Historical Exklusiv Band 53

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STOLZES HERZ AUF THORNWOOD HALL von MANNING, JACKIE
Thornwood Hall, ihr geliebtes Zuhause, soll verkauft werden? Das will die junge Witwe Becky mit allen Kräften verhindern. Ihre Entschlossenheit, den neuen Besitzer Nick zu verachten, wird jedoch auf die Probe gestellt als er ihr einen feurigen Kuss raubt. Becky ist hin- und hergerissen zwischen Vernunft und Verlangen. Denn wenn sie nicht aufpasst, hat ihr Nick bald nicht nur ihr Gut gestohlen … sondern auch ihr Herz!

STÜRMISCHE EROBERUNG von DICKSON, HELEN
Die aparte Prudence Fairworthy ist anders als alle Frauen, die ihm je begegnet sind - so anders, dass Lord Lucas Fox einfach nicht widerstehen kann. Für gewöhnlich hat er bei den Damen leichtes Spiel - sie hingegen will nichts von ihm wissen. Schnell steht für Lucas fest, die oder keine! Also lässt er seinen Charme spielen - und entdeckt, wie schwierig es sein kann, eine Frau nach allen Regeln der Kunst zu erobern …


  • Erscheinungstag 09.06.2015
  • Bandnummer 53
  • ISBN / Artikelnummer 9783733760748
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jackie Manning, Helen Dickson

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 53

JACKIE MANNING

Stolzes Herz auf Thornwood Hall

Im ganzen Land wird Nick als Held gefeiert – und König Charles schenkt ihm zur Belohnung den Landsitz Thornwood Hall. Dabei wünscht Nick sich doch nichts sehnlicher, als wieder zur See zu fahren! Widerwillig sucht er sein Gut auf – und verfällt der tapferen Verwalterin Becky. Aber ihre Liebe hat keine Zukunft … denn was er vorhat, wird ihr Leben zerstören!

HELEN DICKSON

Stürmische Eroberung

Lord Fox sieht einfach umwerfend gut aus – und das weiß er auch. Alles in allem ein furchtbar arroganter Kerl, geradezu schamlos, findet Prudence. Sie einfach auf sein Pferd zu ziehen und zu küssen, ist wirklich der Gipfel! Und er ist auch noch ein Freund der Familie, so dass sie ihm immer wieder zwangsweise begegnet … ihm und seinen heißen Küssen …

PROLOG

London, England

Juli 1666

Es sieht aus, als wäre kein Leben mehr in ihm“, rief Barbara Villiers, Countess of Castlemaine, als sie dem königlichen Leibarzt zusah, wie er die schwarzen Blutegel von Kapitän Nicholas Sinclairs muskulöser Brust entfernte.

„Bei allem, was er durchgemacht hatte, sollte er auch tot sein“, antwortete King Charles und blickte dem Arzt über die Schulter, während dieser die Verletzungen des Verwundeten behandelte.

Ein gut aussehender Teufel, dachte Barbara insgeheim. Trotz des hohen Blutverlustes durch seine zahlreichen Wunden hatte sich sein gutes Aussehen nicht verändert. Sobald sich Sinclair von seinen Verwundungen erholt hätte, wäre er eine wahre Bereicherung für den königlichen Hof.

Wenn er überlebte.

Der König zog die dunklen Augenbrauen besorgt hoch. „England braucht ihn lebend, William. Ihr dürft ihn nicht sterben lassen.“

„Gewiss nicht, Majestät“, kam gedämpft die Antwort des königlichen Leibarztes.

Barbara lächelte. Sie wusste, selbst wenn der Arzt anderer Ansicht wäre, würde er es nicht wagen, diese in der Gegenwart des Monarchen von sich zu geben. Ihre Aufmerksamkeit wandte sich nun wieder King Charles zu, dem Mann, den sie seit nunmehr sechs Jahren auf das Intimste kannte. Warum hatte er darauf bestanden, dass Sinclair in ein Gemach des Palastes gebracht wurde, während die anderen verwundeten Offiziere in den Hospitälern behandelt wurden? Und warum hatte der König persönlich Krankenwache bei ihm gehalten? Noch nie hatte sie Seine Majestät so besorgt gesehen, außer wenn seine eigenen Kinder krank waren. Barbara fühlte sich unbeachtet und trat an die andere Seite des mit einem Baldachin versehenen Bettes, um neben dem König zu stehen. Dabei streifte ihr Busen seinen samtenen Ärmel. „Kommt, Majestät. Warum ruht Ihr nicht ein wenig aus in Eurem Schlafgemach? Ihr braucht ebenfalls Ruhe.“ Sie zwinkerte ihm zu und schenkte ihm ein einladendes Lächeln.

Charles wandte keinen Blick von dem Verwundeten. „Geht, meine Liebe. Ich möchte hier bei ihm bleiben.“

Barbara verbarg ihre Verärgerung. „Wenn Ihr es vorzieht, zu bleiben, so leiste ich Euch Gesellschaft“, antwortete sie mit einschmeichelnder Stimme.

Der König belohnte sie mit einem wohlwollenden Lächeln. Sie wechselte einen intimen Blick mit ihm, dann nahm sie neben dem Bett Platz. Der Verwundete stöhnte. Der König hielt den Atem an.

Barbara betrachtete den jungen Mann, der so viel königliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Seine dichten schwarzen Augenbrauen und das schwarze Haar bildeten einen scharfen Kontrast zu den cremefarbenen Seidenkissen unter seinem Kopf. Glanz erstrahlte in ihren blauen Augen, als sie in sein sonnengebräuntes Gesicht blickte. Waren seine Augen braun oder blau? Der Gedanke durchfuhr sie, sie könnte das vielleicht niemals herausfinden.

„Ich glaube, er kommt zu sich“, rief der Arzt erleichtert.

Der König klatschte in die Hände. „Sinclair, könnt Ihr mich hören?“

Der Kranke öffnete die Augen, und Barbara sah, dass sie grau waren, grau wie die Themse an einem Januarmorgen. Und genauso kalt.

„Wo … wo bin ich?“ Seine Baritonstimme ließ ihr Innerstes vibrieren.

„Ihr befindet Euch bei Seiner Majestät, King Charles, in den königlichen Gemächern des Palastes von Whitehall.“ Der Arzt ließ einen lauten Seufzer vernehmen. „Ihr habt großes Glück gehabt, Captain.“

Nicholas Sinclair richtete sich auf, das seidene Laken glitt von seiner nackten Brust und bildete sanfte Falten um seine Taille. „Meine Männer! Wo sind meine Männer?“

Barbara schien der Atem zu stocken. Sie hatte seine breiten Schultern bemerkt, doch erst als er sich aufgerichtet hatte, sah sie seinen perfekt geformten Körper. Sie merkte, wie der König sie ansah, und senkte den Blick.

„Wir sprechen später über Eure Mannschaft“, sagte der König schließlich. „Jetzt müsst Ihr ruhen.“

„Nein. Ich … ich muss zu … meinen Männern.“ Sinclairs Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, als er den Arzt mit unerwarteter Kraft beiseite stieß. Als seine bloßen Füße den Boden berührten, fiel der Blick seiner grauen Augen zum ersten Mal auf Barbara. Er verharrte, da er sich plötzlich seiner Nacktheit bewusst wurde, und griff nach dem Laken, das beinahe von seinem Schoß geglitten wäre.

Barbara lächelte darüber, denn ihr war klar, dass er sie als die Geliebte des Königs erkannt hatte. Er sah, wie sie ihn keck anstarrte, ohne peinlich berührt den Blick von ihm zu wenden.

Als Sinclair erkannte, dass Barbara sich von seinem nackten Zustand nicht beleidigt fühlte, zog er das Laken um sich und versuchte aufzustehen. Doch er schwankte, und als der Leibarzt ihn sanft gegen die Kissen drückte, leistete Sinclair keinen Widerstand.

„Ihr habt diesmal den Teufel betrogen, Sinclair“, sagte der König. „Ich würde es so bald nicht wieder versuchen.“

„Beim nächsten Mal könnte es sein, dass Ihr nicht so viel Glück habt“, ergänzte der Arzt.

Sinclair biss vor Schmerzen die Zähne zusammen. „Wo sind meine Männer?“, schrie er.

Bei Sinclairs unbotmäßigem Ton in des Königs Gegenwart erblasste der Arzt.

Doch der König ignorierte den Ausbruch, seine Züge wirkten ernst, als er den Mann betrachtete. „Nun gut, Sinclair“, sagte er endlich. „Ich fürchte, Ihr gebt keine Ruhe, bis Ihr es wisst.“

Sinclair zuckte zusammen, atmete tief durch und zögerte. „Sie sind tot, oder?“

Der König schloss die Augen und nickte. „Die meisten von ihnen.“ Als er die Augen öffnete, schimmerten Tränen darin. „Euer Schiff erhielt einen Volltreffer. Ihr selbst wart bewusstlos, und die wenigen Überlebenden brachten Euch in Sicherheit. Der Arzt meint, er könne Euer Bein retten.“

„Mein Bein!“ Sinclair presste seine verbundenen Finger zusammen. „Was schert mich mein Bein!“ Er hämmerte mit den Fäusten auf das Bett. „Ich wollte, ich wäre umgekommen, zusammen mit meiner Mannschaft.“ Er warf sich in den Kissen hin und her. „Zur Hölle verdammt! Verdammt! Verdammt! Verdammt!“

Der König holte tief Luft und ließ resigniert die Schultern hängen. Nach einem kurzen Augenblick wandte er den Blick dem Offizier zu. „Die Holländer haben uns blutig geschlagen, Sinclair. England braucht einen Helden, und Ihr seid dieser Mann. Als Ihr Euer Schiff der holländischen Flotte entgegenstelltet, habt Ihr dadurch die ‚Royal Charles‘ und somit den Stolz Englands gerettet. Denkt doch, welche Freude es den Holländern bereitet hätte, hätten sie meine königliche Jacht versenkt.“ Die schwarzen Augen des Königs leuchteten voll Stolz. „Ihr seid der Held, den England braucht, Sir Nicholas.“

Sinclairs Augen wurden groß, und seine schwarzen Augenbrauen hoben sich vor Überraschung. „Sir Nicholas …?“

„Ja. Ich habe Euch den Titel eines Baronets zusammen mit den dazugehörigen Ländereien zuerkannt.“ Barbara hielt ihre Überraschung zurück. Üblicherweise teilte der König ihr solche Dinge vorher mit, davon indes hörte sie eben zum ersten Mal. Eigenartiges ging vor sich, und ihre Neugier wuchs.

Sinclair schüttelte den Kopf. „Ein Schiff möchte ich, nicht ein Gut! Mein Leben ist die See. Ich bin kein Schafzüchter …“

„Natürlich seid Ihr das nicht“, sagte der König und unterdrückte ein Lächeln. „Indes, Thornwood Hall ist nun in Eurem Besitz und Eurer Verantwortung. Außerdem habe ich einen Hintergedanken dabei.“ Er schritt vor dem Bett auf und ab, dann wandte er sich Sinclair zu. „Vor der Restauration war Thornwood Hall das Geschenk für einen General Cromwells.“ Der König zögerte einen Augenblick. „Ein anständiger Mann, wenngleich seine politischen Ansichten fehlgeleitet waren. Als ich auf den Thron zurückkehrte, habe ich General Forester nicht von dem Land, das er ertragreich führte, entfernt, sondern ich schlug ihm einen Handel vor. Ich bot dem alten Mann besondere Steuervorteile. Er und seine Frau sollten den königlichen Besitz bewirtschaften, und die Steuern sollten sich nach den jährlichen Erträgen des Gutes richten. Bereitwillig waren sie damit einverstanden.“

„Was hat das alles mit mir zu tun?“, fragte Sinclair, der offensichtlich unter starken Schmerzen litt.

„Der General starb einige Jahre später. Seit damals hat Thornwood Hall kaum Profit abgeworfen. Ich möchte, dass Ihr herausfindet, warum das so ist. Außerdem handelt es sich um ein liebliches Anwesen. Ein idyllischer Ort zur Genesung.“

Barbara hätte nur zu gern gewusst, ob dem König ihr Interesse an Sinclair aufgefallen war, und sie wünschte deshalb den gut aussehenden Offizier weit weg vom Hof, während er sich von seinen Wunden erholte. Schon der bloße Gedanke bereitete ihr Vergnügen.

„Ich möchte mich auf See erholen, indem ich die Holländer bekämpfe, Majestät. Ich würde verrückt werden beim Schafehüten.“ Sinclairs Stimme klang schwächer, und Barbara merkte, dass er sich zu viel zugemutet hatte.

Das Gesicht des Königs wurde ernst. „Ich wünschte, England hätte das Geld, Euch ein Schiff zu geben, Sinclair. Doch die königlichen Kassen sind leer durch diesen verdammten Holländischen Krieg. Nicht bevor der Schatzmeister uns einen Kredit von unseren auswärtigen Verbündeten sichert …“

„Die Holländer werden so lange nicht warten.“ Sinclairs Gesicht verzerrte sich, als er versuchte, sich aufzurichten. „De Ruyter muss aufgehalten werden …“

Der König trat näher. „Ich stimme Euch zu.“ Seine schwarzen Augen funkelten. „Deshalb ist es lebenswichtig, dass England einen Kriegshelden hat. Wir dürfen weder die Holländer noch unsere Verbündeten wissen lassen, wie schwer wir geschlagen worden sind. Wir müssen uns tapfer zeigen, dann werden unsere auswärtigen Freunde uns auch die nötigen Mittel leihen, die wir brauchen. In der Zwischenzeit werdet Ihr Euch auf Thornwood Hall erholen und Eure neuen Ländereien begutachten. Früher war es das blühendste Besitztum in der ganzen Grafschaft. Nun ist es so arm, dass die Pächter ihre Pacht nicht bezahlen können.“ Er schüttelte den Kopf. „Irgendetwas ist im Gange, Sinclair. Es ist Eure Aufgabe, dies herauszufinden.“ Der König blickte finster. „Sobald Ihr entdeckt habt, woran es bei dem Gut krankt, könnt Ihr alles verkaufen. Eher jedoch nicht.“

Sinclair seufzte und ließ sich zurück in die Kissen sinken, ohne zu widersprechen. Barbara dachte, dass seine Nachgiebigkeit mehr auf die Anstrengung als auf Gehorsamkeit zurückzuführen sei. Dunkle Ringe hatten sich unter seinen grauen Augen gebildet, was jedoch seine männliche Ausstrahlung nicht minderte.

„Wenn Ihr bereit seid, Sinclair, ein Mann Eurer Mannschaft wartet, um Euch zu sehen“, sagte der Arzt. „Michael Finn. Doch nur, wenn es Euch nicht zu viel ist …“

„Finn?“, fragte Sinclair überrascht. „Finn ist hier, in Whitehall?“, fragte er, während er sich bemühte, sich aufzusetzen.

Der König lächelte. „Er ist einer der Männer, die Euch retteten, Sinclair.“ Er warf einen flüchtigen Blick zu seinem Leibarzt. „William, Ihr werdet mir weiter berichten.“

Der Arzt verbeugte sich. „Wie Ihr befehlt, Majestät.“

„Dann wollen wir Euch verlassen, Sinclair.“ Die Stimme des Monarchen klang liebenswürdig, als er Barbaras Hand nahm. „Kommt, meine Liebe.“

Barbara warf Sinclair einen begehrlichen Blick zu, als sie an ihm vorbeirauschte.

Nicholas Sinclair sagte nichts, als er in Ungeduld seine Arme verschränkte, um allein gelassen zu werden. Gott sei Dank, Finn ist in Sicherheit, dachte er. Er konnte es kaum erwarten, ihn zu sehen.

In seinem Kopf hämmerte es, als er versuchte, sich zu erinnern an das, was vorgefallen war. Die Schreie seiner tapferen Mannschaft dröhnten noch immer in seinen Ohren. Er erinnerte sich an die Detonation der Granaten, die sein Schiff auseinanderrissen, dann hatte ihn kaltes Wasser umfangen. Und er hatte das Bewusstsein verloren.

Sinclair verdrängte die Gedanken an das Leid, die ihm fast den Verstand raubten, und fragte den Arzt, der seine Arzneimittel zusammenkramte: „Wie lange wird es dauern, bis ich ein Pferd reiten kann?“

„Ein Pferd?“ Der Arzt lachte schallend. „Mindestens einen Monat wird es dauern, bis Ihr stark genug seid, zu gehen. An Reiten ist noch nicht zu denken.“

Ein Schmerz durchfuhr Sinclairs Bein. „Verfluchte Hölle“, stöhnte er, während er nach Atem rang. „Das wollen wir sehen.“

„Warum so ungeduldig, Sir Nicholas?“ Der Doktor schob die Kräuterpäckchen zurück in die Fächer des Arzneischrankes. „Ihr habt jeden Luxus hier in Whitehall.“ Er lächelte. „Und Ihr könnt unter den lieblichsten Damen des Hofes auswählen.“

„Hübsche Frauen gibt es in jedem Hafen“, antwortete Nick. „Den Luxus, den ich brauche, finde ich an Bord eines Kriegsschiffes.“

Der Doktor schüttelte den Kopf und lachte stillvergnügt in sich hinein. „Ich komme später nochmals vorbei, um nach Euch zu sehen, Captain.“ Er packte seine Utensilien zusammen und strebte der Tür zu.

Nick hörte kaum, als der Arzt ging, er war viel zu sehr damit beschäftigt, nachzudenken, wie er das nötige Geld aufbringen konnte, um ein anderes Schiff zu kaufen. Vielleicht fiel Finn etwas ein. Er war überzeugt, sie würden ein Schiff finden, und wenn es das Letzte wäre, was sie taten.

Kurz, nachdem der Doktor gegangen war, flog die Tür auf, und ein blondhaariger Mann mit rötlichem Gesicht stürmte in das Gemach.

„Kapitän!“ Der plumpe Irländer legte seinen Arm zur Begrüßung auf Sinclairs Schulter. „Ein verdammtes Fest für meine alten Augen, Euch am Leben zu sehen, Nick.“

Wenige Männer hatten ihn jemals Nick genannt, er fand indes die familiäre Anrede erquickend. „Für mich auch, Finn.“ Die Kehle war ihm plötzlich wie zugeschnürt, und er fürchtete, seine Stimme könnte seine Gefühle verraten. „Seid Ihr in Ordnung?“, brachte er heraus. „Als ich Euch zum letzten Mal sah, wart Ihr dabei, die Kanone am Heck zu laden.“

Finns Lächeln verblasste, und er senkte seinen Blick. „Gleich danach wurden wir getroffen. Ihr wurdet von der Explosion erfasst. Smitty, Morrah und ich brachten Euch an die Küste und dann, auf königlichen Befehl, hierher.“ Finn hob den Blick und sah Nick an, der vor sich hinstarrte. „Erinnert Ihr Euch, wie Ihr die ‚Hesper‘ gegen die holländische Flotte gesteuert habt?“ Er trat einen Schritt zurück. „Ihr seid ein Held, Nick. Alle unsere Schiffe konnten sich retten, außer der ‚Hesper‘, und jeder, der diese Nacht überlebte, hat Euch zu danken, Freund.“

Sinclair schloss die Augen. „Verdammt, Finn. Ich bin kein Held. Die wirklichen Helden sind mit der ‚Hesper‘ untergegangen.“ Er schluckte den Kloß hinunter, der in seiner Kehle hing. „Ich war ihr Kapitän und hätte bei ihnen sein sollen.“

Finn fühlte sich unbehaglich. „Ihr steht unter Schock, daher ist es völlig natürlich, dass Ihr so empfindet.“

„Nein. Ich muss zurück. Ich muss ein anderes Schiff haben, Finn. Ihr müsst mir helfen.“

Finn blickte ihn erschrocken an. „Wie?“

„Nun, ich habe da eine Idee.“ Nick erzählte Finn von seiner Belohnung durch den König mit dem Lehnsgut und von der Bedingung, die daran geknüpft war.

Als er geendet hatte, schüttelte Finn den Kopf. „Ein Baron mit eigenen Ländereien. Bei Gott!“

Nick rieb sich den zerzausten Bart und beobachtete seinen Freund. „Ihr seid der einzige Mann, dem ich vertraue, Finn. Der König sagte, ich könne Thornwood Hall nicht verkaufen, bis ich herausgefunden hätte, warum das Gut keinen Gewinn abwirft, doch er hat nicht gesagt, dass ich es nicht verpfänden darf, um mir Geld zu leihen.“ Dieser Gedanke erfüllte ihn mit Hoffnung.

Finns rötliches Gesicht wurde dunkler, und er fluchte.

„Das Land muss einiges wert sein. Ich wette, Thornwood Hall wird uns mit genügend Sicherheiten ausstatten, um ein Schiff kaufen zu können.“ Er berührte Finns Schulter. „Ich möchte, dass Ihr für mich verhandelt.“

Finn kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Aber wir kennen doch niemanden in London, der bereit wäre …“

„Nein, doch ich denke, es gibt jemanden bei Hof, der uns helfen kann.“ Nick dachte an die Geliebte des Königs mit den kastanienbraunen Haaren, Barbara Villiers. „Vielleicht könnte die Countess of Castlemaine einen Geldverleiher für uns finden.“

„Die Geliebte des Königs?“

„Ja.“

„Warum sollte sie das tun?“, fragte Finn argwöhnisch.

„Weil ich ihr einen Anteil an dem Gewinn anbieten werde“, antwortete Nick.

„Und was ist, wenn der König das herausfindet?“

„Er wird es nicht herausfinden. Sobald ich kann, werde ich nach Thornwood Hall reiten, um das Rätsel zu lösen. Das ist das Letzte, worum ich mich sorge.“

„Verdammt, Nick. Ich bin nicht sicher …“

„Finn, ich verlasse mich auf Euch. Sendet eine Nachricht an Barbara Villiers, dass ich sie sehen möchte, den Rest könnt Ihr getrost mir überlassen.“ Trotz der Schmerzen rang sich Nick ein Lächeln ab.

„In Ordnung, Freund.“ Er ging auf die Tür zu, dann blieb er nochmals stehen. „Welch glückliche Vorsehung, ich habe die Bekanntschaft von einer ihrer Kammerfrauen gemacht. Ihr könnt auf mich zählen, Kapitän.“ Er zwinkerte Nick zu und schloss die Tür.

Nick seufzte, als er sich zurück in die Kissen lehnte. In seinem Körper pochte es. Heftige Schmerzen durchzuckten ihn von der Hüfte bis zu den Zehen. Er vertrieb sie mit der Vorstellung, seine Hände am Steuerrad zu haben, während er seiner Mannschaft Befehle zurief. Irgendwie würde er einen Weg finden, um an ein anderes Schiff zu kommen, und den Tod seiner Männer rächen.

Eine Spottdrossel flog von einem Baum außerhalb des offenen Fensters auf das Fensterbrett und badete im Sonnenlicht. Plötzlich war der Raum erfüllt mit dem melodiösen Gesang des Vogels. Nick schloss die Augen und nahm die Melodie in sich auf. Er hatte keinen Vogelgesang mehr gehört, seit er in den Krieg gezogen war, und das war nun mehr als zwei Jahre her.

Er betrachtete es als ein glückliches Zeichen.

1. KAPITEL

County of Surrey, England

Einen Monat später

Ein immer lauter werdendes Geschrei durchbrach die langweilige Stille der Landstraße. Sir Nicholas Sinclair bewegte sich im Sattel und spähte in die Richtung, aus der die Laute kamen. Ein Bestand an Platanen nahe der Biegung vor ihm? Ja, ein guter Platz für ein Räuberversteck, bestens geeignet, um einem unbedachten Reisenden die Börse oder sein Pferd zu stehlen.

Nicks Hand lag über dem Pistolenhalfter. Er wünschte sich beinahe, dass ein Straßenräuber angreifen würde. Alles nur, um die Eintönigkeit des langen Rittes, seit er London verlassen hatte, zu unterbrechen.

Das Gekicher einer Frau, diesmal deutlicher, ließ ihn seine Aufmerksamkeit auf die dichten Holunderbüsche richten, die nahe am Fluss wuchsen. Nick zog sein Seemannsfernrohr aus der Tasche und hielt es vors Auge.

Eine Spur verstreuter Kleider führte vom Flussufer bis ins Dickicht. Ein geflicktes ledernes Beinkleid und ein ausgeblichenes Männerhemd flatterten im Schilfgras. Rostbraune Röcke wogten oben auf einem Hügel mit wilden Gänseblümchen, und ein schwarzes Korsett lag im Augenblick vergessen inmitten von Grasbüscheln.

Nick erkannte in dem rostbraunen Rock denselben, den ein junges Schankmädchen gestern in den „Sieben Schwänen“ getragen hatte. Während sie ihm Wildbretpastete und Bier brachte, zwinkerte sie ihm zu und streifte mit ihren üppigen Brüsten seine Hand. Als er ihr Angebot ablehnte, rümpfte sie verächtlich die Nase. Er wäre ihr gern gefolgt, doch er hatte keine Zeit, sich aufzuhalten. Je schneller er die Angelegenheit in Thornwood Hall erledigte, um so eher könnte er wieder auf See sein, wo er hingehörte.

Doch käme er gekleidet wie des Königs Stutzer auf dem Gut an, keiner der Einheimischen brächte ihm genug Vertrauen entgegen, um ihm das zu erzählen, was er über das Gut wissen musste. Um keine Gelegenheit zu verpassen, stieg er vom Pferd und schritt vorwärts, den im Unkraut halb versteckten Kleidungsstücken entgegen. Ein tiefes, leidenschaftliches Stöhnen klang ihm von den Holundersträuchern entgegen. Nick lachte stillvergnügt in sich hinein, als er sah, wie die mondähnlichen Blüten bebten und die Büsche in einem wohlbekannten, uralten Rhythmus raschelten.

Nick griff sich des Mannes Hosen und das Hemd, um die Größe des Eigentümers mit seiner eigenen zu vergleichen. Erfreulicherweise war der Mann so groß, wie er laut war. Rasch löste Nick die Bänder vom Kragen und den Ärmeln. Und im Nu hatte er sein mit Spitzen besetztes Seidenhemd, die grünlich blaue Samthose und sein Wams abgelegt und sie ins Gras neben die anderen Kleidungsstücke geworfen.

Bevor das Stöhnen und die Bewegungen der Liebenden aufhörte, war Nick in die Kleidung des Mannes geschlüpft und wieder auf sein Pferd gestiegen. Er warf seinen breitkrempigen Hut – das letzte Beweisstück seiner höfischen Kleidung –, von sich und sah ihm nach, wie er durch die Luft dahinsegelte und auf den verstreuten Kleidungsstücken landete. Mit dem Gefühl neu gewonnener Freiheit galoppierte er die Straße hinunter nach Thornwood Hall.

Prunkvolle Kleidung bedeutete ihm nichts. Er bevorzugte vielmehr seine Marineuniform, bis er indes wieder an das Steuer seines neuen Schiffes zurückkehren konnte, wollte er sich doch an Luxus erfreuen. Sein neues Schiff! Finn war es gelungen, mithilfe der Geliebten des Königs eine Geldanleihe für das neue Schiff zu erlangen und Thornwood Hall als Sicherheit zu verpfänden. Alles, was Nick nun brauchte, war ein Käufer für das Gut, um dem Geldverleiher das Darlehen zurückzuzahlen.

Er hatte sich selbst einen neuen Kurs gesetzt, um herauszufinden, was auf dem Gut nicht in Ordnung war. Dann wollte er die verdammten Ländereien verkaufen und das Geld zurückzahlen. Das Schiff wäre bis dahin fertig, er könnte zurückkehren in den Krieg, und der König wäre nicht schlauer als zuvor.

Wenig später fand Nick, dass die Straße immer mehr wie eine abgenutzte Schafweide aussah. Die wuchernden Hecken standen so dicht, dass es kaum ein Durchkommen gab. Durch die wenigen Öffnungen erspähte er brachliegendes Land. Dürre Kornhalme kämpften mit dem Unkraut um den Platz an der Sonne. In der Ferne schüttelten Pächter schlampig Heubündel aus, die mit Wildblumen übersät waren.

Er starrte mit Entsetzen und zunehmender Verärgerung auf den Besitz. Offensichtlich hatte man Thornwood Hall nach dem Tod des Generals völlig vernachlässigt. Wie sonst sollte man sich solch einen Haufen Unkraut und Ungeziefer erklären? Anscheinend hatte der König nichts davon gewusst, sonst hätte er ihm nicht dieses Dornengestrüpp als Belohnung für seine Tapferkeit geschenkt.

Eine Reihe lauter Flüche unterbrach seine Gedanken. Ohne durch das Dickicht des Dornengestrüpps etwas zu sehen, stieg er vom Pferd und kroch zur Hecke. Er versuchte, ein Loch in den Zaun zu stoßen, aber die starken Dornen von Zaunrosen bohrten sich in seine Hände. Mit einem Brummen riss er sich los.

„Verdammt!“, schimpfte er. Nick erinnerte sich an sein Teleskop, zog es auseinander und schob es wie ein Schwert durch die Hecke.

Er blickte durch die Linse. Auf der Wiese stand ein großer Mann mit einer Peitsche. Sein Hemd war mit Schweißflecken übersät, und er schlug auf einen schwarzen Bullen ein. Der Mann riss an dem Strick, der am Nasenring des Tieres befestigt war, und stieß Verwünschungen aus, die selbst die Mannschaft der „Hesper“ hätten erröten lassen. Der Bulle schnaubte und scharrte mit den Hufen. Erneut schlug der Mann auf das Tier ein.

Ein Reiter näherte sich in rasendem Galopp. Die Hufe des Pferdes schleuderten Erdklumpen über die Wiese.

Ja, der Reiter war eine Frau. Nicks Finger umklammerten das Fernrohr fester. Wie ebenholzfarbene Bänder wehte das Haar, als sie ihrem Ziel immer näherkam, wie eine Harpyie in Vergils „Aeneis“. Sie hielt ihr Pferd an und glitt in einer anmutigen Bewegung aus dem Sattel.

Das Mädchen stürmte auf den Tierquäler los, der blaue Rock wogte hinter ihr. Sie entwand seiner Faust die Peitsche und zog sie ihm über den Rücken.

Verdammt, dachte Nick, wenn der Mann zurückschlagen würde! Wie konnte er durch dieses verdammte Dickicht der Hecken kommen, um dem tapferen Mädchen rechtzeitig zu Hilfe zu eilen? Doch anstatt sich zu wehren, duckte sich der Schinder wie ein Knabe.

Zufrieden warf sie die Rute zu Boden und wandte sich dem Tier zu. Nick blinzelte. Zum ersten Mal betrachtete er den monströsen Bullen genauer. Seine langen Hörner hatten die breite Krempe eines Hutes durchbohrt, der nun auf seinem Kopf saß. Der Hut eines Kavaliers, bei Gott! Eine große rote Feder hing an seinem Band.

Was, zur Hölle, machte sie jetzt? Wie gebannt beobachtete Nick, wie das Mädchen sanft das Kinn des Bullen streichelte. Dann begann sie zu singen. Oder hörte er einen Engel? Hohe, liebliche Töne wurden wie Harfenklänge vom Sommerwind davongetragen.

Der König hatte ihm gesagt, dass General Forester an die Achtzig gewesen sei, als er starb. Nun bewirtschaftete seine Witwe mithilfe seines als Bastard geborenen Sohns das Gut. Vielleicht war das Mädchen mit der sirenenhaften Stimme die Enkelin des alten Mannes.

Dann fiel der Bulle in einen Trott. Das Mädchen hielt den Strick und lief nebenher, so als wären sie eins. Der Mann schritt neben den beiden einher. Letztendlich überließ sie aber die Führung wieder ihm, indem sie ihm das Seil zuwarf. Stolz trug sie den Kopf hoch, als sie ihr Pferd bestieg und ihnen kurz darauf aus der Ferne nachblickte.

Der Bulle behielt die Gangart bei. Die rote Feder wippte vergnügt bei jedem schwerfälligen Schritt, den das Tier tat. Die Arme und Beine des Mannes gingen wie Windmühlenflügel hin und her, rauf und runter, während er sich bemühte, mit dem Tier Schritt zu halten. Nick konnte nicht anders, er musste lachen.

Er richtete sein Fernrohr wieder auf das erstaunliche Mädchen. Frau, verbesserte er sich. Durch das Teleskop beobachtete er, wie sich ihre Brüste hoben und senkten, während sie munter lachte. Ihr liebliches Gesicht hatte sich durch das Vergnügen gerötet, als sie zusah, wie der Mann und das Tier dahintrabten.

Sie war nicht viel älter als zwanzig Jahre. Ihrer Kleidung nach zu urteilen, war sie eine Dienstbotin, ihrem Verhalten nach indes eine Königin. Erst als sie wendete und in die andere Richtung ritt, merkte Nick, dass er sie länger angestarrt hatte als notwendig. Wenig später setzte er seinen Ritt fort, von Zeit zu Zeit beugte er den Kopf, um nicht von den tief hängenden Ästen gestreift zu werden. Der Pfad war mit Unkraut überwuchert.

Vor ihm stand ein dreigeschossiges Steinungeheuer von einem Haus im Tudorstil. Kniehohes Gras wucherte um den Eingang. Fensterläden hingen schief vor den meisten Fenstern. Nick schüttelte den Kopf und fluchte.

Verärgerung stieg in ihm hoch. Nick verdammte den König dafür, dass er dachte, Thornwood Manor könne wieder zu dem ertragreichen Anwesen werden, das es unter Cromwell einst gewesen war. Nicht einmal ein Zauberer würde diesen Haufen Steine wieder in ein gewinnbringendes Unternehmen verwandeln können.

Nick fluchte vor sich hin. Es gab keine Entschuldigung dafür, Gebäude so zu vernachlässigen. Er hatte immer darauf geachtet, ein sauberes Schiff zu führen. Kein Wunder, dass dieses Gut Jahr um Jahr weniger Geld abgeworfen hatte. Der König hätte besser keinen Gedanken mehr daran verschwendet, Steuergelder aus diesem Schmutzhaufen zu beziehen.

Thornwood Hall. Wenn er sich an die grässlichen Hecken erinnerte, wurde ihm klar, dass, wer immer dem Anwesen den Namen gegeben hatte, mit viel Humor gesegnet gewesen sein musste.

„Komm, Rex, lass uns einen grasreichen Platz am Flussufer finden, wo ich dich bis zum Einbruch der Dunkelheit verstecken kann.“ Das Pferd nickte wie zur Antwort.

Gähnend erinnerte sich Nick, dass er letzte Nacht in den „Sieben Schwänen“ so gut wie nicht geschlafen hatte. Die Lieder der grölenden Betrunkenen, die aus der Wirtsstube drangen, hätten sogar den Teufel in der Hölle geweckt. Sein Blick fiel auf ein schmales steinernes Nebengebäude, das mit der Scheune verbunden war. Der ideale Platz, um ein wenig Schlaf nachzuholen und die müden Glieder auszuruhen, bevor er begann, sein Land zu erkunden.

Nick stieg ab. Seine Gedanken kehrten zurück zu der schwarzhaarigen Schönheit, die den Mann, der den Bullen geschlagen hatte, zur Rede gestellt hatte.

Warum hat der König sie nicht erwähnt? dachte er.

Noch immer erhitzt von ihrem Ritt über die Wiesen, warf Becky einen schnellen Blick auf die Anpflanzung, um ihre Aufmerksamkeit ihren Lieblingsblumen zu widmen. Bienen summten inmitten des blauen Rittersporns vor dem offenen Fenster des Heuschobers. Die aufgeworfene Erde wartete auf die Samen der Zitronensträucher, Lavendel und Huflattich, die sie jetzt pflanzen wollte.

Warum vergeudete sie ihre Zeit mit der Saat von Pflanzen? Sie und ihre Schwester und Brüder würden nicht mehr auf Thornwood Hall sein, um ihr Erblühen zu sehen. Entschlossen schob sie ihren Ärger über den Verlust, der sie zu erfassen drohte, beiseite. Die summenden Bienen zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich, als diese dicht an den Blüten entlangflogen. Sie hatte keine Zeit, sie an Gedanken wie diese zu verschwenden. Sie hatte Arbeit zu tun.

„Ha-ha-ha-a tschii!“

Erschrocken fuhr Becky herum. Ihr Korb rutschte von ihrem Schoß und verstreute die Samen über den Boden. Verflixt und Zugenäht! Wer war da in den Heuballen? Sie griff nach dem Degen ihres Ehemannes, den sie immer in ihrer Nähe hatte, und stand auf.

Becky lehnte sich durch das offene Fenster und blickte in die Scheune. Sie versuchte, ihre Augen zu bedecken, um in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Doch alles, was sie erblicken konnte, war ihr eigener Schatten, der eine breite Silhouette auf das auf dem Scheunenboden ausgebreitete Heu warf. Einige Fuß entfernt stand ein großer Heuwagen, aus dem durch die Holzlatten die ledernen Stiefel eines Mannes heraussahen.

Hier also hat sich der faule Kerl versteckt, dachte Becky und erinnerte sich, dass sich Mollys Sohn an diesem Morgen zu seiner ersten ehrlichen Arbeit bei ihr melden sollte, seit er zurückgekehrt war.

Becky stürmte mit gezogenem Degen in die Scheune. „Heb deinen faulen Hintern aus dem Wagen, oder ich durchbohre dich!“ Sie stach mit der Degenspitze ein Zoll höher in das Stroh, wo die staubigen Lederstiefel herausragten. Goldfarbene Spreu flog durch die Luft.

„Was, zum …“ Der Mann im Heuwagen sprang auf und zog seine Beine hoch wie eine Marionette im Puppentheater. „Vorsicht mit dem Degen. Ihr könntet sonst jemanden verletzen …“

„Ja, das werde ich, und das ist ein Versprechen, Ben Twaddle. Nun sofort herunter von dem Wagen und zeig dich. Auf die Beine. Ich will sehen, was für ein schlechtes Geschäft ich diesmal gemacht habe.“

Doch anstatt ihr zu gehorchen, sah der Mann sie mit seinen grauen Augen scharf an. Sie zögerte einen Moment, als sein Blick sie von oben bis unten maß.

Im Dämmerlicht der Scheune wirkte er älter, als sie dachte, dass Ben sein müsste. Sie war damals kaum sechs Jahre alt gewesen, als der neunjährige Ben von zu Hause weggelaufen war. Er hatte die Mutter verlassen, die alle Kinder allein aufziehen musste, da der Vater, ein Dieb, ins Gefängnis gesteckt wurde.

Aufmerksam betrachtete sie ihn. Er sah mehr nach fünfunddreißig aus als nach den siebenundzwanzig, die er sein sollte. Sie rümpfte die Nase. Die Jahre auf der Straße hatten ihn altern lassen, ohne Zweifel.

Bisher hatte sie es nicht wahrgenommen, dass Ben so … Becky blickte auf das schwarze, zerzauste Haar, das kräftige Kinn und die hohen Wangenknochen. Die geschwungenen schwarzen Augenbrauen in seinem sonnengebräunten Gesicht. Sie hielt inne und schüttelte sich innerlich. Sonnengebräunt vom Liegen im Unkraut mit den Schankmädchen aus der Taverne der Sieben Schwäne, ohne Zweifel. Sicher nicht vom Heumähen oder vom Steckrübenjäten, der mühseligen Arbeit eines ernsthaften Mannes.

Mollys lästiger Sohn hatte weder das weiche Kinn seines Vaters noch die niedere Stirn. Nein, dieser Gimpel war recht ansehnlich. Selbstsicher, zu sicher, war dieser totale Dummkopf. Kein Wunder, dass Molly erschrocken war, als er letzte Woche plötzlich auf ihrer Schwelle auftauchte.

„Auf, auf, hab’ ich gesagt.“ Becky schwang den Degen in einer drohenden Geste. „Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, Ben Twaddle.“

„Wer, zur Hölle, seid Ihr?“

Becky verstummte. Molly hatte ihr zwar gesagt, dass ihr Sohn faul und verschlagen sei. Ein Mann, der alles tue, um ein anständiges Tagewerk nicht verrichten zu müssen. Doch Molly hatte nichts davon gesagt, dass Ben dumm sei.

„Erinnerst du dich nicht an das magere Mädchen mit dem Zopf, dessen zahmes Ferkel du gestohlen hast, um es auf dem Markt zu verkaufen?“ Sie kniff die Augen zusammen. „Die Jahre haben uns verändert, Twaddle. Heute bin ich die Herrin von Thornwood Hall, und du bist noch immer dasselbe wertlose Gerippe, das vor all den vielen Jahren mit meinem Ferkel auf und davon lief.“ Becky blies sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. „Bestimmt hat dir deine Mutter erzählt, dass ich General Forester geheiratet habe, Gott gebe seiner Seele Frieden. Ich bin deine neue Arbeitgeberin“, antwortete sie, und überlegte, welche kunstvollen Tricks er bei ihr wohl anwenden würde. Sie sah, wie sich auf seinem Gesicht Überraschung ausbreitete.

Für wie dumm wollte er sie verkaufen? Erneut stieß sie ins Stroh, dort, wo sie dachte, dass seine Hüften sein könnten.

„Autsch, du kleiner …“ Er funkelte sie an, während er sich mit der linken Hand die Hüfte rieb.

Sie konnte das überlegene Gefühl der Zufriedenheit nicht verbergen, als sie erneut nach ihm stach. „Dieser kleine Stoß soll dein Denkvermögen schärfen, Twaddle. Erinnerst du dich nun, dass du deiner Mutter versprochen hast, ihren Pachtzins bei mir abzuarbeiten?“

Die grauen Augen blickten eiskalt, und für einen Moment fürchtete sie, er könnte gefährlich werden.

„Du bist eine scharfe, kleine Katze. Wenn du nicht den Degen runternimmst, wirst du das verdammt bald bereuen, das sag’ ich dir.“ Er schwang sich über die gekreuzten Querstangen des Wagens und sah sie von oben herab an.

Becky konnte nur gaffen. Das war nichts anderes als Lästerung. In den sieben Jahren seit dem Tod ihres Mannes war sie niemals respektlos behandelt worden, weder von einem der Dienstboten, die meist Verwandte waren, noch von den Pächtern, die sie als ihre Familie betrachtete.

„Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen!“ Sie funkelte diesen Riesen an, der wahrscheinlich noch nie in seinem Leben durch ehrliche, harte Arbeit in Schweiß ausgebrochen war. Becky kochte vor Wut. „Es wird mir ein Vergnügen sein, dir ein bisschen Schwung beizubringen, du Nichtsnutz.“

Der Mann kletterte vom Wagen herunter und sah sie weiter starr an. Sie warf einen flüchtigen Blick auf das wohlbekannte Hemd mit den Holzknöpfen. Sie erinnerte sich, wie Molly sie bei einem ihrer Besuche angenäht hatte. Die Hose und das Hemd hatten Bens Vater gehört. Ben war größer als sein Vater und besser gebaut. Seine muskulöse Arme sprengten beinahe die Nähte.

Er humpelte zu ihr und blieb einige Fuß von ihr entfernt stehen.

Sie betrachtete ihn und schniefte verächtlich. „Du willst mich mit einem Trick hereinlegen, wie? So tun, als wäre dein Bein verletzt.“ Sie straffte die Schultern, nachdem sie sich entschlossen hatte, ihm eine Lektion zu erteilen.

„Ich werde dich lehren, Respekt vor deiner Herrin zu haben, Ben Twaddle“, sagte sie, fühlte sich aber plötzlich unsicher bei ihren Worten.

Er zog die schwarzen Brauen zusammen und blickte finster auf sie herab. „Was für eine Närrin bist du, Frau?“

Verärgert über seinen unverschämten Mangel an Respekt, umschloss Becky das Heft des Degens und wirbelte die Klinge blitzschnell herum. Eine schwarze Locke segelte auf den Scheunenboden.

„Wer ist der Narr?“ Sie musste lächeln, als sie das offene Entsetzen in seinem Gesicht sah.

Er beugte sich über sie, die Hände in die Hüften gestützt. „Runter mit dem Degen. Sofort, oder ich werde …“

Becky machte einen Ausfall. Er bemerkte ihr Vorhaben und sprang schnell zur Seite, die Spitze der Klinge verfehlte nur um einige Zoll seinen Ärmelansatz.

Er fasste sich an die Schulter, in seinem Gesicht spiegelte sich Überraschung wider.

Becky lachte. „Welch ein Jammer, dass dich die Dirnen aus den ‚Sieben Schwänen‘ jetzt nicht sehen können, Twaddle.“ Die Klinge sauste durch die Luft, als sie sprach.

In seinen Augen lag ein warnender Ausdruck, als sich ihre Blicke trafen.

„Oh Twaddle“, rief sie, „ich sehe, dass du die Hose wechseln musst.“ Die Degenspitze wirbelte herum und traf die Schnürbänder seitlich an den Knien an. Blitzschnell sprang er zur Seite, doch nicht schnell genug. Die Bänder unterhalb seines Knies gaben nach, der Strumpf verschwand in der weiten Öffnung seines Stiefels und entblößte einige Zoll behaartes Bein.

Sie kicherte. „Vielleicht erinnerst du dich jetzt, wer ich bin?“

Seine Augen funkelten gefährlich.

„Es tut mir leid, wenn ich zu viel von der einen Seite deines Haares genommen habe“, sagte sie, unfähig, dabei ernst zu bleiben. „Lass mich auch die andere Seite für dich zurechtmachen.“ Ihr Lachen wurde lauter.

„Du solltest besser nachdenken, Weib, bevor du es mit einem unbewaffneten Mann aufnimmst.“ Die kalte Drohung in seiner Stimme ließ sie innehalten. Er griff nach hinten und zog einen leichten Säbel aus dem Heuwagen. Er machte eine Bewegung, so schnell, dass nur der Lufthauch, der ihren Ausschnitt streifte, sie warnte. Der gebogene Stahl durchtrennte die blauen Bänder ihres Mieders und ließ ihr Kleid von den Schultern gleiten.

Seinen Mund umspielte ein höhnisches Lächeln.

Becky konnte es nicht fassen, als die Klinge ein zweites Mal durch die Luft sauste. Blitzschnell fuhr sie erneut auf sie zu. Diesmal durchtrennte sie die zarten Bänder, die das Unterhemd festhielten. Der weiche Musselin glitt von ihren Schultern und die Arme hinab. Sie versuchte, den Stoff zu fassen, um ihre Blößen zu bedecken.

„Wie kannst du es wagen!“ Erst als sie den Aufprall des Degens auf dem Boden vernahm, wurde ihr bewusst, dass sie die Waffe fallen gelassen hatte.

„Du wirst doch nicht schon aufgeben?“ Er lächelte, während seine Säbelspitze spielerisch über den Saum ihres Rockes glitt. „Ich beginne Gefallen an deinem kleinen Spiel zu finden.“

„Du … du …“ Becky schäumte vor Wut, als sie sah, wie sich seine Erheiterung steigerte, je mehr sie sich gedemütigt fühlte. „Deine Mutter hat dich noch gelobt, wenn sie dich einen faulen …“

„… Nichtsnutz nannte?“, beendete er ihren Satz und zog eine Augenbraue hoch.

„Genau.“

„Ich bin noch viel schlechter, möchte ich wetten. Gibst du auf?“

„Niemals!“ Becky erfasste den losen, zusammengerafften Stoff, mit dem sie ihre Brüste bedeckte, dabei wirbelte sie herum und ergriff mit ihrer rechten Hand den Degen, wobei sie ihm den nackten Rücken zuwenden musste.

„Was für ein interessantes Muttermal Ihr habt, Mistress.“

Sie ignorierte seine Worte. Ihre rechte Hand umschloss das Heft des Degens, und sie machte einen Ausfall gegen ihn. Er indes parierte so schnell, dass sie nicht einmal seine Klinge sah. Nur ein Rascheln unterhalb des rechten Armes machte sie darauf aufmerksam, dass ihr Überrock zu Boden fiel.

„Wie?“ Fassungslos starrte sie ihn an.

„Hat dir schon jemand gesagt, dass das Muttermal auf deinem Rücken wie ein goldener Schmetterling aussieht?“

„Ich lasse dich kahl scheren für deine freche Zunge!“ Becky griff erneut an, aber er wich ihr im richtigen Augenblick aus.

„Ich glaube, ich werde den roten Unterrock zuerst entfernen oder vielleicht den weißen …“ Sie erstarrte in Grauen, als sie sah, wie er mit seinem Degen ihre Röcke hob und die Säume ihrer Unterwäsche betrachtete. „Oder soll ich lieber mit einem Schlag alle auf einmal …“

Sie sprang zurück, um aus der Reichweite seines Degens zu kommen. „Ich will dich eitlen Burschen an einen Zaun gebunden sehen, und deine Mutter und ich werde zuschauen, wie …“

„Mutter?“ Er hob fragend eine Augenbraue, als er sich ihr bis auf einen Fuß näherte und sie langsam abschätzte. „Was wird sie denken, wenn ich ihr das Muttermal an deinem reizenden Rücken beschreibe?“ Er grinste hämisch. „Ein goldener Schmetterling, das werde ich ihr erzählen.“

„Wenn du irgendjemandem von meinem Muttermal erzählst, dann sage ich …, du wolltest mich missbrauchen …“

„Aber, aber, aber. Ich bin sicher, du weißt, was Mutter oder die anderen denken würden?“ Er schob seinen Säbel zurück in die Scheide an seiner Seite.

Becky kniff die Augen zusammen und zog die losen Kleider enger an sich. „Was meinst du damit?“

„Wenn mein Ruf so unehrenhaft ist, schöne Dame, habt Ihr dann nicht zu befürchten, dass meine Mutter glauben wird, Ihr wäret meinem Charme erlegen?“

„Das ist verrückt! Molly würde niemals so etwas denken.“

„Wie sollte man sonst meine Kenntnis von deinem Muttermal erklären?“ Der Blick seiner unverschämt dreinblickenden Augen traf den ihren.

Becky fühlte, wie sie tief errötete. Sie trat zurück, doch sie wurde von der schrecklichen Tatsache getroffen, dass das, was er sagte, wahr war. Ein verdammter Schlaukopf, dieser Ben Twaddle. Genau die Sorte, die Frauen um alles brachte. Und die meisten Frauen würden sogar noch erpicht darauf sein wegen seines hübschen Gesichtes.

Selbst wenn sie unschuldig war, ihr Ruf wäre ruiniert, wenn auch nur der leiseste Hauch eines Skandals den Namen Forester berührte. Sinclair würde niemals erlauben, dass sie für ihn Thornwood Hall weiterführte.

Sir Nicholas Sinclair. Nein, sie wollte an diese Kreatur nicht denken. Ein empörender Schurke war genug zurzeit.

Becky holte tief Luft. „Ich habe Molly mein Wort gegeben, dass ich dein Rückgrat stärken werde mit aufrechter Arbeit, und ich werde dieses Versprechen halten, Twaddle. Ohne Rücksicht. Diesmal wird es dir nicht gelingen, auch nicht mit den frechsten Tricks, dich vor der Arbeit zu drücken.“ Sie blickte ihn finster an. Ungeachtet ihrer Worte, würde nichts ihr mehr Befriedigung verschaffen, als diesen Hund wegzuschicken.

Er antwortete mit einem amüsierten Lächeln. „Frech, verehrte Dame? Es ist nicht frech für einen Mann, wenn er sich selbst verteidigt. Immerhin habt Ihr mich angegriffen. Einen unbewaffneten Mann. Es war nur Verteidigung meiner eigenen … Tugendhaftigkeit.“

„Deiner Tugendhaftigkeit?“ Sie lachte. „Twaddle, du gibst wohl nie auf, oder? Selbst wenn du verrücktspielst, wirst du diesen Job nicht verlieren. Nichts, was du tust, wird mich daran hindern, das Versprechen an deine Mutter zu halten!“

Er trat einen Schritt näher.

Sie würde diesen Ausdruck aus seinem Gesicht wischen, bevor der Monat vorbei war. Verächtlich rümpfte sie die Nase, als sie ihren Rock vom heubedeckten Boden aufhob. Sie schüttelte ihn aus, dann funkelte sie Twaddle über die Schulter an.

„Du kannst damit beginnen, dass du dir die Mistgabel nimmst und die Boxen in den Ställen ausmistest. Geer kommt später vorbei, um zu sehen, ob du fertig bist. Nur dann wird er dir dein Abendbrot geben.“

In einem Versuch, Würde zu zeigen, hob Becky das Kinn und strebte dem Tor zu, ohne ihn anzusehen, doch mit drei langen Schritten war er neben ihr und versperrte den Ausgang mit seinem Arm. „Und was ist, wenn ich nicht will?“

„Was du willst, hat damit nichts zu tun, Twaddle.“ Sie ging an ihm vorbei, doch er ergriff ihren Arm.

„Na gut, ich werde die Aufgaben erledigen, zuerst haben wir jedoch noch eine Kleinigkeit zu regeln.“

Becky dachte daran davonzulaufen, sie wusste indes, was er wollte. Er war es gewöhnt, Frauen auf seine Art zu behandeln. Auf keinen Fall wollte sie zeigen, dass sie sich durch seine Männlichkeit und sein gutes Aussehen beeindruckt fühlte. Sie zwang sich, ihn anzusehen.

Dichte schwarze Wimpern umrahmten seine silbergrauen Augen. Sie erinnerten sie an das Silber des Aprilregens am Fluss, wenn dieser die Jagdgründe überschwemmte. Seine schwarzen Haare fielen in sanften Locken herab und berührten seine Schultern. Sie blinzelte. „Was haben wir in Ordnung zu bringen, Twaddle?“

Er hielt sie eng an sich gepresst, und sie wunderte sich, warum sie sich nicht losmachte. Was hatte er vor? „Du hast gesagt, ich sei frech.“ Sein Blick fiel auf ihre Lippen, und ihr Magen verkrampfte sich. „Das ist frech …“

Sein Mund berührte den ihren in solch einer Schnelligkeit, dass sie nur nach Luft schnappen konnte. Sie zitterte, als sich der Kuss vertiefte, umfasste den Stoff vor ihrer Brust, und ihr Herz schlug doppelt schnell. Seine Arme fingen sie, und sie selbst fühlte sich hilflos in einen Strudel erregender Gefühle gezogen.

Als er seinen Mund von dem ihren löste, kehrte ihr Bewusstsein zurück. „Wie kannst du es wagen …“ Becky erholte sich schnell. Sie wollte das freche Grinsen aus seinem Gesicht schlagen, doch sie brauchte ihre Hände, ihre Kleidung zu raffen. Unterdrückter Ärger durchfuhr sie, als sie an die Überheblichkeit dieses Mannes und ihre eigene Reaktion dachte.

Sie stieß das Scheunentor auf. „Raus“, schrie sie. „Verschwinde von meinem Land, und lass dich hier niemals wieder blicken!“

Er warf den Kopf zurück und lachte. „Nun gut, mein kleiner Schmetterling, ich gehe. Aber ich nehme den Gedanken an deinen süßen Kuss mit mir, als wärmende Erinnerung für mein Herz.“

„Raus! Verschwinde!“

Er verbeugte sich geziert, dann schritt er auf den von Sonnenlicht beschienen Hof, und sein helles Lachen erfüllte die Luft.

Wie sollte sie Molly erklären, dass sich ihr Sohn vor der ersten ehrlichen Arbeit hatte drücken können, die ihm jemals geboten worden war?

Außerdem, wenn Twaddle nicht das Geld abarbeitete, das Molly schuldig war, wie sollte die arme Frau ihre Pacht bezahlen?

Sie legte die Fingerspitzen an ihre Lippen, auf denen sie immer noch seinen warmen Mund spürte, und merkte, wie sie errötete.

Ben Twaddle war eine weitere Plage von Thornwood Hall, und es gab schon mehr als genug Gauner. Da bestand keine Möglichkeit, diesen Lumpen auf dem Gut zu behalten. Ein Mann wie er war gefährlich.

Hoffentlich fand sie einen Weg, Molly alles zu erklären.

Nick lächelte immer noch, als er seinem Pferd, das er in einem abgelegenen Tal angepflockt hatte, einen Eimer mit Wasser aus dem Fluss brachte. Becky Forester war nicht die alte, runzelige Frau, die er sich vorgestellt hatte. Sie war zweifellos schön, mit den strahlenden blauvioletten Augen und der dichten Mähne des seidig schimmernden, ebenholzfarbenen Haares.

Er wunderte sich, warum sie nicht wieder geheiratet hatte. Die lebhafte Witwe hatte es gewiss aufgegeben, Gewinn aus dem überwucherten, von Samenkäfern geplagten Schutthaufen Thornwood Hall zu schlagen. Der König hatte gesagt, das Gut habe seit Jahren keinen Gewinn mehr gebracht, und die Witwe Forester habe in Ermangelung einer guten Ernte nur geringe Steuern bezahlt.

Nick kratzte seinen zerzausten Bart. Seltsam. Das Heu in dem Wagen, wo er sich ausgeruht hatte, war frisch. Die Bäume in den Obstgärten, abseits des Weges, hingen voll mit grünen Früchten. Die Kühe auf dem hinteren Weideland hatten volle Euter und warteten darauf, von den Mägden gemolken zu werden. Die Felder zur Straße hin jedoch lagen vernachlässigt oder trugen nichts als verkümmertes Getreide.

Nick wickelte ein Stück Käse aus, das er aus einem Sack, der an seinem Sattel hing, genommen hatte. Becky Forester erwartete ihn nicht eher als in vierzehn Tagen. Vielleicht hätte er die Arbeit, die sie ihm angeboten, oder vielmehr angeordnet hatte, doch annehmen sollen. Seine Lippen verzogen sich zu einem kecken Lächeln bei der Erinnerung daran. Der Posten hätte ihm die Gelegenheit geben können, die Antwort auf seine Fragen zu finden.

Er lächelte wieder, und ihm fiel auf, dass er lange Zeit nicht mehr so oft gelächelt hatte wie heute.

2. KAPITEL

Der angenehme Duft von frisch gebackenem Brot und Brombeertörtchen, die Becky Molly Twaddle gebracht hatte, trugen wenig dazu bei, die gegenwärtige Schwermut aus dem kleinen Haus zu verbannen. Die alte Frau saß nahe am Feuer, ihre schmalen Schultern waren in einen dicken Wollschal gehüllt, und sie wimmerte leise vor sich hin.

„Molly, versuche mich doch zu verstehen …“ Die Stimme Beckys versagte, in ihrer Verzweiflung verschränkte sie die Hände ineinander und ging in der Stube auf und ab.

Molly wischte ihre Wangen mit dem Rand ihrer Schürze, dann warf sie einen Blick zu Becky, der ausdrücken sollte, dass es Becky war, die nicht verstand. „Vielleicht wenn du Ben nochmals fragtest, ob er für dich arbeiten würde. Gib ihm eine Woche, um dir zu zeigen, was er tun kann.“ In ihrem sanften Gesicht lag der Ausdruck von Hoffnung, die alle Mütter für ihre ungeratenen Sprösslinge haben.

Becky seufzte. Sie hätte Molly erzählen sollen, was mit Ben am Vortag vorgefallen war. Indes, würde sie ihr glauben, dass ihr wilder Sohn mit zwei Streichen seiner Waffe beinahe alle Kleider von Beckys Körper gerissen und sie dann auch noch schamlos geküsst hatte?

Vielleicht, für den Augenblick jedoch zog sie es vor, den Vorfall für sich zu behalten. Ihre Kehle wurde trocken, als sie sich an seine Selbstsicherheit erinnerte und an das Gefühl, das sie empfand, als er sie in den Armen hielt. War es der Mann, der sie mit solchem Ärger erfüllte, oder war es ihre unsinnige Reaktion auf sein Benehmen?

„Wir können Ben nicht zwingen zu tun, was er nicht tun möchte.“ Becky schluckte und gewann ihre Fassung zurück. „Es wäre vielleicht das Beste, er kehrte dahin zurück, wo er hergekommen ist, und er käme niemals mehr wieder.“

Mollys neuerlicher Tränenausbruch ließ in Becky ein heftiges Schuldgefühl aufkommen. Sie kniete sich neben dem Sessel der alten Frau nieder und wischte eine Träne von Mollys geröteter Wange. Wie gern würde sie Molly sagen, dass ihr Sohn sie wahrscheinlich ohne Skrupel ausrauben und mit dem Gesetz in Konflikt kommen würde, wie es schon sein Vater getan hatte. Doch sie verkniff sich diese Worte. Nur Loyalität hielt eine Familie zusammen.

„Ich weiß, wie du dich fühlst“, sagte Becky stattdessen. „Doch es ist …“

„Nein, du kannst nicht wissen, wie ich mich fühle.“ Mollys Lippen zitterten, ihre Stimme jedoch blieb fest. „Weil du nichts weißt von Nelda.“

Becky kam wieder auf die Beine. „Nelda?“

„Ja, Nelda.“ Molly hob ihren mit einer weißen Haube bedeckten Kopf, in ihren blauen Augen schimmerten Tränen. „Ich habe mich geschämt, es dir zu sagen, aber nun sehe ich, dass es sein muss. Ben war nicht allein, als er letzte Woche nach Hause kam, Becky. Mein Sohn hatte ein Mädchen bei sich. Nelda. Sie erwartet sein Kind.“ Ein tränenreiches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Mein erstes Enkelkind.“

Beckys Verständnis mischte sich mit Abscheu. Sie dachte an den Kuss, und Zorn stieg in ihr hoch. Mit dem Handrücken strich sie sich über den Mund. Doch sie zügelte ihren Ärger. „Wo ist Nelda jetzt?“, fragte sie.

„Nebenan bei meiner Schwester Clara. Ich hatte keinen Platz für sie, und … Bitte, Becky. Diesmal frage ich nicht. Ich bitte dich, dass du Ben Arbeit gibst.“

Becky spürte, wie ihr die Kehle eng wurde.

„Wenn du ihm nicht hilfst, wird Ben zum Dieb. Und wenn der Sheriff ihn erwischt, was wird dann aus Nelda und dem Kind?“

Becky betrachtete liebevoll die alte Frau, und ihr Herz schmolz förmlich dahin. Ungeachtet dessen hatte sie keine andere Wahl. Die Pächter wussten, es war ihre Aufgabe, sich um sie und ihre Familien zu kümmern. „Nun gut, Molly. Wenn Ben nach Hause kommt, sag ihm, er soll Geer aufsuchen und auf den Steckrübenfeldern jäten.“ Zumindest konnte sie so den Gauner in sicherer Entfernung von Weiberröcken halten. Außerdem, wer weiß, was alles noch passieren konnte, wenn der neue Besitzer von Thornwood Hall in zwei Wochen ankäme. Sie alle könnten dann auf der Straße sitzen.

Die alte Frau strahlte. „Danke, Mistress Becky. Du hast das Versprechen an deine Mutter und deinen Vater nicht vergessen. Wie stolz wären sie jetzt, wenn sie sehen könnten, wie du dich um uns kümmerst.“

Die Erwähnung ihrer Eltern brachte Becky die vertraute Traurigkeit zurück. Es war nun fast ein Jahr, seit sie von der Pest dahingerafft wurden, zusammen mit ihrer älteren Schwester Betty. „Selbstverständlich behüte ich meine Pächter. Ihr seid meine Familie. Ich werde niemals vergessen, dass ich eines Pächters Tochter bin.“

„Dass wir dir so viele Sorgen machen, wenn du dein Herz voll mit deinem eigenen Kummer hast.“ Molly schob eine graue Strähne ihres Haares zurück unter die weiße Haube, ihr Ausdruck wurde ernst. „Was wirst du machen, wenn dieser Sir kommt, um seinen Besitz zu übernehmen?“

„Es ist nicht sein Besitztum, Molly. Sir Nicholas Sinclair wurde mit meinem Eigentum belohnt. In meinem Herzen wird Thornwood Hall immer mir, Peter, Baby Harry und Aphra gehören.“

„Ja, doch deine Brüder und deine Schwester werden eines Tages erwachsen sein. Du solltest wieder heiraten und eigene Kinder haben. Peter ist fast ein Mann. Aphra wird das Nest bald verlassen. Du willst doch nicht eines Tages als alte, einsame Frau enden.“

Becky streichelte sie. Wie sehr liebte sie diese treue Seele, die wie eine zweite Mutter zu ihr war seit dem Tod der Eltern. „Du wirst wohl nicht mehr lange allein sein mit deiner wachsenden Familie“, sagte sie scherzhaft und dachte dabei an das Enkelkind, das Ben sicher Molly überlassen würde.

Molly schüttelte den Kopf, sie wusste, sie sprach für eine verlorene Sache. „Du musst einen Mann heiraten, der dich versorgen kann.“

„Deswegen wollte meine Mutter, dass ich den alten General heirate. Der arme Mann starb in weniger als einem Jahr, und ich habe immer noch selbst für alles zu sorgen. Welcher Mann würde schon jemanden heiraten wie mich, mit einem kleinen Bruder und einer Schwester, die nicht sprechen kann. Er würde darauf bestehen, sie in ein Waisenhaus zu geben oder noch Schlimmeres. Ehe ist nicht die Lösung, Molly.“

Mollys Augenbrauen zogen sich zusammen. „Ich habe gehört, Willoughby kennt einen Mann, der Sinclair den Besitz abkaufen würde.“

Becky hatte von dem Gerücht ebenfalls gehört. Willoughby hatte einen sechsten Sinn für ein gutes Geschäft, er war fast so scharfsinnig wie sie. Er hatte die Flussrechte für seine Viehherde von Thornwood Hall gepachtet, doch das war keine Garantie dafür, dass er dies weiter tun würde, sobald er sich mit Sinclair angefreundet hatte. Das war indes kein Grund, Molly damit zu beunruhigen.

„Vielleicht behält Sinclair das Gut und bittet mich, es weiter für ihn zu führen“, antwortete Becky voller Zuversicht, trotz eines gewissen ängstlichen Unbehagens. Sie wagte nicht, ihren Plan zu offenbaren, jeden künftigen Kaufinteressenten zu vergraulen, auch Squire Willoughby. Nicht jetzt, auf keinen Fall.

„Du und die anderen Pächter könnt unbesorgt sein, Molly. Ich werde für alles Sorge tragen.“ Sie zog ihre Reithandschuhe über und ging auf die Haustür zu.

„Ich werde zusehen, dass deine Schwester ein eigenes Bett für Nelda hat, und bringe ihr einen Korb mit Schweinefleisch und eine extra Schüssel mit Eiern“, sagte Becky.

Mollys breites Lächeln belohnte sie dafür. „Gott schütze dich, Becky. Deine Mutter und dein Vater würden so stolz auf dich sein.“

Es gab keinen Grund, Molly mit den Tatsachen zu ängstigen. Wenn Beckys Plan fehlschlug, dann würde der neue Besitzer alle alten und kranken Pächter, die ihre Pacht nicht zahlen konnten, davonjagen. Dann blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich den herumziehenden Banden anzuschließen, die um Essen und Almosen bettelten, doch meist nur Verachtung ernteten.

Becky zwang sich zu einem Lächeln, als sie Molly zum Abschied zuwinkte, dann schritt sie zielstrebig ihrem Pferd zu, das am Zaun wartete.

Einige Minuten später ritt Becky den heckengesäumten Pfad entlang. Ihre Gedanken drehten sich um die größte Herausforderung in ihrem Leben – Sir Nicholas Sinclair. Aus welchem Grund auch immer, sie konnte die drohende Gefahr nicht aus ihrem Kopf verbannen.

Sie biss sich auf die Lippe. Man könnte sie ins Gefängnis werfen, wenn Sinclair die Wahrheit herausfinden würde. Was passierte, wenn er ihre doppelte Führung der Geschäftsbücher entdeckte? Was, wenn er herausfände, dass sie zwei verschiedene Konten führte? Das eine Hauptbuch enthielt die Aufzeichnungen über die wahren Einkünfte, das andere, aufbewahrt für den Steuereinschätzer, enthielt nur eine geringe Summe der tatsächlichen Erträge des Guts.

Doch Sinclair würde nichts finden. Die Bediensteten gehörten zur Familie, und die Kaufleute, die die Waren kauften, waren in irgendeiner Weise verwandt mit ihr. Zudem wurden sie bisher für ihre Loyalität ausgezeichnet bezahlt.

Sie war sicher. Ungeachtet dessen, hatte nicht Squire Willoughbys Frau erzählt, dass Sinclair ein Marineoffizier sei, der so schnell wie möglich zur See zurückkehren wolle, sobald seine Wunden verheilt seien? Er wollte nur so lange an Land bleiben, um Thornwood Hall selbst anzusehen und einen Käufer zu finden.

Doch er durfte keinen Käufer finden. Wer würde einen Besitz kaufen, auf dem der rächende Geist ihres verstorbenen Ehemannes Ol’ Winky sein Unwesen trieb? Die Ernten würden verkümmern, Kühe auf den Weiden zusammenbrechen, alle Arten von Unglück folgen. So sollte man herumerzählen.

Schon der Gedanke an den Plan, den Geist ihres verstorbenen Ehemannes wiederkehren zu lassen, hob ihre Stimmung. Nur heute gelang es nicht. Sie musste an den Ort, wo sie stets Frieden gefunden hatte.

Becky gab dem Pferd die Sporen und ritt querfeldein der Wildblumenwiese entgegen. Sie musste ein Gespräch mit der Familie führen.

Kurze Zeit später fegte Becky die vertrockneten Blumen aus dem Blumenstrauß vom Vortag vom Grabstein ihrer Mutter, die der Wind nicht fortgeweht hatte. Dann legte sie frisch gepflückte Butterblumen und blauen Rittersporn an den Fuß des Steinkreuzes.

Mit gebeugtem Kopf betete sie in aller Stille. Danach richtete sie sich die Schärpe, an der der Degen des Generals hing und den sie immer bei sich trug, und trat einen Schritt zurück. Ihr Blick glitt zu dem hoch aufragenden, handgemeißelten Grabstein.

„Mutter, du wärest sehr stolz auf Baby Harry. Gestern hat Aphra ihm Vaters Rundkopfuniform angezogen. Er stolzierte im Arbeitszimmer herum, nahm den Feuerhaken wie ein Schwert und marschierte wie ein kleiner glorreicher Soldat.“ Ihre Kehle wurde trocken, und ihre Stimme klang heiser.

„Sally bringt Aphra das Nähen bei. Aphra versuchte, sie mit einer Nadel zu stechen, aber ich glaube, es war bloß, weil Sally dein gelbes Seidenkleid auseinandergenommen hatte, um es sich selbst anzupassen …“ Becky musste ihre Tränen zurückhalten. Das Lieblingskleid ihrer Mutter in Stücken zu sehen hatte große Traurigkeit in ihr ausgelöst.

Becky umfasste das Heft ihres Degens. „Ich bete weiter darum, dass Aphra wieder sprechen wird, Mama. Im nächsten Monat ist es ein Jahr her, seit …“ Ihre Unterlippe bebte.

Becky ging auf und ab. „Heute Morgen habe ich Peter gesagt, er könne selbst versuchen, das alte Boot, das Vater gebaut hatte, zu reparieren. Er schenkte mir dafür eines seiner seltenen Lächeln …“ Sie lächelte selbst, als sie daran dachte. „Wenn Peter mich so anlächelt, Mama, erinnert er mich so sehr an dich. Seine warmen braunen Augen leuchten auf wie die deinen, wenn er glücklich ist.“ Sie musste hart schlucken, um die Tränen zurückzuhalten, und stieß mit dem Degen heftig in den Rasen. „Nächsten Monat wird Peter zwölf Jahre, und er ist schon jetzt so groß wie ich.“ Sie lächelte, als sie an ihren stillen, sensiblen Bruder dachte. „Erinnerst du dich, wie viel Spaß wir hatten, wenn Vater uns mit dem Boot zum Markt mitnahm? Peter sagte, dass er sich daran erinnere, doch er war zu jung. Er hatte damals das Alter von Baby Harry.“

Becky schloss die Augen. Die Sonne wärmte ihr Gesicht, als sie in den Erinnerungen Trost fand. „Es ist so viele Jahre her. Ich war nicht viel älter als Aphra heute.“

Die Sonne verschwand hinter einer dicken Wolke, und Becky öffnete die Augen. Sie schritt zum nächsten Grab, das von einem massiven Steinkreuz überragt wurde.

Ihr geliebter Vater. Sie legte einige Zweige gelber Wildblumen auf die grünen Grasbüschel neben der Steinsäule. „Geer und ich haben die besten Möbelstücke letzte Woche auf dem Markt verkauft, Vater. Wir haben dreimal soviel dafür bekommen, als ich erwartet hatte. Du würdest stolz sein, wie ich das Gebot in die Höhe getrieben habe. Ich erzählte die Geschichte, wie Cromwell selbst an dem Tisch saß, während sein Adjutant eine Musketenkugel aus seinem Arm entfernte.“

Sie lachte stillvergnügt vor sich hin. „Diese Königstreuen glauben alles.“ Sie strich mit der Hand über die gemeißelten Buchstaben auf dem Gedenkstein. Der Stein fühlte sich warm an in der Julisonne.

„Sei unbesorgt, Vater. Ich werde einen Weg finden, Sir Nicholas Sinclair zurück zur See zu schicken, bevor er unser Haus verkaufen kann. Ich halte mein Versprechen, mich um jeden zu kümmern.“

Becky schritt vorbei an den anderen Hügeln von drei Gräbern. Ihre ältere Schwester Betty lag neben ihren Großeltern. Betty war zwei Wochen vorher krank geworden, ehe die Eltern von der Pest ergriffen wurden. Becky verstreute die Butterblumen auf die Gräber. Erinnerungen stürmten unerwartet auf sie ein. Es fiel ihr schwer, ihre Gefühle in Worte zu kleiden.

„Gott helfe mir, ich werde mich um Aphra, Peter und Baby Harry kümmern, genauso wie du dich um mich gesorgt hast.“ Ihre Augen füllten sich mit bisher unvergossenen Tränen, während die Erinnerung an die edle Seele ihrer Schwester sie wie eine sanfte Brise auf der sonnendurchfluteten Wiese durchfloss. Ihr Herz war schmerzlich erfüllt über den Verlust.

Einige Minuten später stieg Becky den kleinen Hügel nahe der Friedhofsumzäunung empor. Von Blumen zwischen den kräftigen grünen Grashalmen umgeben, stand ein älterer Grabstein, dem letzten, zu dem sie ging. Sie entfernte die Reste der vertrockneten Wildblumen vom Grab ihres verstorbenen Ehemannes.

„General“, sagte sie, so wie sie ihn immer angesprochen hatte, obwohl sie ihn seit seinem Tod Ol’ Winky nannte, wie er liebevoll von allen, die in kannten, angesprochen worden war. „Fest werde ich diesem Kerl Sinclair entgegentreten. Ich werde ihm Thornwood Hall nicht kampflos überlassen.“

Sie dachte darüber nach, was der alte General wohl getan hätte, wenn er noch am Leben wäre. Ol’ Winky war fast siebzig gewesen, als sie ihn geheiratet hatte. Doch sogar in seinem hohen Alter hatten ihm sein eiserner Wille und seine Vitalität großen Respekt in der ganzen Grafschaft eingebracht.

Sie strich mit ihren Fingern quer über den rauen Stein. „Es tut mir leid, wenn ich Lügen erzählen werde, General. Indes glaube ich, wenn Ihr wüsstet, dass ein Royalist unseren Besitz übernehmen soll, würdet Ihr zu einem Eurer Ausritte aufbrechen, wie Ihr es immer an den Jahrestagen der großen Schlachten getan habt. Eure Rufe klangen als Echo durch das ganze Tal.“ Sie lächelte. „So laut, dass sogar Squire Willoughby und seine Frau Euch hören konnten.“

Für einen Augenblick glaubte sie, sein tiefes Lachen in der Brise zu hören. Sie drehte den Kopf in die Richtung, aus der der Wind kam, und die vom Geruch des Heus durchdrungene Luft trocknete ihre Wimpern. Nein, sie hatte es sich nur eingebildet. Die Idee indes war Wirklichkeit.

Wenn man Ol’ Winkys Geist sehen könnte, wie er in wildem Ritt über die Felder jagt, würde das einen interessierten Käufer zögern lassen.

Becky lächelte. „Der Plan wird funktionieren, General. Keane hat zugestimmt, mit Eurer Uniform bekleidet als Euer Geist über die Felder zu reiten. Er ist wie ich bestürzt darüber, dass der König Thornwood Hall als Belohnung an einen Royalisten gegeben hat. Wir werden schon sehen, ob es Sinclair gefällt, ein Spukhaus zu besitzen.“

Ihr Lächeln verschwand, als sie an Keane dachte. Glaubte er wirklich, der Sohn von Ol’ Winky zu sein? Die beiden Männer waren so unterschiedlich in so vielen Dingen. Doch wenn Keane so dachte, meinte er vielleicht, dass ihm auch ein Anteil an Thornwood Hall zustünde.

In ihrer Vorstellung sah sie Keane auf Ol’ Winkys Kavalleriepferd im Dunkel der Nacht. Selbst sie wäre genarrt, der Geist ihres verstorbenen Mannes sei zurückgekehrt, um Rache gegen den neuen Besitzer zu suchen.

Sie klopfte mit der Hand auf den grauen Stein, dann löste sie die Bänder ihres Strohhutes und wanderte den Pfad entlang zur Einzäunung. Eine sanfte Brise durchfuhr ihr Haar. Sie schloss die Augen, vergnügt über die kleine Freude.

Becky hoffte, ihre Courage durch das Gespräch mit den Toten wiederzufinden, und sie wurde nicht enttäuscht. Sie kannte ihre Aufgabe. Sobald Nicholas Sinclair angekommen wäre, wollte sie das Gerücht verbreiten, dass Ol’ Winkys Geist über die Felder reite, und wenn die Nachbarn den Geist gesehen hätten, würde keiner es wagen, ein Angebot für das Gut zu machen. Sinclair würde wieder zur Seefahrt zurückkehren, und sie und Keane würden sich weiter um Thornwood Hall kümmern. Die Pächter und ihre Geschwister könnten sicher sein, und die Welt wäre wieder in Ordnung.

Ihr Pferd wieherte, und sie sah auf.

Obwohl der Mann noch mehrere Achtelmeilen entfernt war, erkannte sie sofort die Silhouette seiner breiten Schultern und sein Hinken. Er schlenderte den Pfad entlang zu ihr hin, und sie fragte sich im Stillen, wie lange er sie wohl schon beobachtet haben mochte.

„Mistress Forester“, sagte er einige Minuten später. Er nahm seinen Hut ab, verbeugte sich vor ihr in übertriebener Verehrung. „Wir treffen uns wieder.“

„Ich sehe, du erinnerst dich meines Namens.“ Ihr Blick fiel auf den bläulichen Schimmer auf seinem sonnenbeschienenen schwarzen Haar. „Bist du auf dem Weg, um deine Mutter zu besuchen?“

„Eigentlich hatte ich gehofft, Euch zu sehen.“ Seine grauen Augen blitzten schalkhaft unter den schwarzen Augenbrauen. „Ich dachte, es wäre das Beste, dass ich mich entschuldige für mein … schändliches Benehmen.“

Becky wollte nicht glauben, was sie da hörte. „Was hast du nun wieder vor, Twaddle? Wenn du versuchst …“

„Schöne Frau, ich habe gar nichts Schlimmes vor. Ich komme wegen der Arbeit, die Ihr mir so freundlich angeboten habt. Wie könnte ich sonst meiner lieben Mutter unter die Augen treten, wenn …“

„Und auch Nelda solltest du besser nicht vergessen.“

Überraschung verdunkelte seine grauen Augen, und er sah aus, als würde er nichts begreifen. Wenn Becky es nicht besser gewusst hätte, sie hätte geglaubt, er wisse nichts von Nelda. Der Mann war ein verschlagener Teufel!

„So schnell hast du Nelda vergessen?“ Empört und voller Ekel erinnerte sie sich, wie frech er sie geküsst hatte, und an ihre dumme Reaktion darauf. Nun, da sie wieder völlig bei Sinnen war, wollte sie die Angelegenheit in Ordnung bringen.

„Nelda, die dein Kind erwartet, für den Fall, dass du an einem Anfall von Zerstreutheit des Verstandes leidest“, sagte sie.

Schweigend sah er sie an.

„Ja, ich weiß alles über Nelda.“ Sie runzelte ihre Stirn. „Du hast es nur Nelda zu danken, dass ich dir nochmals eine Chance gebe.“

„Ihr habt mich auf meine Fehler hingewiesen, gute Frau. Ich bin hier, um Euch um Arbeit zu bitten.“

Beinahe hätte Becky laut aufgelacht. Sie hatte trickreichere und geschicktere Burschen gesehen, aber diese Vorstellung war geradezu mitleidsvoll. Der schalkhafte Blick in seinen grauen Augen sagte ihr, dass er nicht weniger verärgert war als sie selbst.

Nein, da steckte eine List dahinter. Selbst wenn sie hier stünden, bis zum jüngsten Tag, würde er ihr nicht erzählen, was seine Sinne gewandelt hatte. Doch es war nicht wichtig. Sie würde es von Molly erfahren.

„So, du willst also unter der Julisonne von morgens bis nachts arbeiten, selbst wenn der Umgang mit einer Hacke bedeutet, dass die zarte Haut deiner Handflächen Schwielen bekommt?“ Sie unterdrückte ein Lächeln.

„Meine Hände sind es gewohnt, zu arbeiten, Mistress.“ Er öffnete seine Fäuste. Harte Schwielen bedeckten die Innenseite seiner sonst so sorgfältig gepflegten Hände.

Überrascht begegnete Becky seinem Blick. „Na gut. Doch ich werde niemals glauben, dass du deine Hände durch ehrliches Schaffen abgearbeitet hast.“ Sein Lächeln sagte ihr, dass sie recht hatte. „Ich will es mit dir versuchen“, sprach sie. „Unter einer Bedingung.“ Sie dachte an Molly, die einsam die ganzen Jahre darauf gewartet hatte, dass ihr Sohn wiederkam. „Du wirst mit deiner Mutter den Sonntag verbringen, mit ihr zur Kirche gehen und das tun, was sie an diesem Tag tun möchte.“ Sie beobachtete ihn. „Einverstanden?“

Er machte ein Gesicht, als hätte er eine bittere Medizin geschluckt. „Ja“, sagte er endlich.

„Und du wirst für Nelda und das Kind sorgen. Gewöhne dich an den Gedanken, sie zu heiraten.“

Er verschluckte sich fast.

„Die Ehe ist eine ernste Sache“, meinte er dann. „Ich werde mehr Lohn brauchen, wenn ich eine Familie ernähren soll.“

„Daran hättest du vorher denken sollen, du …“ Sie unterbrach sich selbst und ignorierte die Röte, die in ihre Wangen schoss. „Stimmst du den Bedingungen zu?“

„Ja.“

Etwas Eigenartiges war im Gange. Becky hatte schon früher mit kriecherischen Teufeln zu tun gehabt, dieser Gauner indes plante Unaufrichtiges. „Du wirst aus Nelda eine ehrbare Frau machen, du wirst von der Dämmerung bis zur Dunkelheit arbeiten, du wirst den Sonntag mit deiner Mutter verbringen?“

„Ich habe die Fehler meines bisherigen Weges eingesehen, und ich bin hier, um mich zu bessern.“ Der Blick in seine grauen Augen sagte ihr, dass er log.

„Noch eine Bedingung.“ Sie sah ihn starr an. „Bis zum Ende des Monats wirst du keinen Kredit in der Taverne zu den Sieben Schwäne haben, und du wirst die Hände von Lily lassen.“

„Lily?“

„Versuche nicht, mich für dumm zu verkaufen, Twaddle. Du bist erst seit ein paar Tagen zurück, und die Bediensteten flüstern bereits die Geschichten von dir und Lily und wer weiß von wie vielen anderen noch!“ Sie richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Habe ich dein Wort?“

Er verschränkte ebenfalls seine muskulösen Arme über seiner breiten Brust in spöttischer Nachahmung. „Mein Wort darauf.“

„Gut, Twaddle. Du triffst die anderen morgen um vier Uhr früh beim Viehgatter.“ Sie wandte sich dem Pferd zu, ihr Degen schlug bei jedem Schritt gegen ihren Schenkel.

„Ich denke, wir sollten einander die Hand darauf geben“, rief er ihr nach.

Sie blieb stehen. Der Gedanke daran, ihn zu berühren, rief tief in ihr eine prickelnde Erregung hervor. „Natürlich“, sagte sie und kam zu ihm zurück. Sie streckte ihm die Hand entgegen, doch als seine große Hand ihre zarte Hand ergriff, stöhnte sie fast auf. Es durchzuckte sie wie ein Blitz in einem Sommergewitter. Er betrachtete sie, mit seinen leuchtenden grauen Augen schien er durch sie hindurchzusehen. Seine langen schwarzen Wimpern warfen Schatten auf seine Wangen, und Becky verlor sich in den Tiefen seiner Augen.

„Einverstanden.“ Er ließ ihre Hand los.

Sie schluckte schwer, dann setzte sie ihren Hut auf und nestelte an dem Hutrand, um ihre Nervosität zu verbergen. Ihr Mund war wie ausgetrocknet. Sie nickte, aus Angst, ihre Stimme könnte versagen. Sie strich mit der Hand über ihren Rock, dann schritt sie zu ihrem Pferd, bemüht, nicht wie vor dem Teufel davonzulaufen.

Das Licht der späten Nachmittagssonne fiel durch die Erlenzweige, als Nick am Fluss sein Pferd striegelte. In der vergangenen halben Stunde, seit er Becky Forester wiedergesehen hatte, konnte er ihr Bild nicht aus seinen Gedanken verbannen. Ihre Haltung war königlich gewesen, ungeachtet des verblassten Kleides, das sie trug. Sie hatte ihre Röcke hochgehalten, während sie durch die Butterblumenwiese gelaufen war, dabei hatte sie ihre wohlgeformten Knöchel enthüllt. Ihr Haar hatte hinter ihr hergeweht wie schwarze Seide.

Sie reagierte mit Überraschung, als sie ihn erblickte. Sie schien bestürzt zu sein, doch hatte er sich eingebildet, sie sei froh, ihn zu sehen?

Verdammt, es war sonst nicht seine Art, Frauen gegenüber Selbstgefälligkeit zu zeigen. Zweifellos sah sie in ihm einen möglichen Gauner. Es war Entsetzen, nicht Anziehung, was ihre Wangen so wohlgefällig gerötet hatten.

Enten quakten im Vorbeischwimmen und gründelten im Dämmerlicht nach ihrem Abendbrot, bevor sie sich im Dickicht des Ufers zur Ruhe begaben. Nicks Gedanken kehrten zu seiner augenblicklichen Aufgabe zurück. „Du wirst dick durch das saftige Gras, Rex.“ Er lächelte, als er mit dem Striegelkamm über den Rücken des Pferdes fuhr.

Im selben Augenblick spürte Nick, dass er nicht allein war. Rex hob den Kopf, und seine Ohren zuckten, als hätte er gleichfalls jemanden bemerkt. Nick schob den Striegel in die Satteltasche und zog seine Pistole aus dem Sattelhalfter.

„Hände hoch und keine Bewegung“, erklang ein scharfer Ruf hinter ihm.

Nick ließ die Pistole zurück in den Halfter fallen, dann hob er die Hände über den Kopf. Ein Mann stand ein paar Meter entfernt, der mit einer ihm wohlbekannten blaugrünen Hose und einem rüschenbesetzten Hemd bekleidet war. Sachen, die Nick getragen hatte, bevor er sie gegen die getauscht hatte, die er an jenem Morgen am Fluss gefunden hatte. Nick erriet, dass der Taugenichts Ben Twaddle vor ihm stand.

Ben Twaddles Augen weiteten sich vor Überraschung, als er Nicks Kleidung abschätzte. Offenbar kam er zu demselben Schluss.

„Du bist der, der meine Kleidung gestohlen hat?“

Nick zog eine Braue hoch. „Ja, und du wirst niemals wieder solch ein gutes Geschäft machen, Twaddle.“

„Woher kennst du meinen Namen?“

Nick beobachtete, wie Bens rechte Hand zitterte, während er ihn mit seiner Pistole bedrohte. Es war nicht schwer, zu erraten, dass Ben neu war im Diebesgewerbe. „Was willst du von mir? Deine Kleidung zurück?“ Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Ben blickte bestürzt. „Warum hast du das getan? Du bist ein … ein feiner Herr, wenn man deine Kleidung ansieht.“

„Ben, meine Arme werden müde. Nimm das verdammte Ding weg, oder benütze es.“

Ben blinzelte, dann senkte er die Waffe. „Ich will dein Pferd.“

„Ich habe dir meine Kleider gegeben, denkst du, ich werde dir auch noch mein Pferd geben?“ Nick setzte sich neben einen Baum und blickte auf.

„Ich werde das Pferd nehmen, und es ist mir gleichgültig, was du denkst.“ Ben behielt ihn im Auge. Offenbar glaubte er, dass Nick nichts dagegen habe, denn er machte einige Schritte auf Rex zu.

„Du kannst gehenkt werden, wenn du einem Mann das Pferd stiehlst“, warnte ihn Nick.

„Ich werde verschwunden sein, bevor man mich findet. Außerdem, wer würde einem Gauner wie dir glauben, in dieser Kleidung?“ Ben kniff seine schmalen Schweinsaugen zusammen. „Wie bist du an ein Pferd wie dieses gekommen? Wohl auch gestohlen?“ Der Gedanke ließ seine Augen aufleuchten. „Ich könnte wetten, dass du das Pferd und die Kleidung einem wohlhabenden Mann gestohlen hast. Dann hast du mir die Sachen zugeworfen, dass man mich dafür gefangen nehmen sollte.“ Ben blickte wieder auf das Pferd, als er abwog, ob er es nehmen sollte.

„Du bist ein scharfsinniger Bursche“, sagte Nick und versuchte, dabei nicht zu lächeln. „Du bist viel zu schlau für mich.“ Er schüttelte den Kopf. „Wenn du dieses Pferd stiehlst, bist du gefangen, noch ehe du an Ferry’s Crossroads vorbei bist.“

„Dann hast du es also gestohlen?“

„Ich werde vergessen, dass du mich gefragt hast, Bursche.“ Nick hob eine Augenbraue, während er vorgab, die Sache zu überlegen. Nach einiger Zeit des Nachdenkens sagte er: „Lass uns ein Geschäft machen, Ben Twaddle.“

Der junge Mann blickte überrascht. „Sag mir, woher du mich kennst?“

„Ich weiß eine ganze Menge Dinge über dich, Bursche. Viele Dinge.“ Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Ich weiß etwas über Nelda und das Kind. Und über deine arme alte Mutter, Molly.“

Bens langes, dünnes Gesicht wurde aschfahl. „Wie kommt es, dass du von ihnen weißt?“

„Ich weiß alles.“

Ben sah drein, als hätte er einen Geist erblickt. „Alles?“

Sinclair nickte. „Ich weiß, dass deine Seele zur Hölle fährt, Bursche.“

Bens Augen traten hervor. Mit einem Finger fuhr er sich durch den Samtkragen.

„Ich bin gesandt als Bote von oben.“ Nick blickte himmelwärts. „Und ich habe eine Botschaft für dich, Bursche. Eine letzte Chance, um deine Seele zu retten.“

Bens schwarze Augenbrauen zogen sich zusammen, seine Hände zitterten. „Eine Botschaft, Sire?“

Nick zwang den heiteren Ausdruck von seinem Gesicht. „Mache wieder gut mit deiner Mutter, was du versäumt hast. Geh mit ihr am Sonntag zur Kirche, und verbringe den Tag mit ihr. Bleibe weg von Lily aus den Sieben Schwänen. Verbringe deine Zeit mit Nelda, hilf ihr bei der Hausarbeit.“ Er kniff die Augen zusammen und packte Ben beim Kragen. „Denn wenn du nicht …“

Bens Adamsapfel trat aus der knochendürren Kehle hervor, als Nicks Finger fester zugriffen. „Ich werde hinter dir her sein. Ich bin schneller als der Westwind. Du kannst dich vor mir nicht verstecken.“

Ben erstarrte vor Angst.

„Gehorchst du nicht, dann ergreife ich dich, und niemand wird jemals wieder etwas von dir hören.“

Ben schlotterten die Arme und Beine. Nick hob ihn leicht an und schüttelte ihn. „Alles, was von deinem jämmerlichen Körper übrig bleibt, wird ein tiefes Wehklagen in den Pinien sein, wenn ich mit dir fertig bin. Hast du verstanden, Ben Twaddle?“

Ben bewegte sich hin und her wie eine Ente. „Jawohl, Sire. Ich … ich verspreche es, Sire.“

Nick ließ ihn los. Der Bursche wankte auf seinen Beinen.

„Geh nach Hause zu deiner Mutter, und bitte um ihre Vergebung.“ Nicks Stimme wurde streng. „Und nun fort mit dir.“ Er schritt zu seinem Pferd, als Bens davoneilende Schritte auf dem Pfad leiser wurden.

Verdammt abergläubisches Volk! Nick konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als er Ben Twaddle nachblickte, wie dieser über die Kornfelder zu den Pächterhütten lief.

Er dachte daran, was Becky denken würde, wenn sie von Ben Twaddles plötzlicher Wandlung hörte. Wieder lächelte er. Ja, sie würde sich nicht narren lassen. Argwöhnisch, vielleicht, indes dachte er nicht, dass die liebliche Dame an Wunder glaubte, wenn er Frauen richtig einschätzte.

3. KAPITEL

Der darauffolgende Morgen war heiß, und es gab kein Anzeichen für eine Brise, um die Schwüle zu kühlen. Nick richtete sich auf von der Arbeit mit der Hacke und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Auf der Wiese erblickte er Becky auf ihrem Rotfuchs, wie sie die Heckenreihe entlanggaloppierte.

Er hatte gehofft, dass sie vorbeireiten würde, um zu prüfen, ob er zur Arbeit gekommen sei. Es hätte ihm Vergnügen gemacht, sie wiederzusehen, selbst wenn es nur gewesen wäre, um festzustellen, ob die dunklen Stellen in ihren lieblichen Augen wirklich veilchenblau waren, wie in seiner Erinnerung.

Verdammt, was zur Hölle ging es ihn an, welche Farbe ihre Augen hatten? Es war wichtiger, viele Informationen von Geer herauszubekommen, ehe Becky dahinterkam, dass er nicht Ben Twaddle war.

Trotzdem würde er sie gern wiedersehen. Sie war nicht wie andere Frauen, die er kannte. Sein Interesse war rein geschäftlich, und er entschied, aufkeimende Gefühle zu verdrängen. Sie konnte ihm sagen, was er über den Besitz wissen wollte.

Nick sah Becky und ihrem Pferd nach, als sie anmutig über eine steinerne Umzäunung sprang. Sie beherrschte den Rotfuchs mit demselben meisterhaften Geschick, das sie schon zuvor bei dem Bullen gezeigt hatte. Nick griff sich die Hacke und beugte sich über die nächste Reihe Rüben, als eine Stimme ihn rief.

„He, Twaddle.“ Geer stand hinter ihm mit einem Wassereimer und einem Zinnbecher. Der alte Mann betrachtete die ordentliche lange Reihe an dunkelgrünen Blättern, die Nick abgearbeitet hatte. „Das ist kein Wettlauf, Bursche.“ Auf seinem runzeligen Gesicht lag ein Lächeln. „Bewahre dir noch etwas von deiner Muskelkraft für die Arbeit am Nachmittag auf.“

Nick nahm den dargebotenen Trunk und leerte den Becher in einem Zug. Geers Lächeln verschwand. „Ich habe dein Humpeln bemerkt. Wie hast du dir dein Bein verletzt?“

„Nichts Ernstes.“ Nick hoffte, die Neugier des Mannes von sich abwenden zu können. Wenn Geer die roten Narben entlang des Fußes vom Schenkel bis zur Wade sehen würde, wollte er sicher mehr wissen. „Leg die Hacke weg, Twaddle. Ich habe eine bessere Aufgabe für deine kräftigen Muskeln.“

Nick zögerte, während Becky das Pferd scharf vor ihnen anhielt.

„Wie geht die Arbeit voran?“ Ihr Blick war ganz Geer zugewandt, doch hatte sie auch seine Anwesenheit zur Kenntnis genommen, wie Nick daran merkte, dass sich eine sanfte Röte über ihre Wangen zog.

„Wir haben einen guten Arbeiter hier, Mistress Becky“, sagte Geer. „Ben ist zweimal so schnell mit der Hacke wie die anderen.“

Ein Anflug von Überraschung huschte über ihr Gesicht.

Er nutzte die Gelegenheit, um in ihr Blickfeld zu treten. Ihre Augen waren wirklich veilchenblau, wie er sich erinnert hatte. Ihr einfaches blaues Kleid bot einen ausgezeichneten Kontrast zu dem Gewirr herabfallender Kaskaden schwarzer Locken auf ihren Schultern. In ihrem schlichten Kleid sah sie lieblicher aus als jede reich geschmückte Frau, die er vor Kurzem bei Hofe gesehen hatte. Ihre wohlgeformten Brüste hoben und senkten sich bei jedem Atemzug. Er versuchte sich vorzustellen, wie die Mulde zwischen ihren sanften Hügeln aussehen könnte …

„Twaddle! Auf den Wagen“, befahl ihm Geer. Dann blickte er zu Becky. „Ich bringe Ben zu den anderen, die dabei sind, die abbröckelnde Felswand zu stützen. Beim Jäten vergeudet er nur seine Muskelkräfte, die dort dringender gebraucht werden.“

„Sieh nur zu, dass Twaddle keinen Ärger macht.“ Becky wendete das Pferd und preschte quer über die Felder, wobei ihr schwarzes Haar unter dem Strohhut hervorwehte.

„Mistress Becky ist seit Kurzem nicht sie selbst“, sagte Geer, als er schwerfällig neben Nick zum Wagen ging. „Sie hat den Kopf voller Ärger.“

„Weil Sinclair kommt, um als neuer Besitzer das Landgut zu übernehmen?“, fragte Nick beunruhigt.

„Dieser Schurke!“, sprudelte Geer heraus. „Was muss das für ein Mann sein, der einer armen Witwe den Lebensunterhalt raubt?“

Nicks Interesse wuchs. „Was hat sie für Pläne, wenn sie von hier weg muss?“ Er glich seine Schritte den langsamen des alten Mannes an.

„Unsere Becky wird nicht kampflos von hier fortgehen.“ Verehrung, Stolz und Loyalität klangen aus Geers Worten. „Es wird Sinclair sein, der laufen wird, mit eingezogenem Schwanz, noch ehe Becky mit ihm fertig ist. Warte es nur ab.“

„Und wie will sie das bewerkstelligen?“, fragte Nick neugierig.

Geer warf ihm einen stummen Blick zu. Nick wusste, dass er taktvoller vorgehen musste, wenn er weitere Informationen von Geer wollte.

„Es muss hart für eine Frau sein, mit allem allein zurechtzukommen“, sagte Nick in die sich ausdehnende Stille hinein.

„Keane beaufsichtigt das Lehnsgut für sie, obwohl ich nicht sicher bin, wie hilfreich er wirklich ist.“ Geer wischte sich mit dem Ärmel die Schweißtropfen von seinen Brauen.

„Keane?“ Nick konnte sich an diesen Namen nicht erinnern.

„Du wirst dich doch bestimmt an Keane erinnern.“ Geer blickte ihn von der Seite her an. „Einige behaupten er sei Ol’ Winkys Sohn, geboren auf der falschen Seite des Bettes.“

„Ol’’ Winky?“, fragte Nick vorsichtig. Becky hatte zwar erwähnt, dass Ben Twaddle Thornwood Hall bereits mit neun Jahren verlassen habe. Doch wollte Nick alles vermeiden, um Geer misstrauisch zu machen durch Fragen, deren Antworten Twaddle eigentlich kennen sollte.

Geer sah ihn etwas erstaunt an. „General Forester, Friede seiner Seele.“ Er schüttelte den Kopf. „Ol’ Winky hatte nie zugegeben, dass Keane von ihm stammte. Niemand sollte ihn dafür tadeln.“

Nick hatte mehr Interesse an Becky Forester. „Warum hat seine Witwe nicht wieder geheiratet?“

Geer lachte still vor sich hin. „Kein Mann ist ihr gut genug, würde ich sagen.“

Kurz darauf erreichten sie das Pferdegespann. Nick kletterte neben Geer auf den Kutschbock und fragte plötzlich: „Wirft der Besitz einen guten Ertrag ab?“

Geer schwieg beharrlich, und Nick wusste, dass es besser war, nicht weiterzufragen.

Der Wagen knarrte und schwankte, als sie über die hinteren Felder fuhren, wo Weizen und Getreide grünten und prächtig gediehen. Nick wunderte sich erneut über die dünnen Halme, die er zuerst neben der Straße gesehen hatte, als er auf dem Weg zum Gut gewesen war. Hatte man die vernachlässigten Felder, die ungepflegten Heckenreihen und verwitterten Zäune aus einem bestimmten Grund so gelassen? Wollte jemand, dass Thornwood Hall einen unproduktiven Eindruck erwecken sollte? Und wenn ja, wer und warum? Zuerst würde er darauf bestehen, die Hauptbücher einzusehen. Doch ein anderer Gedanke beunruhigte ihn.

Es wird Sinclair sein, der laufen wird, mit eingezogenem Schwanz, noch ehe Becky mit ihm fertig ist.

Es war die Art, in der Geer diese Worte gesagt hatte. Nick wurde den Eindruck nicht los, dass die liebliche Becky einen Plan hatte, ihn von Thornwood Hall zu vertreiben. Verdammt, da war er ganz sicher.

Zehn Minuten später hielt der Wagen rumpelnd vor einem Pächterhaus. Ein großer, drahtiger Mann war dabei, eine Gruppe Arbeiter zu beaufsichtigen, die gerade Steine auf einen Stützbalken luden. Nick erkannte in ihm denselben Mann, der versucht hatte, den Bullen von der Weide zu treiben.

„Das ist Keane, der Verwalter“, sagte Geer. Bevor sie vom Wagen abgestiegen waren, kam der Mann auf sie zu.

„Wer ist das?“, wollte Keane wissen.

„Twaddle, Mollys Sohn“, antwortete Geer. „Ich dachte, er wäre gut dafür zu gebrauchen, um Steine zu laden.“

„Du wirst nicht fürs Denken bezahlt, Geer.“ Keanes Aufmerksamkeit richtete sich auf Nick.

„Du siehst deiner Mutter überhaupt nicht ähnlich.“ Um Keanes Mund zuckte es, dann erhellte ein Gedanke sein Gesicht. „Twaddle, du bleibst auf dem Wagen. Ich habe genau die Arbeit, für die man deinen starken Rücken braucht.“

Geer verzog den Mund. „Mistress Becky sagte …“

„Geh zurück auf die Felder, Geer, bevor du meine Peitsche zu spüren bekommst.“

Nick musste das alles geschehen lassen, ohne die Scharade zu beenden und den Dummkopf zurückzupfeifen. Er hasste Schinder und hatte niemals solch ein Benehmen an Bord seines Schiffes toleriert. Er entschloss sich abzuwarten, was Keane weiter vorhatte.

Geer kletterte vom Wagen herunter und kehrte schweren Schrittes zurück auf die Felder. Keane sprach kein Wort, als er auf den Wagen kletterte und die Zügel ergriff.

Während der ganzen Fahrt blieb er stumm, erst als sie die andere Seite des Hügels erreichten, machte er den Mund auf. „Nun werden wir sehen, was deine Muskeln leisten mit Tumbledown Dick“, brummte Keane, als er vom Wagen kletterte.

Nick blickte ihn neugierig an. „Tumbledown Dick? Wer ist das?“

Keane grinste hämisch. „Mistress Beckys zahmer Bulle.“ Er rollte seine Augen. „Sie ist mächtig versessen auf das Tier.“ Er spuckte zu Boden.

Nick sagte nichts für geraume Zeit, dann fragte er: „Was wirst du tun, wenn Sinclair angekommen ist, Keane?“

Keane blieb der Mund offenstehen, dann warf er Nick einen scharfen Blick zu. „Du weißt eine ganze Menge, dafür, dass du erst seit ein paar Tagen zurück bist, Twaddle. Woher weißt du etwas von Sinclair?“

Nick erkannte, dass er zu viel gesagt hatte. „Von meiner Mutter, von wem sonst?“

Keane schnaufte verächtlich. „Wie ich von Lily aus den Sieben Schwänen hörte, bist du nicht oft genug zu Hause gewesen, um von Molly viel zu erfahren.“ Keane hob seine schwarzen Augenbrauen und grinste boshaft.

Nick entschloss sich weiterzufragen. „Was willst du also tun, wenn Sinclair alles übernimmt?“, fragte er, während er vom Wagen kletterte.

„Solltest dir mehr Sorgen über dich selbst machen, Twaddle.“ Keane schlenderte zu einem Platanenhain. „Ich möchte, dass du Tumbledown Dick dorthin zurückbringst, wo Geer uns verlassen hat und die anderen Burschen die Stützbalken füllen.“

Nick blickte sich um. „Ich sehe nichts …“

Plötzlich durchbrach ein durchdringendes Schnauben die Stille. Es war der riesige schwarze Bulle, den Nick am Vortag unter dem Schatten der Baumkronen liegen gesehen hatte. Die Augen des Bullen traten hervor, als er ihn anblickte.

Nick schluckte. „Das ist Tumbledown Dick?“

„Ja, das ist er.“ Keane lächelte über Nicks Erstaunen. „Den Weg zurück findest du durch die Wagenspuren im Getreide“, ergänzte er, konnte aber kaum ein ernstes Gesicht dabei bewahren. „Und brauche nicht zu lange, Twaddle. Die Burschen werden die Stützbalken mit den Steinen in einer Stunde gefüllt haben.“

Keane schlug leicht mit den Zügeln, und das Pferd setzte sich in Bewegung. Der Wagen machte in einem engen Bogen kehrt und fuhr in die Richtung, aus der er gekommen war.

Nick blickte zurück auf den Bullen. Tumbledown Dick warf den Kopf hoch und schnaubte. Nick betrachtete die spitzen Hörner und schluckte hart.

Keanes dunkles Lachen erscholl noch quer über die Wiese, als der knarrende Wagen hinter dem Hügel verschwand.

Die Sonne hatte kaum den Stand von zehn Uhr am Morgenhimmel erreicht, als eine schwarz lackierte Kutsche über den unkrautüberwucherten Weg von Thornwood Hall holperte. Hühner, die Grillen aus dem Gras pickten, flogen gackernd auf, erschrocken über die lästige Störung.

Im Arbeitszimmer hob Becky den Kopf von den Hauptbüchern und spähte durch die spitzenbesetzten Vorhänge aus dem Fenster. „Tod und Teufel! Das ist Willoughby.“ Sie wandte sich zu ihrer Cousine Sally um. „Schnell, hilf mir, diese Bücher zu verstecken …“

„Es ist nicht Willoughby, es ist seine Frau Hazel“, unterbrach Sally sie, die sich neben Becky ans Fenster gestellt hatte.

„Alle Heiligen! Was will Hazel jetzt schon wieder?“ Becky beobachtete, wie ein livrierter Diener einer kleinen modisch gekleideten Frau aus der Kutsche half.

„Sie muss unbedingt bei dieser Hitze so viel Aufhebens machen.“ Sally wischte sich eine Schweißperle von der Augenbraue. „Nun, wir werden es bald herausfinden. Sie kommt geradewegs durch das Haupttor.“

Beckys Blick fiel auf den Haufen Goldmünzen, die von den verkauften Möbeln stammten, die Keane auf den Markt gebracht hatte. „Bring Hazel ins Empfangszimmer, Sally. Ich möchte nicht, dass sie sieht, was ich hier mache.“ Schnell nahm Becky den Blumenschal vom Sofa und bedeckte den Tisch damit. Die Münzen und Bücher waren vor neugierigen Blicken verborgen.

Zufrieden richtete Becky ihr Kleid, schob einige Haarsträhnen aus ihrem Gesicht und ging in das Empfangszimmer, so als ob alles in Ordnung wäre.

„Hazel, welch reizende Überraschung!“ Becky begrüßte die ältere Frau mit einem strahlenden Lächeln. Wenn Hazel gekommen war, um zu sehen, wie Becky den Verlust von Thornwood Hall aufgenommen hatte, so sollte sie verdammt sein, ihr das zu zeigen.

Sally fühlte sich unbehaglich und erhob sich, unsicher, ob sie bleiben oder gehen sollte. „Ich werde Tee bringen …“

„Oh, nein, bleibt hier Sally, auch Ihr sollt meine Pläne hören.“ Hazel begann fast jeden Satz mit „oh“, so als müsste sie damit allem, was sie sagte, mehr Bedeutung geben. „Oh, wartet nur, bis ihr alles gehört habt über das geplante Ereignis!“ Hazel legte unruhig ihre Hände in den Schoß.

„Ereignis?“ Becky hatte gehofft, sie schnell wieder loszuwerden, um die Aufstellung in den Büchern beenden zu können. „Aus welchem Anlass?“

Hazels rosa Wangen röteten sich vor Hitze und Aufregung. Sie zog ihren perlenverzierten Fächer heraus und fächelte dramatisch. „Zuerst bitte müsst Ihr Molly Twaddle sagen, wie leid es uns tut, was ihrem Sohn zugestoßen ist.“

„Ihrem Sohn?“ Becky empfand ein plötzliches Unbehagen. „Ben Twaddle? Was ist los mit ihm?“

„Oh, ein Unglücksfall letzte Nacht. Ben ist durch unser Jagdgebiet gelaufen und einen Abhang hinuntergestürzt. Sein Schreien weckte die Hunde des Jagdaufsehers, die wieder den Wildhüter weckten, und dieser weckte Mr Willoughby.“ Sie rollte die Augen. „Man stelle sich vor, ein erwachsener Mann läuft im Dunkel der Nacht durch die Felder und jammert vor sich hin, dass er vom Teufel gejagt werde.“ Sie schloss theatralisch die Augen. „Liebe, arme Molly. Was soll sie mit einem Sohn wie diesem nur machen?“

Becky und Sally wechselten Blicke.

Hazel schüttelte den Kopf. „Er war sicher, dass sein Rückgrat gebrochen sei.“

„War er sehr betrunken?“, fragte Becky argwöhnisch.

Hazel schüttelte abermals den Kopf. „Stocknüchtern.“ Sie zog ein Gesicht. „Oh, man sagt, Ben Twaddle sei ein Halunke.“ Hazels dünne Brauen zogen sich zusammen. „In der nächsten Zeit jedoch wird er es unterlassen, hinter den Weiberröcken in den Sieben Schwänen her zu sein, meint Dr. Rivers.“

„Ihr habt nach Dr. Rivers gesandt?“, fragte Sally.

„Es war unsere Christenpflicht, Liebes. Twaddle brüllte, als hätte er den Leibhaftigen gesehen.“ Hazel warf den Fächer in ihren Schoß. „Der Doktor hat vorgeschlagen, dass Twaddle im Bett bleiben sollte für ein oder zwei Wochen. Dann gab Mr Willoughby unseren Leuten den Auftrag, Twaddle in den Wagen zu heben, und so hat man ihn heute Morgen zu Mollys Hütte geschafft.“

Misstrauen erwachte in Becky, während sie Hazels Geschichte vernahm. Irgendetwas stimmte nicht. Sie hatte Ben Twaddle in den Rübenfeldern vor etwas über zwei Stunden verlassen. Und wie Geer ihr gesagt hatte, war Twaddle seit Sonnenaufgang bei der Arbeit.

Doch wenn Ben Twaddle der Bursche war, den man letzte Nacht in Willoughbys Gelände gefunden hatte, wer war dann der Mann, der das Unkraut in den Rüben jätete?

Ein schrecklicher Gedanke kam Becky in den Sinn, und beinahe hätte sie nach Luft geschnappt. „Wie hat Ben Twaddle ausgesehen, Hazel?“

„Es ist schwer zu sagen, er war bedeckt mit Schmutz und Zweigen. Doch er hat das Twaddle-Kinn. Ja, er ist nach Mollys Ehemann geraten.“

Einen Augenblick war Becky wie erstarrt. Warum war ihr das nicht schon früher aufgefallen?

„Becky, Liebes. Was ist los?“ Hazel beugte sich vor und fächelte ihr Luft zu. „Ihr seid ganz blass.“

„Es ist die … Hitze“, sagte Becky. Die schreckliche Erkenntnis traf sie wie ein Schlag.

Sie hätte es wissen müssen. Dieses kommandierende Auftreten. Sein geübter Umgang mit der Klinge, als sein Säbel durch die Luft wirbelte und die Bänder ihres Mieders exakt durchtrennte. Die Muskelstärke eines kräftigen Kämpfers, die Schwielen an den Händen, der herausfordernde Blick dieser grauen Augen.

Sir Nicholas Sinclair!

Sie hatte ihm geholfen bei seiner Intrige, als wäre sie seine willige Komplizin. Verflixt und zugenäht! Sie hatte den Fuchs in den Hühnerstall gelassen. Was sollte sie nun tun?

Becky blickte zu Hazel und Sally, die sie beide stirnrunzelnd betrachteten. „Es … es tut mir leid, Hazel. Ich weiß nicht, was über mich kam.“ Becky atmete kräftig durch und ging zur Tür. „Gebt meinen besten Dank Eurem Mann, und Euch danke ich für Eure Zeit, Hazel.“ Becky öffnete die Tür und wartete darauf, dass Hazel den Wink verstand. „Ich werde sofort nach Molly und Ben sehen.“

Hazel blickte sie mit Missfallen an. „Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, Euch von der geplanten Gesellschaft zu erzählen.“

Becky zwang sich zu einem Lächeln, dann schloss sie widerstrebend die Tür und nahm neben Sally Platz, die ihr einen verständnisvollen Blick zuwarf. Trotz ihrer guten Absicht konnte Becky ihre Gedanken nicht auf Hazels langweiligen Monolog richten.

Warum hatte Sinclair versucht, sie zu narren, indem er sie in dem Glauben ließ, er sei ein einfacher Arbeiter?

„Liebe Becky, ich glaube, Ihr habt nicht ein Wort von dem gehört, was ich sagte.“

Becky fuhr hoch. „Natürlich habe ich das, Hazel. Ihr habt von Eurer Gesellschaft erzählt.“ Beckys Lippen erstarrten in einem Lächeln.

„Ja, für Sir Nicholas Sinclair, selbstverständlich.“

„Sinclair? Habe ich richtig verstanden, dass Ihr plant, eine Willkommensgesellschaft zu geben, um diesen …“

„Oh, ich weiß, es wäre unter den gegebenen Umständen nicht angemessen …“ Hazel senkte die Stimme, „… das von Euch aus zu tun. Außerdem, Euer Mangel an Einrichtung und …“ Sie blickte sich in dem spärlich möblierten Raum um, sah mit Missfallen auf die wenigen Stühle und das Sofa.

Becky erhob sich und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich kann es nicht glauben. Ihr wollt eine Gesellschaft geben für diesen … diesen ausgestopften Schopf, der mich und meine Familie von unserem Land vertreiben will.“

Hazel erstarrte förmlich. „Oh, meine Liebe. Wir müssen uns daran erinnern, dass Sir Nicholas Sinclair ein verwundeter Kriegsheld ist. Er hat sich hervorragend ausgezeichnet bei der Schlacht am St. James-Tag, und er hat unser Land gegen diese barbarischen Holländer verteidigt.“ Sie hob das Kinn. „Mr Willoughby sagt, dass Sir Nicholas Sinclair das Gespräch von London sei.“

„Hm!“ Becky ging ans Fenster und blickte starr auf die überwucherte Einfahrt. Was würde Hazel von dem Helden halten, wenn sie wüsste, was sie über ihn wusste? Ihre Wangen röteten sich bei dem Gedanken, wie er sie geküsst hatte, und an die Wellen der Erregung, die er in ihr ausgelöst hatte.

Wenn Hazel doch endlich ginge! Sie klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden, während sie aus dem Fenster blickte. Die Kutsche der Willoughbys glänzte im Licht der Nachmittagssonne, während vier völlig gleich aussehende, feurige schwarze Pferde ungeduldig schnaubten. Von der Rückseite der Kutsche kamen Beckys acht Jahre alte Schwester Aphra und der drei Jahre alte Bruder, Baby Harry. Die Kinder betrachteten mit weit aufgerissenen Augen die prächtige Karosse mit den vier vorgespannten Pferden.

Autor

Jackie Manning
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Helen Dickson
Helen Dickson lebt seit ihrer Geburt in South Yorkshire, England, und ist seit über 30 Jahren glücklich verheiratet. Ihre Krankenschwesterausbildung unterbrach sie, um eine Familie zu gründen.
Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes begann Helen Liebesromane zu schreiben und hatte auch sehr schnell ihren ersten Erfolg.
Sie bevorzugt zwar persönlich sehr die...
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