Historical Exklusiv Band 22

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ALAYNA - SCHÖN UND STOLZ von NAVIN, JACQUELINE
Heftige Gefühle toben in Alaynas Herzen, seit Ritter Lucien de Montregnier in ihr Leben getreten ist: Mutig hat er sie vor dem grausamen Edgar du Berg gerettet, und ewig wird sie ihm dankbar sein! Aber nun will Lucien ihr Burg Gastonbury entreißen. Jedes Mittel scheint ihm dafür recht - selbst die Hochzeit mit Alayna?

KAMPF UM WINDERMERE von MAGUIRE, MARGO
Ritter Wolfram hat geschworen: Eines Tages wird er Windermere zurückbekommen! Ist dieser Tag nah, als er auf Geheiß des Königs die schöne Kathryn Somers nach London bringen soll? Denn unter falschem Namen rasten sie auf Windermere, wo Kathryn ein geheimnisvoller Siegelring zugesteckt wird: der Ring des wahren Erben …


  • Erscheinungstag 26.12.2009
  • Bandnummer 22
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956401
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Geliebter Rächer

JACQUELINE NAVIN

Alayna – schön und stolz

Ritter Lucien de Montregnier ist gekommen, um seinen Todfeind zu besiegen: Einst hat der grausame Baron du Berg ihn in die Sklaverei geschickt, um Burg Gastonbury zu bekommen! Im Zweikampf richtet Lucien den Baron. Aber als er die Burg einnimmt, hat er nicht mit du Bergs schöner Witwe Alayna gerechnet! Stolz stellt sie sich ihm in den Weg …

MARGO MAGUIRE

Kampf um Windermere

Im Schutz von Ritter Wolfram reist Kathryn gen London. Fort von ihrem kaltherzigen Vater, hin zum Königshof – vielleicht sogar in ein Leben mit dem hoch gewachsenen Mann an ihrer Seite? Doch als sie auf Wolframs früherem Anwesen Windermere nächtigen, erkennt Kathryn erschrocken: Ein heißeres Feuer als Liebe brennt in Wolfram – das Feuer der Vergeltung …

1. KAPITEL

England, 1180

Lucien de Montregnier stand bedrohlich über seinem Widersacher und presste sein Schwert an die Kehle des anderen Mannes. Die Klinge war so scharf, dass sie den Hals des Besiegten geritzt hatte und einen Blutstropfen hervortreten ließ. Mit jeder Faser seines Körpers fühlte sich Lucien lebendig, und seine Haut kribbelte vor Spannung. Die widersprüchlichsten Empfindungen vermischten sich in seinem Herzen – Bitterkeit, Schmerz und wilde Freude. Es war dieser Moment, auf den er eine Ewigkeit gewartet hatte. Wie oft hatte er von diesem Augenblick geträumt, und nun genoss er ihn in vollen Zügen. Doch obgleich sein Atem in kurzen, abgehackten Zügen kam und das Blut in seinen Ohren rauschte, blieb seine Hand ruhig.

„Ich werde jegliches Lösegeld bezahlen, das Ihr verlangt“, sagte sein Gefangener.

De Montregnier grinste, während wieder die Freude über den langerhofften Sieg in ihm aufwallte. „Mir mangelt es nicht an Reichtümern“, entgegnete er.

An Edgar du Bergs entsetzter Miene war deutlich zu sehen, dass der Mann im Geiste alle Möglichkeiten, sich zu retten, durchging. Geduldig wartete Lucien ab und beobachtete jede Gefühlsregung auf dem Gesicht seines verhassten Feindes. Die Erkenntnis, dass dieser ihm nun auf Gnade und Ungnade ausgeliefert war, erfüllte ihn mit tiefer Befriedigung.

Offensichtlich hatte sich du Berg für eine Taktik entschieden, da er fortfuhr: „Lasst uns wie vernünftige Männer verhandeln. Ich habe keinen Grund, mit Euch zu streiten, kenne nicht einmal Euren Namen. Ohne ersichtlichen Grund habt Ihr mich angegriffen und zwei Tage lang bekämpft. Es war gerissen von Euch, ausgerechnet am Tag nach meiner Vermählung zuzuschlagen, als meine Männer und ich von den Lustbarkeiten der Hochzeitsfeier noch erschöpft waren. Nur deswegen konnte es Euch so leicht gelingen, unsere Wehrmauern zu stürmen.“

„Ihr wart Euch Eurer Macht allzu sicher, du Berg. Dies ist der wahre Grund, warum ich Euch besiegt habe.“

Edgar breitete beschwichtigend seine Hände aus. „Was ich nicht verstehe, ist Eure Forderung, die Sache nur zwischen uns beiden auszutragen. Schließlich habt Ihr bereits gewonnen. Warum wünscht Ihr, allein gegen mich zu kämpfen?“

„Allein?“, zischte Lucien, während er einen Blick zu der Baumreihe zu seiner Linken hinüberwarf. Jenseits der Lichtung lagen dort Edgars Männer auf der Lauer.

Du Berg machte einen jämmerlichen Versuch zu lachen. „Ihr habt doch nicht tatsächlich geglaubt, ich würde ohne Eskorte kommen. Ihr hättet mir eine Falle stellen können.“

„Wie immer spielt Ihr den Verräter, du Berg, aber Eure Männer kümmern mich nicht, solange sie sich nicht einmischen. Natürlich habe ich sichergestellt, dass sie es nicht tun. Ihr müsst wissen, dass hinter ihnen einige meiner eigenen Männer auf sie in den Wäldern warten. Habt Ihr Euch denn nicht gewundert, warum sie Euch nicht bereits zu Hilfe gekommen sind?“

Die aufgerissenen Augen und der vor Überraschung offen stehende Mund seines Gegners waren eine Genugtuung für Lucien. Bis zu diesem Augenblick hatte sich der Bastard wahrscheinlich gar nicht in Gefahr gefühlt.

„Ihr kämpft nicht fair!“, rief du Berg. Langsam verlor er auch noch den letzten Rest Selbstbeherrschung, die ihm bisher eine halbwegs gelassene Haltung ermöglicht hatte.

„Ich habe lediglich sichergestellt, dass unsere Chancen gleich stehen. Jetzt geht es nur noch um Euch und mich, so wie es sein sollte. Schließlich ist die Angelegenheit, die wir auszutragen haben, von persönlicher Natur.“

„Wer, zum Teufel, seid Ihr?“, brüllte du Berg. Seine Stimme überschlug sich beinahe vor Erregung.

Für einen langen Moment starrte ihm Lucien nur in die Augen. Nachdem er dann tief Luft geholt hatte, sagte er: „Erinnert Ihr Euch noch an den Namen de Montregnier?“

Verwirrung zeigte sich auf du Bergs Gesicht, dann Verstehen und schließlich nackte Angst. „Ihr müsst der Junge von damals sein, Raouls Sohn. Ich glaubte Euch tot.“

„Ihr hättet lieber verlässlichere Meuchelmörder anheuern sollen“, zischte Lucien. „Sie erhöhten ihre Bezahlung noch um einige Münzen, indem sie mich als Sklaven verkauften. Sie schickten mich geradewegs in die Hölle, du Berg. Vielleicht wurde ich zurecht oft ein Dämon genannt, denn wie Ihr seht, bin ich von dort zurückgekehrt.“

Du Berg versuchte rückwärts zu kriechen, doch der verstärkte Druck von Luciens Klinge ließ ihn innehalten. Sein Adamsapfel hüpfte vor Aufregung auf und ab, während er schluckte. „Wollt Ihr Thalsbury zurück? Ich werde es Euch überlassen.“

„Es wird mir ohnehin bald gehören.“

„De Montregnier, hört mich an“, fuhr du Berg fort. „Ich werde bewirken, dass Ihr all Eure Ländereien zurückerhaltet. Denkt darüber nach – es ist ein gutes Angebot. Die Tage der Anarchie sind vorüber. König Henry wird nicht hinnehmen, dass sich seine noblen Vasallen in Rachefeldzügen bekämpfen. Ihr solltet besser mit mir verhandeln.“

„Lieber würde ich Händel mit dem Teufel schließen“, antwortete de Montregnier.

„Seid doch vernünftig, Mann! Lebendig kann ich Euch mehr nutzen, als wenn Ihr mich tötet. Ihr werdet damit niemals durchkommen. Inzwischen haben wir Gesetze in England.“

Luciens Stimme klang sehr ruhig, beinahe sanft. „Ich werde den Tod meines Vaters rächen. Und für meine eigenen Verluste werde ich alles nehmen, was Euer ist.“

Schweiß rann über du Bergs Stirn, indes sich seine Lippen wortlos bewegten. De Montregnier sah die tödliche Absicht in Edgars Augen, noch bevor er einen Muskel bewegte. Mit einer plötzlichen Bewegung stieß er de Montregniers Waffe beiseite und sprang vorwärts. Das Licht spiegelte sich auf dem Dolch, den er blitzschnell aus seinem Stiefel gezogen hatte.

Im letzten Augenblick trat Lucien zur Seite, und der tödliche Stoß traf nur Luft. Du Berg taumelte zurück, während er noch immer mit dem Dolch vor sich herumfuchtelte. „Was wollt Ihr?“, brüllte er.

„Euren Tod“, antwortete Lucien. In einer einzigen fließenden Bewegung hob er sein Schwert und ließ es auf seinen Gegner herabsausen. Blut spritzte hervor, als sich die Klinge tief in Edgars Seite bohrte.

Mit aufgerissenen Augen starrte er Lucien an. Nicht Zorn oder Angst zeigte sich in seinen Augen, nur Verwunderung. Dann verzog sich seine Miene vor Schmerz, und seine Augen rollten nach oben, als er zusammenbrach.

Lustlos zog de Montregnier sein blutiges Schwert heraus. Eine Weile blieb er reglos stehen und blickte auf Edgars verkrümmte Gestalt herab. Es dauerte lange, bis er sich schließlich abwandte.

Edgars Männer stürmten vorwärts. Ohne sie eines einzigen Blickes zu würdigen, schwang sich Lucien in den Sattel. Dann rief er über die Schulter zurück: „Seht zu, dass er begraben wird. Lasst das Grab segnen, falls sich hier ein Priester findet, doch bringt die Leiche nicht zurück nach Gastonbury. Von nun an bin ich der Baron, und ich wünsche nicht, dass sein verrottendes Fleisch noch länger mein Land vergiftet.“

Alayna of Avenford stand inmitten der Menschenmenge, die sich im Burghof von Gastonbury Castle versammelt hatte. Der heutige Tag war ihr lang vorgekommen. In der Kapelle war ein notdürftiges Krankenlager eingerichtet worden, und sie hatte dort die vielen Männer versorgt, die im Kampf verwundet worden waren. Erst vor zwei Tagen hatte die Fehde begonnen, gleich nach Alaynas unglückseliger Vermählung. Nun fühlte sie sich schwach vor Müdigkeit – oder war es Erleichterung? Vor Stunden endlich war die Nachricht gekommen, dass der Anführer der angreifenden Truppen den Lord of Gastonbury besiegt habe. Gott sei mir gnädig, betete sie, aber sie war froh über die Neuigkeiten.

Es war ein Segen, dass Edgar tot war, doch sie musste nur in die Gesichter der Anwesenden blicken, um die allgemeine Furcht zu bemerken. Die Familien der Verwundeten und Gefallenen wussten nicht, welche Zukunft sie unter der Gnade eines fremden Lords erwarten würde.

Eine Hand griff nach ihrer, und Alayna wurde ihrer Amme Eurice gewahr, die an ihrer Seite stand. Die alte Frau blickte sie voller Mitgefühl an. „Liebes“, flüsterte sie.

Alayna schüttelte den Kopf. „Sei unbesorgt, es geht mir gut.“

Eurices scharfe Augen sahen sie fragend an. Es war nicht schwer zu erraten, was die Amme betrübte. „Er hat mir nichts angetan, Eurice. Edgar konnte nicht einmal mehr seine Kleidung ablegen, so betrunken war er. Als er hinauf zu mir in das Schlafgemach kam, konnte er kaum noch stehen.“ Alayna war noch immer Jungfrau. Ihre Vermählung lag nur wenige Tage zurück, und schon war sie Witwe. Zum Glück war ihr die Schmach erspart geblieben, sich ihrem verhassten Gemahl hingeben zu müssen. In der Hochzeitsnacht war er zu betrunken gewesen, und am nächsten Morgen hatte die Fehde begonnen, bevor er das Versäumnis nachholen konnte.„Was auch immer dieser Krieg für diese armen Leute hier bedeuten mag, mir hat er die Freiheit gebracht.“

Eurice wirkte nicht im Geringsten beruhigt. „Ich fürchte, so einfach wird es nicht sein, Kind. Nach einem Krieg liegt niemandem etwas am Wohl der Besiegten.“

Wieder schüttelte Alayna heftig den Kopf, wobei sich einige widerspenstige dunkle Strähnen aus ihrem Haarknoten lösten. „Wir sind nicht die Besiegten. Ich wurde zu dieser unseligen Vermählung gezwungen, der Gott in seiner Gnade nun ein Ende bereitet hat. Ich gehöre nicht nach Gastonbury. Sobald ich Mutter eine Nachricht zukommen lassen kann, wird sie mir eine Leibgarde schicken, die mich nach Hause bringen wird.“

„Du bist zu voreilig, Kind“, entgegnete Eurice. „Schließlich warst du Edgars Braut, und sein Todfeind wird nicht über diese Tatsache hinwegsehen.“

„Das war ich nicht!“, widersprach Alayna. „Ich bin immer noch Jungfrau und noch nicht einmal eine richtige Witwe, da ich nie wirklich Edgars Gemahlin gewesen bin.“ In der Ferne war das gedämpfte Geräusch donnernder Hufe zu hören, die sich zu nähern schienen. Die siegreichen Truppen würden bald im Schloss sein. „Und bei Gott, ich werde nach Hause gehen“, schwor sie.

Die Tore waren geöffnet worden, um den Eroberern Eintritt zu gewähren. Trotz ihrer mutigen Worte umklammerte Alayna Eurices Arm, während ihr Herz aufgeregt pochte. Langsam kamen die fremden Soldaten in Sichtweite und hoben sich als dunkle Silhouetten vor dem Himmel ab. Der Anführer ritt an der Spitze, flankiert von seinen Rittern, denen die Fußsoldaten folgten. Die Männer strömten in den Burghof und näherten sich bedrohlich den zurückweichenden Schlossbewohnern Als der letzte der Soldaten das Tor passiert hatte, gab der Eroberer seinem Hengst die Sporen und ritt ein Stück vor, bis er allein in der Mitte des Hofes stand.

„Er sieht aus wie der Teufel!“, zischte jemand hinter Alayna.

In der Tat konnten das dunkle Äußere und die grimmige Miene dieses Mannes einen glauben machen, er sei ein Dämon. Sein langes schwarzes Haar fiel ungebändigt über seinen Rücken, und seine schwarzen Augen glühten wie Kohlen, während er verächtlich auf seine neuen Untertanen herabblickte. Ein kurzgeschnittener Bart betonte sein kantiges Gesicht, die gerade Nase und hohen Wangenknochen. Auf seiner linken Wange hob sich eine gezackte Narbe hell gegen die sonnengebräunte Haut ab. Dennoch wirkte dieser Makel nicht entstellend, sondern verstärkte nur noch sein verwegenes Aussehen, das auf seltsame Weise anziehend wirkte. Er war groß und breitschultrig, und seine muskulöse Statur zeugte von jahrelanger Übung in der Kriegskunst.

Alaynas Magen krampfte sich zusammen, während sie diesen Mann betrachtete. Sogar der stärkste Gegner musste vor seinem arroganten, machtvollen Wesen, das keinen Widerspruch zu dulden schien, erzittern! Auch wenn er nicht an der Spitze seiner Truppen geritten wäre, hätte ihn seine stolze Haltung deutlich als den Anführer ausgewiesen.

„Ich bin Lucien de Montregnier“, verkündete er unvermittelt.

Der Name verursachte sichtliches Entsetzen unter den Schlossbewohnern. Alayna hörte einige von ihnen erschrocken nach Luft schnappen, während andere leise miteinander tuschelten.

„Lord Edgar ist tot“, fuhr der Fremde fort. „Seine Niederlage gibt mir das Recht, dieses Schloss und die umliegenden Ländereien in Besitz zu nehmen.“ Es klang wie eine simple Feststellung, ohne jegliche Gefühlsregung. „Als Sieger dieser Fehde erkläre ich, dass ich von nun an euer neuer Lord sein werde – zumindest bis König Henry einen Repräsentanten schickt, der diese Tatsache auch vor dem Gesetz für gültig erklärt.“

Alayna bemerkte, wie sein Blick über die Anwesenden schweifte und plötzlich auf ihr verharrte. Irgendetwas in diesen dunklen Augen zog sie magisch an und hielt sie gefangen. Sie fürchtete diesen Mann, aber auf eine andere Art als Edgar. Ihr toter Gemahl war brutal und grausam gewesen, was sie während ihrer kurzen gemeinsamen Zeit schmerzhaft erfahren hatte. Dennoch lag etwas weit Gefährlicheres im Blick dieses Ritters, und sie konnte sich einfach nicht abwenden.

„Ich werde verlangen, dass mir jeder Einzelne von euch den Treueeid leistet. Diejenigen, die nicht dazu bereit sind, werden eingekerkert, bis der Vertreter des Königs hier eintrifft. Falls mir dieses Anwesen zugesprochen wird, werdet ihr eine weitere Möglichkeit bekommen, euch zu entscheiden. Wenn ihr einem anderen Lord dienen wollt, werden eure Ländereien einem meiner Leibeigenen übereignet werden.

Sollte der Bote des Königs meinen Anspruch auf Gastonbury ablehnen, werde ich persönlich jeden Mann dafür entschädigen, dass er unschuldig gefangengehalten wurde.“

Ein ungläubiges Raunen ging durch die Menge. Lucien erhob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. „Ich will euch damit nur zeigen, dass ich euch gerecht behandeln werde, obgleich ich keine Treulosigkeit dulde. Doch ich rate euch, denkt sorgfältig nach, bevor ihr euch entscheidet.“

Mit diesen Worten schwang er sich aus dem Sattel und durchquerte mit großen Schritten die Menschenmenge, wobei ihm die Anwesenden hastig den Weg frei machten. Indem er zielstrebig auf den Bergfried zuging, erklomm er die Stufen zum hohen Eingangstor und verschwand in der Halle.

Einer der anderen Männer, ein gutaussehender Ritter mit glänzendem blondem Haar, der ein kostbares Kettenhemd und eine Silberrüstung trug, rief grinsend vom Rücken seines Pferdes: „Euer neuer Baron erwartet einen jeden von euch in der Halle.“ Sein vornehmes Äußeres passte nicht im Geringsten zu den blutbefleckten Waffen und seiner dreckverschmierten Rüstung.

Hinter dem blonden Ritter kam ein weiterer Mann zum Vorschein. Sein Haar war so hell, dass es beinahe weiß war, und fiel lang über seine Schultern. Ein Wikinger, dachte Alayna. Selbst für einen der hünenhaften nordischen Krieger musste dieser Mann wie ein Riese wirken.

„Agravar!“, rief der andere Mann lachend. „Lord Lucien wird es nicht gerade begrüßen, wenn du seine neuen Schutzbefohlenen zu Tode erschreckst!“

Der Wikinger nickte wortlos, bevor er ebenfalls im Schloss verschwand. Der blonde Ritter warf einem seiner Kampfgefährten einen verschwörerischen Blick zu, während er noch immer über den Scherz grinste.

„Guter Gott“, flüsterte Eurice Alayna zu. „Sie bringen das Böse zu uns. Dieser Hellhaarige hat das Gesicht eines Engels, doch zeigt nicht auch Luzifer oft ein schönes Gesicht? Und was, um Himmels willen, findet er so lustig! Ich glaube, er verspottet uns.“

„Wer von euch ist Lady Gastonbury?“, rief der Ritter in diesem Augenblick.

Alle Gesichter wandten sich Alayna zu. „Das … bin ich“, antwortete sie leise.

Der Mann saß ab und kam lächelnd auf sie zu. „Ich bin Sir Will, einer der Söldner Lord Luciens. Er hat mich gebeten, Euch zu ihm zu bringen.“

„Warum gerade mich?“, fragte Alayna und warf dabei einen erwartungsvollen Blick auf die Umstehenden, als ob jemand vortreten und sie vor dieser unerfreulichen Begegnung bewahren würde.

Sir Will zuckte mit den Schultern. „Aber Ihr seid doch die Lady dieses Schlosses, nicht wahr? Ihr seid diejenige, die ihm zuerst den Treueeid ableisten muss.“

Alayna hätte am liebsten abgelehnt, da sie mit einem Male eine ungute Vorahnung verspürte. Wie oft hatte sie Eurice wegen ihres Aberglaubens verspottet. Doch nun sträubte sich alles in ihr dagegen, diesem finsteren Krieger allein gegenübertreten zu müssen. Als sie Eurice einen fragenden Blick zuwarf, schüttelte die Amme nur den Kopf.

Alayna blieb keine andere Wahl. Schließlich nickte sie, um ihre Zustimmung zu bekunden.

2. KAPITEL

Innerhalb des Bergfriedes dauerte es eine Weile, bis sich Alaynas Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Außer dem Mann, der am anderen Ende der Halle unruhig umherging, war niemand anwesend. Bisher hatte Alayna noch niemals eine derart leere Schlosshalle gesehen, da dort normalerweise wenigstens ein Dutzend Menschen ihren verschiedenen Tagesbeschäftigungen nachgingen. Doch im Augenblick erfüllte sie dieser verlassene Ort mit Furcht.

Oder lag es vielleicht nur an Lucien de Montregniers raubtierhafter Art, mit der er sich bewegte? Er besaß die wilde Anmut eines eingesperrten Löwen, der nach Beute Ausschau hielt.

Bei ihrem Anblick blieb er unvermittelt stehen und hob fragend eine Augenbraue. Da sie zögerte, rief er: „Nun gut, tretet vor!“

Alayna zuckte zusammen. Seine Stimme schien in jedem Winkel der Halle widerzuhallen. Bevor sie überhaupt bemerkte, wie schnell sie seinem Befehl Folge geleistet hatte, war sie bereits auf ihn zugeeilt. Dann fing sie sich wieder, straffte die Schultern und verlangsamte ihre Schritte.

„Lady Alayna of Gastonbury“, fuhr er fort. Während sie sein Blick von oben bis unten musterte, kam sie wieder nicht umhin, die unwiderstehliche Anziehungskraft dieses Mannes zu bewundern.

Von Nahem wirkte er noch gefährlicher als vom Rücken seines Pferdes aus, aber auch gutaussehender. Nicht einmal die Blutflecken und der Schmutz auf seiner Rüstung konnten sein eindrucksvolles Erscheinungsbild schmälern. Auch seine edlen Gesichtszüge, die sie bereits im Burghof bemerkt hatte, wirkten nun noch anziehender – die stolze, gerade Nase, die hohen Wangenknochen und seine vollen, sinnlichen Lippen, die einen entschlossenen Zug aufwiesen.

Keine Gefühlsregung zeigte sich auf seinem Gesicht, als seine dunklen Augen mit dem stechenden Blick sie wieder eindringlich musterten. Es schien Alayna nur ganz natürlich, dass ihre Knie mit einem Mal weich wurden. Schließlich war er der siegreiche Krieger und sie selbst seiner Gnade auf Gedeih und Verderben ausgeliefert. Jeder andere wäre an ihrer Stelle ebenso aufgeregt wie sie. Und doch hatte sie selbst Edgar nur Verachtung entgegengebracht, niemals Furcht. Und nun beunruhigte sie dieser Mann wie kein anderer zuvor.

In einem Anflug plötzlichen Mutes strich sie eine vorwitzige Locke aus der Stirn, was sich als aussichtsloses Unterfangen erwies. Sogleich fiel die Strähne an die ursprüngliche Stelle zurück.

„Aye, das bin ich“, antwortete sie schließlich mit bebender Stimme.

„Als Edgar du Bergs Witwe müsst Ihr mir zuerst den Treueeid ableisten.“

Neue Hoffnung regte sich in ihr. War das alles, was er wünschte? „Sir“, fuhr sie entschlossener fort, „ich werde freudig alle Ansprüche anerkennen, die Ihr auf dieses Schloss und seine Ländereien erhebt. Und ich werde Euch jeglichen Titel zugestehen, den Ihr wünscht. Es bedeutet mir nichts.“ Einen Augenblick lang zögerte sie, um seine Reaktion abzuwarten. Doch er beobachtete sie nur weiter schweigend. „Mir liegt nichts an Gastonbury, es ist nicht mein Zuhause.“

„Ihr seid die Herrin des Schlosses“, bemerkte er ruhig. „Wie könnt Ihr behaupten, nicht hierher zu gehören?

Alayna schluckte. Das einzige Zeichen seiner Wut war die gezackte Narbe auf seiner Wange, die plötzlich weiß wurde. „Ich war nur für zwei Tage vermählt, und ich halte mich erst einen Monat in Gastonbury auf. Mein wirkliches Heim ist in London. Meine Mutter ist eine von Königin Eleanores Hofdamen.“

Er bedachte sie mit einem prüfenden Blick. „Und?“, fragte er.

„Da Edgar, mein Gemahl, nun tot ist, wünsche ich zu meiner Familie zurückzukehren.“ Hatte dieser Mann vor, sie mit seinen finsteren Blicken einzuschüchtern?

„Ihr werdet nirgendwohin gehen“, sagte er schließlich. Wieder fiel ihr die Leichtigkeit auf, mit der er Befehle erteilte.

„Aber …“, begann sie noch, bevor er sie mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen brachte.

„Ich habe sehr wohl Verständnis für Euren Wunsch, Mylady.“ Sein sarkastisches Lächeln ließ ihn wie einen Schurken wirken. „Tatsächlich verstehe ich das Verlangen nach Freiheit, vielleicht mehr, als Ihr wisst. Doch es dient einfach nicht meinen Zwecken, Euch zu Eurem früheren Leben zurückkehren zu lassen, zumindest jetzt noch nicht. Ich vertraue auf Eure Unterstützung, und wenn meine Angelegenheiten hier geregelt sind, werden wir uns auch um Eure Belange kümmern.“

Er lehnte sich gegen den Kaminsims, und seine Entschlossenheit zeigte sich in seiner Haltung und Miene.

„Welche Angelegenheiten?“, fragte sie überrascht.

„Mir liegt viel daran, dass meine heutigen Bemühungen nicht umsonst waren“, erklärte er. Plötzlich trat ein beinahe träumerischer Blick in seine Augen, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. „Ich habe lange auf diesen Tag gewartet und alles getan, um ihn wahr werden zu lassen. Der Sieg über Edgar du Berg war nur der Anfang. Ich beabsichtige, alles zu besitzen, was einst ihm gehörte.“

Obgleich er es nicht laut ausgesprochen hatte, entging Alayna die Zweideutigkeit seiner Aussage nicht. Anscheinend zählte er sie selbst ebenfalls zu seiner Beute. Immerhin konnte sie es diesem Mann nicht verübeln, dass er Rache an Edgar du Berg nehmen wollte. Zweifellos hatte ihr verstorbener Gatte es verdient. Doch es schien nicht gerecht, dass auch sie in diese Pläne mit eingeschlossen werden sollte.

„Das verstehe ich nicht“, sagte sie. „Was hat all dies mit mir zu tun?“

„Versteht Ihr wirklich nicht, in welcher Lage Ihr Euch befindet, oder haltet Ihr mich einfach nur für dumm?“

Er wurde schon wieder zornig, und Alayna fühlte sich bereits versucht, den Rückzug anzutreten. Doch auch sie besaß ein recht leidenschaftliches Temperament. „Ich habe Euch nicht als dumm bezeichnet. Nur wünsche ich, diesen Ort zu verlassen.“

„Damit Ihr zu König Henry gehen und als Witwe Eure eigenen Ansprüche auf dieses Anwesen vorbringen könnt? Eure Trauer über den Verlust Eures Gemahls muss Euren Verstand beeinträchtigt haben, wenn Ihr noch nicht daran gedacht habt. Schließlich wäre es nur von Vorteil für Euch, wenn Ihr Gastonbury zurückgewinnen könntet.“

„Ich habe nichts dergleichen im Sinn!“, widersprach sie. „Ich möchte nichts mehr mit diesem Besitz zu tun haben. Und Ihr täuscht Euch, Mylord. Ich betrauere keineswegs den Verlust von Gastonbury, geschweige denn den meines Gatten.“ Trotz allem, was Edgar ihr angetan hatte, versetzte ihr diese Feststellung einen Stich in der Magengegend. „Ich hasste ihn vielleicht noch mehr als Ihr, de Montregnier. Er lockte mich unter einem Vorwand hierher und zwang mich zu dieser unerwünschten Vermählung.“

Zum ersten Mal zeigte er etwas Interesse an ihren Worten. „List und Tücke machten du Bergs größtes Talent aus. Wie hat er Euch dazu gebracht, seinem Willen nachzukommen?“

Alayna holte tief Luft und versuchte, ruhig zu bleiben. „Er sandte eine Nachricht an meine Mutter, in der er sich als Cousin meines Vaters ausgab und uns zu einem Besuch einlud. Meiner Mutter war viel daran gelegen, mich vom Hof wegzuschicken, da ihr all die Intrigen und Ränke dort Sorgen bereiteten. Also nahm sie die Einladung an. Mein Vater starb vor sechs Jahren, müsst Ihr wissen, daher zweifelte sie nicht daran, dass Edgar wirklich ein Verwandter war. Doch er hatte gelogen. Als ich erst einmal hier war, stellte er mir eine Falle – zusammen mit dieser niederträchtigen Kreatur, die die ungeheuerliche Unverfrorenheit besitzt, sich einen Bischof zu nennen. Er behauptete, mein guter Ruf sei kompromittiert worden.“ Erleichtert bemerkte sie, dass ihr Gegenüber immerhin die Höflichkeit besaß, nicht gelangweilt zu wirken. „Ich hatte die Wahl zwischen der Vermählung oder dem Scheiterhaufen.“

„Klingt das alles nicht ein wenig zu dramatisch?“, fragte de Montregnier.

„Das dachte ich anfangs auch, aber die Drohung des Bischofs war todernst gemeint. Wie Ihr wisst, können sie nach dem Gesetz auch eine Ehebrecherin verbrennen. Ich bin sicher, Edgar hätte es getan.“

„Warum hat Eure Familie nicht eingegriffen?“

„Mir wurde verboten, meiner Mutter zu schreiben. Sie hat es niemals erfahren.“

Er kniff die Augen zusammen, die schwarz wie Kohle glühten. „Und aus welchem Grund sollte der kürzlich verstorbene Lord of Gastonbury diesen großartigen Plan ersonnen haben?“

„Wegen meiner Ländereien, Ihr begriffsstutziger Narr!“, fauchte sie, bereute ihre Worte jedoch sogleich. Mit diesem Mann war nicht zu spaßen. Dennoch schien er durch ihre Beleidigung nicht aufgebracht zu sein, da er keine Miene verzog. Sie fuhr in einem ruhigeren Tonfall fort: „Er begehrte mich, weil ich eine wohlhabende Erbin war.“

„Eine schreckliche Geschichte“, sagte de Montregnier ungerührt, „aber recht unwahrscheinlich, selbst wenn sie wahr sein sollte. Ihr werdet bleiben, wenigstens so lange, bis ich über Euer weiteres Schicksal entschieden habe.“

„Aber das könnt Ihr nicht tun!“

Er lächelte grausam und breitete seine Hände aus. „Demoiselle, ich habe gerade Euren Gemahl getötet und seine Armee besiegt. Ich versichere Euch, ich kann alles tun, was mir gefällt.“

Als sie den Mund zu einem erneuten Protest öffnete, brachte er sie wieder mit einer Geste zum Schweigen. „Mylady, ich habe Euch bereits genügend Freiheit gewährt, um Euer Missfallen zum Ausdruck zu bringen. Aber ich warne Euch, fordert mich nicht heraus.“ Sie hätte ihm sein arrogantes Grinsen am liebsten aus dem Gesicht geschlagen. „Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir.“

Wieder regte sich unbändige Wut in ihr und ließ ihre Angst schwinden. „Ihr habt kein Recht …“

„O doch, Mylady, das habe ich. Alle Besitztümer Edgars gehören nun mir.“

„Mich kann man aber nicht besitzen!“

„Eine Ansicht, die nicht von unserem Gesetz geteilt wird“, entgegnete er. „Ihr wart Edgars rechtmäßiger Besitz, und nun seid Ihr meiner. Außerdem könnt Ihr kein Unheil anrichten, wenn ich Euch hier im Auge behalte.“

Alayna war sprachlos. Er schien sie also als eine Art Bedrohung für seine hart erkämpfte Beute anzusehen. „Es gibt nichts, das ich hier begehre“, versicherte sie ihm. „Ich gebe Euch mein Wort, dass ich mich in keiner Weise in Eure Angelegenheiten einmischen werde.“

Die blanke Wut in seinen Augen warnte sie davor, sich weiter mit ihm anzulegen. „Ich kann mit den leeren Versprechungen einer Frau nichts anfangen. Sie sind den Atem nicht wert, der nötig ist, um sie auszusprechen.“

Verzweifelt suchte sie nach einem Weg, ihn zu überzeugen. Dann kam ihr plötzlich ein Gedanke.

„Eure Bedenken sind völlig unnötig. Ich bin nicht Edgars Witwe!“

Lucien seufzte. „Was für ein Unsinn ist denn das nun wieder? Ich bin nicht in der Stimmung für Eure Spielchen. Werdet Ihr mir nun die Treue schwören, oder wählt Ihr lieber den Kerker?“

„Das würdet Ihr nicht wagen!“

„Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, was ich alles wagen würde, Demoiselle“, drohte er und baute sich mit verschränkten Armen vor ihr auf. Mit einem Mal wirkte er riesig und angsteinflößend. „Und lasst mich Euch weiterhin warnen, dass ich kein Verständnis für die üblichen Intrigen und Ränkespiele der Frauen habe. Wenn Ihr mir etwas Wichtiges zu sagen habt, so sprecht nur frei heraus. Meine Geduld für Euer Geschlecht ist sehr begrenzt.“

„Der Heiratsvertrag ist ungültig“, sagte sie, „denn die Vermählung wurde nicht vollzogen.“

De Montregnier hob die Brauen. „Was soll diese Lüge? Ihr behauptet also, Edgar hätte nicht Euer Bett geteilt?“

Alayna errötete tief und zwang sich, seinem starren Blick zu begegnen. „Genau dies habe ich gesagt.“

„Ich glaube Euch nicht“, forderte er sie heraus.

„Doch es ist wahr“, entgegnete sie standhaft.

Lucien fuhr mit einer Hand durch sein zerzaustes Haar. „Wer weiß noch davon?“, fragte er. „Wurden die Betttücher denn nicht gezeigt?“

„Dafür war keine Zeit. Tatsächlich nahmen alle an, die Heirat sei vollzogen worden – falls sie im Schlachtgetümmel der Belagerung überhaupt einen Gedanken daran verschwendeten.“

„Ich kehrte nur aus einem einzigen Grund nach Gastonbury zurück, um alles in Besitz zu nehmen, was Edgar du Berg gehörte. Es sollte die gerechte Bezahlung für alle Verbrechen sein, die er meiner Familie angetan hat. Und genau dies beabsichtige ich zu tun. Ihr wart seine geliebte Gemahlin, also werdet auch Ihr mir gehören.“

„Aber ich sagte Euch doch, ich bin nicht die Herrin dieses Schlosses!“

Anstatt zu antworten, bewegte er sich unvermittelt auf sie zu. Sie zuckte zusammen, da sie glaubte, er werde sie schlagen. Stattdessen streckte er den Arm aus, und lange, kraftvolle Finger schlossen sich hart wie Stahl um ihr Handgelenk.

„Was …“, begann sie, vergaß jedoch sogleich ihren Einwand, da er sie eng an sich zog. Erstaunt blickte sie zu seinem Gesicht hinauf, das nur wenige Fingerbreit von ihrem entfernt war. Aus irgendeinem Grund blieb ihr Blick wieder an der blassen Narbe haften, die seine Wange verunstaltete. Sie war unfähig, sich zu bewegen. „Lasst mich gehen“, sagte sie mit schwacher Stimme, aber ohne wirkliche Überzeugungskraft.

Sein Blick glitt über ihr Gesicht, bevor er sich plötzlich abwandte und sie hinter sich herzog.

„Lasst mich gehen!“, wiederholte sie, dieses Mal entschiedener, da sie sah, welche Richtung er eingeschlagen hatte. Indem er sie die Stufen hinaufzerrte, brachte er sie zu dem Gang, der zum Schlafgemach des Schlossherrn führte.

Allmächtiger, dachte sie. Der Schurke beabsichtigt, mich in sein Bett zu nehmen!

3. KAPITEL

Doch Luciens Absichten waren völlig anderer Natur.

Während er sie mit sich zog, strebte er direkt auf Edgars Kammer zu, die nun ihm gehörte. Er kannte den Weg gut, da er in seiner Kindheit in diesem Schloss gespielt hatte. Seine Mutter und er waren jedes Jahr hierhergekommen, während sein Vater die Waffenpflicht ableisten musste, die er seinem König schuldete.

Hier hatte er auch die verhängnisvolle Entdeckung gemacht, vor all diesen langen Jahren.

Es war nur das Missverständnis eines unschuldigen Kindes gewesen. Er hatte das Lachen seiner Mutter gehört, ein ungewohntes Geräusch für seine Ohren, und hatte nicht widerstehen können. Sie hatte sich ihm gegenüber stets so kühl und abweisend verhalten. Dennoch hatte er sie angebetet, nach ihrer Liebe gehungert und sie für die wunderschönste Frau der Welt gehalten.

Aus diesem Grund hatte ihn auch das Lachen angezogen, das er viel zu selten hörte. Neugier hatte ihn dazu getrieben, tödliche Neugier.

Ohne diese Neugier wäre sein Vater nicht ermordet worden, und er selbst hätte keine elf Jahre in der Hölle verbracht. Mit dieser Schuld hatte er bereits lange leben müssen. Und alles nur wegen der törichten Sehnsucht eines Jungen nach einer Mutter, die nichts als eine verdorbene, lügnerische Betrügerin gewesen war. Diese schmerzhafte Lektion hatte ihn auch etwas Wichtiges über die Frauen gelehrt. Und diese Erkenntnis hatte er für immer bewahrt, sie sogar zu einem Grundsatz seines Lebens gemacht: Traue niemals einer Frau.

Nachdem er die Tür zum Schlafgemach aufgestoßen hatte, schob er Alayna in den Raum und warf die Tür hinter sich zu.

Es sah nur wenig anders als damals aus, in jener Nacht. In der Kammer standen noch immer dieselben Möbel, hingen die schweren Wandteppiche, lagen die kostbaren Pelze auf dem Bett … Auf diesem Bett hatte er die beiden gesehen, vereint auf eine Art, die sein kindliches Gemüt entsetzt und verwirrt hatte. Ein seltsamer Schmerz war in seiner Brust zu spüren, doch er verdrängte die Erinnerung schnell.

„Nun, Lady Gastonbury“, sagte er entschlossen, „Ihr behauptet also, Edgar, der nur zu gut dafür bekannt ist, die Gemahlinnen anderer Männer zu verführen, habe seine eigene Braut in der Hochzeitsnacht verschmäht? Habt Ihr ihm etwa missfallen? Ich bezweifle das, denn trotz Eures giftigen Mundwerks ist Eure Gestalt nicht gerade hässlich zu nennen. Sagt mir, Mylady, wie konnte Edgar eine Frau wie Euch vergessen?“

„Vergessen hat er mich nicht“, entgegnete Alayna. „Ich bin sicher, dass Edgar die besten Absichten hatte, mir Gewalt anzutun.“

„Er wollte Gewalt anwenden? Also wart Ihr nicht vermählt?“

„Natürlich waren wir es, aber ich sagte Euch doch bereits, dass er mich dazu gezwungen hatte.“

„Wenn man Edgars Reichtum bedenkt, konntet Ihr doch gewiss auch einige Vorteile aus dieser Vermählung ziehen.“

Seufzend zuckte sie die Schultern. „Wenn Ihr unbedingt glauben wollt, dass ich eine glückliche Braut war, kann ich Euch ohnehin nicht vom Gegenteil überzeugen.“

„Aye, ich kann in der Tat schwer glauben, Edgar hätte sich nicht bei der ersten Gelegenheit an Euren … Reizen erfreut.“

„Er war so berauscht vom Wein, dass er einschlief, bevor …“ Alaynas Wangen färbten sich tiefrot. Insgeheim bewunderte sie Lucien beinahe für das Geschick, mit dem sie diese weibliche List einsetzte. Zweifellos wollte sie damit verhindern, dass er sie noch weiter befragte. Auch seine Mutter war eine Meisterin hinterhältiger Spielchen gewesen, die den Frauen zu eigen waren. Doch diese würde bald feststellen, dass sie ihre Künste an ihm vergeudete.

„Ich kann Euren Worten keinen Glauben schenken, Mylady.“

„Ich schere mich keinen Deut darum, was Ihr glaubt oder nicht!“, rief sie aufgebracht. „Ihr steht einfach hier und bestimmt, was wahr sein soll, nur weil Ihr es so wünscht! Nun, selbst Ihr könnt das nicht befehlen, ob es Euch nun passt oder nicht! Ich bin niemals Edgars Gemahlin gewesen! Ich gehöre nicht nach Gastonbury, und ich verlange, dass Ihr mich auf der Stelle gehen lasst!“

Lucien starrte sie einen Moment lang nur an. Dann ging er zum Bett hinüber und stellte sich mit dem Rücken zu Alayna, damit sie nicht sah, wie sehr seine Hand zitterte. Zögernd hob er die schwere Felldecke, warf sie beiseite und zwang sich, das Laken anzublicken.

Es gab kein Anzeichen ihrer verlorenen Jungfräulichkeit, keinen Blutfleck, der das Leintuch besudelte. Als er sich ihr wieder zuwandte, war sein Gesicht wieder eine kalte Maske, die keine Gefühlsregung erkennen ließ.

„Ausgerechnet dieses Bett, das die Verführung so vieler Frauen gesehen hat, blieb in der einzigen Nacht ungenutzt, in der sein Besitzer bei seiner eigenen Frau hätte liegen können. Ich finde das amüsant, Ihr nicht auch?“

Die junge Frau beobachtete Lucien misstrauisch, obgleich er auch einen triumphierenden Ausdruck in ihren Augen zu erkennen glaubte. Sie wartete nur darauf, dass er sich geschlagen gab. Auf einmal wurde ihm bewusst, wie unglaublich schön sie doch war. Natürlich hatte er es schon zuvor bemerkt, als sie ihm in der Menschenmenge im Burghof aufgefallen war. Wie ein Diamant unter gewöhnlichen Kieselsteinen, hatte er gedacht. Ihre Augen waren ebenso grün wie die dunklen, geheimnisvollen Wälder, die er im Nordland gesehen hatte. Sie schienen von innen heraus zu leuchten und waren von dichten schwarzen Wimpern eingerahmt. Während ihre zarte, helle Haut einen reizvollen Kontrast zu ihrem dunklen Haar bildete, wirkte ihr Mund voll und sinnlich. Solche Lippen konnten einen Mann nur allzu leicht von seinen Pflichten ablenken.

Da ihm plötzlich die Unsinnigkeit seiner Gedanken bewusst wurde, runzelte er die Stirn. „Es wundert mich nicht im Geringsten, dass kein Beweis Eurer Unschuld zu finden ist“, sagte er. „Ich glaube nämlich, dass Ihr in dieser Nacht keine Jungfrau mehr wart.“ Er bemühte sich, die Zornesröte in ihrem Gesicht nicht zu beachten. Natürlich war sie noch unschuldig, es zeigte sich schon an der offensichtlichen Scham, die sie bei diesem Gespräch empfand. „Für mich ist es ohne Bedeutung, was auf diesem Bettlaken zu sehen ist. Ich sage, Ihr seid die Witwe meines besiegten Feindes und gehört nun mir.“

Entsetzt schnappte Alayna nach Luft. „Wie könnt Ihr es wagen, obwohl Ihr die Wahrheit kennt! Ich werde dem Boten des Königs darüber berichten. Auch andere können bestätigen, dass dieses Laken unbefleckt blieb. Niemand wird also Euren falschen Behauptungen Glauben schenken.“

Ohne zu antworten, zog er einen kurzen Dolch aus seinem Gürtel. Alayna stieß einen leisen Schrei aus, bevor sie ängstlich zurückwich. Guter Gott, er wollte sie damit bedrohen! Doch er hob nur gelassen den Dolch, dann umschloss er die Klinge mit der anderen Hand. Ungerührt zog er seine Handfläche über die scharfe Schneide, bis das Blut aus dem tiefen Schnitt tropfte. Entsetzt sah sie zu, wie er das Laken ergriff und seine Faust darum ballten.

Als sie endlich begriff, sprang sie mit einem Schrei auf ihn zu. Sie entriss ihm das Tuch, doch es hatte sich bereits ein leuchtendroter Fleck darauf gebildet.

„Was ich Euch nun sage, Mylady, solltet Ihr Euch gut merken, da es unerlässlich für Euer zukünftiges Wohl sein könnte. Ich habe lange auf meine Rache gewartet. Niemand wird mich daran hindern, und am wenigsten eine halsstarrige Frau.“

„Ihr seid ein gemeiner Lügner“, flüsterte sie.

„Vielleicht. Man hat mir schon Schlimmeres nachgesagt“, antwortete Lucien. „Passt auf, dass Ihr mich nicht zu sehr reizt. Ich verspüre wenig Lust, Euch bestrafen zu müssen. Wenn Ihr wisst, wo Euer Platz ist, werden wir beide gut miteinander auskommen.“

Verächtlich sah sie ihn an. „Ihr seid noch niederträchtiger als Edgar. Wenn Ihr beabsichtigt, mich hierzubehalten, als eine ehrlose …“

„Seid beruhigt“, unterbrach er sie. „Ich habe nichts dergleichen im Sinn. Eure Ehre wird unangetastet bleiben, denn ich habe keine unziemlichen Absichten.“ Er grinste. „Es sei denn, Ihr wünscht es.“

Alayna war so wütend, dass ihr die Worte im Halse steckenblieben. Schließlich rief sie: „Ich werde Euch für diese Schmach bezahlen lassen. Ihr seid ein Lügner und Schurke, ein Wegelagerer der übelsten Sorte, ein nichtsnutziger …“

„Und Ihr seid nur eine Frau. Euch bleibt nichts anderes übrig, als Euch in Euer Schicksal zu fügen. Warum seid Ihr nicht etwas dankbarer? Immerhin habe ich Euch versichert, dass ich Euch nicht schaden will. Fasst Mut, meine feurige Raubkatze. Ich verspreche Euch, ich werde mich um Eure Belange kümmern, wenn meine Angelegenheiten mit dem König erst einmal geregelt sind. Doch bis dahin seid Ihr eine zu wertvolle Figur in diesem Spiel, als dass ich Euch freigeben könnte.“

„Das werdet Ihr bereuen“, versprach sie finster.

Lucien lachte hämisch. Er konnte einfach nicht widerstehen, sie noch ein wenig mehr zu reizen. „Ich finde es bedauerlich, dass Ihr Eure feindselige Stellung mir gegenüber nicht aufgeben wollt.“ Er trat einen Schritt näher auf sie zu, dann berührte er mit der unverletzten Hand eine der widerspenstigen Locken, die sich an ihrer Schläfe kringelten. Ihr Haar glänzte kastanienbraun und fühlte sich an wie Seide. Langsam ließ er die Strähne durch seine Finger gleiten.

Gelähmt wie ein Kaninchen, das sich einer Schlange gegenübersieht, vermochte ihn Alayna nur anzustarren. Seine Hand, die mit ihrem Haar spielte, berührte beinahe ihre Wange. Eigentlich hatte er sie mit dieser Geste nur ärgern wollen, doch auf einmal schien die Luft zwischen ihnen Funken zu sprühen. Auch sie fühlte es – er konnte es deutlich an ihrer erstaunten Miene erkennen. „Für uns beide wäre es von Vorteil, Freundschaft zu schließen. Ich glaube, es wäre wesentlich angenehmer als diese kleinen Streitereien.“

Ihre grünen Augen schienen von innen heraus zu funkeln wie ein seltener Diamant. Wie eine Tigerin, dachte er. Alayna schlug seine Hand weg. „Ihr müsst verrückt sein!“, fuhr sie ihn an.

Lucien lachte herzlich. Es war ein ehrliches Lachen, das sie und sogar ihn überraschte, denn er war ein Mann, der diese Gefühlsregung nicht oft zeigte.

Offenbar bemüht, etwas Abstand zwischen ihnen zu schaffen, trat sie einen Schritt zurück „Dazu wird es niemals kommen, da Ihr die Feindschaft zwischen uns selbst zu verantworten habt. Was das betrifft, werde ich Euch voll und ganz unterstützen. Keine Angst, ich werde mich bemühen, eine würdige Gegnerin zu sein.“

Mit diesen Worten wirbelte Alayna herum und zeigte ihm ihren Rücken mit der stummen Aufforderung zu gehen. Lucien konnte nicht anders, als seinen Blick über ihre wohlgerundeten Hüften gleiten zu lassen.

„Mylady, ich fürchte, Euer Versprechen bereitet mir keine Sorgen, auch wenn dies Eure Absicht war. Welchen Schaden könntet Ihr schon anrichten?“ Er dachte kurz nach. „Dennoch hat schon so manche rachsüchtige Frau einem Mann Schwierigkeiten bereitet, wenn sie ihm Übles wollte.“

„Und ich kenne die selbstherrliche Zerstörungswut der Männer nur allzu gut!“, zischte sie ihm über die Schulter zu.

Er lächelte gequält. „Mit Euren törichten Drohungen und Eurer Schmollerei beweist Ihr nur, dass Ihr eine gewöhnliche Vertreterin Eures Geschlechts seid. Nun denn, Demoiselle, gebt Euer Bestes. Ich kann es kaum erwarten, Eure Herausforderung anzunehmen. Doch um fair zu bleiben, will auch ich Euch warnen. Falls Ihr mich reizt, werde ich nicht zögern, Euch zu bestrafen.“

Alayna wandte sich um und sah ihm geradewegs in die Augen. Er kam ihrer zornigen Erwiderung jedoch zuvor. „Solange Ihr Euch angemessen zu benehmen wisst, werde ich Euch nicht im Wege stehen. Ihr habt nichts von mir zu befürchten. Obgleich Eure Schönheit selbst einen Heiligen in Versuchung führen könnte, weiß ich sehr wohl, dass hinter einem hübschen Gesicht oft ein niederträchtiges Gemüt verborgen liegt. Schönheit, meine verehrte Dame, ist nichts weiter als eine Lüge, die einen Mann seiner Sinne berauben und ihn schwächen soll. Ihr werdet diese Macht nicht über mich haben.“

Sie starrten einander reglos an, und Alayna hielt seinem Blick tapfer stand. Sie hob sogar trotzig das Kinn, was er nicht ohne Bewunderung bemerkte.

Sicher, sie war eine Verlockung. Aber Lucien war nicht von den Toten zurückgekehrt, um mit einem schönen Mädchen zu tändeln. Schließlich nickte er ihr stumm zu, drehte sich um und verließ die Kammer. Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter ihm zu.

Alayna blieb allein zurück, während ihr vor unterdrückter Wut der Atem stockte. Dieser Lucien de Montregnier war ein unverschämter Aufschneider, viel zu selbstsicher und arrogant.

Nun gut, für den Augenblick hatte er gewonnen, doch dies war nicht mehr zu ändern. Aufgebracht schritt Alayna im Schlafgemach hin und her.

Immer wieder sah sie zu dem blutigen Bettlaken hinüber. Natürlich würde sie niemandem von de Montregniers Täuschung erzählen, wer würde ihr schon glauben? Nur er und sie selbst hatten den Beweis ihrer Jungfräulichkeit gesehen. Ärgerlich riss sie die Decken vom Bett und warf sie auf den Boden. Am liebsten hätte sie das Laken verbrannt, doch das hätte nichts genutzt.

Zumindest hatte er versprochen, sie nicht anzurühren, außer sie wünschte es. Dieser Schurke, dachte Alayna. Glaubte er wirklich, sie sei nur ein dummes kleines Mädchen, das auf jeden gutaussehenden Mann hereinfiel? Hatte er sich etwa vorgestellt, dass sie bei seinem Angebot willig in seine Arme sinken würde? Pah, dann hatte er sich geirrt. Er war nichts weiter als ein selbstverliebter, eingebildeter Ochse, und sie würde schon einen Weg finden, es ihm heimzuzahlen.

Da sie vor Zorn nicht auf ihre Umgebung achtete, wäre sie beinahe über eine der großen lederbezogenen Holztruhen gestolpert, die in beinahe allen Gemächern standen. Und all diese Reichtümer gehörten nun de Montregnier. Das Schloss mit seinen wertvollen Gütern, die Ländereien – er hatte sich wahrlich eine reiche Beute gesichert. Alles schien nun in seinem Besitz zu sein, und das galt leider auch für sie selbst.

Wie sie diesen hochmütigen, unverschämten Mann doch verachtete!

Fast wäre sie wieder gestolpert, diesmal über eine reich bestickte Tunika, die noch auf dem Boden lag. Sie hatte Edgar gehört. Plötzlich kam ihr die letzte Nacht in diesem Gemach wieder in den Sinn, als er das Kleidungsstück hastig über den Kopf gezogen und achtlos beiseite geworfen hatte. Er war allzu begierig gewesen, seine Lust an ihr zu stillen. Die Erinnerung jagte ihr einen kalten Schauder über den Rücken. Er war bereits an seiner Hose angelangt, als seine Trunkenheit ihren Tribut gefordert hatte und er in tiefen Schlaf gesunken war.

Ihr fiel ein, dass auch die Tunika jetzt de Montregnier gehörte. Edgars Leidenschaft für prunkvolle Kleidung hatte Unsummen gekostet. Alayna lächelte, als sie sich den finsteren Krieger in den geckenhaft verzierten Gewändern ihres verstorbenen Gemahls vorstellte. Sie bezweifelte, dass er sich darin wohl fühlen würde. Alayna lächelte voller Schadenfreude.

Natürlich konnte er die Kleidungsstücke immer noch verkaufen und einen beachtlichen Betrag dafür erzielen. Zweifellos würde sich de Montregnier als ebenso habgierig wie sein Vorgänger Edgar erweisen. Das arme Volk dieser Grafschaft würde unter seinem neuen Lord weiterhin hungern müssen, wie es auch unter dem letzten hatte leiden müssen.

Plötzlich kam ihr eine Idee. Eine schrecklich gewagte, doch wundervolle und aufregende Idee. Dieses Wagnis konnte sie unmöglich eingehen!

Oder doch? Mit einem Mal verflog ihre Furcht, und sie wusste, dass sie ihren Gedanken in die Tat umsetzen würde.

Alayna öffnete eine der Truhen und prüfte eilig einige von Edgars Gewändern, die säuberlich darin gestapelt waren. O ja, ihr Plan war hervorragend!

De Montregnier wollte also alles besitzen, was zu Gastonbury gehörte? Nun, sie würde ihn zumindest um diese wertvolle Kleidung betrügen.

4. KAPITEL

Alayna dachte noch immer über ihre Pläne nach, als sie Stunden später das Krankenlager aufsuchte. Die Truhen mit Edgars Gewändern befanden sich inzwischen in ihrer eigenen Kammer. Doch ihre gute Stimmung sollte nicht lange andauern.

Viele Männer erlagen nach und nach den schweren Verletzungen, die sie im Kampf davongetragen hatten. Der Tod schien über diesem Ort zu schweben, der nach Blut und brandigen Wunden stank. Alayna ging von einer Bettstatt zur nächsten und betrachtete mit Grauen die Sterbenden.

Eurice trat zu ihr und sah sie besorgt an. „Du siehst krank aus, Alayna.“

Alayna seufzte. „Ich bin nicht krank. Es ist nur, dass ich zuerst von Edgar erpresst wurde, und nun, da er tot ist, macht mir de Montregnier das Leben noch schwerer. Dennoch ist meine missliche Lage nichts im Vergleich zu all dem Leid, das hier zu sehen ist.“

Eurice blickte auf die Verwundeten nieder, die mit schmerzverzerrten Gesichtern auf ihren Lagerstätten lagen. „Männer führen Krieg, Alayna, so ist es nun einmal. Sie haben dem Baron von Gastonbury den Treueeid geleistet, wie schon ihre Väter Edgars Vorfahren die Treue geschworen haben. Es gab gute und schlechte Lords in all den Jahren.“

„Edgar war ein skrupelloser, böser Mann.“ Alayna schauderte. „Und ich fürchte, dass sein Nachfolger nicht viel besser sein wird.“

Eurice hob zweifelnd eine Augenbraue. „So schlimm erscheint er mir nicht. Alle sprechen über ihn, und die meisten sind ihm nicht abgeneigt. Es besteht Hoffnung, dass er sich seines neuen Amtes würdig erweisen wird. Immerhin gab er jedem eine faire Chance, freiwillig in seine Dienste zu treten. Das hätte er nicht tun müssen.“

„Diese Rede bestand nur aus schönen Worten, um sich bei den Leuten einzuschmeicheln. De Montregnier weiß, dass er die Unterstützung seiner Vasallen braucht, damit der König seinen Anspruch auf die Baronie anerkennt. Wenn die Bewohner von Gastonbury auf der Seite ihres Eroberers stehen, wird der König keine Einwände haben. Schließlich will er den Frieden sichern und seinen eigenen Thron nicht in Gefahr bringen. Doch sag mir, hat jemand de Montregniers huldvolles Angebot abgelehnt?“

Eurice schüttelte den Kopf. „Niemand, so viel ich weiß.“

„Natürlich, wer würde das schon? Diese armen Leute würden selbst dem Teufel folgen, nach allem, was Edgar ihnen angetan hat.“

Bei der Erwähnung des Antichristen machte Eurice ein hastiges Kreuzzeichen. Alayna lächelte insgeheim über den Aberglauben der Amme.

„Eurice, ich fand einige Truhen in Edgars Gemächern. Sie enthalten die feinsten Gewänder, die du dir nur vorstellen kannst. Da Verschwendungssucht bekanntlich eine Sünde ist, kam mir die Armut der Dorfbewohner in den Sinn.“

„Diese Unglücklichen“, stimmte Eurice zu. „Aber was haben sie mit Edgars Kleidung zu tun?“

„Er plünderte seine Leibeigenen gewissenlos aus, um seine Keller mit erlesenen Speisen und Wein zu füllen, das Schloss mit Reichtümern auszustatten und sich in diese prachtvollen Gewänder zu kleiden. Wir müssen die Menschen dafür entschädigen. Wenn wir ihnen diese wertvolle Kleidung als Wiedergutmachung schenken, würde wenigstens meine sinnlose Verbindung mit Edgar einen Sinn bekommen.“

„Nein! Es wäre Diebstahl, diese Sachen zu nehmen“, widersprach Eurice. „Sie gehören nun dem neuen Lord. Er könnte dich dafür hängen lassen.“

Alayna lächelte, als sie sich de Montregniers Zorn vorstellte, falls er ihren Betrug jemals aufdecken würde. „Er würde mich nicht töten, auch wenn ich ihn damit bis aufs Äußerste reizen würde.“

„Sei bitte vernünftig, Kind“, fuhr Eurice kopfschüttelnd fort. „Du warst schon immer ein eigensinniges Mädchen, doch jetzt musst du Geduld und Demut lernen …“

„Er wird mich nicht gehen lassen, Eurice, daran besteht kein Zweifel. Er hält auch mich für einen Teil seiner Beute, da ich seiner Meinung nach Edgar gehört habe. Wie er mir sagte, wird er mich so lange hier festhalten, bis ich ihm nicht mehr von Nutzen sein kann. Wer weiß, wie lange das dauert? Auch wenn ich mich seinem Willen beugen muss, werde ich wenigstens dafür sorgen, dass er es gründlich bereut.“

Eurice starrte Alayna fassungslos an, bis langsam ein verstehender Ausdruck in ihre Augen trat. „Dein Plan, Edgars Truhen zu stehlen, dient doch nur dazu, de Montregnier zu schaden! Hör dich doch an! Mit diesem kindischen Vorhaben willst du dich an ihm rächen.“

„Dennoch werde ich es tun“, beharrte Alayna mit entschlossener Stimme.

Ein schwaches Stöhnen lenkte die beiden Frauen von ihrem Gespräch ab. Alayna sah, dass es von einem der Verwundeten gekommen war, und eilte an sein Lager.

Sie erkannte einen Krieger wieder, der am Vortag hereingetragen worden war. Der Mann war eigentlich zu alt zum Kämpfen, doch sein machthungriger Herr hatte ihn offensichtlich nicht geschont. Alayna hatte gehofft, dass er trotz seines erheblichen Blutverlustes überleben würde, doch nun war er dem Tode nahe. Sein aschfahles Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung, als er zu sprechen begann. „Ein Priester“, bat der Mann mit zittriger Stimme.

Alayna begriff, dass er um die Sterbesakramente bat, die ihm seinen Platz im Himmelreich sichern sollten. „Eurice, er verlangt die letzte Ölung!“, keuchte sie. „Er will einen Priester. Schnell, hole einen herbei!“

„Es gibt hier keinen Geistlichen“, flüsterte Eurice. Alayna starrte sie nur ungläubig an.

„Willst du damit sagen, wir haben keinen einzigen Priester im Schloss? Hier liegen sterbende Männer, die nichts mehr verdienen, als die Absolution für ihre Sünden zu erhalten.“

„Der Bischof befahl seinen Priestern, sich in das Kloster zu begeben. Lord Lucien hatte keine andere Wahl, als sie gehen zu lassen.“

„Dann hole mir einen Mönch.“

„Alayna, es gibt keinen!“

„Dieser Mann stirbt“, sagte Alayna verzweifelt. „Jemand muss in seiner letzten Stunde bei ihm sein.“ Als sie auf den Verwundeten niederblickte, war er kaum noch bei Bewusstsein und bat schwach um Vergebung. Sie konnte sein Elend nicht mehr ertragen. Schnell schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel, damit Gott ihr die Blasphemie verzieh, mit der sie nun ihre Seele belasten musste. Mit leiser Stimme murmelte sie einige lateinischen Gebete, die sie aus der täglichen Messe kannte.

Eurice, die mit entsetzter Miene dem Sakrileg zusah, das sich vor ihren Augen abspielte, protestierte mit keinem Wort.

Offenbar überzeugten Alaynas Worte den Mann davon, dass seine Bitte erfüllt worden war. Er ergriff ihre Hand und zerquetschte sie beinahe in seiner großen Pranke, so fest packte er ihre zarten Finger. Doch Alayna ließ nicht los, obgleich der Schmerz immer stärker wurde. Schließlich wurde sein Griff jedoch schwächer, und seine Gesichtszüge entspannten sich, als er endlich Frieden fand.

Alayna saß stumm am Lager dieses Menschen, den sie im Leben nicht gekannt, ihm in der Todesstunde aber Beistand geleistet hatte. Plötzlich fiel ein Schatten über das Bett. Als sie aufblickte, stand de Montregnier vor ihr. Zwei seiner Ritter begleiteten ihn, Will und ein junger Mann, dessen Name ihres Wissens nach Perry war.

Lucien hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und seine Miene war ebenso gleichgültig wie zuvor. Alayna verspürte eine plötzliche Wut, doch nicht nur über sein Verhalten. Wenn seine Gegenwart nur nicht immer solch heftige Gefühle in ihr auslösen würde!

„Seid Ihr etwa gekommen, um Euer niederträchtiges Werk zu begutachten, meine Herren Ritter?“, fragte sie.

„Alayna!“, keuchte Eurice entsetzt. Doch Lucien schien von ihren Worten ungerührt.

„Kanntet Ihr diesen Mann?“, fragte er ruhig.

„Dieser Mann hat auch einen Namen, obwohl ich ihn nicht kenne. Ich wurde ihm leider erst vorgestellt, nachdem er von einem Eurer Ritter tödlich verwundet worden war. Vielleicht habt sogar Ihr ihn umgebracht, Mylord, da Ihr an dem Gemetzel gewiss nicht unbeteiligt wart. Habt Ihr in Eurer blinden Gier nach Rache gegenüber Edgar auch an die treuen Vasallen gedacht, die nur ihren Lord und das Schloss verteidigen wollten? Gute Menschen, deren einziger Fehler es war, Eurem Feind zu dienen.“

Lucien starrte sie finster an. „Ich bemühte mich, diese Verluste so gering wie möglich zu halten. Aus diesem Grund forderte ich Edgar zu einem Kampf Mann gegen Mann heraus.“ Seine beiden Ritter blickten ihn überrascht an. Bisher hatte es ihr Lord noch niemals für nötig gehalten, jemandem die Gründe seines Handelns darzulegen.

„Aye, doch erst nachdem Ihr seine Leute abgeschlachtet hattet!“, klagte ihn Alayna an.

„Ihr habt eine scharfe Zunge und gebärdet Euch wie eine Furie“, sagte Lucien herablassend.

Alayna kniff die Augen zusammen. „Seid Ihr hierhergekommen, um Euren Triumph zu genießen, oder wolltet Ihr mich nur beleidigen? Nun ja, beides würde ein schlechtes Zeugnis über Euren Charakter ablegen.“

„Ich schulde Euch keine Rechenschaft und kann mich aufhalten, wo es mir beliebt. Das Schloss ist mein, und auch diese Kapelle gehört mir. Außerdem sind diese Männer nun meine Leibeigenen.“

„Das nennt Ihr eine Kapelle?“, spottete Alayna. „Ich dachte, Kapellen wären ein Ort des Glaubens. Doch dieser Ort ist voller verwundeter Menschen, die auf ihren notdürftigen Lagerstätten dahinsiechen. Wenn man diesen Raum betritt, schlägt einem statt Weihrauch und Kerzenduft der Geruch des Todes entgegen. Eine Kapelle, sagt Ihr! Nein, es ist ein Ort der Verzweiflung.“

„Was macht das schon für einen Unterschied?“ Luciens Augen schienen zu glühen. „Muss ich Euch immer wieder daran erinnern, wer hier der neue Lord ist?“

„Nun, Eure Taten mögen vielleicht beweisen, dass Ihr ein tapferer Krieger seid. Doch als unser Lord und Beschützer habt Ihr Euch bislang nur als ein Versager erwiesen. Euer schwacher Erfolg heute Morgen spricht nicht gerade für Euch.“

Lucien hob eine Braue und warf ihr einen ironischen Blick zu. „Am heutigen Tage ist bereits viel Erstaunliches geschehen, aber ich hätte nicht gedacht, dass sich eine Frau über meine Leistung beschweren würde.“

Alayna errötete tief, und Will sah aus, als würde er gleich in Gelächter ausbrechen. Doch Alaynas wütender Blick ernüchterte ihn sogleich wieder. Er lächelte ihr entschuldigend zu, woraufhin sie jedoch nur trotzig das Kinn hob.

Im Grunde wusste sie genau, dass sie de Montregnier mit Worten niemals schlagen konnte. Er hatte keine Skrupel, auch die unziemlichsten Dinge auszusprechen, nur um sie zu schockieren. Seufzend erwiderte sie: „Eure ungehobelten Bemerkungen sind nicht notwendig, Mylord. Ich wollte Euch nicht verärgern, obwohl mir das offensichtlich nur allzu leicht gelingt.“ Kopfschüttelnd betrachtete sie die Verwundeten auf ihren unbequemen Lagern. „Vielleicht waren meine Worte schlecht gewählt, doch es ist auch keine leichte Pflicht, die gefallenen Krieger zu pflegen. Es schmerzt in der Seele, sie so zu sehen – ebenso wie das Gefühl, seine kostbare Freiheit zu verlieren.“

Lucien beäugte sie misstrauisch. Offenbar wusste er nicht, ob ihr plötzlicher Sinneswandel nur gespielt war. Nach einer Weile nahm er ihre Entschuldigung offenbar an, da er sich ohne eine Erwiderung abwandte.

„Hört mich an, Männer“, sagte er so laut, dass jeder in dem überfüllten Raum ihn verstehen konnte. „Da ihr heute Morgen nicht im Burghof sein konntet, werde ich nun wiederholen, was ich zu den anderen sagte.“ Dann wiederholte er sein Angebot, ihnen Gnade zu gewähren, wenn sie ihm den Treueeid leisteten. Die Bedingungen waren die gleichen wie zuvor.

Niemand sprach auch nur ein Wort. Alayna empfand Schadenfreude. Sicher würden diese durch die grausame Fehde verbitterten Männer, die unter schmerzhaften Verwundungen litten und den Tod ihrer Kameraden mit ansehen mussten, ablehnen. Und endlich würde sie de Montregniers Niederlage sehen!

Dann ertönte plötzlich allgemeines Gemurmel, als sich Lord Hubert, einer von Gastonburys Kastellanen, erhob. Alayna hielt ihn für einen guten und ehrbaren Mann. Seine Gemahlin, die Lady Mellyssand, stand an seiner Seite. Als Alayna nach Gastonbury gekommen war, hatte allein Mellyssand ihr die Freundschaft angeboten und ihr tröstend beigestanden, nachdem man sie zur Vermählung mit Edgar gezwungen hatte. In Abwesenheit von Alaynas Mutter hatte Mellyssand die junge Frau vorbereitet auf das, was sie in der Hochzeitsnacht erwartete. Zudem vermutete Alayna, dass sie Edgars Unfähigkeit, die Ehe zu vollziehen, hauptsächlich Hubert zu verdanken hatte. Während des Festmahles hatte der freundliche Mann wieder und wieder seinem frisch vermählten Lord zugeprostet und ihn zum Trinken verleitet.

Humpelnd ging Hubert auf de Montregnier zu, bis er vor ihm stand. Alle schwiegen, als er seine Stimme erhob. „Aye, ich werde Euch als meinen rechtmäßigen Lord anerkennen. Und falls der König Euren Anspruch anzweifeln sollte, werde ich meinen Männern befehlen, Euch im Kampfe um Euer Anrecht mit all ihren Kräften zu unterstützen.“

Einen Augenblick lang schwieg de Montregnier, da er überrascht schien. Dann ergriff er den Unterarm des älteren Mannes, eine Geste, die Hubert ihm gleichtat. Krieger besiegelten damit gewöhnlich, dass sie Waffenbrüder waren und sich die Treue schworen.

„Ich kannte Euren Vater Raoul“, sagte Hubert. „Er war ein guter Freund meines eigenen Vaters. Ein ehrbarer Mann war er, der von allen bewundert wurde. Euer Name war mir von Anfang an bekannt vorgekommen, aber ich marterte während der letzten Stunden vergeblich mein Hirn, wo ich Euer Gesicht unterbringen sollte. Doch jetzt erinnere ich mich wieder. Ihr wart damals noch ein Junge, der bereits beachtliches Geschick im Umgang mit dem Schwert zeigte. Ich weiß noch, wie stolz Euer Vater auf Euch war.“

Lucien nickte nur stumm. Hubert trat beiseite und rief den anderen zu, sie sollten vorkommen.

Nachdem ihm alle die Treue geschworen hatten, gesellte sich Lucien wieder zu Alayna. Herausfordernd blickte er sie an, als ob er wissen wollte, was sie über seinen Sieg dachte.

„Wie ich sehe, seid Ihr zufrieden mit Euch selbst. Euer Plan war schließlich erfolgreich“, sagte Alayna.

„Ja, ich bin zufrieden. Nun habe ich alles erreicht, was ich mir vorgenommen hatte.“

„Meine Mutter lehrte mich die Weisheiten der alten Griechen und Römer“, sagte Alayna ruhig. „Eine davon besagt, dass wir vorsichtig mit dem sein sollen, was wir uns wünschen. Es könnte in Erfüllung gehen.“

Er nickte, als wollte er ihr zustimmen, doch Alayna war nicht sicher, ob er die wahre Bedeutung ihrer Worte verstanden hatte.

5. KAPITEL

Alayna hätte niemals vermutet, dass der neue Lord von Gastonbury am Abend seines großen Sieges alles andere als Triumph empfand.

Auf dem Weg in sein neues Herrenschlafgemach fragte sich Lucien, warum er in dieser seltsamen Stimmung war. Seine Müdigkeit nach diesem langen Tag war verständlich. In den letzten beiden Wochen vor der Belagerung hatte er vor Anspannung ohnehin kaum geschlafen. Gestern und heute hatte der Kampf all seine Kräfte in Anspruch genommen. Sicher, es war nur natürlich, dass er erschöpft war. Doch nach diesem Tag, an dem sein größter Wunschtraum in Erfüllung gegangen war, sollte er eigentlich noch etwas anderes fühlen.

Unruhig fuhr er sich mit der Hand durch sein zerzaustes Haar. Er sollte glücklich sein! Schließlich hatte er sich endlich an seinem Todfeind gerächt. Dennoch gab es in seinem Inneren noch immer diese dunkle Leere, die wie ein dumpfer Schmerz in seiner Seele brannte.

Immerhin waren da noch diese närrischen Streitereien mit der jungen Witwe. Sie war ein halsstarriges Biest und erinnerte ihn an seine Mutter. Gewiss, außer ihrer scharfen Zunge hatte sie mit ihr nicht viel gemeinsam. Und sie benutzte niemals grausame und verletzende Worte, wie es seine Mutter getan hatte. Sicher, sie war wütend auf ihn, und er konnte es ihr nicht einmal verdenken. Wenn er etwas verstand, dann war es Bitterkeit und das Verlangen nach Freiheit. Schließlich hatte er elf Jahre lang als Sklave gelebt. Doch er weigerte sich, seine wachsende Zuneigung für die schöne Alayna zu einem Hindernis für seinen hart erkämpften Sieg werden zu lassen. Sie war nur eine weitere Figur in diesem Spiel um Macht, die ihm vielleicht noch von Nutzen sein konnte. Sie gehörte nun ihm.

Plötzlich kam ihm ihr liebliches Gesicht in den Sinn. Wie verächtlich sie ihn angesehen hatte, während ihr kastanienbraunes Haar wild und ungezähmt über ihre Schultern fiel. Edgars jungfräuliche Witwe ging ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Obgleich er gewöhnlich eine Abneigung gegen widerspenstige, starrsinnige Frauen verspürte, beeindruckte ihn ihre Lebendigkeit, ihre leidenschaftliche Art. Nun wusste er, was ihn heute Abend bedrückte. Es waren seine unerwarteten Gefühle für diese Frau. So etwas hatte er noch niemals zuvor empfunden.

Lucien runzelte die Stirn. Als er an einer Dienstmagd vorüberging, sank sie in einen tiefen Knicks und lächelte schüchtern, doch angesichts seiner finsteren Miene wich die Frau verängstigt zurück.

Er war kein Mann, der für schöne Damen den Narren spielte. Nicht dass er es jemals nötig gehabt hätte. Trotz seines niederen Standes als Sklave hatte es ihm im Nordland nie an Frauen gemangelt, die in den langen kalten Winternächten sein Bett wärmten.

Während seiner Sklavenschaft unter einem der mächtigsten Kriegsherren des Nordlandes hatte ihm sein Geschick im Schwertkampf einen beachtlichen Vorteil verschafft. Bald hatte er zu den angesehensten Kriegern seines Lords gezählt. Nachdem Lucien anfangs zum Dienst als Fußsoldat gezwungen worden war, hatte ihn der alte Hendron im Laufe der Zeit als so wertvoll erachtet, dass er niemals ohne seinen englischen Sklaven und besten Krieger in die Schlacht gezogen wäre.

Bald hatten die Frauen in Hendrons Anwesen Gefallen an dem Engländer gefunden. Ob es wegen der Gunst seines Herrn oder seiner zurückhaltenden, ruhigen Art gewesen war, wusste er nicht. Er hatte selten einen Gedanken an eine der vielen Schönheiten verschwendet, die sein Bett aufgesucht hatten. Für ihn waren sie nur während der kurzen Zeit von Bedeutung gewesen, in der sie ihm sinnliche Freuden bereitet hatten.

Nichts und niemand außer seinem geheimen Traum von Rache hatte Lucien etwas bedeutet. Niemand außer Agravar, seinem einzigen Freund, hatte jemals den Schutzwall durchbrochen, den er um sein Herz errichtet hatte. Und am allerwenigsten eine Frau.

Seine Kameraden hatten ihn stets um seine Kampfeskunst und seine Beliebtheit bei den Frauen beneidet, dennoch hatte er sich immer von den anderen ferngehalten, eingeschlossen in seinen sorgfältig aufgebauten Elfenbeinturm. Sie hatten ihn ohnehin nie als ihresgleichen betrachtet. Der alte Hendron hatte seinem Sklaven zwar zahlreiche Freiheiten gewährt, um ihn für seine Kriegszüge bei Laune zu halten. Dennoch hatte er Lucien immer wieder grausam gedemütigt, damit er niemals seine niedere Herkunft vergaß.

Doch das gehörte nun der Vergangenheit an, obgleich er kaum glauben konnte, dass diese Jahre endgültig hinter ihm lagen. Sollte er sich nicht überglücklich fühlen, irgendeinen Funken Freude empfinden, der den nagenden Schmerz in seiner Seele ersetzte?

Vielleicht würde es ihm morgen früh bessergehen, nachdem er geruht und die widerspenstige Alayna aus seinen Gedanken verbannt hatte.

Lucien betrat Edgars Schlafgemach und schloss die Tür hinter sich. Erleichtert stellte er fest, dass ihn die Geister der Vergangenheit nicht länger plagten, die ihn während seiner Unterredung mit Alayna heimgesucht hatten. Er entdeckte das blutbefleckte Laken auf dem Boden und lächelte. Die Vorstellung, wie sie es wutentbrannt vom Bett geworfen hatte, amüsierte ihn. Das Mädchen besaß zweifellos Temperament.

Trotz allem empfand er erstaunlicherweise auch Scham über seinen Betrug, ein Gefühl, dass er nie erwartet hätte.

Seine Überlegungen fanden ein plötzliches Ende, da eine junge Dienstmagd die Kammer betrat. Sie trug ein mit Fleisch und Brot beladenes Tablett, das sie auf dem Tisch am Kamin abstellte. Lucien hatte befohlen, das Mahl in sein Gemach zu bringen, da er dem Trubel der Halle entfliehen wollte. Obwohl er seinen Söldnern verboten hatte, die üblichen Freuden nach einer Eroberung zu genießen, war er froh, dass Agravar und Will über die Soldaten wachten. Er wünschte nicht, dass sie seine neuen Schutzbefohlenen beleidigten oder gar ihre Frauen belästigten. Er selbst suchte nichts als Ruhe nach diesem harten Tag.

Lucien stellte fest, dass er völlig ausgehungert war. „Mädchen“, rief er, was die Dienstmagd erschrocken zusammenzucken ließ. „Bring mir etwas Wasser zum Waschen, und sieh zu, dass es warm genug ist.“

Nachdem sie den Raum verlassen hatte, verspeiste er heißhungrig seine Mahlzeit. Als man ihm das Wasser brachte, entkleidete er sich bis auf seine engen Unterhosen, um sich zu reinigen. Dann deutete er auf die schmutzige Kleidung, die er in der Schlacht getragen hatte. „Klopfe den Staub aus meiner Kleidung und hänge sie an die Luft. Im Augenblick ist zwar keine Zeit, sie zu waschen, doch ich will diesen Blutgestank keinen einzigen Tag mehr ertragen müssen.“

Angesichts seines unbekleideten Zustandes warf ihm die Dienerin einen verstohlenen Blick zu. Lucien war jedoch nicht zu müde, um ihre wohlgerundeten Hüften unter den groben Röcken zu bemerken. Vorhin hatte er sie für ein Mädchen gehalten, da ihr Gesicht gerötet gewesen war. Doch von Nahem war nicht zu übersehen, dass sie eine reife Frau mit voll entwickelten Reizen war.

Nach Beendigung seines Bades trocknete er sich ab und dachte, dass sie für seine Zwecke hübsch genug sei. Vielleicht würde die Gesellschaft einer Frau seine innere Unruhe vertreiben. Dennoch, diese grünen Augen, die ihn so stolz angeblickt hatten, gingen ihm einfach nicht mehr aus dem Sinn …

„Wie heißt du?“, fragte er.

„Glenna“, antwortete die Dienstmagd leise. Irgendetwas an ihr machte Lucien misstrauisch, dass ihre jungfräuliche Schüchternheit nur gespielt sein könnte.

„Warum wurdest ausgerechnet du ausgewählt, um heute Abend meine Kammer aufzusuchen?“, wollte er wissen. „Hattest du keine Angst wie die anderen?“

„Woher wisst Ihr, dass die anderen Angst hatten?“, entgegnete sie errötend.

Lucien lächelte bitter. Frauen waren so leicht zu durchschauen. Diese hier hatte sich wahrscheinlich freiwillig dazu bereit erklärt, wahrscheinlich in der Hoffnung, seine Gunst zu gewinnen. Die Aussicht, die Buhle des neuen Lords zu werden, versprach ein angenehmes Leben und ein gewisses Ansehen unter den Schlossbewohnern. Offensichtlich spielte sie ihm die Schüchterne vor, damit er an ihr Gefallen fand.

Als ob sie seine Gedanken erahnte, beendete sie plötzlich ihr Schauspiel und begegnete seinem Blick mit einer etwas zu dreisten Offenheit. Lucien bemerkte, wie ihre Augen sich vor Verlangen verdunkelten, als sie schamlos seinen Körper begutachtete. Auch wenn die Frau nicht unansehnlich war, verglich er sie doch insgeheim mit einer grazileren Gestalt, die mehr seinem Geschmack entsprach. Entschlossen verdrängte er Alaynas Bild, das sich schon wieder in seine Gedanken geschlichen hatte. „Hast du dem früheren Lord gedient?“

Sie verstand nur zu gut, was er wissen wollte. „Aye“, antwortete sie.

„Du weißt, was ich verlange?“

Glenna nickte. Lucien sah die Vorfreude in ihren Augen, als sie sich eng an ihn schmiegte und die Arme um seinen Nacken legte.

„Ich weiß es, Mylord, und ich werde Euch nicht enttäuschen.“

Lucien stand reglos da und ließ zu, dass sie seine Lippen mit ihren berührte. Im gleichen Augenblick wurde ihm bewusst, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er wollte diese Frau nicht. Er verspürte nicht das geringste Verlangen nach ihrem üppigen Körper, den sie ihm so willig anbot. Er hatte seine Begierde für eine bestimmte Frau mit einer anderen befriedigen wollen, doch sie würde ihm nicht den Seelenfrieden verschaffen, den er sich wünschte.

Eilig ergriff er ihre fleischigen Arme und löste sie von seinem Nacken.

Glenna nahm an, dass er schnell zur Sache kommen wollte, und löste hastig die Bänder ihres Kleides.

„Nein“, sagte Lucien schroff. „Heute Nacht bin ich viel zu müde für Tändeleien. Lass mich allein.“

Sie wirkte erstaunt, lächelte dann jedoch verständnisvoll. „Wenn Ihr befürchtet, dass Ihr zu erschöpft seid, lasst mich Euch helfen. Ich werde …“

Lucien packte ihre ausgestreckten Arme an den Handgelenken und verhinderte, dass sie ihn berührte. „Du verstehst nicht, was ich sagte. Ich wünsche nur, dass du gehst.“

„Aber Ihr …“

„Es war nur ein flüchtiger Gedanke, der mich zu voreilig handeln ließ.“

Die unverhüllte Wut in ihren dunklen Augen überraschte ihn. „Vielleicht werdet Ihr mich in einer anderen Nacht zu Euch rufen, wenn Ihr ausgeruht seid. Ich werde Euch freudig zu Diensten sein – und dafür sorgen, dass keiner Eurer Wünsche offenbleibt.“

„Daran besteht kein Zweifel“, murmelte Lucien und drehte ihr den Rücken zu.

„Zögert nicht, mich jederzeit rufen zu lassen, wenn es Euch nach irgendetwas anderem verlangen sollte.“

Allmählich fühlte sich Lucien angewidert von ihr. „Geh“, sagte er barsch, ohne sie auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen.

Nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, seufzte er erleichtert auf. Irgendetwas störte ihn an diesem Mädchen. Bisher hatte er solch offen angebotene Reize nur selten abgelehnt, doch heute Abend war er in einer seltsamen Stimmung. Lucien schnaufte verächtlich. Vielleicht hatte ihm während des Kampfes auch nur jemand auf den Kopf geschlagen, und sein Verstand hatte dabei Schaden genommen.

Doch es war keine Verletzung gewesen, die ihn dazu getrieben hatte, die willige Dienstmagd zurückzuweisen. Als er sich auf dem Bett ausstreckte und langsam in tiefen Schlaf sank, wusste er auf einmal, dass ihn diese verdammte Zauberin Alayna mit einem Fluch belegt haben musste.

Keine Sorge, dachte er, keine Frau wird es jemals schaffen, mich für längere Zeit von meinen Pflichten abzulenken. Dazu besaß er zu viel Disziplin.

Als Lucien erwachte, war er sofort in Alarmbereitschaft. Im ersten Moment wusste er nur, dass er sich an einem fremden Ort befand. Während jedoch die Erinnerung zurückkam, sank er wieder seufzend auf die weichen Bettfelle zurück.

Sein Schlaf war tief und traumlos gewesen, und seine Stimmung hatte sich dadurch nicht gebessert.

Langsam erhob er sich von seiner Schlafstätte und verzog das Gesicht, als seine Füße den kalten Steinfußboden berührten. Die Kälte des harten Winters schnitt eisig in seine Haut, und er konnte sehen, wie sein Atem weiß in der Morgenluft verdampfte. Bevor er seine dicke Wolltunika überstreifte, ging er hinüber zum Kamin und schürte das heruntergebrannte Feuer. Stirnrunzelnd betrachtete er die Löcher in dem abgetragenen Stoff seiner Tunika. Er konnte sich nun bessere Kleidung leisten. Wenn er die Zeit dazu fand, würde er sich darum kümmern.

Ein Geräusch an der Tür ließ ihn herumfahren, wobei er unwillkürlich nach dem Schwert griff, das auf dem Tisch lag. Er hatte es aus seiner Scheide gezogen und kampfbereit erhoben, bevor der Eindringling über die Schwelle trat.

Es war Glenna. „Ich dachte, Ihr könntet heute Morgen meine Dienste gebrauchen“, sagte sie, offensichtlich unbeeindruckt von seiner Waffe. „Wünscht Ihr, dass ich Euch etwas zu essen bringen lasse, oder soll ich Euch beim Ankleiden behilflich sein?“

Lucien ließ die Klinge sinken. „Wenn ich irgendetwas benötige, werde ich selbst die entsprechenden Befehle erteilen. Geh in die Küche und frage, ob sie dich dort gebrauchen können.“

Glenna lächelte und überhörte seine Anweisung geflissentlich. „Kann ich Euch nicht auch hier von Nutzen sein?“ Ihre Hand berührte federleicht seine Brust.

Lucien ergriff ihre Hand und stieß sie zurück. „Lass dich nicht mehr in meiner Kammer blicken.“

Sie zögerte, unsicher, ob sie ihm gehorchen sollte. Einen Augenblick lang war er beinahe blind vor Wut. Auch Alayna hatte ihm widersprochen, doch niemals in so unverschämter Weise wie diese Dienstmagd. Sie reizte ihn unerträglich.

Glücklicherweise war Glenna klug genug, das Gemach eilig zu verlassen, bevor er die Beherrschung verlor. Lucien hatte noch niemals die Hand gegen eine Frau erhoben, und er wollte seine Herrschaft in Gastonbury nicht beginnen, indem er seinen Grundsatz brach.

Lucien legte seine Waffen säuberlich nebeneinander auf den Tisch, damit sie gereinigt wurden, dann kleidete er sich fertig an. Ein Geräusch ließ ihn erneut herumfahren, doch dieses Mal stand nur Agravar auf der Türschwelle.

„Aha, wie ich sehe, hast du mit dem Faulenzen aufgehört und bist endlich aufgestanden“, neckte ihn Agravar grinsend. „Hat deine Langschläferei vielleicht etwas mit diesem hübschen Mädchen zu tun, das ich gerade hier herausschleichen sah?“

„Die Sonne geht eben erst auf“, grollte Lucien, „und nein, diese hohlköpfige Dienstmagd hat nicht die Nacht mit mir verbracht. Du solltest mich besser kennen.“

„Das dachte ich jedenfalls“, entgegnete der Wikinger geheimnisvoll. Dann sah er sich im Gemach um und musterte anerkennend die vornehme Ausstattung. „Augenscheinlich hast du keine Zeit verloren, dein raues Soldatenleben gegen die Vorteile auszutauschen, die der Lord eines Schlosses genießt.“

Lucien folgte dem Blick seines Freundes. Die Möbel waren reich verziert und füllten beinahe den ganzen Raum aus, was eigentlich nicht seinem spartanischen Geschmack entsprach. Plötzlich fiel ihm auf, dass sich irgendetwas verändert hatte. Er bemerkte es erst jetzt, da er den Raum im gleichen hellen Licht wie am Morgen des Vortages sah. Als ob etwas fehlte … Mit einem Schulterzucken verbannte er den Gedanken. Dann wandte er sich Agravar zu.

„Ich werde das meiste von diesem verschwenderischen Tand entfernen lassen, es erinnert mich zu sehr an seinen früheren Bewohner.“

Agravar wurde ernst. „Ich hoffe, es hat dich nicht zu sehr gestört, an diesem Ort zu schlafen. Schließlich weiß ich, wie sehr dich diese Erinnerungen quälen.“

Wieder zuckte Lucien die Schultern. „Es ist mir nicht besonders schwergefallen.“

Agravar lachte. „Nichts ist so gut wie die Zuwendung einer Frau, um eine ruhelose Nacht erträglicher zu machen. Eine willige Maid kann einen Mann leicht dazu bringen, seine Sorgen zu vergessen.“

Lucien schüttelte heftig den Kopf. „Ich hatte dieses verdammte Mädchen aber nicht!“

Wieder lachte Agravar. „Ich glaube dir. Wie ich dich kenne, wäre eine andere eher nach deinem Geschmack.“ Er ging zum Fenster und öffnete die Läden, um einen Blick hinunter in den Burghof zu werfen. Die meisten Dienstboten gingen bereits ihrem Tagewerk nach und eilten sich, ihren zahlreichen Pflichten nachzukommen. „Ich frage mich, wie sich die junge Witwe in dieser Nacht gefühlt haben mag.“

„Wahrscheinlich hat sie den Verlust von Edgars Reichtümern beklagt“, sagte Lucien mit finsterer Miene. „Hast du Neuigkeiten für mich?“

„Aye. Ich habe die Späher in die Gebiete geschickt, die du mir genannt hast. Die Bauern werden schon bald auf ihre Lehen zurückkehren.“

„Hast du den Seneschall angewiesen, die Haushaltsbücher für mich vorzubereiten?“

Agravar nickte.

„Gut. Ich wünsche, dass alle Einrichtungsgegenstände und Vorräte des Schlosses für mich aufgelistet werden, ebenso wie die des Dorfes. Außerdem werde ich meinen neuen Vasallen regelmäßig Gelegenheit dazu geben, mir ihre Anliegen vorzubringen. Ich möchte die Rechtsprechung schnell wieder einführen, damit niemand seine Vorteile aus der allgemeinen Verwirrung ziehen kann.“

„Leider kannst du solche Dinge nicht völlig verhindern“, sagte Agravar. Lucien wurde sich plötzlich bewusst, dass ihn der Nordmann prüfend beobachtete.

„Was ist?“, fuhr Lucien ihn an.

Der Wikinger blickte ihn nur erstaunt an.

„Irgendetwas bereitet dir Sorgen. Was ist es? Zwischen uns beiden hat es noch niemals Geheimnisse gegeben.“

Agravar zögerte kurz, bevor er sich seufzend auf einen der Stühle am Kamin setzte. Seine Hand spielte mit dem Knauf des Dolches, den Lucien am Vortag dazu benutzt hatte, das Bettlaken mit seinem eigenen Blut zu tränken.

„Du scheinst nicht glücklicher als vorher zu sein, Lucien. Heute ist nicht weniger Bitterkeit in deinem Herzen als an all den anderen Tagen, seit ich dich kenne.“

Lucien zuckte zusammen und warf Agravar einen wachsamen Blick zu. Doch sein Freund fuhr unbeirrt fort: „Alles verlief genau so, wie du es geplant hattest. Unsere Truppen stießen nur auf geringen Widerstand, und du selbst hast mit Edgar gekämpft. Du hast ehrenvoll gehandelt und alles gewonnen, was du dir gewünscht hast. Dennoch frage ich mich, ob die Sache bereits vollkommen ausgestanden ist.“

Lucien ließ sich auf einem Schemel vor dem Feuer nieder, bevor er eine seiner Waffen und den Schleifstein ergriff. Er ließ die Klinge über den Stein gleiten und verursachte ein kaltes, durchdringendes Geräusch. Die vertraute Beschäftigung machte ihn etwas ruhiger.

„Nein, wie ich sehe, sind deine Dämonen damit noch nicht vertrieben“, sagte Agravar. „Ebenso wenig wie meine, alter Freund.“

Lucien zuckte die Schultern, doch die Spannung in seiner Stimme strafte seine äußere Gleichgültigkeit Lügen. „Es ist noch nicht vorüber, da noch so vieles erledigt werden muss. Meine Mutter ist immer noch sicher und zufrieden in ihrem Kloster. Ist das nicht der größte Scherz, Agravar – dass ausgerechnet meine Mutter die letzten elf Jahre mit Nonnen verbracht hat?“ Doch seine Miene wirkte nicht im Geringsten amüsiert. „Ich muss mit dieser Frau abrechnen, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Vielleicht finde ich dann endlich meinen Seelenfrieden.“

„Frieden“, wiederholte Agravar nachdenklich. „Kann es so etwas für uns überhaupt geben? Oder sind wir schon so an Tod und Zerstörung gewöhnt, dass wir nun keine Ruhe finden können, da unser Ziel erreicht ist? Warum sind wir nicht einfach zufrieden damit?“

Lucien schüttelte den Kopf. „Vielleicht passt ein häusliches Leben einfach nicht zu uns, Agravar. Was sind das schon für Aussichten für mich – als ländlicher Baron, ohne den Kampf, der mein Blut zur Wallung bringt?“ Nachdenklich nickte er. „Aye, das ist es. Ich fürchte, ich komme nicht mit dem friedlichen Leben zurecht, das ich mir erstritten habe. Das hat mir die ganze Zeit über Sorgen bereitet.“

„Ich habe viel nachgedacht“, sagte Agravar. „Und ich glaube, die Zeit des Hasses ist vorüber.“

Lucien verzog nur das Gesicht. Dann betrachtete er schweigend die frisch geschärfte Klinge in seiner Hand. Nachdem er den Dolch abgelegt und sein Schwert ergriffen hatte, sagte er: „Wir mussten schon immer um unser Überleben kämpfen.“

Agravar dachte kurz nach. „Vielleicht müssen wir das immer noch. Aber ich bin es langsam leid, ständig in den Kampf zu ziehen. Ich denke, es wäre der richtige Zeitpunkt für mich, um die Tage des Krieges hinter mir zu lassen und ein ruhiges Leben zu führen. Vielleicht sollten wir die Breitschwerter als Wandschmuck in der großen Halle aufhängen und unseren Kindern und Enkeln einst von den Schlachten erzählen, die wir damit geführt haben.“

Lucien schnitt ein Gesicht, als er sich dieses Bild vorstellte. Er wandte sich wieder seinen Waffen zu. Dies war das einzige Leben, das er kannte.

„Ich bin der Bastard eines Wikingerkriegers, das Ergebnis der Schande meiner Mutter, seit ich zurückdenken kann“, fuhr Agravar fort. Es lag kein Gefühl in seiner Stimme, diese Geschichte hatte er seinem Waffengefährten schon oft erzählt. „Als ich zu den Ländereien meines Vaters reiste, wollte ich nur Freundschaft mit ihm schließen. Nun, du weißt so gut wie ich, wie die Sache ausging. Hendron war nichts weiter als ein niederträchtiger Schurke, der unschuldige Bauern überfiel und ausplünderte, wo immer es möglich war. Er war kein Vater, den ein Sohn bewundern konnte. Stattdessen fand ich dich, meinen Bruder im Geiste. Uns beide verbindet sehr viel. Wie du benutzte ich meine Wut, um ein guter Krieger zu werden. Doch inzwischen ist meine Bitterkeit geschwunden, ebenso wie mein Hass. Ich bin dieses ruhelosen Lebens müde und will nicht mehr kämpfen.“

„Du willst also tatsächlich ein friedlicher Landjunker werden, alter Freund?“, neckte ihn Lucien. „Meine Rache ist jedoch noch nicht vollendet. Ich werde meinen Frieden schon finden, wenn ich meine Angelegenheiten erst erledigt habe. Wenn Gastonbury erst durch Henrys Erlass mir gehört und meine Mutter zu meinen Füßen liegt und um Gnade winselt, werde ich endlich ruhig schlafen können.“

Lucien wischte den letzten Blutstropfen von seinem Schwert und steckte es in seine Scheide zurück. Danach wandte er sich wieder Agravar zu.

„Ohne dich wäre ich niemals so weit gekommen. Du hast deinen eigenen Vater für mich aufgegeben, und ich werde es nicht vergessen. Doch für mich ist die Zeit des friedlichen Lebens noch nicht da. Suche dein Glück woanders, wenn du willst.“

Agravar schüttelte den Kopf. „Ich werde bleiben.“

Lucien nickte stumm und verließ mit dem Wikinger zusammen die Kammer. Als sie die Halle betraten, sprachen sie taktvoll von anderen Dingen.

„Ich habe den Dienstboten in der Küche befohlen, dass sie für heute Abend ein Festmahl vorbereiten sollen. Nicht, um den Sieg zu feiern, sondern um mit meinen neuen Vasallen anzustoßen und mir ihre Loyalität zu sichern.“

„Es ist nicht mehr viel Zeit bis heute Abend“, warf Agravar ein.

„Ich wünsche es so, bevor all die Gäste, die zu Edgars Hochzeit angereist sind, das Schloss wieder verlassen. Vielleicht kann uns ein Festmahl dabei helfen, dass wir uns näherkommen.“

Agravar warf ihm einen langen, nachdenklichen Blick zu, doch dann lächelte er. „Vielleicht, alter Freund, bist du für dieses Leben besser geeignet, als du denkst.“

6. KAPITEL

Luciens schlechte Laune zeigte sich deutlich in seiner Miene, als er seinen Platz am Herrentisch einnahm, um sein Frühstück zu verzehren. Er ließ Edgars mit Goldornamenten verzierten Sessel wegbringen und nahm auf einem gewöhnlichen Stuhl Platz.

Die Anwesenden in der Halle setzten sich aus seinen Soldaten zusammen, deren Gesichter noch immer die Spuren des gestrigen Trinkgelages zeigten, und aus den Leuten von Gastonbury, die ihn misstrauisch anstarrten. Lucien wandte den Blick ab, während sich die Schlossbewohner leise tuschelnd über ihren neuen Lord unterhielten. Die Luft schien vor Spannung zu knistern.

Als Alayna eintrat, trafen sich ihre Blicke kurz. Dann wandte sie sich ab, um sich am Tisch mit den anderen Frauen niederzulassen.

Sie sah heute Morgen wunderschön aus. Die Ärmel ihres rehbraunen schlichten Kleides waren geschlitzt, sodass man ihr cremefarbenes, mit Goldfäden durchwirktes Unterkleid hervorblitzen sah. Sie war bescheidener gekleidet, als es ihrer Stellung entsprach. Ihr Haar war ordentlich zurückgekämmt und unter einem Netz verborgen, lediglich einige vorwitzige Strähnen lockten sich verführerisch an ihren Schläfen. Sie war nicht geschminkt, so wie es seit kurzem Mode bei den Damen war. Ein goldener Gürtel um ihre sanft geschwungenen Hüften war ihr einziger Schmuck.

Lucien fragte sich, ob sie wusste, wie sehr gerade diese einfache Kleidung ihre Schönheit betonte. Dann sagte er sich jedoch, dass sie ihre Wirkung berechnend einsetzte, so wie alle Frauen. Wahrscheinlich wollte sie einen harmlosen Eindruck auf ihn machen, obwohl sie ihre Feindseligkeit gegenüber Lucien von Anfang an gezeigt hatte. Dennoch konnte er nur vermuten, dass sie für ihren bescheidenen Auftritt einen bestimmten Grund hatte. Sein Gefühl warnte ihn, sich von ihrem unschuldigen Äußeren täuschen zu lassen. Doch was führte sie im Schilde?

Alayna wusste sehr wohl, dass Lucien sie misstrauisch beobachtete. Sie konnte beinahe seinen durchdringenden Blick auf ihrer Haut spüren, war jedoch fest entschlossen, ihre Unruhe nicht zu zeigen. Sie hielt ihren eigenen Blick sorgfältig von ihm abgewandt und gab vor, die Unterhaltung mit den anderen Frauen zu genießen. In Wirklichkeit fand sie den Klatsch der Damen höchst langweilig.

„Er will verhindern, dass wir gegen ihn rebellieren“, flüsterte eine Frau.

„Nun, wenn er Henrys Unterstützung erlangen möchte, muss er zuvor beweisen, dass er den Frieden in Gastonbury sichern kann“, fügte eine blonde junge Frau hinzu und errötete heftig, als die anderen sie erstaunt ansahen. „Das sagt zumindest Geoffrey.“

„Er hat keine Angst vor einem Aufstand, Anne. Aber dein Geoffrey hat recht. Dieser Mann wird nur von seinem Ehrgeiz getrieben. Warum sollte er uns auch fürchten? Schließlich hat er uns schon besiegt.“

Anne lehnte sich vor und warf einen verstohlenen Blick zum Herrentisch hinüber. „Wenn unser neuer Lord sich nach einem warmen Willkommensgruß sehnt, sollte er zu mir kommen.“

„Wieso er? Hast du denn nicht Sir Will bemerkt? Nur ein Wort von ihm, und ich würde in seine Arme sinken!“, sagte eine andere Frau mit rollenden Augen.

Alayna zwang sich dazu, in das Gelächter mit einzustimmen, obwohl sie dem Gespräch nur schwer folgen konnte. Nachdem sie die halbe Nacht damit verbracht hatte, Edgars Truhen in ihrer Kammer durchzusehen, war sie todmüde. Es würde sich vielleicht als schwierig erweisen, den Inhalt der Truhen gewinnbringend zu verwenden. Das Gesetz besagte, dass Leibeigene bestimmte Stoffe und Farben nicht für ihre Kleidung verwenden durften, damit der Adel sich deutlich von ihnen unterschied. Doch Alayna blieb keine andere Wahl, als diese Regeln zu missachten. Sie war fest entschlossen, dass die gestohlenen Gewänder ihrem Zweck dienen und die armen Leute dieser Grafschaft vortrefflich schmücken sollten.

Lucien starrte sie von seinem Platz auf dem Podium aus noch immer eindringlich an. Sie bemühte sich, lauter zu lachen.

„Lady Alayna“, sprach plötzlich eine männliche Stimme, und als sie aufsah, stand Sir Will lächelnd vor ihr. Die anderen Damen grüßten den Ritter übereifrig, doch er nickte ihnen nur kurz zu. „Ihr scheint einen vergnüglichen Morgen zu verbringen.“

„Einen angenehmen Morgen, ja“, bestätigte Alayna. Sie mochte Sir Will. Obwohl er offensichtlich allzu gerne mit Frauen tändelte, vermutete sie hinter seiner Galanterie ein gutes Herz.

„Darf ich mich zu Euch setzen?“, fragte Will. Als Alayna nickte, ließ er sich neben ihr auf der Bank nieder. „Ich freue mich, dass Ihr Euch wohl fühlt. Ihr scheint unter den Aufregungen der vergangenen Tage nicht zu sehr gelitten zu haben.“

„Wirklich?“, fragte sie.

Sein bewundernder Blick zeigte ihr deutlich, dass er Gefallen an ihr gefunden hatte. Die anderen Frauen starrten sie neidisch an.

„Nun, niemand wird wohl erwarten, dass die Dinge hier sofort wieder ihren gewohnten Gang nehmen“, sagte Will, „aber Lachen ist die beste Medizin, um die schlechten Zeiten zu vergessen.“

Eine andere Stimme mischte sich ein. „In der Tat ist Eure gute Laune bewundernswert, Mylady. Normalerweise hört man die Opfer einer Belagerung nicht so schnell wieder lachen. Lasst uns doch an Eurer Freude teilhaben und sagt, was Euch derart amüsiert.“

Alayna blickte hoch. Natürlich, es war de Montregnier, und er schien nicht im Geringsten daran interessiert zu sein, an ihrer guten Laune teilzuhaben. Anscheinend ahnte er, dass sie diese Rolle nur gespielt hatte, um ihn zu ärgern. Seinem Anblick nach zu urteilen, hatte sie keinen überzeugenden Eindruck auf ihn gemacht.

Die anderen Frauen waren schlagartig verstummt.

„Ach, es war nur eine lustige kleine Geschichte, die mich zum Lachen brachte“, sagte Alayna schulterzuckend. „Nichts Besonderes.“

„Bitte, Demoiselle“, beharrte er, „lasst uns doch auch so herzlich darüber lachen.“

Alayna senkte den Blick. „Es war nichts Besonderes, sagte ich.“

„Aber ich bestehe darauf“, erwiderte er hartnäckig. „Wenn Ihr meiner Frage weiterhin so ausweicht, muss ich noch annehmen, dass Ihr über mich gesprochen habt.“

Sie wusste, dass er sie mit Absicht demütigte. Trotzdem konnte sie sich nicht beherrschen, ihm eine passende Antwort zu geben. „Die Geschichte handelte nicht von Euch, sondern von einem ganz anderen Mann. Ich scherzte über einen Schurken von niederer Herkunft, der ein Schloss erobert und dann herumstolziert, als sei er der neue Lord. Höchst amüsant, findet Ihr nicht auch?“

Sie hörte, wie jemand nach Luft schnappte. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie zu weit gegangen war. Ein rascher Blick auf die anderen bestätigte ihre Befürchtung. Perry, der hinter seinem Lord stand, wirkte peinlich berührt, und selbst Wills ständiges Lächeln war geschwunden. Der Einzige, der nicht entsetzt dreinschaute, war de Montregnier selbst.

„Wie reizend“, sagte er, doch sein harter Blick strafte seine Worte Lügen. „Sollte ich irgendwann einmal genügend Zeit haben, um dem wirren Gerede einer bestimmten Frau Beachtung zu schenken, würde ich gerne mehr davon hören. Die Umstände Eurer Geschichte ähneln nicht wenig den meinen. Oh, hattet Ihr das noch gar nicht bemerkt? Ich frage mich, ob dieser arme Bursche auch mit geistlosen Frauen geplagt ist, die stundenlang müßig plappernd am Frühstückstisch sitzen.“ Er ließ seine Beleidigung einen Augenblick lang wirken, dann schenkte er ihr ein teuflisches Lächeln. „Ich wünsche Euch noch einen angenehmen Morgen, Mylady. Will! Perry!“

Nachdem er mit seinen Männern gegangen war, wurde sich Alayna der starrenden Blicke der anderen Frauen bewusst.

„Meine Güte“, sagte Anne, „Ihr habt aber Eindruck gemacht!“

Die Frauen brachen in Gelächter aus. Alayna stand auf und verließ hocherhobenen Hauptes den Tisch. Trotzdem hörte sie das unterdrückte Kichern hinter ihrem Rücken.

Einige Zeit später war sie wieder in ihrer Kammer mit Eurice. Ihr Stolz war von de Montregniers demütigenden Worten noch immer angeschlagen.

„Sieh dir das an!“, rief Eurice und hielt eine winzige Tunika in die Höhe, die sie für ein Kind genäht hatte.

„Ich glaube, da fehlt noch etwas Hermelin“, neckte sie Alayna, während sie ein Stück des kostbaren Pelzes an den Kragen des Kleidungsstückes hielt.

„Gott helfe uns – Leibeigene in Hermelin! Der neue Lord wird uns sicher hängen lassen, wenn er das sieht!“

„Nur gut, dass er unsere Pläne nicht kennt. Dieser Pelz würde ihm ohnehin nicht stehen“, sagte Alayna.

Eurice sah sie neugierig an. „Findest du nicht, dass er ein gutaussehender Mann ist?“

„Bist du blind?“, entgegnete Alayna empört. „Gutaussehend? Er schneidet so viele finstere Grimassen, dass man seine Gesichtszüge kaum ausmachen kann. Außerdem war ich viel zu verärgert, um darauf zu achten.“

„Es fällt schwer, es nicht zu bemerken. Selbst wenn sein Gesicht nicht so anziehend wäre, könnte man seine stolze Haltung kaum übersehen. Ist dir nicht aufgefallen, wie groß und breitschultrig er ist? Sicher ist er stark wie ein Bär.“

Alayna fragte sich, was für ein Spiel ihre Amme mit ihr trieb. Als sie antwortete, triefte ihre Stimme vor Sarkasmus. „Aye, Eurice, es fiel mir sofort auf, während er mich hinauf in seine Kammer schleppte und mit seinem eigenen Blut den Verlust meiner Jungfernschaft vortäuschte. Wie hätte ich da seine Stärke übersehen können? Später, als er mich beleidigte und bedrohte, war ich von seinem guten Aussehen beeindruckt.“

Eurice lächelte geheimnisvoll, indes sie sich weiter mit ihrer Näharbeit beschäftigte. „Trotzdem hast du sein hübsches Gesicht nicht bemerkt?“

„Er runzelt die Stirn zu oft“, zischte Alayna.

„Den Mann quält irgendetwas“, sagte Eurice.

Alayna dachte eine Weile lang nach, bevor sie ihre Nadel wieder durch den Stoff stach. „Vielleicht. Nun, auf jeden Fall hat er jetzt noch einen Geist, der ihn quält.“

Schweigend arbeiteten sie weiter, bis es an der Zeit für das Mittagsmahl war. Alayna bemerkte erleichtert, dass Lucien nicht mit den anderen in der Halle speiste. Das Gespräch während des Essens drehte sich ausschließlich um das für diesen Abend geplante Festmahl. Jedermann sprach aufgeregt darüber, wie großzügig sich ihr neuer Lord bereits am ersten Tag seiner Herrschaft auf Gastonbury zeigte. Nach den langen, harten Jahren, die alle unter Edgars strenger Führung zu erdulden hatten, wurde der Machtwechsel erleichtert aufgenommen. Alayna musste schmerzlich feststellen, dass de Montregnier immer mehr an Beliebtheit gewann.

Nach dem Mahl suchte sie das Krankenlager auf, wo viele Männer zu ihrer Freude bereits auf dem Wege der Besserung waren. Besonders Hubert erholte sich schnell. Als sie sich vergewissert hatte, dass ihre Hilfe in der Kapelle nicht länger vonnöten war, kehrte sie wieder zu ihrer Nadelarbeit in ihre eigene Kammer zurück.

Alayna entschied, diesen Abend nicht an dem Festmahl teilzunehmen. Als Eurice dagegen protestierte, sagte sie: „Ich werde dich mit einer Nachricht zu ihm schicken, dass ich mich nicht wohl fühle oder müde bin. Warum sollte ich mich schon wieder seiner unangenehmen Gesellschaft aussetzen?“

„Alayna“, warnte sie Eurice, „reize ihn nicht zu sehr!“

„Unsinn, es wird ihm völlig gleichgültig sein. Er hasst mich ebenso, wie ich ihn verabscheue. Selbst wenn ihm meine Abwesenheit etwas ausmachen sollte, ist er viel zu stolz, um es vor den anderen zuzugeben.“

Die Amme warf ihr noch einen missbilligenden Blick zu, bevor sie die Kammer verließ. Alayna kleidete sich um und schlüpfte in eine Tunika aus weichem Leinen, dann setzte sie sich zufrieden vor den wärmenden Kamin. Sie wollte noch etwas nähen, bevor sie zu Bett ging. Doch ihr Frieden währte nicht lange. Ohne Vorwarnung flog die Tür krachend auf, und Alayna sprang erschrocken auf die Füße.

De Montregnier stand in ihrer Kammer. Sein Gesicht war so finster wie eine Gewitterwolke. Er musterte sie einen Moment lang mit seinem wütenden Blick. „Ich erhielt soeben Eure Nachricht, dass Ihr krank seid und Euch uns nicht anschließen werdet. Seltsam, zumal Ihr heute Morgen noch recht gesund ausgesehen habt“, sagte er mürrisch.

Alayna brauchte eine Weile, bevor sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. „Ja. Ich fühle mich nicht gut und bitte Euch, mich heute Abend zu entschuldigen.“

„Ich werde Euch jedoch nicht entschuldigen, Mylady, da Ihr Euch von Eurer geheimnisvollen Krankheit auf wundersame Weise erholt zu haben scheint. Ihr seht aus wie das blühende Leben.“

Langsam ließ er den Blick über ihren Körper gleiten, als ob er ihren Gesundheitszustand abschätzen wollte. Alayna wurde sich auf einmal bewusst, dass sie nur ein dünnes Hemd trug, dass vor dem Licht des Kaminfeuers zweifellos fast durchsichtig wirken musste. Errötend griff sie nach ihrem Morgengewand und zog es hastig über. Danach wandte sie sich wieder ihrem unerwünschten Besucher zu.

„Ihr zeigt wie immer keinen Anstand, de Montregnier. Nun ja, von einem ungehobelten Rüpel wie Euch sollte ich eigentlich nichts anderes erwarten.“

Lucien hob eine Augenbraue. „Ihr habt nun schon mehrmals deutlich gemacht, dass Ihr mich für irgendeinen Dahergelaufenen von niederer Geburt haltet. Wie kommt Ihr darauf?“

Alayna antwortete ihm mit einem hässlichen Lachen. „Es ist doch offensichtlich, dass Ihr an vornehme Gesellschaft nicht gewöhnt seid. Ich glaube sogar, Ihr genießt es, den Schurken zu spielen und andere vor den Kopf zu stoßen. Obwohl ich nichts von Eurer Herkunft weiß, habe ich mittlerweile gelernt, dass das Geburtsrecht oft nur wenig über das Wesen eines Menschen aussagt.“

„Nehmt Ihr Euren verstorbenen Gatten als Beispiel?“, fragte Lucien spöttisch.

Alayna überging seinen Einwurf und fuhr wütend fort: „Euer lächerliches Auftreten zeugt von Eurer Dummheit, woher Ihr auch stammen mögt.“

„Aye, die Geschichte meiner Vorfahren würde Euch sicher amüsieren“, sagte Lucien verärgert.

„Ihr spielt den finsteren Unhold, und doch seid Ihr beleidigt, wenn man Euch genau das an den Kopf wirft. Für mich seid Ihr ein Rätsel, de Montregnier. Wenn ich auch nur im Geringsten daran interessiert wäre, würde mich Euer Benehmen sogar neugierig machen. Aber vielleicht seid Ihr auch nur einfach unbeständig – beinahe wie eine Frau!“

Ihr Seitenhieb hatte gesessen. Luciens Gesicht nahm einen gefährlichen Ausdruck an. „Wenn Ihr schon von Benehmen redet“, zischte er, „Eures lässt einiges zu wünschen übrig. Eure Lügen und Ausreden, um mir aus dem Weg zu gehen, sind nicht sehr bewundernswert, auch wenn ich von einer Frau nichts anderes erwartet hätte. Wie auch immer, Ihr seid leider die Witwe des letzten Lords und müsst daher an dem Festmahl teilnehmen. Ihr seht gesund genug dafür aus. Euer kleines Unwohlsein scheint inzwischen verschwunden zu sein. Und nun kleidet Euch angemessen, dann werdet Ihr Euch zu den anderen in die Halle begeben. Ich werde das Festmahl erst dann beginnen lassen, wenn Ihr erscheint.“

„Nein!“, rief Alayna, aufgebracht über seinen unverschämten Befehl. „Ich werde nicht die Lady dieses Schlosses spielen, wenn Ihr Euch für den Lord haltet.“

Lucien bewegte sich mit der unerwarteten Schnelligkeit eines Raubtieres, bis er plötzlich vor ihr stand. Alayna musste den Kopf in den Nacken legen, um seinem starrenden Blick zu begegnen. Von Nahem bemerkte sie, dass seine Augen einen warmen Braunton hatten und von dichten Wimpern umrahmt waren, ungewöhnlich langen Wimpern für einen Mann. Dennoch hob sie trotzig das Kinn.

„Gebt Euer Intrigenspiel lieber auf, Mylady. Ihr wisst nur zu gut, dass Ihr nicht gewinnen könnt. Heute Abend werdet Ihr an meiner Seite dem Mahl beiwohnen. Denkt an die Privilegien, die Ihr nun genießen könnt, da ich Euch alle Freiheiten gewährt habe. Ich könnte diese Umstände natürlich mit Leichtigkeit ändern.“

Bei seiner Drohung riss Alayna erschrocken die Augen auf. Bevor sie jedoch zu einer wütenden Antwort ansetzen konnte, sprach er weiter. Sein Blick war weicher geworden und schien sie zu necken. „Euer Widerstandsgeist überrascht mich, denn es ist töricht von Euch, so zu handeln. Obwohl Ihr viele Fehler aufweist, scheint Dummheit nicht zu ihnen zu gehören. Es würde Euch mehr nutzen, mir zu gefallen. Ist Euer Geschlecht nicht gerade darin am meisten geübt? Mit Hilfe eurer Schönheit und eures Anmutes gewinnt ihr Frauen Macht über einen Mann, so wie eine Spinne ihr Opfer in ihrem Netz fängt, bevor es etwas merkt. Und wer weiß, Demoiselle, vielleicht fändet Ihr meine Gunst gar nicht so unangenehm, wie Ihr denkt.“

„Was lässt Euch glauben, ich wollte Eure Gunst gewinnen?“, fragte Alayna. „Ihr Männer haltet Euch für so überragend und glaubt, jede Frau müsste sich ob Eurer Zuwendung geschmeichelt fühlen. Nun, manche Vertreterinnen ‚meines Geschlechtes‘ geben keinen Deut darum, einem Mann zu gefallen. Und was mich betrifft, ich wünsche nichts mehr, als Eurer verabscheuungswürdigen, unverschämten Gegenwart so weit wie möglich zu entkommen.“

Ihre Stimme nahm einen leisen, aber gefährlichen Tonfall an, als sie fortfuhr: „Ich werde auf König Henrys Entscheidung warten, und zweifellos werde ich an diesem Tag meine Freiheit wiedergewinnen. Danach werde ich keinen weiteren Gedanken mehr an Euch verschwenden, nur einen kalten Schauder verspüren, der mich ab und zu bei Eurer Vorstellung überkommt. Nun verlasst sofort dieses Gemach. Ihr habt keine Macht über mich, von der ich wüsste.“

Lucien musterte sie eine Weile abschätzend, dann wandte er sich ab und ging auf die Tür zu. Gerade als Alayna schon triumphieren wollte, drehte er sich noch einmal um.

„Gut, dann gehabt Euch wohl in Eurer Einsamkeit, meine kaltherzige Dame. Ich sehe nun ein, dass Eure grausame Zunge und Euer zänkisches Wesen unsere Feier stören würden. Meine Gäste und ich werden uns besser ohne Euch vergnügen können.“

Alayna blieb bei seinen Worten der Mund offenstehen, und sie war unfähig zu irgendeiner weiteren Antwort. Lucien verließ die Kammer, dann warf er die Tür krachend hinter sich zu.

7. KAPITEL

Die Stille in der Kammer war erdrückend. Das einzige Geräusch war das leise Echo seiner Schritte, die sich auf der anderen Seite der Tür entfernten. Unfähig, sich zu bewegen, stand Alayna noch immer da und dachte über seine letzten Worte nach.

Guter Gott, dieser Mann war unerträglich! Wie konnte er es wagen, sie von dem Festmahl auszuschließen!

Ruhelos begann sie, vor dem Kamin auf und ab zu gehen. War er verrückt! Er hatte doch tatsächlich die Frechheit besessen, zu behaupten, sie wolle sein Gefallen erregen. Wahrscheinlich war er noch so berauscht vom Gefühl seiner neu gewonnenen Macht, dass er nicht ganz bei Sinnen war.

Wutschnaubend drehte sie sich auf dem Absatz herum und ging wieder auf die Tür zu.

Er war ein selbstsüchtiger, eiskalter Rohling. Er war so sehr von sich überzeugt, so unglaublich stolz und eitel. Es war ein Wunder, dass so ein aufgeblasener Prahlhans nicht schon längst geplatzt war.

Sie nahm ihre Bürste vom Tisch, warf sie an die Wand und ging auf das Fenster zu.

Gott möge mir vergeben, aber ich hasse ihn, dachte sie. Er war fast bemitleidenswert in seinem Eifer, sie seinem Willen zu unterwerfen. Natürlich hatte er soeben wohlbedacht gehandelt. Natürlich zählte er auf ihren Trotz, damit sie hinunter zu seinem verdammten Fest ging. Nun, wenn er dachte, sie würde auf eine so leicht durchschaubare List hereinfallen, hatte er sich getäuscht.

Alayna ließ sich auf der Fensterbank nieder und sah in den Burghof hinab. Der Anblick war ihr vertraut, denn sie hatte während der langen, dunklen Tage vor de Montregniers Ankunft oft dort hinuntergesehen.

Plötzlich wurde ihr die Verzweiflung der letzten Tage und Wochen bewusst. Es schien schon eine Ewigkeit her zu sein. Wenigstens war sie nun nicht mehr mit Edgar vermählt.

Sie musste es zugeben. Obwohl sie de Montregnier verachtete, ging es ihr nun wesentlich besser, nachdem er Edgar besiegt und Gastonbury erobert hatte. Immerhin hatte er ihr ein unerträgliches Leben an du Bergs Seite erspart.

De Montregnier wollte sie zwar zu seinem eigenen Vorteil benutzen, doch bisher hatte er ihr keinen wirklichen Schaden zugefügt. Er mochte zwar ein ehrloser Lügner und Schurke sein, aber wenigstens hatte er sie in keiner Weise unziemlich behandelt, geschändet oder gar geschlagen. Und sie musste zugeben, dass sie bisher alles getan hatte, um ihn herauszufordern.

Ein anderer Mann an seiner Stelle wäre sicher nicht so nachsichtig gewesen.

Vielleicht handelte sie selbst töricht. De Montregnier hatte allerdings etwas an sich, das sie schnell ihre Selbstbeherrschung verlieren ließ. Mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie sich hier in ihrer Kammer versteckte, um einer Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Was würde ihre Mutter von ihrer Feigheit denken?

Alayna stand auf. Ohne nachzudenken, öffnete sie eilig die Truhe mit ihren schönsten Kleidern. Da ihr niemand beim Ankleiden helfen konnte, wählte sie eine schlichte lange Tunika aus rosenfarbenem Brokat. Nachdem sie das Gewand übergestreift hatte, griff sie in eine andere Truhe und wählte einen einfachen goldenen Gürtel aus. Dann bürstete sie ihr zerzaustes Haar, bis es in weichen, glänzenden Locken über ihren Rücken fiel. Ein schmaler Goldreif schmückte ihre Stirn und bändigte die wilde Mähne etwas. Endlich fertig angekleidet, strich sie mit bebenden Händen ihr Kleid glatt, atmete tief ein und eilte in die Treppe hinunter.

Als sie die Halle betrat, war sie sich wohl des Getuschels der Anwesenden bewusst, während sie zum Herrentisch hinüberging. Als sie zum letzten Mal dort gespeist hatte, war Edgar ihr Gastgeber gewesen. An seiner Stelle saß nun de Montregnier, der in sein übliches Schwarz gekleidet war. Er beobachtete sie mit erstaunlicher Gelassenheit.

„Mylord, ich bitte um Eure Vergebung, da ich mich verspätet habe. Ich bin gekommen, um Euch bei dem Festmahl Gesellschaft zu leisten, so wie Ihr es gewünscht habt.“

Autor

Jacqueline Navin
<p>Wie bei vielen Autoren lag der Ursprung meines Schaffens darin begründet, dass ich eine leidenschaftliche Leserin bin. Dadurch entwickelte ich eine innige Liebe zu Büchern und zum Geschichtenerzählen. Ich habe Schriftsteller immer bewundert, aber der Gedanke, selbst einer zu werden, lag mir so fern wie der Gedanke, ein berühmter Schauspieler...
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Margo Maguire
Seit 1999, als Margos erstes Buch “ The Bride of Windermere” erschien,, verkaufte sie mehrere historische Liebesromane an Harlequin. Inzwischen arbeitet sie hauptberuflich als Autorin und genießt die Flexibilität ihrer Tagesplanung, die sie zu ihrer Zeit als Krankenschwester nicht hatte. Mit drei Teenies zu Hause und einem regen Familienleben ist...
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