am liebsten hinter der Holzverschalung verschwinden. „Wenn Ihr Euer Gesicht jemals wieder in meinem Gericht zeigt, Madam, dann schicke ich Euch für lange Zeit in die Spülküche, um Euch eine sehr ungemütliche Lektion in Demut zu erteilen – nachdem ich Euch die lügnerische Zunge herausschneiden ließ. Und jetzt verschwindet mitsamt dem falschen Priester, bevor ich es mir anders überlege und diese Drohung sofort in die Tat umsetze.“

Die Witwe zögerte keine Sekunde. Mit Augen so groß wie Äpfel raffte sie ihre Röcke und rannte so schnell sie konnte zur Tür. Der mollige Mönch folgte ihr auf dem Fuß.

Strahlend wirbelte die junge Mutter zu Brianna herum. „Oh, danke, Milady. Danke.“

Sie lief auf den Wächter zu, der ihr lächelnd das Baby übergab. Kaum lag der kleine Alasdair in ihren Armen, hörte er auf zu schreien, schmiegte sich an ihre Schulter und schlief ein.

Brianna schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. In die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, war keine geringe Leistung, aber Momente großer seelischer Befriedigung wie diese belohnten sie dafür mehr als irgendein Familienschmuck.

Das Mädchen knickste und wollte gehen.

Brianna setzte einen ernsten Gesichtsausdruck auf, wie es sich für einen Laird geziemte. „Warte, wir sind noch nicht fertig. Du hast mir deinen Namen noch nicht genannt.“

Die junge Frau zögerte und biss sich auf die Unterlippe. „Ich heiße Alys, Milady.“

„Nun, Alys, du und dein Kind braucht Essen auf dem Tisch und ein Dach über dem Kopf. Wie willst du deinen Sohn großziehen ohne einen Mann, der euch versorgt?“

Alys ließ die schlanken Schultern sinken. Sie drückte den schlafenden Säugling an sich, als hätte sie Angst, er könnte ihr erneut entrissen werden, und schüttelte den Kopf. „Ich bin noch jung und ziemlich ansehnlich, so sagt man mir. Männer finden Gefallen an mir. Ich kann die Berührung von Fremden ertragen. Um mein Kind zu ernähren und zu kleiden, kann ich alles ertragen, was dafür nötig ist.“

„Könntest du es auch ertragen, dich um den Gemüsegarten zu kümmern? Könntest du lernen, in der Vorratskammer und in der Molkerei zu arbeiten und vielleicht gelegentlich meinem alten Kindermädchen zu helfen, wenn sie Heilkräuter trocknet?“

Alys’ blaue Augen wurden groß. Ihr klappte der Mund auf. „Milady?“

Brianna nickte. „In einer großen Burg wie dieser braucht man immer ein paar helfende Hände. Was sagst du?“

Duncan beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: „Seid Ihr sicher, dass es weise ist, ein gefallenes Mädchen und ihren Bastard auf die Burg zu holen, Milady?“

Brianna sah zu ihm hoch. Sie erinnerte sich daran, dass sie der Laird war und er ihr Diener, auch wenn er alt genug war, ihr Vater zu sein. Mit gesenkter Stimme antwortete sie: „Mein Vater hat immer denen Hilfe gewährt, die bereit waren zu arbeiten, um ihr Leben zum Besseren zu verändern. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob er meine Entscheidung gutheißen würde, aber ich denke schon. Trotzdem bin ich jetzt Laird. Als solcher muss ich mich darauf verlassen, dass ich auf das Urteil meiner Augen, meines Verstandes und meines Herzens vertrauen kann.“

Sie wandte sich mit lauter Stimme an den Saaldiener, damit sie in der ganzen Halle gehört werden konnte. „Sorgt dafür, dass diese Frau und ihr Kind ein Lager über der Vorratskammer bekommen. Es wird reichen, sie morgen in ihre Pflichten einzuweisen. Heute Abend sollen sie und das Kind ein herzhaftes Mahl bekommen und in Ruhe ausschlafen können.“

„Oh, danke, Milady, danke. Ihr werdet es nicht bereuen“, versprach Alys.

„Das war der letzte Fall, Milady“, informierte sie der Saaldiener.

Briannas Herz begann zu rasen. Endlich konnte sie in ihre Gemächer zurückkehren – zu Ewan Fraser.

„In diesem Fall habt Ihr meine Erlaubnis, das Gericht aufzu …“

„Zur Hölle, Weib, was hast du dir dabei gedacht?“

Alle Köpfe drehten sich zum hinteren Ende des Raumes, wo ein stattlicher, wenn auch verletzter und blutender dunkelhaariger Mann in einem zerrissenen Tartan der Frasers Brianna mit kristallklaren grauen Augen anfunkelte.

3. KAPITEL

„Stehen bleiben!“

Ohne auf den Ruf des Wächters zu achten, schritt Ewan Fraser den Mittelgang entlang. Die Ketten, mit denen er gefesselt war, schlugen Funken auf dem Schieferboden. Sein Blick war starr auf das entsetzte Gesicht der wichtigsten Person in der Halle gerichtet: die MacLeod, Brianna MacLeod – Brin.

Welch irrsinnige Wendung des Schicksals war es, die seine süßeste Kindheitserinnerung in sein Verderben, seinen Fluch verwandelt hatte?

Drei ihrer Männer hatten ihn heute früh überfallen, als er in seinen Plaid gewickelt neben einem Lagerfeuer schlief. Die darauf folgenden Stunden verschmolzen zu einer Reihe von Misshandlungen und Schmerzen. Man hatte ihn so häufig mit der Faust ins Gesicht geschlagen, dass er nicht mehr zählen konnte, wie oft seine Nase gebrochen worden war. Er war jedoch sicher, dass mindestens einer seiner unteren Zähnen locker war. Welch bittere Ironie, nachdem er es geschafft hatte, zweiundzwanzig zu werden, ohne einen einzigen Zahn zu verlieren. Sein linkes Auge war zugeschwollen. Er konnte nur verschwommen sehen. Er erkannte den grauhaarigen Krieger an Briannas Seite als den Anführer seiner Peiniger. Der Graubart hatte großes Vergnügen daran gehabt, ihn mit einer Pferdepeitsche zu schlagen, nachdem zwei junge Krieger ihm die Arme gefesselt hatten.

Wer hätte gedacht, dass ein alter Mann derjenige sein würde, der ihm seine ersten Kampfnarben verpasste? Der Heilige Michael, Schutzpatron der Krieger, musste sich auf seine Kosten köstlich amüsiert haben.

Er erreichte das Band, mit dem das Podium abgesperrt war, als ihm schwindlig wurde. Ein schwerer Fuß trat ihn von hinten in die rechte Kniekehle, was ihn zu Boden brachte.

Der alte Krieger auf dem Podium durchstach ihn mit eisigem Blick. „Ewan Fraser, Milady, ist der jüngere Bruder des Lairds. Der Gefangene erwartet Eure Befehle.“

Ein Aufstöhnen ging durch die Menge. Murmelnde Stimmen wiederholten seinen Namen. Die Worte hallten in seinem hämmernden Schädel wider.

Ewan … Fraser, Fraser, Fraser …

Eine samtene Stimme übertönte das Rauschen des Bluts in seinen Ohren. „Mein Befehl lautete, wenn ich mich recht entsinne, dass er unverletzt hergebracht werden sollte. Kein einziges Haar sollte ihm gekrümmt werden. Doch er sieht aus, als hätte man ihn als Rammbock benutzt. Was soll das bedeuten, dass man gegen meine Anordnungen verstoßen hat und ihn in diesem Zustand zu mir führt?“

Sie verteidigte ihn! Allen Widrigkeiten zum Trotze fühlte Ewan, wie sein Herz weit wurde und seine Stimmung sich aufhellte. Doch dann zwang er sich zur Vernunft. Schließlich war sie es, die seelenlose Hexe, die ihn hatte entführen lassen.

„Gut gesagt, Milady.“ Ein Stiefel in seinem Rücken hinderte ihn am Aufstehen, doch er klatschte in die Hände. Dabei achtete er nicht auf die geschwollenen Knöchel und die Fesseln, die ihm in die Haut schnitten. „Was soll das alles bedeuten?“

Er wusste, dass es wahrscheinlich dumm von ihm war, seine Meinung zu sagen, aber auf eine Misshandlung mehr kam es nun auch nicht mehr an. „Ich werde hier als Gefangener vorgeführt, von meinem eigenen Grund und Boden entführt, obwohl ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen.“

Brianna erhob sich und stieg die mit einem Teppich bedeckten Stufen hinunter. Auf dem Absatz über ihm blieb sie stehen.

Seine Nase schien doch nicht gebrochen zu sein, da er ihren frischen Frühlingsduft wahrnahm, an den er sich nach all den Jahren gut erinnerte. Kirschblüte mit einem Kraut, auf dessen Namen er sich nicht entsann, und das er plötzlich sehnlichst auf der Zunge schmecken wollte.

Sie sah auf ihn herab und sagte: „Ihr habt eine zu kühne Zunge für einen Gefangenen.“

Ewan hob den hämmernden Kopf und war sofort atemlos. Seine Kehle war trocken wie Sägemehl. Er befeuchtete seine Lippen. „Und Ihr, Lady, habt ein zu schönes Gesicht für einen Laird.“

Das war nicht mehr als die Wahrheit. Sie betrachtete ihn aus ihren grünen Augen unter rauchfarbenen Wimpern. Von Nahem sah er, dass ihr Teint sahnig war und ihre vollen Lippen eher zum Küssen geformt als zum Schmollen. Über ihrem kupferroten Haar, das sie zu einem armdicken Zopf geflochten hatte, trug sie ein dünnes Tuch aus weißem Leinen mit einem goldenen Bindeband.

Bei der Vorstellung, wie er eine Strähne ihres feurigen Haars um seine Hand wand und sie zu sich heranzog, bis ihre Lippen sich trafen und ihre Körper verschmolzen, rührte sich etwas in seinen Lenden. Schwer und hart, war es der einzige Körperteil, der ihm nicht wehtat. Er senkte seine gefesselten Hände, um seine Erregung zu bedecken. Gleichzeitig wagte er es noch einmal, sich in Gefahr zu begeben, indem er seinen Blick über ihren Körper gleiten ließ. Das ziemlich mollige Mädchen, an das er sich erinnerte, war zu einer schönen, geschmeidigen Frau herangewachsen. Sie war fast so groß wie er. Ihr einfaches Kleid war von schlichtem Grün. Sein lockerer Schnitt deutete starke, schlanke Arme an, volle Brüste und eine schmale Taille, um die sie einen Gürtel mit einem dicken Schlüsselbund trug. Er vermutete, dass der Schlüssel zu seiner Freiheit darunter war.

Ein Räuspern holte ihn in die Gegenwart zurück. „Das biblische Gesetz besagt: Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Sie sprach zu ihm, und ihr Blick war jetzt so kalt wie Schnee. „Wegen Eures Bruders liegen mein Mann und mein Kind nun beide auf dem Friedhof. Euer Bruder Callum schuldet mir ein Leben, Ewan Fraser. Zwei Leben, um genau zu sein. Ich habe vor, die Schuld bei Euch abzurechnen.“

„Mein Bruder hatte nichts mit dem Tod Eures Lords zu tun. Das schwöre ich auf meine Ehre.“

Noch während er Callums Unschuld beteuerte, traf die Bedeutung ihrer Behauptung ihn wie eine Faust. Bei Gott, sie wollte ihn töten! Bis eben hatte er angenommen, dass sie ihn gegen ein Lösegeld wieder zu seinem Bruder zurückschicken würde. Die Wucht der Panik übertraf die jeder körperlichen Gewalt, der er bisher ausgesetzt gewesen war. Szenen aus den letzten zweiundzwanzig Jahren jagten ihm durch den Kopf. Es gab nichts, das er bereute, aber vieles, das er nun nie mehr würde tun können.

Die Welt bereisen. Seinen zukünftigen Sohn fischen lehren. Brianna MacLeod einen richtigen Kuss geben. Nach der ungeschickten Umarmung, als sie noch Kinder waren, hatte er jahrelang auf eine Gelegenheit gehofft, es besser zu machen. Wer wusste, wie viel Zeit ihm noch blieb, bevor sie ihn in die ewigen Jagdgründe schickte? Aber Reisen und Kinder zeugen konnte er nun wohl vergessen. Er sah in ihr kühles, gefasstes Gesicht, und es kam ihm vor, als würde ihm wenigstens ein letzter Wunsch erfüllt werden können.

„Bei Eurer Ehre, ach was!“, spottete sie. „Die Ehre der Frasers ist in dieser Halle nichts wert.“

„In diesem Fall, Milady, unterwerfe ich mich Eurer liebevollen Gnade. Ich bitte darum, den Tod eines Kriegers sterben zu dürfen, wie es sich für einen Mann meines Standes geziemt.“ Er deutete auf den Graubart, der hinter ihr aufragte. „Der Hüne dort soll mir den Kopf mit einem Claymore abschlagen.“ Nach allem, was er durchgemacht hatte, wäre es unfair, ihn auch noch auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen oder ihm die Eingeweide herauszureißen.

„Euch den Kopf abschlagen?“ Ihre grünen Augen traten hervor und ihre sinnlichen Lippen, die er so gerne küssen würde, öffneten sich, als warteten sie darauf, dass seine Zunge Einlass suchte.

Er nickte. „Und davor erflehe ich noch eine Gunst. Ein Kuss von Miladys honigsüßen Lippen, und ich werde den Heiligen Peter mit einem herzlichen Hallo begrüßen.“

Ihre Mundwinkel zuckten zum ersten Mal, als wollte sie lächeln. „Ihr seid ein Schurke, Ewan Fraser, und am ehesten verdient Ihr, gevierteilt zu werden, nach all den Frauenherzen, die Ihr gebrochen habt.“

Gevierteilt – du lieber Gott, was war sie für ein blutdürstiges Weibsbild! Er würde dafür sorgen müssen, dass es ein richtig guter, tiefer Kuss wurde, solange er noch alle seine männlichen Körperteile hatte. „Dann lasst uns zuerst den Kuss erledigen, Milady.“

Er sprang auf, um die Gunst einzufordern. Alles drehte sich um ihn, während er um einen sicheren Stand auf dem Steinboden kämpfte, und schließlich doch hinfiel. Sterne tanzten in der Schwärze, die ihn einhüllte, vor seinen brennenden Augen.

Ihr Gefangener fiel um. Brianna konnte kaum glauben, was sie mit ihren eigenen Augen sah. Ewan Fraser, der kühne Krieger, war ohnmächtig geworden. Sein dunkles Haar klebte ihm feucht an der Stirn und sein hübsches Gesicht war gerötet, ob vor Fieber oder Wut konnte sie nicht sagen. Einen seiner starken Arme hielt er um den Rumpf geschlungen. Diese schützende Haltung hatte das beschmutzte safrangelbe Hemd von seinen breiten Schultern und seinem Rücken gezogen. Durch den zerrissenen Stoff konnte sie blutige Striemen sehen. Peitschenmale!

Zorn flammte in ihr auf. Sie schwang zu Duncan herum, der ihr zum Rand der Stufen gefolgt war.

Sie war sich der Aufmerksamkeit der auf den Bänken sitzenden Bittsteller bewusst. Die glotzten, als würden sie ein Passionsspiel beobachten. Also senkte sie die Stimme und zischte: „Ich sagte doch, dass er nicht verletzt werden dürfe.“

Sie hatte ihn aus hehren Motiven entführen lassen. Sie war kein Folterknecht. Sobald sie ihr Ziel erreicht hatte, wollte sie ihn seinen Angehörigen gesund und in einem Stück zurückgeben. Keinesfalls hatte sie ihm wehtun wollen.

Duncan beugte seinen grauen Schädel. „Ich habe versagt, Milady, doch ich wüsste nicht, wie ich ihn anders hätte herbringen sollen. Er mag ein Fraser sein, aber ich bin nie einem kühneren Krieger gegenübergetreten.“

Sie drehte sich zu Duncans Sohn Hugh um. Der junge Krieger hätte Ewan bewachen sollen, bis das Gericht vorbei war. Er hatte ein blaues Auge und hielt sich auffallend gekrümmt.

Immer noch mit gesenkter Stimme sagte sie: „Und Ihr solltet ihn vom Gericht fernhalten.“

„Das wollte ich auch, Milady, aber er …“ Hughs glatt rasierte Wangen überzogen sich mit Röte. „Er hat mir das Knie in die … äh … Weichteile gerammt. Mein Vater spricht die Wahrheit, Milady. Es ist Frasers Eigensinn, dem er seinen Zustand zu verdanken hat. Er hat gekämpft wie ein Besessener. Drei von uns waren nötig, um ihn festzuhalten.“

Drei Krieger waren losgeschickt worden, um ihn zu entführen, und Ewan wäre beinahe mit ihnen fertig geworden. Brianna fühlte, wie ihre Brust eng wurde vor unangebrachtem Stolz und einem weiteren Gefühl, das sie noch nicht benennen konnte. Mit erhitztem Gesicht sah sie wieder auf den bewusstlosen Mann hinab. Es war zu spät, das Vorgefallene rückgängig zu machen, aber von nun an würde sie dafür sorgen, dass Ewan es so bequem wie möglich hatte und so höflich behandelt wurde, wie die Umstände es erlaubten, selbst wenn sie ihn eigenhändig pflegen musste. Erregung durchschoss sie bei diesem Gedanken.

Ewans geschlossene Augenlider flatterten, als ob er ihre Nähe fühlte. Er blinzelte und kam wieder zu sich. Sein linkes Auge war zugeschwollen, aber sein rechtes schien unversehrt. Ein Blick in die blassgraue Iris raubte ihr den Atem und brachte ihre Gedanken durcheinander.

„Süße Brin, was ist aus dem schönen, netten Mädchen geworden, das meine Braut werden sollte?“ Seine Stimme verlor sich, als sein Körper erneut in sich zusammensackte.

Er erinnerte sich also an ihren Verlobungspakt. Brianna fühlte einen Knoten in ihrer Kehle. Zarte Gefühle, die sie überwunden geglaubt hatte, durchfluteten sie. Die Begegnung am Markttag musste auch ihm etwas bedeutet haben.

Sie bewegte sich auf ihn zu, aber Duncan griff nach ihrem Ellbogen. „Er spricht in Rätseln, Milady. Mit Eurer Erlaubnis werde ich ihn in den Kerker werfen lassen, bis es ihm gut genug geht und er Euch wieder vorgeführt werden kann.“

Brianna entzog sich seiner Berührung. „Nichts dergleichen werdet Ihr tun. Lord Ewan ist kein gemeiner Verbrecher, sondern eine adlige Geisel. Er gehört nicht in eine Kerkerzelle, sondern in eine Kammer, die seinem Rang gerecht wird. Lasst ihn in die Gemächer des Lairds, also in meine Gemächer führen, und achtet dieses Mal darauf, dass Eure Männer meinen Befehl mit sanfter Hand ausführen.“

Eine Stunde später eilte Brianna den Gang zu ihren Kammern entlang, in einer Hand einen Trinkbecher, in der anderen eine Kerze. Am Handgelenk trug sie einen Korb mit Milreads spezieller Salbe. Nachdem sie das Gericht aufgelöst hatte, hatte sie ihr altes Kindermädchen damit beauftragt, sich um Ewan zu kümmern und ihn zu waschen, wobei ihr strengstens untersagt war, Weidenzweige, Rosenblüten und wahre Liebe zu erwähnen.

Sie verlangsamte die Schritte, als sie sich dem Schlafgemach näherte. Zehn Jahren lang hatte sie sich an Ewan Fraser als einen schlaksigen Jungen mit kristallklaren Augen und einem gutmütigen Grinsen erinnert. Die Augen hatten sich nicht im Mindesten verändert, alles andere an ihm dafür umso mehr. Der Ewan Fraser, der auf sie in diesem Raum wartete, war ein richtiger Mann, und obendrein ein gut aussehender, mit dem sie bald das Bett zu teilen gedachte. Sie ging davon aus, dass er trotz der Prügel, die er bezogen hatte, dazu in der Lage sein würde. Ein Wachmann stand vor der Tür. Es war Seamus, bekannt als „der gebrochene Mann“. Der junge Krieger hatte keine Familie, doch Duncan schwor, dass er einer seiner vertrauenswürdigsten Wachmänner und fähigsten Kämpfer war. Doch wenn sie sein langes, spitzes Kinn betrachtete, den engen, herumhuschenden Blick und die pockennarbige Haut, musste sie an eine Ratte denken.

Seamus verbeugte sich. „Guten Abend, Milady. Lord Duncan bat mich, Wache zu halten über den Gefangenen und … über Euch.“

Ihr Vorhaben, Ewan heimlich in Gewahrsam zu nehmen, bis ihr Plan Früchte trug, war dadurch vereitelt worden, dass er in die Große Ha...

Autor

Hope Tarr
Als lebenslange Leseratte träumte Hope Tarr schon davon Autorin zu sein, seitdem sie das erste mal auf der Tastatur ihrer Fisher-Price-Schreibmaschine spielte. Dieser Traum überlebte einen Masterabschluss in Psychologie und einen PhD in Lehramt. Eines Tages, als sie gerade beruflich Statistiken auswertete, wurde ihr die kalte und harte Wahrheit klar:...
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