Historical Exklusiv Band 122

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WILDE HERZEN IM WINTERSTURM von BRONWYN SCOTT

Aurora weiß in ihrer Reitakademie meisterhaft mit Pferden umzugehen. Im Umgang mit Männern hat sie jedoch weniger Glück. Bis Lord Crispin Ramsden förmlich in ihr Leben galoppiert. Ein Mann, dessen unkonventioneller Ruf ebenso verlockend ist wie sein erster aufwühlender Kuss, der das Herz der jungen Amazone erobert …

SÜSSER VERRAT von MEG ALEXANDER

Wütend stellt Edward Thorpe, Viscount Lyndhurst, Georgina zur Rede: Sie hat seinem Bruder zur Flucht verholfen und soll ihm nun dessen Aufenthaltsort preisgeben. Die Schöne stellt eine Bedingung: Das Versteck zeigt sie ihm nur persönlich! Auf der Reise kommen sie sich näher, und Edward versinkt in einem Strudel des Verlangens. Aber kann er Georgina vertrauen – oder verfolgt sie einen finsteren Plan?


  • Erscheinungstag 12.10.2024
  • Bandnummer 122
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527149
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Bronwyn Scott

1. KAPITEL

Anfang Februar 1835

Damit hatte Crispin Ramsden nicht gerechnet. Noch eben war er in ruhigem Trab den unbefestigten Weg hinuntergeritten, der nach Dursley Park führte, und hatte den Anblick der Landschaft genossen, die er mehr als drei Jahre nicht gesehen hatte. Und von einem Moment auf den anderen lag er flach auf dem Rücken, nachdem sein Hengst ihn völlig überraschend abgeworfen hatte. Noch immer schlug das verschreckte Tier wild mit den Hufen um sich.

Sich das Gesäß haltend, das den Hauptstoß abbekommen hatte, richtete sich Crispin auf. Nach dem Verursacher des Unfalls musste er nicht lange suchen. Es war ein großer, schlanker junger Mann mit einem prachtvollen kastanienbraunen Jagdpferd, das mindestens ein Meter sechzig an Höhe maß. Trotz seiner Schmerzen entgingen Crispin solche Details nicht. Der Bursche stand mitten auf dem Weg, und es gelang ihm tatsächlich, den nervösen Hengst zu beruhigen.

„Sonderbar“, murmelte Crispin, der nun wieder auf den Füßen stand. Bis jetzt waren ihm nur wenige Leute begegnet, die in der Lage waren, Sheikh zu bändigen.

„Das könnte ich auch von Ihnen sagen.“ Der Jüngling drehte sich zu ihm um und stemmte die Hände in die Hüften.

Crispin erkannte seinen Irrtum. Es war kein junger Mann, sondern ganz eindeutig eine Frau. Eine Frau in Reitbreeches, die ihre langen, schlanken Beine vorteilhaft betonten und nichts von den femininen Kurven verbargen. Ihre Brüste hoben und senkten sich aufreizend unter einem gekürzten Männerhemd. Zum Schutz vor der Kälte trug sie lediglich einen warmen Umhang, der mit einer Schnalle am Kragen befestigt war. „Sonderbar? Das kann ich schon sein.“ Er ging langsam auf Sheikh zu und bemühte sich, nicht zu humpeln oder vor Schmerz zusammenzuzucken. Diese Frau schien nicht viel Verständnis für Schwäche zu haben, sonst hätte sie zuerst nach ihm gesehen und sich erst danach um das Pferd gekümmert. Er streichelte Sheikhs zitternde Flanke.

Jetzt sah er auch den langen schwarzen Zopf der Frau. Es war in der Tat verwunderlich, dass er sie für einen jungen Mann gehalten hatte.

Sie warf ihm einen strengen Blick zu. Ihre Augen hatten die Farbe von Sommergras – ein tiefes, lebendiges Grün. „Ich meinte, dass es mir ein Rätsel ist, weshalb Sie meine Rufe nicht gehört haben, als ich in den Weg einbog. Ich habe zwei Mal gerufen, um Sie zu warnen. Sie hatten genug Zeit, zur Seite zu reiten. Wo waren Sie bloß mit Ihren Gedanken?“, fragte sie vorwurfsvoll.

Er hatte daran gedacht, wie schön es werden würde, nach Hause zu kommen und seinen Bruder Peyton, dessen drei Jahre alte Zwillinge und das Baby zu sehen, das vor einem Monat zur Welt gekommen war. Er hatte darüber nachgedacht, ob ihn das Erbe dazu veranlassen würde, in die hügelige Landschaft von Cotswolds zurückzukehren.

Abgelenkt durch die Umgebung, war er vermutlich nicht aufmerksam gewesen. Dennoch schätzte Crispin es nicht, in solcher Weise getadelt zu werden, und schon gar nicht von einem schwarzhaarigen Zankteufel in Männerkleidern kaum eine Meile von seinem Zuhause entfernt.

Crispin kreuzte die Arme vor der Brust und schaute sie streitlustig an. „Die Frage sollte wohl besser lauten, wo Sie mit Ihren Gedanken waren. Immerhin galoppieren Sie hier in höchstem Tempo aus dem Nichts auf eine Straße. Falls Sie es nicht bemerkt haben sollten, dies ist ein öffentlicher Weg. Es hätten sich Menschen und jede Art von Fuhrwerk darauf befinden können, und Sie wären direkt in sie hineingeprescht.“

„Wie können Sie es wagen, meine Fähigkeiten als Reiterin infrage zu stellen?“, empörte sie sich und trat kühn einen Schritt auf ihn zu, sodass ihre staubigen Reitstiefel seine Schuhspitzen berührten. Es war schwer zu sagen, wessen Schuhe schmutziger waren. „Sie haben kein Recht, ein Urteil über meine Fähigkeiten zu fällen, während Sie sich zerstreut wie eine alte Großmutter verhalten. Das hätte für Ihr schönes Tier schlecht ausgehen können.“

Sie standen nicht nur Schuhspitze an Schuhspitze, sie standen auch beinahe auf Augenhöhe, denn sie war nur um wenige Zentimeter kleiner als er. Crispin gefiel es, dass sie groß war. Da er selbst ein hochgewachsener Mann war, hatte er stets eine Vorliebe für Frauen gehabt, die nicht klein waren. Beim Tanzen – wenn er schon dazu genötigt wurde – erwies es sich als vorteilhaft, vor allem aber bei Vergnügungen im Bett.

Er hätte wenigstens so tun sollen, als ob ihre Standpauke ihn interessierte, aber es war verflucht schwer, sich darauf zu konzentrieren, da ihm ganz andere Gedanken in den Sinn kamen. Wer konnte es ihm verdenken? Vor Empörung hoben sich ihre Brüste, und ihre grasgrünen Augen funkelten in leidenschaftlicher Entrüstung. Es lag nahe, sich vorzustellen, wie diese Augen von einer anderen Art von Leidenschaft zum Funkeln gebracht wurden, die nichts mit Pferden zu tun hatte und viel mit diesen langen Beinen, die sich ekstatisch im Liebesakt um ihn schlangen, und mit ihren tintenschwarzen Locken, die sich wie ein Fächer auf einem Kissen ausbreiteten.

Die Vorstellung hatte ihn schon gründlich erregt, als er sie Luft holen hörte und sie ihre Schimpftirade unterbrach. „Wo sind Sie denn jetzt schon wieder mit Ihren Gedanken?“ Offenkundig hatte sie gemerkt, dass er ihr gar nicht zuhörte.

„Hier.“ Crispin handelte rasch. Ihre Nähe machte es ihm leicht, die Hände hinter ihren Nacken gleiten zu lassen und sie an sich zu ziehen. Mit einem verführerischen und provokanten Kuss eroberte er ihre Lippen.

Sie schien der Herausforderung mehr als gewachsen und erwiderte den Kuss mit einer Wildheit, die er nicht erwartet hatte. Schließlich trat sie, ein wissendes Lächeln auf den Lippen, einen Schritt zurück. „Nun, ich nehme an, für kleine Wunder können wir alle dankbar sein.“

„Die da wären?“ Crispin lächelte verwegen. Frauen waren normalerweise von seinen Küssen beeindruckt. Er trat einen Schritt vor, um mehr zu verlangen.

Sie wich zurück in Richtung ihres Pferdes. „Wenigstens küssen Sie besser, als Sie reiten.“

Kleine Wunder, in der Tat! Crispin ärgerte sich noch immer über die Begegnung, als er Dursley Park erreichte. Sie hatte seinen Stolz verletzt und war dann fortgeritten, ohne sich noch einmal umzudrehen. Natürlich konnte sie nicht wissen, wie wichtig ihm seine Reitkünste waren. Er ritt besser als jeder, den er kannte. Und zu seinen Freunden zählten viele ausgezeichnete Reiter.

Er wollte nichts lieber, als diese Hexe finden und ihr beweisen, wie sehr sie sich irrte. Zugleich war er noch immer erregt von ihrem Kuss. Er versuchte, auf andere Gedanken zu kommen, bevor er von Sheikhs Rücken absaß und einem Stallknecht, der angelaufen kam, die Zügel zuwarf. Er erklomm die breiten Stufen zum Portal und schaute sich um, als er den Treppenabsatz erreicht hatte. Es sah hier noch immer so aus, wie er es in Erinnerung gehabt hatte: Die Hecken, Obstbäume und Sträucher waren sorgfältig gestutzt und die zahllosen Rosenstöcke fachkundig mit Torf und Kompost vor Frost geschützt. Wie auf Kommando verharrte die Pflanzenwelt im Winterschlaf, um Kräfte für den Frühling zu sammeln. Er schmunzelte. Selbst in der kalten Jahreszeit gehorchte die Natur Peytons Willen. Dursley Park trug ganz deutlich die Handschrift seines älteren Bruders: Alles war wohlgeordnet und friedlich.

Es lag Trost in dem Wissen, dass ein solcher Ort inmitten einer chaotischen Welt existierte. Aber dieser Trost hatte auch einen Preis, den er nur zu gut kannte: Langeweile. Ebenso wie er sich jetzt an der Behaglichkeit von Dursley erfreute, würde er sich nach zwei oder drei Monaten danach verzehren, von hier fortzukommen.

Auf sein Klopfen hin öffnete der Butler, der ihn sofort hineingeleitete und loseilte, um seinen Herrn zu informieren. Es war vier Uhr nachmittags. Wie Crispin vermutet hatte, kam sein Bruder mit dem Butler auf den Fersen aus dem Arbeitszimmer. Mit wenigen langen Schritten durchmaß Peyton das Vestibül und schloss ihn fest in die Arme.

Das war neu.

Er konnte sich nicht daran erinnern, wann Peyton ihn das letzte Mal richtig umarmt hatte.

„Crispin!“, sagte Peyton schließlich, ließ ihn widerwillig los und trat einen Schritt zurück, um ihn anzusehen. „Warum hast du deinen Besuch nicht angekündigt?“

„Bis kurz vor meiner Ankunft hier wusste ich nicht, ob ich tatsächlich kommen würde“, antwortete er wahrheitsgemäß. In den letzten drei Jahren hatte er so oft mit dem Gedanken gespielt, heimzukehren. Er hatte sogar in ein paar Briefen seine Rückkehr erwähnt, doch das Vorhaben nie in die Tat umgesetzt. Immer war etwas dazwischengekommen. Stets hatte ein neues Abenteuer seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, und er hatte den Plan zurückzukehren fallen gelassen. Schließlich hatte er beschlossen, nichts mehr anzukündigen, um niemanden zu enttäuschen.

Peyton nickte verständnisvoll. „Das macht nichts. Hauptsache, du bist jetzt hier. Tessa wird sich freuen, dich zu sehen, und du musst unbedingt die Jungen kennenlernen.“

Mit einer Ungezwungenheit, die Crispin neu vorkam, führte sein Bruder ihn in das Kinderzimmer im dritten Stock, aus dem schon von Weitem fröhliches Lärmen zu vernehmen war.

Auf einem geflochtenen Läufer rangen eineiige Zwillinge miteinander und stießen aufgeregte Schreie aus. Nicht weit von ihnen entfernt saß Tessa in einem Schaukelstuhl mit einem Bündel in den Armen, das in eine blaue Decke gehüllt war, und beobachtete nachsichtig das Treiben der Jungen.

„Tess, schau, wer da ist!“, rief Peyton. „Jungs, kommt her und begrüßt euren Onkel Crispin. Crispin, das sind Nicholas und Alexander.“

Die zwei kleinen dunkelhaarigen Jungen liefen ohne Scheu auf sie zu. Die Jungen waren Ramsdens durch und durch. Die typischen dunklen Haare und die blauen Augen ließen keinen Zweifel daran. Crispin ging in die Hocke. „Wollt ihr einen Trick sehen?“ Eifrig nickten die Jungen. Er ließ eine Hand über die andere gleiten und führte den uralten Trick vor, einen Daumen von der Hand zu trennen. Die Zwillinge rissen die Augen auf und schrien auf. Crispin strich ihnen übers Haar und erhob sich. „Das sind echte Ramsdens.“ Er lächelte Peyton zu.

„Und hier ist der Jüngste.“ Tessa gesellte sich zu ihnen und hielt stolz das Deckenbündel hoch, sodass ein Babygesicht sichtbar wurde, in dessen Zügen die gleichen Familienmerkmale sichtbar waren. Der Jüngste trug den Namen Christopher und wirkte ebenso gesund wie die beiden anderen Kinder, obwohl er etwas zu früh zur Welt gekommen war. Crispin lachte und klopfte seinem Bruder auf die Schulter. „Drei Jungen! Die haben es bestimmt genauso faustdick hinter den Ohren wie du, ich und Paine. Das geschieht dir recht“, scherzte er und erkannte, wie viel Stolz und Liebe sich im Gesicht seines Bruders abzeichneten.

„Ich habe unten Tee servieren lassen“, erklärte Tessa, nachdem sich die erste Aufregung über die Ankunft ihres Schwagers gelegt hatte. Sie übergab dem Kindermädchen das Baby und sorgte dafür, dass die Zwillinge sich einer ruhigeren Beschäftigung zuwandten.

Im Gesellschaftszimmer beobachtete Crispin seinen Bruder, während Tessa über alles Mögliche plauderte und Tee einschenkte. Auf den ersten Blick schien Peyton sich nicht verändert zu haben: Er war groß, gut aussehend und bei bester Gesundheit. Doch als Crispin genauer hinsah, fielen ihm kleine Veränderungen auf. Das dunkle Haar seines Bruders zeigte erste Spuren von Silber an den Schläfen. Feine Linien hatten sich in die Augen- und Mundwinkel gegraben.

Es waren nur geringfügige Veränderungen, die ihn nicht weiter hätten überraschen sollen. Peyton war im letzten August einundvierzig geworden. Einundvierzig war natürlich kein schrecklich hohes Alter. Alles in allem hielt sich Peyton wunderbar. Doch Crispin gefiel die Vorstellung, dass sein Bruder alterte, allein deswegen nicht, weil sie ihm das eigene Alter in Erinnerung rief. Er war bereits achtunddreißig und dem vierzigsten Geburtstag näher, als ihm lieb war.

Tessa reichte ihm eine Teetasse. „Trinkst du ihn noch immer ohne Zucker?“

„Ja.“ Crispin nahm die Tasse entgegen, und ihm fiel auf, wie fein das Porzellan war. Aus einem so zerbrechlichen Gefäß hatte er lange nicht mehr getrunken. Elegantes Geschirr war an den Orten, an denen er sich aufgehalten hatte, nicht praktisch.

„Dann bist du also gekommen, um dein Erbe anzutreten“, sagte Peyton und bezog sich damit auf das Anwesen, das Crispin von einer Tante mütterlicherseits geerbt hatte und das ein paar Meilen entfernt lag. „Das Herrenhaus ist in erstklassigem Zustand. Ich war ein paar Mal dort, um sicherzustellen, dass alles in Ordnung gehalten wird, aber der Verwalter leistet hervorragende Arbeit. Er ist sehr tüchtig und überaus zuverlässig. Ich denke, du kannst dich freuen, Crispin. Auch die Ställe machen einen guten Eindruck. Sie sind hell mit geräumigen Boxen. Natürlich sind derzeit keine Pferde dort.“ Wissend lächelte er über den Rand seiner Teetasse hinweg und trank einen Schluck.

Unruhig rutschte Crispin auf dem Stuhl hin und her. Er hatte Monate – oder genau genommen fast ein Jahr – gebraucht, um sich mit dem Erbe auseinanderzusetzen. Nicht aus Undank. Die zweitältesten Söhne konnten nur selten Besitz ihr eigen nennen, wenn es keine Regelung von der mütterlichen Seite her gab. Doch nach all der Zeit hatte er sich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnt, ein Gutsbesitzer mit allen dazugehörigen Verantwortlichkeiten zu werden. Er hatte schon den Beschluss gefasst, das Anwesen zu verkaufen. Für einen Abenteurer wie ihn machte es keinen Sinn, Land zu besitzen, dessen Verwaltung er nicht selbst beaufsichtigen wollte.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Land behalten werde.“ Crispin stellte sich auf eine schonungslose Standpauke seines Bruders ein. Gewiss hielt Peyton ihn für furchtbar undankbar.

Doch der hob nur fragend eine Braue. „Vielleicht wird dir klarer, was du tun möchtest, wenn du es dir angesehen hast. Woodbrook ist ein wunderbares Anwesen für Pferdenarren. Unabhängig davon, wie du dich entscheidest, muss einiger Papierkram erledigt werden, bevor das Erbe angetreten werden kann.“

„Wir können uns morgen alles ansehen“, schlug Crispin vor. Er konnte den Grundbesitz ja wenigstens einmal in Augenschein nehmen. Peyton war zweifellos enttäuscht, weil er nicht sofort die Absicht erklärt hatte, sich dort niederzulassen und eine Pferdezucht aufzubauen. In der Jugend hatte Crispin diesen Traum gehegt, aber nun verspürte er kaum mehr den Wunsch, sich fest an einen Ort zu binden.

„Woodbrook ist ein bisschen zu weit weg von hier. Kann ich meinen Hengst vielleicht bei dir im Stall unterbringen, Peyton?“ Crispin versuchte, das Thema zu wechseln.

„Selbstverständlich, wenn wir Platz hätten. Doch gerade im Augenblick ist jede Box besetzt“, erwiderte Peyton mit Bedauern. „Allerdings bin ich mir sicher, dass uns etwas einfällt.“

„Wie wäre es, wenn wir das Pferd bei Rory unterbringen?“, schlug Tessa vor. „Das ist ganz nah.“ Sie warf einen Blick auf die Kaminuhr. „Du könntest kurz dorthin reiten und die Sache regeln. Rory ist in einer halben Stunde mit dem Unterricht fertig.“ Tessa nahm sich ein Scone und fügte hinzu: „Petra nimmt dort Reitstunden. Du kannst gemeinsam mit ihr wieder zu Fuß zurückspazieren.“

Crispin lächelte. „Wie geht es Petra denn? Hat sie ihr Debüt in London gut überstanden?“ Von all den Branscombe-Mädchen, und von denen gab es einige – genau genommen vier, wenn man Tessa mitzählte –, mochte er Petra am liebsten. Auch wenn ihr Altersunterschied erheblich war, teilten Petra und er die Vorliebe für Pferde, was eine nette Unterhaltung stets leicht gemacht hatte. Er freute sich aufrichtig darauf, mit ihr zu plaudern und mit Sheikh anzugeben.

Peyton lächelte. „Du kennst Petra ja. Sie ist uns zuliebe nach London gegangen, war jedoch froh, als sie wieder zu Hause war. Hier hat sie ganz offenkundig ihr Herz verloren. Sie ist mit Thomas, dem Sohn des Gutsherrn, verlobt. Sie werden im Herbst hier in Dursley Park heiraten.“

„Eine ist also in festen Händen, Peyton. Bleiben noch zwei Branscombe-Mädchen, die an den Mann zu bringen sind.“ Crispin lachte. „Wenn ihr mir die genaue Richtung zeigt, mache ich mich mit meinem Pferd sofort auf den Weg. Ich komme dann mit Petra zum Dinner zurück.“

Peyton erhob sich ebenfalls. „Der Stallknecht zeigt dir den Weg.“ Er lächelte. „Schön, dass du zu Hause bist, Cris.“

„Ja, es ist ein gutes Gefühl, bei euch zu sein“, stimmte Crispin zu, und ihm wurde klar, wie aufrichtig seine Worte gemeint waren.

Nachdem Crispin gegangen war, wandte Peyton sich an seine Frau. „Du bist ein schlaues Ding, meine Liebe.“ Er lächelte und hob tadelnd einen Zeigefinger.

„Was meinst du denn nur?“ Tessa täuschte Unschuld vor und lud emsig die Tassen auf das Tablett.

„Du weißt genau, was ich meine.“ Lachend sah er sie an. „Du hast es nicht für nötig befunden, zu erwähnen, dass Rory eine Frau ist.“

2. KAPITEL

Aurora Calhoun schaute besorgt auf die schweren grauen Wolken, die Unheil verkündend über ihren Köpfen aufzogen. „Meine Damen, ihr habt heute gut trainiert. Lasst uns die Pferde rasch vom Zaumzeug befreien, sodass ihr alle noch nach Hause kommt, bevor der Regen – oder möglicherweise sogar Schneefall – einsetzt.“

Die fünf jungen Frauen in der Reitarena, die alle Breeches trugen, saßen ab und begannen, ihre Pferde zu den Ställen zu führen. Petra Branscombe ging mit ihrem grau gefleckten Jagdpferd voran. Petra war an diesem Tag ausgezeichnet geritten und hatte selbst die höchsten Hindernisse mit Leichtigkeit genommen. Aurora war stolz darauf, mitzuerleben, wie sich das pferdenärrische Mädchen unter ihrer Anleitung in den letzten zwei Jahren zu einer hervorragenden Reiterin entwickelt hatte. Petra war nicht mehr das stille Kind, das sie einmal gewesen war. Ihr Selbstvertrauen auf dem Pferderücken hatte sich auch auf andere Bereiche des Lebens übertragen.

Überrascht runzelte Aurora die Stirn, als sie sah, dass die anderen ihre Pferde am Gatter um Petra herumführten. Sie schaute genauer hin und konnte den Grund der Unterbrechung ausmachen. Ein Mann lungerte am Torpfosten, der Petra in ein Gespräch verwickelt hatte. Sogar aus dieser Entfernung sah Aurora, dass es sich nicht um Petras Verlobten handelte.

Sie wischte mit den Händen über ihre staubigen Breeches und ging raschen Schritts auf Petra zu, um sie zu beschützen. Fremde waren an ihrer Reitakademie nicht erwünscht und unangekündigte Gentlemen erst recht nicht. Ganz abgesehen davon, dass sie nach der Begegnung mit dem arroganten Mann auf der Straße an diesem Tag genug von Männern hatte. Sie hatte zwar nichts dagegen, einen erneuten Blick auf den prachtvollen Hengst des Mannes zu werfen, aber auf den Reiter und seine heißen Küsse konnte sie gut verzichten.

Der Fremde hatte eine verstörende Ausstrahlung gehabt, und eine animalische Wildheit war vom Blick seiner blitzenden blauen Augen und dem ungewöhnlich langen dunklen Haar ausgegangen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er wie der Teufel küsste. Ein solcher Mann verhieß für keine Frau etwas Gutes, egal wie verführerisch er wirken mochte.

Offenkundig war dies nicht ihr Glückstag. Nachdem sie acht Jahre allein gelebt hatte, wusste sie genug über Männer, um das Unheil zu erkennen, wenn sie es sah. Und sie sah es jetzt. Der Mann von der Straße lehnte sich gegen den Torpfosten und plauderte in unanständig vertraulicher Art und Weise mit Petra Branscombe. Wieso war dieser verdammte Kerl ausgerechnet hierhergekommen?

„Was tun Sie hier?“ Entschlossen trat Aurora auf die beiden zu. So wie es aussah, kam sie gerade rechtzeitig. Petra gab sich in seiner Gegenwart viel zu ungezwungen. Aurora hatte gehofft, das sonst so vernünftige Mädchen würde sich als weniger anfällig erweisen.

Der Mann lächelte, als er sie erkannte. „Hier finden also die Pferde unvorsichtiger Reiter einen Schlafplatz.“

Petra fragte überrascht: „Kennt ihr euch?“

„Wir sind uns heute zufällig auf der Dursley Road begegnet“, erläuterte Aurora knapp, ohne aus ihrer Abneigung gegen ihn einen Hehl zu machen.

„Ja, unser Zusammentreffen war im wahrsten Sinne des Wortes ein Unfall.“ Der Mann blickte sie spöttisch mit seinen funkelnden blauen Augen an. „Ich suche nach Rory Calhoun. Ich brauche einen Ort, wo ich mein Pferd unterbringen kann. Mir wurde gesagt, er habe vielleicht eine Stallbox zu vermieten.“

Aurora war hin- und hergerissen. Streng genommen war es keine Lüge, wenn sie behauptete, er habe keinen Stall zu vermieten. Immerhin war Rory kein Mann. Im Augenblick konnte sie sich kaum etwas Störenderes vorstellen, als diesem verwegenen Menschen hier täglich zu begegnen. Andererseits fand sie die Vorstellung verlockend, den prächtigen Hengst in ihrem Stall zu haben, wo sie ihn genauer beobachten konnte. Vielleicht gelang es ihr sogar, den Mann zu überreden, ihn als Zuchthengst bei ihrer besten Stute einzusetzen. Sie vermutete arabisches Blut in den Adern des Tieres. In Kombination mit ihrer Trakehner Stute würde ein exzellentes Springpferd herauskommen.

Aurora verschränkte die Arme. „Damit keine Missverständnisse aufkommen. Erstens ist es nicht er, sondern sie. Rory werde ich nur von meinen Freunden genannt, für die anderen bin ich Aurora. Sie gehören zu Letzteren, falls Sie in dieser Sache unsicher sein sollten. Zweitens habe ich eine Stallbox zu vermieten, aber nur, wenn Sie sich an die Regeln halten. Vor allem möchte ich nicht, dass Sie den Betrieb an meiner Reitakademie stören. Die Pferde, die Schülerinnen und meine Stunden sind für Sie tabu. In der Tat wäre es mir am liebsten, Sie würden sich hier während der Nachmittagsstunden überhaupt nicht blicken lassen. Sie können vor dem Unterricht kommen oder danach, jedoch nicht währenddessen.“

„Sie wollen wohl nicht, dass die Dorfbewohner erfahren, dass die Frauen hier rittlings und in Breeches reiten?“, fragte er scharfsinnig.

„Rittlings zu reiten ist sicherer, um das Springen zu erlernen“, erwiderte sie kämpferisch. Sie war nicht daran interessiert, dass jemand ihre Methoden infrage stellte oder ihre Geheimnisse ausplauderte. Nur wenige wussten, dass die Mädchen meist in Breeches und im Herrensattel ritten. Das war einer der Gründe, weshalb sie unangekündigte Besucher von den Reitstunden fernhielt.

Petra führte ihr Pferd an ihnen vorbei, damit die beiden die Einzelheiten allein aushandeln konnten. Kluges Mädchen, dachte Aurora. Nachdem Petra außer Hörweite war, stellte Aurora ihre zweite Forderung. „Sie ist tabu. Ich werde nicht zulassen, dass Sie sich ihr gegenüber so verhalten wie mir gegenüber heute auf der Straße. Sie werden überhaupt nicht mit ihr reden.“

Der Mann besaß die Unverfrorenheit zu lachen. „Das dürfte ein wenig schwierig werden. Petra Branscombe ist meine Schwägerin.“

„Das heißt, Sie sind …“

„… der Bruder des Earls“, ergänzte er ihren Satz.

„Sie sind Lord Crispin Ramsden?“, fragte Aurora unbeeindruckt. Es war der Gipfel, dass dieser Kerl einen solchen Titel trug.

Er schien das ebenso zu sehen. „Offiziell ja.“ Ein Lächeln zeigte sich in seinem Gesicht, das ihre Aufmerksamkeit unweigerlich auf die Lippen lenkte, die sie nur Stunden zuvor geküsst hatten.

Crispin musterte sie nachdenklich. „Ich dachte, jemand wie Sie wäre nicht so leicht versucht, andere vorschnell zu verurteilen, Miss Calhoun. Anscheinend haben Sie mich bereits in eine bestimmte Schublade geschoben. Oder irre ich mich? Soll ich dasselbe mit Ihnen tun?“ Er grinste, als er ihre nervöse Reaktion bemerkte. „Das dachte ich mir. Sie wünschen ebenso wenig, in feste Kategorien eingeordnet zu werden, wie ich.“

Er trat einen Schritt auf sie zu, ohne seinen spöttischen Blick von ihr abzuwenden. „Sie denken also, Sie wüssten nach unserer kurzen Bekanntschaft alles über mich?“

Aurora wich nicht zurück. „Männern wie Ihnen bin ich bereits begegnet, egal ob sie die Brüder eines Earls waren oder nicht.“

Mit verführerischem Lächeln beugte er sich nah an ihr Ohr und flüsterte: „Das bezweifle ich, Miss Calhoun. Es gibt keinen anderen Mann wie mich.“

Vier Stunden später war Aurora bereit, sich einzugestehen, dass Crispin Ramsden mit seiner Behauptung recht gehabt haben könnte. Es war ihr gelungen, ihn aus ihren Stallungen zu vertreiben, nicht jedoch aus ihren Gedanken. Sie streckte in ihrer Wohnung, die an der Rückseite der Ställe lag, die Beine aus, sodass die Füße auf dem Kamingitter zu liegen kamen und sie sich am Feuer wärmen konnte. Normalerweise war dies ihre liebste Tageszeit. Aber heute wollte sich die friedliche Abendroutine nicht einstellen.

Sie war ruhelos und suchte unentwegt nach einer Erklärung dafür. Sie gab dem eisigen Regen, der auf das Dach trommelte, die Schuld an ihrer Unruhe und dann der Tatsache, dass sie ein neues Pferd im Stall stehen hatte. Zwei Mal war sie nun schon hinausgegangen, um nach Sheikh zu sehen, ohne dass sich ihre Rastlosigkeit legte. Weder der Regen noch das Pferd waren für ihren Zustand verantwortlich. Es war Crispin Ramsden, der sie unruhig machte.

Vielleicht lag es daran, dass sie in ihm einen Gleichgesinnten vor sich hatte. Sie hatte schon viele Pferde beobachtet, die einander zwickten und bissen, bevor sie sich paarten. So sehr unterschieden sich deren Methoden nicht von Crispin Ramsdens. Aurora dachte an seinen Kuss auf der Straße und errötete. Sie war froh, dass niemand sie jetzt sah.

Sie beugte sich vor und schürte das Feuer, wobei sie bemüht war, sich auf ein anderes Thema zu konzentrieren. Für morgen waren Unterrichtsstunden zu planen. Der Regen würde die Außenarena zu matschig und unsicher machen. Vielleicht würden die Pfützen auch vereisen, denn es war wieder kälter geworden. Die Mittwochklasse musste wohl oder übel in der Innenarena reiten. Eleanor, eines der Mädchen aus Petras Klasse, hatte heute nach dem Unterricht mit ihr sprechen wollen. Doch nachdem sie alles mit Crispin Ramsden geklärt hatte, war Eleanor bereits verschwunden. Sie musste unbedingt mit ihr reden, wenn Petras Klasse am Donnerstag wieder an der Reihe war.

Sie wusste, worüber Eleanor mit ihr sprechen wollte. Gregory Windham, der Vater des Mädchens, war ein sehr wohlhabender Gentleman, der einen Titel für seine Tochter wollte. Er beharrte darauf, seine Tochter mit einem Baron zu verheiraten, der ein Verschwenderleben führte. Eleanor war entschieden gegen diese Verbindung, doch Aurora spürte, dass das Mädchen dem Druck des Vaters nicht mehr lange standhielt.

Eleanor war nicht die einzige Schülerin in Nöten. Die junge Mrs. Twillinger, die einen brutalen älteren Mann geheiratet hatte, war neu in der Reitschule. Und Catherine Sykes machte sich furchtbare Sorgen wegen ihrer bevorstehenden Londoner Saison, weil sie Angst hatte, als Mauerblümchen dazustehen.

Welche Probleme die Mädchen auch immer plagten, die Reitschule war in jedem Fall ein Anfang. Hier bot Aurora ihnen einen Ort, wo sie ihre eigene Kraft entdecken und Selbstvertrauen gewinnen konnten. Wenn eine Frau ein Pferd beherrschen konnte, konnte sie auch einen Mann unter Kontrolle bringen. Das war ihre Philosophie. Ein paar Glücklichen würde es darüber hinaus vielleicht gelingen, mehr zu erreichen, und einen echten Partner fürs Leben zu finden.

Es war genauso wie beim Reiten. Sie hatte in ihrem Leben zwei Pferde geritten, die sie als Partner betrachtet hatte. Nichts ließ sich damit vergleichen. Die anderen Pferde waren dagegen nur Reittiere gewesen. Sie konnte sie dazu erziehen, zu tun, was sie wollte, aber letztlich war es bei ihnen nicht um Geben und Nehmen, sondern um Kontrolle gegangen.

Aurora war bewusst, dass sie sich eine ungeheure Aufgabe gestellt hatte. Ihre Schülerinnen kamen zu ihr, um Reiten zu lernen und im Sattel einen guten Eindruck zu machen. Dabei wurde das Denken der jungen Frauen von starren traditionellen Vorstellungen geleitet. Sie wollte das ändern, indem sie ihnen zeigte, dass sie eigenständig denken und entscheiden konnten. Auf einem Pferd konnten sie die Verantwortung nicht an jemand anderen abgeben. Sie mussten sich ausschließlich auf sich selbst verlassen. Wenn sie dazu im Sattel in der Lage waren, ließ sich das auch auf andere Lebensbereiche übertragen.

Sie machte sich jedoch keine Illusionen. Wo immer sie sich niedergelassen hatte, hatten die Männer keinesfalls aufgeschlossen auf ihre Vorstellungen reagiert. Mehr als einmal war sie gezwungen gewesen, ein Dorf zu verlassen, sobald sich herumgesprochen hatte, dass sie den jungen Frauen mehr als nur das Reiten beibrachte. Sie überlegte, was Crispin Ramsden davon halten würde. War er ein Mann, der die Tradition hochhielt, oder einer, der offen war für die Idee der Gleichheit der Geschlechter?

Crispin Ramsden. Schon wieder! Offenkundig hatte sie keinen Erfolg, ihre Gedanken vom Bruder des Earls abzulenken. Sie tadelte sich. Dies war nicht die rechte Zeit, um an einen Flirt zu denken. Es gab Wichtigeres. Das Jagdrennen von St Albans sollte im März stattfinden. Sie hatte hart trainiert, und ihr Jagdpferd Kildare war auf alles vorbereitet. Kildare war das beste Pferd, das sie je geritten hatte, sogar noch besser als ihr geliebter Hengst Darby. Wenn sie gewann, würden ihre Stallungen einen enormen Prestigegewinn verzeichnen, und die Türen zu exzellenten Zuchtmöglichkeiten würden sich öffnen.

Allerdings gab es bis dahin einige Probleme zu lösen. Legal durfte sie als Frau nicht am Rennen teilnehmen. Natürlich konnte sie einen Reiter einstellen, aber der Gedanke, Kildare einem fremden Jockey zu überantworten, rief Beklemmung in ihr hervor. Die Alternative war, alles auf eine Karte zu setzen und in Verkleidung zu reiten. Das hatte sie bereits zuvor getan, aber nur bei kleinen Rennen, bei denen nicht viel auf dem Spiel stand.

Im Falle einer Disqualifizierung riskierte sie diesmal das Ansehen ihres Reitstalls. Sie beschloss, an einem anderen Abend weiter darüber nachzudenken, sonst würde sie heute kein Auge zutun. Es wurde Zeit, ins Bett zu gehen, denn sie stand bereits früh am Morgen auf, um die Pferde zu füttern.

Auf dem Land aß man gewöhnlich zeitig zu Abend, aber es wurde halb acht, bis der Dursley-Clan sich um den langen Tisch im Esszimmer versammelt hatte. Wie Crispin vermutet hatte, hatte Tessa wegen seiner überraschenden Ankunft alle Familienmitglieder versammelt, die greifbar waren: Petra und ihren Verlobten Thomas, Annie, Tessas jüngste Schwester, die jetzt dreizehn Jahre alt war, und Cousine Beth, die Peyton jahrelang den Haushalt geführt hatte, bevor er Tessa geheiratet hatte.

„Wo ist Eva?“, erkundigte sich Crispin, nachdem er einen Blick in die Runde geworfen hatte und ihm aufgefallen war, dass eine der vier Branscombe-Schwestern fehlte.

„Sie ist mit Tante Lily in London“, entgegnete Tessa.

„Ist das nicht ein wenig früh?“ Crispin hatte die Saison nie gemocht, und es war ihm unverständlich, weshalb jemand eher daran teilnahm als unbedingt nötig.

Tessa lächelte. „Sie ist kurz nach Weihnachten achtzehn geworden. Sie wollte sich rechtzeitig eine entsprechende Garderobe beschaffen.“

Crispin fragte sich, wie sein Bruder es ertrug, den Vormund für Tessas jüngere Schwestern zu spielen. Mindestens drei Mal musste eine Saison organisiert werden und anschließend drei Hochzeiten, sofern die Suche nach einem Ehemann schon beim ersten Mal erfolgreich war. Allein der Gedanke an all den Flitterkram konnte einem Mann den Verstand rauben. Dennoch sah es so aus, als ob Peyton das erste Debüt sehr gut überstanden hätte. Sein Bruder wirkte hochzufrieden und saß entspannt am Kopf der Tafel. Noch vor Kurzem hätte Crispin sich für seinen Bruder ein solches Leben nicht vorstellen können. Doch dann hatte sich Peyton in Tessa verliebt, und die Liebe hatte ihn verändert.

Crispin aß von dem hervorragenden Roastbeef und unterdrückte ein Schaudern. Er würde sich nicht verlieben. Er wollte sich nicht ändern. Es war in Ordnung, wenn sich seine Brüder veränderten. Er hatte nicht vor, sein Wanderleben und seine Abenteuer aufzugeben, denn er mochte sein Leben, so wie es war. Alles, was er brauchte, war ein Pferd unter sich und die weite Welt, die sich vor ihm ausbreitete.

Dennoch tat es gut, für eine Weile heimzukehren. Crispin genoss das ausgezeichnete Essen und die Unterhaltung bei Tisch. Alle waren bemüht, ihn auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen. Sein Bruder Paine war mit seiner Familie zu Besuch beim Cousin seiner Frau, der seinen Rat in Geschäftsangelegenheiten erbeten hatte. Paines Frau Elena erwartete im Winter ihr zweites Kind. Petra und Thomas planten ihre Hochzeit vor allem aus Rücksicht auf Elena für den September. Crispin fragte sich, ob er dann noch hier sein würde.

Schließlich erhob sich Tessa und signalisierte damit den Frauen, ihr ins Gesellschaftszimmer zu folgen. Thomas stand ebenfalls auf. „Heute Abend werde ich mich zu den Damen gesellen, Dursley, damit Sie in Ruhe mit Ihrem Bruder reden können. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie sich eine Menge zu erzählen haben, und ich möchte dabei nicht stören.“

„Er ist ein sehr netter junger Mann“, stellte Crispin fest, als die Gruppe das Zimmer verlassen hatte.

Peyton nickte. „Wir könnten uns keinen Besseren für Petra wünschen. Sie sind sehr glücklich miteinander und passen gut zusammen.“ Er griff nach der Karaffe und schenkte Crispin und sich ein Glas ein. „Zum Wohl, Bruder.“

„Ah, was für ein guter Tropfen!“ Crispin leerte den Brandy mit Genuss. „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal Brandy von dieser Qualität getrunken habe.“

„Einer der Vorteile, wenn man zu Hause ist“, erwiderte Peyton. „Hast du eine Vereinbarung mit Rory getroffen?“

Crispin schmunzelte. „Ihr hättet mir ruhig erzählen können, dass Rory eine Frau ist – und eine scharfzüngige noch dazu. Etwas Vorwarnung hätte nicht geschadet.“

Peyton lächelte. „Ja, Aurora Calhoun ist willensstark.“

„Das kann man wohl sagen.“

Peyton schenkte ihnen Brandy nach. „Tessa mag sie. Sie hat ihr vor drei Jahren geholfen, die Reitschule aufzubauen.“

Crispin betrachtete seinen Bruder über den Rand seines Glases hinweg. Er war nicht überrascht, dass Tessa sich für die eigenwillige Miss Calhoun engagierte. Tessa sah zwar aus, als könne sie kein Wässerchen trüben, aber er kannte die Frau seines Bruders gut genug, um zu wissen, dass dieser Schein trog. „Weißt du, was dort vor sich geht?“

„Du meinst, dass die Frauen rittlings und in Breeches reiten? Ja, das ist mir bewusst, auch wenn ich dich darauf hinweisen muss, dass es nicht allgemein bekannt ist. Jetzt sag mir bloß nicht, du wärest schockiert? Neben Tessa bist du die am wenigsten traditionsgebundene Person, die ich kenne. Das Los einer Frau, die in dieser Welt allein dasteht, ist ungeheuer schwierig, und trotz der enormen Ungleichheit hat Aurora Calhoun beachtliche Erfolge zu verzeichnen.“

Peytons Bemerkung war aufschlussreich. Sein Bruder verehrte seine Frau. Schon ihr zuliebe würde er deren exzentrische Freundin dulden. Aber aus Peytons Worten sprach mehr als eine bloße Duldung Aurora Calhouns. Er respektierte sie und war aus diesem Grund bereit, Ausnahmen zu machen. Solche Zugeständnisse seines Bruders machten die interessante Miss Calhoun nur umso faszinierender.

„Mir ist egal, was sie tut“, erklärte Crispin kurz, und dies entsprach der Wahrheit. Es waren nicht die eigenwilligen Unterrichtsmethoden ihrer Schule, über die er sich Gedanken machte. Es war einfach sie selbst, die ihn aus Gründen, die er nicht genau benennen konnte, innerlich aufwühlte.

„Ich hatte eigentlich gedacht, ihr würdet gute Freunde werden. Sie versteht so viel von Pferden wie du“, sagte Peyton. „Übrigens sieht dein schwarzer Hengst exotisch aus. Bestimmt interessiert es sie, mehr über ihn zu erfahren. Nebenbei bemerkt, bin ich auch schon ganz neugierig.“

Peyton lächelte ihn freundlich an, und Crispin ahnte, was als Nächstes kommen würde. Erkundigungen nach der exotischen Herkunft des Hengstes waren für Peyton der Auftakt zu weitreichenden Fragen. Was auch immer sich an Peyton geändert haben mochte, eines würde sich nicht ändern: Er würde stets sein älterer Bruder bleiben.

„Also, Cris, bevor die anderen sich wieder zu uns gesellen, warum erzählst du mir nicht, was du im Auftrag der Regierung in den letzten drei Jahren getan hast? Die Kurzfassung, natürlich.“

Crispin lächelte und holte tief Luft. Es war gut, mit jemandem sprechen zu können, der die Bedeutung seiner Arbeit würdigte. Niemand schätzte das besser ein als Peyton. „Lass mich mit der Orientalischen Frage beginnen …“, hob er an, und die Art und Weise, wie er im Folgenden die wichtigsten Ereignisse mit einer scharfsinnigen Analyse der Entwicklungen auf dem Kontinent verknüpfte, verriet die Leidenschaft, die er für seine Arbeit empfand.

Schließlich lehnte sich Crispin zurück und beendete seinen Bericht. „Dies, Bruder, ist die Kurzfassung. Ich habe dir noch gar nichts über die britischen Interessen in Amerika verraten. Es gibt ein weiteres Pulverfass, das bald Feuer fangen wird.“

Peyton nickte nachdenklich. Ihm war bewusst, dass sein Bruder bereits auf den nächsten Auftrag wartete. „Nun, du hast deine Pflicht für Großbritannien erfüllt. Vielleicht ist diesmal ein anderer an der Reihe.“

„Vielleicht“, erwiderte Crispin unbestimmt, denn er wusste, woran sein Bruder dachte. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um über seinen nächsten Auftrag zu diskutieren. Falls er kam, war er sich sicher, dass man ihn nach Amerika schicken würde, ein Kontinent, dessen Erforschung ihn sowohl persönlich als auch politisch reizte. Ein solcher Auftrag würde den Verkauf von Woodbrook unumgänglich machen, denn es würde eher ein Standortwechsel als eine zeitlich befristete Mission werden. Crispin griff nach der Karaffe. Er würde ein anderes Mal mit Peyton über dieses Thema streiten. Heute Abend wollte er einfach nur genießen, zu Hause zu sein.

„Lange Rede, kurzer Sinn, mir läuft die Zeit davon.“ Gregory Windham beugte sich über den Kirschholzschreibtisch in seinem Büro und schob einen kleinen Lederbeutel mit Münzen über die blank polierte Tischfläche zu dem Mann auf der anderen Seite. Der Schmied Mackey war der Einzige, den er für seine Sache hatte anwerben können. Zu seinem Verdruss verhielten sich die anderen Dorfbewohner Aurora Calhoun gegenüber ziemlich neutral.

Seine Strategie war nicht aufgegangen. Geduldig hatte er abgewartet, dass Aurora Calhouns ungewöhnliche Art gegen sie arbeiten würde. Ursprünglich hatte er angenommen, der örtliche Landadel und die Dorfbewohner würden ein so eigenwilliges Weibsbild nicht dulden – eine Frau, die selbstständig einen Betrieb führte und in Männerkleidung herumlief. Aber in dieser Hinsicht hatte sich Aurora als listig erwiesen, indem sie ihren Lebensstil weitgehend vor den Augen der Leute verbarg. Außerdem kam ihr die enge Freundschaft mit der Countess of Dursley und deren jüngerer Schwester zugute.

Da Aurora sich kaum blicken ließ, hielten es die Dorfbewohner auch nicht für nötig, sich mit ihr zu beschäftigen. Das musste sich ändern. Die Männer mussten wachgerüttelt werden. Windham wollte Dursley dazu zwingen, Stellung zu beziehen. Solange sich keiner beschwerte, konnte der Earl eine solch unkonventionelle Freundin seiner Frau stillschweigend tolerieren. Doch Dursley war im Grunde seines Herzens konservativ. Windham war gespannt, wie er sich verhalten würde, sobald es wegen Aurora Calhoun Ärger geben würde.

Es wurde Zeit, einen direkteren Vorstoß zu wagen, wenn er das Rennpferd The Flyer, an dem er Anteile erworben hatte, erfolgreich in Position bringen und Aurora Calhoun ruinieren wollte. Er trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch.

„Das Jagdrennen von St Albans findet in einem Monat statt. Ich will nicht, dass sie und ihr Pferd mir dabei in die Quere kommen.“ Er hatte viel in The Flyer investiert. Das Tier galt zwar nicht als Favorit, hatte aber das Potenzial, der Gewinner des prestigeträchtigen Rennens zu werden.

„Was schlagen Sie vor?“ Der große Mann auf der anderen Tischseite wog den Geldbeutel in seinen fleischigen Händen.

„Nehmen Sie das Geld und geben Sie morgen Abend in der Schenke ein paar Runden aus. Erzählen Sie dabei allen, was in der Reitakademie vor sich geht“, antwortete Windham. Es wurde Zeit, das Geständnis seiner Tochter Eleanor zu verbreiten und den Schleier zu lüften, hinter dem Aurora ihren Lebensstil verbarg.

Mackey dachte einen Augenblick nach. „Ich soll ihre Pferde neu beschlagen. Wirkt es nicht seltsam, wenn ich diese Gerüchte verbreite und gleichzeitig für sie arbeite?“

„Sie werden dort nicht mehr arbeiten.“ Gregory Windham zog einen weiteren Geldbeutel hervor und schob ihn über den Schreibtisch. „Das sollte mehr als genug sein, um Ihre Verluste auszugleichen. Sie bekommen noch mehr Geld, wenn sie die Gegend verlässt, und erst recht, wenn das Pferd, in das ich investiert habe, in St Albans gewinnt.“

Der Schmied grinste. „Bald werde ich ein reicher Mann sein.“

Und Aurora Calhoun wird ruiniert sein, dachte Gregory Windham, als sein Handlanger das Zimmer verließ. Diese Frau bedrohte alles, was er sich mühsam erkämpft hatte. Er hatte sein Geld genutzt, um seiner Tochter eine Verbindung mit einem Baron zu erkaufen und einen kleinen, aber erstklassigen Stall aufzubauen, dem jeder Aristokrat Respekt zollen sollte.

Er stand an der Schwelle, in den Kreisen des Adels anerkannt zu werden. Sein künftiger Enkel würde einen Titel tragen. Eleanor besuchte Aurora Calhouns Reitschule nur, weil das Mündel des Earls dort ritt. Ursprünglich schien ihm dies eine gute Gelegenheit zu sein, gesellschaftlich aufzusteigen. Jetzt gefährdete die Verbindung seine Träume. Eleanor war in Bezug auf die geplante Heirat unfügsam geworden und gab philosophische Betrachtungen von sich, die sie nicht zu Hause gelernt hatte. Windham wusste genau, wo sie diese Gedanken aufgeschnappt hatte. Es waren dieselben Anschauungen, die Aurora Calhoun geäußert hatte, als sie sich gegen seinen Vorschlag wehrte. Anfangs hatte er gedacht, sie auf seine Seite ziehen zu können, und ihr angeboten, seine Mätresse zu werden. Sie hatte ihn mit Gewalt aus ihrem Stall vertrieben.

Gregory Windham rutschte missmutig auf seinem Stuhl hin und her. Allein die Erinnerung daran, wie diese höllische Katze ihn beschimpft hatte – vor Zorn über sein Angebot fauchend –, erregte ihn. Seine rechte Wange war nach ihrer schallenden Ohrfeige tagelang bläulich verfärbt gewesen. Sie war umwerfend in ihrer Wut gewesen. Ihre Augen hatten wie smaragdgrüne Feuer gelodert, und ihr offenes dunkles Haar hatte sie wie ein seidiger Vorhang umweht.

Es würde ihm großes Vergnügen bereiten, ihre Wildheit zu bezwingen. Wilde Wesen waren dazu da, gezähmt zu werden. Frauen hatten ihren Platz in dieser Welt. Er würde dafür sorgen, dass Aurora Calhoun den ihren kennenlernte.

3. KAPITEL

Crispin blies sich in die Handflächen, als er das vergleichsweise warme Innere der Calhoun-Stallungen betrat. Morgens war es kälter in England, als er es in Erinnerung gehabt hatte, und auf jeden Fall viel kälter als im Süden Europas, wo er sich noch kürzlich aufgehalten hatte. Zügig ging er zu Sheikh, um nachzusehen, wie es ihm in der ersten Nacht in seinem neuen Zuhause ergangen war.

Pferde wieherten, als er vorbeischritt. Einige streckten ihre Köpfe über die halbhohen Stalltüren in den Gang. Obgleich es noch früh war, waren die Tiere munter und bereits gefüttert. Eine Box war leer. Er erinnerte sich daran, dass Auroras fuchsbraunes Jagdpferd dort untergebracht war. Vielleicht unternahm sie einen morgendlichen Ausritt. Allerdings hielt er es noch für zu neblig, um sicher zu reiten. Zu leicht übersah man ein Kaninchenloch oder eine der vielen sumpfigen Stellen, die von einer dünnen Eisschicht bedeckt waren. Leicht machte das Pferd einen falschen Schritt und wurde lahm. Wenn Aurora dennoch ausgeritten war, war das ihre Sache. Wenigstens würde er ihr dann nicht begegnen.

Crispin streifte Sheikh ein Halfter über den Kopf und führte ihn zum Striegeln auf den breiten Gang. Er striegelte ihn gern, und das Tier schien es zu genießen. Obgleich Sheikh sonst kein geduldiges Pferd war, stand er ganz still, wenn er gebürstet wurde. Crispin empfand das Ritual als beruhigend. Währenddessen konnte er seinen Gedanken freien Lauf lassen. Ställe waren ein Ort des Friedens für ihn – jeder Stall. Der Geruch von Pferden und dem Leder des Zaumzeugs sagte ihm zu, egal wo er sich befand.

Er beendete das Striegeln und sattelte Sheikh. Durch die Stallfenster sah er, dass sich der Nebel allmählich lichtete. Er freute sich auf das deftige Frühstück, das ihn in Dursley Park erwartete. Unruhig schüttelte Sheikh neben ihm die Mähne. Er führte ihn hinaus an die Morgenluft.

Tatsächlich hatte sich der Nebel fast aufgelöst. Jetzt konnte er die Innenarena hinter dem Stallhof klar ausmachen. Ein leises Wiehern hatte seine Blicke in diese Richtung gelenkt. Er wusste, wen er im Inneren vorfinden würde, noch bevor er mit Sheikh das offene Tor erreichte. Aurora hatte sich nicht für einen riskanten Ritt durch den Nebel entschieden. Sie absolvierte ein Morgentraining in der Arena. Die Arena war für das Springreiten eingerichtet, und Aurora nahm die Hindernisse in meisterhafter Manier. Gerade beendete sie den letzten Sprung in einer Ecke, ritt kerzengerade zur anderen Seite zurück und begann erneut mit dem Parcours.

Großartig! dachte Crispin. Er konzentrierte sich auf ihre Hände und Oberschenkel und bewunderte die leichten Druckbewegungen, durch die sie sich mit dem Pferd verständigte. Ihre Bewegungen verliefen so vollkommen synchron mit denen des Tieres, dass es wirkte, als bildeten Pferd und Reiterin eine Einheit. Er hätte nicht sagen können, wie lange er schon so dastand, als Sheikh ihn schließlich ungeduldig mit der Nase anstupste. Crispin schwang sich in den Sattel und ritt los.

Wo hatte sie gelernt, so exzellent zu reiten?

Die Frage quälte ihn auf dem gesamten Heimweg durch das Tal und ließ ihn auch am Frühstückstisch nicht los. Peyton und Tessa unterhielten sich gerade über einen Gesetzesentwurf im Parlament, als Crispin seine Kaffeetasse abstellte und unvermittelt fragte: „Wo hat Aurora Calhoun das Reiten gelernt?“

Tessa schaute ihn überrascht an. „Ich glaube, irgendwo in Irland“, antwortete sie vage. Gern hätte er Näheres erfahren. Seine Menschenkenntnis sagte ihm, dass Tessa ihm die Details absichtlich vorenthielt. Peyton lenkte die Unterhaltung wieder auf den Gesetzesentwurf zurück.

Doch Crispin wollte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Nachdem er mit Peyton nach Woodbrook aufgebrochen war, unternahm er einen zweiten Versuch. „Ich habe Aurora heute Morgen zufällig beim Training gesehen, als ich Sheikh geholt habe. Es würde mich interessieren, wo und von wem sie gelernt hat, so zu reiten.“

„Dann solltest du sie fragen“, erwiderte sein Bruder gelassen und in einem Ton, der deutlich machte, dass er das Thema damit für beendet hielt. Peyton war viel mehr daran gelegen, über Woodbrook zu reden, womit er unverzüglich begann, als die ersten Besitzmarkierungen in Sichtweite waren. Er wurde nicht müde, die Vorzüge des Gutes aufzuzählen, bis sie auf dem Stallhof absaßen und Crispin mit eigenen Augen sehen konnte, was für eine ausgezeichnete Erbschaft ihm zugefallen war.

Peyton hatte nicht übertrieben. Alles befand sich in gutem Zustand. Das Herrenhaus war ein bescheidenes Gebäude mit zwölf Zimmern, und im Vergleich zu Dursley Park wirkte es wie ein einfaches Landhaus. Doch Crispin erschien es zu groß.

„Was soll ich denn mit zwölf Zimmern machen?“, fragte er auf halber Treppe zu den sechs Schlafzimmern der oberen Etage.

„Du könntest heiraten und das Haus mit Kindern füllen“, schlug Peyton lachend vor. „Nach drei Jahren würdest du bestimmt einen Ausbau in die Wege leiten und erklären, es wäre nicht mehr groß genug.“

Crispin wusste, dass Peyton es gut meinte. Nichtsdestotrotz lief ihm bei dem Gedanken, irgendwo drei Jahre, geschweige denn ein Jahrzehnt oder gar das ganze Leben zu verbringen, ein Schauder über den Rücken. Und Kinder konnte er nicht jedes Jahr an einen anderen Platz in der Welt schleppen, nur um seine Abenteuerlust zu stillen. Sie brauchten die Beständigkeit eines dauerhaften Zuhauses mit Eltern, die blieben, und nicht solchen, die kamen und gingen. Seine eigene Kindheit legte davon Zeugnis ab. Wegen der Verantwortungslosigkeit der Eltern hatte Peyton für ihn und Paine so etwas wie die Vaterrolle übernehmen müssen. Die Furcht, ebenso wie seine Eltern zu werden, hatte Crispin stets davon abgehalten, eine eigene Familie zu gründen. Obwohl seine Brüder längst bewiesen hatten, dass solche Sorgen unbegründet waren. Beide waren mustergültige Familienväter.

Rasch schaute sich Crispin die oberen Räumlichkeiten an und kehrte nach unten zurück. „Vielleicht können Paine und Julia das Herrenhaus gebrauchen.“

Peyton schüttelte den Kopf. „Wenn sie zu Besuch kommen, ist für sie genügend Platz in Dursley Park. Tessa hat erst neulich einen ganzen Flügel für sie eingerichtet. Außerdem verbringen sie die meiste Zeit des Jahres in London. Paine ist zu sehr mit seinen Bankgeschäften beschäftigt, um regelmäßig ein Landhaus zu nutzen.“

Sie gingen hinaus zu den Stallungen, die einen ebenso gepflegten Eindruck machten wie das Haus. Außer einer Koppel gab es keine Außenanlagen für Pferde, aber auf der weiten offenen Fläche hinter den Ställen war genug Platz, um eine Trainingsarena einzurichten. Crispin konnte sich gut vorstellen, hier eine Pferdezucht aufzubauen. Die alten Träume kamen ihm wieder in den Sinn, während er durch die breite Stallgasse schlenderte und die Boxen zählte. Mit Sheikh konnte er eine exzellente Zucht aufbauen.

Peyton blieb in seiner Nähe und setzte die Erläuterungen fort. „Es gibt Platz für fünfzehn Pferde, und das Dach ist ganz neu.“

Unschlüssig ließ Crispin eine Hand über die halbhohe Tür einer Stallbox gleiten. Aus einer Verpflichtung erwuchs die nächste. Er würde Stallknechte einstellen müssen, die sich auf ihn und seine Bezahlung verließen. Außerdem würde es gesellschaftliche Verpflichtungen geben. Die Gemeinde würde ihn in der Kirche und bei ihren Zusammenkünften erwarten. Alle würden davon ausgehen, dass er heiratete. Peyton hatte recht. In Gutshäusern sollten Familien mit Kindern leben.

Er war zu realistisch, um zu glauben, es könne bei einer einzigen Verbindlichkeit bleiben. Schrittweise würde eines das andere nach sich ziehen, bis er sich schließlich in einem Netz aus Verpflichtungen verstrickte, aus dem er nicht wieder herauskam.

So verlockend ihm der alte Traum auch vor Augen stand, er würde bei seinem ursprünglichen Plan bleiben und den Besitz verkaufen. Er hatte seine Arbeit. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihn der nächste Auftrag aus London erreichte. Er würde nicht nachgeben und seine Meinung ändern, egal was Peyton sagte.

Drei Stunden später saßen sie wieder im Sattel, und Crispin war sich einer Sache gewiss: Er brauchte ein kühles Bier, und er musste in Ruhe nachdenken. Seit er nach Hause zurückgekehrt war, umgab ihn stets eine Horde wohlmeinender Menschen. Einem Mann, der es gewohnt war, allein zu arbeiten und seine Meinung für sich zu behalten, ging so viel Aufmerksamkeit auf die Nerven. Fairerweise musste er ihnen zugutehalten, dass sie ihm nur das Gefühl vermitteln wollten, willkommen zu sein.

Peyton ging es allerdings noch um etwas anderes. Crispin wusste, was seinem Bruder vorschwebte. Er wollte, dass er sich niederließ und eine Familie gründete. Für seinen ältesten Bruder war dies der sichere Weg zum Glück, seit er ihn für sich selbst gefunden hatte. Natürlich wünschte er sich dasselbe auch für ihn. Aber Peyton konnte ihn nicht in einen Mann verwandeln, der er nicht war.

Es fing an zu schneien, als sie eine Weggabelung erreichten. In der einen Richtung ging es nach Dursley Park, in der anderen zum nahen Dorf. „Ich glaube, ich statte dem Gasthaus einen kurzen Besuch ab, um ein oder zwei Bier zu trinken“, sagte Crispin.

„Soll ich dich begleiten?“, bot Peyton an.

„Nicht nötig. Ich glaube, ich muss ein wenig allein sein.“ Crispin hoffte, sein Bruder würde das verstehen. Wenn er mit dem Earl im Schlepptau das Gasthaus betrat, würde er keine ruhige Minute haben.

„Kommst du zum Dinner?“, erkundigte sich Peyton vorsichtig.

Crispin schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich nicht. Ich weiß noch nicht, wie viel Zeit ich zum Nachdenken brauche.“

„Falls du es dir anders überlegst, es ist kein Problem, ein zusätzliches Gedeck auflegen zu lassen“, entgegnete Peyton freundlich.

Im Dorf klopfte sich Crispin den Schnee von der Kleidung und betrat das Gasthaus. Er ließ sich an einem kleinen Tisch am Fenster nieder. Seine Rückkehr hatte sich noch nicht herumgesprochen, und er war dankbar, unerkannt zu bleiben. Um ihn herum füllte sich die Schankstube. Der Arbeitstag ging zur Neige, und Gruppen von Männern traten ein, um vor dem Nachhausegehen ein Bier zu trinken.

Unauffällig beobachtete Crispin die Menge. Diese Männer waren Bauern und Knechte oder gingen Berufen im Dorf nach. Es gab ein paar Handwerker, Gesellen und Lehrlinge. Mit diesen Leuten musste er sich verstehen, wenn er sich tatsächlich in Woodbrook niederließ. Sie würden für ihn arbeiten, und mit ihnen würde er gelegentlich ins Gasthaus gehen.

Er trank einen Schluck Bier und stellte sich sein Dasein als adliger Landbesitzer vor. Es war geradezu lachhaft weit von dem Leben entfernt, von dem er Peyton am Vorabend beim Brandy erzählt hatte.

Diese Männer interessierten sich nicht für die nationalen Revolutionen, die über Europa hinwegfegten, für Wasserwege in weit entfernten Erdteilen, für den Kampf um Land und Macht. Ihr Alltag drehte sich um Weizenerträge und Schafe, Rinder und Hafer. Wenn er sich hier niederließ, würde das auch Teil seines Lebens werden. Nichts von dem, was er in den ersten zwanzig Jahren seines Erwachsenendaseins getan hatte, würde hier von Belang sein. Keiner der geheimen Friedensschlüsse, die er ausgehandelt hatte, und keine der Grenzstreitigkeiten, bei denen er den Vermittler gespielt hatte. Es würde sein, als ob er sein bisheriges Leben auslöschen und sich selbst noch einmal neu erfinden müsste. Der Soldat, Abenteurer und Kriegsdiplomat passte nicht in die Welt des beschaulichen Landlebens.

Crispin mochte sich so, wie er war, auch wenn es viele gab, die etwas gegen seine Lebensweise einzuwenden hatten. Die feinen Kreise wussten nicht, was sie von ihm halten sollten. Den nach Eheanbahnung trachtenden Müttern war er zu verwegen und ging zu frei mit den Regeln der Gesellschaft um. Dennoch hatte er eine gewisse Anziehungskraft durch die Verbindungen, die sein Bruder besaß und durch dessen Reichtum. Jede Frau, die ihn heiraten würde, war unter dem Banner des Earl of Dursley in guten Händen. Wenn eine Frau ihn heiratete, dann nur um Peytons willen. Wenn er in England blieb, musste er sich entscheiden, in wessen Welt er passte.

Unauffällig belauschte er einige Unterhaltungen, die in seiner Nähe stattfanden, und versuchte, sich in die Lage dieser Leute zu versetzen. Würde er sich in die Probleme hineindenken können, die sie plagten?

Eine Stimme übertönte die aller anderen. „Diese Calhoun war heute bei mir, um Schaufeln zu kaufen. Es ist nicht normal, dass eine Frau Werkzeuge einkauft. Da draußen gehen seltsame Dinge vor sich.“ Der bullige Redner zog die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich. Crispin hörte angespannt zu. Offenkundig stießen die Worte in der Schankstube auf offene Ohren. „Ich habe herausgefunden, dass die Mädchen in ihrer Reitschule mit Breeches und rittlings reiten.“

Empörung machte sich Luft. Laute Fragen durchdrangen das allgemeine Lärmen. Crispin unterdrückte ein Stöhnen und lehnte sich scheinbar lässig im Stuhl zurück.

Der kräftige Mann, der von den anderen Mackey genannt wurde, brachte die aufgeregte Menge zum Schweigen. „Aurora Calhoun muss von hier verschwinden. Sie ist nicht gut für unser Dorf, wenn sie unser Weibervolk lehrt, wie Männer zu reiten. Wer weiß schon, was sie ihnen als Nächstes einredet? Wir wollen nicht, dass unsere Frauen so werden wie sie!“ Es gab tosenden Beifall. „Eine von ihrer Sorte reicht. Sie hatte drei Jahre Zeit, um zu zeigen, dass sie sich anpassen kann. Wir haben sie in Ruhe gelassen, und jetzt seht ihr, wie sie uns das dankt! Sie hat nur bewiesen, dass sie hier fehl am Platz ist. Ich werde jedenfalls nicht mehr für sie arbeiten.“ Weitere Rufe wurden laut: „Wir hätten besser aufpassen müssen!“ und „Wir hätten von Anfang an wissen müssen, dass sie nicht normal ist!“

Du meine Güte, dieser Mann scheint eine Hexenjagd im Sinn zu haben. Crispin rechnete schon fast damit, die Männer würden Heugabeln ergreifen und auf der Stelle zur Reitakademie marschieren. Er hatte genug gehört. Wenn er blieb, würde er sich mit jemandem prügeln. Er ließ ein paar Münzen auf den Tisch fallen und ging unauffällig hinaus.

Es war schon dunkel, als er sich in Sheikhs Sattel schwang. Eine dünne Schneeschicht bedeckte den Boden. Noch konnte er sich zum Dinner nach Dursley Park begeben, aber er war noch nicht wirklich bereit, nach Hause zurückzukehren und mit seinem Bruder über Woodbrook zu reden. Es gab nur einen Ort, der ihm in dieser Situation in den Sinn kam. Im Mondlicht ritt er zu Auroras Stallungen.

Crispin war froh, als er den Hof erreichte, der von den Stalllaternen erhellt wurde. Der frische Duft von Heu drang ihm in die Nase, als er Sheikh zu seiner Box führte. Er nahm ihm den Sattel ab. Beruhigend streichelte er den langen Hals des Tieres, während er nach dem Behälter mit den Bürsten griff. Am Morgen hatte er ihn an den Nagel außerhalb der Box gehängt.

„Suchen Sie danach?“

Erschrocken wirbelte er herum und war erleichtert, als er Aurora sah.

Sie hielt ihm das Bürstenset hin. „Ich wollte Ihnen keinen Schreck einjagen“, entschuldigte sie sich, nahm sich eine der Bürsten und ging auf Sheikhs andere Seite. Sie begann das Pferd zu striegeln.

„Sie hatten einen langen Tag. Mir fiel auf, dass Sheikh bereits weg war, als ich heute Morgen zurückkam. Sie müssen sehr früh hier gewesen sein, und jetzt ist schon Zeit für das Dinner“, sagte Aurora.

„Peyton und ich sind ausgeritten, um uns ein Gut anzusehen, das ich geerbt habe“, berichtete Crispin wahrheitsgemäß. Leicht hätte er behaupten können, er habe nur gewartet, bis die Unterrichtsstunden vorbei waren. Das hätte das Gespräch gewiss im Keim erstickt.

„Bestimmt möchte Ihr Bruder, dass Sie sich dort niederlassen“, vermutete sie, und ihre Blicke trafen sich über dem Pferderücken.

Mit diesem Kommentar hatte er am wenigsten gerechnet.

„Vermutlich haben Sie recht“, entgegnete er und schnippte mit den Fingern, damit Sheikh seinen linken Hinterhuf anhob.

„Und wie stehen Sie dazu?“

Crispin gab eine aufrichtige Antwort. „Das Gut bietet alles, was man sich wünschen kann, aber ich bin nicht der richtige Mann für diese Art von Leben. Wahrscheinlich werde ich es verkaufen und wieder meiner Wege gehen.“ Inzwischen hatte er die Hufe gereinigt und streckte den Rücken durch.

„Ich verstehe, was Sie meinen“, sagte sie beiläufig. „Ich bin hier länger, als ich gedacht hätte. Zuvor habe ich immer in Reitschulen von anderen unterrichtet. Aber Tessa überredete mich, dieses Grundstück zu pachten.“ Sie hörte auf, Sheikh zu bürsten. Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen ihnen aus, als ob sie beide mit einem Mal bemerkt hätten, dass sie jemandem, den sie nicht kannten, zu viel anvertraut hatten.

Dann sah er sie an und spürte das gegenseitige Verständnis. Es war seltsam, wie sehr die Situation dieser Fremden der seinen ähnelte, trotz der ganz eigenen Umstände. Das warf neue Fragen auf.

Wie war es dazu gekommen, dass eine auffallend attraktive Frau im dörflichen Umfeld eine Reitakademie aufgebaut hatte...

Autor

Meg Alexander
Ihr Roman „Süße Versuchung“ ist bei CORA in der Reihe Historical Lords & Ladies erschienen. Doch Meg Alexander fing schon früh an zu schreiben: bereits in ihrer Kindheit begeisterte sie mit kleinen Bühnenstücken, die ihre Brüder, Schwestern und Cousins zur Familienunterhaltung an Weihnachten aufführten. Mit 19 Jahren heiratete sie und...
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