Historical Herzensbrecher Band 2

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ALLE FRAUEN LIEBEN BARON RUTHVEN von LAURENS, STEPHANIE
Seit jeher liebt Antonia den umschwärmten Baron Ruthven. Nach Jahren der Trennung treffen sie sich erneut. Mit tatkräftiger Unterstützung seiner Stiefmutter versucht sie, den unverbesserlichen Frauenhelden zur Ehe zu bekehren. Als sie sich endlich am Ziel ihrer Wünsche glaubt, kommt ihr jedoch plötzlich eine gefährliche Rivalin in die Quere …

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  • Erscheinungstag 18.05.2018
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755331
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Stephanie Laurens, Paula Marshall

HISTORICAL HERZENSBRECHER BAND 2

1. KAPITEL

Vierunddreißig Jahre alt zu sein, mein lieber Hugo, ist ziemlich ernüchternd.“

„Wie bitte?“ Träge öffnete Hugo ein Auge und blinzelte den ihm gegenübersitzenden Freund an.

„Ich hätte nicht gedacht, dass Harold und Jack miteinander wetteifern würden, wer als Erster die nächste Generation von Lesters in die Welt setzt.“

„Das lässt sich schwer abschätzen“, meinte Hugo und richtete sich auf. „Harold wollte mit Jack wetten, doch seine Frau ist ihm auf die Schliche gekommen und hat es ihm verboten. Sie sagte, sie wolle nicht, dass wir alle sie und Sophie beobachten und die Tage zählen.“

„Sie ist ungewöhnlich vernünftig“, erwiderte Philip schmunzelnd. „Und auch Jack hat mit der Wahl seiner Gattin viel Glück gehabt.“

„Nun, ich nehme an, du wirst der Nächste sein, der sich verheiratet“, äußerte Hugo süffisant. „Wahrscheinlich bist du deshalb neuerdings so düsterer Stimmung.“

Philip verengte die Augen und entgegnete unwirsch: „Sich freiwillig binden zu sollen, ist wahrlich kein angenehmer Gedanke.“

„Ich habe nicht vor, mich zu vermählen.“

Missmutig verzog Philip den Mund. Der Freund hatte gut reden, denn schließlich war er, im Gegensatz zu ihm, nicht genötigt, sich baldigst zu verheiraten. Hugo war unabhängig und hatte nur entfernte Verwandte.

„Ich begreife jedoch nicht, warum du so ein Aufhebens darum machst, dir eine Gemahlin suchen zu müssen“, fuhr Hugo achselzuckend fort. „Deine Stiefmutter wird dir mit dem größten Vergnügen geeignete junge Damen präsentieren, unter denen du dann wählen kannst.“

„Gewiss wird sie versuchen, mir eine Frau anzudienen, die sie für passend hält“, stimmte Philip zu. „Falls sie sich indes bei der Auswahl irrt, bin ich derjenige, der ein Leben lang für diesen Trugschluss büßen muss. Wenn also meine Zukunft durch einen Fehler ruiniert werden soll, dann ziehe ich es vor, derjenige zu sein, der ihn begeht.“

„Wenn dem so ist, musst du eine Liste für dich geeigneter Ehekandidatinnen aufstellen“, schlug Hugo vor. „Sieh dir die Debütantinnen an, befass dich mit ihrem familiären Hintergrund und achte darauf, dass sie sinnvoll sprechen und nicht nur kichern können. Welch langweilige Aufgabe!“

„Deprimierende Aussichten!“

„Schade, dass es nicht mehr Frauen wie Sophie und Lucinda gibt.“

„Ja, das ist sehr bedauerlich“, brummte Philip und überlegte, welchen Anforderungen seine zukünftige Gattin genügen müsse. Zumindest musste sie einigermaßen klug, hinreichend schön und treu sein. Darüber hinaus erwartete er noch etwas von ihr, das sich schwer in Worte fassen ließ.

Die Karosse hielt, und sobald der Wagenschlag geöffnet worden war, stieg Philip aus. Er wartete, bis der Freund sich ihm angeschlossen hatte, ging dann mit ihm die Freitreppe zum Portal hinauf und übergab dem ihm öffnenden Butler Hut und Handschuhe.

„Willkommen daheim, Mylord“, begrüßte ihn Samuel.

„Danke, Fenton. Lord Satterley wird wieder einige Tage mein Gast sein.“

Samuel verbeugte sich, nahm den Hut des Viscount entgegen und sagte beflissen: „Ich werde veranlassen, Sir, dass Ihnen die üblichen Räumlichkeiten hergerichtet werden.“

„Danke“, erwiderte Hugo freundlich.

„Wie geht es meiner Stiefmutter?“, erkundigte sich Philip.

Das war das Stichwort, auf das Antonia gewartet hatte. Sie umrundete das Treppengeländer, wo sie im Verborgenen gelauscht hatte, schritt gesenkten Blicks gemächlich die Stufen hinunter, um den Eindruck zu erwecken, die Herren bisher noch nicht bemerkt zu haben, und sagte kurz vor dem Erreichen des Entrees: „Ihre Ladyschaft wünscht, Fenton, dass Alice so schnell wie möglich zu ihr kommt.“ Nun richtete sie die Augen ins Vestibül und hauchte, wie sie es stundenlang vorher geübt hatte, Überraschung und Verlegenheit heuchelnd: „Oh!“

Das Bild, das sich ihr bot, war nicht so, wie sie es sich ausgemalt hatte. Unwillkürlich schlug das Herz ihr schneller, denn Lord Ruthven sah stattlicher und attraktiver aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Das braune Haar war künstlich zerzaust, wie es der Mode entsprach, und fiel dem Baron in die hohe Stirn. Er hatte eine schmale Nase, hochstehende Wangenknochen, fein modellierte Lippen und ein markantes Kinn. Der Frack aus dunklem Stoff und die schmalen Pantalons betonten die eindrucksvolle Figur; das kunstvoll geschlungene Cachenez, das weiße Hemd und das schräg gestreifte Gilet waren tadellos gearbeitet und entstammten gewiss dem Atelier eines exzellenten Schneiders. Die grauen Augen drückten einen Moment lang Irritation aus, die gleich darauf in unverhüllte Überraschung umschlug.

„Miss Antonia?“, fragte Philip verblüfft.

Sie raffte die Röcke, setzte den Weg fort und näherte sich langsam Seiner Lordschaft.

Sie hatte sich sehr verändert, seit er ihr zum letzten Mal begegnet war. Damals war sie sechzehn Jahre alt gewesen, etwas mager, aber doch bereits recht anmutig. Jetzt jedoch war sie der Inbegriff weiblichen Liebreizes, geschmeidig, graziös, wunderbar zu fraulicher Schönheit gereift. Philip entsann sich, dass sie bei den sommerlichen Aufenthalten in Ruthven Manor stets fröhlich, umgänglich und guter Dinge gewesen war. Auch jetzt lächelte sie gewinnend; in ihren grünen Augen entdeckte er jedoch einen wachsamen Ausdruck.

Sie reichte ihm die Hand und sagte höflich: „Guten Tag, Mylord. Bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich wusste nicht, dass Sie soeben eingetroffen sind.“

Galant hob er Miss Mannerings Hand zum Kuss an die Lippen und fragte dann mit flüchtigem Blick auf ihr modisch frisiertes Haar: „Haben Sie Ihre langen Locken abschneiden lassen, Miss Antonia?“

„Nein“, antwortete sie lächelnd. „Sie sind nur geschickt aufgesteckt.“

Jäh hatte Philip den Wunsch, nachzuprüfen, ob die Fülle ihres blonden Haars tatsächlich noch vorhanden war, bezwang ihn jedoch und sagte in sachlichem Ton: „Darf ich bekannt machen? Hugo, Viscount Satterley, ein guter Freund. Miss Mannering, die Nichte meiner Stiefmutter.“

„Sehr erfreut“, äußerte Hugo charmant und verneigte sich.

„Guten Tag, Sir“, erwiderte sie freundlich.

„Mir scheint, Sie haben endlich den anhaltenden Bitten meiner Stiefmutter nachgegeben“, sagte Philip trocken.

„Ja, da das Trauerjahr zu Ende war.“

„Es freut mich, dass Sie sich dazu entschlossen haben“, erwiderte Philip seltsam erleichtert. „Hoffentlich haben Sie einen längeren Aufenthalt vorgesehen. Meine Stiefmutter wird Ihre Anwesenheit bestimmt sehr begrüßen.“

„Nun, es hängt von mehreren Umständen ab, wie lange mein Bruder und ich verweilen werden“, entgegnete Antonia ausweichend. „Verzeihen Sie, dass ich Sie hier in der Halle aufgehalten habe. Vermutlich möchten Sie sich nach der Reise erfrischen. Tee im Salon?“

Philip sah den bestürzten Blick des Freundes und äußerte schmunzelnd: „Etwas Stärkeres wäre uns lieber, nicht wahr, Hugo?“

Antonia winkte den Butler herbei und trug ihm auf, im Gesellschaftszimmer Cognac für die Herren zu servieren.

Fenton verbeugte sich und ging würdevoll die Treppe hinauf.

„Meine Tante hat geschlafen, ist vorhin jedoch wach geworden“, wandte Antonia sich an Lord Ruthven. „Ich werde ihr mitteilen, dass Sie hier sind, Sir.“

„Gut! In einer halben Stunde mache ich ihr die Aufwartung.“

„Wenn Sie mich nun bitte entschuldigen würden, meine Herren.“

„Ich freue mich darauf, Sie bei Tisch wiederzusehen, Miss Mannering“, sagte Hugo strahlend.

Klopfenden Herzens drehte Antonia sich um und kehrte in die Bel Etage zurück. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so viel Haltung bedurfte, ihre List in die Tat umzusetzen. Sie ermahnte sich, standhaft zu sein und dem nun begonnenen Anfang die nächsten Schritte folgen zu lassen.

Sie liebte Ruthven Manor und hatte, als sie es wiedersah, das Gefühl gehabt, nach Haus zu kommen, eher hierher zu gehören denn nach Mannering Park. Dieses Bewusstsein, dazu die für die Tante empfundene Zuneigung und vor allem die Erkenntnis, dass es mit vierundzwanzig Jahren für sie an der Zeit war, sich zu vermählen, waren ausschlaggebend für die Entscheidung gewesen, die Einladung nach Ruthven Manor anzunehmen.

Da für sie nur magere Aussichten bestanden, eine gute Partie zu machen, der Jugendfreund hingegen noch ledig war, hatte sie beschlossen, ihn zu umgarnen. Sollte er sich nicht in sie verlieben, hatte sie sich damit abzufinden. Einen Versuch musste sie jedoch zumindest wagen.

Verdutzt schaute Philip den ihr unverhohlen hingerissen hinterhersehenden Freund an. Hugo war jedoch derart in ihren Anblick versunken, dass er den befremdeten Blick nicht bemerkte.

Hugo bewunderte ihre grazile Erscheinung, bis sie seiner Sicht entzogen war, räusperte sich dann und fragte grinsend: „Also, genehmigen wir uns jetzt einen guten Schluck, Philip?“

Stirnrunzelnd nickte Philip und suchte mit ihm das im oberen Stockwerk gelegene Gesellschaftszimmer auf. Fenton hatte den Cognac schon serviert und sich zurückgezogen. „Nimm Platz“, forderte er den Freund auf, setzte sich in einen Sessel und ergriff eines der bereitgestellten Gläser.

Hugo ließ sich auf dem Sofa nieder, prostete Philip zu und sagte, nachdem er einen Schluck getrunken hatte: „Der Name Mannering ist mir geläufig, aber ich weiß nicht, wo die Familie ansässig ist.“

„In Yorkshire.“

„Kein Wunder, dass mir entfallen war, wo sie lebt, wenn sie in dieser Wildnis hausen“, erwiderte Hugo grinsend.

„Nun, so wüst, wie du Yorkshire hinstellst, ist es dort nicht“, widersprach Philip. „Und der Stammsitz der Mannerings soll, wie mir berichtet wurde, sehr stattlich sein.“

„Weshalb ist die entzückende Miss Mannering dann hier?“

„Ihr Vater war der einzige Bruder meiner Stiefmutter und kam seine Schwester jedes Jahr im Sommer mit seiner Gattin und seiner Tochter besuchen. Miss Antonia blieb dann bei uns, wenn ihre Eltern weiterreisten.“

Sie hatte viel gelacht und geplappert, war jedoch nie störend gewesen. Philip war zehn Jahre älter als sie, doch das hatte sie nicht abgeschreckt. Und bei ihr hatte er nie seine höhere gesellschaftliche Stellung ausgespielt. Er hatte sie sich von einem entzückenden Kind in ein bezauberndes, schlagfertiges Mädchen entwickeln gesehen, musste sich nun jedoch erst noch an die Veränderung gewöhnen, die inzwischen mit ihr vorgegangen war.

„Nach dem Tod ihres Vaters vor acht Jahren kam sie nicht mehr zu uns“, fuhr er fort, „weil ihre im letzten Frühjahr gestorbene Mutter nicht in der Stimmung war, sich unter Menschen zu begeben. Meine Stiefmutter hat sie sehr gern und sie gebeten, bei uns zu sein, wann immer sie möchte. Ihre Nichte hatte die Einladung bisher jedoch stets mit dem Hinweis abgelehnt, sie wolle in Mannering Park bleiben und sich dort um ihren sehr viel jüngeren Bruder kümmern. Ich habe keine Ahnung, wie groß der Altersunterschied zwischen ihnen ist, und entsinne mich nicht einmal, wie ihr Bruder heißt.“

„Nun, offenbar ist sie anderen Sinnes geworden“, warf Hugo ein.

„Das halte ich für unwahrscheinlich, es sei denn, sie hat sich innerlich sehr verändert. Aber möglicherweise befindet ihr Bruder sich jetzt zum Studium in Oxford.“

„Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ganz bestimmte Absichten hat“, meinte Hugo bedächtig.

„Und welche?“, fragte Philip verständnislos.

„Nun, du hast sie doch gesehen“, antwortete Hugo schmunzelnd. „Sie ist eine Schönheit und nicht verheiratet. Letzteres wundert mich ein wenig. Da sie aus gutem Haus stammt, müsste sie in ihrem Alter eigentlich längst vermählt sein.“

„Du hast recht“, stimmte Philip nachdenklich zu. „Offenbar hat in der besseren Gesellschaft Yorkshires niemand sie zu Gesicht bekommen, denn sonst wäre sie bestimmt nicht mehr frei. Mannering Park liegt ziemlich einsam, und ihre Mutter hat ein sehr zurückgezogenes Dasein geführt. Vermutlich ist das der Grund, weshalb sie noch keinen Gatten hat. Und nun entschuldige mich bitte“, fügte Philip hinzu, stellte das leere Glas auf den Tisch und stand auf. „Ich gehe jetzt zu meiner Stiefmutter.“

„Ich weiß, man soll nicht schlecht über Tote sprechen, doch meine Schwägerin hat ihre Tochter wirklich sehr schäbig behandelt“, erregte sich Henrietta. „Wären die Damen der Nachbarschaft nicht so entgegenkommend gewesen, hätte Antonia bis heute keine Erfahrung in gesellschaftlichen Umgangsformen. Noch schlimmer finde ich, dass Araminta nichts unternommen hat, um ihre Tochter zu verheiraten. Im Gegenteil, sie hat ihr die Leitung des Haushaltes aufgebürdet, die Verwaltung des Besitzes und die Verantwortung für Geoffrey. Ich wundere mich, dass Antonia unter der Last der ihr zugemuteten Pflichten nicht vorzeitig gealtert ist! Es ist eine Schande, dass sie immer noch nicht offiziell in die Gesellschaft eingeführt worden ist. Doch nun, da meine Nichte hier ist, bin ich entschlossen, ihr den Weg ins Leben zu ebnen. Ich werde mit ihr die Nachsaison in London verbringen.“

„Es würde mich nicht überraschen“, warf Philip ein, „wenn du mit ihrem Aufenthalt gewisse Pläne verbindest.“

„Selbstverständlich habe ich vor, ihr zu einem Gatten zu verhelfen“, bestätigte Henrietta schmunzelnd.

Philip bemühte sich, eine reglose Miene zu wahren, stand auf und sagte entschuldigend: „Sei mir nicht böse, aber ich habe Hugo zu Gast. Es wäre unhöflich, ihn zu lange allein zu lassen.“

Henrietta nickte, schaute dem Stiefsohn hinterher, bis er das Boudoir verlassen hatte, und lächelte dann zufrieden. „Das war kein schlechter Anfang“, äußerte sie fröhlich.

Alice legte die Stickerei beiseite, erhob sich und ging zu Ihrer Ladyschaft. Sie schüttelte ihr die Kissen auf und half ihr, sich bequemer hinzusetzen.

„Wie gut, dass meine Nichte Sie zu mir geschickt hat, damit ich nicht zu lange schlafe“, fuhr Henrietta heiter fort. „Ich betrachte es als eine glückliche Fügung des Schicksals, dass mein Stiefsohn zur gleichen Zeit eingetroffen ist und sie wiedergesehen hat.“

„Ich hatte nicht den Eindruck, dass er sonderlich angetan von ihr war, Mylady“, sagte Alice bedenklich. „Sie sollten sich nicht zu große Hoffnungen machen, ihn mit ihr zu vermählen. Falls Ihr Plan keinen Erfolg hat, wären Sie nur bitter enttäuscht.“

„In den sechzehn Jahren, die ich ihn nun kenne, habe ich begriffen, dass man seinem Verhalten keinen allzu großen Wert beimessen darf“, entgegnete Henrietta selbstsicher. „Selbst wenn er sich plötzlich verliebte, würde er sich nie begeistert äußern, höchstens eine Augenbraue hochziehen und irgendetwas Belangloses von sich geben. Nein, ich bin entschlossen, ihn und Antonia zusammenzubringen. Sie müssen zugeben, Alice, dass sie die ideale Gemahlin für ihn wäre. Ich muss nur dafür sorgen, dass er das erkennt. Aber leicht wird das nicht werden. Schließlich ist er nicht auf den Kopf gefallen, nicht wahr?“

„Ich habe keinen Anlass, Ihnen in irgendeinem Punkt zu widersprechen, Madam“, erwiderte Alice, kehrte zum Sessel zurück und nahm wieder Platz. „Ich befürchte jedoch, dass er Ihnen, sollte er merken, was Sie im Schilde führen, einen Strich durch die Rechnung macht.“

„Warum?“, wunderte sich Henrietta.

„Er wird wieder Anstoß daran nehmen, dass Sie ihn erneut mit einer von Ihnen ausgesuchten Dame vermählt sehen wollen. Seine Abneigung dürfte dann weniger auf Ihre Nichte zurückzuführen sein, sondern mehr auf den Umstand, dass er sich von Ihnen wie eine Schachfigur behandelt fühlt.“

„Ihr Einwand ist nicht unbegründet, Alice“, räumte Henrietta seufzend ein. „Mir ist noch sehr gut in Erinnerung, dass er, als ich Miss Locksby und ihre Eltern eingeladen hatte, nach einem Blick auf Lady Worrall vorgab, er habe etwas Dringendes in Belvoir zu erledigen, und abgereist ist. Wie peinlich! Tagelang war ich genötigt, Ausflüchte zu erfinden, bis Worrall mit seinen Angehörigen endlich den Besuch beendet hat. Zum Schluss war ich sogar froh, dass Philip sich so unhöflich betragen hat. Die Vorstellung, Lady Worrall zu meiner Familie zählen zu müssen, war mir unerträglich geworden.“

„Mit Verlaub, Madam, aber ich bin skeptisch, wie Ihre Nichte reagieren wird, falls sie herausfindet, was Sie mit ihr beabsichtigen“, sagte Alice warnend.

„Natürlich darf sie nicht ahnen, was ich mit ihr vorhabe. Ich werde bei ihr ebenso vorsichtig zu Werk gehen müssen wie bei meinem Stiefsohn. Sonst könnte es sein, dass sie, milde ausgedrückt, sehr widerspenstig wird. Ich werde die Fäden diskret aus dem Hintergrund ziehen, sodass beide nicht merken, was ich bezwecke. Ich kann Philip natürlich keine Vorschriften machen, finde jedoch, dass er sich mit vierunddreißig Jahren endlich der Verpflichtung bewusst zu werden hat, einen Hausstand gründen zu müssen. Seine Gleichgültigkeit in dieser Hinsicht hält bereits schon viel zu lange an.“

2. KAPITEL

Beim Betreten des Gesellschaftszimmers stellte Philip fest, dass er sich als Erster vor dem Dinner hier eingefunden hatte. Aus Erfahrung wusste er jedoch, dass die Stiefmutter zumeist im letzten Augenblick erschien, bevor der Butler verkündete, es sei angerichtet. Im Begriff, im Pilasterspiegel den Sitz des Cachenez zu überprüfen, sah er die Tür sich öffnen und einen blonden Burschen eintreten, der bei seinem Anblick verdutzt stehen blieb.

„Pardon, Sir, wer sind Sie?“, erkundigte Geoffrey sich verblüfft.

„Das könnte ich dich fragen“, erwiderte Philip und drehte sich zu ihm um. „Ich nehme jedoch an, du bist Miss Antonias Bruder, nicht wahr?“

„Ja“, antwortete Geoffrey nickend.

„Ich bin der Hausherr“, stellte Philip sich lächelnd vor und registrierte erstaunt, dass der Junge sehr hellhäutig war.

„Meine Schwester hat mich mitgebracht, weil sie nicht wollte, dass ich in Mannering Park allein bin“, erklärte Geoffrey. „Dort hätte ich mich bestimmt zu Tode gelangweilt.“

„Bist du vom College hergekommen?“

„Noch habe ich mit dem Studium nicht angefangen.“

„Aber du hast die Aufnahmeprüfung bestanden?“

„Ja“, sagte Geoffrey stolz. „Ab dem nächsten Semester bin ich in Oxford. Das hat ziemliches Aufsehen erregt, denn ich bin erst sechzehn Jahre alt.“

„Von einem Mannering habe nichts anderes erwartet“, äußerte Philip schmunzelnd.

„Danke, Sir“, erwiderte Geoffrey beeindruckt. „Ich merke, dass Sie sich nicht mehr an mich erinnern. Ich war schon vor vielen Jahr hier. Damals haben meine Eltern Antonia und mich zurückgelassen, als sie ihre Reise fortsetzten. Da ich noch klein war, befand ich mich viel im Kinderzimmer oder bei meiner Tante, die sich oft mit mir befasst hat.“

„Ihre mütterliche Art ist mir noch gut in Erinnerung“, warf Philip belustigt ein. „Du hast keine Ahnung, Geoffrey, wie froh ich war, dass sie deine Schwester und dich mit ihrer Fürsorge überhäuft hat. Ich mag sie gern, bin jedoch sicher, dass meine Beziehung zu ihr weniger herzlich wäre, hätte sie mir zu viel Aufmerksamkeit geschenkt.“

„Sie müssen doch schon ziemlich erwachsen gewesen sein, als sie Ihren Vater heiratete“, wandte Geoffrey stirnrunzelnd ein.

„Oh, so alt war ich noch nicht“, entgegnete Philip amüsiert. „Ich war damals erst achtzehn. Und solltest du glauben, dass du in deinem Alter ihrer Bemutterung schon entwachsen bist, wirst du von ihr bestimmt eines anderen belehrt werden.“

„Das habe ich längst festgestellt“, sagte Geoffrey missmutig. „Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich in ihren und Antonias Augen immer noch ein Kind bin.“

„Nimm es nicht so schwer“, erwiderte Philip beschwichtigend. „Sie werden dich bald nicht mehr bevormunden können.“

„Ich befürchte, dass ich immer unter ihrer Fuchtel stehen werde“, murrte Geoffrey. „Bisher durfte ich nie vom Haus fort, nicht einmal zur Schule. Meine Mutter bestand darauf, dass ein Hauslehrer mich unterrichtete.“

Die Tür ging auf, und Miss Mannering betrat in einem ihrer Figur schmeichelnden gelben Chemisenkleid den Salon. „Guten Abend, Miss Antonia“, begrüßte Philip sie und bewunderte ihr entzückendes Aussehen.

„Guten Abend, Sir“, erwiderte sie lächelnd. „Oh, mein Bruder hat sich Ihnen offensichtlich schon vorgestellt“, setzte sie hinzu und hoffte, Geoffrey möge keine Abneigung gegen Seine Lordschaft gefasst haben.

„Ja, wir haben uns über seinen bevorstehenden Eintritt ins College unterhalten“, sagte Philip schmunzelnd. „Dort wird er dann auch die Erfahrungen sammeln, die man braucht, um sich in jeder Situation wie ein Weltmann zu benehmen. Das Leben mit meinen Studiengenossen hat mir sehr geholfen, so aufzutreten, wie ich es heute tue.“

Antonia lag eine süffisante Bemerkung auf der Zunge, doch angesichts des verschmitzten Lächelns in Lord Ruthvens grauen Augen erschien es ihr ratsamer, die Boshaftigkeit nicht auszusprechen. „Ich bin überzeugt“, erwiderte sie trocken, „dass mein Bruder sich mit größter Hingabe allen Abwechslungen widmen wird, die sich ihm im College bieten.“

Im gleichen Moment wurde die Tür geöffnet, und Ihre Ladyschaft betrat, gefolgt von Lord Satterley, das Gesellschaftszimmer. Gleich darauf erschien der Butler und bat die Herrschaften zu Tisch.

„Gestatten Sie?“, fragte Philip und reichte Miss Mannering den Arm.

Da der Viscount sich mit Lady Ruthven unterhielt, nickte Antonia, legte dem Baron die Hand in die Armbeuge und ging mit ihm ins Speisezimmer voran.

„Wie angenehm, der Hausherr zu sein“, bemerkte Philip amüsiert, half ihr, sich neben seinem Stuhl an der Stirnseite der Tafel zu setzen, und wartete, bis die Stiefmutter sich ihm gegenüber, der Freund an der linken Seite und Geoffrey sich neben seiner Schwester niedergelassen hatten. Dann nahm er Platz und gab Fenton einen Wink, mit dem Servieren zu beginnen.

Zunächst drehte die Unterhaltung sich um den neuesten Londoner Klatsch. Schließlich fand Philip es angebracht, dem Gespräch eine Wende zu geben, und warf in einem günstigen Moment ein: „Wie ich höre, Miss Antonia, haben Sie in den verflossenen acht Jahren sehr zurückgezogen gelebt.“

„Meiner Mutter ging es nicht gut“, erwiderte sie und zuckte leicht mit den Schultern. „Folglich hatten wir keinen Anlass, uns zu amüsieren. Nachdem ich volljährig geworden war, wurde ich jedoch von den Damen der Nachbarschaft eingeladen oder zu Veranstaltungen in Harrogate mitgenommen.“

„Hat Ihre Mutter denn nie ein Fest gegeben?“, wunderte er sich.

„Nicht mehr nach dem Tode meines Vaters“, antwortete Antonia ernst. „Hin und wieder bekamen wir Besuch, doch meistens war meine Mutter zu schwach, um sich in den Empfangssalon zu begeben. Sie sollten jetzt jedoch nicht denken, Sir, dass ich mich nach Vergnügungen verzehrt habe. Die mir von ihr übertragene Führung des Haushaltes und Leitung des Gutes haben mich sehr beschäftigt gehalten, und natürlich auch die Aufsicht über Geoffrey. Meine Mutter war immer in Angst, er könne ihre schlechte Konstitution geerbt haben, was zum Glück nicht der Fall ist. Davon konnte ich sie indes nie überzeugen.“

„Wie haben Sie Erzieher gefunden, die den Wissensdrang Ihres Bruders befriedigen konnten?“, fragte Philip lächelnd. „Ich vermute, er war ein sehr lerneifriges Kind.“

„In der Tat“, bestätigte Antonia stolz. „Als er neun Jahre alt war, meinte Mr. Smothingham, unser Kurat, er könne ihm nicht mehr viel beibringen.“

Aufmerksam lauschte Philip den folgenden Schilderungen von Geoffreys Wissbegier und Streichen und zog daraus Schlussfolgerungen über das Leben, das der Junge und seine Schwester in Mannering Park geführt hatten. Erstaunlicherweise nahm Mr. Smothingham in den Erzählungen ziemlich breiten Raum ein. „Er scheint seine Aufgabe sehr wichtig genommen zu haben“, warf Philip stirnrunzelnd ein.

„Ja“, antwortete Antonia und lächelte verhalten. „Er war mir eine große Stütze, stets sehr zuvorkommend und hilfsbereit.“

Sie schien diesen Mr. Smothingham gemocht zu haben, und unwillkürlich war er Philip unsympathisch. „Meine Stiefmutter hat heute erwähnt, sie trage sich mit dem Gedanken, zur Nachsaison nach London zu fahren“, äußerte er, um das Thema zu wechseln.

„Das weiß ich, Sir. Sie hat mich gebeten, sie zu begleiten. Hoffentlich ist Ihnen das recht.“

„Warum sollte es mich stören? Im Gegenteil, es freut mich, dass Sie ihr Gesellschaft leisten werden. Ich bin sicher, Sie werden den ton im Sturm erobern.“

„Glauben Sie?“, fragte Antonia und schaute Seiner Lordschaft in die Augen. „Ich bin nicht so davon überzeugt. Sind Sie der Ansicht, dass ich es amüsant finden werde, in Gesellschaft zu verkehren?“

Mit ausdrucksloser Miene ließ Philip den Blick auf Miss Mannerings Lippen verweilen, atmete tief durch und sagte leichthin: „Was das betrifft, Miss Antonia, werde ich mich hüten, Behauptungen aufzustellen.“

Philip sagte sich, beim Essen habe er aus einem gänzlich uneigennützigen Grund herausfinden wollen, welche Vorstellungen Miss Mannering mit ihrem Londoner Aufenthalt verband. Allen Anzeichen nach zu urteilen trug die Stiefmutter sich mit der Absicht, sich um die Zukunft ihrer Nichte zu kümmern, und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie sehr beharrlich sein. Folglich hatte er erkunden wollen, ob Miss Mannering mit den Plänen ihrer Tante einverstanden war. Nicht in der Stimmung, den Damen lange fernzubleiben, schlug er, nachdem er sein Glas Portwein im Herrensalon geleert hatte, in bestimmendem Ton vor, unverzüglich zu ihnen zurückzukehren.

Schmunzelnd schaute Hugo ihn an, sträubte sich jedoch nicht und folgte ihm in das Nebenzimmer.

„Oh, wie schön, dass wir jetzt Gesellschaft haben“, sagte Henrietta lächelnd. „Sing etwas für uns, Geoffrey. Antonia wird dich begleiten.“

Willig erhob sich Antonia, nahm auf der Klavierbank Platz und fragte den Bruder, was er vortragen wolle.

Er schlenderte zu ihr, blätterte die auf dem Ständer liegenden Noten durch und entschied sich für ein volkstümliches Duett.

Philip gesellte sich zu ihnen, lehnte sich an das Instrument und beobachtete Miss Mannering, während sie mit dem Bruder musizierte. Plötzlich richtete sie die Augen auf ihn, lächelte versonnen und schaute dann wieder in die Noten. Er schloss die Lider, gab sich dem Genuss ihrer warmtimbrierten, weich und sinnlich klingenden Stimme hin und fiel, sobald sie und Geoffrey das Lied beendet hatten, in den Beifall der anderen Zuhörer ein.

Antonia sah ihn an und fragte lächelnd: „Haben Sie Lust, Sir?“

Die Frage war zweideutig, und im Stillen grinsend entschied er sich, sie ebenso anzüglich zu beantworten. „Ich werde versuchen, mein Bestes zu geben“, sagte er schmunzelnd, stellte sich hinter Miss Mannering und wartete, bis ihr Bruder sich in einen Sessel gesetzt hatte. Dann stimmte er sich mit ihr über das zu wählende Lied ab, holte tief Luft und gab mit sonorem Bariton die erste Strophe zum Besten. Beim Refrain fiel der Freund ein, nach dem zweiten Teil schließlich auch Geoffrey. Die restlichen Strophen wurden zur allgemeinen Heiterkeit abwechselnd gesungen, und zum Schluss brach jeder in unbeschwertes Gelächter aus.

Begeistert klatschte Henrietta Beifall.

Antonia drehte sich um und schaute Seine Lordschaft an. Seine Miene war fröhlich, der Ausdruck in seinen Augen jedoch seltsam verhangen. Sie zog eine Braue hoch und ergriff die Hand, die er ihr reichte. Unvermittelt schloss er die Finger um die ihren, und die Berührung verursachte ihr einen wohligen Schauer.

Er führte sie zu einem Fauteuil, half ihr beim Platznehmen und händigte ihr die von der Stiefmutter eingeschenkte Tasse aus.

Nie zuvor hatte jemand sie derart aus dem inneren Gleichgewicht gebracht. Sie hatte Herzklopfen und musste sich zwingen, die unerwartete innere Erregung nicht zu erkennen zu geben. Es irritierte sie, dass sie dermaßen empfänglich für Lord Ruthvens Nähe war, und sie wünschte sich, bald wieder ausgeglichen zu sein. Zu ihrer Erleichterung wurde er von ihrer Tante abgelenkt, die ihm vorschlug, ein Fest zu veranstalten.

„Wir haben jahrelang keins gegeben“, setzte Henrietta hinzu. „Da Antonia nun hier ist, kann sie mir bei den Vorbereitungen helfen.“

„Wie du meinst“, erwiderte Philip gedehnt.

Antonia entging nicht, dass er nicht begeistert war.

„An sich hatte ich einen Ball im Sinn, zu dem ich nur Nachbarn einladen wollte“, fuhr Henrietta fort. „Antonia hat mich jedoch darauf hingewiesen, nach der langen Zeit sei es angebracht, unseren Pächtern etwas Unterhaltung zu bieten.“

Philip tauschte einen Blick mit dem Freund und sah dann zu Miss Mannering hinüber. Sie hatte die Lider gesenkt und nippte an ihrer Tasse.

„Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass sie recht hat“, meinte Henrietta.

„Und welcher Art soll dieses Fest sein?“, erkundigte Philip sich misstrauisch.

„Ich denke an eine Lustbarkeit im Park“, antwortete sie eifrig, „und zwar möglichst bald, damit das Wetter uns keinen Streich spielt. Was hältst du von Samstag in einer Woche? Es versteht sich von selbst, dass du anwesend sein musst!“

Philip war nicht von der Aussicht angetan, zahllose Pächter mit ihren Familien willkommen heißen, zu einfältigen, albernen Mädchen höflich sein und die überall herumtobenden, kreischenden und Unfug treibenden Kinder ertragen zu müssen. Irgendwann fiel dann auch noch unweigerlich jemand in den See, und es gab einen schrecklichen Aufruhr.

„Meinst du nicht, dass die Anforderungen, denen du dich als Gastgeberin eines so umfangreichen Gartenfestes stellen musst, dich überfordern könnten?“, fragte er skeptisch.

„Ich würde meine Tante selbstverständlich in jeder Hinsicht unterstützen“, warf Antonia ein.

Philip sah sie an und zog eine Braue hoch.

„Wie du gehört hast, musst du dir um mich keine Sorgen machen“, erwiderte Henrietta zufrieden. „Antonia kann mich bei den meisten meiner Pflichten vertreten. Ich gehe davon aus, dass ich mit den älteren Damen auf der Terrasse sitzen werde und von dort alles im Auge behalten kann.“

„Wie bequem für dich!“, bemerkte Philip trocken. „Miss Antonia hingegen wird nicht wissen, wo ihr der Kopf steht.“

„Sie werden feststellen, Sir“, schaltete sie sich gekränkt ein, „dass ich der mir zugedachten Aufgabe gut gewachsen bin.“

„Nun, ja“, murmelte Philip zweifelnd.

„Also abgemacht“, sagte Henrietta bestimmend. „Das Fest findet am Sonnabend in einer Woche statt. Gleich morgen werde ich die Einladungen verschicken.“

Philip sah, dass der Freund sichtlich verblüfft war. Er fühlte sich irgendwie überrumpelt, zögerte einen Moment, seine Einwilligung zu geben, und sagte schließlich gedehnt: „Ich bin einverstanden. Aber ich nehme Sie beim Wort, Miss Antonia.“

„Sie können sich auf mich verlassen“, erwiderte sie und schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln.

Das Gras war noch betaut, als Antonia sich zu den Wirtschaftsgebäuden begab. Sie betrat den Stall, ließ die Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnen und sah dann nach, ob Lord Ruthvens Grauschimmel sich noch in seinem Unterstand befand.

„Offensichtlich reiten Sie noch immer gern aus.“

Erschrocken drehte sie sich zum Baron um und erwiderte verwirrt: „Guten Morgen, Mylord. Ich habe Sie nicht hereinkommen gehört.“

„Das habe ich bemerkt. Sie hielten angestrengt nach etwas Ausschau. Wonach haben Sie gesucht?“

„Nach dem Stallmeister“, antwortete sie ausweichend. „Ich möchte, dass er mir ein Pferd sattelt.“

„Welches haben Sie bisher geritten?“, erkundigte sich Philip und fand sie in dem roten Amazonenkleid bezaubernd.

„Keins“, gab sie zu, raffte den Rock und schlenderte an den im Stall stehenden Pferden entlang.

Philip folgte ihr und forderte sie auf: „Treffen Sie Ihre Wahl, Miss Antonia.“

Sie bedankte sich und hielt vor dem Unterstand eines Rotfuchses an, der, wie Philip aus Erfahrung wusste, ein unberechenbares Wesen hatte.

„Diesen Hengst würde ich gern reiten.“

Jeder anderen Frau hätte er den Wunsch abschlägig beschieden. Gleichmütig zuckte er mit den Achseln, rief laut nach einem Stallburschen und trug dem einen Moment später herbeieilenden Southey auf, den Hengst für Miss Mannering und anschließend seinen Rappen zu satteln. Der junge Mann verbeugte sich, holte Zaumzeug und Sättel aus der Sattelkammer und begann, den Befehl auszuführen. Beruhigend sprach Miss Mannering auf den Rotfuchs ein und streichelte ihm die Kruppe.

Sobald er gesattelt war, sagte sie: „Ich werde ihn auf dem Hof ein wenig auf und ab führen, bis Ihr Hengst so weit ist.“

„Ja, es kann nichts schaden, wenn Sie sich noch mehr mit ihm anfreunden“, erwiderte Philip, schaute ihr einen Moment bewundernd hinterher und wandte sich dann wieder Southey zu. Nur einen Augenblick später hörte er Schritte hinter sich, drehte sich um und sah erstaunt Miss Mannerings Bruder in den Stall eilen.

„Ich habe mich verspätet“, sagte Geoffrey entschuldigend. „Bitte, lassen Sie sich von mir nicht aufhalten, Mylord, wenn Sie jetzt aufbrechen wollen.“

Philip stöhnte leise, harrte ungeduldig darauf, dass Southey seine Arbeit beendete, und führte dann den Rappen auf den Platz. Seine Absicht, Miss Mannering auf das Pferd zu helfen, wurde jedoch vom Stallburschen zunichtegemacht, der ihm zuvorkam. Missmutig saß er auf, musste indes den Wunsch, sogleich mit ihr loszureiten, noch ein Weilchen bezähmen, bis ihr Bruder auf einem Grauschimmel sich zu ihnen gesellte. Dann konnte man endlich den Ausritt beginnen.

Philip ließ den Hengst galoppieren und sich auslaufen, war jedoch nicht überrascht, dass der von Miss Mannering gerittene Rotfuchs mit seinem Rappen Schritt hielt. Geoffreys Grauer folgte ihnen in einigem Abstand.

Durch den scharfen Ritt wurde Philip besserer Stimmung. Seit mindestens acht Jahren war er nicht mehr mit verhängten Zügeln durch das Gelände geprescht, in Begleitung von zwei Reitern, die gleichermaßen gut mit ihren Pferden umzugehen verstanden. Man setzte über einen Zaun, und die Art, wie Miss Mannering das Hindernis nahm, bewies Philip erneut, dass sie in der verflossenen Zeit nichts von ihrem Wissen verlernt hatte.

Auf der Kuppe eines etliche Meilen von Ruthven Manor entfernten Hügels hielt Philip den Hengst an, atmete tief durch und sah Miss Mannering an.

Lachend erwiderte sie seinen Blick und äußerte atemlos: „Das war wunderbar!“

„Ich stimme Ihnen zu“, sagte er und freute sich, dass sie den Ritt so genossen hatte.

„Dort hinten scheinen Ruinen zu sein“, warf Geoffrey ein und zeigte auf ein Wäldchen. „Ich möchte sie mir ansehen, wenn du nichts dagegen hast, Antonia.“

„In Ordnung“, willigte sie ein.

„Da im Fluss ist eine Furt“, erklärte Philip und wies auf die erkennbar flachere Stelle.

Geoffrey nickte und galoppierte auf dem Grauschimmel davon.

Zuneigungsvoll lächelnd, blickte Antonia ihm einige Minuten hinterher, wandte sich dann an Seine Lordschaft und sagte stolz: „Ich bin froh, dass mein Bruder immer noch so gut reiten kann.“

„Warum sollte es anders sein?“, wunderte sich Philip.

„Acht Jahre sind eine lange Zeit“, antwortete sie achselzuckend.

„Sind Sie und Ihr Bruder denn nicht regelmäßig ausgeritten?“

„Ich dachte, Sie wüssten, dass unser Vater bei einem Reitunfall ums Leben gekommen ist“, erwiderte Antonia erstaunt. „Gleich danach hat Mutter alle Reitpferde verkauft.“

„Das heißt, dass Sie, bis Sie herkamen, nicht reiten konnten“, stellte Philip verärgert fest. Die Nichte seiner Stiefmutter hatte stets viel Freude am Reiten gehabt, und es machte ihn zornig, dass ihr durch die Mutter das Vergnügen genommen worden war. Er hatte ihre verstorbene Mutter nie gemocht, doch nun verachtete er sie.

„Im Gegensatz zu Geoffrey hat es mir nicht viel ausgemacht, nicht mehr reiten zu können“, sagte Antonia gelassen. „Ein junger Gentleman nimmt einen solchen Zeitvertreib natürlich viel wichtiger.“

Philip enthielt sich einer Antwort, um keine alten Wunden aufzureißen, schwieg eine Weile und bemerkte, sobald man in der Ebene war: „Er hatte in Ihnen und Ihrem Vater sehr gute Reitlehrer.“

„Viele Leute würden meinen Reitstil nicht als beispielhaft bezeichnen“, entgegnete Antonia lächelnd.

„Das behaupten sie nur, weil sie neidisch sind“, sagte Philip trocken. „Lassen Sie uns schneller reiten, sonst wartet Ihr Bruder nicht auf uns.“

In raschem Trab ritt man durch die Furt auf die andere Seite des Flusses, wo Geoffrey bereits ausharrte, und kehrte in großem Bogen nach Haus zurück.

Philip saß ab, warf Southey die Zügel zu und half Miss Mannering aus dem Sattel.

Ihr stockte der Atem, als sie Lord Ruthvens Hände um die Taille spürte und er sie behänd herunterhob. „Danke, Sir“, murmelte sie errötend und fühlte das Herz bis zum Hals schlagen.

„Es war mir ein Vergnügen“, erwiderte er und ließ sie widerstrebend los. „Halten Sie es nicht für angebracht, mich wie früher beim Vornamen anzusprechen?“

„Nein“, widersprach sie. „Sie sind jetzt Lord Ruthven, und das muss ich respektieren.“

„Wie Sie wünschen, Miss Antonia“, gab er in bedauerndem Ton nach, reichte ihr den Arm und begleitete sie ins Haus.

3. KAPITEL

Vormittags hatte Antonia die Einladungen für das Fest im Park geschrieben und sich, da die Tante ihrer nicht bedurfte, nach dem Lunch in den Rosengarten begeben. Plötzlich sah sie den Baron auf sich zuschlendern und war überrascht, weil sie nicht damit gerechnet hatte, ihm vor dem Dinner zu begegnen.

Er hielt vor ihr an, verneigte sich leicht und fragte schmunzelnd: „Inspizieren Sie den Garten? Mir scheint, Sie kümmern sich wirklich um alles, was den Haushalt betrifft. Meine Stiefmutter hat mir nämlich erzählt, Sie würden sie in vielen Dingen entlasten.“

„Das hängt davon ab, worum es geht“, erwiderte Antonia lächelnd. „Hinsichtlich der Pflege des Parks werde ich jedoch umgehend mit dem Obergärtner sprechen, es sei denn, Sir, Sie missbilligen es, dass ich in seine Kompetenzen eingreife.“

„Nein, ganz und gar nicht“, entgegnete Philip und schüttelte den Kopf. „Ich finde es sehr beruhigend, wenn Sie sich mit solchen Problemen befassen.“

Verblüfft schaute Antonia ihn an und überlegte, warum es ihn beruhigen mochte, dass sie sich Haushaltspflichten aufbürdete. Vielleicht war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, dass sie ihre häusliche Tugenden unter Beweis stellte, oder er fand es angenehm, die Leitung des Haushaltes in fester weiblicher Hand zu wissen.

„Gestatten Sie, dass ich Sie auf Ihrem Rundgang begleite?“

„Es ist Ihr Anwesen, Sir“, antwortete sie leichthin.

Eine Weile ging er schweigend neben ihr her und staunte, wie sehr sie sich inzwischen verändert hatte. Ihre Stimme war voller, samtener geworden, der Ausdruck in ihren braunen Augen selbstsicherer, ihre Ausstrahlung anmutiger, damenhafter, die Figur fraulicher und verlockender. Früher hatte sie Philip knapp bis zur Schulter gereicht, doch nun war sie kaum einen halben Kopf kleiner als er.

Sie spürte, dass er sie beobachtete, schaute ihn an und blieb unvermittelt stehen. Sein Blick umschmeichelte sie, und wie gebannt sah sie ihm in die grauen Augen. Verwirrt merkte sie, dass sie nicht imstande war, etwas zu äußern oder sich zu regen.

Philip überwand sich, den spannungsvollen Augenblick zu zerstören, und sagte beiläufig: „Wir sollten zurückgehen, Miss Antonia. Das Mittagessen wird bald serviert.“

Heftig klopfenden Herzens atmete sie tief durch, nickte und fragte so gelassen, wie es ihr möglich war: „Hatten Sie einen besonderen Grund, Sir, zu mir in den Park zu kommen?“

Er mochte ihr nicht gestehen, dass er ihre Nähe gesucht hatte, und antwortete, während er langsam an ihrer Seite zum Haus zurückkehrte, mit ausdrucksloser Miene: „Ja, ich wollte mich erkundigen, ob Ihr Bruder kutschieren kann. Falls dem nicht so ist, könnte ich es ihm beibringen.“

„Bisher hatte er keine Gelegenheit, es zu lernen“, erwiderte Antonia bedauernd. „Es wäre reizend von Ihnen, wenn Sie ihn unterweisen würden.“

„Gut, dann tue ich es“, willigte Philip ein. „Und wie ist es mit Ihnen?“, setzte er hinzu und sah sie prüfend an. „Da Sie eine vorzügliche Reiterin sind, würden Sie meiner Ansicht nach auch gut mit Kutschpferden umgehen können.“

„Sie wollen mir das Kutschieren beibringen?“, fragte sie und schaute ihn verblüfft an.

„Ja, wenn Sie es möchten“, antwortete er und bemühte sich, nicht zu lächeln.

„Ist es nicht unschicklich, wenn eine Dame selbst ihren Wagen lenkt?“

„Nein, nicht auf dem Land“, erklärte Philip. „Voraussetzung ist natürlich, dass sie nur einen Einspänner kutschiert.“

„In der Stadt würde es jedoch Befremden auslösen?“

„Ich würde Ihnen nicht erlauben, dort mit einem meiner Pferde auszufahren.“

„Welche Kutschen benutzen Sie in der Stadt?“

„Meist einen Phaeton, wenn ich selbst kutschiere, aber einen Zweispänner würde ich Ihnen nie überlassen. Sie könnten den Buggy, das Gig oder den Hansom nehmen. Hier bieten sich zum Lernen das Dogcart oder der Buggy an.“

„Und wie ist es mit Ihrer Karriole?“

„Vorläufig nicht“, antwortete Philip streng. „Erst muss ich sehen, wie Sie sich anstellen. Möglicherweise sind Sie ungeschickter, als ich annehme.“

„Wie bitte?“ Erzürnt schaute Antonia ihn an.

„Man sollte immer einen Schritt nach dem anderen tun“, äußerte er mahnend. „Lernen Sie zunächst, ein Kutschpferd zu beherrschen, ehe Sie mit dem Gedanken spielen, zweispännig zu fahren.“

Entschlossen, Lord Ruthven zu beweisen, dass sie eine gelehrige Schülerin war, ließ Antonia sich einen Tag später von ihm auf den Kutschbock helfen, wartete, bis er sich zu ihr gesetzt hatte, und ergriff dann die Zügel.

„So nicht“, tadelte er sie, zeigte ihr, wie sie richtig gehalten wurden, und drückte sie ihr dann wieder in die Hände.

Die Berührung erregte sie, und sie musste sich anstrengen, die verräterischen Gefühle nicht zu zeigen.

„Lassen Sie das Pferd langsam traben“, riet er ihr. „Oder haben Sie plötzlich Angst vor der eigenen Courage?“

„Natürlich nicht“, antwortete sie schnippisch und schlug dem Grauschimmel leicht die Stränge auf den Rücken. Der Wagen ruckte so jäh an, dass sie vor Schreck beinahe aufgeschrien hätte.

Philip ergriff ihre die Zügel haltenden Hände, demonstrierte ihr, wie sie damit umgehen müsse, überließ sie dann ihrem Schicksal und legte den Arm um sie.

Zunächst rollte der Buggy mit mäßiger Geschwindigkeit über die Allee, doch der Wallach begann bald, schneller zu laufen. Antonia hatte Mühe, ihn zu bändigen, und es dauerte eine Weile, bis sie ihn zu kontrollieren verstand.

Erschöpft von der Anstrengung, doch froh, dass sie es geschafft hatte, schaute sie Seine Lordschaft in der Annahme an, er werde nun den Arm fortziehen. Er machte indes keine Anstalten, ihrem stummem Wunsch zu entsprechen, und sie wagte nicht, ihn dazu aufzufordern.

„Und was nun?“, fragte sie unbehaglich, sobald sie das Torhaus passiert hatte.

„Folgen Sie der Straße und biegen Sie dann auf den Feldweg ab. Dort werden Sie nicht durch andere Fahrzeuge abgelenkt und können größeres Selbstvertrauen gewinnen.“

Antonia konzentrierte sich wieder auf ihre Aufgabe und nahm dankbar zur Kenntnis, dass Lord Ruthven ihr nur hin und wieder Anweisungen erteilte. Sie wurde sicherer im Umgang mit den Strängen und begann, sich mehr und mehr zu entspannen.

Plötzlich wurde sie sich erneut bewusst, dass der Baron noch immer den Arm um sie geschlungen hatte, und spürte sein rechtes Bein an ihrem linken Oberschenkel. Ein eigenartiges Gefühl der Wärme durchströmte sie, wie in dem Augenblick, als sie Seiner Lordschaft im Vestibül von Ruthven Manor begegnet war. Damals hatte sie es ihrer Nervosität zugeschrieben, verursacht durch das Wiedersehen und die Zuneigung, die sie seit vielen Jahren für Lord Ruthven empfand. Sie hatte sich einzureden versucht, die Verliebtheit würde sich geben, doch nun begriff sie, dass sie einem Trugschluss erlegen war.

Aufmerksam beobachtete Philip sie von der Seite und sagte beiläufig: „Ihr Bruder ist noch sehr jung, Miss Antonia. Daher schlage ich Ihnen vor, seine Abreise nach Oxford einige Wochen zu verschieben, damit er sich in London gesellschaftlichen Schliff erwerben kann. Das würde ihm unter seinen Altersgenossen einen besseren Stand verschaffen.“

„Ich habe nichts einzuwenden“, erwiderte Antonia, „bin jedoch nicht sicher, ob er einverstanden sein wird. Er will unbedingt sein Wissen erweitern und könnte mir vorhalten, durch die verlorene Zeit würde er hinter seinen Mitschülern zurückbleiben. Ich wüsste nicht, wie ich ihn dann überreden soll.“

„Überlassen Sie das mir“, sagte Philip ruhig. „Welches College hat ihn aufgenommen?“

„Das Trinity College.“

„Ich kenne den Rektor. Wenn es Ihnen recht ist, schreibe ich ihm und bitte ihn, Ihren Bruder bis zum Ende der Nachsaison vom Unterricht freizustellen.“

„Sie kennen den Dekan?“, wunderte sich Antonia und hielt den Grauschimmel zu gemächlicherem Tempo an.

„Ihre Familie ist nicht die einzige im Land, die gute Verbindungen zu einem College hat“, antwortete Philip und hob hochmütig eine Braue.

„Sie waren ebenfalls im Trinity College?“

Er nickte.

„Dann wird der Dekan Ihr Ansinnen wohl nicht abschlägig bescheiden“, murmelte Antonia. „Gut, ich werde mit meinem Bruder über die Sache sprechen.“

„Nein, überlassen Sie das bitte mir. Wenn ich ihm den Vorschlag unterbreite, wird er vermutlich empfänglicher dafür sein.“

Antonia kannte Geoffrey und wusste, dass Seine Lordschaft bei ihm mehr Erfolg haben würde als sie. Schweigend lenkte sie das Pferd nach Ruthven Manor zurück und hielt vor dem Hauptportal an.

Philip schwang sich vom Kutschbock, ging zur anderen Seite des Wagens und nahm Miss Mannering die Zügel ab. Er warf die Stränge dem herbeigeeilten Southey zu, fasste Miss Mannering dann um die Taille und hob sie behänd aus dem Buggy.

„Sie haben Ihre Sache gut gemacht“, lobte er sie. „Insgesamt bin ich mit Ihren Fahrkünsten sehr zufrieden. Sie haben meinen Erwartungen entsprochen. Achten Sie in Zukunft jedoch darauf, die Zügel nicht ganz so straff zu halten.“

„Soll das heißen, dass Sie mich auf die Probe gestellt haben?“, fragte Antonia irritiert.

„Ich kenne Ihre Fähigkeiten“, erwiderte er mit herablassendem Lächeln. „Folglich erschien es mir ratsam, die Probe aufs Exempel zu machen. Nun weiß ich, dass ich in Ihnen eine aufgeweckte und gelehrige Schülerin habe.“

„Dann hoffe ich, dass Sie mir morgen gestatten, das Pferd sich auslaufen zu lassen.“

„Noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen, Miss Antonia“, entgegnete er schmunzelnd.

Henrietta hatte die Ankunft des Stiefsohnes mit ihrer Nichte vom Fenster des Boudoirs aus beobachtet, wartete, bis die beiden ins Haus gegangen waren, und sagte dann zufrieden: „Mir scheint, der Ausflug war erfolgreich.“

„An Ihrer Stelle, Mylady, würde ich den Tag nicht vor dem Abend loben“, gab Alice ihr zu bedenken. „Noch ist es zu früh, aus einer Ausfahrt positive Schlussfolgerungen in Bezug auf die Beziehung zwischen Seiner Lordschaft und Miss Mannering zu ziehen.“

„Natürlich kommt der Ausfahrt eine gewisse Bedeutung zu“, widersprach Henrietta. „Philip fährt selten mit einer Dame aus, und noch weniger würde er einer erlauben, ihn zu kutschieren. Ich bin sicher, dass meine Absichten von Erfolg gekrönt sein werden. Folglich werde ich dafür sorgen, dass meine Nichte und er ungestört so viel Zeit wie möglich zusammen verbringen.“

„Sie wollen sie ermutigen, sich ohne Begleitung zu sehen?“, fragte Alice missbilligend.

„Mit vierundzwanzig Jahren ist Antonia kein Backfisch mehr, und trotz seines Rufs als Lebemann wurde Philip meines Wissens nie bezichtigt, eine ahnungslose Frau verführt zu haben. Zudem würde er sich meiner Nichte, die obendrein unser Gast ist, nie ungebührlich nähern. Daher ist es nicht notwendig, sich strikt an die Anstandsregeln zu halten. Er muss begreifen, welch ein Juwel sie ist, und das setzt voraus, dass die beiden täglich einige Stunden zusammen sind.“

Antonia überprüfte ihr Aussehen im Pilasterspiegel und bemerkte den amüsierten Blick der Zofe.

„Sind Sie schon wieder mit Seiner Lordschaft verabredet, Madam?“, fragte Nell schmunzelnd. „Neuerdings sind Sie sehr viel ihm zusammen.“

„Das stimmt nicht, abgesehen davon, dass wir, und immer in Geoffreys Begleitung, regelmäßig vormittags ausreiten“, widersprach Antonia und drehte sich um. Wohlweislich unterließ sie es zu erwähnen, dass Lord Ruthven ihren Bruder jedes Mal ermutigte, seinen Grauschimmel sich auslaufen zu lassen und sie daher während der Hälfte des Ausflugs mit dem Baron allein war. „Dazu hat er mir dreimal Unterricht im Kutschieren gegeben, kommt ansonsten aber nur zu mir, wenn es ein häusliches Anliegen zu besprechen gibt.“ Das geschah recht häufig, indes stets aus einem sachlichen Grund. „Schließlich ist Seine Lordschaft sehr beschäftigt. Er verbringt Stunden mit Mr. Custer, weil er großen Wert auf eine ordentliche Verwaltung des Besitzes legt.“

„Das hätte ich nicht gedacht“, warf Nell spöttisch ein. „In dieser Hinsicht macht er auf mich eher einen … nun, sagen wir, ziemlich desinteressierten Eindruck.“

„Sie täuschen sich, Nell. Das ist nur eine Attitüde, wie bei den meisten Herren von Stand. Er nimmt seine Pflichten sehr genau. Gleichgültigkeit kann man ihm wirklich nicht vorwerfen.“

„Nun, Sie kennen ihn besser als ich“, erwiderte Nell achselzuckend.

„Ganz recht“, sagte Antonia ein wenig gereizt, verließ das Ankleidekabinett und begab sich zu ihrem nachmittäglichen Rundgang in den Park. Sie war noch nicht weit gekommen, als sie den Bruder sie rufen hörte. Sie drehte sich um, wartete, bis er bei ihr war, und sah, dass er über das ganze Gesicht strahlte.

„Die Ausfahrt war wunderbar, Antonia!“, verkündete er begeistert. „Der Rotfuchs war sehr fügsam. Vielleicht kann ich beim nächsten Mal ein Gespann kutschieren.“

Antonia freute sich für den Bruder, bezweifelte jedoch, dass Lord Ruthven ihm erlauben würde, so kurz nach dem Beginn des Unterrichts zwei Pferde zu lenken. Ihr hatte er das bisher noch nicht gestattet. „Zu große Hoffnungen würde ich mir an deiner Stelle nicht machen“, erwiderte sie lächelnd. „Außerdem wäre es mir lieber, du würdest Seine Lordschaft nicht darum bitten.“

„Das hatte ich nicht vor“, gestand Geoffrey und schloss sich ihr an. „Ich nehme an, er hat schon mit dir darüber gesprochen, dass ich dich nach London begleiten soll, nicht wahr? Nachdem er mir den Vorschlag gemacht hatte, war ich unschlüssig, habe aber dann eingewilligt, weil seine Argumente mir einleuchtend erschienen. Er hielt mir vor, ich müsse mir gesellschaftlichen Schliff erwerben und dir zeigen, dass ich mich auf jedem Parkett tadellos bewegen kann.“

Antonia war Lord Ruthven dankbar, dass er so einfühlsam mit ihrem Bruder umzugehen verstand. Auf diese Weise konnte er Geoffrey ein wenig den Vater ersetzen. „Ich pflichte ihm bei“, erwiderte sie ernst. „Nimm dir seine Ratschläge zu Herzen. Er ist ein sehr erfahrener und weltgewandter Mann.“

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass er nach all den Jahren so freundlich zu uns sein würde“, gab Geoffrey zu.

„Ja, wir können uns glücklich schätzen, dass er so entgegenkommend ist“, stimmte Antonia dem Bruder zu.

„Sei mir nicht böse, aber ich lasse dich jetzt allein. Ich möchte Schießübungen machen.“

Sie war einverstanden und schlenderte gedankenvoll weiter. Lord Ruthven behandelte sie tatsächlich sehr zuvorkommend. Leider ließ sein Verhalten nicht darauf schließen, dass er mehr als nur eine vertraute Jugendgefährtin und gute Bekannte in ihr sah. Diese Rolle genügte ihr nicht. Ihr war klar, dass sie ihm Gefühle entgegenbrachte, die er nicht erwiderte, und es fiel ihr zunehmend schwerer, sie zu verhehlen.

Sie begriff, dass sie etwas unternehmen musste, um ihm ein anderes Bild von sich zu geben. Er sollte sie als Frau zur Kenntnis nehmen und zumindest in Betracht ziehen, sich mit ihr zu vermählen. Sie erkannte, dass sie bald handeln musste, da das Fest in zwei Tagen stattfand und man einige Tage später nach London reisen würde.

Plötzlich sah sie ihn um eine Hecke biegen und sichtlich erleichtert auf sich zukommen. Er war wie immer comme il faut gekleidet, diesmal in einen hellbraunen Schoßfrack, geblümte Cravate, dezent gestreiftes Gilet und beigefarbene Pantalons. Im Äußeren und Auftreten entsprach er ganz dem Bild des wohlhabenden adligen Grundbesitzers, strahlte jedoch eine bei Weitem größere Eleganz aus als jeder Antonia bekannte Landedelmann.

Er blieb vor ihr stehen und sagte: „Ich suche Sie schon seit geraumer Zeit, Miss Antonia.“

„Haben Sie ein bestimmtes Anliegen, Sir?“

„Ja, ich möchte wissen, ob die Vorbereitungen für das Fest reibungslos verlaufen. Falls Sie etwas brauchen, lassen Sie es mich bitte wissen.“

Jedes Mal, wenn Antonia mit Lord Ruthven zusammen war, fühlte sie sich durch seinen Anblick beunruhigt. Verlegen räusperte sie sich und erwiderte: „Seien Sie unbesorgt, Sir. Alles ist in bester Ordnung. Mr. Custer und das Personal waren sehr hilfsbereit.“

„Das freut mich zu hören“, sagte Philip zufrieden. „Ich bin sicher, das Fest wird ein großer Erfolg.“

„Danke“, murmelte Antonia.

„Sie erlauben, dass ich mich Ihnen anschließe?“

„Bitte“, antwortete Antonia leichthin.

Einen Moment lang ging Philip schweigend neben ihr her, betrachtete sie und äußerte dann verwundert: „Sie wirken ein wenig grüblerisch. Bedrückt Sie etwas?“

„Ich habe darüber nachgedacht, was mich erwartet, wenn ich in London bin“, gestand sie zögernd. „Wie Sie wissen, habe ich in gesellschaftlicher Hinsicht nur geringe Erfahrungen. Trifft es zu, dass Gentlemen, wenn sie Damen umwerben, sich gern der Poesie bedienen?“

„In manchen Kreisen ist das üblich“, bestätigte Philip. „Von den Damen wird sogar erwartet, dass sie, wenn sie den Herren antworten, das ebenfalls in Versform tun.“

„Tatsächlich?“ Antonia war überrascht.

„Erlauben Sie?“, fragte er, ergriff, ohne ihre Einwilligung abzuwarten, ihre Hand und legte sie in seine Armbeuge. „Da Sie bald im ton verkehren werden, ist es sicher sinnvoll, wenn Sie sich ein wenig Übung im Reimen aneignen“, fuhr er fort, hielt beim Springbrunnen an und half Miss Mannering, sich auf die schmiedeeiserne Bank zu setzen. Dann nahm er neben ihr Platz, legte den rechten Arm auf die Rücklehne der Bank und schaute nachdenklich Miss Mannering an. „In Anbetracht Ihrer Unerfahrenheit ist es wohl besser, wenn wir zunächst nur poetische Sätze bilden“, schlug er vor.

„Ja“, stimmte Antonia zu.

„Hier ist ein Beispiel. Ihr Haar glänzt wie Cäsars Gold, für das seine Bataillone ihr Leben hingaben.“

Antonia schaute Seine Lordschaft aus weit geöffneten Augen an.

„Nun sind Sie an der Reihe.“

Antonia atmete tief durch und sagte: „Ihr Haar schimmert wie in der Sonne gereifte Kastanien.“

„Sehr gut!“ Philip lächelte. „Das war jedoch nur eine visuelle Beobachtung. Daher habe ich diese Runde gewonnen.“

„Oh, machen wir einen Wettbewerb?“

„Betrachten wir es so. Nun bin ich wieder dran. Ihre Stirn ist so weiß wie die Brust einer Mehlschwalbe und so glatt wie ihr Flug durch die Lüfte.“

Antonia verengte die Augen, betrachtete Lord Ruthvens Stirn und erwiderte: „Ihre Stirn ist so edel wie die des Leu und Ihre Kraft nicht geringer als seine.“

Philip lächelte breiter. „Ihre Augen sind in Gold gefasste Smaragde, Kostbarkeiten von unschätzbarem Wert.“

„Graue Wolken, Stahl, Dunst und Nebel, Blitz und stürmische Wogen vermischen sich in den Tiefen Ihres Blicks.“

Autor

Paula Marshall
Als Bibliothekarin hatte Paula Marshall ihr Leben lang mit Büchern zu tun. Doch sie kam erst relativ spät dazu, ihren ersten eigenen Roman zu verfassen, bei dem ihre ausgezeichneten Geschichtskenntnisse ihr sehr hilfreich waren. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie fast die ganze Welt bereist. Ihr großes Hobby ist das...
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Stephanie Laurens
Stephanie Laurens wurde in Ceylon (dem heutigen Sri Lanka) geboren. Sie begann mit dem Schreiben, um ihrem wissenschaftlichen Alltag zu entfliehen. Bis heute hat sie mehr als 50 Romane verfasst und gehört zu den erfolgreichsten Autorinnen historischer Liebesgeschichten. Die preisgekrönte New-York-Times-Bestsellerautorin lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Melbourne.
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