Historical Lords & Ladies Band 74

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Mary Brendan
Die skandalöse Braut

Ein Seufzer entfährt der hübschen Emily, als der betörende Mark Hunters zärtlich seine Lippen auf ihre legt. Eine unbändige Sehnsucht nach Liebe erwächst in ihr. Emily möchte nur noch eins: für immer von seinen den starken Armen gehalten werden. Aber Vorsicht: Niemals darf Mark hinter ihr skandalöses Geheimnis kommen! Denn das wird einen Gentleman wie ihn sicherlich davon abhalten, sie als seine Braut zu wählen.

Amanda McCabe
Betörend wie der Duft der Lilien

Der Liliendieb hat erneut zugeschlagen: Wieder hat er eine antike griechische Kostbarkeit entwendet und nichts als eine weiße Lilie hinterlassen! Londons feine Gesellschaft steht vor einem Rätsel - nur die junge Calliope hat jemanden im Verdacht: den Earl of Westwood. Und sie wird es beweisen! Doch schon beim ersten Blick in die karamellbraunen Augen des Earls, verliert Calliope ihr Ziel aus dem Blick …


  • Erscheinungstag 14.06.2019
  • Bandnummer 74
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737245
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Mary Brendan, Amanda McCabe

HISTORICAL LORDS & LADIES BAND 74

1. KAPITEL

Unsinn, mein Kind, du sorgst dich wirklich ganz unnötig! Jungen sind nun einmal Herumtreiber.“ Mr. Cecil Beaumont schenkte seiner schönen Tochter ein strahlendes Lächeln. „Schau nicht so trübsinnig. Er wird schon wieder auftauchen.“

„Papa, Tarquin ist kein Junge mehr“, wandte Emily ein. „Er ist siebenundzwanzig und ein Mann, und ich fürchte, er hat sich einmal zu viel in die Klemme laviert. Vielleicht hat er sich verkrochen, weil er seine Gläubiger nicht länger hinhalten konnte.“ Den Blick ihrer strahlenden graublauen Augen ins Leere gerichtet, überlegte sie, wie oft schon ihr Bruder wegen seiner Spielleidenschaft und seiner Zügellosigkeit dem Abgrund nahe war, stets aber nach ein paar Tagen wieder auftauchte, ernüchtert und reuig. „Vielleicht sollten wir bei den Behörden nachfragen, falls er erneut im Schuldgefängnis gelandet ist.“

„Ganz unnötig, Liebes“, wehrte Mr. Beaumont ab, beugte sich wieder über seinen Schreibtisch und nahm die Feder auf.

Doch seine Tochter ließ sich nicht so leicht ablenken. In Grübeln versunken, wanderte sie in dem Arbeitszimmer umher. Schließlich ließ sie sich aufseufzend in einen abgenutzten Sessel sinken.

Schon vor fünf Tagen hatte die Familie ihren ältesten Sohn daheim am Callison Crescent erwartet, da er seinen jüngeren Bruder zwecks Anfertigung der Schulkleidung zum Schneider begleiten sollte. Er war nicht gekommen und hatte auch keine Nachricht gesandt, weder schriftlich noch mittels irgendwelcher Freunde. Selbst bei einem so egoistischen jungen Mann wie Tarquin ist das äußerst ungewöhnlich, fand Emily.

An jenem Nachmittag hatte Mrs. Beaumont etwas wie „rücksichtsloser Bursche“ gemurmelt und dann den Kammerdiener ihres Gatten als Begleitung des jungen Robert auserkoren. Als sie nun heute Morgen von Emily wegen Tarquins überlanger Abwesenheit angesprochen wurde, hatte sie sich nicht besorgter über ihren ältesten Sohn gezeigt als jetzt ihr Gemahl.

Seiner Tochter einen nachsichtigen Blick schenkend warf Mr. Beaumont schließlich die Feder nieder und schnalzte mit der Zunge. „Nun komm, mein Kind, mach kein langes Gesicht. Wenn Tarquin das Schuldgefängnis drohte, ist er noch immer angerannt gekommen, damit ich ihm aushelfe.“ Er lachte zynisch. „Ich werde bestimmt nicht nach ihm suchen oder mich um seine Probleme kümmern; die haben sich immer noch früh genug bei mir eingestellt“, meinte er und nahm die Feder wieder auf, um weiterzuschreiben. Als es eine Weile still blieb, hob er den Kopf und rief ein wenig ungeduldig: „Emily! Also wenn du dich gar nicht beruhigen kannst, werde ich zur Westbury Avenue gehen und seine Vermieterin fragen, ob sie etwas von seinem Verbleib weiß.“

Emilys betrübte Miene hellte sich auf. „Ach, Papa, ja, bitte versprich es mir.“

„Nun gut, wenn ich nachher ausgehe; es liegt sowieso am Weg.“ Damit beugte er sich wieder über sein Rechnungsbuch, wobei er durch ein kurzes Hüsteln kundtat, dass er nun nicht mehr gestört werden wollte.

Anmutig erhob Emily sich und ging hinauf in ihr Schlafgemach. Sie trat ans Fenster, und als sie die zartgrünen Blattknospen der Lindenbäume und den strahlend blauen Himmel sah, beschloss sie, auszugehen und ihre Freundin Sarah Harper zu besuchen, die nur wenige Straßen weiter wohnte. Nach den Regenfällen der letzten Tage tat es gewiss gut, ein wenig frische Luft zu schnappen.

Als sie in der Diele ihren Mantel anzog, eilte ihre Mutter herbei. „Wenn du ausgehst, musst du Millie mitnehmen!“, sagte sie streng. „Jenes abscheuliche Weib – du weißt schon, wer – sah sich bemüßigt, mir unter die Nase zu reiben, dass sie dich draußen ganz ohne schickliche Begleitung gesehen hat.“

Unbekümmert hob Emiliy ihre zart geschwungenen Brauen. Sie wusste genau, auf welche seit Langem eingeschworene Feindin ihre Mutter sich bezog. „Also, Mama, dann erkläre Mrs. Pearson bitte, dass ich eine erwachsene Frau von vierundzwanzig Jahren bin und ganz gut allein auf mich aufpassen kann.“

„Es geht nicht um dein Alter“, hub ihre Mutter an, konnte jedoch weitere Ausführungen bezüglich des Betragens unverheirateter Damen nicht mehr anbringen, denn Emily winkte ihr kurz zu und verließ das Haus. Achselzuckend wandte Mrs. Beaumont sich ab; sie war längst an den Eigensinn ihrer Tochter gewöhnt. Allerdings war es lästig, dass sich solch alte Hexen wie die Pearson, die sowieso nur auf Skandale aus waren, bemüßigt fühlten, ihr das unter die Nase zu reiben. Resigniert begab sie sich in den Salon, um sich mit einem Schluck Sherry moralisch zu stärken.

„Es ist wirklich seltsam“, meinte Sarah nachdenklich. „Bestimmt hätte dein Bruder euch doch wenigstens schriftlich benachrichtigt, wenn er die Stadt verlassen wollte.“

Untergehakt schlenderten die beiden jungen Damen die Regent Street entlang, auf dem Weg zu dem neuen französischen Modesalon.

„Oh“, rief Sarah plötzlich, „mir geht ein Licht auf! Wahrscheinlich hat Tarquin sich verliebt und ist seiner Angebeteten hinterhergefahren, irgendwohin aufs Land.“

„Wie schön, wenn er einen so edlen Grund für sein Wegbleiben hätte.“ Emily schmunzelte. „Leider Gottes hat Tarquin nur eine Liebste – Fortuna! Mit einer solch besitzergreifenden Dame kann keine Frau aus Fleisch und Blut mithalten.“ Mit schiefem Lächeln fuhr sie fort: „Vermutlich hat Papa recht, und ich sorge mich völlig unnötig. Vermutlich ist er mit einem seiner Kumpel unterwegs. Aber dass er meinen kleinen Bruder so enttäuscht hat! Die beiden sind nämlich Freunde, trotz des großen Altersunterschieds. Robert hat ihn nun gar nicht mehr sehen können, ehe er in die Schule zurück musste.“

Vor dem Schaufenster der Madame Joubert blieben sie stehen, um die hübsch drapierten schimmernden Stoffe zu begutachten.

„Da, die pfauenblaue Seide, ist sie nicht herrlich? Und diese goldfarbene … wie ungewöhnlich!“ Emiliy lugte durch die geöffnete Tür des Geschäfts. „Drinnen ist noch mehr Auswahl …“

Doch Sarah unterbrach sie: „Schau, wer da kommt! Ihn solltest du fragen, ob er etwas von Tarquin weiß. Immerhin sind sie die besten Freunde.“

Ein kurzer Blick die Straße entlang zeigte Emily, wer gemeint war. Es wäre in der Tat auch schwer gewesen, den Mann zu übersehen. Mark Hunter war hochgewachsen und breitschultrig, mit dunklen, attraktiven Zügen, die die weibliche Fantasie beflügelten. Die elegante Dame, deren Hand fest auf seinem Arm ruhte, war Emily ebenfalls bekannt. Es war in der guten Gesellschaft ein offenes Geheimnis, dass Barbara Emerson Mark Hunters Mätresse war.

„Ah, Mr. Hunter ist mit seiner chère amie unterwegs“, flüsterte Sarah.

„Ich glaube, es ist mehr als das“, erwiderte Emily. „Man geht wohl davon aus, dass er Mrs. Emerson heiraten wird. Ich nehme an, sie betrachtet sich inoffiziell als seine Verlobte.“

„Woher stammt das Gerücht denn?“, fragte Sarah. „Bis er es bestätigt, können wir anderen jedenfalls noch hoffen. Himmel, er sieht aber auch gut aus!“, hauchte sie. „Ich könnte niedersinken.“

Emily hob ob der überschwänglichen Äußerung kritisch die Brauen; sie mochte Mark Hunter nicht, und das war Sarah sehr wohl bekannt. „Schön ist, wer schön handelt …“, murmelte sie, während sie das bewunderte Objekt unauffällig musterte. Unbestreitbar war Mark Hunter ein sehr ansehnlicher Gentleman, doch Emily hatte Grund zu der Annahme, dass er gemein und herzlos war. Hatte er nicht in der Vergangenheit Tarquin wegen eines geschuldeten Betrages ins Schuldgefängnis gebracht? Seltsamerweise betrachtete ihr Bruder ihn trotz dieses Verrats immer noch als seinen Freund, und wenn Emily ihn darauf ansprach, pflegte er nur zu sagen, dass Mark kein übler Bursche sei.

Emily überlegte, ob sie es wagen sollte, Mr. Hunter wegen Tarquin anzusprechen. Vielleicht wusste er wirklich, ob ihr Bruder sich zu irgendeinem der unter jungen Herren beliebten Orte wie Brighton oder Newmarket begeben hatte. Vielleicht sollte sie die Gelegenheit nutzen, da sie sich nun einmal ergab.

Währenddessen war das Pärchen schon auf ihrer Höhe; Mark verlangsamte den Schritt und neigte grüßend das Haupt. „Miss Beaumont … Miss Harper.“

Scheu lächelnd erwiderte Sarah den Gruß und knickste leicht. Emily nickte nur knapp und murmelte seinen Namen. Er betrachtet sie unverwandt, und sie begegnete kühn seinem Blick. Seine Augen waren von ungewöhnlichem Blau, sie schimmerten beinahe wie die wunderbar changierende pfauenblaue Seide, die sie eben noch in Madam Jouberts Schaufenster bewundert hatte.

Ungeachtet ihrer kühlen Haltung lächelte Mark sie an, und tief in seinen Augen blitzte ein Funke Humor auf. Natürlich war ihm klar, dass sie ihn nicht mochte, immerhin hatte sie es ihm schon offen gesagt, und Emily hoffte, ihm war ebenso klar, dass sie im Gegensatz zu ihrer betörten Freundin seinem guten Aussehen und dem Charme, den er versprühte, leicht widerstehen konnte.

Irritiert, weil ihr Geliebter seine Aufmerksamkeit nicht ihr selbst, sondern Miss Emily Beaumont schenkte, äußerte Mrs. Emerson: „Ich habe Sie eine ganze Weile nicht gesehen, Miss Harper. Wie geht es Ihrer Mutter? Als wir uns zuletzt trafen, litt sie unter Rheumatismus.“

„Es geht ihr besser, danke der Nachfrage, Madam. Es war das kalte Wetter.“

Barbara Emerson murmelte ein paar passende Worte und wandte sich dann Emily zu. „Wie gut Sie aussehen, Miss Beaumont! Ihre Familie ist hoffentlich bei bester Gesundheit?“

Emily bestätigte das. Sie lächelte die elegante Dame flüchtig an. Mrs. Emerson durfte kaum zwei Jahre älter sein als sie selbst, dennoch haftete ihr das Flair müheloser Weltgewandtheit an, mit dem verglichen Emily sich unbeholfen wie ein Schulmädchen vorkam.

Schon mit neunzehn hatte Barbara einen reichen älteren Herrn geheiratet, der wenige Jahre danach starb und ihr sein gesamtes Vermögen hinterließ. Nun war sie die Geliebte und zukünftige Gattin eines der begehrtesten Junggesellen des ton. Großzügig gestand Emily der Dame zu, dass sie sich ihre überlegene Haltung wohl verdient hatte.

Als Barbara bemerkte, dass ihr Bemühen, Mark von Miss Beaumont abzulenken, gescheitert war, drängte sie ihn sanft, die Schwelle des Modesalons zu überschreiten, indem sie unauffällig, aber nachdrücklich seinen Unterarm drückte. Doch Mark entzog sich höflich, doch geschickt den fordernden Fingern seiner Begleiterin, die daraufhin, ärgerlich errötend, he­rumwirbelte und angelegentlich die Auslagen des Schaufensters betrachtete. Sarah gesellte sich ihr zu und deutete auf einige Stoffe, deren Farben ihr besonders zusagten.

„Ist Ihr Bruder zu Hause, Miss Beaumont?“, fragte Mark.

„Nein, er musste heute Morgen zurück zur Schule.“

Mark lächelte schief. „Ich meinte Ihren älteren Bruder“, erklärte er.

„Ah, ich dachte, Sie meinten Robert, denn ich nahm an, ­Ihnen wäre bekannt, wo Tarquin ist.“ Verlegen fuhr sie sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, denn Mr. Hunters unverwandtes Interesse irritierte sie. „Ich wollte Sie gerade fragen, wo er sich aufhalten könnte.“

Mark zog überlegend die Brauen zusammen; er hörte die Besorgnis aus Emilys Tonfall heraus. „Seit letzter Woche bei White’s, wo wir ein Spielchen machten, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Deshalb erkundigte ich mich heute Morgen bei seiner Hauswirtin, hörte aber, er sei schon seit mehreren Tagen nicht mehr in seiner Wohnung gewesen. Daher vermutete ich ihn daheim bei Ihren Eltern. Übrigens kann ich Sie beruhigen – ich suche ihn nicht wegen einer Spielschuld“, fügte er milde hinzu, als er ihren scharfen Blick sah. „Aber er hatte angedeutet, dass er mich vielleicht nach Cambridge begleiten würde.“

Emily erinnerte sich: Mark Hunter besaß einen Landsitz in Cambridgeshire, auf dem Tarquin schon einmal zu Besuch gewesen war, und wieder daheim hatte er ehrfürchtig von der Größe und prachtvollen Ausstattung des Hauses berichtet. Doch ihre Gedanken waren gleich wieder bei dem, was sie quälte. „Papa sagte, er wolle heute Nachmittag in der Westbury Avenue vorsprechen, aber nachdem Sie schon vergebens dort waren, ist das wohl Zeitverschwendung.“ Unbewusst seufzte sie auf. „Es ist zu schlimm von Tarquin, so wortlos zu verschwinden. Haben Sie wohl eine Vorstellung, wo er sein könnte?“ Sie schaute besorgt zu ihm auf. „Er pflegt ja unkonventionelle Vergnügungen. Gibt es vielleicht irgendwo auf dem Land einen Boxkampf oder Hahnenkämpfe oder etwas dergleichen?“

Mark blickte in ihre grauen Augen, die so bekümmert dreinschauten. Emily hoffte auf seine Hilfe, und er hätte sie nur zu gern gewährt, nur leider hatte er keine Ahnung, wo Tarquin sein könnte.

Obwohl Miss Emily Beaumont ihn nicht mochte, hatte er eine Schwäche für sie. Doch nicht nur ihr Äußeres zog ihn an. Sicher, sie war außerordentlich hübsch und besaß eine entzückende Figur. An diesem kühlen Frühlingstag hüllte ihr Samtmantel sie sehr züchtig ein, jedoch hatte er sie oft genug in seidenen Abendtoiletten gesehen, in denen ihre reizvollen Rundungen hervorragend zur Geltung kamen, und hatte das stets mit beschleunigtem Pulsschlag zur Kenntnis genommen. Zu solchen Gelegenheiten überlegte er oft genug, wie er ihre schlechte Meinung über ihn ändern könnte. Es würde keine leichte Aufgabe sein. Emily Beaumont besaß einen starken Charakter und scheute sich weder, ihn herauszufordern, noch hielt sie mit ihren Ansichten hinterm Berg. Und auch das faszinierte ihn an ihr. Leider neigte eine beklagenswerte Anzahl junger Damen dazu, in seiner Gegenwart errötend herumzustammeln. Emily hingegen schleuderte eher zornige Blicke aus ihren schönen graublauen Augen, als ihm unter ihren langen Wimpern hervor lockende Blicke zuzuwerfen.

Im Augenblick allerdings sah sie stumm flehend zu ihm auf, was hoffentlich bedeutete, dass sie sich möglicherweise überzeugen ließ, wie wenig er dem herzlosen Burschen glich, für den sie ihn hielt. Mark war sich ziemlich sicher, dass ihr Bruder sich versteckt hielt, weil er wieder einmal seine Schulden nicht begleichen konnte. Aber um für die berückende junge Dame den Ritter in schimmernder Rüstung spielen zu können, würde er das erst einmal für sich behalten.

„Nein, zurzeit wüsste ich keine solche Veranstaltung“, entgegnete er ruhig, „aber das muss nichts heißen. Wenn Sie möchten, werde ich mich umhören und versuchen, ihn zu finden.“

In diesem Moment waren ihre Vorbehalte vergessen, und sie strahlte ihn ganz ungekünstelt an. „Sehr gern, danke sehr, Sir. Es wäre sehr beruhigend zu wissen, dass Tarquin in seinem Egoismus nur wieder einmal völlig unbedacht gehandelt hat.“ Dann wurde sie sich der Kritik an ihrem Bruder bewusst. Bisher hatte sie ihn besonders vor Mr. Hunter immer heftig verteidigt. Doch Tarquins Verhalten ließ ihre Langmut zusehends schrumpfen. Immer wieder hatte er sie enttäuscht, obwohl sie alle ihn ständig unterstützten und in Schutz nahmen. Tarquin jedoch dankte es ihnen nicht, weder mit Worten noch mit Taten, und Emily war sich bewusst, dass die mangelnde Besorgnis ihrer Eltern der Erleichterung entsprang, ihren ältesten Sohn samt seinen Problemen eine Weile aus den Augen zu haben.

Emily seufzte. Anders als sie nach außen zugab, dachte auch sie nicht immer liebevoll an ihren Bruder. Immerhin hatte er vor einigen Jahren den Mann vertrieben, den sie inniglich liebte. Aus ihrer Versunkenheit auftauchend sah sie sich von einem paar blauer Augen beobachtet. Mark hatte ihren Ausrutscher bezüglich ihrer Rolle als treue Schwester bemerkt. Vermutlich rätselte er auch gerade über den Grund, aus dem sie sich plötzlich ein wenig für ihn erwärmte.

Noch vor wenigen Minuten hatte sie ihn äußerst kühl begrüßt, nun war sie unsicher. Beiden war klar, ihre veränderte Haltung rührte daher, dass sie seine Hilfe brauchte.

Emily glaubte Spott in seinen Augen zu lesen und vermutlich den Vorwurf der Heuchelei. Und konnte sie ihn dafür tadeln? Sie schalt sich ja deshalb fast schon selbst! Hastig nickte sie verabschiedend und trat einen Schritt zurück.

„Waren Sie eben dabei, hier einen Einkauf zu tätigen?“, fragte er rasch, um ihren Abschied hinauszuzögern.

Verneinend schüttelte sie den Kopf. „Nein, wir haben nur die Auslagen angeschaut. Bitte, Mr. Hunter, falls Sie meinen Bruder sehen sollten, erinnern Sie ihn doch daran, wo die Beaumonts wohnen. Vielleicht könnte er sich herablassen, uns einen Gruß zu senden. Ich wäre Ihnen sehr dankbar. Guten Tag, Sir.“

Er lächelte ob ihrer Ironie. „Ich werde es nicht vergessen, Miss Beaumont. Und wenn ich etwas erfahre, werde ich es Sie wissen lassen.“

Nach einem gemurmelten Dank wandte Emily sich Sarah zu, die erleichtert war, sich von Mrs. Emerson trennen zu können, denn jeder Konversationsansatz war an deren Verbissenheit gescheitert, Mark Hunter nicht aus den Augen zu lassen.

Die beiden jungen Damen verabschiedeten sich höflich und entfernten sich, doch nach einer kurzen Strecke warf Sarah einen neugierigen Blick über die Schulter. „Er schaut dir immer noch nach“, zischte sie Emily zu. „Und Mrs. Emerson guckt ziemlich grimmig drein.“

„Er könnte auch dich meinen“, erklärte Emily. „Und Barbara schmollt vielleicht, weil sie ihre Einkäufe aufschieben musste. Was ich ihr nicht verdenken kann. Diese Seidenstoffe waren zu schön!“

„Dann lass uns doch zurückgehen, das wäre nur natürlich. Immerhin waren wir zuerst bei Madame Joubert.“

„Sei nicht albern, das sähe ja aus, als verfolgten wir sie.“ Sie zerrte an Sarahs Ärmel. „Und starr die beiden nicht so an, um Himmels willen!“

2. KAPITEL

Hör um Himmels willen auf, sie so anzugaffen!“

Die Schuhspitze der jungen Frau traf unsanft auf das Schienbein ihres Begleiters. Er japste laut und stieß ein paar kräftige Flüche aus. „Was zum Teufel soll’n das, Jenny?“, knurrte er.

„Damit du dich nicht zum Idioten machst“, zischte Jenny Trent. „Es ist nicht grad passend, hier gesehen zu werden.“ Leise schimpfend sah die junge Frau unter gesenkten Lidern umher.

„Schätze, der feine Pinkel, mit dem sie sprach, hat gemerkt, dass wir sie im Auge haben. Mit solchen wie dem woll’n wir lieber nich’ anbändeln.“ In gespielt lässiger Haltung schlenderte Mickey Riley weiter und vermied Mark Hunters aufmerksamen Blick. „Der Kerl glotzt dich an, Jenny“, bemerkte er, dabei schielte er lüstern auf die hübsche Person an seiner Seite. „Kenn die Typen! Guter Stall und Kohle, un’ Augen für’n hübschen Unterrock. Wir hätt’n ’n reicheren Kerl als Beaumont finden können.“

„Nun ist es ist ja wohl ein bisschen zu spät! Du und deine dummen Ideen!“ Sie stieß ihn an, damit er weiterging.

Der vornehme Herr, den Riley so interessiert beäugte, lehnte am Türpfosten des schicken Modesalons, während seine schöne Begleiterin auf etwas im Schaufenster deutete. Nur schien der Mann ein wenig abgelenkt, denn er hielt unverwandt die andere Straßenseite im Auge. „Ich glaub, Jenny, er hat ’n Auge auf dich geworfen. Zeig ihm mal, was du zu bieten hast.“

Zwar runzelte Jenny die Stirn, schwang aber trotzdem ihre Röcke und ließ ein Paar hübsche Fesseln und Waden aufblitzen. Dabei warf sie herausfordernd die roten Locken zurück.

„Braves Mädchen“, lobte Mickey, hakte sie unter und verschwand mit ihr im Gedränge der Regent Street. Hätte er Mark Hunters Gedanken gekannt, wäre er weniger selbstsicher gewesen, denn nicht Jenny, sondern er selbst hatte die Aufmerksamkeit des Gentleman geweckt.

Mark ließ sich von Barbara ins Innere des Ladens ziehen und murmelte die erwarteten Bemerkungen zu den Dingen, die ihr gefielen, war jedoch mit seinen Gedanken anderswo.

Es war schon ein seltsamer Zufall, dass Emily Beaumont von Tarquins zweifelhaften Vergnügungen sprach, während ihm selbst im gleichen Moment ein Bursche auffiel, den er zuletzt in einem zwielichtigen Etablissement mit Tarquin hatte ziemlich heftig herumstreiten sehen. Das war Mark Grund genug, sich nach dem Kerl zu erkundigen. Mehr als den Namen hatte er damals allerdings nicht aus Tarquin herausbekommen.

Dieser Vorfall lag schon einige Wochen zurück, doch Mark konnte sich Gesichter gut merken, und Rileys Physiognomie war recht auffällig. Zwar schien er kaum älter zu sein als er selbst mit seinen zweiunddreißig Jahren, doch war sein Haar schon eisengrau, und seine Züge wirkten verlebt. Dazu kam eine Höckernase, die das Resultat eines Faustkampfs sein mochte.

Über die Bekanntschaft zwischen Tarquin und Riley war Mark nicht verwundert, denn Tarquins Spielleidenschaft, die sich nicht auf das normale Hasardspiel beschränkte, sondern auch Wetten auf die kuriosesten Dinge einschloss, brachte ihn mit allen möglichen seltsamen Leuten zusammen, nur leider war dem jungen Mann die Dame Fortuna niemals hold.

Die meisten Männer hätten unter diesen Umständen all dem abgeschworen und sich anderen Zerstreuungen gewidmet, nicht aber Tarquin. Der folgte, obwohl er schon ein kleines Vermögen verspielt hatte, der Philosophie, dass der nächste Einsatz ihm den ersehnten Gewinn bringen würde.

Ob Tarquin diesem Riley wohl Geld schuldete? Der Bursche sah nicht so aus, als ob er einem Zahlungsunfähigen gnädig gesinnt wäre. Nun, Tarquins Schulden gehen mich nichts an, dachte Mark. Sah man von dem Betrag ab, den er ihm neulich wieder geliehen hatte – vermutlich auf Nimmerwiedersehen.

Bei näherer Überlegung überkam ihn das düstere Gefühl, dass Riley und das leichte Mädchen an seiner Seite möglicherweise die verwandtschaftliche Beziehung kannten und es deswegen auf Emily abgesehen hatten. Andererseits war es unwahrscheinlich, dass Riley erwartete, von ihr die Schulden ihres Bruders eintreiben zu können – obwohl es schon vorgekommen sein sollte, dass auch Angehörige vornehmer Schuldner unter Druck gesetzt wurden. Vielleicht hielt Riley die Schwester seines Schuldners für geneigter, seinen Forderungen nachzugeben, als Mr. Beaumont senior.

Ungeduldig schaute Mark sich in dem mit schweren Düften parfümierten Laden um, in dem die Besitzerin einen Ballen duftiger Seide nach dem anderen herbeitrug, um Barbara zum Kauf zu verlocken. Während er träge zusah, wie sich hübsche Nichtigkeiten auf dem Tresen häuften, fragte er sich, ob vielleicht seine Fantasie mit ihm durchging. Es gab keinen Beweis dafür, dass Riley nicht einfach nur einen Nachmittagsspaziergang mit seinem Liebchen machte. Auch wenn sie Emily und ihre Freundin beobachtet hatten, musste das nicht aus finsteren Beweggründen geschehen sein! Zwei offensichtlich beneidenswert wohlsituierte junge Damen mochten durchaus die Blicke der weniger Privilegierten auf sich ziehen.

So vernünftig das klang, drängte es Mark dennoch plötzlich, alles stehen und liegen zu lassen, Tarquin aufzustöbern und aus ihm herauszuquetschen, was zum Teufel er in letzter Zeit getrieben hatte.

„Der Mann da hinten hat gesagt, ich soll Sie das geben.“

Verblüfft betrachtete Emily das zerlumpte Kind, das gerade grob an ihrem Mantel gezerrt hatte, um sich bemerkbar zu machen. Nun streckte das Bürschchen ihr mit schmuddeliger Hand ein zerknittertes Papier entgegen. Zögernd nahm sie es an, wobei sie in die Richtung schaute, in die der Knirps gezeigt hatte, jedoch niemanden entdecken konnte, der als Auftraggeber infrage gekommen wäre. Der Junge folgte ihrem Blick und meinte: „Nu isser weg. Hat aber gesagt, ich soll Sie das geben, un’er gab mir das hier.“ Damit streckte er ihr zwei Kupfermünzen hin. „Krieg ich von Ih’n auch was?“, fügte er hoffnungsvoll hinzu.

„Sicher doch“, murmelte Emily, fischte in ihrem Retikül nach ein paar Pennies und drückte sie ihm in seine kleine Pfote, die er darüber schloss und dann fortrannte, als fürchtete er, sie könnte ihm den Lohn wieder fortnehmen.

Vor ein paar Minuten hatte Emily sich an der Straßenecke von Sarah verabschiedet und war unterwegs zu ihrem eigenen Heim, als der Kleine sie angesprochen hatte. Neugierig betrachtete sie das nur nachlässig gesiegelte Blatt, auf dem kein Empfänger geschrieben stand. Lächelnd überlegte sie, ob sie wohl einen geheimen Verehrer hatte. Von dem Mann, dessen offene Bewunderung sie genoss, kam das Briefchen mit Sicherheit nicht, denn Mr. Stephen Bond neigte nicht zu so romantischen Gesten wie einen Straßenjungen mit einem billet-doux auszusenden. Natürlich war er ein netter junger Mann, nur so sehr berechenbar. Aufseufzend dachte sie daran, dass eben dieser Herr am heutigen Abend bei ihnen zum Dinner erwartet wurde, und wie stets würde er auf die Minute pünktlich sein.

„Du kommst spät.“ Gereizt empfing Mrs. Beaumont ihre Tochter in der Diele. „Du hast doch nicht vergessen, dass wir Gäste zum Dinner haben?“

„Nein, Mama, ich weiß, dass wir um sieben Uhr Mr. Bond erwarten.“

„Nun, gut … sieh zu, dass Millie dir das Haar hübsch frisiert.“ Ihre Mutter umkreiste sie einmal und zupfte an einer lose herabhängenden goldblonden Strähne. „Stephen bringt übrigens seine Großmutter mit. Sie kommt aus Bath und ist bei ihm zu Besuch. Als er sie mir gestern im Theater vorstellte, konnte ich nicht umhin, sie ebenfalls einzuladen. Und dein Vater ist auch noch nicht zurück! Dabei ist es schon kurz vor sechs.“

„Er wollte doch an Tarquins Wohnung vorbei, um sich nach ihm zu erkundigen.“

„Jemand hat nach Tarquin gefragt“, sagte Mrs. Beaumont ein wenig besorgt. „Millie kam von einem Botengang wieder und erzählte, dass sie von einem Mann angesprochen wurde. Er muss unser Haus beobachtet haben, sonst hätte er nicht wissen können, dass sie hierher gehört. Er war höflich, sagt sie, sah aber nicht sehr vornehm aus.“ In diesem Moment trat Mr. Beaumont ein, und seine Gattin schaute ihm fragend entgegen.

„Leider keine Neuigkeiten“, erklärte er, während er seinen Mantel ablegte. Sein Ton klang nicht mehr so optimistisch wie noch am Vormittag.

„Du warst in der Westbury Avenue, Papa?“

„Ja, und seine Hauswirtin war sehr erfreut darüber, kann ich euch sagen! Ich kam gar nicht erst zu Wort, denn kaum, dass sie mich sah, wollte sie von mir wissen, wo er sich herumtreibt! Sie meint nämlich, er hätte sich auf Nimmerwiedersehen davongemacht.“ Er schüttelte betrübt den Kopf. „Ein Großteil seiner Besitztümer fehlt, und er schuldet ihr zwei Monatsmieten. Seit zwei Wochen hat sie ihn nicht mehr gesehen.“

„Was sollen wir nur mit ihm anfangen?“, rief Mrs. Beaumont verzweifelt. „Wann wird er endlich ruhiger und lernt Verantwortung und Rücksicht? Also ist er tatsächlich wieder einmal auf der Flucht vor seinen Gläubigern!“

Mr. Beaumont schürzte skeptisch die Lippen. „Ich glaube, es geht hier nicht nur um die Miete. Mrs. Dale erzählte, dass ein Kerl mit einer Boxernase nach ihm gefragt hat. Angeblich sah er aus wie jemand, dem man besser nicht krumm kommt.“

Besorgt fasste Mrs. Beaumont ihren Gatten beim Arm. „Millie wurde draußen auf der Straße von einem Mann mit einer solchen Nase über Tarquin ausgefragt. Aber sie sagte, er wäre sehr höflich gewesen …“, fügte sie wie aufmunternd hinzu.

„Nun, das wird er auch bleiben, wenn er auf Geld aus ist“, meinte Mr. Beaumont und lachte zynisch. „Erst wenn sie keines bekommen, werden sie grob! Ich verstehe nicht, warum er sich nicht meldet“, fuhr er fort. „Normalerweise bin ich sein erster Rettungsanker, wenn er Geld braucht. Ob er sich an einen seiner Freunde gewandt hat? Ich hatte ihn nämlich letztens gewarnt, dass ich ihm ganz bestimmt nicht noch einmal unter die Arme greifen würde. Vielleicht hat er mich beim Wort genommen.“

Rasch warf Emily ein: „Heute Nachmittag traf ich Mr. Hunter. Er hatte ebenfalls schon in Tarquins Logis nach ihm gesucht. Nicht, weil er Schulden eintreiben wollte, keine Sorge! Er sagte, auch er hätte Tarquin seit Längerem nicht gesehen, aber er bot sich freundlicherweise an, Erkundigungen einzuziehen. Wenn er etwas erfährt, wird er es uns wissen lassen.“

Mr. Beaumont nickte langsam. „Mark ist ein guter Junge. Wenn er sagt, er will sich die Ungelegenheit machen, kann man sich darauf verlassen.“ Er fuhr sich mit der Hand durch das ergrauende Haar. „Ich werde mal die Post durchsehen, falls Nachricht von Tarquin dabei ist …“ Schwerfällig ging er zu seinem Arbeitszimmer, während seine Gattin davoneilte, um sich den Vorbereitungen fürs Dinner zu widmen. Über die Schulter rief sie Emily zu: „Beeil dich um Himmels willen beim Umkleiden! Schau nur, wie spät es schon ist!“

Als die Tür sich hinter ihrer Mutter schloss, zog Emily langsam das Briefchen aus der Tasche. Heimlicher Verehrer, ha! dachte sie spöttisch.

Plötzlich glaubte sie zu wissen, von wem das Schreiben kam. Von Tarquin, der so die Eltern umgehen wollte. Sie fragte sich nur, warum er sie nicht persönlich abgefangen hatte. Wenn er Angst hatte, sich überhaupt zu zeigen, musste er wirklich ganz schön in der Klemme stecken. Rasch schob sie das Papier wieder in die Tasche und hastete in ihr Zimmer hinauf.

„Zweifellos sind Sie ein hübsches Mädchen, nur nicht mehr in Ihrer ersten Blüte.“

Während der Enkel der exzentrischen alten Dame bei dieser Bemerkung fast im Boden versank, hätte Emily sich beinahe verschluckt Sie konnte kaum den Drang zu kichern unterdrücken, doch fasste sie sich schnell und lächelte Mrs. Augusta Bond freundlich an.

„Emily ist noch keine fünfundzwanzig“, warf Mrs. Beaumont steif ein. „Wohl kaum im Matronenalter.“

Mrs. Bond hob ihr Lorgnon und schaute von Mutter zu Tochter. „Nun, die jüngeren Mädchen, die dieses Jahr debütieren, werden größere Chancen auf einen Ehemann haben“, äußerte sie bedeutungsvoll und übersah den eisigen Blick, der sie von Emilys Mutter traf. Sie legte die Augengläser auf ihrem üppigen Busen ab und widmete sich wieder dem Gericht auf ihrem Teller.

Emily spürte den Blick ihres Verehrers. Vermutlich wollte er ihr wortlos zeigen, wie peinlich berührt er war. Mitfühlend schenkte sie ihm ein Lächeln, das er mit Augenrollen erwiderte.

„Miss Beaumont hat eine exzellente Singstimme“, sagte er nervös, und als dieses Lob bei seiner Großmutter keine Reaktion hervorrief, fügte er hinzu: „Und ich kenne keine junge Dame, die so wunderbar Pianoforte spielt.“

„Das macht sie nicht automatisch zu einer guten Ehefrau“, zischte Mrs. Bond ihm so deutlich zu, dass jeder es verstand.

Hastig griff Emily nach ihrem Glas und trank einen großen Schluck. Seltsamerweise neigte sie dazu, diese Meinung mit der alten Dame zu teilen. Stephen Bond war ein guter Mann, aber sie würde ihn nicht heiraten, außer es bliebe ihr wirklich nichts anderes übrig. Er verdiente eine Frau, die ihn liebte. Lachen blitzte in ihrem Blick auf, als sie den verlegenen jungen Mann anschaute, dann sah sie zu ihrer Mutter hinüber, deren Miene wütende Indignation ausdrückte.

Wäre Emily weniger bedrückt gewesen, hätte sie diese komische Abendunterhaltung, die pünktlich um sieben in der untersetzten Gestalt der Mrs. Augusta Bond über die Schwelle geschritten war, bestimmt genossen und hätte vielleicht selbst mitgespielt, um der giftigen Alten ihr Vergnügen zu lassen. Doch wenn sie ihren Vater so schweigsam und trüben Blickes am Tisch sitzen sah, verging ihr der Spaß.

Das Briefchen, das sie auf so merkwürdige Art bekommen hatte, war, anders als vermutet, nicht von ihrem Bruder, doch es ging offensichtlich um ihn, und ihr war immer noch nicht klar, warum diese Botschaft an sie gerichtet war. Normalerweise hielten sich Tarquins Gläubiger, wenn sie ihn selbst nicht fassen konnten, an seinen Vater. Warum hatte man ihr diesen Bittbrief zukommen lassen, der noch dazu in seltsam unklaren Worten gehalten war?

Jemand, der ungenannt blieb, verlangte, dass sie morgen in den Laden eines Pfandleihers in der Whiting Street kommen sollte, wo sie etwas Wichtiges über ihren Bruder hören würde. Es wurde außerdem verlangt, die Sache zur Vermeidung eines Skandals geheim zu halten.

Emily war rasch zu dem Schluss gekommen, dass der Briefschreiber in der Tat ein Gläubiger sein müsse, der hoffte, sie werde an Tarquins Statt zahlen. Außerdem vermutete sie, dass der Verfasser der Herumtreiber mit der Boxernase war, denn die Botschaft war keine Glanzleistung der Schreibkunst.

Sie war nicht so naiv zu glauben, dass ihr Bruder seiner Spielleidenschaft nur in den vornehmen Clubs im Kreise seiner Standesgenossen frönte, doch sie würde der Aufforderung trotzdem nachgehen. Wieder musterte sie verstohlen ihren Vater, der gedankenverloren die Speisen auf seinem Teller herumschob. Seit wie vielen Jahren schlug er sich nun schon mit Tarquins Problemen herum? Emily hingegen war nicht bereit, sich ebenfalls unter dieses Joch spannen zu lassen, und das würde sie Tarquin auch unmissverständlich klarmachen, sobald sie ihn in die Finger bekam.

„Empfingen Sie schon einmal einen Heiratsantrag, Miss Beaumont?“

Emily fuhr aus ihren Überlegungen hoch und fand die scharfen Knopfaugen Mrs. Bonds auf sich gerichtet.

Verblüfft sah Emily ihre Mutter an, die beinahe barst vor Empörung, und Stephen Bond war fast der Bissen im Hals stecken geblieben. Mühsam unterdrückte sie ein nervöses Kichern. Sie atmete tief ein und antwortete dann ruhig: „In der Tat, Mrs. Bond. Mit zwanzig war ich verlobt.“

„Hat Sie sitzen lassen, der Bursche, was?“

„Äh … nein, genau genommen ich ihn“, sagte Emily maliziös.

„Emily war mit Viscount Devlin verlobt“, erklärte Mrs. Beau­mont kalt.

Die alte Dame hob abermals ihr Lorgnon und betrachtete Emily mit leisem Respekt. „Konnten sich einen Titel angeln, Mädel? Aber jetzt ist er ja mit der kleinen Corbett verheiratet. Ich hörte, sie ist in interessanten Umständen.“

Ohne darauf einzugehen, erhob Mrs. Beaumont sich majestätisch: „Verzeihen Sie, ich glaube, ich muss nach dem nächsten Gang sehen.“

Die alte Dame musterte die Auserwählte ihres Enkels kritisch, und doch bekam Emily irgendwie den Eindruck, als zwinkerte sie ihr zu.

3. KAPITEL

Eine so taktlose Person habe ich noch nie getroffen!“

Mit diesen Worten wurde Emily empfangen, als sie am nächsten Morgen ins Frühstückszimmer kam. Offensichtlich war der Zorn ihrer Mutter immer noch nicht abgekühlt. Als am Abend die Gäste gegangen waren, hatte es einer beträchtlichen Portion Sherry und des lindernden Zuspruchs von Gemahl und Tochter bedurft, ehe sie sich so weit beruhigt hatte, um zu Bett gehen zu können.

„Dabei ist ihr Enkel so … so angenehm … so friedlich! Bestimmt liegt es an ihrem Alter. Ob sie wohl senil ist?“

Emily setzte sich und begann, einen Toast mit Marmelade zu bestreichen. „Ich denke, sie weiß sehr wohl, was sie sagt“, meinte sie schmunzelnd. „Mrs. Bond schockiert gern, glaube ich. Sie mag alt sein, aber sie ist bei bester Gesundheit, scheint mir, und ehrlich gesagt mag ich sie irgendwie.“

Entsetzt starrte Mrs. Beaumont ihre Tochter an.

„Nun komm, Mama, gib zu, dass sie einen regen Geist hat. Und sie spielt verflixt gut Pikett. Immerhin hat Papa gegen sie verloren!“

„Das wiegt ihre Reden nicht auf! Wie kann sie nur! Du bist eine Schönheit in deiner höchsten Blüte!“

„Aber sie hat doch nur die Wahrheit gesagt“, stellte Emily fest. Sie wusste, ihre Mutter hatte längst die Hoffnung begraben, dass ein Ritter in schimmernder Rüstung ihre einzige Tochter in sein Stadtpalais und damit in unerhörten Luxus entführen würde. Wehmütig dachte Emily, der Ritter hat sich zu viel Zeit gelassen, deshalb ist Mama drauf und dran, sich für mich mit Mr. Bond und einem Haus in Putney zu bescheiden. Sie leerte ihre Tasse und schob ihren Teller fort. „Mama, natürlich kann ich nicht mit den jugendlichen Debütantinnen konkurrieren!“

„Und was sollte die unverschämte Bemerkung über deine gelöste Verlobung?“

„Sie hat bestimmt nichts davon gewusst, Mama. Sie war nur neugierig, ob ich schon Anträge bekommen habe.“

„Wetten, dass sie es wusste? Sie wollte dich reizen!“, schnaubte Mrs. Beaumont. „Grässliche Frau! Was, wenn du in Tränen ausgebrochen wärest?“

„Wegen dieser Sache weine ich schon seit Jahren nicht mehr, Mama. Meiner Ansicht nach wusste Mrs. Bond wirklich nichts davon. Sie lebt in Bath; und so groß war der Skandal damals nicht. Weißt du, die Tatsache, dass Tarquin meinen Verlobten verprügelte und damit mein Glück zerstörte, wird kaum bis Bath gedrungen sein. Selbst in London fand es wenig Erwähnung, und man klatschte, dem Himmel sei Dank, kaum eine Woche lang darüber, dann war es vergessen.“

„Doch nur, weil Olivia Davidson, dieses leichtfertige Frauenzimmer, mit dem Ehemann ihrer Schwester durchbrannte und sich alle die Mäuler an dem neuen Skandal wetzten. Aber lassen wir das; es geht um dich. Ich denke immer noch, Emily, du hast damals übereilt gehandelt. Zu stolz! Du hättest den Viscount heiraten sollen.“

„Ach, wirklich?“, rief Emily bitter. „Wo Devlin längst durchblicken ließ, dass er die Verbindung mit unserer Familie bereute? Mir lag nichts daran, ihn an sein Wort zu binden! Er hätte mich nur verachtet.“ Sie wehrte den Einwand ihrer Mutter ab. „Hör, das haben wir oft genug beredet. Es ist vorbei!“ Ihr bitterer Tonfall stand in seltsamem Gegensatz zu ihrem unbeschwerten Lächeln. Anmutig erhob sie sich und sagte: „Ich werde heute Vormittag ausgehen. Madame Joubert hat sehr schöne Seide hereinbekommen.“

In diesem Moment trat das Dienstmädchen ein und verkündete: „Mr. Bond möchte Ihnen seine Aufwartung machen.“

Fragend sah Mrs. Beaumont ihre Tochter an. Eigentlich war es für Besuche noch zu früh.

„Wahrscheinlich will er sich für seine Großmutter entschuldigen“, meinte Emily, während sie mit ihrer Mutter den Salon aufsuchte.

Sie begrüßten Stephen und baten ihn Platz, zu nehmen, was er zaghaft und sichtlich befangen tat. Schließlich sagte er zögernd: „Ich muss um Verzeihung bitten, dass ich so früh vorspreche, aber ich weiß nicht … also nun …“ Verlegen hüstelte er, ehe er fortfuhr: „Ich möchte Ihnen für Ihre freundliche Gastlichkeit danken und wollte mich versichern, dass Sie die … äh … offene Art meiner Großmutter nicht zu … äh … verstörend fanden“, endete er hilflos.

„Weiß sie nicht, dass zu große Offenheit meistens verärgert?“, erkundigte sich Mrs. Beaumont steif.

Errötend sagte er: „Ich glaube nicht, Madam, aber wenn Sie sich durch eine ihrer Bemerkungen verletzt fühlen, bitte ich in ihrem Namen um Entschuldigung.“

Emily eilte ihm gütig zu Hilfe. „Ich fand Ihre Großmutter sehr erfrischend; sie ist ein Original. Ich habe mich gefreut, sie kennenzulernen.“ Als sie Stephens verdutzten Blick sah, lächelte sie schief. „Wenn Mrs. Bond nicht sofort nach Bath zurückkehrt, musst du sie mit Mrs. Pearson bekannt machen, Mama. Meinst du nicht, dass deine gute Freundin von dieser Bekanntschaft überaus profitieren würde?“

Zum ersten Mal an diesem Tag entlockte sie ihrer Mutter, die sich vorstellte, wie zwei bösartige Naturgewalten kollidierten, ein amüsiertes Lächeln. Stephen nahm es dankbar zur Kenntnis. „Ich habe Sie lange genug aufgehalten“, sagte er und stand auf.

„Ich würde Sie bitten, noch ein Weilchen zu bleiben, doch ich habe noch Besorgungen zu machen“, erklärte Emily.

„Darf ich Sie zu Ihrem Bestimmungsort bringen?“, bat Stephen eifrig.

„Danke, das Angebot nehme ich gern an.“

Trotz der auffallenden Nase zogen nicht die Gesichtszüge des Mannes Emilys Aufmerksamkeit auf sich, sondern sein Verhalten. Selbstgefällig stolzierte er vor dem Eingang des Pfand­leihers auf und ab, wobei er immer wieder sichtlich enttäuscht in die vorbeifahrenden Droschken lugte.

Zweifellos erwartete der Mann, dass sie nicht zu Fuß kommen werde, und wollte sie entdecken, ehe sie ihn sah. Da sie Stephen nicht hatte erklären mögen, was sie in einen so wenig vornehmen Stadtteil führte, hatte sie sich von ihm einige Straßen vorher absetzen lassen und auch sein Angebot abgelehnt, sie später abzuholen.

Der Frühlingstag prangte mit heller Sonne, doch es wehte ein frischer Wind, sodass Emily sich tiefer in ihren Mantel schmiegte. Noch einmal schaute sie unauffällig nach dem Fremden.

Zwar flößte ihr seine kräftige Gestalt keine Furcht ein, trotzdem war sie ein wenig unruhig. In dieser Gegend, die ­Geschäftsleuten vorbehalten war, sah man nur selten eine Frau, deshalb würde sie bald Aufmerksamkeit erregen. Sie betete nur, dass ihr Vater nicht gerade heute seinen Sachverwalter aufsuchte, der hier ebenfalls sein Kontor hatte.

„Emily? Emily Beaumont?“

Die kultivierte Stimme, die sie einst so gern gehört hatte, ließ sie erstarren. Langsam drehte sie sich um.

Viscount Nicholas Devlin, im Begriff, in seine Kutsche zu steigen, hielt inne und schlenderte auf Emily zu.

Sie hatte öfter überlegt, welche Gefühle eine Begegnung mit ihm wohl in ihr auslösen würde. Natürlich hatten sie sich seit dem Bruch der Verlobung nie wieder allein getroffen, sondern nur ein- oder zweimal auf gesellschaftlichem Parkett, wo beide Seiten stets strikt der Etikette folgten, um Aufsehen zu vermeiden.

Ungeachtet der Tatsache, dass ihre ehemalige große Liebe nun Gatte und zukünftiger Vater war, fragte sie sich doch, ob Devlins jungenhaft-frecher Charme ihr noch etwas anhaben könnte. Er war immer noch hübsch, trug das blonde Haar kunstvoll zerzaust und wirkte jünger als seine einunddreißig Jahre. Er sah sie mit seinen nussbraunen Augen sehr herzlich an.

„Wartest du auf deinen Vater?“, fragte er überrascht mit ­einem forschenden Blick die Straße entlang.

„Nein … nein“, entgegnete Emily wahrheitsgemäß, während sie hastig nach einer Ausrede für ihre Anwesenheit in dieser Gegend suchte. Doch sie hätte sich nicht sorgen müssen, denn der Viscount schien jäh abgelenkt durch ihre Zunge, mit der sie sich nervös ihre vollen Lippen befeuchtete.

Emilys Herz begann unter seinem anerkennenden Blick heftig zu hämmern, und die plötzliche Glut in seinen Augen weckte die längst vergessen geglaubte Erinnerung an gemeinsam genossene Zärtlichkeiten. Schuldbewusst erkannte sie: Devlin begehrte sie immer noch.

„Seit wann haben wir uns nicht mehr gesehen?“, fragte er ein wenig heiser, während er offen ihre Figur musterte. „Es muss ein Jahr her sein. Emily, ich schwöre, jedes Mal, wenn ich dich sehe, bist du schöner geworden.“

Obwohl ihr Herz immer noch heftig pochte, betrachtete sie ihn kühl. „Und ich könnte schwören, Sir, dass Sie unter den Nachwirkungen einer durchzechten Nacht leiden, andernfalls würden Sie so etwas nicht sagen.“

„Darf ich dir keine Komplimente machen?“, fragte er ernst. „Was bist du so stachelig? Schmerzt es dich immer noch?“

Emily staunte. Einerseits hätte sie beinahe verächtlich gelacht, andererseits verlangte ein Teil von ihr, weitere solche Schmeicheleien zu hören. Sie ermahnte sich, zur Vernunft zu kommen. Was er auch sagen, wie er sie auch anschauen mochte, so kurz war ihr Gedächtnis nicht; ein paar Jahre zuvor, damals, als er von Tarquin Prügel bezogen hatte, hatte er jeden Beaumont, sie selbst eingeschlossen, nur mit Widerwillen und Wut betrachtet.

„Bitte keine Vertraulichkeiten, Sir. Worauf Sie anspielen, das gehört der Vergangenheit an und bedarf gewiss keiner Erörterung.“ Damit neigte sie grüßend den Kopf und wollte an ihm vorbei, doch er hielt sie mit rascher Hand zurück.

„Nicht so schnell“, bat er weich. „Doch, Emily, es bedarf des Redens. Ich hoffte schon länger, dich einmal allein zu treffen. Ich denke oft an dich … an das, was hätte sein können …“

Emily wand sich aus seinem Griff und trat zwei Schritte von ihm fort. Schnell schaute sie in die Runde, um zu sehen, ob sie beobachtet würden, und sah verärgert, dass es in der Tat so war. Der Bursche, dessentwegen sie überhaupt hier war, hatte sie inzwischen entdeckt! Sie runzelte die Stirn und seufzte verhalten. Welch verfahrene Situation! So würde sie bestimmt nichts über Tarquins Aufenthaltsort erfahren.

„Kennst du den?“

„Wen?“, fragte sie gespielt erstaunt.

„Den Kerl da drüben, der dich so anglotzt.“

Ohne Bedenken schüttelte sie den Kopf. Sie kannte ihn ja wirklich nicht, war sich jedoch sicher, dass sie ihn jetzt schon kennen würde, wenn Nicholas Devlin nicht aufgetaucht wäre. Aber es war ja eigentlich ein Glück, dass er dem zuvorgekommen war, denn sonst sähe er sie in diesem Moment mit dem Mann reden, und das hätte ganz bestimmt zu peinlichen Fragen geführt.

Dass ihr Bruder und ihr ehemaliger Verlobter sich immer noch aus dem Weg gingen, war Emily bewusst, und selbst wenn Nicholas ihr ein wenig Sympathie und Freundlichkeit zeigte, galt das gegenüber Tarquin bestimmt nicht. War der also in Schwierigkeiten, würde das, dessen war sie sich sicher, Nicholas höchste Freude bereiten.

Derweilen spähte der Viscount verstohlen zu dem Höckernasigen hinüber. Er kannte den Mann und wusste, womit er seinen Lebensunterhalt bestritt, denn er hatte dessen Dienste schon selbst in Anspruch genommen. Mickey Riley hatte nämlich ein paar außergewöhnlich hübsche Vögelchen unter seinen Fittichen. Auch, dass mit Riley nicht zu spaßen war, wusste Devlin, fürchtete ihn jedoch nicht, da der Bursche schlau genug war, von Höherstehenden respektvoll Abstand zu halten.

Als Mickey sich nun von Lord Devlin unverwandt beobachtet sah, wandte er sich schließlich irritiert ab und stolzierte die Straße hinab.

Emily nahm das mit Bedauern wahr; so war also ihr Treffen mit dem Fremden vereitelt worden. Außerdem bemerkte sie Nicholas’ veränderte Miene – er musterte sie neugierig. ­Bestimmt würde er sie gleich fragen, was sie ganz allein hier in der Whiting Street zu tun hatte.

Hastig wandte sie sich einem mit imposanten Pfeilern geschmückten Portal zu, auf dem ein glänzendes Messingschild verkündete: Woodgate & Wilson, Rechtsanwälte. Hinter der ein Stück offenen Tür sah man einen nüchternen Gang.

„Ich muss gehen, sonst komme ich zu spät. Mr. Woodgate wartet auf mich. Einen Guten Tag, Sir.“ Damit nickte sie verabschiedend, hob mit bebender Hand ihre Röcke und schritt betont selbstbewusst die Stufen hinauf und durch die Tür, die sie hinter sich zudrückte. Was sie den würdigen Herren Woodgate und Wilson sagen würde, wenn man sie um eine Erklärung für ihr Eindringen bäte, musste sie sich noch überlegen. Doch zumindest lag erst einmal ein gehöriger Abstand zwischen ihr und Devlins ein wenig verwirrender Gegenwart.

Nicholas schaute Emily mit schmalem Lächeln hinterher. Er glaubte, dass Riley an ihr interessiert war, und auch, dass sie umgekehrt Riley bemerkt hatte. Außerdem hatte sie, was diese Anwaltskanzlei anging, geschwindelt, denn dort beschäftigte man sich seines Wissens beinahe ausschließlich mit dem Seerecht und Versicherungen. Zudem war Mr. Woodgate vor einigen Monaten verstorben! Intensiv nachdenkend schlenderte Nicholas zu seiner Kutsche und stieg ein. Während er sich in die Polster lehnte, fragte er sich, was zum Kuckuck da vorging. Er fand, dass sich genügend Fragen aufgetan hatten, um selbst ein paar Nachforschungen vorzunehmen. Es mochte ihm bei Emily weiterhelfen.

Emily schlich leise den schwach erhellten Gang entlang und huschte an einer offenen Tür vorbei, die zu einer Schreibstube führte, wo ein Mann Einträge in ein Journal machte. Hoffentlich hatte er sie nicht bemerkt! Ihr Geist arbeitete wild. Ach, wenn man sie erwischte, würde sie einfach sagen, sie habe sich im Haus geirrt. Sie brauchte ja nur einen Moment hier zu warten, bis Nicholas fort war. Innerlich fluchte sie. Nichts hatte sie erfahren, außer dass tatsächlich dieser Fremde, der sich auch schon in der Nähe des Beaumont’schen Hauses herumgetrieben hatte, der Absender des Briefes war. Offensichtlich hatte er sich, von Nicholas Devlins Blicken gestört, verzogen. Ob sie ihn vielleicht gleich noch einholen konnte? Leise ging sie zurück zum Portal. Wenn die Luft rein war, würde sie dem Kerl nachgehen.

„Miss Beaumont … was machen Sie hier?“

4. KAPITEL

Ich möchte jemandem aus dem Weg gehen, Sir.“

Trotz ihrer unmöglichen Lage sprach Emily bewundernswert offen. Einzig ihre vor Schreck geweiteten Augen zeugten von ihrer Unsicherheit.

Mark Hunter stützte sich nachlässig mit der Hand an der Wand ab, als sei er bereit zu warten, bis sie sich ihm näher erklärte.

Einen Augenblick war sie wie betäubt und brachte kein Wort über die Lippen. An seiner Miene sah sie, dass er ihr Schweigen als Unmut auslegte. Vage dachte sie, dass er aus einem der den Gang säumenden Kontore gekommen sein musste. Offensichtlich war er ein Klient der Kanzlei und hielt sich in Geschäften hier auf.

„Aus dem Weg gehen?“, wiederholte er leichthin, mit einer Haltung, als sei es genauso alltäglich, sich mit ihr in einem muffigen Kanzleiflur zu unterhalten wie in einem eleganten Salon in Mayfair.

„Ja. Sehen Sie, das Portal stand offen, also huschte ich schnell hinein, um nicht weiter mit ihm sprechen zu müssen.“

„Wenn er sie belästigt, denke ich, kann ich ihn zum Rückzug überreden“, sagte Mark ruhig, doch Emily spürte, dass er es erschreckend ernst meinte. Schon machte er Anstalten, hi­nauszugehen.

„Nein! Danke, dass Sie mir helfen wollen, aber es ist ganz anders …“ Die Vorstellung, dass Nicholas Devlin noch dort draußen herumstehen könnte und sich der Anschuldigung stellen müsste, sie belästigt zu haben, ließ sie zurückschrecken, und sie hielt Mark schnell am Ärmel fest. Kaum hatte sie ihre Hand um seinen muskulösen Arm geschlossen, trat er näher an sie heran, und unversehens durchflutete sie ein leiser Schauer, beinahe Erregung. Jäh war sie sich bewusst, wie zart und zerbrechlich sie sich angesichts der vor ihr aufragenden kraftvollen Gestalt fühlte. In dem schmalen, düsteren Gang strömte ihr plötzlich von seinem warmen Körper ein Duft nach Sandelholz entgegen.

Nicholas Devlin war gut gebaut und ansehnlich, doch keineswegs so groß und muskulös wie Mark Hunter, und vor allem nicht ein so dämonisch dunkler Typ. Emily reichte Mark gerade bis zu seinen breiten, in exzellent geschnittenes, feinstes Tuch gehüllten Schultern; langsam hob sie den Blick zu seinen scharfen, kantigen Zügen. Als er aus verhangenen Augen ihre leicht geöffneten Lippen fixierte, stockte ihr der Atem.

Mark spürte, wie das Blut heißer durch seine Adern rann. Nur mühsam konnte er das Verlangen unterdrücken, Emily in seine Arme zu reißen und sie bis zur Besinnungslosigkeit zu küssen. Selbst in dem dicken Mantel, der ihre reizvollen Rundungen weitgehend verbarg, war sie das begehrenswerteste weibliche Wesen, das ihm je begegnet war. Auch ihr wachsamer Blick konnte das Pochen in seinen Lenden nicht verhindern. Miss Emily Beaumont mochte ihn vielleicht nicht, doch er fürchtete, er mochte sie … ein wenig zu sehr sogar …

Ein trockenes Husten löste die Spannung. Erschreckt ließ Emily Marks Arm los und wich zurück, als hätte sie sich gerade verbrannt.

„Kann ich Ihnen helfen, Mr. Hunter?“, fragte jemand in nasalem, ziemlich penetrantem Ton.

Ein Herr in mittleren Jahren mustere Emily misstrauisch und leicht angewidert über den Rand seiner Brillengläser hinweg. „Ich versichere Ihnen, diese Dame ist keine unserer Klientinnen. Wenn sie Sie belästigt, werde ich sofort die Behörden veranlassen, sie zu entfernen.“

„Nein, Sie sind im Irrtum. Die Dame ist eine Bekannte, und ich wollte sie gerade heimbegleiten.“

Emily spürte, wie sie tief errötete. Dieser Mann musste einer der Anwälte sein, und er dachte … er hielt sie für … Wie unverschämt! In ihr kämpften Empörung und Ärger um die Vorherrschaft. Sicher, sie war unbefugt hier, und außerdem hatte er sie in einer Situation erspäht, die man missdeuten konnte, doch … Zumindest ihr Zorn legte sich, denn die Tatsachen ließen natürlich Raum für ungehörige Vermutungen. Unter dieser Erkenntnis färbten ihre Wangen sich noch tiefer.

Mr. Wilson war nun nicht weniger verlegen als Emily. Er scharrte mit den Füßen und murmelte eine kaum verständ­liche Entschuldigung, dann schlüpfte er mit einem vagen Kopfnicken in eines der Kontore. Gerade rechtzeitig, denn Emilys Empörung hatte die Oberhand gewonnen, und sie war drauf und dran, den tugendwütigen Herrn anzufahren.

Als hätte er ihre Kampfbereitschaft gespürt, fasste Mark sie beim Ellenbogen, schob sie mit fester Hand dem Ausgang zu und geleitete sie die Stufen hinab, wo er die Straße auf und nieder schaute, die jedoch verödet dalag.

„Der lästige Mensch, dem sie aus dem Weg gehen wollten, scheint fort zu sein. Wer war es denn? Ein Bekannter von Ihnen?“ Während er fragte, winkte er gebieterisch in Richtung einer todschicken Karriole, die ein Stück entfernt am Straßenrand stand und auf das Zeichen hin heranrollte. Ein junges Bürschchen sprang flink vom Kutschsitz und übergab seinem Herrn die Zügel.

Rasch trat Emily einen Schritt zurück. Als sie heute Vormittag das Haus verließ, waren ihre Gedanken einzig bei ihrem Bruder gewesen, nun störten zwei weitere Männer ihren Seelenfrieden, beide aus dem gleichen Grund: Beide hatten eindeutig den Wunsch gehegt, sie zu küssen; das konnte sie nicht missverstanden haben.

Zuerst hatte Viscount Devlin ihr nicht nur mit Blicken kundgetan, sondern auch offen ausgesprochen, dass er sie immer noch anziehend fand, und wenn auch Mark Hunter nichts Schmeichelndes dieser Art geäußert hatte, waren seine Augen doch äußerst begehrlich auf sie gerichtet gewesen. Der Anwalt hätte seine Verdächtigungen besser auf seinen Klienten als auf sie gerichtet! Herr im Himmel, sie mochte Mark Hunter nicht einmal, ganz zu schweigen davon, dass sie ihn würde küssen wollen … Unwirsch schlug sie die Augen nieder. Ein seltsames Beben durchrann sie, als sie an das Gefühl dachte, das seine Nähe und sein Duft in ihr ausgelöst hatten.

Mark ließ Emilys süßes Gesicht nicht aus den Augen, auf dem sich lebhaft ihre wechselnden Gefühle spiegelten. Vermutlich war sie wegen der Unterstellung, sie könnte ein käufliches Dämchen sein, immer noch verärgert. Und nicht ganz zu Unrecht.

„Mr. Wilson ist ein Zyniker, der schon zu viel in seinem Leben gesehen hat“, erklärte er besänftigend. „Aber nur ein Dummkopf könnte angesichts Ihrer Schönheit und Haltung glauben, dass Sie Ungehöriges im Sinn hätten. Zu seiner Verteidigung kann ich nur annehmen, dass das dämmrige Licht im Gang schuld war.“ Gewahr, dass die Erwähnung des Zwischenfalls ihr abermals feurige Röte in die Wangen trieb, setzte er sanft hinzu. „Soll er sich bei Ihnen entschuldigen?“

„Wie, dazu würden Sie ihn bringen?“ Sie schaute auf, direkt in seine Augen, die sie warm betrachteten.

„Natürlich. Aber nur“, erklärte er, näher an sie herantretend, „wenn Sie mir versprechen, hier zu warten, bis ich mit ihm zurückkomme, damit ich Sie anschließend heimbringen kann.“

Die Vorstellung, abermals mit Mark Hunter auf engem Raum zusammenzusein, dieses Mal in seiner Rennkutsche, ließ sie herausplatzen: „Danke für das freundliche Angebot, Sir, aber bemühen Sie sich bitte nicht. Ich werde eine Droschke mieten.“

Mit einem raschen Schritt vertrat Mark ihr den Weg, sodass sie abrupt stehen bleiben musste, um nicht mit ihm zusammenzustoßen.

„Miss Beaumont, ich hoffe, Sie werden mich nicht als Lügner dastehen lassen“, sagte er gespielt ernst, „sehen Sie dort das Fenster? Mr. Wilson beobachtet uns immer noch, um zu sehen, ob wir wirklich gute Bekannte sind und Sie mit mir fahren.“

In der Tat bemerkte Emily, als sie aufschaute, wie ein Rollo leise schwankte, als sei es eben losgelassen worden. Abermals überschwemmte sie tödliche Verlegenheit. „Grässlicher Kerl!“, murmelte sie.

„Das galt hoffentlich Mr. Wilson, nicht mir“, sagte Mark trocken.

Emily lugte durch ihre langen Wimpern zu ihm auf und wagte ein schüchternes Lächeln.

„Soll ich gehen und ihn ausschimpfen?“, fragte Mark lächelnd.

Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre blonden Locken unter ihrem Hut tanzten. „Nein, ich glaube, es lag nicht nur an ihm; was … was er sah, muss ihm seltsam vorgekommen sein.“ Sie grub ihre Zähne in ihre Unterlippe.

Kommentarlos reichte Mark ihr seine Hand, und sie ließ sich von ihm auf den Sitz helfen. „Vornehme junge Damen sieht man nicht oft in dieser Straße. Normalerweise werden sie von männlichen Angehörigen begleitet“, sagte er schließlich.

Das erschien Emily als wahrscheinlich. Ob er wohl als Nächstes wissen wollte, was sie hergeführt hatte? Um ihn abzulenken, sagte sie leichthin: „Bestimmt ist Mr. Woodgate netter als Mr. Wilson. Das eben war doch Mr. Wilson, nicht wahr?“

„In der Tat.“ Mark trieb die edlen Grauschimmel an und fädelte sich elegant in den Verkehr ein. „Mr. Woodgate war ein sehr anständiger Bursche, und auch Mr. Wilson war sehr nett – bis sein Geschäftspartner starb. Ich glaube, im Augenblick wird ihm allein alles zu viel.“

„Starb?“, rief Emily entgeistert.

„Ja, vor einigen Monaten, ganz plötzlich.“

Innerlich verfluchte Emily sich, weil sie vor Nicholas Devlin einen so krassen Fehler begangen hatte. Er musste vom Tod des Anwalts gewusst haben. Dass ihr ehemaliger Verlobter die Lüge durchschaut hatte, mit der sie sich ihm entzog, stach sie empfindlich.

„Wollen Sie mir nicht sagen, vor wem Sie sich verborgen hielten? Darf die Person nicht genannt werden?“

Als hätte er geahnt, woran sie gerade dachte! Ausweichend sagte sie: „Es war nur ein Bekannter, mit dem ich seit Langem nicht gesprochen hatte.“ Um weitere Fragen zu unterbinden, fuhr sie fort: „Ich muss für meine Mutter noch ein Geburtstagsgeschenk besorgen. Wären Sie so freundlich, mich in der Regent Street abzusetzen? Ich möchte zu Madame Joubert.“ Beim Gedanken an die Begegnung vor dem Geschäft der Schneiderin fiel Emily ein, dass Mark ihr ja versprochen hatte, nach Tarquin zu forschen. Wenn sie sich nach seinen Fortschritten erkundigte, könnte sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – weiteren Fragen ausweichen und etwas über ihren Bruder erfahren. Grübelnd schaute sie auf ihre Hände nieder. Warum eigentlich sollte Mark Hunter nicht erfahren, dass sie dem Mann aus dem Weg hatte gehen wollen, der um Haaresbreite ihr Ehemann geworden wäre?

„Wir haben immer noch nichts von Tarquin gehört“, sagte sie. „Haben Sie schon etwas herausgefunden, Mr. Hunter? Mein Vater macht sich inzwischen ernste Gedanken. Bisher meldete mein Bruder sich stets, wenn er in Schwierigkeiten war. Und das muss er sein, denn auch seine Vermieterin hat ihn seit Wochen nicht gesehen. Und er ist fortgeblieben, ohne die ausstehende Miete zu zahlen.“

Mark zügelte die Pferde ein wenig und betrachtete Emily aus den Augenwinkeln. Sie nagte an ihrer rosigen Unterlippe und verschlang nervös ihre Hände ineinander. Plötzlich schenkte sie ihm einen flehenden Blick.

Ein scharfes Ziehen schoss Mark durch den Körper, das nicht nur Begehren war, sondern eine Reaktion auf ihre süße Hilflosigkeit. Offensichtlich ging ihm Emily Beaumont zusehend tiefer unter die Haut, was ihn ein wenig verstörte. Vorhin in dem Korridor hätte er sie beinahe geküsst. Jetzt gerade war er schwer versucht, sie zu einem stillen Plätzchen zu entführen und es nachzuholen … aber er wollte ja Tarquin ausfindig machen, und sei es nur, um ihm die Leviten zu lesen, weil er Emily solchen Kummer verursachte. Als sie jetzt mit feucht schimmernden Augen zu ihm aufsah, tat sie Mark so leid, dass er rasch den Blick voraus auf die Straße richtete.

Er hatte eine vage Vorstellung, wo der elende Bursche sein könnte und was er trieb – mit Sicherheit etwas, das ein Mann auf keinen Fall einer unverheirateten Dame mitteilen sollte.

Sein Bruder war nämlich, von ihm nach Tarquin befragt, mit etwas herausgerückt. Jason und seine Gattin Helen waren aus einem Theater in der Drury Lane gekommen, als sie Tarquin, der ziemlich bezecht schien, in nicht sehr feiner Gesellschaft entdeckt hatten. Er lümmelte in einer dunklen Gasse, sehr beschäftigt mit einer ausgesprochen hübschen Dame des käuflichen Gewerbes, die seine Annäherungen anschmiegsam ermutigte.

Grimmig lächelnd überlegte Mark, ob Tarquin möglicherweise seinem sarkastischen Rat gefolgt war, der dahin ging, dass er sich, um das Risiko zu verteilen, vielleicht besser verschiedenen Lastern hingeben möge, anstatt seine Mittel allein beim Glücksspiel zu verschwenden.

Mark entschloss sich, Emily den nicht anstößigen Teil zu erzählen: „Vor zwei Wochen kamen mein Bruder und Helen aus der Oper, als sie ihn in einer Gasse am Covent Garden sahen – nur ganz kurz, im Vorbeifahren. Er war nicht allein, nur wird seine Begleitung wohl nur schlecht ausfindig zu machen sein. Aber ihn selbst werde ich finden, das verspreche ich Ihnen.“

Emily hatte das Gefühl, als erzählte Mark ihr nicht alles, doch sie würde Helen fragen, mit der sie eng befreundet war. Und da war noch die Sache mit diesem Brief, der sie in die Whiting Street bestellt hatte. Sollte sie Mark davon erzählen? Vielleicht kannte er ja den Mann mit der Boxernase und hatte eine Ahnung, inwieweit Tarquin mit dem zu tun hatte. Ihre Gedanken überschlugen sich. Schließlich siegten ihre Vorbehalte Mark gegenüber, und sie schwieg. Immerhin hatte Mark Hunter ihren Bruder ins Schuldgefängnis wandern lassen – wegen der lächerlichen Summe von hundert Pfund. Erstaunlicherweise waren die beiden immer noch befreundet, doch wie sehr war Mr. Hunter wirklich daran interessiert, Tarquin zu helfen? Ganz traute Emily ihm und der von ihm beschworenen Freundschaft mit ihrem Bruder nicht.

Abermals geriet sie über diese beiden Männer, Mark Hunter und Nicholas Devlin, ins Grübeln. Eines zumindest hatten sie gemeinsam – sie interessierten sich für Tarquin wesentlich weniger als für sie. Und dieses Interesse zu bestärken hatte Emily nicht vor. Beide Männer waren in festen Händen, und doch hatte sie heute erfahren dürfen, wie unbeständig sie waren – Ehegatte wie Liebhaber gleichermaßen. Sie hätte nur ein wenig Entgegenkommen zeigen müssen, und jeder der beiden hätte sie geküsst. Es machte Emily wütend, dass sie gebunden waren und sich dennoch in eine Liebelei einlassen würden. Vielleicht bildeten solche Herren sich ja ein, sie sei mittlerweile in dem Alter, sich als Ladenhüter zu fühlen, und wäre deshalb für jede noch so unziemliche Annäherung dankbar.

„Ich werde hier warten, bis Sie Ihre Einkäufe erledigt haben.“

Marks Worte ließen sie aus ihren Gedanken auffahren. Sie erlaubte dem Pferdeburschen, ihr vom Wagen zu helfen. Ja, in der Tat erwies Mark Hunter ihr mehr Beachtung, als ihr als die Schwester seines Freundes zukam. Er zielte darauf ab, sie zu verführen, dessen war sie gewiss, und glaubte zweifellos, sie würde ihm wegen seines guten Aussehens und Reichtums in die Arme sinken. Möglicherweise meinte er auch, weil sie so verzweifelt auf seine Hilfe hoffte, werde sie sich wie ein naives Gänschen betragen. Aber die Zeiten waren vorbei! Damals, nach Nicholas, hatte sie sich geschworen, es würde ihr nie wieder passieren.

Die beiden Hunter-Brüder waren als Lebemänner bekannt gewesen. Jason jedoch änderte seinen Lebenswandel, als er ­Helen Marlowe heiratete, und war nun ein sehr ergebener Gatte. Giftig fragte sich Emily, ob Mark sich ebenfalls derart verändern würde, wenn Mrs. Emerson ihn endlich vor den Altar gezerrt hatte.

Ein säuerliches Lächeln unterdrückend wandte sie sich um und sah zu ihm auf seinem Kutschsitz auf. Er erwiderte ihren Blick mit einer solchen Eindringlichkeit, dass sie ihren Verdacht bestätigt sah. Er begehrte sie.

„Danke, dass Sie mich mitnahmen, Sir“, sagte sie leichthin, „und für Ihr Angebot, zu warten, das ich leider nicht annehmen kann; ich habe anschließend noch etwas zu erledigen.“ Auf den Stufen des Geschäfts hielt sie inne; plötzlich wollte sie unbedingt sehen, ob er ihr immer noch nachschaute.

Langsam wandte sie sich um. Der Wagen stand immer noch da, und Mark saß reglos auf dem Sitz. Einen Augenblick kreuzten sich ihre Blicke, dann sah sie hastig fort und suchte verzweifelt nach einem Vorwand dafür, dass sie sich umgeschaut hatte. „Wenn Sie natürlich etwas über Tarquin in Erfahrung bringen, welcher Art auch immer, wären wir froh, von Ihnen zu hören“, rief sie ihm zu und huschte dann, ohne auf seine Antwort zu warten, in den Laden.

5. KAPITEL

Was hat sie gesagt?“

Auf Jenny Trents aufgeregte Frage runzelte ­Mickey Riley nur grimmig die Stirn. Missmutig schüttelte er ihre Hand von seiner Schulter und flegelte sich auf ein zerschlissenes Sofa. Ein Kohleofen sollte Wärme in dem engen gemieteten Zimmer verbreiten, wurde jedoch von einem davor gerückten, mit feuchten Wäschestücken beladenen Stuhl daran gehindert. Wütend stieß Riley ihn mit dem Fuß um, sodass die Kleidung auf dem schmuddeligen Boden landete.

„Was für ein Loch! Mach endlich mal sauber hier!“, grunzte er.

Während Jenny den wackligen Stuhl aufhob und die Wäsche einsammelte, schaute sie vorsichtig zu dem Mann hinüber. „Sie ist nich’ drauf reingefallen, was?“, fragte sie.

„Was weiß ich“, fauchte er.

Seine übellaunige Miene musternd hockte sie sich auf einen Stuhl ihm gegenüber. „Ist also nich’ gekommen. Hab ich’s dir nich’ gesagt?“

Er sprang auf und ballte die Hände. „Blödsinn! War pünktlich da, das Schätzchen! Nur kam dann dieser verfluchte feine Pinkel und sprach mit ihr. Hat mich entdeckt und glotzte ganz schön neugierig, also hab ich mich abgesetzt. Hätt’st du auch getan. Wir kennen ihn beide. Du weißt schon – Devlin. Mit dem will ich mich nich’ anlegen.“

„Devlin?“, wiederholte Jenny angewidert. Und wie sie ihn kannte! Und es hasste, wenn er sich zu ihr herabließ. Natürlich gegen Geld. Aber hinter dem feinen Äußeren verbarg sich gemeine Brutalität. „Meinst du, Tarquins Schwester hat ihm was gesagt?“

„Glaub ich nich’. Als er mich sah, bin ich weg, aber ich hab sie von Weitem beobachtet. Sah mir so aus, als wenn’s ihr nich’ gepasst hätte, ihn zu treffen. Hat nur ’n’ Satz mit ihm geredet, dann flitzte sie in Wilsons Kanzlei, und er fuhr inner Kutsche weg.“

„Hast du denn nicht gewartet, bis sie wieder rauskam?“

„Doch.“ Er lachte hässlich. „Aber für nix, da wurde sie nämlich von ’nem anderen Kerl begleitet. Noch so’n Nobler – der, mit dem sie vor dem Modeladen gequatscht hat. Und dann is’ sie mit dem weggefahren. Das war’s dann für mich.“

Autor

Amanda Mc Cabe
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Mary Brendan
Mary Brendan wurde in Norden Londons als drittes Kind von sechs Kindern geboren. Ihr Vater hatte eine Klempnerfirma, und ihre Mutter, die sie zum Lesen und lernen anregte, arbeitete als Schulsekretärin.
Mary Brendan heiratete mit 19 Jahren und arbeitete in einer internationalen Ölfirma als Büroangestellte und später dann als Sekretärin in...
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