Historical Lords & Ladies Band 83

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DIE PROVOKANTE HOCHZEITSWETTE von DEBORAH SIMMONS
Die Herzen der Damen fliegen Pagan, Duke of Penhurst, zu. Nur Scholastica Hornsby sagt widerspenstig Nein zu dem charmanten Abenteurer - und weckt damit nicht nur sein Interesse als Verführer! Sondern als Mann, der sich zum ersten Mal nach einer Gefährtin fürs Leben sehnt …

EIN VERBOTEN VERFÜHRERISCHER EARL von NICOLA CORNICK
Überrascht starrt Catriona auf ihren Stammbaum. Kein Zweifel: Sie ist die wahre Herrin des Familiensitzes Glen Clair! Kurz darauf wird die temperamentvolle Schottin von ihrem geldgierigen Onkel entführt - gemeinsam mit Neil Sinclair, dem künftigen Earl of Strathconan. Wird Neil ihr helfen, ihr rechtmäßiges Erbe wiederzuerlangen?


  • Erscheinungstag 02.01.2021
  • Bandnummer 83
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502504
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Deborah Simmons, Nicola Cornick

HISTORICAL LORDS & LADIES BAND 83

1. KAPITEL

Brighton war entsetzlich langweilig. Oder zumindest kam es Pagan so vor, als er das übliche Defilee der reichen und verwöhnten Besucher an der Uferpromenade beobachtete. Er war dem Prinzregenten hierher gefolgt, aber sogar die eleganten und manchmal ausschweifenden Festivitäten im Royal Pavilion begannen ihn zu langweilen. Was ihm noch bei anderen Aufenthalten amüsant erschienen war, kam ihm jetzt nur noch wie aufwendiger Unsinn vor, ebenso wie vieles andere in diesen Tagen.

Obwohl Pagan sich einredete, sein Verdruss habe absolut nichts mit seinem bevorstehenden Geburtstag zu tun, ertappte er sich immer wieder dabei, über die Möglichkeiten nachzugrübeln, die sein Leben noch bereithielt. Welche Wahl blieb ihm schon? Er war kein Landadliger, der sich auf sein Gut zurückziehen wollte, und ebenso wenig fühlte er sich zur Politik berufen, denn er wollte seine Zeit nicht mit sinnlosen Debatten im House of Lords verschwenden. Also fuhr er fort, sich mit Spielen, Trinken und Verabredungen die Zeit zu vertreiben, in Gesellschaft von Freunden, die ihn zunehmend ermüdeten, wie es auch bei demjenigen der Fall war, der gerade an seiner Seite herumlungerte.

Als ob diese Gedanken seines Begleiters ihn veranlasst hätten, das Wort zu ergreifen, beugte sich Hazard Maitland mit einem breiten Grinsen vor, das seine weißen Zähne zur Schau stellte. Was nun folgen würde, war für Pagan so vorhersehbar, dass er gähnen musste.

„Hör doch auf, Pagan. Ich glaube, du nimmst mich auf den Arm. Du kannst auf keinen Fall Ramsey allen Ernstes deine Bestzeit auf der New Road überbieten lassen, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Immerhin hast du einen Ruf zu verteidigen“, sagte Hazard. Er hielt inne und lehnte sich wieder lässig zurück, bevor er die erwartete Wette aussprach. „Ich wette, du kannst seinen Rekord um mehr als eine Viertelstunde übertreffen.“

Hazard trug seinen Spitznamen nicht ohne Grund. Er war ein unverbesserlicher Hasardeur, der stets haarsträubende Wetten vorschlug, mit denen er sich zumeist auf dünnes Eis begab. Nachdem er am Vorabend einiges am Spieltisch verloren hatte, schien er seine Verluste offensichtlich wieder hereinholen zu wollen, aber Pagan fühlte sich nicht in der Stimmung, ihm an diesem Nachmittag die Freude zu machen. Wenn Hazard Geld brauchte, sollte er lieber danach fragen, anstatt seine Notlage mit gewagten Wetten und Maulheldentum zu verschleiern. Es war genau das Getue, das Pagan einmal amüsant gefunden hatte, das ihm aber jetzt überhaupt kein Vergnügen mehr bereitete.

„Nun, wenn du zu faul oder zu feige bist …“, zog Hazard ihn auf.

Pagan lachte, denn der Spott störte ihn nicht. „Rennen auf der New Road ist etwas für grüne Jungen, ebenso wie dem Postkutscher im Vorbeifahren die Zügel zu entreißen oder Frauen vom Erkerfenster des White’s Club aus Liebesschwüre zuzurufen.“

„Grüne Jungen? Oh, du bist immer noch in melancholischer Stimmung wegen deines baldigen Geburtstags!“, schlussfolgerte Hazard.

Pagan gab sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. Er tat alles, um nicht daran zu denken, wie es sich anfühlte, dreißig zu werden – ein Alter, das ihm immer als furchtbar alt vorgekommen war. Nur weil er nicht riskieren wollte, sich den Hals zu brechen, war er noch lange nicht alt. „Ich habe schon so viele Rennen auf der New Road gefahren, dass ich es leid bin“, erwiderte er mit einer Entschiedenheit, von der er hoffte, sie würde dem Thema ein Ende bereiten.

Er wandte die Aufmerksamkeit von seinem Begleiter ab und erneut der eleganten Menschenmenge zu, wobei sein Blick schließlich auf eine Gruppe von Frauen fiel, die offenbar die Passanten belästigten. Das sieht man nicht alle Tage an der Uferpromenade, dachte er neugierig. Anscheinend verteilten die Damen Flugblätter. Vielleicht mit politischen Inhalten? Nein. Damen, insbesondere aus den besseren Kreisen – ein kurzer Blick auf die Kleidung hatte ihm gereicht, um das zu beurteilen – scherten sich nicht um politische Fragen. Möglicherweise ist es etwas Religiöses? Er stellte sich das lange Gesicht des Prinzregenten vor, wenn er ihm berichten würde, dass die Methodisten in Brighton eingefallen wären. Der Gedanke belustigte ihn, und er kam zu dem Schluss, dass sie wenigstens wie Methodisten aussahen. Eine hatte ein käsiges Gesicht, und die andere war eine hohlwangige Matrone, die einen Furcht einflößenden Eindruck machte.

Erst als Pagan die Dritte der Gruppe genauer erkennen konnte, schien ihm die Verbindung zur Kirche nicht mehr haltbar. Mahagonifarbene Locken schauten unter einem Strohhut mit Seidenband hervor, glänzten im Sonnenlicht und umgaben ein wohlgeformtes Gesicht. Ihr cremefarbener Teint wurde durch ein wenig Rosa an den zarten Wangen akzentuiert, ein Detail, das zu der erfrischenden Keckheit passte, mit der sie den Hut aufgesetzt hatte. Dunkle Brauen wölbten sich über Augen, deren Farbe er nicht ausmachen konnte, weshalb er eine Weile damit zubrachte, die Farbe zu erraten. Warum hatte Hazard keine Wette vorgeschlagen, bei der es um etwas vergleichbar Fesselndes ging?

Ein prüfender Seitenblick reichte aus, um zu bemerken, dass Hazard den Frauen gar keine Beachtung schenkte. Was wieder einmal beweist, wie langweilig er ist, dachte Pagan und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der kleinen Charmeurin zu. Zumindest einem weiteren männlichen Wesen war die brünette Schönheit aufgefallen, denn ein rotgesichtiger Kerl blieb stehen, um mit einer schwungvollen Bewegung ein Flugblatt aus ihren behandschuhten Händen entgegenzunehmen. Er schien in der Tat sehr von der Frau eingenommen, bis er gelesen hatte, was auf dem Papier stand.

„Eine neue und anspruchsvolle Schulbildung für junge Damen! Pah!“, rief er. „Es ist reine Geldverschwendung, Frauen überhaupt zur Schule zu schicken! Wollen Sie einen Haufen Blaustrümpfe heranzüchten? Frauenbildung, dass ich nicht lache!“ Unter missbilligendem Schnauben warf er das Blatt ungeniert auf den Boden.

Für ihn mochte die Sache mit der anmutigen Dame damit beendet sein, nicht jedoch für sie. „Wie können Sie es wagen, Sir?“, schrie sie. Offensichtlich war sie nicht so bezaubernd, wie sie aussah, denn sie umrundete ihn mit wütender Miene, wobei Pagan etwas Unbeugsames in ihrem Gesicht auffiel, das ihm zuvor entgangen war. „Wie kann man sich nur so unzivilisiert benehmen? Liegt es vielleicht an Ihrer eigenen Unwissenheit? Möglicherweise benötigt Ihr Verstand zur Auffrischung eine gute Dosis von Mary Astell und Catherine Macaulay!“

Ah, ein weiblicher Philosoph, dachte Pagan, während die Matrone vortrat, um die hitzige Schönheit zu bremsen. Zu schade, dass sie ihre feurige Leidenschaft an Bildung vergeudet, überlegte er enttäuscht. Er setzte seine Beobachtung gerade noch lang genug fort, um sicherzugehen, dass der getadelte Gentleman ohne weitere Vorkommnisse das Feld geräumt hatte. Dann verlor er sein Interesse und drehte sich wieder zu Hazard um, der ihn neugierig betrachtete.

„Pagan, du bist tödlich gelangweilt und weißt das auch. Warum gehst du nicht auf eine meiner Wetten ein, um deinem Leben wieder etwas Prickelndes zu verleihen?“

Pagan seufzte. Hazard tat alles, um seine tödliche Langeweile noch zu verschlimmern. „Wenn es ausnahmsweise mal um Faszinierenderes geht, als die Gesundheit meiner besten Pferde auf einer schlechten Straße aufs Spiel zu setzen, überlege ich es mir“, erwiderte er langsam.

„Kein Problem! Rennen haben ohnehin an Glanz verloren. Ein alter Hut. Ich dachte an etwas, das mehr mit deinem besonderen Fachgebiet zu tun hat …“

„Hallo!“ Gerade fuhr ein Landauer an ihnen vorbei, in dem zwei Damen saßen – eine von ihnen die Gattin einer echten Berühmtheit –, die sich beide vorbeugten, um Pagan anmutig mit ihren Taschentüchern zu winken. Den Gruß erwiderte er mit einem trägen Nicken. Wenn er sich auch nur geringfügig anstrengte, würde ihm die Gattin der berühmten Persönlichkeit rasch zu Füßen liegen, wohingegen die andere Frau bereits bewiesen hatte, eine einfallsreiche Geliebte zu sein. Pagan lächelte, als er sich daran erinnerte.

„Man sagt, es gäbe keine Frau, die dich nicht begehrt“, merkte Hazard an und pfiff leise, während die Kutsche weiterfuhr.

Pagan zuckte mit den Schultern. Frauen gehörten zu den wenigen Vergnügen, derer er noch nicht überdrüssig war, auch wenn er in letzter Zeit viel wählerischer geworden war. Es hat nichts mit meinem Alter zu tun, sondern damit, dass sich mein Geschmack verfeinert hat, redete er sich ein.

„Aber ich behaupte, dass es eine gibt, die sich nicht die Bohne für dich interessiert.“ Hazard hob verschwörerisch die Stimme. „In der Tat wette ich darauf. Was sagst du nun?“

Pagan drehte den Kopf seinem Begleiter zu und musterte ihn fragend. Hatte er dessen Geschwätz richtig verstanden?

Hazard grinste erwartungsvoll. „Ich wette mit dir um die übliche Summe, dass ich eine Frau kenne, die du mit deinem Charme nicht verzaubern kannst.“

Obwohl es unvernünftig war, reizte Pagan der Wettvorschlag. Nichts genoss er mehr als eine Frau zu erobern, auch wenn es bislang in den meisten Fällen keine echte Herausforderung gewesen war. Auf diesem Gebiet hatte er einen Ruf zu wahren, der ihm weit wichtiger war als der Rekord auf der New Road. Und wenn er ablehnte, würde Hazard ihn so lange mit irgendwelchen Spielchen belästigen, bis er entweder nachgab oder das Weite suchte. Diese Wette weckte wenigstens sein Interesse.

Er richtete sich auf und löste sich von dem Backsteingebäude, gegen das er sich gelehnt hatte. „Na schön, aber sie muss aus unserer Gesellschaftsschicht sein und ein vernünftiges Alter haben“, warnte er Hazard. Er hatte nicht vor, seine beträchtlichen Fähigkeiten an eine alte Schachtel oder an irgendeine kleine Schlampe zu vergeuden.

„Aber natürlich!“, versicherte Hazard bereitwillig. Ein wenig zu bereitwillig, dachte Pagan. Welche Frau hielt er für gefeit gegen seinen Charme? Eine Anhängerin von Sappho? Eine hingebungsvolle Ehefrau? Pagan lächelte ein wenig selbstgefällig, denn solche Frauen befanden sich längst auf der Liste seiner Eroberungen. Er überlegte, was Hazard tun würde, wenn er schon wieder eine Wette gegen ihn verlor. Vielleicht würde ihm diese demütigende Erfahrung gut tun.

„Also, um wen handelt es sich?“, erkundigte er sich herablassend. Sein Ansehen bei den Damen schien ihm unanfechtbar. Die Frauen bewunderten ihn, seit er kaum den Jungenkleidern entwachsen war. Nicht einmal das Herannahen des gefürchteten Geburtstags vermochte sein legendäres Verführungstalent infrage zu stellen. Siegesgewiss hob er die Brauen, doch Hazard schien sich seiner Sache ebenso sicher zu sein.

„Es handelt sich um Miss Scholastica Hornsby“, verkündete er mit einem verdächtig triumphalen Grinsen.

„Wer?“, fragte Pagan nach, denn er konnte den Namen zunächst keiner ihm bekannten Person zuordnen. Scholastica. Was ist das überhaupt für ein Name?

„Die junge Dame dort vorn“, erläuterte Hazard, hob eine Hand und wies auf einen Punkt in der Nähe. Von einer bösen Ahnung befallen, drehte sich Pagan in die angezeigte Richtung, und ihm wurde klar, dass es sich beim Objekt der Wette um niemand anderen als die brünette Schönheit handelte, die nach wie vor Flugblätter verteilte und gerade laut über die Verteidigung von Frauenrechten redete.

Pagan lehnte sich stöhnend zurück gegen die Ziegelmauer. Es war zu spät, um einzusehen, dass seine Eitelkeit ihn zu einer voreiligen Zustimmung getrieben hatte. Möglicherweise hatte ihn auch der bevorstehende Geburtstag dazu gebracht, um jeden Preis seine Männlichkeit beweisen zu wollen. Sonst stets geistesgegenwärtig, war er diesmal direkt in Hazards Falle getappt, und von jemandem mit Hazards begrenztem Verstand hereingelegt zu werden … nun, das war in der Tat schmachvoll.

Er hätte viel konkretere Vorgaben machen müssen, vor allem hätte er auf ein Mindestalter bestehen müssen, denn dieses Mädchen wirkte, als ob es noch nicht lange das Schulzimmer verlassen hätte. Normalerweise mied Pagan einen solchen Typ Frau wie die Pest. Er mochte elegante Frauen, die über Erfahrung und Selbstbewusstsein verfügten. Junge Dinger wie dieses besaßen weder das eine noch das andere, sofern sie nicht vollkommen verdorben waren, was noch schlimmer war.

Und was die Eleganz betraf, so konnte er nichts auch nur entfernt Stilvolles daran finden, auf der Straße irgendwelche Passanten anzuhalten, nur um für eine bessere Schulbildung für Mädchen und Frauen zu werben. Bevor er auf diese Wette einging, hätte er zudem ein Mindestmaß an Verstand festlegen sollen! Der Gedanke versetzte ihn in noch größeren Schrecken, denn ihm wurde bewusst, dass Scholastica eines von Cubby Hornsbys Kindern sein musste.

Vermutlich unehelich verwandt mit dem Duke of Carlyle, wetteiferte Cubby mit Henry Cope, dem Grünen Mann, Brightons berühmtestem Exzentriker. Cope kleidete sich ausschließlich grün, aß nur Grünes und atmete wahrscheinlich lediglich grüne Luft ein, wohingegen Cubby ein Philosoph war, der in seinem weitläufigen Anwesen am Stadtrand sogenannte Genies und moderne Denker versammelte, einschließlich mehrerer weiblicher Kollegen sowie einer ganzen Schar von Kindern unbestimmter Abstammung. Dieses arme Mädchen, das in einer solchen Umgebung aufgewachsen war, hatte wahrscheinlich ebenso wie Cubby und der Rest des Haushalts nicht alle Sinne beisammen.

Verärgert wandte sich Pagan an seinen Begleiter, um Einspruch zu erheben, doch Hazard stoppte ihn sogleich mit einem spöttischen Grinsen. „Du hast doch nicht etwa gedacht, ich würde es dir zu leicht machen?“, spottete er.

Pagan kniff die Augen zusammen und überlegte, ob ein paar ausgeschlagene Zähne Hazards selbstgefälligem Lächeln den Glanz nehmen würden. Selbstverständlich konnte er die Wette einfach beenden, Hazard das Geld geben und über die ganze Sache lachen. Aber schließlich stand etwas auf dem Spiel: sein Stolz, sein Ruf oder einfach seine Fähigkeit, sich einer Herausforderung zu stellen. Natürlich hatte das nichts mit seinem baldigen Geburtstag zu tun.

Also holte Pagan tief Luft, zuckte mit den Schultern und begann, sein Opfer zu taxieren.

„Schau bloß nicht zu ihm hin!“ Miss Rawlings’ Warnung ließ Scholastica überrascht hochblicken.

„Zu wem?“, erkundigte sie sich, obwohl sie bereits annahm, dass sich die ältere Frau auf einen der beiden Gentlemen bezog, die schon eine ganze Weile lang untätig an einem Gebäude in der Nähe lehnten. Fraglos handelte es sich um Müßiggänger. Allerdings hatten sie ihre Bemühungen, Werbung für Miss Crosswaithes Schule für junge Damen zu machen, bislang nicht behindert. Sie wirkten nicht wie Straßenräuber, und sie konnte sich auch kaum vorstellen, dass es jemand wagen würde, Frauen hier im Herzen von Brightons vornehmstem Stadtteil zu behelligen. Warum sollte sie also nicht zu ihnen hinübersehen? Scholastica, die auf Anordnungen noch nie mit besonderem Eifer reagiert hatte, wandte den Kopf ganz automatisch den zwei Männern zu. Doch noch bevor sie die beiden genau ins Visier nehmen konnte, packte Miss Rawlings sie fest am rechten Arm und drehte sie in die entgegengesetzte Richtung.

„Schau nicht hin!“, zischte die ältere Frau.

„Oh, nein!“ Jetzt war es Matilda, die aufgebracht flüsterte und sich in ihrer unerträglichen Lehrerinnenmanier empörte. „Er kommt hierher!“

„Wer?“, fragte Scholastica mit größerem Nachdruck. Sofern der Kerl nicht der Teufel höchstpersönlich war, konnte sie nicht nachvollziehen, weshalb sie ihn nicht ansehen durfte. Da sie kein Mensch war, der sich leicht etwas verbieten ließ – was jeder, der sie kannte, wusste –, befreite sie sich kurzerhand aus Miss Rawlings’ Griff, drehte sich um und sah … den berühmt-berüchtigten Duke direkt vor sich.

Scholastica blieb der Mund offen stehen, denn aus Miss Rawlings’ Sicht war der Duke wahrhaftig nichts anderes als der personifizierte Teufel. Sie hatte ihn zuvor nur aus größerer Entfernung unter den eleganten Begleitern des Prinzregenten gesehen. Der Duke of Penhurst war ein reicher, mächtiger und sündhaft attraktiver Lebemann, ein verruchter Charakter, von dem nicht das geringste Interesse an Frauenbildung zu erwarten war, außer es handelte sich um die Art von Wissen, die in den einschlägigen Etablissements gelehrt wurde.

„Vielleicht sollten wir besser nach Hause gehen, Mädchen“, sagte Miss Rawlings, ohne sich allerdings einen Schritt von der Stelle zu bewegen. Tatsächlich schien sie wie angewurzelt und starrte den Aristokraten an, als wäre sie durch einen Zauber gebannt. Scholastica verspürte keine Verzauberung. Schließlich war der Mann ein zügelloser Charakter, höchstwahrscheinlich noch unsensibler als Cubby, und er verdiente demzufolge nicht die geringste Aufmerksamkeit. Obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, was er um Himmels willen von ihr wollte, blieb sie eisern stehen und hob das Kinn, während sie für alle Fälle die Flugblätter umklammerte, als handele es sich dabei um einen schützenden Schild.

„Guten Tag, meine Damen“, begrüßte er sie mit einer tiefen Verbeugung, und sofort wurde Scholastica eines klar. Und zwar, dass er überhaupt nicht so alt war. In der Tat schien er in der Blüte des Lebens zu stehen, und sie verstand nur zu gut, dass er seine unglückseligen Opfer verzauberte. Er war so dunkel und schön wie ein Erzengel, seine Stimme war verführerisch wie köstliches Konfekt. Kurz und gut, er war von verführerischer Erscheinung, verwegen und gefährlich.

Nach nichts davon stand Scholastica der Sinn.

„Euer Gnaden“, sagte sie mit einem angedeuteten Knicks.

„Sie werden mir doch gewiss auch eines der interessanten Pamphlete geben, die Sie an die Massen von Brighton verteilen?“ Sich erneut leicht verbeugend, griff er nach einem der Flugblätter, doch noch immer umklammerte Scholastica sie fest. „Darf ich?“, fragte er und hob die Brauen. Er zog an dem Stapel, und Scholastica gab schließlich widerwillig ein Blatt frei, weil sie nicht mit ihm darum ringen wollte.

„Vielen Dank“, sagte er, und seine schön geschwungenen Lippen formten sich zu einem Lächeln, als ob sie ihn belustigt hätte.

„Ich kann mir kaum vorstellen, dass es Sie interessiert, Euer Gnaden“, bemerkte Matilda in ziemlich unwirschem Tonfall, sichtlich unbeeindruckt von der einnehmenden Erscheinung des Duke. Wohingegen es Miss Rawlings offenkundig misslang, sich die eigenen Warnungen zu Herzen zu nehmen, denn es schien, als habe die Aura seiner Gegenwart sie sprachlos gemacht.

Er beachtete weder die eine noch die andere, sondern beugte sich näher zu Scholastica vor, die er aufdringlich musterte. Zweifellos lag es in seiner Absicht, sie nervös zu machen. „Dann sind Sie also Miss Crosswaithe?“, erkundigte er sich mit einem Blick auf das Flugblatt.

Einen Moment lang brachte Scholastica keine Antwort über die Lippen, da sie gerade festgestellt hatte, dass seine Wimpern beinahe ebenso lang und geschwungen waren wie ihre eigenen. Als er die Lider hob, bemerkte sie das Funkeln in seinen dunklen Augen und sammelte sich. Wie beängstigend, dass ich auf einmal von den niedrigsten weiblichen Schwächen eingeholt werde! Doch sie konnte auf die nötige innere Stärke zurückgreifen, um das lächerliche Herzrasen zu unterbinden.

„Nein, dies hier ist Miss Crosswaithe“, erklärte sie und schob Matilda nach vorn. „Wieso? Haben Euer Gnaden etwa Interesse an Schulbildung für Mädchen?“

„Das wage ich zu bezweifeln“, kommentierte Matilda und schaute den Duke mit strenger Miene an. „Ich habe vor, meine Schülerinnen für andere Dinge auszubilden als die, welche Sie im Sinn haben!“, erklärte sie, als würde sie einen kleinen Jungen tadeln, den sie bei einem Streich erwischt hatte. Einem Mitglied des Hochadels gegenüber wirkte ihr Tonfall ausgesprochen anmaßend.

Mit einer anmutigen Bewegung, die keinen Zweifel an seiner Arroganz aufkommen ließ, hob der berühmt-berüchtigte Duke den Kopf. Scholastica hielt den Atem an. „Verzeihen Sie, ich glaube, ich habe nicht recht verstanden“, erwiderte er, womit er Matilda nachsichtigerweise die Möglichkeit gab, ihre Worte als unausgesprochen zu betrachten.

„Er wird langsam alt“, bemerkte eine Stimme aus dem Hintergrund, und als Scholastica sich umdrehte, sah sie, dass sich der andere Gentleman, der die ganze Zeit neben dem Duke an der Mauer gestanden hatte, zu ihnen gesellt hatte. Auch er kam sehr nah an sie heran. „Bald hat er Geburtstag. Das macht ihn so reizbar“, raunte er ihr zu, als wollte er ihr ein Geheimnis anvertrauen.

Der Duke tat, als ob der Mann gar nichts geäußert hätte, und Scholastica überlegte, ob er vielleicht tatsächlich schwerhörig war. „Nun, ich habe gehört, die Meeresluft kann bei Altersbeschwerden wahre Wunder bewirken“, erklärte sie keck.

Erneut legte der Duke den Kopf leicht zur Seite und betrachtete sie von oben herab, während sein Freund laut auflachte. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Offenkundig war er empfindlich, wenn es um sein Alter ging, obwohl Scholastica ihn auf kaum dreißig schätzte, und er überdies so attraktiv war, dass vermutlich niemand auf die Idee kam, nach seinem Alter zu fragen. Sicher lag es an seiner Eitelkeit.

Scholastica rief sich in Erinnerung, dass sie es hier mit einem Mann zu tun hatte, der sein Leben ganz dem Vergnügen widmete, anstatt sein Geld und seine Position zu nutzen, um sich für die Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse einzusetzen. Als sie sich dies vor Augen führte, beschloss sie, ihm einen ordentlichen Dämpfer zu verpassen.

„Sie werben für eine Frauenschule“, erläuterte der andere Gentleman ein bisschen zu laut, als ob er seinen Scherz weiter vorantreiben wollte. „Nichts von Interesse für den Duke of Penhurst, würde ich sagen.“

Unwissentlich lieferte er Scholastica damit eine Steilvorlage. „Oh, das würde ich nicht so sehen“, widersprach sie und schenkte dem Duke ein fröhliches Lächeln. „Vielleicht kann Euer Gnaden die Schule an seine Töchter oder Enkelinnen weiterempfehlen!“

Diesmal ließ die Miene des Aristokraten keine Zweifel zu. Hinter der höflichen Fassade schien etwas Bedrohliches aufzublitzen, als hätte Scholastica eine schlafende Bestie geweckt, die bereit war zu töten.

Sogar der benommen wirkenden Miss Rawlings musste es aufgefallen sein, denn sie stellte sich plötzlich zwischen die beiden jüngeren Damen und die zwei Gentlemen. „Wir sollten nun wirklich nach Hause gehen, Mädchen“, erklärte sie und griff nach Scholasticas linkem Arm, um sie aus den Fängen des Wolfs zu befreien. Der Mann wirkte jetzt allerdings nicht mehr wie ein verwöhnter Verführer. Jeder Ausdruck von Langeweile war aus seinem attraktiven Gesicht gewichen.

Ein letzter Blick auf den berühmt-berüchtigten Duke verriet Scholastica, dass er sie mit unumwundener Feindseligkeit anstarrte.

2. KAPITEL

Während des ganzen Rückwegs bis zu ihrem Haus wurde Scholastica von ihren Begleiterinnen überschwänglich für ihren Umgang mit dem „Eindringling“, wie Miss Rawlings ihn diskret nannte, gelobt. Besonders Matilda ereiferte sich gegen den Duke, wohingegen Miss Rawlings leicht nachdenklich wirkte, als ob ihre sonst so festen Überzeugungen ein wenig ins Wanken geraten wären.

Obgleich sie die Komplimente widerspruchslos entgegennahm, verspürte Scholastica eine gewisse Enttäuschung. Immerhin traf sie nicht jeden Tag eine so berüchtigte Persönlichkeit, zumal die Begegnung wirklich sehr kurz gewesen war. Viel zu kurz, wie sie jetzt fand. Wenn sie sich nicht gezwungen gesehen hätte, ihn zu verspotten, hätte die Unterhaltung länger dauern können. Selbstverständlich wäre das nur aus Zwecken der Bildung wünschenswert gewesen und nicht etwa, weil seine breiten Schultern und die tiefe, samtige Stimme sie verzaubert hätten.

Nachdem sie sich von ihren Begleiterinnen am Tor des Anwesens verabschiedet hatte, betrat Scholastica missmutig das Haus und ging hinauf in die erste Etage. Sie wollte nicht behaupten, dass das Aussehen und die Haltung des Duke sie unbeeindruckt gelassen hätten, doch ihr schien die aufregende Spannung, die während ihres Zusammentreffens geherrscht hatte, noch interessanter. Obwohl es unvernünftig war, hatte sie das kleine Rededuell mit ihm genossen.

Und eben wegen dieses Vergnügens bedauerte sie nun ihre scharfe Zunge, derweil sie sich für das Abendessen umzog. Wenn sie ganz ehrlich war, langweilte sie sich zunehmend in der immer gleichen Gesellschaft, die sie umgab, auch wenn sie es niemals laut zugegeben hätte. Cubby war immens stolz auf „die bunte Mischung an Ideen“, wie er es nannte, die sich in Gestalt einiger Exzentriker um ihn scharten, aber in Wahrheit kamen bei diesen Zusammenkünften nur sehr wenige neue und originelle Gedanken zur Sprache.

Seine Gäste pflegten alle dieselben „radikalen“ Vorstellungen, auch wenn sie sich nach den Erschütterungen in Frankreich von grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen abgewandt und sich den rein abstrakten Philosophieströmungen zugewandt hatten. Cubby war der unumstrittene Mittelpunkt der Runde, der jede Manuskriptveröffentlichung großzügig finanzierte, und er war es auch, der die Teilnehmer und Langzeitgäste auswählte. Sie alle waren äußerst bemüht, ihm zu gefallen, damit sie weiterhin eingeladen wurden, ein Zugeständnis, zu dem sich die oftmals verarmten Schriftsteller und Denker gezwungen sahen, die froh über eine gute warme Mahlzeit waren. Möglicherweise war es eine zynische Sicht auf die Dinge, doch je erwachsener Scholastica wurde, desto weniger kamen ihr die abendlichen Salons als ein Austausch von Ideen vor. Es schien ihr, als würde sie nur noch das Nachplappern von Cubbys aktuellen Geistesblitzen vernehmen.

Der berühmt-berüchtigte Duke würde niemandem nach dem Mund reden, nahm Scholastica an. Wenn man den Gerüchten glauben durfte, war er allein sich selbst Gesetz, gleichgültig gegenüber Beeinflussungen und Meinungen anderer, außer vielleicht die des Prinzregenten höchstpersönlich. Zweifellos unterschied er sich von allen, denen sie bisher begegnet war. Und da sie Individualität zu schätzen wusste, wünschte sich Scholastica, seinen Charakter etwas genauer studieren zu können. Auch wenn es nach dem, was man sich über ihn erzählte, keine so gute Idee sein mochte. Nur zu deutlich erinnerte sie sich daran, wie seine tiefe Stimme in ihrem Inneren nachgeklungen und wie er sie mit seinen dunklen Augen angesehen hatte.

Scholastica überlief ein Schauer. Wahrscheinlich würde sie ihn nie wiedersehen, denn sie hielt sich nicht für eine jener willenlosen Frauen, die beim Anblick eines attraktiven Gesichts schwach wurden. Nie in ihrem Leben hatte sie sich dazu herabgelassen, sich bei einem Mann anzubiedern, und das würde sie auch jetzt nicht tun. Sollten doch ruhig die anderen, die geistlosen Damen von Brighton, den Duke umlagern und um dessen Aufmerksamkeit buhlen, nicht jedoch sie. Sie hatte Wichtigeres zu tun.

Wenigstens redete sie sich das ein, während sie die Stufen zum Speisezimmer hinuntereilte, wie so oft verspätet – diesmal, weil sie zu lange über die nachmittägliche Begegnung nachgedacht hatte. Damit sollte nun Schluss sein! Ich werde den Duke ein für alle Mal aus meinem Gedächtnis löschen, beschloss sie und erstarrte vor Staunen. Eine Hand verharrte auf dem mit Schnitzereien verzierten Geländer. Ihr Erstarren war verständlich, denn am Fuß der Treppe stand niemand anderes als das Objekt ihrer Grübelei, der berühmt-berüchtigte Duke of Penhurst höchstpersönlich.

Scholastica blinzelte ungläubig, als habe sie ihn mit ihrem intensiven Nachsinnen herbeigezaubert. Doch fraglos wurde keine Erinnerung dem leibhaftig anwesenden Mann gerecht: hochgewachsen, dunkelhaarig, mit dunklen Augen und mit einer männlichen Ausstrahlung, die melancholische Dichter wie Byron niemals haben würden und um die ihn Dandys wie Brummel nur beneiden konnten.

Er redete mit Cubby, doch schien er ihr Kommen bemerkt zu haben, denn er drehte leicht den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Zu direkt und zu vertraut. In der Tat war es, als ob nichts und niemand zwischen ihnen stünde, als ob sie beide allein im Haus wären, allein in der Stadt, allein auf der ganzen Welt. Und dann, als ob er ihre Gedanken lesen könnte, lächelte er sinnlich und in einer wissenden Weise, die sie sofort wieder zur Vernunft brachte. Denn dieses selbstgefällige Lächeln verriet ihr eindeutig, dass er sie für eine dieser einfältigen Frauen hielt, die ihm zu Füßen lagen und nur zu gern in sein Bett hüpften. Scholastica drückte den Rücken durch, hob das Kinn und ging die restlichen Stufen nach unten, in der festen Absicht, ihm zu zeigen, dass sie anders war.

„Ah, Scholastica, meine Liebe“, begrüßte Cubby sie mit dem üblichen heiteren Überschwang, was sie lediglich mit einem knappen Nicken beantwortete.

Freundlich lächelnd wandte er sich wieder dem Duke zu. „Euer Gnaden, dies ist meine Tochter Scholastica. Ist sie nicht ein Kleinod?“

Gar nicht erst auf die Bestätigung wartend, fuhr Cubby mit dem Vorstellen fort. „Scholastica, dies ist der Duke of Penhurst, ein regelmäßiger Besucher in Brighton, oder nicht, Euer Gnaden?“

„Ganz recht, obwohl ich bislang noch nicht das Vergnügen hatte, bei einer Ihrer lebhaften Zusammenkünfte eingeladen zu sein“, erwiderte Pagan.

„Ein Fehler, den ich nur zu gern wiedergutmache“, beteuerte Cubby herzhaft lachend.

„Miss Scholastica, ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte der Duke und nickte langsam, ohne den Blick eine Sekunde von ihrem Gesicht abzuwenden. Um sich gegen die Anziehungskraft seiner dunklen Augen zu stählen, war Scholastica versucht, ihm die Zunge herauszustrecken, doch da Cubby so einen erfreuten Eindruck machte, hielt sie sich zurück.

„Darf ich Sie an den Tisch begleiten?“, fragte der Duke und bot ihr seinen rechten Arm, als ob ihre Zustimmung eine ausgemachte Sache wäre. Dieser arrogante Mann muss dringend wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden! dachte Scholastica und fühlte sich zu dieser Aufgabe berufen. Sehr zu ihrem Verdruss konnte sie seine Aufforderung schlecht ablehnen, aber beim Gedanken daran, wie ein Dinner bei den Hornsbys normalerweise ablief, bekam sie wieder gute Laune. In einer Viertelstunde würde der elegante Aristokrat wahrscheinlich fluchend aus dem Zimmer laufen. Ein kleines teuflisches Lächeln auf den Lippen, nickte sie dem Duke in vermeintlichem Einvernehmen zu.

Tatsächlich konnte Scholastica es kaum erwarten zu sehen, wie seine selbstsichere Gelassenheit ins Wanken geriet. Es würde nicht allzu lange dauern. Weder der Koch noch die Haushälterin waren je darüber informiert, wie viele Gäste am Tisch Platz nehmen würden, und da es Cubby nie gelang, gutes Personal über einen längeren Zeitraum zu halten, war schon das Menü eine fragwürdige Angelegenheit. Ihre zehn Halbgeschwister warteten bereits im Zimmer, ebenso wie einige der Langzeitgäste des Haushalts, darunter eine mittelmäßig talentierte Dichterin und ein hitziger Redner. In einer anderen Ecke stritten träge ein paar junge Männer miteinander, die in der besonderen Gunst des Gastgebers standen und daher bei den Zusammenkünften häufig anzutreffen waren.

Gewiss hat der Duke eine solche Runde nie zuvor erlebt, dachte Scholastica schadenfroh. Bestimmt regt es ihn so auf, dass er niemals wieder einen Fuß über die Schwelle setzt! Als sie jedoch einen Seitenblick auf sein einnehmendes Gesicht warf, wirkte er völlig entspannt, sogar dann noch, als er sie entgegen jeder Etikette als Erster an den Tisch führte. Offenkundig konnte dieser Mann tun, was immer ihm gefiel, und tat dies auch zweifellos, ebenso wie er sich einfach aussuchte, wen er an den Tisch begleitete.

Er nahm mit einer geschmeidigen Bewegung neben ihr Platz, und Scholastica kam der finstere Verdacht, dass er nie das Selbstbewusstsein verlor und alles unter Kontrolle behielt, egal wo er sich gerade befand. Und als sie darauf wartete, dass ihn der Lärm, die seltsame Abfolge und Kombination der Speisen, die launische Bedienung und die langatmigen, wirren Streitereien über Literatur und Philosophie wahnsinnig machen würden, rutschte er noch nicht einmal unruhig auf dem Stuhl hin und her, sondern nahm eine entspannte, wenngleich elegante Pose ein, als wäre er einfach nur leicht gelangweilt.

Scholastica hätte nicht genau sagen können, ob seine Haltung echt war oder einfach nur zu seiner Rolle als Aristokrat und Lebemann gehörte. Doch trotz seiner scheinbaren Apathie spürte sie, dass er sie aufmerksam beobachtete. Wie ein Habicht, der einen piepsenden Leckerbissen ins Visier nimmt! Ob aus diesen dunklen Augen aufrichtige Bewunderung oder nur die gekränkte Eitelkeit eines verschmähten Mannes sprach, hätte sie nicht sagen können. So oder so war sie entschlossen, ihn zu ignorieren.

Als der Abend jedoch fortschritt und der Mann an ihrer Seite keinerlei Anstalten machte, mit ihr zu reden, war es mehr und mehr Scholastica, die sich gekränkt fühlte. Wie üblich wetteiferten die anderen jungen Männer am Tisch um ihre Aufmerksamkeit, die sie ihnen gern zuteilwerden ließ. Wenngleich sie vielleicht mehr Anteilnahme zur Schau trug, als sie beabsichtigte, gerade weil der Duke nicht zu denen gehörte, die sich um ihre Gunst bemühten. Er saß überwiegend schweigend da, warf nur hin und wieder ein allgemeines Wort in die Runde oder flüsterte der Dame zu seiner Linken – der mittelmäßigen Dichterin, für die er sich wohl kaum ernsthaft interessierte – etwas Unverständliches zu.

Warum ist er gekommen? fragte sich Scholastica, die sich zunehmend über sein Verhalten ärgerte. Was tat er überhaupt hier? Als die letzten Früchte und etwas Gebäck auf den Tisch gestellt wurden, war sie versucht, ihn ganz direkt danach zu fragen – oder ihn mit einem Finger anzustupsen, um zu prüfen, ob er echt war. Sie begann ihn als bloßes Hirngespinst einer verzweifelt nach neuen Anregungen gierenden Vorstellungskraft zu betrachten.

„Eine Pflaume?“ Nach seiner langen Unaufmerksamkeit ließ der Klang seiner tiefen Stimme sie erstaunt herumfahren. Er hatte sie aufs Äußerste gereizt – was ungewöhnlich war, wenn wir uns recht erinnern! –, und nun wünschte sie ihn zum Teufel, als sie in sein ebenso gelassenes wie attraktives Gesicht schaute.

„Oh, Euer Gnaden sind noch hier? Ich dachte, Sie wären bereits während des ersten Gangs verschwunden oder zumindest eingeschlafen. Das passiert ja betagteren Leuten manchmal“, sagte sie spöttisch, entschlossen, den wunden Punkt zu treffen, der seiner Eitelkeit am meisten zusetzte. Ein wenig überrascht blickte er sie an, und da sie gehofft hatte, ihn aus der Fassung zu bringen, war Scholastica völlig unvorbereitet, als er anfing zu lachen. Wie alles an ihm war auch sein Lachen geschmeidig und sinnlich und derartig ansteckend, dass sie sich große Mühe geben musste, nicht schwach zu werden.

„Oh, ich bin immer noch hier, bin lebendig und in jeder Hinsicht wach“, beteuerte er und beugte sich viel zu nah an sie heran. „Möchten Sie das auf die Probe stellen, meine Liebe?“

Seine Nähe, seine Stimme und nicht zuletzt seine Worte ließen sie erröten. Erstmals in ihrem Leben wünschte sich Scholastica inbrünstig, einen dieser unnützen Fächer dabeizuhaben, die andere Damen für unverzichtbar hielten. Den hätte sie jetzt gewiss gut gebrauchen können, denn die Atmosphäre um sie herum hatte sich plötzlich in erschreckendem Maße erhitzt. Sie hätte eine Hand oder die Serviette benutzen können, um sich kühle Luft zuzufächeln, aber zum Glück lehnte sich der Duke gerade in diesem Moment wieder entspannt zurück, als ob nichts geschehen wäre.

Dieser Wechsel erfolgte so rasch, dass Scholastica ihn erstaunt anblinzelte und überlegte, ob sie seine Verwandlung vom gelangweilten Zuschauer zum sich plötzlich auf sie stürzenden Räuber lediglich geträumt hatte. Und doch ließ sie das unheimliche Gefühl nicht los, dass er sich nur scheinbar zurückhielt und jederzeit bereit war, zuzuschlagen, wobei er bei seinem Opfer hitzige Erregung, Verwirrung und gedankenlose Sehnsucht hervorrief. Aber ganz sicher war sie nicht sein Opfer!

Auch wenn die Annahme schmeichelhaft war, seine Gegenwart hätte etwas mit ihr zu tun, glaubte Scholastica nicht ernsthaft daran. Zwar umgaben zahllose Gerüchte den Duke bei jedem seiner Brighton-Aufenthalte, doch betrafen sie zumeist verheiratete Aristokratinnen oder, was weit seltener vorkam, eine anrüchige Gestalt der Halbwelt. Der arrogante Herzog würde wohl kaum seine Zeit darauf verschwenden, Jagd auf ein unerfahrenes Mädchen wie sie zu machen. Oder etwa doch?

„Ich überlege mir gerade, weshalb Sie so erpicht darauf waren, einen von Cubbys Abenden mitzuerleben, wenn Sie derart wenig zur Konversation beitragen, Euer Gnaden“, bemerkte Scholastica, die seine wahren Absichten ergründen wollte.

Er lächelte wissend. „Oh, ich garantiere Ihnen, hier etwas gefunden zu haben, das mich sehr interessiert“, gab er Auskunft.

Angesichts seiner außerordentlichen Arroganz hob Scholastica die Brauen. „Außerdem fragt man sich, womit Sie einen Spitznamen wie Pagan verdient haben“, sagte sie herausfordernd. Eine ganze Reihe von Aristokraten, insbesondere die von schlechtem Ruf, trugen Spitznamen, solche wie Hellgate oder Cripplegate. Auch Pagan – der Heide – wies zweifelsohne auf ein Leben voller Verdorbenheit hin.

„Ich kam zur Welt“, antwortete er. Als Scholastica ihn erstaunt anblickte, lächelte er verführerisch. „Das ist mein Name.“

„Oh“, flüsterte Scholastica. „Zweifellos ist es Ihnen gelungen, Ihr Leben danach einzurichten“, sagte sie, doch der berühmt-berüchtigte Duke lachte nur und nahm ihrer verbalen Attacke dadurch jede Wirkung.

Plötzlich wurde Scholastica sich wieder des müden Auf und Abs um sie herum bewusst, und sie beschloss, dass es an der Zeit war, ihren Standpunkt ein für alle Mal zu verdeutlichen, zumal dieser Mann sie offenkundig für eine leichte Beute hielt, egal welches Spielchen er gerade im Sinn hatte.

„Kann ich Ihre Anwesenheit nach unserer nachmittäglichen Begegnung darauf zurückführen, dass Sie ein Interesse an Frauenbildung haben, das Sie unbedingt weiterverfolgen möchten?“

Er zuckte lässig mit den Schultern, eine männliche Bewegung, die sie vermutlich vom Gesprächsthema ablenken sollte, was beinahe von Erfolg gekrönt war. Scholastica verlor fast den Faden, als ihr Blick auf seine breiten Schultern gelenkt wurde, die ein perfekt geschneiderter mitternachtsblauer Gehrock betonte. Sie holte tief Luft.

„Aber Sie sind nicht der Auffassung, dass Frauen nur als Ehefrauen zu dienen haben, anstatt sich geistreich mit ihren Gatten zu unterhalten und den Verstand und nicht nur die Augen zu nutzen?“

„Sie müssen sich gar nicht so anstrengen, um mich zu überzeugen, meine Liebe“, erwiderte er ruhig und beugte sich erneut zu ihr vor. „Ich ertrage keine dummen Menschen, egal welchen Geschlechts sie sind.“ Er sagte das ganz sanft und lächelte. Scholastica wurde vom Anblick seiner strahlend weißen Zähne geblendet und brauchte einen Moment, um seine Worte zu verarbeiten. Dann starrte sie ihn überrascht an. Sie wusste, dass er die Wahrheit sprach, und doch hatte er es so einfach ausgedrückt, dass all die pomphaften Reden der Philosophen im Raum dagegen dumm erschienen.

Dennoch war sie noch nicht bereit klein beizugeben. „Und wie bringen Sie diese Haltung mit Ihrem Ruf als berühmt-berüchtigter Duke of Penhurst in Einklang?“, hakte sie nach und wagte damit die Frage zu stellen, die für sie auf der Hand lag.

Prüfend schaute er sie mit seinen dunklen Augen an, doch Scholastica hielt seinem verführerischen Blick stand. Jedenfalls eine Weile. Er lächelte. „Berühmt-berüchtigt? Das glaube ich kaum. Berühmt-berüchtigt wofür?“, fragte er, obwohl Scholastica annahm, dass er nur zu gut wusste, was gemeint war.

Aber wenn er unbedingt wollte, dass sie Klartext sprach, war sie gern dazu bereit. „Nach dem, was ich gehört habe, sind Sie nicht für Ihre Erfolge auf dem Gebiet der Politik, der Wissenschaft oder der Literatur bekannt, sondern als skrupelloser Frauenverführer“, antwortete Scholastica, und Tadel lag in ihrer Stimme.

Er hob die linke Braue. „Skrupellos? Das bin ich wohl kaum. Nur meine wenigen Feinde halten mich für skrupellos. Für die anderen hingegen …“ Er brach den Satz ab und zuckte erneut mit den Schultern, was Scholastica beinahe aus der Fassung brachte. „Ich liebe Frauen und habe das große Glück, dass sie mich auch lieben. Daher würde ich behaupten, dass beide Seiten etwas davon haben. Das Recht auf Vergnügen sollte doch beiden Geschlechtern zugebilligt werden, oder etwa nicht?“

Natürlich spielten solche Fragen oftmals eine Rolle, wenn über die Gleichberechtigung der Frauen philosophiert wurde, auch Cubby formulierte es ähnlich. Allerdings konnte man weder ihn noch einen der anderen Dichter und Denker als rücksichtslosen Verführer bezeichnen. „Ja, aber macht ein Frauenheld denn nicht nur zur eigenen Befriedigung Jagd auf Frauen?“, wollte Scholastica wissen.

Der Duke lächelte erneut, wobei seine vollen Lippen ein Grinsen andeuteten, das nur als verrucht beschrieben werden konnte. Wieder hatte sie den Eindruck, die Temperatur im Raum wäre stark gestiegen, als er sich zu ihr vorlehnte. „Meine liebe Scholastica, wenn Sie denken, dass irgendeine meiner Frauen jemals unbefriedigt zurückgelassen wurde, unterliegen Sie einem Irrtum“, flüsterte er verheißungsvoll, und Scholastica spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, denn nichts anderes erzählte man sich von ihm.

Als er ihre rechte Hand ergriff, sprang sie beinahe auf. Die vage Befürchtung, er könne sie zu einem unbeobachteten Ort führen, um seine Aussage unter Beweis zu stellen, ließ sie argwöhnisch werden. Mittlerweile ahnte sie, dass ihre Standhaftigkeit sie angesichts seines unerbittlichen Charmes zu verlassen drohte. Er hob indes nur belustigt eine seiner dunklen Brauen und führte sie ins Gesellschaftszimmer. Erleichtert atmete Scholastica auf, oder zumindest redete sie sich ein, dass Erleichterung die Ursache war.

Um sie herum tobten die immer gleichen Auseinandersetzungen, und Scholastica vermutete, dass der Duke sich wieder zurücklehnen und seine gelangweilte Zuschauerhaltung einnehmen würde. Doch wie immer überraschte er sie. Tatsächlich mischte er sich sofort in die Diskussionen ein und widerlegte die Reden der meisten Koryphäen ihres Vaters mit messerscharfem Verstand und überzeugenden Argumenten, sodass viele Gedanken als geradezu tölpelhaft entlarvt wurden. Cubby lachte bei jedem seiner Kommentare laut auf, und die Dichterin hing an seinen Lippen und schien in seiner betörenden Gegenwart die Sprache verloren zu haben, ähnlich wie es Miss Rawlings ergangen war.

Verglichen mit seiner Überzeugungskraft und Redegewandtheit wirkte „Cubbys Gefolge“, wie sie die Runde insgeheim nannte, wie eine Versammlung unreifer Schuljungen. Viele von ihnen sind tatsächlich noch grün hinter den Ohren, stellte sie fest. Sie legten einen übertriebenen Ernst an den Tag, waren kleinlich und machten um alles ein großes Gewese. Sie kamen ins Haus, behaupteten, sich für die Diskussionen zu interessieren, und gaben sich als Verteidiger der Rechte aller Menschen aus, doch sehr schnell hatte Scholastica ihr Verhalten nur noch mit Zynismus betrachten können. Obwohl sie vorgaben, alle gleich zu behandeln, war ihr rasch aufgefallen, dass Matilda und Miss Rawlings oder anderen Frauen, die ein gewisses Alter erreicht oder deren Äußeres nicht den Schönheitsidealen entsprach, weit weniger Aufmerksamkeit zuteilwurde als ihr. Dies war vielleicht selbst von dem größten männlichen Freidenker nicht anders zu erwarten. Aber dass sie vorgaben, es verhielte sich anders, erzürnte sie.

Bei Penhurst gab es kein falsches Getue. Scholastica konnte sich wahrhaftig nicht vorstellen, er würde etwas tun oder sagen, an das er nicht glaubte. Richtig oder falsch, er war auf jeden Fall ehrlich sich selbst gegenüber. Gegen ihren Willen bewunderte sie ihn dafür. Sein enormes Selbstvertrauen, das sie zunächst verärgert hatte, erschien ihr nun mehr als gerechtfertigt. Ein Mann mit solcher Erfahrung und einer solchen Eleganz, der geistreich war und bei seinen Reden eine eigenwillig traurige Ironie an den Tag legte, besaß etwas erschreckend Anziehendes. Scholastica wurde klar, dass er ihre Maßstäbe verschoben hatte. Wie konnte sie die sogenannten Genies ihres Vaters jemals wieder ernst nehmen? Penhurst, ein skrupelloser Lebemann und Vertrauter des vergnügungssüchtigen Prinzregenten, war bei Weitem intelligenter und kenntnisreicher als sie alle zusammen.

Zwar gestand sich Scholastica gegen Ende des Abends widerwillig ein, dass sie den Mann bewunderte, aber der Grund für seine Gegenwart blieb ihr nach wie vor ein Rätsel. Sollte sein Erscheinen hier eine Art Strafe für ihr Verhalten am Nachmittag sein, für ihren Spott über sein Alter, oder gab es einen tieferen Grund? Wegen der vielen anderen Gäste, die sie ständig umgaben, konnte Scholastica nicht so offen sprechen, wie sie es getan hätte, wenn sie allein gewesen wären. Schon der Gedanke ließ sie frösteln, denn sie wusste, dass es keine gute Idee war, sich mit dem berühmt-berüchtigten Duke unter vier Augen zu unterhalten, auch wenn sie unbedingt herausfinden wollte, was ihn zu diesem Besuch veranlasst hatte.

Auch als er sich schließlich verabschiedete, lagen seine wahren Beweggründe im Dunkeln. Scholastica dachte bereits, dass ihr nachmittägliches Zusammentreffen reiner Zufall gewesen war und nichts mit seinem Besuch bei Cubby zu tun hatte, als er sich tief über ihre Hand beugte.

„Es war mir ein großes Vergnügen, Ihnen zu begegnen“, erklärte er, und ein verwegenes Versprechen schien in seinem Blick zu liegen. „Darf ich Sie morgen Nachmittag zu einer Spazierfahrt abholen?“

„Oh, bitte bemühen Sie sich nicht“, antwortete Scholastica, die gegen ein kindisches Schwindelgefühl ankämpfte, das von ihr Besitz ergriffen hatte. Der Duke lachte nur, und als sie den sonoren Klang seiner Stimme vernahm, pochte ihr Herz wie wild. Dann war er gegangen, bevor sie sich wieder gefasst hatte, um ihm eine noch deutlichere Absage zu erteilen, falls sie dazu überhaupt in der Lage gewesen wäre.

Denn es fiel Scholastica zunehmend schwerer, im Duke of Penhurst einen Feind zu sehen.

Sie hängt wie ein Fisch am Haken, dachte Pagan, als er am nächsten Tag die Auffahrt zu Cubby Hornsbys Stadthaus hinaufschlenderte. Möglicherweise versuchte sie noch unwillig, sich vom Haken loszureißen, anders als die meisten Frauen, die er sonst kennengelernt hatte. Aber wenn er ein paar Mal rasch an der Schnur zog, landete sie direkt auf seinem Schoß. Der Gedanke erregte ihn mit überraschender Heftigkeit, sodass ihm der Atem stockte.

Das ist das Letzte, was ich brauchen kann, wies er sich streng zurecht. Allen Mutmaßungen zum Trotz erwies sich der Gegenstand von Hazards Wette als interessant. Selbstbewusst? Sie besaß die Souveränität von jemandem, der zweimal so alt und erfahren war. Elegant? Wie hatte er sie jemals anders sehen können? Sogar wenn sie ihre feministische Rhetorik zum Besten gab, setzte sie sich mit einer charmanten Anmut über ihre Vorgängerinnen hinweg, die ganz neue Grenzen eröffnete. Und nicht zuletzt war sie mit einem Herzog verwandt.

Pagan lächelte. Er hatte nie für möglich gehalten, dass ein Abend in Cubby Hornsbys heuchlerischer Runde amüsant sein konnte. Scholastica hatte ihn den ganzen Abend über mit ihrem Verstand, ihrer Schönheit und ihrer Leidenschaft in den Bann gezogen. Er runzelte die Stirn. Leider war es besser, nicht länger über Miss Scholasticas Ausstrahlung nachzusinnen, über ihre unschuldige und dennoch aufreizende Anziehungskraft. Egal wie sehr sein Körper nach mehr verlangte, es war nicht seine Angewohnheit, vornehme Jungfrauen zu verführen. Er genoss seinen Ruf als Frauenkenner und Liebhaber. Ihm lag nichts daran, als rücksichtsloser Schuft zu gelten, der sich an unerfahrenen jungen Damen vergriff.

Überdies liegt das eigentliche Vergnügen in der Eroberung, sagte er sich und sah einen gewissen Freund widerlegt, der zu viele Gedanken auf seinen bevorstehenden Geburtstag verschwendet hatte. Trotz Miss Scholasticas spitzen Bemerkungen hatte sein Alter offenkundig keine negativen Auswirkungen auf sein Verführungstalent, denn er spürte, dass die Kapitulation der kleinen Philosophin kurz bevorstand. Bald würde er die Wette gewinnen. Aber bloß nicht zu bald. Zum ersten Mal seit Wochen, vielleicht sogar Monaten, verspürte Pagan wieder Freude am Leben, und er beabsichtigte nicht, diesem Hochgefühl so schnell ein Ende zu bereiten.

Heute würde er sie mit auf eine Spazierfahrt nehmen, was eigentlich für den Gewinn der Wette schon reichen würde – falls Hazard ihnen begegnen sollte. Aber im Grunde war Pagan auf mehr aus. Ein kleiner Nachmittagsflirt mit Miss Scholastica würde ihn nicht zufriedenstellen. In Wahrheit wollte und verlangte er, dass sie ihm völlig verfiel. Sie muss mir gehören, sagte er sich mit einer wilden Entschlossenheit, die ihn selbst erschreckte. Er schüttelte den Kopf und versuchte, das Gefühl zu vertreiben, das seiner normalerweise eher vorsichtigen und ein wenig distanzierten Haltung so ganz und gar widersprach. Er hatte die Wirren emotionaler Bindungen nie geschätzt, was ein Grund dafür war, warum er nie lange mit der jeweiligen Geliebten zusammengeblieben war. Es war besser, wie ein Kenner guter Weine den Duft und das Bouquet zu genießen, sich kurz und intensiv an der Einzigartigkeit zu erfreuen, als so viel zu trinken, dass man nichts mehr spürte.

Allerdings musste Pagan zugeben, dass Miss Scholastica einen Mann in Versuchung führte, ihr ganz allein zu verfallen. Erneut erschrak er über den plötzlichen und heftigen Wunsch, sie ganz für sich haben zu wollen. Es rief seine Vorsicht auf den Plan, und er überlegte, ob es besser war, diese Wette nicht bis zum Äußersten zu verfolgen. Er würde es nur so weit treiben, dass Scholastica ihn haben wollte, und sich dann verabschieden. Sie sollte sehnsüchtig darauf warten, von ihm gepflückt zu werden wie eine Rose, deren Blüte sich noch nicht geöffnet hat.

Unglücklicherweise würde eines Tages ein anderer das Vergnügen haben, die Blüte ganz zu enthüllen. Eine Vorstellung, die ihm überhaupt nicht behagte – natürlich nur aus Gründen des Wettbewerbs. Er runzelte die Stirn und rätselte, warum zum Teufel dieser Narr Hazard ausgerechnet eine Person ausgesucht hatte, die jung und unberührt, jedoch zugleich mit dem Duke of Carlisle verwandt war. Er fluchte leise, als er ihre Türschwelle erreichte.

Niemand reagierte, nachdem er die Türglocke betätigt hatte. Bestimmt ist der Butler in ein Streitgespräch mit dem Lakaien über Frauenbildung vertieft, dachte Pagan ungeduldig. Als er die Tür schließlich selbst öffnete, sah er sich einem gehetzt wirkenden Dienstmädchen gegenüber, das eilig knickste und ihn bat, im Morgenzimmer auf Miss Scholastica zu warten. Also wurde er an einer Reihe debattierender junger Leute – wurden sie des Palavers eigentlich niemals überdrüssig? – vorbei in ein kleines Zimmer geführt, in dem ein großes Durcheinander herrschte. Außer ihm hielt sich niemand dort auf.

Obwohl es zunächst so schien, als häuften sich auf den meisten Möbeln irgendwelche Gegenstände, fand Pagan schließlich eine Möglichkeit sich zu setzen. Er nahm vorsichtig auf der Kante eines ziemlich abgenutzten Stuhls Platz und starrte schließlich auf einen Lesestoff mit dem Titel „Brief an die Frauen von England über die Ungerechtigkeit der geistigen Unterordnung“. Daneben lag Mary Wollstonecrafts allgegenwärtige „Verteidigung der Frauenrechte“.

Hat die durchtriebene Scholastica mir diese Auswahl eigens hier hingelegt? überlegte Pagan. Er lächelte anerkennend, lehnte sich zurück und legte die Füße hoch, um auf sie zu warten, während die Vorfreude ihn in einer Anspannung hielt, die er sonst nicht an sich kannte.

3. KAPITEL

Eine Stunde später überlegte Pagan nicht mehr. Er war sich ziemlich sicher, dass das kleine Biest ihn absichtlich warten ließ, um ihn zu zwingen, ihre Ansichten zu schlucken. Dachte sie wirklich, dass es reichte, ihn mit diesen Büchern in einen Raum zu sperren, um ihn zur Lektüre zu veranlassen? Vielleicht hätte er noch darüber lachen können, wenn ihn die ungewohnte Ungeduld nicht ganz rasend gemacht hätte. Natürlich konnte er einfach wieder gehen. Seine Frauen ließen ihn normalerweise nicht warten, wenn sie es sich nicht mit ihm verderben wollten. Sie wussten, dass er in dieser Hinsicht keinen Spaß verstand. Doch bedauerlicherweise war Scholastica keine von seinen Frauen … noch nicht.

Sein Ziel fest vor Augen, blieb er, wo er war, entschlossener denn je, sie zu einer Spazierfahrt zu überreden, egal was für charmante Einwände sie vorbringen würde. Hoffte sie vielleicht, ihn mit all diesem Unsinn loszuwerden? Dieser Gedanke war so neuartig, dass Pagan stutzte. Allein die Vorstellung, dass eine Frau meine Missgunst erregen will! Ungläubig schüttelte er den Kopf. Allerdings ließ sich die Tatsache nicht von der Hand weisen, dass er hier zunehmend verärgert Däumchen drehte. Und Scholastica war zweifelsohne zu klug, um zu glauben, dass er sich ihre philosophischen Anschauungen durch ein paar Minuten gelangweilten Lesens zu eigen machen würde.

Unwillkürlich musste er lachen. Nur zu gut konnte er sich ausmalen, was die Gesellschaft sagen würde, wenn er plötzlich begann, für Frauenbildung einzutreten. Er hob den Band „Verteidigung der Frauenrechte“ hoch und erwog, die Ränder mit Bemerkungen zu versehen, um Scholasticas Bemühungen zu beantworten, entschied sich jedoch dagegen. Schließlich war es ziemlich lange her, dass er das Buch gelesen hatte.

Erneut warf er einen Blick in Richtung der Uhr auf dem Kaminsims und überlegte, ob er einfach nach oben gehen sollte, um sie in ihrem Zimmer aufzusuchen. Doch sein plötzliches Herzklopfen ließ ihn zögern. Er war kein Mann, der von seinen Leidenschaften beherrscht wurde, und dennoch traute er sich selbst nicht recht über den Weg, wenn er sich vorstellte, allein mit ihr in ihrem Zimmer zu sein. Er legte das Buch wieder zurück und stellte irritiert fest, dass seine Hände zitterten. Es war eine völlig ungewohnte Reaktion, die er nur auf seine extreme Verärgerung über den Verlauf dieses Besuchs zurückführen konnte.

Und dann, als er gerade aufgestanden war, öffnete sich die Tür und Miss Scholastica betrat den Salon, so frisch und entzückend wie die Blüte, mit der er sie verglich, aber mit einer Ausstrahlung, wie sie keine Pflanze besaß. Er lächelte, und ihm war, als könne er eine ganze Reihe von Gefühlen aus ihrem Gesicht ablesen. Bewunderung, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Versuchung, die er sich ebenfalls eingestand. Aber auch eine Vorsicht, die ihn veranlasste, rasch auf sie zuzugehen, bevor ihr beachtlicher Verstand ihn entwaffnen konnte. Er griff hinter sie und schloss die Tür, sodass sie allein im Zimmer standen.

Und dann küsste er sie, als wollte er sich beweisen, dass er es tun konnte.

Sie lehnte mit dem Rücken gegen den weißen Türrahmen, und ein Ausdruck von Überraschung lag in ihrer Miene. Er hob eine Hand, um ihren Kopf anzuheben, beugte sich zu ihr hinunter und berührte sanft ihre Lippen mit seinen, als ob er sich auf eine vorsichtige Entdeckungsreise begeben würde. Eine Hitze stieg in ihm auf und brachte sein Blut zum Kochen, als ob er im Liebesspiel schon viel weiter wäre. Bestürzt merkte er, dass seine Finger erneut zitterten. Er begann, Scholastica mit größerer Entschlossenheit zu küssen, als könnte er damit seine Finger ruhig stellen. Es war ein köstlicher Beutezug, der drohte, ihn ganz aus der Fassung zu bringen.

Dann liebkoste er sie mit der Zunge, fuhr sanft über ihre Mundwinkel, bis sie den Mund unter einem leisen Seufzen öffnete, das ihn rasend vor Verlangen machte. Er kam näher und presste seinen Körper gegen den ihren, während er ihren Mund schmeckte – frisch und verführerisch. Sie war ein solches Fest für die Sinne, dass es ihm schwerfiel, sich zurückzuhalten, um mit ihr nicht in der gewohnten Weise zu verfahren. Als er die erste suchende Berührung ihrer Zunge auf seiner und ihre Hände durch den Stoff seines Gehrocks spürte, entfuhr ihm ein Stöhnen, und er war kaum mehr in der Lage, sich noch Einhalt zu gebieten.

Es war wirklich absurd und geradezu lächerlich für einen routinierten Verführer mit seinen Fähigkeiten und seiner Erfahrung, sich so vom Kuss einer jungen scharfzüngigen Dame hinreißen zu lassen. Doch als es ihm schließlich gelang, sich von ihr zu lösen, ging sein Atem schwer. Nur mit größter Mühe widerstand er dem Verlangen, sich nicht sofort wieder hinabzubeugen und nach mehr zu verlangen.

Pagan schloss die Augen, als ob er die Versuchung auf diese Weise bannen könne, doch ein Bild drängte sich ihm auf, wie er sie gegen den Türrahmen drängte, ihre zitronengelben Röcke, die sich an der Taille bündelten, ihre schlanken Beine, die sich um ihn wanden, als er sie streichelte, tief und langsam und … Er wirbelte herum, verwirrt von Gedanken, die besser zu einem pickelgesichtigen Jüngling passten. Er fluchte innerlich, hob eine Hand an die Stirn und spürte verärgert die Schweißperlen. Er wischte sie weg und holte tief Luft in dem Bestreben, seine Fassung zurückzugewinnen, die ihn im Stich gelassen hatte.

Mühsam und erst nachdem er seine Selbstbeherrschung gezielt gesucht und wiedergefunden hatte und sich dann daran festhielt, konnte Pagan der jungen Frau wieder in die Augen sehen. „Wollen wir eine Spazierfahrt unternehmen?“, fragte er sanft und verbeugte sich. Ohne ihre Antwort abzuwarten, griff er um sie herum und öffnete die Tür – ein Verführer, der erleichtert war, eine Atempause zu bekommen. Es war ebenso lachhaft wie bedauerlich.

Und obgleich er bei der Spazierfahrt seinen üblichen Charme spielen ließ, wahrte Pagan eine gewisse Distanz, da er sich mit einem Mal klar wurde, welche Macht dieses unschuldige junge Ding über ihn besaß. Er war es gewohnt, stets die Kontrolle zu behalten, und er mochte das Gefühl gar nicht, dass sie ihm aus den Händen glitt, ganz zu schweigen davon, dass sie in die Hände eines Mädchens geriet, das keinerlei Erfahrung hatte.

Immer wieder schaute er zu seiner Begleiterin hinüber, als wollte er überprüfen, ob ihr vielleicht Hörner wuchsen oder ob irgendein anderes Zeichen ihrer dämonischen Kraft erkennbar wurde. Indes erschien sie ihm jedes Mal intelligent, amüsant und attraktiv, aber kaum wie eine Frau, die einen Mann mit ihren Verführungskünsten willenlos machte.

Pagan schüttelte verwirrt den Kopf. Er war von den schönsten und erfahrensten Frauen des Landes und sogar des Kontinents umworben worden, einige waren intelligenter, andere sinnlicher gewesen, und viele hatten sehr reizvolle Rundungen besessen. Jede von ihnen kleidete sich aufreizender als Scholastica, die tief ausgeschnittene Kleider, wie sie in Mode waren, zu verachten schien. Wahrscheinlich ließen sie sich nicht mit ihrer Vorstellung von Frauenrechten in Einklang bringen. Ihr farbiges Kleid war hübsch, bedeckte jedoch alles außer ihren schlanken Unterarmen. Warum starrte er sie an, als ob er einen verborgenen Schatz entdecken könnte?

Sie amüsierte sich über einen seiner Kommentare, und als Pagan den lebhaft-musikalischen Klang ihres Lachens vernahm, kam er zu dem Schluss, nie zuvor einer Dame mit schärferem Verstand und mehr Sinn für Humor begegnet zu sein. Doch seit wann war dies eine Voraussetzung für Leidenschaft? Dennoch, wenn er sie betrachtete, kam es ihm vor, als ob sich Lachen, Sünde und Begeisterung miteinander verbanden. Vielleicht ist es genau das, dachte Pagan und geriet erneut ins Schwitzen. Sie stellte eine so bezaubernde Mischung aus allem dar. Warum hatte er es nicht eher bemerkt? Und wann würde er aufhören, sich über sie zu wundern?

Als er sie wieder zur Tür von Cubbys Stadthaus brachte, fühlte Pagan, wie Panik in ihm hochstieg. Er war geradezu erleichtert, sich von Miss Scholastica Hornsby, ihrem strahlenden Lächeln und ihren spöttisch leuchtenden Augen zu entfernen. Ihre Augen hatten die Farbe von Karamell. Süß und köstlich und … Wieder wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Offenkundig verlor er den Verstand. Er überlegte, ob der Abbau der Geisteskräfte um das dreißigste Lebensjahr herum einsetzte.

Als ob er nicht schon genug Probleme gehabt hätte, begegnete ihm auf dem Heimweg auch noch der Anstifter seines Elends: Hazard Maitland, lächelnd, gut gelaunt und mit einer viel zu selbstgefälligen Miene für einen Mann, der im Begriff stand, eine Wette zu verlieren.

„Hallo, Pagan! Ich habe schon nach dir gesucht. Ich glaube fast, dass du mir aus dem Weg gehst“, tadelte ihn Hazard schmunzelnd. „Willst du dich vor deiner Wettschuld drücken?“

„Nein, denn du bist es, der mir Geld schuldet“, erwiderte Pagan. „Wenn du nur ein paar Minuten eher vorbeigekommen wärest, hättest du mich und Miss Scholastica Hornsby bei einer gemeinsamen Spazierfahrt sehen können.“

Hazard lachte. „Das sagst du! Nun, von mir aus will ich dir das sogar glauben. Leider reicht es nicht aus, mit dem Mädchen an der Uferpromenade entlangzufahren. Sie kann ja von Cubby gezwungen worden sein, dich zu begleiten.“

„Sie ist doch kein kleines Kind mehr“, erboste sich Pagan, und seine tiefe Stimme nahm einen bedrohlichen Klang an.

Hazard hob sein Monokel an und fixierte Pagan, als ob er etwas besonders Faszinierendes geäußert hätte. „Wenn du meinst“, murmelte er achselzuckend.

„Eine ganze Reihe junger Damen ihres Alters sind längst verheiratet und haben Kinder“, sagte Pagan.

„Und wie alt ist das Mädchen genau?“, erkundigte sich Hazard, dessen linkes Auge durch das verfluchte Glas riesenhaft vergrößert wirkte.

Pagan hatte keine Ahnung. „Alt genug“, brummte er. Aber alt genug wofür?

Hazard sah ihn nach wie vor ganz eigenartig an. „Nun, wenn du das Gefühl hast, erste Erfolge bei der jungen Dame zu haben, sollte ich sie vielleicht über deinen wahren Charakter in Kenntnis setzen“, schlug er vor.

Scholastica hatte schon eine einigermaßen klare Vorstellung von seinem Lebenswandel oder zumindest so viel Ahnung davon wie jeder andere auch. Pagan nahm Hazard die Drohung ausgesprochen übel. „Du hast doch die Wette vorgeschlagen. Jetzt misch dich wenigstens nicht ein“, knurrte er.

„Oh, schon gut“, gab Hazard klein bei. „Aber ich lasse dir nicht ewig Zeit. Und wenn du auch nur im Traum daran denkst, Geld zu gewinnen, muss ich schon eine deutlichere Hingabe der Dame dir gegenüber sehen als eine Spazierfahrt durch den Park.“

Pagan runzelte die Stirn, denn ihm gefiel gar nicht, was er da hörte. „Ich will keinen Skandal“, warnte er.

Hazard pfiff durch die Zähne. „Meine Güte! Werden wir etwa auf unsere alten Tage sonderlich?“

Den Spott ignorierend, zog Pagan seinem Freund das Monokel weg, um ihm direkt in die Augen zu sehen. „Du hast sie ausgesucht, nicht ich. Sie kann nichts dafür, und ich will nicht, dass man über sie redet“, sagte er mit Entschiedenheit.

„Was? Man redet doch ohnehin schon über sie und ihre Frauenrechtlerinnen“, murmelte Hazard.

Scholastica betrat das Klassenzimmer und bahnte sich vorsichtig einen Weg um die vielen Kisten herum. Es roch moderig, und sie ließ die Tür halb offen stehen, damit etwas frische Luft hereinkam. Das kleine Gebäude war kaum mehr als ein Gartenhaus mit Schuppen, das ein ganzes Stück hinter Cubbys Haus lag. Er hatte Matilda großzügigerweise die Räumlichkeiten für ihre Schule überlassen, und ihre Freundinnen halfen bei der Herrichtung.

Obwohl sich Scholastica zunächst über ihre Aufgabe beschwert hatte, war sie jetzt dankbar für die schlichte Pflichtarbeit, die Bücher, die der Einrichtung gespendet worden waren, auszupacken. Es handelte sich um eine besonders langweilige Tätigkeit, und dennoch war sie darüber froh, denn ihre Gedanken waren so in Unordnung geraten, dass sich eine gleichförmige Beschäftigung nur positiv auswirken konnte. Dennoch schaute sie immer wieder zur halb geöffneten Tür, um einen Blick nach draußen auf den schönen Sommertag zu erhaschen.

Es war jedoch nicht die Gischt des Meeres, der lange Küstenstreifen oder die salzige Brise, die ihre Gedanken beschäftigte, sondern vielmehr die Frage, was ein gewisser Aristokrat gerade in ihrer Abwesenheit tat. Wo ist er jetzt? Was macht er? Wie sieht er aus? Fragen, die Scholastica noch vor Kurzem völlig unsinnig vorgekommen waren, schienen nun ihr Denken zu bestimmen. Und obwohl ein Teil von ihr dieses Grübeln für albern erachtete, begrüßte der andere und offenbar größere Teil diese Überlegungen als die einzigen von wahrem Wert.

Sie stellte einen dicken Band auf dem Pult ab und hielt inne, weil sie ein Geräusch vernommen hatte. Erschrocken seufzte sie auf, während ihr Herz erwartungsvoll schneller schlug.

Autor

Deborah Simmons
Die ehemalige Journalistin Deborah wurde durch ihre Vorliebe für historische Romane angespornt, selbst Historicals zu schreiben. Ihr erster Roman "Heart's Masquerade" erschien 1989, und seitdem hat sie mehr als 25 Romane und Kurzgeschichten verfasst. Zwei schafften es bis ins Finale der alljährlichen RITA Awards, einer Auszeichnung für besondere Leistungen im...
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Nicola Cornick
<p>Nicola Cornick liebt viele Dinge: Ihr Cottage und ihren Garten, ihre zwei kleinen Katzen, ihren Ehemann und das Schreiben. Schon während ihres Studiums hat Geschichte sie interessiert, weshalb sie sich auch in ihren Romanen historischen Themen widmet. Wenn Nicola gerade nicht an einer neuen Buchidee arbeitet, genießt sie es, durch...
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