Historical Exklusiv Band 86

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EINE SKANDALÖSE WINTERNACHT von AMANDA MCCABE

Auf Befehl von Königin Elisabeth begibt die junge Witwe Celia sich auf eine waghalsige Reise an den schottischen Hof. Als sie hört, wer ihr Begleiter ist, weiß sie, dass nicht nur ihr Leben bedroht ist, sondern auch ihr Herz! Denn der mysteriöse John Brandon hat sie einst verführt und dann verlassen. Und so sehr sie ihn auch hassen will, kommt sie ihm in einer eisigen Nacht erneut gefährlich nahe …

VERZAUBERT IM LABYRINTH DER LIEBE von DEBORAH SIMMONS

Blitze zucken grell am Himmel, Donner grollt. Ein Gewitter umtost Sydonys neues Zuhause, das einsame Anwesen Oakfield. Ein gefährliches Vorzeichen? Sydonys Sinne geraten in Aufruhr, als überraschend Viscount Bartholomew Hawthorne auftaucht, in seinen Augen ein verführerischer Glanz. Ehe Sydony sich versieht, zieht Bartholomew sie nicht nur hinein in ein dunkles Geheimnis. Er weckt auch eine verzehrende Sehnsucht in ihr …


  • Erscheinungstag 10.11.2020
  • Bandnummer 86
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749026
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Amanda McCabe, Deborah Simmons

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 86

1. KAPITEL

Whitehall Palace, Dezember 1564

Er war es!

Jäh von Schwindel erfasst suchte Celia Sutton Halt an den hölzernen Paneelen, mit denen die Wände des Audienzsaals verkleidet waren. Einem Meer aus Samt und Seide und Juwelen gleich brandete rings um sie die Menschenmenge und nahm ihr erneut die Sicht auf ihn. Für ihre Ohren klang das Stimmengewirr, das affektierte, angespannte Lachen all der Wartenden, die voller Sorge auf Anhörung bei der Königin hofften, wie das unartikulierte Gezeter einer Vogelschar.

Sie rieb sich die Augen und spähte umher, doch selbst als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte sie über die Köpfe der Leute hinweg nichts entdecken. Sie fand ihn nicht mehr, sah nicht eine Spur von der hochgewachsenen Gestalt mit dem achtlos aufblitzenden Lächeln, die sie an der Tür entdeckt zu haben glaubte. Er war fort.

Oder vielleicht war er auch niemals hier gewesen, war nur ein Trugbild ihres Geistes gewesen. Sie hatte nicht gut geschlafen – viel zu oft hatte sie bis tief in die Nacht hinein Königin Elisabeths weihnachtlichen Festlichkeiten beigewohnt. Sie hatte zu viele Sorgen, und sie zehrten an ihr.

Und doch – er hatte so … echt gewirkt.

„Nein, er war es nicht“, flüsterte sie vor sich hin. John Brandon war fort. Seit mehr als drei Jahren – drei sehr langen, harten Jahren – hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und sie würde ihn nie wieder sehen. Mehr noch, sie wollte ihn nie wieder sehen. Ein Wiedersehen mit ihm würde sie nur daran erinnern, welch törichtes Mädchen sie einst gewesen war, und daran, wie schwach sein reizvolles Gesicht sie gemacht hatte. Und gerade jetzt benötigte sie all ihre Kraft.

Sie richtete sich auf und atmete tief ein, bemühte sich um Ruhe und Haltung. Bald würde die Königin sie rufen lassen, und wenn sie zu ihr hineinging, musste sie einen klaren Kopf haben. Davon hing ihr zukünftiges Leben ab. Sie sollte jetzt vorausschauen, nicht zurück. Nicht an John Brandon denken.

Doch immer noch lauerte das Bild in ihrem Kopf, dieser flüchtige Anblick seiner sehnigen, muskulösen Gestalt, der ihr Herz schneller schlagen ließ. Trotz der lodernden Glut in den riesigen Feuerstellen, trotz des Menschengedränges, trotz ihres pelzbesetzten Samtgewandes fröstelte es sie.

Auf jedem Gesicht im Saal zeichnete sich Verzweiflung ab – jeder sah seine letzte Chance darin, sich der Königin bemerkbar machen zu können. Trug sie den gleichen Ausdruck? Sie fürchtete es fast. Was würde John sagen, wenn er sie so sehen könnte? Würde er sie überhaupt erkennen?

Die Tür zu den Privatgemächern der Königin öffnete sich, und jedermann wandte den Kopf in der Hoffnung, aufgerufen zu werden. Doch die Hoffnung sank, als nur Anton Gustavson und Lord Langley heraustraten, mit denen die Königin sich wohl gerade beraten hatte. Erneut rauschte das angespannte Geplapper auf.

Celia versteifte sich, als ihr Blick dem Antons begegnete. Er war ihr lang verschollener schwedischer Cousin, erst kürzlich in England eingetroffen, um seine Ansprüche auf Briony Manor geltend zu machen, dem Besitz ihrer beider Großeltern hier in England. Dieses Gut war Celias letzte Hoffnung darauf, angenehm und unabhängig leben zu können, ohne sich den Launen eines grausamen Gemahls beugen zu müssen. Aber nachdem sie gesehen hatte, wie Anton die Königin bezauberte und alle anderen Damen bei Hofe dazu, gab sie auf diese Hoffnung nichts mehr. Er würde den Besitz zugesprochen bekommen, wodurch sie erneut der zweifelhaften Barmherzigkeit der Familie ihres verstorbenen Gatten überlassen wäre.

Anton nickte ihr skeptisch zu, und sie knickste als Antwort. Außer ihm hatte sie keine Familie mehr, doch er war ihr fremd, und sie konnte ihm kein Vertrauen schenken. Das war eine der harten Lehren, die sie aus der Bekanntschaft mit John Brandon gezogen hatte – niemals dem Äußeren oder ihren Gefühlen zu trauen. Immer vorsichtig zu sein.

Eine junge Frau, Antons neuester Flirt, trat an seine Seite und berührte zärtlich seinen Arm. Er lächelte auf sie nieder, und sie schauten einander in die Augen, als wären sie ganz allein auf der Welt.

Der Anblick machte Celia todtraurig. So hatte sie selbst einst John angeschaut, gewiss, dass er dieses strahlende Band zwischen ihnen ebenfalls spürte. Aber letztendlich hatte sich das als Täuschung herausgestellt.

Sie wandte sich von den beiden Menschen ab und tat so, als betrachtete sie die Tapisserien an der Wand, doch die lebhaften Farben des Seidengewebes verschwammen ihr vor den Augen. Sie sah nur noch einmal jenen längst vergangenen Sommertag, als die Sonne so warm und hell am wolkenlos blauen Himmel gestanden hatte, spürte den kühlen Schatten unter den uralten Bäumen, wo sie auf ihn gewartet hatte. Sich auf seine Küsse gefreut hatte, darauf, seinen kraftvollen Körper zu spüren …

Doch er war nicht gekommen, damals … obwohl er ihr doch eine gemeinsame Zukunft angedeutet hatte. Die warme Sonne war erloschen, und nur die Schatten waren geblieben.

Er war es nicht, sagte sie sich wütend. Er ist nicht hier. Nein.

Wieder öffnete sich die Tür, dieses Mal war es der Majordomus der Königin. Angespannt verstummten die Wartenden.

Celia drehte sich ihm zu und fuhr sich dabei rasch über die Augen. In den ganzen drei Jahren hatte sie nicht geweint, also würde sie nicht gerade jetzt damit anfangen.

„Mistress Celia Sutton, Ihre Hoheit die Königin wird Euch nun empfangen“, verkündete der Mann.

Neidvolle Blicke hefteten sich auf sie, doch sie ignorierte sie und trat langsam vor. Dies war ihre Chance. Sie durfte sich durch die Erinnerung an John Brandon nicht auch nur einen winzigen Moment ablenken lassen. Zu viel hatte er ihr schon genommen.

In der breiten Türleibung hing ein kleiner Spiegel, der ihr ihr Abbild zeigte – die enganliegende schwarze Haube auf dem streng aufgesteckten dunklen Haar, der hohe Pelzkragen ihres Gewandes, das Ohrgeschmeide aus schwarzem Bernstein. Sie trug Trauer um den dahingeschiedenen Gatten, den sie nicht zu betrauern vermochte. Kummer prägte ihr bleiches Gesicht, nur ihre Wangen waren leicht gerötet – in Erinnerung an jenen längst vergangenen Sommertag? In ihren grauen Augen glänzten unvergossene Tränen.

Gewaltsam unterdrückte sie sie, verschränkte fest die Hände vor der Taille, während sie dem Majordomus in die königlichen Privatgemächer folgte. Auch hier herrschte reger Betrieb, doch die Atmosphäre war lockerer, die Gespräche leicht und ungezwungen. Hofdamen in pastellfarbenen Roben saßen flüsternd und kichernd, über Stickarbeiten gebeugt, auf ringsum verstreuten Polstern und Hockern und an der in Marmor gefassten Feuerstelle. In einer Ecke hockten hübsche junge Höflinge über einem Kartenspiel und warfen den Damen zwischendurch verliebte Blicke zu.

Nur Robert Dudley, der höchste Favorit der Königin, war nirgends zu sehen. Man sagte, dass er sich nach den verstörenden Ereignissen der Weihnachtszeit – dem versuchten Anschlag auf das Leben der Königin – Tag und Nacht nur um die Sicherheit am Hofe mühte. Auch der Erste Sekretär, Lord Burghley, der doch der Königin kaum von der Seite wich, war nicht anwesend.

Königin Elisabeth saß allein an einem mit Bittschriften übersäten Tisch beim Fenster. Bleiches Sonnenlicht fiel durch das dicke Glas, sodass ihr rotgoldenes Haar ihr Haupt einem feurigen Strahlenkranz gleich umrahmte und ihr elfenbeinfarbener Teint nachgerade zu leuchten schien. Sie trug eine prachtvolle, mit weißem Pelz verbrämte Robe aus karminrotem Samt über einem goldfarbenen Unterkleid; an ihren Fingern und Ohrläppchen glühten Rubine, und in ihr Haar waren Perlenschnüre geflochten.

Zoll für Zoll war sie die junge, glanzvolle Königin, doch unter ihren dunklen Augen lagen Schatten, und sie presste die Lippen streng zusammen, so, als hätten die letzten Tage an ihren Kräften gezehrt.

Celia hatte gehört, dass nicht allein jene befremdlichen Geschehnisse die Königin bekümmerten. Gesandtschaften aus Österreich und Schweden weilten am Hofe, bedrängten sie um ihre Hand. Von Spanien und Frankreich ging eine permanente Bedrohung aus, und ihre Cousine Maria Stuart, die schottische Königin, war ihr ohnehin schon immer ein Dorn im Fleische.

Fast kam Celia zu dem Schluss, dass ihre eigenen Sorgen im Vergleich dazu eine Kleinigkeit waren. Zumindest wollte niemand sie töten oder heiraten.

„Mistress Sutton“, hub Königin Elisabeth an, „Ihr musstet lange warten, fürchte ich.“ Bei diesen Worten tippte sie auf einige Papiere vor sich, wobei die Ringe an ihren Fingern aufblitzten.

Celia sank in einen tiefen Knicks und näherte sich dem Tisch. „Ich bin sehr dankbar, dass Eure Hoheit geruhen, mir etwas von Eurer kostbaren Zeit zu schenken.“

Elisabeth machte eine abwehrende Geste. „Ihr werdet vielleicht weniger dankbar sein, wenn Ihr vernehmt, was Wir zu sagen haben, Mistress Sutton. Bitte, setzt Euch.“

Ein Lakai stürzte vor und schob Celia einen Stuhl hin, auf den sie dankbar niedersank. Sie hatte das grässliche Gefühl, dass diese Audienz nicht den von ihr so sehnlichst gewünschten Verlauf nehmen würde. „Eure Hoheit sprechen von Briony Manor?“

„Ja.“ Elisabeth hob eine Schriftrolle. „Dieses Papier hier besagt klar, dass Euer Großvater wünschte, dass der Besitz an Master Gustavsons Mutter und anschließend an ihren Sohn selbst gehen soll. Wir sind der Meinung, dass Wir das nicht übergehen können.“

Erneut umfing Celia eisige Kälte, die Kälte der Enttäuschung, des Zorns – den sie unterdrücken musste. Aber wenn sie Briony Manor nicht bekam, wohin sollte sie dann? Wo sollte sie ein Heim finden? „Ich verstehe, Euer Hoheit.“

„Es tut mir leid für Euch.“ Die Worte klangen wahrhaftig, als empfände die Königin echtes Bedauern. Sie hatte sogar ‚mir‘ anstatt des förmlichen ‚Uns‘ benutzt. „Einst, als ich noch ein Mädchen war, hatte auch ich keinen Ort, an den ich wirklich gehörte, an dem ich mich wirklich sicher fühlen konnte. Ich war vollständig von anderen abhängig – von meinem Vater, meinem Bruder, meiner Schwester. Sogar mein Leben hing von ihren Launen ab.“

Erstaunt betrachtete Celia die Königin. Sehr selten nur erwähnte Elisabeth ihre schwierige Vergangenheit. Warum nun, und warum ausgerechnet ihr gegenüber? „Euer Hoheit?“

„Ich weiß, wie Ihr Euch fühlen müsst, Mistress Sutton. Wir sind uns in mancher Hinsicht ähnlich, denke ich. Und daher habe ich das Gefühl, dass ich einen großen Gefallen von Euch erbitten kann.“

Erbitten? Oder verlangen? „Natürlich werde ich tun, was ich nur kann, um Euer Hoheit zu Diensten zu sein.“

Wieder tippte Elisabeth auf die Papiere vor sich. „Ihr habt gewiss die Gerüchte bezüglich meiner Cousine Königin Maria vernommen. Sie scheint für meine Höflinge stets von größtem Interesse zu sein.“

„Ich … nun, ja, Euer Hoheit, manchmal höre ich etwas über sie. Beziehen sich Euer Hoheit auf ein spezielles Gerücht?“

Elisabeth lachte. „Oh, ja, es gibt in der Tat viele. Doch ich beziehe mich darauf, dass sie eine Heirat ins Auge gefasst haben soll. Man sagt, sie erhoffe sich eine Verbindung, die ihrer ersten Ehe mit dem König von Frankreich vergleichbar wäre. Ich hörte, sie habe Don Carlos von Spanien im Sinn, König Phillips Sohn.“

„Dieses Gerücht ist auch mir zu Ohren gekommen, Euer Hoheit“, bestätigte Celia. Allerdings hatte sie auch gehört, dass Don Carlos dem Irrsinn verfallen sei, doch selbst eine solch große Schönheit wie Königin Maria war anscheinend gerne bereit, um des Titels ‚Königin von Spanien‘ willen über so etwas hinwegzusehen.

Jäh schlug Elisabeth mit der Faust auf den Tisch, sodass ein Tintenfass scheppernd zu Boden fiel. „Das darf nicht sein! Eine so mächtige Verbindung darf meine Cousine nicht eingehen. Sie bedeutet auch so schon Ärger und Bedrohung genug. Ich riet ihr, einen englischen Edelmann zu ehelichen. Ich brauche an ihrem Hof jemanden, dem ich trauen kann.“

„Euer Hoheit?“, fragte Celia verwirrt. Wie konnte sie bei einer solchen Aufgabe behilflich sein?

Elisabeth senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. „Seht ihr, Mistress Sutton, ich habe einen Plan. Aber zu seiner Durchführung brauche ich Hilfe.“

„Wie kann ich wohl dabei helfen, Euer Hoheit? Ich kenne keinen Kandidaten für die Hand der schottischen Königin.“

„Oh, darum werde ich schon Sorge tragen. Ich habe den perfekten Kandidaten – jemanden, dem ich völlig vertrauen kann. Noch darf ich nicht sagen, wer es ist, aber ich verspreche, Ihr werdet bald schon alles Nötige erfahren.“ Die Königin lehnte sich in ihrem Sessel zurück und griff nach einer der Schriftrollen. „Indessen sucht die Countess of Lennox, die sowohl meine als auch Marias Cousine ist, um einen Pass für ihren Sohn Lord Darnley nach. Er wünscht seinen Vater aufzusuchen, der nun in Edinburgh residiert.“

Celia nickte. Auch von diesem Ersuchen wusste sie sehr wohl, da Lady Lennox ihr gegenüber in den vergangenen Tagen gewisse indiskrete, vertrauliche Äußerungen hatte fallen lassen, des Inhalts, dass Lady Lennox hoffte, Königin Maria werde Lord Darnley, wenn sie ihn erst einmal gesehen hatte – groß, blond und engelhaft schön – ehelichen und zum König von Schottland machen. Da auch er von königlichem Geblüt war, würde das außerdem Marias Anspruch auf das Erbe des englischen Throns stärken.

Celia war sich nicht so sicher, ob der Plan gelingen konnte, der ganz und gar von Lord Darnley abhing. Selbst sie, die doch noch nicht sehr lange am Hofe weilte, erkannte sehr wohl, dass hinter seiner hübschen Fassade ein Trunkenbold und Aufschneider lauerte, der überdies an Damen gar nicht allzu sehr interessiert zu sein schien.

„Ja, Euer Hoheit?“, äußerte sie jedoch nur.

„Es scheint, Lady Lennox hat sich in letzter Zeit mit Euch angefreundet.“

„Lady Lennox nahm mich hier sehr freundlich auf. Doch sie erzählt mir kaum etwas, außer, dass sie ihren Gemahl vermisst.“

„Ich zögerte bisher, Lord Darnley nordwärts reisen zu lassen. Er scheint mir jemand zu sein, auf den man besser ein Auge hat. Doch Lord Burghley rät mir dazu, und so bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ihm der Pass gewährt werden sollte. In einer Woche wird er nach Schottland aufbrechen.“

„So bald, Euer Hoheit?“ Celia war überrascht, dass zur Zeit überhaupt jemand auf den Gedanken kommen sollte, zu reisen. Seit Menschengedenken hatte es keinen so kalten Winter mehr gegeben. Sogar die Themse war völlig zugefroren. Wer vernünftig war, blieb daheim an seinem Feuer.

„Ich bin der Überzeugung, dass Zeit in dieser Sache von höchster Wichtigkeit ist“, sagte die Königin. „Und Lord Darnley scheint begierig darauf, zu reisen. Ich wünsche, Mistress Sutton, dass Ihr Euch der Reisegesellschaft anschließt.“

Celia versuchte, die Königin nicht wie eine blöde Bauernmagd anzustarren. Was sollte sie nur sagen? Wie ihre durcheinanderpurzelnden Gedanken ordnen? Sie, nach Schottland reisen? „Ich fürchte, ich verstehe nicht recht, inwiefern ich Euch in Edinburgh von Nutzen sein könnte, Euer Hoheit.“

Elisabeth seufzte ungeduldig. „Ich überlasse Euch der schottischen Königin Maria als Hofdame – eine freundliche Geste an meine Cousine. Mistress Sutton, ich brauche dort eine Dame, die alles aus nächster Nähe beobachtet. Für bestimmte Dinge sind Männer ja durchaus gut, und natürlich wird Lord Burghley seine Spione in der Reisegesellschaft unterbringen. Aber eine Frau sieht vieles, wofür Männer blind sind – besonders, was andere Frauen betrifft. Ich muss erfahren, wie Maria in Wahrheit über diese mögliche Heirat denkt. Und ich muss wissen, ob sie diesbezüglich … beeinflussbar ist.“

„Und Euer Hoheit glauben, dass ich das meistern kann?“, fragte Celia vorsichtig.

Elisabeth lachte. „Dessen bin ich mir sicher. Ich habe Euch während der letzten Tage beobachtet, Mistress Sutton, und bemerkt, dass Euch kaum etwas entgeht. Dass Ihr hinschaut und zuhört. Eine solche Person brauche ich. Nicht eine herumstolzierende Hofschranze, die nichts als den Schnitt ihrer Robe im Kopf hat. Für mich ist es lebenswichtig, zu erfahren, was meine Cousine tut. Von der Wahl ihres Ehegatten hängt die Sicherheit unserer nördlichen Grenzen ab.“

Abermals nickte Celia. Wie jedermann sonst wusste auch sie, wie unberechenbar die schottische Königin sein konnte. Und Celia schaute und horchte in der Tat; denn nur so konnte eine alleinstehende Frau überleben. Außerdem war ihr klar, dass sie nicht wählerisch sein konnte. Ohne eigenes Vermögen, ohne eigenen Landbesitz, ohne Ehemann und Familie als Stütze war sie ganz auf die Gunst der Königin angewiesen.

Doch besser das als die herzlosen Almosen ihrer Schwiegereltern.

„Natürlich würden Eure Bemühungen belohnt“, erklärte Elisabeth. „Sobald Königin Marias Heirat zu unserer Zufriedenheit in die Wege geleitet ist und Ihr zurück an meinem Hof seid, wird auch für Euch eine Heirat in Aussicht gestellt, die beste, die ich für Euch arrangieren kann. Das verspreche ich, Mistress Sutton, sodass Ihr für immer gut situiert seid.“

Ein eigenes Landgut, ein schöner Besitz, wäre Celia lieber als ein Ehemann. Nach ihrer Erfahrung waren Ehemänner zu nichts nütze. Doch vorerst würde sie akzeptieren, was die Königin ihr bot – und später neu verhandeln.

„Was hieße ‚gut situiert‘?“, fragte sie.

Die Königin lächelte, zog ein zusammengefaltetes Blatt unter der Mappe auf ihrem Tisch hervor und reichte es Celia. „Hier steht alles, was Ihr wissen müsst, Mistress Sutton. Ich beabsichtige, Maria den Namen meines bevorzugten Kandidaten zu unterbreiten. Seid Ihr erst an ihrem Hofe und habt Botschaften für mich, übergebt sie meinem Vertrauensmann; er wird sie mir auf schnellstem Wege zukommen lassen.“

Celia schob das Papier in ihren Ärmel. „Vertrauensmann, Euer Hoheit?“

„Ja. Ihr sollt ihn gleich kennenlernen.“ Sie winkte dem Majordomus, der sich mit einer Verneigung hinter eine Tapetentür zurückzog. Nur einen Augenblick später kam er zurück, gefolgt von einem hochgewachsenen, schlanken Mann, der modisch mit dunklem Samt und Seide angetan war.

John Brandon! Er war es also doch gewesen! Keine Illusion.

Bei seinem Anblick erhob Celia sich halb, sank aber sofort wieder auf ihren Sitz zurück. Ihr wurde eisig kalt.

Als er sie sah, riss er die Augen – diese sommerhimmelblauen Augen, die sie einst so sehr geliebt hatte – weit auf. Einen kurzen Moment lang las sie in deren Tiefen eine Empfindung; der Hauch eines Lächelns erschien auf seinen Lippen. Doch dann verschleierte sich sein Blick, und sie fand nichts mehr darin als die blasierte Langeweile, die von Höflingen gerade so gepflegt wurde. Nichts deutete drauf hin, dass er sie erkannt hatte.

„Ah, Sir John, da seid Ihr ja!“ Die Königin winkte ihn zu sich und streckte ihm eine Hand entgegen, über die er sich mit einer verschnörkelten Verneigung beugte. Dabei lächelte er so aufreizend, dass Elisabeth lachen musste.

„Eure Hoheit strahlen heller als die Sonne“, beteuerte er. „Mitten im Winter spendet Ihr uns noch Licht und Wärme.“

„Schmeichler!“ Die Königin lachte noch mehr.

Celia erinnerte sich noch gar zu genau an dieses Lächeln und daran, wie auch sie jedes Mal, wenn er es ihr schenkte, lachen musste und errötete. Damals war das Lächeln halb unter einem kurz geschorenen Bart verborgen gewesen. Nun war John glatt rasiert und zeigte offen seine klaren, scharf geschnittenen Züge, auf denen nun dieses Lächeln noch viel verführerischer blitzte.

Aus dem Augenwinkel nahm Celia wahr, dass einige der jungen Hofdamen kicherten und seufzten. Ja, auch daran erinnerte sie sich sehr gut – an das Empfinden, unter diesem glutvollen Lächeln dahinzuschmelzen. Doch das war nun lange her, und sie hatte die schmerzlichen Folgen erfahren, die es mit sich brachte, John Brandons Zauber zu erliegen.

„Sir John, dies ist Mistress Celia Sutton, die ebenfalls die Reise nach Schottland antreten wird.“ Königin Elisabeth senkte ihre Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. „Alle ihre Botschaften sollen mir ganz persönlich zugestellt werden. Ihr, Sir, werdet das übernehmen und außerdem in Edinburgh für ihre Sicherheit sorgen.“

Ganz kurz runzelte John die Stirn, als hörte er das nicht gern. Doch es konnte ihm kaum unangenehmer sein, als es Celia zuwider war. Ihr sank das Herz; sie war entsetzt und verwirrt. Mit ihm würde sie reisen müssen? Ihm vertrauen?

Ihr erster Gedanke war, aufzuspringen, zu schreien, dass sie diese Aufgabe nicht übernehmen könne, und aus dem Raum zu laufen. Doch sie biss sich auf die Lippen, dass es fast blutete, und zwang sich, zu schweigen und zu bleiben, wo sie war. Sie konnte, durfte der Königin nichts abschlagen. Und wohin hätte sie auch laufen sollen?

Rasch wieder gefasst, verneigte John sich noch einmal und sagte: „Ich bin stets Eurer Hoheit gehorsamer Diener.“

Selbstgefällig lächelnd wie eine Katze lehnte Elisabeth sich in ihrem Sessel zurück. „Kommt schon, Sir John, dies ist doch sicher Meilen von den schwierigen Aufgaben entfernt, die ich sonst von Euch erbitte. Mistress Sutton ist immerhin sehr hübsch, nicht wahr? Bestimmt wird es Euch nicht schwerfallen, ihr auf der langen Reise Gesellschaft zu leisten.“

Unter der Neckerei der Königin erstarrte Celia, während John ihr einen nur mäßig interessierten Blick schenkte. „Ich fürchte, in Gegenwart Eurer Hoheit bin ich unfähig, andere Frauen zu bemerken.“

Wieder lachte Elisabeth. „Dennoch erwarte ich, dass Ihr beide sehr gut zusammenarbeitet. Eure Mutter war Schottin, Sir John, nicht wahr?“

An Johns Kiefer zuckte ein Muskel. „Ja, Euer Hoheit.“

„Sie weilte sogar bei Hofe, als Königin Marie de Guise, Marias Mutter, regierte, meine ich zu wissen?“, fragte Elisabeth beiläufig, als wären jene Jahre unter Marie de Guises Regentschaft unwichtig gewesen, in denen die englischen Heere erbittert gegen die Schotten gekämpft hatten. „Daher solltet Ihr in der Lage sein, Mistress Sutton hilfreich zur Seite zu stehen, damit sie sich am schottischen Hofe zurechtfindet. Vielleicht begegnet Ihr ja dort sogar Familienangehörigen.“

„England ist meine Familie, Eure Hoheit“, entgegnete John knapp.

Das tat Elisabeth mit einer Handbewegung ab. „Ihr seid entlassen, Mistress Sutton, Sir John. Gewiss gibt es manches für die Reise vorzubereiten, und ich habe vor dem heutigen Bankett noch all diese Bittgesuche zu erledigen.“

Celia erhob sich langsam von ihrem Sitz und knickste mit zitternden Beinen. Noch konnte sie nicht ganz glauben, was während dieser kurzen Audienz geschehen war. Zwar brauchte sie sich nicht mehr zu sorgen, wo sie unterkommen und wovon sie leben sollte, dafür musste sie sich mit dem plötzlichen Auftauchen John Brandons anfreunden, und mit dem Gedanken daran, nach Schottland zu reisen, wo sie Königin Maria ausspähen sollte. Von all dem drehte sich ihr der Kopf.

Wäre es nicht so grässlich ernst gewesen, hätte sie glatt darüber lachen können.

John verneigte sich noch einmal vor der Königin, dann geleitete der Majordomus sie beide hinaus. Er führte sie nicht in den von Menschen erfüllten Empfangssaal, sondern durch eine verborgene Pforte in ein kleines, schwach erhelltes Gelass. Nach der vorhergehenden Helligkeit konnte Celia nichts erkennen, nur einige Tapisserien traten undeutlich auf den dunkel getäfelten Wänden hervor.

Sie rieb sich die Augen und atmete tief ein. Als sie die Hände sinken ließ, war der Haushofmeister fort – und sie war mit John allein.

Er musterte sie eindringlich; seine kraftvollen Schultern waren angespannt, doch seine Miene verriet nichts.

„Guten Tag, Celia“, sagte er leise. „Es ist lange her, nicht wahr?“

2. KAPITEL

Im Dämmerlicht des Raums hielt Celia den Blick auf John geheftet. Ein schwacher Lichtstrahl fiel auf sein Gesicht und zeigte ihr, dass die Jahre ihn verändert hatten, genau so, wie sie auch sie selbst verändert hatten. Er war sehniger, härter; seine blauen Augen, mit denen er sie wachsam musterte, kühler und frostiger.

Einst waren sie von warmem Blau wie der Sommerhimmel gewesen, hatten Celias Herz erweicht und ihren Widerstand durchbrochen. Nun aber war ihr Herz verhärtet und lag ihr taub und gefühllos und schwer wie ein Stein in der Brust. Und das war besser so. Gefühle trogen, waren unzuverlässig, man konnte ihnen nicht trauen.

Besonders, wenn es um diesen Mann ging.

Celia wich zurück, bis sie das harte Holz der Wandverkleidung im Rücken spürte. Er stand reglos da, betrachtete jedoch unverwandt ihr Gesicht. Ihr kam es vor, als folgte er ihr, als drückte er sich in diesen stummen Schatten gegen sie, als berührte sie sein harter, heißer Körper, so, wie es einst gewesen war. Als forderte er eine Reaktion heraus.

Krampfhaft bemüht, seinem Blick nicht auszuweichen, ihre Schwäche nicht zu zeigen, verkrallte sie die Hände in den Stoff ihrer Röcke.

Als sie endlich ihre Stimme wiederfand, sagte sie: „Ja, es ist tatsächlich lange her.“

Zu genau erinnerte sie sich noch, wann sie ihn das letzte Mal gesehen hatte: Es war daheim gewesen, unter einem Baum, ihrem verborgenen Treffpunkt. Er hatte sich dicht an sie gepresst, sodass ihr Rücken am rauen Stamm des Baumes lehnte, so wie sie sich nun gegen die harte Wand drückte. Und er hatte sie geküsst, heiß geküsst, hatte ihren Mund in Besitz genommen, verlangend, fordernd, hatte ihr die Röcke hochgeschoben und ihre Blöße gesucht. Und sie, seinem Drängen folgend, war ihm damals mit der gleichen Leidenschaft begegnet. An jenem Tag hatte ein so verzweifeltes Begehren zwischen ihnen geglüht, wie sie es nie zuvor gekannt hatte, und hatte sie dazu gebracht, von einer romantischen, strahlenden, gemeinsamen Zukunft träumen.

Und am nächsten Tag war er fort gewesen. Verschwunden, ohne auch nur ein einziges Wort.

„Aber noch immer nicht lange genug“, fügte sie kalt hinzu, „denn ich gedachte nicht, Euch je wiederzusehen.“

Immer noch musterte er sie von Kopf bis Fuß, erfasste ihr nüchternes Gewand, ihre Finger, an denen kein Ring prangte, ihr streng aufgestecktes Haar. Ganz kurz sah sie ein anderes Bild vor sich – John, wie er die Nadeln aus ihrem Haar löste, die schwere, seidige Masse durch seine Finger gleiten ließ. Elfenhaar hatte er es genannt und sein Gesicht darin vergraben …

Erneut heftete er den Blick seiner blauen Augen auf ihr Gesicht, sah sie so durchdringend an, als wollte er ihre Gedanken lesen.

Einst hatte sie ihm alles geschenkt, was sie hatte, hatte sich ihm ganz und gar hingegeben. Sie hoffte, dass sie nicht noch einmal so töricht wäre. Fest und kalt begegnete sie seinem Blick. Sollte er doch versuchen, in ihr zu lesen, sie einzuwickeln! Die vernarrte, dumme, unbesonnene Celia gab es nicht mehr. John hatte sie getötet – und gründlich nachgeholfen hatten dabei ihr naiver Bruder und später ihr elender Gemahl.

„Ich denke immer noch an dich, Celia“, sagte er plötzlich.

Eilends suchte sie ihre Überraschung zu verbergen. Er, an sie denken? Gewiss nicht. Außer vielleicht, um über ihre Einfalt zu lachen. Über die Unschuld vom Lande, die so rasch seinem Charme verfallen war, über die Tändelei, mit der er sich im ländlichen Exil die Zeit vertrieben hatte.

Celia lachte abfällig. Auf die förmliche Anrede verzichtend antwortete sie kalt. „Ich dachte, am Hofe gäbe es viel zu viel zu tun, um der Nostalgie zu frönen, John. All die Turniere, die es zu gewinnen, die Damen, um die es zu buhlen gilt. Sicherlich ist doch für einen Mann mit deinen … Vorzügen … jeder Augenblick vollends ausgefüllt.“ Sie ließ ihren Blick über seinen Körper gleiten, über die breiten Schultern, hinab zu den geschmeidigen Hüften, bis zu den langen Beinen in den hohen Lederstiefeln. Die Jahre hatten ihn kein bisschen verweichlicht.

Beim Anblick der Ausbuchtung in seinen Beinkleidern wandte sie hastig den Kopf ab. Diesen Teil seines Körpers hatte sie zu gut in Erinnerung … heiße, samtene Härte, die sich an sie drückte.

„Ja“, fuhr sie verkniffen fort, „du musst fürwahr beschäftigt sein.“

In diesem Augenblick schien seine eiserne Beherrschung zu reißen. Wie ein Falke sich auf seine Beute stürzt, packte er sie hart bei den Armen und schob sie gegen die Wand. Seine blauen Augen, die ihr so eisig erschienen waren, flammten nun wie glühende Blitze.

Celia merkte, wie ihre sorgsam errichteten Mauern bröckelten, und kämpfte um Fassung. Nein, das durfte nicht wahr sein! Fünf Minuten in Johns Gegenwart konnten unmöglich den Schutzwall niederreißen, den sie so mühsam um sich errichtet hatte. Sie wand sich in seinem Griff, doch er hielt sie unerbittlich fest.

„Lass mich los!“, stieß sie wütend hervor, doch er nahm sie nur noch fester zwischen der Wand und seinem Körper gefangen. Seine Wärme, dieses lebenssprühende Feuer, das ureigenster Teil von ihm war, umfing sie wie samtene, unzerreißbare Bande und weckte in ihr die Erinnerung an die Zärtlichkeit und das Begehren, die sie einst für ihn empfunden hatte.

„Was ist dir geschehen, Celia?“, fragte er mit rauer Stimme.

„Was meinst du?“, keuchte sie, verharrte völlig reglos und schaute hoch zu ihm. In seinem Kiefer zuckte ein Muskel, und er hatte seine Lippen wie im Zorn zusammengepresst. Sie stellte sich vor, wie sie ihre Hände in den hohen Kragen seines Wamses krallte und fester und fester zuzog, bis er sie losließ. Bis sie ihm so wehgetan hatte wie er ihr damals.

„Du siehst aus wie die Celia, die ich kannte“, murmelte er. Langsam ließ er eine Hand über ihren vom samtenen Ärmel verhüllten Arm gleiten, hinab zu ihrem bloßen Handgelenk. In seinen Augen glühte ein Feuer auf, als er ihren eiligen Puls spürte; er verflocht seine Finger mit den ihren.

Sie stand wie angewurzelt. Wahrhaftig fühlte sie sich wie die angepeilte Beute eines über ihr kreisenden Falken, zu verstört, um sich aus dem Bann zu lösen.

„Du bist noch schöner als damals.“ Seine Stimme war sanft und tief. „Doch dein Blick ist hart.“

Celia bäumt sich in seinem Griff auf. „Du meinst, ich bin nicht mehr das törichte, leichtgläubige Mädchen, das sich von schönen Worten verführen lässt? Ich habe meine Lektion gelernt, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben, John, und ich bin dankbar dafür.“

Er hob ihre Hand und betrachtete ihre Finger, die zarte, helle Haut, die gepflegten Nägel, und strich sacht über den ungeschmückten Ringfinger. Celia versuchte, sich zu befreien, doch trotz des trügerisch zärtlichen Griffs hielt er sie eisern fest.

„Du bist unverheiratet?“

„Nicht mehr verheiratet.“ Bitter lachte sie auf. „Dank Gottes Güte! Und ich beabsichtige nicht, je wieder zu heiraten.“

Zu ihrem Schrecken hob er ihre Hand noch weiter und drückte ihr seinen Mund in die Handfläche. Seine feuchten, glutheißen Lippen auf ihrer Haut … Unwillkürlich bebten ihr die Knie, ihr verräterischer Körper wurde schwach bis ins Mark, sodass sie sich fester gegen die Wand stützen musste. Diese Schwäche, dieser Ansturm dringenden Begehrens, das sie doch alles hinter sich geglaubt hatte, machten sie wütend. Sie versteifte sich und baute mühsam, Stein um Stein, ihren Schutzwall wieder auf.

„Ich mag mich verändert haben, John, du aber offensichtlich nicht“, sagte sie kalt. „Du nimmst dir immer noch, was du willst, ohne einen Gedanken an andere zu verschwenden. Du bist ein Eroberer, der fortwirft, was ihm keinen Spaß mehr bereitet.“

Sein Mund verharrte unversehens. Langsam hob er den Kopf und sah ihr in die Augen. Fast hätte sie unter der nackten, elementaren Wut seines Blickes aufgekeucht. Das Blau seiner Augen war nun beinahe schwarz, drohend wie Gewitterwolken.

„Du weißt gar nichts von mir“, flüsterte er, und durch die Sanftheit seines Tonfalls klang es umso nachdrücklicher. „Weißt nicht, was ich in meinem Leben schon alles habe tun müssen.“

Ich weiß, dass du mich verlassen hast, schrie es in ihrem Kopf; du hast mich in die grausamen Hände eines Ehegatten gejagt, in ein Leben, das mir keinen Zufluchtsort welcher Art auch immer übrig ließ. Sie musste sich auf die Lippe beißen, um die Worte nicht herauszuschreien. Stattdessen sagte sie: „Ich weiß, dass ich nicht mit dir zusammen für die Königin arbeiten will.“

„So wenig wie ich mit dir“, gab er zurück. Mit einem letzten kalten Blick auf ihre Gestalt ließ er sie los und wirbelte herum. Sichtbar angespannt blieb er stehen und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Aber die Königin hat es befohlen. Willst du dich etwa ihren Anordnungen widersetzen?“

Celia schob sich die Hände hinter den Rücken und presste sie gegen die Wand; anders hätte sie sich nicht davon abhalten können, ihm die weichen Wellen seines hellbraunen Haares glatt zu streichen, die er sich gerade so zerzaust hatte. „Natürlich nicht.“

„Dann reisen wir also nach Edinburgh.“

Tief sog er die Luft ein, und Celia glaubte förmlich zu sehen, wie er seine geistige Rüstung wieder zurechtrückte.

Über die Schulter hinweg warf er ihr einen amüsierten Blick zu. „Ich sehe dich heute Abend beim Tanzfest, Celia.“

Sie schaute ihm nach, wie er die Kammer verließ und die Tür hinter sich schloss. Schwer lastete die Stille darin, erdrückte sie fast, bis sie hätte schreien mögen.

Langsam ließ sie sich an der Wand niedergleiten, bis sie, ihre Röcke um sich gebauscht, am Boden hockte. In ihrem Kopf hämmerte es, sie schlug die Hände vors Gesicht und kämpfte gegen die Tränen an, die zu fallen drohten.

Eigentlich hatte sie gedacht, noch schlimmer, noch schwieriger könnte ihr Leben nicht werden. Aber weit gefehlt. Sir John Brandon war die größte, schlimmste Schwierigkeit überhaupt.

Gottverdammt! Celia Sutton.

John stieß den Stapel Schriftstücke so heftig von sich, dass ein Teil zu Boden flatterte, und sackte schwer in seinem Sitz zurück. Es war äußerst wichtig, das alles zu lesen, damit er wusste, womit er in Schottland zu rechnen hatte. Dennoch stand vor seinen Augen nur eins, dachte er nur an eins – an Celia.

Celia. Celia.

Wild fuhr er sich mit allen zehn Fingern durchs Haar, doch er konnte sie sich nicht aus dem Sinn schlagen. Ihre kühlen grauen Augen – wie sie ihn damit in dem dämmrigen Gelass gemustert hatte, den Blick über seinen Körper hatte gleiten lassen, als gingen ihr genau die gleichen Erinnerungen durch den Kopf wie ihm selbst. Erinnerungen an die Glut von Haut auf Haut, Mund auf Mund, an suchende, tastende Hände.

Ihre Seufzer, wenn er sie nahm, sich mit ihr fester und ehrlicher verband als je mit einer Frau zuvor – oder danach.

Doch im nächsten Augenblick war ihr Blick hart und abweisend geworden, eisig wie die gefrorene Themse draußen vor seinem Fenster. Fort war seine Celia; die Frau, an die sich zu erinnern ihn in all den Jahren voller Widrigkeiten aufrecht gehalten hatte – es gab sie nicht mehr.

Oder vielleicht war sie nur verborgen, verschanzt hinter den gekreuzten Schwertern, die er in den Augen jener neuen, harten Celia zu sehen geglaubt hatte. Unbestreitbar hatte sie sich abgeschottet, weil ihre Seele zutiefst verletzt worden war, und so viel sie einander auch einst bedeutet hatten, sie würde seine Nähe nicht mehr zulassen. Und das zu Recht, denn eine der Wunden in ihrer Seele hatte er ihr zugefügt.

Einst hatte er in der ganzen großen Welt nichts anderes gewollt als sie. Sie hatte Gefühle in ihm erweckt, die er für immer verloren geglaubt hatte. Einen kurzen, strahlenden Augenblick lang hatte er sogar an eine gemeinsame Zukunft zu glauben gewagt.

Nach all den Jahren war dieses Band immer noch vorhanden. Als er sie vorhin berührt hatte, war es ihm so vorgekommen, als könnte er ihre Gedanken spüren, ihre Wut, ihre Leidenschaft. Und da war Hass gewesen, der Lust so ähnlich, dass er ihn fast auf den Lippen hatte spüren können, weil er Sehnsüchte beschwor, die er nicht weniger stark empfand.

Er hatte seine gesamte Beherrschung aufbringen müssen, um sie nicht zu Boden zu drücken, ihre Röcke hochzuschieben, ihre Hüften mit beiden Händen zu umfassen und ihren Duft zu schmecken, zu riechen. Sie zu fühlen, bis ihre Mauern fielen und seine Celia wieder zum Vorschein kam. Das Mädchen, das ihn einst zum Lächeln gebracht hatte.

Er ächzte, denn ihm wurde sein Beinkleid eng; seit er sie berührt hatte, war er erregt und wurde nun noch härter. Allein, sich zu erinnern, wie sie schmeckte – wie sommerwarmer Honig –, wie sie einst die Hände in sein Haar gewühlt und ihn dichter an sich gezogen hatte, machte ihn wahnsinnig vor Begehren.

Aber angesichts des mordlustigen Blicks, den sie soeben gezeigt hatte, waren Erinnerungen wohl das Einzige, was ihm noch gestattet war.

Er stand auf, ging zum Fenster seines kleinen Gemachs und öffnete es. Obwohl er sein Wams abgelegt hatte und nur ein leichtes Leinenhemd trug, stemmte er sich dem eisigen Wind entgegen. Die Kälte sollte ihn an seine Aufgabe gemahnen, ihn an seine Pflicht zurückrufen. Noch nie hatte er darin gefehlt, der Königin zu dienen. Auch jetzt dufte er nicht scheitern, so sehr Celia ihn auch ablenkte.

Draußen sah er den Fluss, ein gefrorenes, silbernes Band, grau und kalt wie Celias Augen.

So kalt wie dieses Jahr war es in der Weihnachtszeit seit Menschengedenken nicht gewesen, eisig genug, um die Themse bis zum Grund zufrieren zu lassen, sodass man auf ihrer Fläche einen Jahrmarkt aufgebaut hatte. Inzwischen war es etwas wärmer geworden, doch immer noch drifteten Eisschollen auf dem Wasser, und wer sich ins Freie wagte, hüllte sich bis über die Ohren in wärmende Gewänder.

Und in dieser Kälte würde er nach Schottland reisen müssen – mit Celia. Lange Tage, die sie Wärme suchend gemeinsam in einem Wagen zubringen würden, und noch längere Nächte in abgeschiedenen Gasthäusern, einander verbunden in Gefahr, in den Diensten der Königin. Bestimmt würde Celia sich ihm dann öffnen? Bestimmt konnte er dann ihre Schutzwehr nach und nach niederbrechen, bis seine Celia wieder zum Vorschein kam?

Nein! John schlug so hart mit der Hand auf das Fensterbrett, dass das von der Kälte spröde Holz riss. Und noch einmal: Nein! Das Ziel dieser Reise war es nicht, ihm zu ermöglichen, sich erneut an Celia zu verlieren, von etwas zu träumen, das er nie haben konnte. Stattdessen ging es darum, die Bedrohung aus dem Weg zu räumen, die Königin Maria darstellte, solange im Raum stand, dass sie sich durch eine unbedachte Heirat in eine für England ungünstige Allianz begab. Das beides durfte er niemals vergessen.

Falls er und Celia je eine Chance gehabt hatten, war die längst verspielt.

Es klopfte an der Tür.

„Herein!“, bellte John harscher als gewollt. Er war ziemlich gereizt; das musste er unbedingt in den Griff bekommen.

Doch offenbar konnte er seine Laune nicht völlig verbergen. Denn als sein Freund Lord Marcus Stanville eintrat und Johns Miene sah, hob er die dunkelblonden Brauen und äußerte: „Wenn ich mir von dir nicht die Nase blutig schlagen lassen will, sollte ich wohl besser später wiederkommen.“

John grinste zögernd und schüttelte den Kopf. Er ließ sich wieder auf einen Stuhl sinken und rieb sich verlegen den Nacken. „Die Damen bei Hofe würden mir nie vergeben, wenn ich dein hübsches Gesicht verunstaltete.“

Marcus gab das Grinsen zurück und warf die langen dunkelblonden Haare, die die Damen so liebten, in den Nacken. Wären die beiden Männer nicht seit ihrer Kindheit befreundet gewesen – sie waren nach dem Tode ihrer Eltern bei den gleichen Pflegeeltern aufgewachsen –, hätte John einen solchen Schönling sicher verabscheut. Doch er wusste, dass hinter den feinen Zügen ein kluger Geist wohnte und die lässige Haltung über einen flinken Schwertarm hinwegtäuschte. Mehr als einmal hatten sie sich gegenseitig das Leben gerettet.

„In der Tat mögen sie mein Gesicht gerade so, wie es ist.“ Marcus ließ sich nachlässig in einen Sessel fallen. „Aber die eine oder andere wohlüberlegt platzierte Wunde könnte vielleicht im Herzen einer gewissen Dame Mitgefühl erwecken …“

„Lady Felicity?“

„Aye. Sie ist ein hartherziges Frauenzimmer.“

John lachte. „Du bist nur nicht daran gewöhnt, jemandem hinterherzulaufen. Die meisten Frauen werfen sich dir ja schon zu Füßen, wenn du sie nur anlächelst.“

Marcus schnaubte. „Sagt der Mann, bei dem alle Frauen Londons Schlange stehen, um sein Bett zu teilen.“

Düster verzog John das Gesicht, denn er musste unwillkürlich an Celias graue Augen denken, aus denen sie ihn eisigen Blickes gemustert hatte. „Nicht alle Frauen“, brummte er.

„Was?“ Marcus lachte. „Sag bloß nicht, eine Dame hätte Sir John Brandon widerstanden! Wie überaus unwahrscheinlich! Sollte gar der jüngste Tag gekommen sein?“

Mit raschem Griff packte John ein dickes Buch und warf es nach seinem Freund, der sich duckte, es auffing und umgehend zurückwarf.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich das eines Tages erleben würde! Kein Wunder, dass du so finster dreinschaust.“

„Erfreu dich dran, solange du noch kannst, denn schon bald werden wir unterwegs zu dem verfluchten, froststarrenden Edinburgh sein.“

Marcus wurde ernst. „Ja, in der Tat. Ein Auftrag, der mir nicht sonderlich schmeckt. Kindermädchen für diesen Trunkenbold Darnley zu spielen! Ich wette, der Teufel selbst könnte den nicht vor Ärger bewahren.“

„Ich glaube, es steckt mehr dahinter.“

Die Hände auf die Knie gestützt, beugte Marcus sich vor. „Also hast du mit Burghley gesprochen?“

„Noch nicht, aber gewiss werden wir morgen zu ihm befohlen.“

„Wird es ähnlich ablaufen wie bei unserer Reise nach Paris?“

An Paris und an das, was dort geschehen war, erinnerte John sich sehr gut. An die Täuschungsmanöver, an die Gefahr. An die Sorge darüber, wie es Celia derweilen ergangen war. „Die schottische Königin war Elisabeth schon immer ein Dorn im Fleische.“

„Und wir werden ihn ziehen müssen?“

„Ich fürchte, ja. Auf die eine oder andere Art.“ Und die ganze Zeit über würde John mit seinem eigenen Dorn zurechtkommen müssen – einem Dorn mit, ach, so zarter, heller Haut hinter der scharfen Spitze. „Die Königin schickt noch eine weitere Person mit.“

Marcus stöhnte laut. „Außer Darnley und seinen Kumpanen?“

„Aye. Mistress Celia Sutton.“ Allein ihren Namen auszusprechen, ihn über seine Zunge gleiten zu lassen, drehte ihm fast das Herz im Leibe um. Die zärtlichen Gefühle, die er einst für sie gehegt hatte, waren ihm nun eine Qual.

„Celia Sutton?“ Marcus machte große Augen. „Die könnte einem mit einem Blick die Eier abfrieren.“

John lachte rau, dachte an die Erregung, die gerade erst nachgelassen hatte. Ein Blick von ihr, eine Berührung, der Duft ihrer Haut, und er war fast schmerzhaft hart geworden. „Sie kommt als persönliche Gesandte Ihrer Majestät – quasi die Verkörperung der tiefen Zuneigung, die die Königin für ihre Cousine hegt.“

„Da hätte sie genauso gut einen vergifteten Ring schicken können“, sagte Marcus abfällig „Obwohl – irgendetwas hat Mistress Sutton an sich, das …“ Er brach ab und musterte John abschätzend.

Der hob abwehrend eine Hand. „Sprich es nicht einmal aus!“

So lange waren sie schon Freunde, dass Marcus die Warnung in seiner Miene lesen konnte. Er zuckte die Achseln und stand auf.

„Deine Liebschaften gehen nur dich an, so seltsam sie sein mögen. Was umgekehrt auch für mich gilt. Nun, da wir uns schon so bald auf den Weg in die Hölle machen, bleibt mir nur noch wenig Zeit, Lady Felicity den Hof zu machen.“ Mit diesen Worten schlenderte er aus dem Zimmer.

John blieb allein zurück, in düsteres Brüten versunken. Abermals richtete er den Blick nach draußen, wo rasch die Winternacht hereinbrach. Entlang dem Flussufer blitzten Fackeln auf, die einzigen Lichter in der von Nebel verhangenen Stadt.

Er fühlte sich, als wäre er schon in der Hölle. Als wäre er seit Jahren darin gefangen – seit er Celia verraten und sie damit für immer verloren hatte. Die einzige Frau, mit der er je gewagt hatte, sich eine gemeinsame Zukunft vorzustellen.

3. KAPITEL

Celia betrachtete sich in dem kleinen Spiegel, während das Kammermädchen ihr das Haar bürstete und flocht und es zu einem strengen Knoten aufsteckte. Inzwischen war sie wirklich froh darüber, dass die Königin ihr eines der wenigen Privatgemächer zugestanden hatte; so brauchte sie sich keinen neugierigen Blicken und keinem Klatsch auszusetzen. Bestimmt konnte man ihr im Moment den Aufruhr, der in ihr herrschte, vom Gesicht ablesen.

Keine Sekunde konnte sie die Hände still halten. Unruhig verschränkte sie sie im Schoß, schob sie tief in den Pelzbesatz ihrer Robe. Bald würde sie hinuntergehen müssen in die große Halle, würde dort lächeln und reden müssen, als wäre nichts geschehen. Und sie würde lauschen und beobachten müssen, um herauszufinden, welche geheimen Gründe hinter diesem plötzlichen Entschluss steckten, nach Edinburgh zu reisen. Wie gewohnt musste sie sich vorsehen, auf der Hut sein, jeden ihrer Schritte sorgsam bedenken.

Jäh von Erschöpfung erfasst schloss sie die Augen. Seit drei Jahren schon ließ sie Vorsicht walten, tagaus, tagein, ohne Ende. Sollte das ihr ganzes Leben so weitergehen? Es stand zu befürchten. Ihr Gemahl war tot, trotzdem musste sie sich immer noch vorsehen, konnte die Pein nicht vergessen.

Unbewusst rieb sie sich die Schulter. Die Verletzung war längst verheilt, doch manchmal glaubte sie fest, dass sie sie immer noch spürte. Sie hatte bisher so stark dafür gekämpft, ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können. Auch jetzt wollte sie das nicht verlieren. Nicht seinetwegen!

Hinter ihren geschlossenen Lidern erstand John Brandons Gesicht, zur Hälfte in geheimnisvolle Schatten getaucht. Nur seine blauen Augen spürte sie auf sich geheftet; sie schienen sich durch ihre sorgfältig errichtete Rüstung zu bohren und alles zu sehen, was sie dahinter verbarg. Die Berührung seiner Hände hatte Gefühle in ihr aufgewühlt – Gefühle, die sie für tot und begraben gehalten hatte, die sie nie wieder zu fühlen erwartet hatte, weil sie in ihrer Ehe abgetötet worden waren.

Ein Blick von John versetzte sie in größeren Schrecken, als es Thomas Suttons Schläge je gekonnt hatten. Denn der Mann hatte sie nie wirklich gekannt, hatte sie nie wirklich besessen. Ihr wahres Ich hatte sie vor ihm stets verborgen gehalten, so sehr er sich bemüht hatte, es aus ihr herauszuprügeln.

John jedoch hatte sie damals ganz und gar gehört, mit Körper und Seele, und seinetwegen war es in ihr nun öd und leer.

„Fühlt Ihr Euch nicht wohl, Mistress Sutton?“, fragte die Kammerfrau besorgt.

Celia fuhr aus ihrem Grübeln auf; sie schlug die Augen auf und schenkte der Dienerin ein höfliches Lächeln. „Nur ein wenig Kopfweh. Es wird vergehen.“

„Soll ich Euch das Haar etwas weniger fest stecken? Ein paar herauslugende Löckchen hier und da sind gerade in Mode.“

Celia musterte sich erneut im Spiegel. Ihre Frisur war streng wie immer, die schweren schwarzen Locken im Nacken zu einem festen Knoten gesteckt, den allerdings, als Zugeständnis für den feierlichen Anlass, ein schwarzes, perlenbesetztes Netz umhüllte, ihr einziger Haarschmuck. Die Strenge war Teil ihrer Rüstung.

„Nein, es geht schon“, versicherte sie und legte ihr Ohrgehänge aus Perlen und schwarzem Bernstein an. „Das Kleid bitte!“

Sie warf den Hausmantel ab und ließ sich von der Dienerin in ihr Gewand helfen: Mieder und Überrock aus schwarzem Samt, Brustschild und Unterröcke aus glänzendem, purpurnem Brokat, mit Perlen aus schwarzem Bernstein bestickt. Auch die Ärmel waren schwarz, mit purpurnem Seidenband geschnürt. Selbst ihre Schuhe und die Strumpfbänder, die die weißen Strümpfe hielten, waren schwarz.

Ihr Mann war seit vielen Monaten tot. Sie könnte die Trauerkleidung ablegen, könnte sich in Blau und Grün kleiden, wie sie es früher einmal so gern getan hatte. Doch sie wollte sich mit den dunklen Gewändern weiterhin an das mahnen lassen, was hinter ihr lag, und was sie sich geschworen hatte nie wieder zu erleben.

Sie hob die Arme, damit das Mädchen die eng anliegenden Ärmel schnüren und den zarten weißen Stoff des Unterkleides zwischen den Lücken der Bänder hervorzupfen konnte. In Gedanken versunken starrte sie ins Feuer, rief sich noch einmal den Moment vor Augen, als sie John zum ersten Mal gesehen hatte.

Damals war sie noch ein naives Mädchen gewesen, noch nicht bei Hofe vorgestellt, hatte nur ihre eigenen Angehörigen und die ringsum ansässigen Adelsfamilien gekannt. In eben dieser altbekannten Nachbarschaft war plötzlich John Brandon aufgetaucht. Als Buße für irgendeinen ungenannten Skandal war er zu seinem Onkel aufs Land geschickt worden, vom Hofe verbannt, bis er Reue zeigte.

Die Aura des Geheimnisvollen, Verbotenen, die ihn umgab, hatte Celias Cousinen schon aufgeregt herumrätseln lassen, ehe sie ihn überhaupt kennengelernt hatten, und auch Celia selbst war dafür nicht unempfänglich gewesen. Wie jede junge Dame saß sie gern an Winterabenden beim Kamin und lauschte romantischen Geschichten, und ein hübscher junger Lebemann aus London schien gut in diese Geschichten zu passen. Als sie ihm dann endlich bei einem Festmahl begegnet war, zu dem sein Onkel geladen hatte – da hatte es nur eines Blickes bedurft …

Plötzlich war ihre Welt aus den Fugen geraten, und alles hatte völlig anders ausgesehen. Seine Augen, sein Lächeln, wie er quer durch den Raum auf sie zugestrebt war und ihr die Hand geküsst hatte – sie war wie geblendet gewesen.

Als sie sich nun daran erinnerte, konnte sie nur den Kopf schütteln. Was war sie doch damals für ein törichtes Mädchen gewesen.

Und nun eine törichte Frau. Denn war sie nicht, als er sie heute berührt hatte, schon wieder fast dahingeschmolzen?

Doch wenn sie das nächste Mal zusammentrafen, würde sie die Lage beherrschen. Musste sie beherrschen!

Inzwischen hatte das Mädchen sein Werk beendet, und Celia befestigte einen Fächer aus schwarzen Federn und eine silberne Parfümkugel an ihrem Gürtel. Dies beides musste ihr genügen, da sie kein Schwert besaß.

Aber als ihre Dienerin sich umdrehte, bückte sie sich und hob ihre Röcke, um einen Dolch in die kleine Scheide an ihrem Strumpfband zu schieben. Ganz ohne Waffen wollte sie dann doch nicht hinunter in den Saal gehen.

Auf ihrem Weg dorthin herrschte umso mehr Gedränge auf den vielen Treppen und gewundenen Gängen des Palastes, je näher sie der großen Halle kam. Nach all den Lustbarkeiten, die die Königin während der Weihnachtszeit Nacht für Nacht hatte veranstalten lassen, hätte Celia gedacht, dass die Hofgesellschaft der glänzenden Feste überdrüssig war, doch die Luft schien vor Vorfreude zu summen, alles ringsum lachte und schwatzte, und Celia wurde von der Menge aufgesogen.

Musik drang an ihr Ohr, die lebhaften Klänge einer Galliarde, begleitet vom Stampfen tanzender Füße. Seide rauschte, Juwelen blitzten, der Duft kostbarer Parfüms umfing sie, die Ausdünstungen von Wein und erhitzter Haut. Ihr wurde ganz schwindlig davon, doch sie konnte dem Strom nicht mehr entrinnen und wurde mit den anderen in den großen Saal gespült.

Geschickt schob sie sich durch das Gewühl und suchte sich einen Platz nahe der mit Wandteppichen verhängten Mauern, ein wenig abseits der hektischen Betriebsamkeit, der unwillkürlichen Berührungen. Es machte ihr stets das Atmen schwer, inmitten einer solchen Menschenmenge zu stehen.

Von einem der Lakaien, die in die königlichen Farben gekleidet waren, nahm sie ein Glas entgegen, und während sie im Saal umherspähte, nippte sie an dem schweren französischen Rotwein. Sie betete, dass John nicht da wäre, oder dass er sie zumindest nicht sehen würde, denn seit ihrem Zusammentreffen hatte sie kaum ihre hart erkämpfte Haltung wiedergewonnen. Sein Körper in jenem engen Gelass so nah dem ihren, seine Wärme, sein Duft …

Rasch trank Celia einen großen Schluck Wein und dann noch einen. Heute Abend brauchte sie jede nur mögliche geistige Stärkung. Normalerweise beschränkte sie sich auf Dünnbier, denn sie konnte nie vergessen, welch Scheusal das Trinken aus ihrem Gemahl gemacht hatte. Und nach dem schlimmen Ende, das ihr armer Bruder genommen hatte, hatte sich ihr Vater damit zugrunde gerichtet.

Vom Wein allmählich innerlich gewärmt musterte sie die Gesellschaft. Die Königin mit ihrem stattlichen Robert Dudley, neuerdings Earl of Leicester – wie es hieß, war er dazu erhoben worden, weil der neue Stand ihm genügend Bedeutung verlieh, um der Königin von Schottland ein würdiger Gemahl zu sein. Königin Elisabeths rotgoldenes Haar glänzte heller als ihre Robe aus Goldbrokat, und sie lachte und sprang wirbelnd hoch hinauf, höher als alle anderen. Bei Musik und fröhlichem Treiben schien sie die Ärgernisse der letzten Wochen und die weiterhin zu erwartenden Unbilden völlig zu vergessen.

Celias Blick fiel auf die Countess of Lennox, eine große, gewichtige Frau in schwarzem Gewand, die sich ebenfalls von dem Trubel fernhielt und mit verkniffenem Mund die Tanzenden musterte. Sie nickte Celia flüchtig zu, ehe sie sich ihrem Sohn zuwandte, der, einen Becher in der Hand, schmollend an ihrer Seite verharrte. Wo er nicht lange bleiben würde. Es stand nicht zu erwarten, dass er länger als eine Stunde seinen wüsten Vergnügungen fernzubleiben imstande war. Lord Darnley sah gut aus, das musste Celia zugeben – sehr groß und schlank, mit goldblondem Haar und den fein geschnittenen Zügen der Tudors. Doch wie bei seiner Mutter lag auch um seinen Mund ein grausamer Zug, den Celia nur zu gut wahrnahm. Sie traute ihm nicht, und sie wusste nicht, welches Spiel Königin Elisabeth mit ihm, Leicester und Maria spielte.

Vor allem wusste sie nicht, warum sie sich in dieses undurchsichtige Spiel verwickeln lassen musste. Aber die Not ließ ihr keine andere Wahl.

„Einen guten Abend Euch, Cousine“, erklang hinter ihr eine tiefe, ruhige Stimme mit leichtem skandinavischem Akzent.

Sie wandte sich um und sah den Mann vor sich stehen, den sie bis vor Kurzem für eben diese Not verantwortlich gemacht hatte: ihr Cousin Anton Gustavson. Er war ihr unbekannt gewesen; seine Mutter, Celias Tante väterlicherseits, hatte einen schwedischen Adelsherrn geheiratet und war noch vor Celias Geburt in den kalten Norden gezogen. Dann plötzlich tauchte ihr Sohn als Mitglied einer Gesandtschaft hier bei Hofe auf, um im Namen des schwedischen Königs um Elisabeths Hand zu werben – und um Anspruch auf die Besitzungen der Familie zu erheben, die Celia zu bekommen gehofft hatte, und die das einzige Überbleibsel vom einstigen Vermögen waren.

Den enttäuschenden Ausgang dieser Sache hatte sie Anton angelastet, doch als sie nun in seine dunklen Augen sah, die so wachsam blickten, konnte sie diese Schuldzuweisung nicht aufrechterhalten. Genau wie sie war auch er nur hier am englischen Hofe, um eine Möglichkeit zu einem Neuanfang zu finden. Und vielleicht mit Erfolg – er hatte seinen neuen Besitz und seine Lady Rosamund.

Celia hingegen war noch auf der Suche.

„Auch Euch guten Abend – Cousin“, entgegnete sie. „Wo ist Lady Rosamund? Alle sagen, Ihr wäret neuerdings unzertrennlich.“

„Nicht ganz.“ Anton deutete auf die Tanzfläche, ein wirbelndes Kaleidoskop von glänzenden Seiden und Juwelen. „Sie tanzt mit Lord Marcus Stanville.“

Das war in der Tat so. Celia bemerkte, wie Rosamund und der Lord sich im Tanz umeinander drehten, ihre goldblonden Köpfe beinahe Wange an Wange. „Lord Marcus Stanville – der Meister der Tändelei bei Hofe.“ Celia leerte ihren Pokal und ließ sich einen vollen reichen. „Ich staune.“

Anton lachte. „Rosamund ist für seine Schmeicheleien nicht empfänglich.“

„Aber für Eure?“

Er hob die Brauen. „Ja, für meine schon. Wir werden bald heiraten.“

Celia schluckte schwer und betrachtete angelegentlich die Tänzer. Ein harter, kalter Knoten legte sich ihr drückend über das Herz, schwer und schmerzhaft. Einst hatte auch sie die törichte Hoffnung gehegt, sie könnte den Mann, den sie liebte, heiraten.

„Meine Glückwünsche, Cousin“, rang sie sich ab. „Gewiss kamt Ihr mit weit geringeren Erwartungen aus Schweden hierher?“

„Ich hatte gehofft, Verwandte hier zu finden. Und nun gibt es nur Euch und mich. Können wir nicht Frieden schließen und Freunde sein?“

Über den silbernen Rand ihres Bechers hinweg schaute sie ihn prüfend an. Ja, er war ein Verwandter. Der einzige, der ihr geblieben war. Erinnerten seine Augen sie nicht an ihren Vater? Wie sehr ihr ihre Familie manchmal fehlte! Sie war so schrecklich allein.

„Aye, Cousin, schließen wir Frieden“, erklärte sie und streckte ihm langsam ihre Hand entgegen.

Erleichtert lachte Anton auf und beugte sich über ihre Finger. „Du bist in unserem Heim jederzeit höchst willkommen, Celia“, erklärte er, nun ganz ohne Förmlichkeit.

Celia schüttelte den Kopf. „Keine Sorge, Anton, ich werde nicht die böse Fee an eurer Tafel sein. Die Königin hat mir einen Auftrag erteilt; vermutlich werde ich längere Zeit fortbleiben müssen.“

Antons Miene verdüsterte sich flüchtig. „Was für einen Auftrag?“

Schon öffnete sie den Mund zu einer unverbindlichen Antwort, als sie jäh im Nacken etwas wie brennende Hitze verspürte. Unwillkürlich griff sie sich an die Stelle. Ein Zittern durchlief sie.

Als sie sich umsah, schaute sie mitten in John Brandons hellblaue Augen, begegnete seinem flammenden Blick. Er legte den Kopf schräg und musterte sie grüblerisch, als wäre sie ihm ein Rätsel, dann schritt er auf sie zu.

Ohne nachzudenken, drückte sie Anton ihren Becher in die Hand und sagte: „Entschuldige mich bitte, ich muss jetzt gehen.“

„Celia, was ist …?“, rief Anton verblüfft, doch da war sie schon fort.

Sie wusste nur, dass sie flüchten musste, fort musste, ehe John bei ihr war und mit eben diesen Augen bis tief in ihre Seele blickte, wie es ihm zuvor schon beinahe gelungen wäre.

Inzwischen hatten Lärm und Gedränge im Saal noch zugenommen, sodass Celia sich nachgerade durch die Menge wühlen musste. Doch klein und zierlich, wie sie war, konnte sie mühelos zwischen den Grüppchen hindurch auf den Gang hinaus schlüpfen. Dort war das Stimmengewirr zwar immer noch zu hören, jedoch gedämpft und irgendwie unwirklich. Die Luft allerdings war auch hier erstickend heiß. Und sie hätte schwören mögen, dass sie leise, unaufhaltsam näher kommende Schritte hinter sich vernahm. Seine Schritte.

„Ich werde wahnsinnig“, flüsterte sie vor sich hin, hob den schweren Saum ihrer Robe an und eilte schneller vorwärts, dorthin, wo der Gang in einen weiteren mündete, und dann wieder in einen anderen. Whitehall war ein einziger großer Irrgarten. Hier war es dunkler, stiller, der schmale Flur nur noch von wenigen, in Wandhaltern steckenden Fackeln trübe beleuchtet. Hinter einem der Wandbehänge hörte sie leises Kichern und das Stöhnen eines Mannes.

Sie wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte, und dieses kurze Zögern war ihr Verderben. Eine harte Hand umfing ihren Arm und wirbelte sie herum.

Sie verlor das Gleichgewicht und fiel gegen eine samtverhüllte Brust. Unwillkürlich stützte sie sich an diesen warmen, soliden Halt und spürte einen diamantenen Knopf unter ihrer Hand. Es war John. Sie roch ihn, erkannte seine Berührung. Der Falke hatte seine Beute in den Fängen.

Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, still zu halten, nicht wieder voller Panik wegzurennen.

„Musst du zu einer dringenden Verabredung, Celia?“, fragte er leise. „Du scheinst es ziemlich eilig zu haben.“

Unauffällig versuchte sie, loszukommen, sich aus seinem Griff zu winden, doch wohl nicht unauffällig genug. Einer stählernen Klammer gleich schlang er auch noch den anderen Arm um sie.

Langsam schob sie die Hände auf seiner Brust tiefer, und er zog sie umso fester an sich, sodass ihr Kopf unter seinem Kinn ruhte. Unter den Handflächen spürte sie den kräftigen, steten Schlag seines Herzens.

Ihr eigenes Herz hingegen raste wie wild. Sie wagte nicht, tief einzuatmen, denn sein verwirrender Duft hüllte sie ein. Sie schloss die Augen und suchte in ihrer Seele nach den Mauern aus eisiger Kälte, mit deren Hilfe sie die letzten Jahre überstanden hatte, suchte die kühle Reserviertheit, die ihre Rettung gewesen war. Doch da war nichts. Jetzt schon hatte er das alles niedergerissen.

„Ich bin müde“, sagte sie tonlos. „Ich wollte mich lediglich zurückziehen. Es gab keinen Grund für diese Verfolgungsjagd.“

John lachte ironisch. „Eine Frau, die sich derart beeilt, möchte normalerweise verfolgt werden.“

„Wie die Hirschkuh bei der königlichen Jagd?“, stieß Celia keuchend hervor. Sie hatte an solchen Jagden teilgenommen, hatte gesehen, wie Königin Elisabeth selbst dem gefallenen Tier das Herz herausgeschnitten hatte. Eigentlich hatte Celia geglaubt, sie selbst besäße längst kein Herz mehr. Doch anscheinend hatte sie sich geirrt. Ein kleiner, verborgener Teil davon war immer noch da, blutend, und er war gefährlich nah daran, ihm eine weitere Wunde zuzufügen.

Bestimmt hatte John in den vergangenen drei Jahren zahllose lüsterne Frauen durch Korridore gescheucht, sie an sich gedrückt und sie geküsst, bis auch sie ihm nur zu gern ihr Herz geöffnet hatten.

„Ich lasse mich nicht an anderen Frauen messen!“, fügte sie nachdrücklich hinzu und versuchte abermals, sich aus seinen Armen zu winden.

Doch er presste sie immer noch enger an sich, sodass ihre Füße schließlich wahrhaftig den Boden nicht mehr berührten. So umschlungen trug er sie ein Stück, bis sie durch ihr brokatstarrendes Mieder kalten Stein an ihrem Rücken spürte. Als sie die Augen aufriss, sah sie, dass er sie in eine tiefe, von Wandteppichen verhüllte Fensternische gebracht hatte, wo sie nur von Stille und Dunkelheit umfangen waren.

„Das stimmt, Celia Sutton“, flüsterte er. „Du bist ganz anders als jede andere Frau in England.“ Sein Tonfall war merkwürdig, undeutbar – verwirrt, ärgerlich?

„Und ich bin mir sicher, du hattest sie alle!“

John lachte und schob sie dichter gegen die Wand, stützte seine Hände rechts und links neben ihr auf und hielt sie so mit seinem Körper gefangen. Schon wieder. „Dass du mir so viel Stehvermögen zutraust, schmeichelt mir überaus, meine Elfenkönigin. Aber ich bin erst seit achtundzwanzig Jahren auf dieser Welt; das ist leider nicht lange genug, um alle Frauen gehabt zu haben.“

Als sie ihren alten Kosenamen aus seinem Mund hörte – Elfenkönigin hatte er ihr damals ins Ohr gehaucht, als sie einander im Wald umschlungen hielten –, zerbrach etwas in Celia. Er hatte nicht mehr das Recht, sie so zu nennen, nie wieder.

Ehe sie sich versah, hatte sie in blindem Zorn seine Männlichkeit mit stählernem Griff gepackt.

Er erstarrte, sog scharf den Atem ein und schaute sie aus zusammengekniffenen Augen an. Die Luft ringsum schien jäh vor Spannung zu knistern. Dieses seltsame Spiel zwischen ihnen – worum es auch gehen mochte – hatte sich mit einem Mal verändert.

Die Braguette seiner Beinkleider war nicht aufwendig gepolstert und verziert, sondern bestand nur aus leichtem Samtstoff, sodass Celia deutlich fühlen konnte, was darunter war. Und das war bereits hart. Als sie zudrückte, zuckte es und wurde noch härter. Oh, ja, wie gut sie sich daran erinnerte – dass er sich dort gern berühren ließ. Langsam lebte in ihr das schwer erarbeitete Gefühl, Herrin über ihr eigenes Handeln zu sein, wieder auf.

Sie krümmte die Finger, bis sie seine Härte vollständig umfasste, und fuhr mit der Handfläche ganz langsam darüber, erinnerte sich an nackte, heiße, seidige Haut, an pochendes Leben. Mit raschem Griff packte sie seine Hoden.

„Das geschieht also, wenn du deine Beute greifst, John?“, flüsterte sie. Sanft zog sie mit den Fingernägeln eine feine Linie über sein verhülltes Fleisch.

Er stand völlig starr da, nur seinen glühenden Blick auf sie geheftet, den sie beinahe körperlich zu spüren glaubte. Endlich einmal hatte sie ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Er wusste nicht, wie ihr nächster Zug ausfallen würde.

Nur leider wusste sie selbst es ebenso wenig. Und das lag an ihm.

Sie hatte aus einem Gefühl heraus gehandelt, um die Herrschaft über die Situation zu erlangen. Doch die schien ihr bereits wieder aus den Händen zu gleiten.

„Üblicherweise läge sie jetzt schon auf den Knien, um mir mit ihrem Mund Genuss zu verschaffen“, sagte er unverblümt, löste eine Hand von der Wand und legte ihr einen Zeigefinger sanft auf die Unterlippe. Streichelte leicht darüber, einem Hauch nur gleich.

Celia keuchte auf, und dieses winzige Öffnen ihres Mundes nutzte er, um ihr den Finger zwischen die Lippen zu schieben. Ruckartig zog sie den Kopf zurück, hatte jedoch schon seinen Geschmack auf der Zunge – Salz und Wein. Wenn sie sich doch nur losmachen, den Dolch ergreifen könnte, den sie an ihrem Schenkel befestigt trug. Sie würde ihn ihm ins schwarze Herz stoßen, sodass er ihr Herz nie wieder anrühren könnte!

„Das wird niemals geschehen!“, zischte sie.

„Ach nein? Nun, ich denke, zumindest werde ich heute Nacht davon träumen. Oder möchtest du vielleicht lieber mich vor dir auf Knien sehen?“

Ehe ihr seine Absicht klar wurde, hatte er sich von ihr gelöst, sich zu ihrem Rocksaum hinabgebeugt, den schweren Stoff gehoben und ihre bestrumpften Beine entblößt. Starr vor Schreck ließ Celia es geschehen, dass er vor ihr auf die Knie sank und beinahe unter ihren Röcken verschwand. Schließlich konnte sie sich wieder rühren, versuchte, nach ihm zu treten, ihn fortzustoßen, doch er schloss die starken Hände um ihre Schenkel, um die nackte Haut oberhalb der Strümpfe, liebkoste sie dort, streichelte die weiche Innenseite und drückte sanft ihre Beine auseinander.

Und dann spürte sie seinen Mund, zuerst nur leicht, wie ein Seufzen, dann seine Zunge, heiß …

Herr im Himmel! Unwillkürlich schloss sie die Augen; unter dem Ansturm glühender Empfindungen wurde ihr ganz schwach, und sie sank Halt suchend gegen die Wand. Meine Güte, sie hatte vergessen gehabt, wie es war, wenn er das tat!

So wie sie nicht vergessen hatte, was ihm gefiel, wusste offenbar auch er noch, wie sehr sie es mochte, da geküsst zu werden. Mit der Zungenspitze fuhr er sinnlich über den kleinen, verborgenen Punkt, einmal, zweimal, und sie spürte, wie sie vor Lust zuckte und Nässe ihre Schenkel benetzte. Er stöhnte auf.

Wie sehr sie ihn begehrte! Und wie sehr sie ihn vermisst hatte – dies hier vermisst hatte, dieses wundersame Gefühl, durch und durch lebendig zu sein. Es war so lange her. So lange war sie innerlich tot gewesen …

Einen winzigen Augenblick lang gab sie dem nach, ließ sich von ihm verwöhnen. Von John, dem einzigen Mann, der je ihr Herz angerührt hatte. Dann fasste seine Hand fester in das zarte Fleisch ihres Oberschenkels, knapp oberhalb der Dolchscheide, und zwei Finger streichelten sanft, so trügerisch zärtlich – wie er es früher getan hatte.

Ehe er sie vernichtet hatte.

Erstickt schluchzte sie auf und riss sich los, stieß ihn von sich, sodass er stürzte, und zerrte sich die Röcke wieder über die Beine. Doch dabei verlor sie ebenfalls das Gleichgewicht und stolperte, stieß sich die Hüfte schmerzhaft an der Wand. Schwer lehnte sie sich gegen den kalten Stein und mühte sich, die Tränen zu unterdrücken. Ihre Gefühle zu unterdrücken.

Doch seine Wärme, der schwere, die Sinne verwirrende Duft ihrer beider Erregung, ihre hitzigen, schwindelerregenden Empfindungen umfingen sie immer noch. Sie musste dem entkommen.

Derweilen war John geschmeidig wie eine Katze wieder auf den Knien. Im dämmrigen Licht schimmerten seine Augen dunkel. Er beugte ich zu ihr. „Celia …“, setzte er an.

Sie hielt ihn auf, indem sie ihm einen Fuß hart gegen die Brust stemmte. Natürlich hätte er diese Schranke – alle ihre Schranken – leicht überwinden können, aber er blieb, wo er war und beobachtet sie nur. Tiefer bohrte sie ihm den Absatz ihres Schuhs ins Fleisch. Er sollte ihr ja fernbleiben!

„Celia, was ist mit dir geschehen?“, fragte er leise.

Rau lachte sie auf. Was sollte sie darauf sagen, wo beginnen? Leicht stieß sie ihn mit dem Fuß zurück, und als er nach hinten sank, huschte sie aus der verborgenen Nische hinaus und rannte. Dieses Mal folgte er ihr nicht.

Zur Hölle aber auch! Seine sämtlichen Instinkte drängten ihn, ihr nachzurennen, Celia zu verfolgen, sie in die Arme zu reißen, sie festzuhalten, bis sie sich öffnete und ihm ihr ganzes Selbst offenbarte. All diese dunklen Geheimnisse, die er in ihren Augen gesehen hatte. Er wollte ihr sämtliche Kleider vom Leib reißen, bis sie nackt und bloß vor ihm lag mit ihrer weißen, hinreißend zarten Haut, und dann in sie eindringen.

Nur war er gerade zu wütend, und sie war zu zart und spröde. Sie würde zerbrechen, wenn er sie zu heftig bedrängte. Und so, wie er sich im Augenblick fühlte, würde er sich nicht zurückhalten können. Er stemmte die Hände gegen den kalten Stein des Fußbodens und rang mühsam um Beherrschung.

Es war dieser verfluchte Kosenamen! Elfenkönigin. Seine Elfenkönigin. Er sah sie vor sich, wie sie einst gewesen war. Das nachtschwarze Haar fiel ihr lose über die bloßen Schultern, und als sie zu ihm aufschaute, lag in ihren grauen Augen ein überirdischer Schimmer, wie von Silber. Sie lag auf einem grasbewachsenen, sonnigen Fleckchen im Wald, das Licht malte grüne Schatten auf ihre Haut, und John hatte nie im Leben etwas Schöneres gesehen; sie war so frei, so ganz Teil der Natur rings um sie her. Eine Elfenkönigin, die ihn in ihren Zauberbann gezogen hatte. Bei ihrem Anblick vergaß er seine wilde Jugendzeit – zum ersten Mal hegte er derartig zärtliche Gefühle, träumte von etwas, das er nicht haben konnte. Und sie, nur sie, brachte ihn dazu.

Doch von der Elfenkönigin schien nichts an ihr haften geblieben zu sein. Da war nur noch eine Eiskönigin, kalt wie Schnee. Nur als sie seine Männlichkeit berührt hatte, als er ihre Süße gekostet hatte, da war etwas von der alten Celia hinter ihren kalten Augen aufgeblitzt.

Und, Teufel auch, sie schmeckte noch genauso, wie er es in Erinnerung hatte – nach Tau und Honig. Als er ihre seidige Lustknospe geküsst hatte, war sie feucht geworden; er hatte ihr Zucken mit der Zunge gefühlt. Vielleicht war sie doch nicht ganz so frostig, wie es auf den ersten Blick schien. Erinnerte auch sie sich?

Und doch war sie ihm immer noch so fern. Als sie ihn fortgestoßen hatte, hatte er Panik in ihren Augen gesehen, Abwehr in ihrem Blick. Es schmerzte ihn, dass sie ihm gegenüber derart auf der Hut war, auch wenn er wusste, dass er es mehr als verdiente.

Ah, es war wohl das Beste, dass sie vor ihm davongelaufen war, denn offensichtlich hatte er sich, wenn es um sie ging, überhaupt nicht in der Hand. Hatte er nicht erst heute Nachmittag beschlossen, ihr fernzubleiben? Die Vergangenheit zu vergessen? Ihr nicht erneut wehzutun, und sich selbst nicht damit zu quälen, dass er sie nicht haben konnte? Und nun, nur wenige Stunden später, hatte er unter ihren Röcken gehockt.

Er rappelte sich auf und griff sich unwillkürlich in den Schritt, um sein Beinkleid zu richten. Spürte er nicht dort noch ihre zarten Finger, die ihn streichelten, ihn ganz bewusst genau an der Stelle liebkosten, wo es ihn wahnsinnig machte, ihn in einen Nebel aus Lust und Schmerz hüllte?

Als er endlich auf den Gang hinaustrat, war Celia längst fort. Die Musik aus dem Ballsaal hallte gedämpft von den Wänden wider und verhöhnte ihn mit ihrer Fröhlichkeit. Jäh spürte er, dass er beobachtet wurde, fuhr hastig herum und entdeckte Marcus, der, die Arme über der Brust verschränkt, an einem Marmorpfeiler lehnte. „Und? Hat sie dir die Eier abgefroren?“, fragte er grinsend.

John machte eine obszöne Geste, drehte sich um und entfernte sich mit großen Schritten, verfolgt vom spöttischen Lachen seines Freundes.

Die Reise nach Edinburgh würde eindeutig lang und grässlich werden. Und es sollte ihn nicht überraschen, wenn sie, statt in Schottland, allesamt in der Hölle ankamen.

4. KAPITEL

Ist das alles?“, fragte das Kammermädchen, während es die Reisetruhe zuklappte.

Celia sah sich in ihrem Gemach um. Ihre schwarzen Gewänder samt ihren persönlichen Habseligkeiten waren schon gepackt und fortgebracht worden. Unter dem Arm trug sie die Schatulle, die ihren spärlichen Schmuck und die Dokumente der Königin enthielt. Es gab keinen Vorwand mehr, die Abreise weiter hinauszuzögern.

„Ja, ich denke, das ist alles.“ Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr ihre Gestalt in dem schlichten Reisekleid aus schwarzer Wolle mit einem samtenen Wams darüber. Das aufgesteckte Haar, von einem Netz gehalten, krönte ein hoher Hut. Sie wirkte durchaus ruhig und gefasst, doch irgendwo in ihrem Innern hätte sich ein Teil ihres Ichs am liebsten unter dem Bett versteckt, um sich nicht dem Unvermeidlichen stellen zu müssen.

Die letzten Tage waren wie im Sturm dahingeflogen, in zahllosen Besprechungen mit der Königin und Lord Burghley, in denen sie mehr über ihre Aufgabe in Schottland erfahren sollte. Es ging die Rede, dass Königin Maria mit ihren bevorzugten Damen ohne Zurückhaltung plauderte, daher sollte Celia ihre Nähe suchen, um mehr über ihre Heiratsabsichten herauszufinden und anschließend Elisabeth Bericht zu erstatten. Zumindest sollte Celia versuchen, Maria davon zu überzeugen, dass eine Heirat mit einem Engländer, den ihre Cousine Elisabeth auswählte, für sie das Beste wäre. Celia sollte beobachten und lauschen, beides Dinge, die sie mittlerweile hervorragend beherrschte. Wenn man derart auf der Hut sein musste wie sie, versuchte man stets vorauszusehen, was als Nächstes passieren könnte.

Doch Königin Elisabeth meinte, dass Lord Leicester der passende Gemahl sei, Lord Burghley hingegen favorisierte Darnley. Celia war sich nicht sicher, wen von den beiden sie der schottischen Königin angenehm machen sollte – soweit es ihr überhaupt gelingen sollte, deren Neigung in irgendeiner Weise zu beeinflussen.

Zudem war die kurze Zeit bis zur Abreise mit Banketten und Tanzfesten angefüllt gewesen, mit Ballspielen und Spaziergängen in den Gärten – wobei Celia sich so verstohlen bewegt hatte, als tastete sie sich durchs Höllenfeuer. Doch der oberste Dämon John Brandon war nie aufgetaucht, um sie zu quälen, sie in stille Eckchen zu ziehen und Teile ihres Selbst bloßzulegen, die sie schon vor langer Zeit in ein eisiges Grab geschickt hatte. Oder um sie mit jenem Blick zu beobachten, der viel zu viel wahrnahm.

Celia hätte nicht sagen können, ob sie dankbar darüber war, dass er sich fernhielt, oder verärgert.

Zweifellos hat er genug zu tun, dachte sie, während sie ihre ledernen Reithandschuhe überzog. Wie etwa, sich von seinen zahllosen Liebchen zu verabschieden.

Lord Burghley hatte gesagt, dass John, wenn sie erst in Schottland wären, ihr Kurier für jedwede Botschaften sein werde, daher wusste sie, das sie ihm früher oder später gegenüberstehen würde. Sich den Gefühlen würde stellen müssen, die er in ihr erweckt hatte.

Celia starrte auf ihre Hand nieder und erinnerte sich daran, wie hart und heiß er sich angefühlt hatte. Erinnerte sich an die Macht und, ja, an die Lust, die sie in jenem Moment empfunden hatte, als sie seine Erregung gespürt hatte. Und wie sie sich danach gesehnt hatte, ihm die Kleider auszuziehen und ihn wieder an ihrer Haut zu spüren, zu ihm zu gehören, ganz und gar.

Wie im Krampf ballte sie die Hand zur Faust. Vielleicht – wenn sie ihn zerquetscht hätte, ihm wehgetan hätte, könnte sie ihn endlich fallen lassen. Wie er damals sie einfach hatte fallen lassen.

Doch wenn sie an das Gefühl zurückdachte, seinen Mund auf sich zu spüren, der sie zu wilder Verzückung trieb, war ihr klar, dass sie noch lange nicht miteinander fertig waren. Ganz und gar nicht.

Hastig fuhr sie herum, packte ihre Reitpeitsche und ließ sie mit scharfem Pfeifen durch die Luft sausen. Dabei stellte sie sich vor, Johns bloßen Rücken zu treffen, verdrängte die Vorstellung aber sofort, denn sie löste einen verstörenden, überwältigenden Ansturm des Begehrens in ihr aus. Je weniger sie an John Brandon dachte, seinen prächtigen Körper und seine süßen Worte, desto besser.

Sie eilte die Treppen hinab und hinaus in den Hof, wo die Reisegesellschaft sich nach und nach sammelte. Noch herrschte wildes Durcheinander, die vielen Knechte mühten sich, Pferde und Wagen in Reih und Glied aufzustellen, während Lakaien letzte Bündel und Truhen aufluden.

Ein wenig entfernt von den anderen stand Lord Darnley mit seiner Mutter, die ihm beschwörend ins Ohr flüsterte. Er nickte mürrisch, suchte dabei jedoch mit dem Blick seine Kumpane, die auf den Stufen des Portals beim Würfelspiel hockten. Obwohl es noch früh war und viele Stunden beschwerlicher Reise vor ihnen lagen, waren sie alle schon angetrunken.

Celia war dankbar, dass ihre Aufgabe wenigstens nicht beinhaltete, für diese Kerle die Kinderfrau zu spielen. Ihretwegen mochten sie alle betrunken von ihren Pferden stürzen und in einer Schneewehe erfrieren!

Sie musterte die bunte Menge. Diener, die immer noch Gepäckstücke verstauten, Höflinge, die das Pech gehabt hatten, für die Reise ausgewählt worden zu sein, suchten ihre Pferde. Lady Allison Parker, auch sie eine von Elisabeths Hofdamen, die nun Königin Maria ausspähen sollte, ließ sich gerade von einem Freund Darnleys in den Sattel helfen. Unter Lachen ordnete die Schöne, deren rotes Haar im fahlen Morgenlicht leuchtete, ihre smaragdgrünen Röcke und gönnte dabei voll übermütiger Tändelei dem armen Burschen einen Blick auf ihre hübschen Beine.

Irgendwie glaubte Celia nicht, dass sie und Lady Allison auf dieser Reise Busenfreundinnen werden würden.

Und dann sah sie John – eigentlich erhaschte sie nur aus dem Augenwinkel einen Schimmer seines hellbraunen Haarschopfs – und erstarrte. Alle ihre Sinne schienen plötzlich geschärft, der Wind zwickte ihr kälter in die Wangen, das Licht kam ihr heller vor.

Als sie sich halb umwandte, fand sie ihn am Kopf des Zugs stehen, seinen feurigen Rappen fest am Zügel, während er ihm sanft über die Nüstern streichelte und beruhigend auf ihn einsprach. Doch den Blick hatte er eindringlich auf Celia geheftet. Er stand ganz reglos, als wartete er angespannt, was sie tun würde. Was ihr nächster Zug sein würde.

Celia fiel ein, wie sie sich vorgestellt hatte, die Peitsche auf seinen Rücken sausen zu lassen, und um ihre Mundwinkel zuckte ein Lächeln. Unauffällig musterte sie seine langen Beine, die in ledernen Beinkleidern und hohen schwarzen Stiefeln steckten.

Als sie den Blick wieder hob, schien in seinen Augen ein stummes Versprechen zu glühen. Als ob er ihre Gedanken, ihre Fantasien lesen könnte und nur darauf wartete, mit ihr allein zu sein, um sie wahr zu machen.

Auf dem Absatz drehte sie sich herum und stellte fest, dass Lord Marcus Stanville sie vom Portal her beobachtete. Sie hatte ihn mehrmals mit John zusammen gesehen, offensichtlich waren die beiden befreundet. Eigentlich fand Celia Lord Marcus recht angenehm, doch die Art, wie er sie gerade betrachtete, gefiel ihr gar nicht. Wie bei John kam es ihr fast vor, als könnte er ihre Gedanken lesen und fände sie amüsant.

„Ein herrlicher Tag zum Reisen, meint Ihr nicht auch, Mistress Sutton?“, bemerkte er und trat zu ihr.

„Wenn man nichts dagegen hat, dass einem wesentliche Teile abfrieren“, entgegnete sie ätzend. „Ich säße lieber an einem warmen Feuer, aber vielleicht habt Ihr ja andere Neigungen, Lord Marcus?“

Er lachte, und Celia spürte Johns Blick, der sowohl auf ihr als auch auf Lord Marcus ruhte. Zu ihrer Verblüffung nahm der Lord ihre Hand und hob sie an seine Lippen.

„Ich hoffe zwar, dass ich ebenso erlebnishungrig bin wie andere Männer“, gab er zur Antwort, „doch will ich zugeben, dass man gerade an einem warmen Feuer gar Wunderbares erleben kann. Aber nun, wir alle müssen uns den Wünschen der Königin fügen.“

„In der Tat. Ob wir wollen oder nicht.“

„Zugegeben, anfangs war ich ob dieser Aufgabe nicht sonderlich begeistert“, gestand er, „doch nun, da Ihr und mein Freund Brandon zu der Gesellschaft gehört, sieht es doch ganz vielversprechend aus – besser als ein Abend im Theater.“

Bevor Celia fragen konnte, was er damit meinte, ergriff er sie beim Ellenbogen und führte sie zu einem der wartenden Pferde. Galant hob er sie in den Sattel und grinste unverschämt zu ihr hinauf. „Das Spiel kann beginnen“, sagte er.

Celia schaute zu John hinüber, der immer noch am selben Platz stand und sie und Marcus aus zusammengekniffenen Augen beobachtete. Ganz offensichtlich hatte das Spiel längst begonnen.

Und sie gelangte allmählich zu der furchtbaren Überzeugung, dass sie dabei war, es zu verlieren.

Während ihr Pferd dahintrottete, starrte Celia dumpf auf die vorbeiziehende Landschaft und gab sich alle Mühe, sich nicht dauernd die von der Kälte tauben Oberschenkel zu reiben. Die Reisegesellschaft war schon seit einigen Stunden unterwegs, und das unablässige Einerlei hatte sie in einen traumartigen Zustand versetzt. Die stetige, gleichmäßige Bewegung des Pferdes schien die Zeit außer Kraft gesetzt zu haben, es gab nur den Augenblick, kein Vorher, kein Nachher.

Und dadurch hatte sie viel zu viel Zeit zum Nachdenken.

Sie schlang sich die Zügel lose um die behandschuhten Hände und betrachtete die kahlen grauen Bäume am Wegrand. Jammernd fuhr der Wind durch die nackten Zweige, leisen Stimmen gleich, die sie in die Vergangenheit entführten.

Zwar unterdrückte sie den anhaltenden Wunsch, sich umzuschauen, doch sie war sich ständig bewusst, dass er irgendwo hinter ihr war. In der Stille, die über der Gruppe lag, seit die Kälte alle hatte verstummen lassen, bildete sie sich ein, hören zu können, wie er sich im Sattel zurechtrückte oder ein gedämpftes Wort an Marcus richtete.

Unwillig schüttelte Celia den Kopf. Es würde eine wirklich lange Reise werden. Sie musste sich einfach auf die Aufgabe konzentrieren, die in Edinburgh auf sie wartete, und auf den Lohn, den sie dafür von Königin Elisabeth erwarten durfte, wenn sie gute Arbeit leistete – nämlich eine reiche Heirat, damit sie nie wieder um ihr Brot würde betteln müssen.

Eine reiche Heirat mit einem namenlosen, gesichtslosen Fremden, die, wie sie nur beten konnte, besser ausfallen würde als ihre erste Ehe. Eine andere Möglichkeit gab es für sie nicht. Sie musste überleben, musste weiterkämpfen.

Nun aber fürchtete sie, ihr könnte der Wille zu kämpfen abhandenkommen, sobald sie John auch nur anschaute. Schon immer, vom ersten Augenblick an, hatte er den Wunsch in ihr ausgelöst, sich nichts anderem als ihren Gefühlen zu ergeben. Leise erschauerte sie, als sie sich daran erinnerte, wie er an jenem ersten Tag ihre Hand ergriffen, wie er auf sie niedergelächelt hatte, als kenne er sie längst.

„Ist Euch kalt, Mistress Sutton?“

Einen winzigen Augenblick lang war ihr beim Klang seiner Stimme, als wäre sie in die Vergangenheit zurückversetzt worden. Sie blinzelte und schaute auf – um festzustellen, dass er neben ihr ritt. Konnte dieser elende Mensch spüren, wann sie verwundbar war?

„Ja. Mir ist, als hockte ich schon seit Wochen in diesem Sattel.“

Er lächelte ein wenig und schaute vielsagend auf ihre Beine. Durch die Haltung, die der Damensattel ihr aufzwang, saß sie John zugewandt, die weiten Röcken über die Beine drapiert. Unwillkürlich dachte sie daran, wie er darunter gekrochen war, sie berührt hatte …

Mit einem Mal war ihr überhaupt nicht mehr kalt. Ruckartig wandte sie den Kopf ab und hörte, wie er leise schmunzelnd lachte, als kenne er ihre Gedanken – was sie rasend vor Wut machte.

„Harley Hall ist nicht mehr weit“, meinte er. „Dort werden wir über Nacht bleiben.“

„Hmpf. Eine einzige Nacht, um sich aufzuwärmen, und morgen wieder in die Kälte hinaus. Ist das gütig oder grausam?“

„Uns mit dem zu quälen, was wir nicht haben können?“

Verblüfft über seinen angespannten Tonfall sah sie ihn an, doch er erwiderte ihren Blick mit ausdrucksloser Miene.

„Wenn es dir unerträglich wird, Celia, kannst du gern vor mir auf dem Sattelkissen Platz nehmen. Ich würde dich mit Freuden warm halten.“

Celia schnaubte wenig damenhaft. Doch sie konnte das Bild, das seine Worte auslösten, nicht verdrängen – wie sie vor ihm hockte, von seinen Armen umfangen, sein Kinn auf ihrer Schulter, sein Atem warm an ihrem Ohr.

Wenn sie ihn einfach nicht beachtete, würde er sich bestimmt entfernen, würde sich vielleicht zu Lady Allison gesellen, um mit der zu tändeln, die ihm ohnehin fortwährend flüchtige Blicke zuwarf. Doch er blieb, ritt eine ganze Zeit lang stumm an ihrer Seite.

„Lebst du nun ganz bei Hofe?“, fragte sie endlich, um das Schweigen und ihre Gedankengänge zu unterbrechen.

„Ja, die meiste Zeit, außer, wenn mein Besitz meine Anwesenheit verlangt. Das ist jedoch nicht oft der Fall. Aber anders kenne ich es nicht. Warum fragst du?“

„Ich bin jetzt schon seit vielen Wochen bei Hofe, aber ich habe dich erst an dem Tag, als ich bei der Königin vorgelassen wurde, gesehen.“

„Und daher dachtest du, du könntest ein Wiedersehen mit mir vermeiden?“

Natürlich hatte sie genau das gedacht, schwieg jedoch still.

„Celia, du musst doch gewusst haben, dass wir uns irgendwann wieder begegnen würden? Die Welt, in der wir beide uns bewegen, ist zu klein, als dass wir uns für immer aus dem Weg gehen könnten.“

„Ich glaubte tatsächlich, dass ich dich nie wiedersehen würde. Ich bin ein Landmäuschen, und du – nun, als du so plötzlich fort warst, wusste ich nicht einmal, wohin du gegangen warst. Du hättest dich nach China oder sonst wohin eingeschifft haben können.“

„Ich hatte niemals fortgehen wollen“, stieß er plötzlich hervor.

Verblüfft sah Celia ihn an. Aus Augen, blau wie Eis, erwiderte er ihren Blick.

„Ich hatte keine Wahl“, erklärte er.

„Ich auch nicht“, antwortete sie. Sie hatte wirklich auf ihn warten wollen, hatte geglaubt, er werde zurückkehren. Aber als Tage und Wochen verstrichen waren, ohne dass sie ein Wort von ihm gehört hatte, hatte ihr schließlich die Wahrheit gedämmert. Er hatte sie verlassen. Sie war allein.

Plötzlich war ihr, als wäre ein Messer über die alte Wunde gefahren, und sie schmerzte, als wäre sie ganz frisch. Fest drückte Celia sich eine Hand aufs Herz.

„Nachdem du gegangen warst … nachdem ich eine Ehe hatte eingehen müssen …“ Nach der Sache mit ihrem Bruder, als ihre Familie vernichtet war … „Ich war gezwungen gewesen, Thomas Sutton zu heiraten. Die Verbindung war von seiner Familie schon seit Langem angestrebt worden, doch die meine hatte Bedenken. Doch nach dem, was mit meinem Bruder geschehen war, konnte ich mir meinen Ehemann nicht mehr aussuchen. Wir mussten in die Verbindung einwilligen.“

„Sag mir, wie war deine Ehe, Celia?“, bat John mit rauer Stimme.

Angespanntes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.

Es war die Hölle. Eine Hölle, aus der erst Suttons Tod sie befreit hatte. Auf Knien hatte sie Gott für die Erlösung gedankt. Aber das konnte sie John nicht sagen. Längst schon hatte sie ihm zu viele Angriffspunkte geboten. Also zuckte sie mit den Schultern. „Es war eine Ehe wie jede andere, aber erfreulich kurz.“

„Wolltest du mir aus dem Grund die Männlichkeit abreißen, als du sie gestern in der Hand hattest?“

Verdutzt lachte sie auf. „Ich würde sagen, du selbst hättest mir Grund genug dazu gegeben, John Brandon. Und eigentlich war es nicht gerade das, was ich damit vorhatte.“

Aus dem Augenwinkel heraus sah er sie an, mit jenem halben Lächeln, das sagte, auch er hatte ein paar Ideen, wie sie mit seiner Männlichkeit verfahren könnte.

„Hast du nie geheiratet, John?“, fragte sie. Doch wollte sie das wirklich wissen? Es war eine scheußliche Vorstellung, sich ihn mit einer anderen Frau vereint zu denken.

„Nein, und das weißt du auch. Ich bin nicht dafür geeignet.“

„Wer ist das schon? Es ist einfach ein Stand, den man ertragen muss – außer, man ist Königin Elisabeth und kann seinen Gemahl selbst wählen“, sagte Celia sehnsüchtig.

„Und doch willst du dir von ihr einen neuen Ehemann vermitteln lassen, trotz deiner Erfahrungen mit dem ersten?“ John klang beinahe zornig.

Das verstand Celia nicht. Sie verstand ihn nicht. Erneut zuckte sie mit den Achseln. „Mir bleibt nichts anderes übrig. Mein Cousin Anton bekommt Briony Manor, und mein Leibgedinge aus der Witwenschaft ist kaum der Rede wert. Ich werde es ertragen müssen.“

„Celia …“ Mit raschem Griff umfasste er ihre Hand und ließ sie auch nicht los, als sie versuchte, sie ihm zu entziehen. „Erzähl mir, was dir mit Sutton widerfahren ist. Die Wahrheit.“

„Ich schulde dir nichts“, rief sie wild. „Du hast nicht das Recht, mich zu drängen, John. Und jetzt lass mich bitte auf der Stelle los!“

Ihr Blick flog zu der Reitpeitsche an ihrem Sattel.

Autor

Deborah Simmons
Die ehemalige Journalistin Deborah wurde durch ihre Vorliebe für historische Romane angespornt, selbst Historicals zu schreiben. Ihr erster Roman "Heart's Masquerade" erschien 1989, und seitdem hat sie mehr als 25 Romane und Kurzgeschichten verfasst. Zwei schafften es bis ins Finale der alljährlichen RITA Awards, einer Auszeichnung für besondere Leistungen im...
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