Historical Lords & Ladies Band 53

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GÖTTIN MEINES HERZENS von BEACON, ELIZABETH
Miranda erschauert, als Christopher Alstone sie leidenschaftlich liebkost. Nichts ersehnt sie sich mehr als seine Liebe und Zärtlichkeit! Dass der Earl of Carnwood sie seit ihrer ersten Begegnung tief im Herzen trägt, ahnt sie nicht. Auch nicht, dass er schon damals geschworen hat, sie zur Frau zu nehmen. Doch Mirandas Vergangenheit lässt eine Ehe unmöglich erscheinen - und ruft einen gefährlichen Feind auf den Plan …

GENTLEMAN MIT KLEINEN FEHLERN von MARSHALL, PAULA
Brandon Tolliver, der neue Besitzer von Gilliflower Hall, beflügelt die Neugier der Einwohner von Broomsbury - denn der attraktive und wohlhabende Gentleman ist auf Brautschau! Bald weiß man auch, dass Jane Fielding seine Auserwählte ist. Doch in diesem Punkt irren die Leute von Broomsbury: Denn seit Brandon Janes hinreißender Schwester Nan einen verbotenen Kuss geraubt hat, geht sie ihm nicht mehr aus dem Sinn …


  • Erscheinungstag 08.01.2016
  • Bandnummer 0053
  • ISBN / Artikelnummer 9783733761349
  • Seitenanzahl 352
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Elizabeth Beacon, Paula Marshall

HISTORICAL LORDS & LADIES BAND 53

1. KAPITEL

Mit dem Auge des Besuchers betrachtet wirkte Wychwood Court auf Mrs Miranda Braxton noch imposanter, als sie es in Erinnerung hatte. Nach ihrem fünf Jahre währenden Exil kamen ihr die goldgelben Steine des prächtigen Tudorherrenhauses hinter dem feinen Dunstschleier geradezu einladend vor, und sie lehnte sich in ihrem Sitz zur Seite, um das Haus noch eingehender zu betrachten. Unwillkürlich dachte sie dabei an ihren jugendlichen Leichtsinn, denn all dies hier gab sie damals unbekümmert für Nevin Braxton auf, nur um festzustellen, wie sehr sie sich in ihm getäuscht hatte.

In der Woche, in der es ihr erlaubt war, sich auf dem Anwesen aufzuhalten, musste es ihr lediglich gelingen, die Fassung zu bewahren, weshalb sie Tante Clarissa und Cousine Celia wohl besser aus dem Weg ging. Sie fragte sich, warum ihr Großvater auf ihrer Anwesenheit bei der Verlesung seines Testaments bestand, da er ihr doch unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, ihr nie wieder Zutritt zu seinem Haus gewähren zu wollen. Allerdings ist es nun auch nicht mehr sein Haus, also ist es ihm wohl auf recht schlaue Weise gelungen, Wort zu halten, dachte Miranda. Da sein Erbe indes der Sohn eines Mannes war, den er zutiefst verabscheute, musste sich ihr Großvater ob der Anwesenheit so vieler Kuckuckseier in seinem wertvollen Nest indes wohl im Grabe umdrehen.

Selbst im Norden Wales sprach man davon, welch tüchtiger Geschäftsmann der Erbe Lord Carnwoods sei. Insgeheim musste Miranda darüber lachen, da sie wusste, wie unwillkommen diese Nachricht in Wychwood aufgenommen worden sein musste. Selbst wenn er, wie man sagte, mit seinem Geschäftssinn zu großem Vermögen gekommen war, musste es Tante Clarissa wahrhaft verhasst sein, dass er den noblen Namen Alstone mit der Anrüchigkeit profaner Geschäfte beschmutzte. Miranda sinnierte eine Weile über die abstruse scheinheilige Heuchelei der aristokratischen Gesellschaft und fragte sich, auf welche Weise wohl nach Meinung ihrer Tante die Familie zu ihrem Vermögen gekommen war.

„Das sieht Seiner Lordschaft ähnlich, sein Testament erst Monate nach seinem Tod verlesen zu lassen. Er ist immer ein eigensinniger alter Brummbär gewesen“, bemerkte Leah, Mirandas Zofe und Gesellschafterin, als die Kutsche ihr Tempo verlangsamte. „Sieht aus wie immer, nicht wahr?“, fuhr sie danach schroff fort, was Miranda erkennen ließ, dass Leah diesen wunderbaren Ort ebenso sehr vermisst hatte wie sie.

„Ja, das tut es.“

„Innen wird es anders sein, will ich meinen, wegen dem neuen Earl und allem. Lady Clarissa muss sich darüber wohl ganz grün und blau ärgern, wo sie sich doch Ihren Großvater nach ihren Wünschen erzogen hat, möchte ich sagen.“

„Ich hoffe, das tust du nicht, Leah.“

„Was soll ich nicht tun?“, fragte diese mit Unschuldsmiene. Seit Kindertagen verband die beiden eine enge Freundschaft. Eine Kluft zwischen Herrin und Zofe bestand für Miranda nicht, denn wo wäre sie jetzt bloß ohne Leah?

„Offen deine Meinung äußern.“

„Und warum nicht?“

Vor langer Zeit schon hatte Leah beschlossen, nicht die Art Zofe zu sein, die man zwar sieht, aber nicht hört. Zudem hatten sie die letzten fünf Jahre in einem recht ungewöhnlichen Haushalt verbracht, weshalb es Miranda unwahrscheinlich erschien, ihre Freundin davon überzeugen zu können, ihr Verhalten nun zu ändern. „Es könnte vielleicht helfen, den Haussegen zu bewahren“, antwortete sie deshalb matt.

„Ha! Manche Dinge sind es nicht wert, dass man sie bewahrt.“

„Gleich, ob dem so ist oder nicht, in diesem Haushalt bin ich zu Gast. Ich wäre dir dankbar, wenn du dies im Kopf behieltest“, beharrte sie.

„Es ist Ihr Zuhause, Miss Miranda.“

„Nein, es ist einmal mein Zuhause gewesen“, erwiderte sie ruhig. Zwar mochte sie sich verzweifelt nach Wychwood gesehnt haben, als dessen Pforte ihr für immer verschlossen bleiben sollte, doch ihre liebenswerte Taufpatin hatte ihr ein neues Heim gegeben, eines, das sie liebte und schätzte. In Nightingale House hatte sie vieles gelernt, Dinge, die sie als verwöhnte Enkelin eines Earls wahrscheinlich nie erfahren hätte, obwohl sie zugeben musste, dass sie in Wychwood Court wohl immer mehr sehen würde als ein prächtiges Herrenhaus. Tief in ihrem Herzen nannte sie es ihr wahres Heim. In ihrer Fantasie versetzte sie sich gelegentlich immer noch hierher, dennoch war sie in diesen Räumen immer noch ebenso unwillkommen wie vor fünf Jahren.

„Seine Lordschaft hätte Sie nie wegschicken dürfen“, murrte Leah.

„Nein, er tat recht daran. Er musste sich um wichtigere Dinge kümmern, als um eine widerspenstige junge Närrin mit mehr Haar als Verstand.“

„Nichts hätte wichtiger für ihn sein dürfen als sein eigen Fleisch und Blut.“

„Ganz genau“, erwiderte Miranda schlagfertig. Im gleichen Augenblick hielt die Mietdroschke vor den Stufen zu ihrem ehemaligen Zuhause, und sie stiegen aus.

Während sie den knirschenden Kies der Auffahrt betraten, hoffte Miranda, dass sich die beiden guten Gründe für ihr fünfjähriges Exil immer noch sicher in ihrer exklusiven Schule in Bath befanden und man ihnen nicht zumutete, bei einer solch traurigen, ernsten Angelegenheit zugegen zu sein.

„Es wäre nicht schicklich für mich gewesen, nach Hause zu kommen, Leah“, sagte sie ruhig. „Ich habe zwei kleine Schwestern, deren Ehre durch meinen Ruf befleckt werden würde. Außerdem weißt du sehr gut, wie glücklich ich bei Lady Rhys bin.“

„Glücklich sind Sie nicht mehr gewesen, seit Sie all das hier verlassen haben“, erwiderte Leah aufmüpfig. Miranda wusste, es wäre unnütz, mit ihr darüber zu streiten, obwohl sie mehr denn je davon überzeugt war, dass ihr Großvater recht daran getan hatte, sie nicht mehr nach Hause kommen zu lassen, um ein Exempel zu statuieren.

Dennoch fühlte sie beim Anblick des Hauses Tränen aufsteigen, die sie nicht hatte weinen wollen und die auch gleich darauf versiegten, da sie sich unvermittelt dem kältesten, zynischsten Augenpaar gegenübersah, in das sie je das Pech hatte, blicken zu müssen. Das neueste Mitglied im Kreise der Menschen, die schlecht von ihr dachten, stand reglos vor dem Eingangsportal und bedachte sie mit steinerner Miene, die seine ganze Verachtung für sie offenbarte. Sie wunderte sich, womit sie sein Zartgefühl verletzt haben konnte. Er sieht aus wie jene Sorte Feind, um die man am liebsten einen weiten Bogen machte, dachte sie erschauernd und hoffte, sie stand weit genug von ihm entfernt, damit er ihren Schauder nicht bemerkte.

Das allerdings schien Wunschdenken zu sein, denn sein eindringlicher Blick durchbohrte sie förmlich. Wohlwissend, dass auch sie ihn anstarrte, fiel es ihr dennoch schwer, sich ganz wie die Dame zu benehmen, die sie war, und ihre Augen abzuwenden. Unnütz sich darüber Sorgen zu machen, denn alle guten Manieren außer Acht lassend, fing er ihren Blick auf und schaute sie unverwandt feindselig an. Seltsamerweise schien ihr ganzer Körper darob unvermittelt in Flammen zu stehen.

Von blendendem Aussehen, war er der Traum eines jeden Mädchens und der schlimmste Albtraum jeder Anstandsdame. Selbst der blaue Gehrock, die rehbraunen Kniehosen und die Schaftstiefel eines Landedelmannes trugen nicht dazu bei, von der gefährlichen Anziehungskraft abzulenken, die der süffisant-spöttische Zug seines Mundes und die unergründlichen dunklen Augen ausstrahlten. Nimmt man dazu noch das rabenschwarze lockige Haar, dann ist es kein Wunder, wenn mich sein Anblick einen Augenblick lang betäubte, rechtfertigte Miranda sich stumm vor sich selbst.

Sie konnte ihn sich gut auf dem Achterdeck eines Piratenschiffes vorstellen, aber gezähmt durch Samt und Seide im House of Lords sitzend? Ein solch zeremonieller Pomp muss ihm verhasst sein, sagte ihr eine innere Stimme. Das Lächeln, das ihr dieser Gedanke ins Gesicht zauberte, lag immer noch auf ihren Lippen, als sie sich von ihren Tagträumen losriss, um den jetzigen Earl of Carnwood zu begrüßen.

„Die verlorene Tochter ist also zurückgekehrt“, bemerkte er mit einem flüchtigen Lächeln, das seine unerbittliche Miene kaum sanfter erscheinen ließ.

Mit einer Eleganz, die Miranda an ein siegessicheres Raubtier erinnerte, das sich der Macht über seine Beute sehr genau bewusst ist, kam er die Stufen hinunter, und sie musste sich zwingen, sich nicht von der Stelle zu rühren. Seine langen Beine und die schlanke, muskulöse Gestalt waren eines Athleten würdig, sein Auftreten zeugte von ungezügeltem, unbeugsamem Temperament. Jede Frau, die ihre fünf Sinne beisammen hatte, würde versuchen, ihn für sich zu erobern. Und du bist im Vollbesitz deiner Sinne, flüsterte in ihr die tot geglaubte Stimme der rebellischen, eigensinnigen, unbesonnenen Miranda Alstone, die sie früher einmal gewesen war.

„Sir?“, grüßte sie steif, verärgert darüber, dass sie sich seinetwegen nicht länger vormachen konnte, sie habe inzwischen die Oberhand über ihren Verstand und ihre Gefühle gewonnen.

„Madam?“, erwiderte er kühl. Ohne Entschuldigung wanderte sein Blick forschend über ihr Gesicht und ihre Figur, als wäre sie ein weiterer Happen seiner Mittagsmahlzeit und er sich nicht sicher, ob er sie nun verschlingen sollte oder nicht.

Miranda unterdrückte einen Schauder, der Abscheu hätte sein sollen, der dem aber in nichts gleichkam, und sagte sich, dass sie mit allem Recht der Welt verlangen konnte, vom neuen Oberhaupt der Familie besser behandelt zu werden. Sie musterte ihn ihrerseits aufmerksam, befand es danach indes als wenig vielversprechend, ihn durch einen Hinweis auf seine mangelnden Manieren zu beschämen, damit er sich ihr gegenüber höflicher zeigte. Schenkte man der Mischung aus Verlangen und Wut in seinen dunklen Augen Glauben, hegte er wohl kaum die Absicht, den großzügigen Gastgeber für sie zu spielen. Besser, sie machte sich schon einmal auf eine recht unbehagliche Woche gefasst.

„Wir wurden einander noch nicht vorgestellt“, sagte sie, während sie, ungewohnt verwirrt, ungewollt einen Schritt zurückwich.

Offenbar ungehalten über diese Belanglosigkeit, furchte er die Stirn. Als der neue Earl war er zugleich Vormund ihrer jüngeren Schwestern und hatte daher natürlich allen Grund, ihr mit Argwohn zu begegnen. Durch Klatsch und Tratsch wusste er gewiss bereits viel zu viel über den ungebärdigen Sturmvogel, der gekommen war, um das Familiennest zu beschmutzen, sodass sie sich in seiner Gegenwart kaum wohlfühlen konnte. Womöglich ist es sogar seine Pflicht, über meinen Besuch nicht erfreut zu sein, nahm sie an. Schließlich hatte ihr Großvater sich geweigert, sie zu empfangen, obwohl er seine Enkelin einst sehr liebte.

„Da Sie keine Anstalten machen, sich vorzustellen, nehme ich an, Sie sind der siebte Earl of Carnwood?“, sagte Miranda in ruhigem Ton, während sie einander gegenüberstanden und sich wie Gegner vor einer Schlacht abmaßen.

„In der Tat, und es ist immer ein Vergnügen, über eine solch schöne Verwandte zu verfügen, Mrs Braxton“, antwortete er mit zynischem Grinsen.

„Tatsächlich? Welch Freude einen solchen Schmeichler in der Familie willkommen heißen zu können, Mylord“, erwiderte sie, entschlossen in keiner Hinsicht über sich „verfügen“ zu lassen.

Mittlerweile sollte sie sich an die anstößigen Ansichten gewöhnt haben, die sogenannte Gentlemen über ihre Moraleinstellung zu haben schienen. Dennoch stellte seine Unfähigkeit, hinter ihre äußere Fassade blicken zu können, seltsamerweise einen größeren Verrat für sie dar als alle anderen zusammengenommen. Ein wahrlich absurdes Gefühl. Immerhin hatte sie ihn soeben erst kennengelernt, und wenn ihr das Glück hold war, würde sie ihm nach dieser Woche niemals wieder begegnen. Ihm und ihres zwielichtigen Rufs zum Trotz straffte sie die Schultern, hob das Kinn und schaute ihm direkt in die unverschämt und zornig blickenden Augen, um seinen dummen Vorurteilen die Stirn zu bieten.

„Ich nehme mir die Freiheit, unter gegebenen Umständen die Wahrheit zu sagen, Madam“, teilte er ihr derweil glattzüngig mit. Der spöttische Funke in seinen dunklen Augen sagte ihr, dass er glaubte, sie würde Ehrlichkeit nicht einmal dann erkennen, wenn man sie mit der Nase darauf stieß.

In der Absicht, jedwedes Urteil, das er über sie aus verächtlichem Gerede geformt haben mochte, auf ihn zurückfallen zu lassen, verzog sie die Lippen zu einem leicht höhnischen Lächeln und bedachte ihn mit einem ihrer besten vernichtenden Blicke, von denen sie sich in den letzten Jahren ein wahres Repertoire angeeignet hatte. Böse Zungen verfolgten sie bis in das abgelegene walisische Tal, in dem ihre Patin lebte. Deren unbarmherziges Geschwätz hatte weit zu viele augenscheinliche Gentlemen dazu veranlasst, ihr Glück bei einer Frau mit solch befleckter Vergangenheit zu versuchen. Diese Herren in unmissverständlicher Weise bestimmt zurückzuweisen indes war ein Kinderspiel gewesen, verglichen damit, diesen Wolf im Wolfspelz mit Blicken zum Schweigen zu bringen.

„Sie müssen eine wahre Armee von Feinden haben, Lord Carnwood“, parierte sie in ruhigem Ton. „Nur wenige Menschen erfreut es, die ungeschminkte Wahrheit über sich selbst zu hören. Schließlich geraten wir doch alle einmal auf Abwege. Aber bitte verraten Sie mir doch, woran Sie erkennen, ob man Ihnen die Wahrheit oder eine Lüge erzählt?“, fuhr sie mit aufgesetzter Unschuldsmiene fort.

„Mithilfe sorgfältiger Nachforschungen“, entgegnete er, ohne mit der Wimper zu zucken.

Sie runzelte die Stirn. Wollte er damit etwa andeuten, er wisse mehr über sie, als die üblichen gehässigen Gerüchte berichteten, die man gewöhnlich als Wahrheit deklarierte? Die Unruhe nagte an ihrer schwer errungenen Selbstsicherheit, während sie sich der Geschehnisse in ihrer Vergangenheit zu erinnern versuchte, derer selbst sie sich nicht völlig entsinnen konnte. Nur Nevin Braxton wusste über all die schmutzigen Einzelheiten ihres Zusammenlebens Bescheid. Er konnte sie indes nun niemandem mehr mitteilen.

„Dies ist manchmal ein beinahe unmögliches Unterfangen“, suchte sie seine Prahlerei zu erschüttern.

„Gewöhnlich finde ich immer einen Weg“, teilte er ihr in einem Tonfall mit, der seine Worte ebenso sehr nach einer Drohung wie einem Versprechen klingen ließ.

„Wenn ich die Notwendigkeit verspüre, meine Vorurteile bestätigt zu sehen, werde ich Sie vertrauensvoll um Rat ersuchen, Mylord. Allerdings hat der Wind inzwischen beträchtlich aufgefrischt, und wir haben eine lange Reise hinter uns. Ich fürchte, Leah und ich werden uns verkühlen, womöglich gar an Fieber erkranken, wenn wir hier draußen noch länger herumstehen wie die Ausstellungsstücke in einem Museum.“

„Wie nachlässig von mir, bitte entschuldigen Sie meine fehlenden Kenntnisse der Umgangsformen in der feinen Gesellschaft.“

„Um mich dazu in der Lage zu sehen, müsste ich zunächst einmal glauben, dass es fehlende Kenntnisse sind, und nicht etwa vorsätzliche Missachtung, Mylord.“

„Ach tatsächlich, Mrs Braxton? Eine höchst eigenartige Vermutung, die Sie da anstellen“, parierte er geschickt.

Wenn sie auch nur im Mindesten dazu geneigt gewesen wäre, ihren Feind zu unterschätzen, hätte sie ein solch müheloser Gegenangriff sofort eines Besseren belehrt. Dennoch versuchte sie, die Sonne hinter der sehr großen, sehr dunklen Gewitterwolke zu sehen, die er für sie darstellte. Obwohl sie seine Manieren missbilligte und ihn aufgrund seiner Vorurteile verachtete, befand sie, dass er einen fürwahr grimmigen Beschützer für jede glückliche Seele abgab, die er für schützenswert erachtete. Hoffentlich zählten ihre kleinen Schwestern zu diesen glücklichen Seelen, damit niemand die Möglichkeit bekam, die beiden zu einer ebensolch horrenden Narretei zu verleiten, wie sie selbst sie unbesonnenerweise begangen hatte.

Ein junger, dummer Teil von ihr sehnte sich danach, selbst zu der auserwählten Schar zu gehören, der Lord Carnwood echtes Interesse galt, bis sie aufsah und seinem hartherzigen, eindringlich forschenden Blick erneut begegnete. Mühsam die Beherrschung wahrend, straffte sie den Rücken und zwang sich, wie beiläufig wegzusehen, als ob sein grimmiger Blick ihr überhaupt nichts anhaben konnte.

Auf der obersten Stufe anzugelangen, ohne dabei vorher auf die Nase zu fallen, muss zu meiner Verteidigung für den Moment genügen, beschloss sie. Ausgeruht und vom Schmutz der Reise gesäubert, würde sie ihn schon noch mit einem solch heftigen Gegenangriff bedenken, dass er sie für die restliche Zeit ihres Aufenthalts in Ruhe lassen würde. Sei’s drum, fügte sie in Gedanken hinzu, als sie durch das breite Eingangsportal schritten, da ich Gast unter seinem Dach bin, lässt ihn mein kühles Benehmen hoffentlich darauf schließen, dass ich an Männern, gleich welchen Schlages, kein Interesse hege. Ob sie nun schwach und tyrannisch waren wie Nevin oder stark und arrogant wie der neue Earl of Carnwood, nie wieder wollte sie sich mit einem Mann einlassen. Ihre Erfahrungen aus Jugendtagen reichten wahrlich für ein ganzes Leben.

„Miranda! Dünn bist du geworden, du siehst recht ausgemergelt aus. Beinahe hätte ich dich gar nicht erkannt.“ Die helle Stimme zerschnitt das angespannte Schweigen zwischen dem Herrn des Hauses und seinem widerwilligen Gast.

Mit Entsetzen stellte Miranda fest, dass sie eine leise Enttäuschung ob der Unterbrechung ihres feindseligen Tête-à-Têtes verspürte. Seit fünf Jahren hatte sie sich nicht mehr so lebendig gefühlt wie bei diesem Wortgeplänkel mit Seiner Lordschaft. Womöglich konnte er ihr weit gefährlicher werden als gedacht, weshalb sie sich vornahm, sich in den nächsten Tagen so unsichtbar wie möglich zu machen. Obwohl stark versucht, ihren neu gewonnenen Feind forschend zu mustern, wagte sie es nicht, die Augen von ihrer alten Feindin zu nehmen, denn sie wusste, über welch scharfen Blick Mrs Cecilia Grant verfügte. Ihre sechs Jahre ältere Cousine ließ die prunkvolle Marmorhalle von Wychwood noch prächtiger und eleganter wirken, doch Miranda erschauerte ob der Kälte in ihren Augen.

Offensichtlich wird nur noch ein Herzog oder ein gut platzierter Kanonenschlag Celia dazu bewegen können, Wychwood zu verlassen, dachte Miranda. Sie hatte den Besitz ergreifenden Schimmer in den eisgrauen Augen ihrer Cousine bemerkt, deren Blick bedeutungsvoll auf der breitschultrigen Figur Seiner Lordschaft ruhte, dann zu Miranda schweifte. Ja ja, ich habe verstanden, sagte sie sich stumm.

Nur zu gut wusste Miranda, dass das herzliche Lächeln ihrer Cousine allein Lord Carnwood galt. Für ihr gegenüber hegte Celia keinerlei Sympathien, da brauchte sie sich keine falschen Vorstellungen zu machen. Wie dem auch sei, Celia und der neue Herr von Wychwood passten offenbar ausgezeichnet zueinander, sofern sie das beurteilen konnte. Eine Ehe der beiden hätte zumindest den Vorteil, dass sie keinen anderen Menschen, der Besseres verdient hatte, für den Rest seines Lebens an sich fesseln und unglücklich machen könnten.

„Guten Tag, Cousine Cecilia.“

„Miranda“, erwiderte diese kühl, als hätten sie sich erst gestern gesehen und diese Begegnung nicht genossen.

„Wie geht es dir?“

„So wie immer“, erwiderte Celia.

„Das sehe ich“, bestätigte Miranda, nicht im Geringsten darüber überrascht, dass man ihr nicht ebenfalls die Liebenswürdigkeit erwies und nach ihrem Befinden fragte. „Meine Tante ist wie gewöhnlich bei bester Gesundheit, nehme ich an?“

„Mama scheint sich endlich von ihrem schweren Verlust erholt zu haben. Lord Carnwood hat uns eine Unmenge von Sorgen abgenommen.“

Sie schenkte ihm einen schmelzenden Blick, wie Miranda zynisch beobachtete. Da Celia sich auf der Suche nach einem zweiten Ehemann befand, der sich wundersamerweise bislang noch nicht gefunden hatte, musste die Ankunft des neuen Earls ihr wie ein Geschenk des Himmels erschienen sein.

„Den Haushalt allein zu führen hat uns beide sehr belastet“, fuhr Celia mit diesem ersterbenden Ton in der Stimme fort, der Miranda immer schon hatte innerlich aufseufzen lassen.

„Dessen bin ich mir sicher“, entgegnete sie höflich, beeindruckt von ihrer eigenen Beherrschtheit. Es gelang ihr sogar, sich das Schmunzeln über Leahs vernehmliches Schnauben ob Celias schamloser Lüge zu verkneifen. Jeder, der sie kannte, wusste, dass Celia und ihre Mutter es genossen, Hof zu halten und über alles zu bestimmen, während sie dabei der eigentlichen Arbeit sorgfältig aus dem Weg gingen. Möglicherweise hatten sich ihre Gedanken trotz aller Zurückhaltung in ihrem Gesicht gespiegelt, denn Celia musterte sie mit steinernem Blick. Zu sehr Dame, um die Nase zu rümpfen, ließ die Cousine Lord Carnwood durch ihr Mienenspiel von ihrer vornehm unterdrückten Empörung wissen, die er zweifellos teilte. In trauter Zweisamkeit konnten die beiden sich gegenseitig ob ihres verrufenen Hausgastes bedauern.

„Mama ist zum Tee im Großen Salon“, verkündete Celia mit schadenfrohem Funkeln in den grauen Augen, das zeigte, sie wusste genau, welch meisterhafter Schachzug ihr damit gelungen war. Früher hatte Miranda das Herz immer vor Angst bis zum Halse geschlagen, wenn sie in Tante Clarissas Lieblingszimmer bestellt wurde. Wenn Tante Clarissa und Celia aber dachten, sie sei noch immer das unsichere Mädchen, das Wychwood vor fünf Jahren verlassen hatte, mussten sie sich auf eine Überraschung gefasst machen. Sie hätte die Ehe mit Nevin Braxton nie mit gesundem Verstand überstehen können, wenn ihr Seelenfrieden immer noch davon abhängen würde, Anerkennung von anderen zu erhalten.

Dem kühlen Blick ihrer Cousine standhaltend nickte Miranda nur kurz, worauf sich Celias Lippen zu dem schmalsten Strich zusammenpressten, den sie sich in männlicher Gesellschaft erlaubte.

„Eine Erfrischung nach der langen, anstrengenden Reise wäre höchst willkommen“, teilte Miranda ihrem widerwilligen Empfangskomitee gelassen mit.

„Wie nachlässig von uns, diese nicht schon eher anzubieten“, erwiderte der Earl mit schneidender Ironie, bevor er mit all der, noch zuvor von ihm abgestrittenen gesellschaftlichen Eleganz formvollendet zur Seite trat, um den Damen den Vortritt zu lassen.

Sich einen unverblümt abschätzenden Blick verkneifend schwebte Miranda mit absichtlich übertriebener Grazie vor den beiden die breiten, polierten Marmorstufen hinauf. Sie konnte beinahe fühlen, wie der Blick Seiner Arroganten Lordschaft auf ihren Hüften ruhte. Sollte er doch denken, was er wollte. Der Rest der Welt schien sowieso dazu entschlossen, und sie weigerte sich, ihm zu erlauben, sich vom Rest der Welt zu unterscheiden.

„Ich muss meine Tante begrüßen, ehe ich mich meines Reiseschmutzes entledige“, sagte sie betont munter.

Celia blickte ob der Aussicht, sich auf diese Weise der Gesellschaft ihrer Cousine zu entledigen, recht erfreut drein, woraufhin Seine Lordschaft die Stirn runzelte, geradewegs auf die Bibliothek zusteuerte und die Tür nachdrücklich hinter sich schloss. Nur mühsam konnte sich Miranda das Lachen über die bestürzte Miene ihrer Cousine verbeißen, stellte seine offenkundige Ablehnung eines Tête-à-Tête mit Celia, während man den unwillkommenen Neuankömmling Lady Clarissa überließ, sie mit ihrer Cousine doch seit Langem endlich einmal auf dieselbe Stufe.

2. KAPITEL

Cousin Christopher hat immer viel zu erledigen, wenn er wegen geschäftlicher Angelegenheiten in London weilte“, bemerkte Celia distanziert.

Vor nicht allzu langer Zeit hätte die Cousine bei der Erwähnung des Wortes „Geschäft“ ihr aristokratisches Näschen voller Abscheu gerümpft. Nun aber schien es, dass ein kurz angebundener Earl, obendrein das Familienoberhaupt der Alstones, selbst dann noch Gnade vor ihren Augen fand, wenn er sich seine Hände mit Arbeit beschmutzte.

„Wie lange gedenkst du zu bleiben?“, fuhr Celia fort.

„Nicht lange, im Frühling gibt es in Wales immer viel zu tun.“

„Ich hoffe, Lady Rhys erwartet nicht, dass du ihren Schäfern beim Hüten hilfst?“

„Meine Patin würde es am liebsten sehen, wenn ich mich, ganz Dame, nur dem Müßiggang widme. Ich würde mich jedoch zu Tode langweilen, wenn ich ihrem Wunsch Folge leistete“, erwiderte Miranda liebenswürdig.

„Sie hat sich schon immer törichterweise zu sehr ihren wohltätigen Aufgaben verschrieben“, sagte Celia, in der Hoffnung, Mirandas Wut zu entfachen, wie es ihr früher immer so mühelos gelungen war.

Zum Glück, so dachte Miranda mit kühlem ironischen Lächeln, habe ich seitdem gelernt, mich selbst zu beherrschen. „Deshalb nutzt auch keiner von uns ihre Großzügigkeit aus, ebenso wenig wie es uns gefällt, wenn man schlecht von ihr spricht“, erwiderte sie.

„Die Meinung von Galgenvögeln, Kerkerabschaum, Gossenbälgern und gefallenen Frauen wird einen Menschen von Stand wohl kaum beeinflussen. Auch ist eine erbärmliche Witwe, die man auf einem abgelegenen Anwesen versteckt, das nicht einmal über die segensreichen Einrichtungen der Zivilisation verfügt, kaum von Interesse für Ihresgleichen“, fuhr Celia unbeeindruckt fort.

„Meine Patin wird zweifellos entzückt sein, dies zu hören“, erwiderte Miranda verbindlich und bemerkte erfreut die leichte Röte der Wut, die sich auf den Wangen ihrer Cousine abzeichnete.

„Wenn du ihrem abgelegenen kleinen Tal lange genug fern bleibst, wirst du selbstverständlich nicht ganz so unbedeutend bleiben“, meinte sie bissig.

„Welch Unglück für mich“, antwortete Miranda gelassen, mit der festen Absicht, Celia nicht anzuvertrauen, dass sie in eben diesem Moment beschlossen hatte, so schnell wie möglich zu ihrem neuen Leben zurückzukehren.

„Ja, das wäre es in der Tat.“

„Das klingt ja fast wie eine Drohung, Cecilia, wie plump von dir“, meinte sie leise, bevor sie mit ihrer Cousine in den Großen Salon trat. „Ah, Tante Clarissa. Ich sehe, du bist wie gewöhnlich bei bester Gesundheit.“

„Nichte.“ Ihrer meistgehassten Verwandten merkte man den Mangel an Begeisterung über ihren Besuch deutlich an. Sie betrachtete Miranda mit selbstgerechter Entrüstung, als ob sie ein Ärgernis sei, das man notgedrungen in Kauf nehmen muss. „Du siehst schrecklich mitgenommen aus, außerdem bist du viel zu dünn.“

„Dann werde ich während meines Aufenthaltes hier reichlich essen und mir mehr Ruhe gönnen“, antwortete Miranda höflich, froh über den wütenden Ausdruck, der sich daraufhin in der ansonsten steinernen Miene ihrer Tante zeigte.

Wut konnte Miranda weit besser ertragen als die hämischen Blicke, die sich Cousine und Tante immer zugeworfen hatten, wenn sie ihr damals ihre Fehler vorwarfen.

Trotz ihrer offensichtlichen Rage ließ sich Lady Clarissa dazu herab, einige höfliche Floskeln mit der unwillkommenen Besucherin auszutauschen. Miranda indes wusste, sie hatte diese widerwillige Freundlichkeit nicht etwa einer plötzlichen Zuneigung zu verdanken, sondern allein Coppice, der mit einigen Lakaien eingetreten war, um den Tee zu servieren.

Ihrem alten, im rechten Moment erschienenen Freund einen dankbaren Blick schenkend, überließ sie ihre Verwandtschaft dem Teezeremoniell. Auf keiner Seite herrschte Bedauern über ihr Gehen. Und da sie ihre Pflicht nun erst einmal erfüllt hatte, konnte sie sich ruhigen Gewissens bis zum Dinner zurückziehen, bei dem ihr gewiss die nächste Auseinandersetzung mit ihren wenig liebenswerten Verwandten blühte.

„Auf ein Wort bitte, Mrs Braxton“, rief sie die tiefe Stimme auf ihrem Weg zur Treppe zurück.

Mit einem stummen Seufzer verabschiedete sich Miranda von der kurzen Ruhepause, die sie sich selbst versprochen hatte, und drehte sich mit höflichem und, wie sie hoffte, für ihn verwirrendem Lächeln auf dem Absatz um. Davon keineswegs beeindruckt, kehrte der Earl of Carnwood bereits mit weit ausholenden Schritten in die Bibliothek zurück, ohne sich auch nur umzusehen, ob sie ihm folgte. Arroganter, ungehobelter Kerl, urteilte sie verärgert, während sie ihm ergeben folgte.

Doch kaum befand sie sich zum ersten Mal allein mit ihm in einem Raum, lief ihr ein Schauer der Warnung den Rücken hinunter. Merkwürdigerweise fühlte sie sich unvermittelt atemlos und mitgenommen, als wäre sie auf eine Steinmauer geprallt, die unverhofft vor ihr aufgetaucht war. Dies jedoch stand keineswegs in Einklang mit dem Bild der selbstbeherrschten, kühlen Dame, die sie zu sein glaubte. Bemüht, ihre sonderbare Reaktion auf diesen ihr seltsam vertraut vorkommenden Fremden zu unterdrücken, rief sie sich mahnend die Lektionen ins Gedächtnis, die die letzten fünf Jahre sie gelehrt hatten.

Sein Blick traf den ihren und ließ sie erschauern. Eine kluge Frau würde nun gehen, ehe noch etwas Unwiderrufliches geschieht, dachte sie. Es gab einmal eine Zeit, da hätte sie sich kopfüber mit einem Lachen in ihrem törichten jungen Gesicht ins Verderben gestürzt, dank ihrer Jugendsünden hatte sie indes ein wenig an Weisheit gewonnen. Aber warum überlief sie dann beim bloßen Anblick des neuen Earl of Carnwood dieses unbezwingbare Prickeln?

Gewiss, weil sie in ihren geheimsten Träumen solch dunkle Augen schon einmal gesehen hatte, die Augen eines edelmütigen Freibeuters. In gewisser Weise strahlte Lord Carnwood die gleiche Kraft, Stärke und Leidenschaftlichkeit aus wie der Held ihrer Träume. Unglücklicherweise war dieser aber nur ein Fantasiegebilde, das ihr kranker Verstand und leidender Körper in den dunkelsten Stunden ihres Lebens hervorgebracht hatte, um darin Trost zu finden. Lord Carnwood hingegen stand ihr viel zu leibhaftig vor Augen, um tröstlich auf sie zu wirken.

Miranda betrachtete ihn argwöhnisch, während er das Schweigen in die Länge zog und sich ihre Nerven dadurch bis zum Zerreißen anspannten. Ihre Gedanken schweiften von seinem piratengleichen Aussehen zu der Frage, ob er erst überlegen musste, was er ihr zu sagen hatte, da drehte er sich um und schloss die Tür.

Unvermittelt beschlich sie das Gefühl, unachtsam in eine Falle gegangen zu sein, umso mehr, da der neue Earl das geräumige Zimmer mühelos dominierte. Sie straffte den Rücken und sagte sich, dass er sie nicht so leicht einschüchtern konnte, doch überzeugt war sie davon nicht. Mühsam widerstand sie der Versuchung, die Arme schützend vor ihrem Körper zu verschränken.

„Sind wir uns schon einmal begegnet, Mylord?“, fragte sie, immer noch von dem Gefühl der Vertrautheit mit diesem Fremden verwirrt.

„Daran würde ich mich erinnern, selbst wenn Sie es nicht täten, Madam“, antwortete er scheinbar gleichgültig. „Zugang zum bezaubernden engeren Kreis der Familie des Earl of Carnwood zu erhalten, wäre einem solch rauen Gesellen, der ich in meiner Jugend war, ganz gewiss im Gedächtnis haften geblieben. Vielleicht sollten wir der Familienähnlichkeit die Schuld für Ihre offensichtliche Verwunderung geben?“

Obwohl ihr Herz beim Gedanken an gewisse Lücken in ihrem Gedächtnis stolperte, hielt Miranda seinem Blick stand, während sie sich selbst weiszumachen versuchte, dass ihr die Knie bei seinem Anblick nicht weich wurden. Nein, den neuen Earl of Carnwood würde sie so schnell nicht vergessen. Sie bezweifelte, ob dies je einem Menschen gelingen könnte, gleich, wie sehr er sich auch darum bemühte.

„Sie ähneln ein wenig dem verruchten Rupert Alstone, Mylord“, meinte sie leichthin.

„Soll ich mich ob der Ähnlichkeit geschmeichelt fühlen?“

„Nun, wenn Ihnen der Gedanke an rücksichtslose Piraterie und ein ausschweifendes Leben gefällt, würden Sie ihn wohl als König unter den Männern betrachten. Sollte dies jedoch nicht nach Ihrem Geschmack sein, müssen wir hoffen, dass ich mich irre. Denn Sir Rupert war ein pechschwarzes Schaf der Familie, Mylord.“

„Dann müssen Sie sich wohl irren, wage ich zu behaupten“, sagte er mit leicht zynischem Lächeln. Sie sah, dass er sich fragte, ob sie noch bei Sinnen war. „Aber auf das ‚Mylord‘ können wir doch wohl verzichten, Mrs Braxton. Mir wäre es lieber, Sie würden mich einfach Christopher oder Kit nennen, wenn ich Sie mit Miranda anreden darf?“

„Das soll mir recht sein, Mylord.“

„Da dies nun geklärt ist, Miranda, heiße ich Sie in Ihrem alten und meinem neuen Zuhause willkommen“, sagte er mit eleganter Verbeugung.

„Vielen Dank. Ich freue mich darauf, mich wieder mit den Räumlichkeiten vertraut zu machen.“

„Das glaube ich gern“, antwortete er. Dieses Mal lag unverhohlener Zynismus in seinen Augen.

Nahm er etwa an, sie hätte vor, sich mit dem Familiensilber aus dem Staub zu machen, Himmel noch mal? Bei der Vorstellung, wie sie bei ihrer Abreise mit Taschen voller klimperndem Diebesgut aus dem Haus stolperte, musste sie fast lachen.

„Ich werde nicht länger bleiben als nötig“, beteuerte sie, in dem Versuch, ihn zu beruhigen. Der enormen Gewitterfalte auf seiner Stirn nach zu urteilen, schien ihr dies jedoch nicht gelungen zu sein.

„Ich denke, mein Vorgänger hat ihre Anwesenheit für eine Woche angeordnet“, führte er an.

„Ich bin volljährig und Witwe, daher kann ich über mein Schicksal selbst bestimmen.“

„Ja, und wir wissen ja, wozu das geführt hat“, erwiderte er schroff.

„Das ist nun ganz gewiss nicht Ihre Angelegenheit“, sagte sie mit scheinbarer Ruhe, wenn sie ihm auch am liebsten das nächstbeste Rechnungsbuch auf dem Tisch an den außergewöhnlich attraktiven Kopf geworfen hätte.

„Ich bin nun das Familienoberhaupt.“

„Herzlichen Glückwunsch. Zweifellos werden Sie es genießen, Ihre Autorität auf die Familie auszuüben und das Sagen zu haben. Aber mir können Sie zum Glück nichts vorschreiben.“

„Wenn ich nicht irre, wird Ihre Apanage aus dem Treuhandvermögen der Familie gezahlt?“, fragte er mit unvermittelt seidenweicher Stimme, in der eine unausgesprochene Drohung lag.

„Ich hoffe, Sie werden diese Tatsache nicht gegen mich verwenden wie der Schuft in einem schlechten Melodram“, erwiderte sie zornig.

„Wenn ich Ihren Torheiten damit Einhalt gebieten kann“, meinte er so schneidend, als ob er am Rande seiner kaum vorhandenen Geduld stünde.

Hätte Miranda es nicht besser gewusst, sie hätte ihn für einen Mann gehalten, der durch eine tief versteckte Leidenschaft bis an den Rand seiner Beherrschung getrieben wurde. Ihre kurze Bekanntschaft aber, kaum länger als eine Stunde, konnte wohl kaum Anlass genug bieten, seine Wut dermaßen zu entfachen?

„Mein Verhalten geht Sie nicht im Mindesten etwas an, Mylord“, warf sie ein. Am liebsten hätte sie sofort jedwede mögliche Sünde begangen, nur um ihn zu ärgern.

„Das geht mich selbstverständlich sehr wohl etwas an“, erwiderte er und trat einen Schritt auf sie zu. Über ihr dräuend wie ein Titan blickte er finster auf sie herab.

„Selbst wenn es mir gefiele, schamlos auf einem Spieltisch in Mayfair zu tanzen, könnten Sie nichts dagegen tun, das wissen Sie ganz genau.“

„Versuchen Sie es, dann werden Sie schnell entdecken, welch großen Fehler Sie damit begangen haben“, stieß er durch zusammengebissene Zähne hervor. Sie vernahm ihren erstaunten Aufschrei, als er sie unverhofft fest in seinen Armen gefangen hielt. Zu spät wurde ihr bewusst, dass sie das Raubtier in ihm wohl ein wenig zu sehr gereizt hatte.

Verblüfft schaute sie zu ihm auf, sah den Zorn und das schiere Verlangen in seinem funkelnden Blick, und wartete darauf, dass sie endlich der gerechte Ärger ergriff. Allein ihrer Überraschung musste es zuzuschreiben sein, dass sie wie gelähmt dastand, es konnte keinen anderen Grund dafür geben. Hilflos in den Armen eines Mannes zu liegen, dessen Stärke und Macht ihre eigene bei Weitem übertraf, erschien ihr wie ein wahrer Albtraum. Zumindest würde sie es so empfinden, wenn ihre Vernunft wieder die Oberhand über ihre Sinne gewann. Dann würde sie sich empört zur Wehr setzen, statt unbeweglich in seinen Armen zu liegen und sich gar ein wenig an seinen muskulösen Oberkörper zu lehnen wie ein verzücktes Gänschen.

„Ein solches Verhalten werde ich nicht gestatten“, erklärte er knapp, bevor er das tat, worauf ihr dummes Herz die ganze Zeit wartete. Den Kopf beugend, raubte er ihr einen leidenschaftlichen Kuss.

Verwirrt lag sie in seinem Armen, erwiderte seine Liebkosung, während ihre innere Stimme unablässig schrie, dass sie hiermit den größten in einer langen Reihe von Fehlern machte, die sie bisher begangen hatte. Nichts hätte mich gegen dies hier wappnen können, dachte sie, während sich ihre Lippen den seinen ergaben und sie im Sturm der Gefühle versank.

Verzweiflung lag in diesem Kuss. Es erschien ihr fast, als sehne Carnwood sich schon seit langer Zeit danach, als triebe ihn mehr, denn die schiere Begierde. Ihre zynische innere Stimme ignorierend, die ihr leise vorwarf, sie lebe wohl im Wolkenkuckucksheim, öffnete sie die Lippen seiner tastenden Zunge. Tief in ihrem Inneren loderte ein Funke gefährlich auf. Also ist es Nevin Braxton doch nicht gelungen, alle Empfindungen in mir abzutöten, dachte sie, unschlüssig, ob sie darüber entsetzt oder fasziniert sein sollte, während ihr Körper in nie gekannten Wonnen schwelgte.

Christopher Alstones Lippen brachten das Eis in ihrem Innersten zum Schmelzen, lösten die Fesseln, die ihr Gatte ihrem tiefsten Verlangen angelegt hatte. Ob ihrer leidenschaftlichen Erwiderung stöhnte er leise auf, und sie frohlockte, denn er hatte etwas in ihr befreit, das sie tief in ihrem Herzen verschlossen hielt. Wenn du dies aber nicht bereuen willst, mahnte die lästige Stimme der Vernunft, musst du ihm Einhalt gebieten, ehe dies unabsehbare Folgen für uns beide haben wird.

Indes, während ihre Zungen miteinander tanzten, erwachte eine gefährliche Neugier in ihr. Sie fragte sich, wie es wohl sein würde, höchste Leidenschaft mit einem solchen Mann zu erleben? Wie aus weiter Ferne hörte sie sich aufstöhnen, weil sie nach mehr hungerte, nach tieferen Gefühlen, ihm näher sein wollte. Fast von selbst wanderte ihre Hand in seinen Nacken, fuhr zärtlich durch die seidigen Locken, die für den derzeitigen Modegeschmack ein wenig zu lang waren. Tief atmete sie seinen Duft nach frischer Luft und Seife ein, glaubte fast, ein Teil von ihm zu werden, als hätte das Schicksal beschlossen, dass sie füreinander bestimmt seien und dies unausweichlich zu einer weitaus intimeren Beziehung führen sollte.

„Nein!“, rief sie atemlos, da diese Vorstellung all ihre Entscheidungen, die sie an dem Tag getroffen hatte, da sie ihrem Gatten endlich entkommen war, in ihren Grundfesten erschütterte.

Ihre Blicke prallten aufeinander. Unvermittelt wurde ihnen bewusst, was hätte geschehen können, wenn ihr nicht plötzlich klar geworden wäre, dass der Earl of Carnwood wohl die Absicht hegte, sie zu seiner Mätresse zu machen. Oh, welche Demütigung, wenn die Leidenschaft erst vergangen und ihnen aufgegangen wäre, was sie dafür geopfert hatten. Dank Nevin war ihr das Gefühl der Demütigung bestens vertraut. Das Gefühl der Enttäuschung und des Bedauerns, sich Christopher Alstone nicht hingeben zu dürfen, kannte sie indes nicht.

„Nein“, bestätigte er.

„Dann lassen Sie mich gehen?“, fragte sie, den Blick vielsagend auf seine sonnengebräunte Hand richtend, die auf ihrer Taille lag.

Er nahm die Hand so schnell fort, als hätte er sich verbrannt. Wachsam wurde sein Blick, als sie in seinen Augen nach der Bestätigung suchte, nach der sie mittlerweile nur noch selten verlangte. Wären ihr seine bebenden Hände nicht aufgefallen, die er gleich darauf zu Fäusten ballte, hätte sie ihm wahrscheinlich tatsächlich abgenommen, dass er so unbeeindruckt war, wie er sich nun zu geben versuchte.

„Ich bitte um Verzeihung“, stieß er schließlich mit heiser klingender Stimme hervor.

Ebenso argwöhnisch, wie er sie musterte, blickte sie ihn an. Sie zwang sich, nicht einfach, alle Würde vergessend, aus dem Zimmer zu stürzen und knickste flüchtig. Sogleich aber bereute sie ihren Entschluss, sich mit solchen Höflichkeiten aufgehalten zu haben, denn unvermittelt packte er sie am Handgelenk.

„Sei achtsam, Miranda“, warnte er in unzugänglichem Ton. „Wenn ich Gerede über diesen Vorfall höre, werde ich dich vor die Tür setzen, Testament hin oder her.“

„Wie können Sie es wagen?“, flüsterte sie zornig. Ihr Herz raste, ob der Mischung aus Wärme und Wut, die seine Berührung und diese harschen Worte in ihr auslösten.

„Ich wage, was ich wagen muss, um mich und die meinen zu schützen“, sagte er mit rauer Stimme. „Deine Schwestern stehen nun unter meiner Obhut, und du wirst dich um ihretwillen benehmen.“

Sie bedachte ihn mit einem hochmütigen Blick, während finstere Wünsche für sein zukünftiges Wohlergehen ihre Gedanken erfüllten. Aus irgendeinem dummen Grund erstand vor ihrem inneren Auge aber immer wieder das Bild, wie er sich, die Augen voller Sehnsucht, vor Verlangen nach ihr verzehrte. Dabei mochte sie ihn nicht einmal, Himmel noch eins!

„Sie wissen nichts von mir, Sir, und daran wird sich nie etwas ändern.“

„Unterschätzen Sie mich nicht, Mrs Braxton. Wenn Sie mich zwingen, Ihren Lebenswandel dem öffentlichen Urteil preiszugeben, werden Sie es schon bald bereuen.“

Die ständig lauernde Unruhe hielt sie so stark in ihrem Griff, dass ihr beinahe übel davon wurde. Dennoch begegnete sie tapfer seinem steinernen Blick, wenn auch nur, damit er sie nicht wie etwas Unappetitliches anstarrte, das seinen Stiefel beschmutzte.

„Ist es Ihre Gewohnheit, sich auf Urteile aus zweiter Hand zu verlassen, Mylord?“

„Nein, ich verlasse mich auf meine Erfahrung“, erwiderte er mit starrem Blick, den sie nicht zu deuten wusste.

Obwohl er sie mit solcher Verachtung strafte, streichelten seine Finger sanft über ihr Handgelenk. Ein verbotener Schauer der Erregung jagte ihr über den Rücken, eine Wirkung, die er gewiss nicht zu erzielen suchte. Die Erinnerung an diesen Kuss stand nicht nur lebhaft in ihrem Gedächtnis, nein, ihr ganzer Körper erzählte davon, schwelgte in rauschhaften Gefühlen.

„Wenn du dich zu benehmen weißt, ist dir eine Woche Aufenthalt erlaubt, meine Liebe“, fuhr er fort. „In solch kurzer Zeit wirst du wohl kaum dein übliches Unheil anrichten können.“

„Da mein Großvater in seinem Testament mein Hiersein verfügte, bevor sein Wille vollstreckt und sein Nachlass unter den Erben aufgeteilt wird, werden Sie mir wohl Unterkunft gewähren müssen. Ob es Ihnen passt oder nicht, Sie haben keine Wahl. Außerdem bin ich gewiss nicht ‚Ihre Liebe‘.“

„Ich habe immer eine Wahl, Madam.“

„Dann wählen Sie, mich nun gehen zu lassen, damit Ihnen das Dinner zur gewohnten Zeit serviert werden kann.“

Mit unschmeichelhafter Eile ließ er sie los. Sie bemerkte etwas von der Verletzlichkeit und der ungezügelten Leidenschaft in seinem Gesicht, die er ihr bereits in seinem Kuss gezeigt hatte.

„Gehen Sie schon“, meinte er gequält, ehe er sich knapp verbeugte und sich sogleich unhöflich in eines der Rechnungsbücher auf dem Schreibtisch vertiefte, als ob er sie aus seinen Gedanken bereits verbannt hätte.

Sich selbst versichernd, wie froh sie sein konnte, der Gesellschaft eines solch ungehobelten, mit Vorurteilen erfüllten Mannes zu entkommen, verließ Miranda den Raum ohne ein weiteres Wort. Vor der edlen Mahagonitür aber blieb sie stehen, blinzelte einige Male entschlossen und sagte sich, dass die Tränen, die in ihren Augen brannten, allein ihrer Müdigkeit und Wut zuzuschreiben waren. Nein, sie würde sich diesen kurzen Besuch in ihrem Zuhause nicht von ihm verderben lassen. Selbst Christopher Alstone, Earl of Carnwood, hatte keine Macht über ihre Gedanken.

3. KAPITEL

Christopher wartete einige Augenblicke, bis er sich sicher sein konnte, dass sie tatsächlich gegangen war. Dann warf er das Rechnungsbuch, auf das er gestarrt hatte, als wäre es in Hieroglyphen verfasst, auf den Tisch, und schenkte sich einen Brandy ein. Die letzte halbe Stunde bewies, dass er in Gegenwart von Miranda Alstone jeglichen Verstand verlor.

Seit fünf langen Jahren verfolgte sie ihn in seinen rastlosen Träumen, selbst wenn es ihm gelang sie aus seinen wachen Gedanken zu vertreiben. In der Tat plagten ihn mit lästiger Regelmäßigkeit Fantasien von einer Frau, der er nur einmal begegnet war, sie aber seitdem nicht wieder vergessen konnte, sosehr er es auch versuchte.

Ihrem Gedächtnis hingegen schien ihre frühere schicksalhafte Begegnung vor all diesen Jahren völlig entfallen zu sein. Dieses Wissen entfachte eine lodernde Wut in ihm, weckte den Wunsch, etwas zu werfen, um seinem Zorn Luft zu machen, damit dieser nicht in einem unbedachten Augenblick überkochte und jene verbrannte, die es nicht verdienten. Sich im Stuhl zurücklehnend zwang er sich, die kühle Selbstbeherrschung wiederzugewinnen, die er sich so schmerzvoll anerzogen hatte. Leidenschaftliche Gefühle konnten einen ins Verderben stürzen, wenn man ihnen nachgab.

Dennoch war ein Teil von ihm Sklave seiner Leidenschaften, gefangen im Bann dieses liebreizenden Wesens. Im Stuhl vor dem Kamin sitzend erinnerte er sich des Tages, an dem er ihrem Zauber verfallen war. Als wäre es gestern gewesen, sah er sie stolz und herausfordernd in dieser billigen Taverne im Hafen von Bristol stehen.

Damals, vor fünf Jahren, trug er das Haar lang, vergaß gelegentlich, sich zu rasieren und hatte sich die Sprache und Gepflogenheiten der Gosse angeeignet. Vielleicht sollte er für all die Jahre dankbar sein, in denen er in den Straßen Essen und Kleidung für sich und seine Schwestern zusammensuchen, erbetteln oder stehlen musste. Vielleicht sollte er aber einfach auch weiterhin seine noblen Verwandten dafür hassen, dass sie sich einen Dreck um ihn und seine Familie gekümmert hatten und offenbar nur darauf warteten, dass sie allesamt zusammen mit seinem versoffenen Spieler von einem Vater zum Teufel gingen. Seine Gedanken wanderten in die Vergangenheit …

Dank Bevis Alstones Abstieg und Fall verstand er es gut, sich als zwielichtigen Händler auszugeben, der alles verkaufte, was ihm in die Hände fiel. Mit dieser List hoffte er, eine Spur der beiden Halunken zu finden, die seine Mannschaft erst bestochen, dann ermordet hatten, um seine Fracht zu stehlen. Nachdem er den Tag damit zugebracht hatte, Kunden und Lieferanten auszuhorchen, verbrachte er den Abend beim Würfelspiel in einer der schlimmsten Lasterhöhlen am Hafen, in der Hoffnung, dort den Schurken auf die Spur zu kommen.

„Gen’lmen“, brüllte eine Stimme über den Lärm in der miefigen Kaschemme hinweg. „Hab’ da ein Angebot für Sie.“

Nachdenklich musterte Kit den Mann, dessen Gesicht unter dem ungepflegten goldblonden Bart einmal attraktiv gewesen sein musste, bevor Trunksucht und Ausschweifung ihm ihren Stempel aufdrückten. Seine Stimme wies den geschliffenen Tonfall eines Gentleman auf, wenn er auch sonst dieser Bezeichnung in keiner Weise entsprach. Ein Mann, der nichts zu verlieren hat, schloss Kit, und fragte sich, ob er die richtige Spur verfolgte.

Dann fiel sein Blick auf die Frau an der Seite des Mannes, und es verschlug ihm regelrecht den Atem. Von einer Sekunde auf die andere wurde es still in der Taverne.

Im Lichtschein des rauchverhangenen Raumes stach ihre üppige Mähne hell hervor, seidig schimmernde Locken, die man weder als goldblond, noch brünett oder rot bezeichnen konnte, sondern vielmehr als reiche Mischung aller drei Farben. Offen floss ihr das Haar über die Schultern, umrahmte ein Gesicht, das für einen besseren Ort gemacht schien – den Olymp vielleicht?

Blinzelnd versuchte Kit sich einzureden, dass der Rum ihm Trugbilder vor Augen erstehen ließ, aber als er sie öffnete, stand die Göttin immer noch an der gleichen Stelle, schaute ihn ebenso unverwandt an wie er sie.

Er hätte sich geschmeichelt fühlen können, wenn ihr lapislazuliblauer Blick, in dem er sich am liebsten verloren hätte, nicht von seltsamer Ausdruckslosigkeit gewesen wäre. Ihre halbgeschlossenen Lider über den samtschwarzen Pupillen weckten ihn aus seinem Tagtraum, verrieten ihm, dass sie ihn, betäubt wie sie wohl war, gar nicht wahrnehmen konnte. Offensichtlich war seine Hafenvenus nicht unberührt von dem Übel, das sie umgab.

„Hat ihr Laudanum gegeben, damit ‚se nich‘ wegrennt, die arme Seele“, meinte die Schankmagd leise, während sie ein weiteres Glas auf den Tisch vor ihm abstellte.

Glaubte sie etwa, er würde für eine Dirne, die neu in dem Gewerbe war, gut zahlen, oder trieb sie allein das Mitleid ob der Demütigung, die seiner Göttin bevorstand? Etwas am Verhalten seiner Venus sagte ihm, dass sie vor noch nicht allzu langer Zeit von größerer Unschuld gewesen war als er in seinem ganzen Leben.

„Hab euch ja gesagt, ich hab’n Angebot“, nuschelte der Mann mit unaufhaltsamer Entschlossenheit. „Biete meine Gemahlin zum Verkauf“, schloss er triumphierend. „So macht ihr Gesindel das doch, warum sollte es dann nicht auch mir etwas einbringen.“

Zu seinem Glück nahm die Frau an seiner Seite die Aufmerksamkeit zu sehr gefangen, als dass man ihn für seine abfällige Bemerkung zur Rechenschaft gezogen hätte, zumindest im Augenblick.

„Auf, auf, Gen’lmen, was wird geboten? Ah …“, sagte er und legte den Finger an die Nase, „… ihr wollt wohl die Ware erst begutachten, eh?“

Mit entrücktem Blick schaute das Mädchen Kit an, als ob sein Anblick sie die lüsternen Augen und gierig geleckten Lippen um sie herum vergessen ließ. Dann riss ihr Gatte das hochgeschlossene Kleid, das sie trug, vom Hals bis zum Nabel auf, und entblößte ihre schneeweißen Brüste, die nur noch zum Teil von ihrer Chemise bedeckt wurde. Einen Moment blickte sie so entsetzt drein, als wäre sie auf dem harten Boden der Tatsachen gelandet.

Selbst noch nach fünf Jahren ballte Kit jetzt die Hände unwillkürlich zu Fäusten, als er sich der gleichgültig groben Art erinnerte, in der dieser besoffene Schuft auch noch den letzten hauchzarten Schutz zerstörte und sie dazu zwang, mehr preiszugeben, als eine Frau in Gesellschaft jemals gezwungen sein sollte zu offenbaren.

Ihr verschleierter Blick traf erneut den seinen, und er verfiel dem Zauber ihrer blauen Augen Hals über Kopf. Glühende Leidenschaft wallte in ihm auf. Das Gebot stand bei zehn Pfund, als sein Verstand seine Sinne endlich davon überzeugen konnte, dem Geschehen zu folgen. Gleich wer oder was sie war, heute Nacht sollte sie die Seine sein, Punktum. Kein anderer Mann verdiente sie. Die anwesenden Männer in der Taverne ganz gewiss nicht, denn die waren nicht einmal in der Lage zu erkennen, dass ihre verführerischen Reize denen einer Göttin gleichkamen.

„Das hieße, sie verschenken. Gut aussehende Frau, auch wenn ihre Zunge so viel Gift versprüht wie ’ne Viper“, meinte der Mann dümmlich, doch sein Publikum hörte ihm kaum noch zu.

„Zwölf!“, brüllte ein eifriger junger Matrose.

„Zwanzig!“, bot der Maat, dem Kit bereits die ganze Woche folgte, und ließ gierig seine Blicke über die weiblichen Reize schweifen.

Der Matrose lehnte sich zurück, Enttäuschung stand in seinem jungen Gesicht geschrieben.

„Dreißig!“, hörte Kit sich rufen.

„Fünfzig“, knurrte der Maat barsch.

„Wenn du so viel Kröten hast, dann zahl davon erst mal deine Zeche, Toby Rigg“, keifte die Besitzerin der Taverne, die in einem Stuhl vorm Feuer saß. „Zahl deine Schulden, bevor du für Dirnen bietest, sonst kannst du nich’ drauf zählen, dass ich dich noch mal verstecke, wenn die Männer von Lloyds hinter dir her sin’.“

„Halt dein loses Maul, ich zahl’, wann’s mir passt.“

„Du gibst mir die Penunze sofort, oder du wirst dir wünschen, du hättest es getan“, blaffte die Frau, während sich ihre drei kräftigen Söhne um sie scharten, um jedweden Gegenangriff, den der Maat möglicherweise wagen wollte, im Keim zu ersticken.

„Verkauft an den Piratenkapitän!“, rief die Göttin dazwischen.

Die erstaunte Stille nutzend, schob das Schankmädchen sie zu Kit hinüber. Venus schmiegte sich in seine Arme und verbarg unwillkürlich ihre Blöße an seiner breiten Brust. Bemüht, der sinnlichen Anziehung ihrer warmen verlockenden Kurven zu widerstehen, beschloss Kit, dass es Zeit wurde, die Taverne schleunigst zu verlassen. Früher oder später würde die unvermeidliche Schlägerei ausbrechen, selbst ein Mann seiner Herkunft und Fähigkeiten konnte sie dann nicht mehr vor willkürlicher Gewalt schützen.

„Ich teile die zwanzig, die ich bei mir habe, mit Ihnen, wenn Sie uns hier mit heiler Haut herausbringen. Den Rest bekommen Sie, wenn wir auf meinem Schiff sind“, sagte er zu der Schankmagd.

Kit gab ihr seine Geldbörse mit der sicheren Gewissheit, dass er dies gleich bereuen würde. Natürlich hatte er sich schon aus weit misslicheren Lagen allein herausgewunden, jedoch hatte er da auch nicht die Bürde einer halb bewusstlosen Göttin zu tragen gehabt.

„Hier für euch, Jungs“, brüllte die Magd, nahm einige Goldstücke und alle Silbermünzen aus seiner Börse und warf sie hoch in den Raum.

Während die Tavernengäste um die Münzen rangelten, griff die Schankmagd die taumelnde Venus am Arm und zog sie mit sich. Sofort versuchte der Mann, der seine Gattin feilgeboten hatte, ihnen durch die wogende Menge zu folgen.

Doch Kit stieß bereits die robuste Tür auf, die ins Freie führte, atmete die nach Fisch riechende Luft ein, die ihm nach Stunden in der stinkenden Taverne wie ein wahrer Quell der Frische erschien. Kaum hatte seine Göttin jedoch einen Schritt in die kühle Nachtluft getan, da fiel sie in Ohnmacht wie ein gefällter Baum. Er fluchte, nicht sicher, ob er wütend auf sie oder sich selbst war, legte sich das Mädchen über die Schulter und begann zu laufen. Da man sie sicherlich verfolgen würde, blieb ihm kaum eine andere Wahl, als zu seinem Schiff zurückzukehren. Schon waren polternde Schritte hinter ihnen zu hören.

„Lauf zur ‚Ellen May‘“, rief er der Tavernenmagd zu.

Der schurkische Gatte blieb ihnen nicht lange auf den Fersen, der Maat stellte sich indes als zäher Halunke heraus. Nur ein Wunder konnte ihn davor bewahren, zu Brei geschlagen zu werden, wusste Kit. Seine Verblüffung war deshalb groß, als plötzlich eine dunkle Altstimme rief: „Ahoi ‚Ellen May‘, helft uns, oh bitte, helft uns.“

„Gut gemacht, Venus“, keuchte er.

Doch auch aus den anderen Tavernen strömten inzwischen die Menschen, um sich aus purem Vergnügen der Jagd anzuschließen. Er ahnte, dass er das sichere Schiff nicht mehr erreichen konnte. Wahrscheinlich würde man ihn zuvor in Stücke reißen, seine Hafenvenus dem Mob zum Opfer fallen.

Unverhofft aber erklang rhythmisches Getrommel, die Schritte marschierender Männer hallten auf dem Kopfsteinpflaster und der warnende Ruf „Zwangsrekrutierung! Die Stinker woll’n uns für den Militärdienst schanghaien!“, erscholl.

So schnell wie es sich gefüllt hatte leerte sich das Dock nun. Bald stand Kit schnaufend und erschöpft alleine da, nicht mehr in der Lage, sich oder die Schönheit in seinen Armen in Sicherheit zu bringen. Jahre auf See standen ihm drohend bevor, und nur der Himmel wusste, welches Schicksal seine Venus in den brutalen Händen der Rekruteure ereilen würde. Nicht etwa der Gedanke an harte Arbeit und Demütigung ließ Wut in ihm aufsteigen, sondern die Aussicht, alles zu verlieren, wofür er so schwer gekämpft hatte. Aus dem Nichts hatte er sich hochgearbeitet, dennoch würden seine blaublütigen Verwandten nun recht behalten. Christopher „Kit“ Alstone würde es ebenso wenig zu etwas bringen wie sein Vater und Großvater vor ihm.

„Verfluchte, hochnäsige Alstones“, stieß er hervor, während er auf die Knie sank. Seine schöne Last rührte sich an seiner Schulter, und ihr entfuhr ein Seufzer der Verzweiflung. „Das ganze Pack soll in der Hölle verrotten!“

„Sind schon da“, glaubte er sie murmeln zu hören.

Irgendwie hatte Venus die Kraft gefunden, sich aufzurichten. Taumelnd stand sie da, als sich plötzlich die Tavernenmagd aus den Schatten löste und sie bei der Hand nahm. Einen Augenblick zogen und zerrten sie einander stumm hin und her, während sich die halb entblößte Schönheit an seine Schulter klammerte. Schließlich aber ließ sie los und verschwand so schnell, als hätte es sie nie gegeben.

Diese Erinnerung quälte ihn erneut, als er aus seinen Gedanken in die Gegenwart zurückfand. Denn sie konnte damals ja nicht wissen, dass sein Kapitän mitsamt der neuen Mannschaft all den Lärm veranstaltet hatte, um die Menge zu täuschen und zur Flucht zu bewegen. Immer noch schmerzte es ihn, wenn er daran dachte, wie er seine Venus vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt und sie ihn daraufhin unbekümmert seinem Schicksal überlassen hatte, ohne sich auch nur noch einmal nach ihm umzudrehen. Sehr lange hatte er gebraucht, um über diese verflixte Frau hinwegzukommen. Nun stand ihm diese schwere Aufgabe erneut bevor.

Als er Miranda Alstone, die sich nun Mrs Braxton nannte, auf dem Familienstammsitz willkommen heißen wollte, hatte er sich unvermittelt wieder an den schmutzigen Pier versetzt gesehen, am Rande der Verzweiflung auf den Knien liegend. Denn statt des durchgebrannten, in Ungnade gefallenen Wildfangs, den er erwartet hatte, stand er plötzlich seiner Göttin gegenüber. Es war ihm sogar gelungen, sich einzureden, dass er sich täuschen musste, bis er die vorgebliche Tavernenmagd erblickte, die keck neben ihr stand und ihn herausfordernd anschaute. Ihr Anblick hatte seine Hoffnung auf einen Irrtum endgültig zunichte gemacht.

Fast hätte er sich vom offenen, freundlichen Lächeln auf Mrs Miranda Braxtons vollen Lippen erneut bezaubern lassen. Doch seine Erinnerungen überwältigten ihn in jenem Moment, und die ungebändigte Wut brauste in ihm so wild auf wie ein Wirbelsturm. Dann aber überlagerte das Bild der gefassten, liebreizenden Witwe das von seiner ungezähmten jungen Venus mit den seengleichen Augen, dem sinnlichen Mund, und heißes Verlangen setzte seinen Körper, einem Fieber gleich, gnadenlos in Brand. Wie er die Minuten der Begrüßung überstand, ohne die verflixte Frau über seine Schulter zu werfen und in sein Schlafzimmer zu bringen, konnte er nicht mehr sagen.

Grimmig in das prasselnde Feuer starrend schloss sich seine Hand fest um das Brandyglas. Oh ja, beschloss er, vor ihrer Abreise von Wychwood würde er Miranda Alstone zu seiner Mätresse machen. In ihrem Blick hatte sich sein eigenes leidenschaftliches Verlangen gespiegelt, ehe sie dieses verschleierte und mit solch gekränkter Würde das Zimmer verließ, dass er sie nur bewundern konnte.

Der Kuss sollte ihm Warnung sein, ihr aus dem Weg zu gehen, denn er hatte seine tiefsten Überzeugungen erschüttert, seinen inneren Schutzwall vernichtet. Indes verzehrte er sich vor Sehnsucht nach ihr, wie zum Teufel konnte er sie da in ihr einsames walisisches Tal zurückkehren lassen?

Offenbar war er immer noch der gleiche große Narr wie in der Nacht, in der er ihren Verlust so harsch bedauert hatte. Damals hatten ihn die lodernden Flammen der Enttäuschung von Kopf bis Fuß quälend erfüllt, dieses Mal jedoch würde er nicht allein vor Leidenschaft brennen. Dieser erste Kuss hatte ihm verraten, dass es nicht viel Überzeugungskunst bedurfte, um die kühle, argwöhnische Mrs Miranda Braxton in seine liebevolle, bereitwillige Mätresse zu verwandeln, und er sehnte sich nach seiner kleinen, sinnlichen Göttin, als hätte er sie erst gestern verloren, nicht bereits vor fünf Jahren.

Ein helles Feuer prasselte im Kamin in Mirandas ehemaligem Zimmer, in dem Leah bereits mit dem versprochenen Tee auf sie wartete. Einen gefährlichen Augenblick lang fühlte sich Miranda wahrlich zu Hause. Dann aber rief sie sich in Erinnerung, wie Seine Lordschaft mit solch unwürdigen Seelen wie der ihren umzuspringen pflegte, und erschauerte, ehe sie sich einen versonnenen, vergeudeten Moment lang fragte, wie es sich wohl anfühlen musste, zum magischen Kreis derer zu gehören, die er liebte.

„Ich dachte, Sie hätten es eilig, Ihre Reisekleidung abzulegen“, schalt ihre Zofe, bevor sie in vielsagendes Schweigen verfiel.

Gewiss konnte Leah nicht annehmen, sie hätte sich aus dem törichten Verlangen heraus, das Interesse des Earls zu erregen, länger als nötig im unteren Stockwerk aufgehalten?

„Das habe ich auch“, antwortete sie ruhig. Zum Beweis streifte sie die Stiefeletten mit einem Seufzer der Erleichterung ab und sank vor dem Kamin auf den Boden, die kalten Zehen zur willkommenen Wärme des Feuers streckend.

„Damen sitzen nicht auf dem Fußboden“, wies Leah sie sanft zurecht, ehe sie beiläufig sagte: „Seine Lordschaft ist ein sehr attraktiver Gentleman, nicht wahr?“

„Wenn man dunkles, blendendes Aussehen bewundert.“

„Wie es jede vernünftige Frau tun würde.“

„Dann kannst du mich eindeutig zu den unvernünftigen Frauen zählen“, erwiderte Miranda bestimmt, da sie den berechnenden Blick in den Augen ihrer Freundin kannte. „Seine Lordschaft wird sich schon ein wenig mehr anstrengen müssen, um meine Bewunderung zu gewinnen.“

„Möglicherweise“, murmelte Leah mit aufreizend selbstgefälligem Unterton. Miranda unterdrückte das Verlangen, ein Kissen nach ihr zu werfen.

„Schon einmal habe ich mich wegen eines attraktiven Gesichts zum Narren gemacht. Ich habe nicht die Absicht, den gleichen Fehler noch einmal zu begehen“, sagte sie stattdessen leichthin. „Und selbst wenn ich jemals wieder heiraten sollte, so werde ich mir meinen Gatten zunächst zum guten Freund machen.“

„Das klingt gescheit und vernünftig.“

„Das ist es auch“, sagte Miranda, während sie sich fragte, ob es überhaupt einen Mann gab, der sie von dem Wagnis überzeugen konnte, eine zweite Ehe einzugehen. Seine Lordschaft hegte selbstverständlich keinerlei solch ehrbarer Absichten, sonst wäre er nicht über sie hergefallen wie ein hungriger Wolf. Allein der Gedanke, mit Christopher Alstone je mehr als nur befreundet zu sein, jagte ihr einen prickelnden Schauder über den Rücken und weckte ein berauschendes, unbesonnenes Gefühl verheißungsvoller Erwartung in ihr, das sie mühsam zu bezwingen suchte. Aus Erfahrung wusste sie, wie trügerisch solche Empfindungen sein konnten, dennoch bebten ihre Lippen bei der Erinnerung an seinen zärtlich fordernden Kuss.

Sie rückte ein wenig näher ans Feuer und rieb ihre Füße, um die aufwühlenden Gefühle, die der bloße Gedanke an diesen ungestümen Mann in ihr weckte, vor ihrer scharfsinnigen Zofe zu verbergen.

Offenbar übte der neue Earl eine starke Anziehungskraft auf sie aus, ob ihr dies nun gefiel oder nicht, und sie war sich ziemlich sicher, dass es ihr nicht gefiel. Alle Hoffnung, das Glück mit einem Mann wie ihm zu finden, war in der Nacht gestorben, in der sie mit Nevin durchbrannte. Niemals würde sie seine Mätresse werden und Lord Carnwood würde sie niemals bitten, mehr als das für ihn zu sein. In den letzten Jahren hatte sie weiß Gott so viele unehrenhafte Angebote erhalten, dass ihr ein weiteres nun nichts mehr ausmachen sollte. Dieses Mal jedoch musste sie sich unglücklicherweise nicht nur des betreffenden aufdringlichen Mannes erwehren, dieses Mal rang sie auch mit sich selbst.

Hartnäckig versuchte Miranda, den gewissen dunkelhaarigen attraktiven Adligen aus ihrem Kopf zu verbannen, um nach der anstrengenden Reise Kraft für das Dinner zu schöpfen, das gewiss eine Tortur werden würde. Doch jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, stand ihr sein Bild vor Augen. Deshalb war sie im Grunde erleichtert, als Leah kam, um sie für diesen Anlass zurechtzumachen.

4. KAPITEL

Einen Augenblick lang verweilte Kit ungesehen im Schatten, beobachtete, wie Miranda einer entthronten Königin gleich die Treppen hinunterschritt. Die vielfarbige Lockenpracht, an die er sich so gut erinnerte, war gebändigt und aus ihrem herzförmigen Gesicht frisiert, dessen sanfte Züge ein wenig zu gefasst und beherrscht wirkten. Anscheinend hatten die ernüchternden Lektionen des Lebens, die sie hatte hinnehmen müssen, sie gelehrt, all ihre Gefühle zu verbergen. Ihre unvergleichlich blauen Augen konnten einen Mann immer noch um den Verstand bringen, wenn er nicht aufpasste. Doch schaute man genauer hin, konnte man den tiefen Argwohn in ihrem Blick erkennen.

Ungehalten, sie nach so vielen Jahren, in denen er sie nicht hatte berühren können, nur anzuschauen, trat er aus dem Dunkel und stellte sich an die unterste Stufe der Treppe, darauf wartend, dass die wunderschöne Mrs Braxton ihm ins Netz ging.

Bei seinem Anblick schlug Miranda das Herz bis zum Hals. Froh darüber, dass nur sie selbst diesen wilden Trommelwirbel in ihrer Brust hören konnte, stieg sie die letzten Stufen hinunter. Das zarte fliederfarbene Seidenkleid schmiegte sich raschelnd bei jedem Schritt an ihre langen Beine, betonte den Schwung ihrer Hüften und zeigte die Konturen ihrer Figur ein wenig zu deutlich, wie sie unvermittelt fand. Aus unverständlichem Grund sehnte sie sich danach, dass er hinter die Fassade blickte, nicht nur die äußere Schönheit sah, die ihr von der Natur gegeben war. Aber sie wusste, sie verlangte zu viel, und suchte ihr Bedauern darüber vor seinem scharfen Blick zu verbergen.

In Abendkleidung machte er sogar einen noch stattlicheren Eindruck. Der tadellose schwarze Frackrock brachte seine breitschultrige Figur ausgezeichnet zur Geltung, die Kniehosen und Strümpfe betonten seine schlanken, muskulösen Beine und das schneeweiße Hemd ließ seine dunklen Augen und markanten Züge noch atemberaubender erscheinen.

„Gut sehen wir beide heute Abend aus, nicht wahr?“, fragte sie gelassen genug.

„Geschniegelt und gebügelt“, erwiderte er verbindlich, während er ihr seinen Arm bot.

Den Rücken straffend, legte sie ihre behandschuhte Hand auf seinen Ärmel. Durch den Stoff fühlte sie seine Stärke, spürte, wie seine sinnliche Anziehungskraft ihre selbst auferlegte Einsamkeit bedrohte.

„Sie sind viel reizender, als die Gerüchte behaupten“, sagte er mit offensichtlicher Aufrichtigkeit.

Miranda versuchte sich einzureden, dass die Kühle in der Halle den Schauer verursachte, der ihr über den Rücken prickelte.

„Tatsächlich? Aber in Gerüchten steckt oft nicht einmal ein Körnchen Wahrheit, nicht wahr?“, forderte sie ihn heraus.

„Ich bilde mir immer meine eigene Meinung, Mrs Braxton. Wenn ich erst einmal mein Urteil in einer Sache gefasst habe, ist es nur selten nötig, dieses noch einmal zu überdenken.“

„Dann muss ich für mehr Wendigkeit des Verstandes plädieren. Große Persönlichkeiten besitzen die Gabe, ihre Meinung nötigenfalls zu ändern. Dem sollten sich auch die Mächtigen unter uns befleißigen. Denn schließlich gehen Gerüchte selten wohlwollend mit ihren Opfern um, meinen Sie nicht auch, Lord Carnwood?“

„Selbstverständlich können Sie eintreten für was immer Sie wollen, Madam, dennoch können wir unserem einmal gewonnenen Ruf nicht entgehen, fürchte ich. Obwohl, wie ich glaube, wir durch unsere Handlungen beweisen können, ob wir diesen Ruf verdienen oder nicht.“

„Ausgezeichnet, dann lassen Sie uns bitte meiner Tante Gesellschaft leisten, um zu sehen, ob diese Vermutung den Tatsachen entspricht.“

Nur mit den Fingerspitzen berührte sie seinen Arm, während er sie durch die zugige Halle zum Großen Salon geleitete, den Lady Clarissa zu benutzen beharrte, gleich, wie viele Personen am Dinner teilnahmen. Doch selbst diese oberflächliche Berührung genügte, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, ließ sie absurderweise erzittern und einen gefährlichen Augenblick lang stand sie kurz davor, die Fassung zu verlieren.

„Werden Reverend Townley und seine Gemahlin uns heute Abend Gesellschaft leisten?“, redete sie aufs Geratewohl los.

„Nur, wenn die beiden ihren neuen Wirkungsbereich verlassen haben.“

„Wie töricht von mir, anzunehmen, nach all dieser Zeit hier alles wie früher vorzufinden.“

„So lange ist es doch gewiss nicht her, Miranda?“, erwiderte er mit einem Blick, der ihr sagte, er glaube, sie fische nach Komplimenten.

„Wenn eine Dame so viele Jahre zählt wie ich, dann scheut sie eine genaue Rechnung, Mylord.“

„Unsinn, meine Liebe. Sie können kaum älter sein als siebenundzwanzig“, köderte er sie mit einem Hauch der Feindseligkeit, die er ihr bei ihrer Ankunft entgegengebracht hatte, als ob ihn ihre gespielte Haltung einer gelangweilten Ballschönheit äußerst verstimmte.

Solange er sich über sie ärgerte, blieb sie wenigstens vor den verstörend durchdringenden Blicken verschont, mit denen er sie aus dunklen Augen musterte.

„Möglicherweise bin ich sogar jünger“, sagte sie höflich lächelnd. Er würde vergeblich auf die Entrüstung warten, die er sich wohl erhoffte, nachdem er sie absichtlich fünf Jahre älter gemacht hatte.

„Das Alter spielt wohl kaum eine Rolle, auf die Erfahrung kommt es an“, erwiderte er zynisch.

„Also in diesem Fall irren Sie gewaltig, Mylord. Das Alter spielt immer eine Rolle, jede Frau, die Sie fragen, wird Ihnen dies bestätigen, gleich ob sie achtzehn oder achtzig Jahre alt ist.“

„Danke, ich nehme Sie beim Wort.“

Autor

Elizabeth Beacon
<p>Das ganze Leben lang war Elizabeth Beacon auf der Suche nach einer Tätigkeit, in der sie ihre Leidenschaft für Geschichte und Romane vereinbaren konnte. Letztendlich wurde sie fündig. Doch zunächst entwickelte sie eine verbotenen Liebe zu Georgette Heyer`s wundervollen Regency Liebesromanen, welche sie während der naturwissenschaftlichen Schulstunden heimlich las. Dies...
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