Historical MyLady Platin Band 2

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DEIN IST MEIN GANZES HERZ von LAURENS, STEPHANIE
Londons High Society kennt nur noch ein Thema: das Debüt der bezaubernden Schwestern Dorothea und Cecily! Besonders beharrlich um deren Gunst wirbt der attraktive Lord Hazelmere. Wem aber gilt sein Begehren? Der hinreißenden Cecily mit den goldblonden Locken - oder der hübschen Dorothea mit den strahlend grünen Augen? Niemand ahnt, dass der Lord längst ein pikantes Geheimnis mit einer der Schwestern teilt …

WER BIST DU, SCHÖNE JUNO? von LAURENS, STEPHANIE
Als der Earl of Merton die Augen aufschlägt, glaubt er in das Gesicht eines Engels zu blicken. Verwirrt betrachtet er die Fremde, die ihn für einen Straßenräuber gehalten und beherzt niedergestreckt hat! Gemeinsam setzen sie ihre Reise fort, und der Earl gerät immer mehr in den Bann der Schönen. Doch ehe er sich versieht, ist sie verschwunden - ohne ihm ihren Namen zu nennen. Wird er sie nun nie mehr wiedersehen?


  • Erscheinungstag 23.10.2015
  • Bandnummer 0002
  • ISBN / Artikelnummer 9783733766450
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Stephanie Laurens

HISTORICAL MYLADY PLATIN BAND 2

1. KAPITEL

Dorothea genoss den Geschmack der sonnenreifen Brombeeren auf der Zunge. Die Sträucher am Rande der kleinen Lichtung strotzten von reifen Früchten. Sie stellte ihren Korb ins Gras und begann zu pflücken. Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zu ihrer jüngeren Schwester Cecily, die sie gebeten hatte, beim Kräutersammeln einen Umweg zu der Brombeerhecke im Wald des Nachbargutes zu machen.

Dorothea seufzte. Sie hoffte, der geplante Aufenthalt in London würde Cecily aus ihrem langweiligen Dasein herausreißen. Ihre Mutter, Lady Cynthia Darent, war vor einem halben Jahr gestorben und hatte ihre beiden Töchter der Vormundschaft ihres Cousins, Lord Herbert Darent, überlassen. Fünf endlose Monate, die sie in Darent Hall in Northamptonshire verbracht hatten, während die Anwälte damit beschäftigt gewesen waren, alle Testamentsangelegenheiten zu regeln, hatten Dorothea überzeugt, dass sie aus dieser Richtung nichts zu erwarten hatten. Herbert war ein unerträglicher Pedant und seine spießige Frau Marjorie noch schlimmer. Wenn ihre Großmutter nicht wie eine gute Fee aus dem Märchen erschienen wäre, hätte sie sich keinen Rat gewusst.

Plötzlich merkte sie, dass sich ihr Rocksaum in den Dornen verfangen hatte. Zum Glück pflegte sie bei ihren Wanderungen ein altmodisches grünes Kleid zu tragen, sodass sie die unvermeidlichen Risse im Stoff nicht kümmerten. Da es auf der sonnendurchfluteten Lichtung sehr heiß war, löste Dorothea die Nadel, die ihre Haare im Nacken zu einem Knoten bändigten, sodass ihr die dunkelbraune Pracht in üppiger Fülle über den Rücken fiel. Dann fuhr sie mit Beerenpflücken fort.

Dorothea wusste, dass London für sie selbst keine Überraschung bereithielt. Auch mit größter Mühe würde ihre Großmutter keinen Ehemann für sie finden. Ihre großen, smaragdgrünen Augen mochten ja noch als Vorzug gelten, alles andere an ihr entsprach jedoch nicht der derzeitigen Mode. Ihre Haare waren dunkel und nicht blond. Ihr Teint war weiß wie Alabaster und nicht pfirsichfarben wie der von Cecily. Außerdem war sie hoch gewachsen und schlank – im Gegensatz zu der vorherrschenden Mode, die weibliche Rundungen bevorzugte. Hinzu kam, dass sie bereits zweiundzwanzig war und einen starken Unabhängigkeitssinn besaß. Alles in allem gehörte Dorothea nicht zu dem Typ von Frauen, der das Interesse eleganter Gentlemen erregte.

Es störte sie nicht im Mindesten, dass sie als alte Jungfer galt. Sie war vermögend genug, um in Grange ein bequemes Leben führen zu können. Die hiesigen Landedelleute, die sich um sie bemüht hatten, hatten nicht den Wunsch in ihr erweckt, ihre Selbstständigkeit gegen den Ehestand einzutauschen. Sie sah keinen Grund, dem Beispiel ihrer Geschlechtsgenossinnen zu folgen, die alles daransetzten, einen Ring an den Finger gesteckt zu bekommen. Alles in allem war sie mit ihrem wohlgeordneten Dasein zufrieden.

Ihre Schwester Cecily sehnte sich nach einer anderen, glitzernden Welt. Die Welt von Grange war zu eng für sie. Sie war jung, hübsch, voller Anmut und würde mit Sicherheit einen sympathischen und reichen Ehemann finden, der ihr alles geben konnte, was ihr Herz begehrte. Das war auch der Hauptgrund, weshalb sie nach London fuhren.

Dorothea streckte die Hand nach einer besonders großen Beere aus, die sich fast außerhalb ihrer Reichweite befand, als sich plötzlich ein kräftiger Arm um ihre Taille legte. Sie erhaschte einen flüchtigen Blick auf ein sonnengebräuntes Gesicht, bevor sie leidenschaftlich geküsst wurde.

Dorothea erstarrte. Da sie hoffte, auf diese Weise schneller freizukommen, zwang sie sich dazu, sich nicht zu rühren. Leider hatte sie ihre eigenen Reaktionen unterschätzt. Ein warmes Gefühl stieg in ihr auf, und sie empfand das fast unwiderstehliche Verlangen, sich dieser Umarmung hinzugeben und den Kuss zu erwidern. Trotz ihrer Verwirrung gelangte sie zu dem Schluss, dass es sich bei dem Fremden weder um einen Vagabunden noch um einen Landstreicher handeln konnte. In ihrem Kopf drehte sich alles. Doch ebenso abrupt, wie er begonnen hatte, endete der Kuss.

Dorothea blickte hoch – direkt in ein Paar nussbraune Augen, in denen ein belustigter Ausdruck stand. Voller Zorn holte sie aus, um den dreisten Fremden zu ohrfeigen.

Blitzschnell fing er ihre Hand ab. „Bitte schlagen Sie mich nicht“, sagte er. „Woher sollte ich wissen, dass Sie nicht die Tochter des Hufschmieds sind?“

Dorothea wunderte sich nicht, dass er sie ihrer äußeren Erscheinung nach falsch eingeschätzt hatte.

„Wenn Sie also nicht die Tochter des Hufschmieds sind, wer sind Sie dann?“, fuhr die sonore Stimme fort, die zweifellos einem gebildeten Mann gehörte.

Sein spöttischer Ton bewirkte, dass sie kriegerisch das Kinn hob. „Ich bin Dorothea Darent“, erklärte sie. „Würden Sie mich jetzt bitte loslassen?“

„Miss Darent? Von Grange?“, fragte er, ohne den Arm von ihrer Taille zu nehmen.

Dorothea nickte nur. Ihr fiel das Sprechen schwer, solange er sie so fest an sich drückte.

„Ich bin Hazelmere“, stellte er sich vor.

Im ersten Augenblick glaubte sie, sich verhört zu haben. Andererseits konnte dieses arrogante Gesicht eigentlich niemand anders gehören. Gerüchte über ihn waren ihr bereits zu Ohren gekommen. Während sie sich in Darent Hall aufgehalten hatte, war ihre alte Freundin, Lady Moreton, auf deren Ländereien dieser Wald lag, gestorben. Ihr Großneffe, der Marquess of Hazelmere, hatte Moreton Park geerbt. Die Neuigkeit, dass eines der bekanntesten Mitglieder des ton Besitzer des größten Gutes in der Grafschaft geworden war, hatte einiges Aufsehen erregt.

„Nichts auf der Welt könnte mich dazu bewegen, einen Mann mit einem so schlechten Ruf zu empfangen“, hatte die Frau des Pfarrers missbilligend geäußert. Als Dorothea fragte, wie dieser Ruf zustande gekommen sei, hatte sich Mrs Matthews plötzlich daran erinnert, mit wem sie sprach und sich entschuldigt, sie müsse das Gebäck herumreichen. Bei Mrs Mannering hatten die Gäste über die Leidenschaft des Marquess für das Spiel und schöne Frauen sowie seine Zügellosigkeit ganz im Allgemeinen geklatscht. Da Lord Hazelmere nach wie vor in der Gesellschaft verkehrte, hatte Dorothea das Gerede für übertrieben gehalten, zumal sie der äußerst respektablen Lady Moreton keinen zügellosen Großneffen zugetraut hatte.

Jetzt revidierte sie ihre Meinung über den Marquess of Hazelmere grundlegend. Allem Anschein nach war er noch schlimmer als sein Ruf.

Die Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, spiegelten sich in ihrem Gesicht wider. Auf einen Mann, der daran gewöhnt war, dass die Damen der Gesellschaft niemals auch nur die leiseste Gemütsbewegung zeigten, wirkte ihr schönes und ausdrucksvolles Gesicht ungeheuer faszinierend.

Er ließ sie widerstrebend los. „Und was hat Miss Dorothea Darent dazu bewogen, unbefugt mein Land zu betreten?“, fragte er.

„Lady Moreton hatte uns erlaubt, aus ihrem Wald zu holen, was immer wir wollten“, erwiderte sie so kühl wie möglich. „Doch da Sie jetzt der Eigentümer sind …“

„… wird sich daran natürlich nichts ändern“, fiel er ihr in Wort. „Ich verspreche auch, Sie bei unserer nächsten Begegnung nicht mit der Tochter des Hufschmieds zu verwechseln.“

Dorothea knickste. „Besten Dank, Mylord. Ich werde Hetty warnen.“ Sie wandte sich zum Gehen.

Er hielt sie zurück. „Wer ist Hetty?“

„Die Tochter des Hufschmieds natürlich.“

Sein Lachen hatte etwas Entwaffnendes. „Ich denke, wir sind quitt, Miss Darent, also laufen Sie nicht weg. Ihr Korb ist erst halb voll, und dieser Strauch trägt noch viele Beeren, die Sie nicht erreichen können. Stellen Sie sich da hin und halten Sie den Korb. Wir haben ihn gleich gefällt.“

Dorothea wusste nicht recht, wie sie sich verhalten sollte. Die Pfarrersfrau hätte zweifellos von ihr erwartet, dass sie sich sofort entfernte, andererseits würde dieser dominierende Mann das vermutlich nicht dulden. Da er ihren Korb bereits mit den saftigsten Beeren füllte, wäre ihr das auch sehr unhöflich erschienen. Sie blieb daher stehen und nutzte die Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten.

Seine breiten Schultern und die sportliche Gestalt vermittelten den Eindruck männlicher Kraft. Die nach der vorherrschenden Mode kurz geschnittenen schwarzen Haare lockten sich über der Stirn. Die aristokratische Nase, der feste Mund und das entschlossene Kinn ließen keinen Zweifel daran, dass er es gewöhnt war, Befehle zu erteilen. Dorothea ahnte, dass sein Lächeln verheerend auf Frauen wirkte, die leichter zu beeindrucken waren als sie selbst. Über eine ganz bestimmte Ausstrahlung, die von ihm ausging, pflegten wohlerzogene junge Damen nicht zu sprechen.

Lord Hazelmere beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Miss Darent war ein echtes Juwel. Das klassisch geformte Gesicht wurde von einer Fülle dunkler Locken umrahmt. Ihre ausdrucksvollen Augen leuchteten wie kostbare Smaragde. Vor allem ihre weichen, schön geschwungenen Lippen, die er bereits gekostet hatte, bezauberten ihn. Eines war ihm klar: Wenn er die Bekanntschaft mit ihr vertiefen wollte, musste er sehr behutsam vorgehen.

Er nahm ihr den gefüllten Korb aus der Hand und holte von der anderen Seite der Lichtung sein Jagdgewehr. „Ich werde Sie nach Hause begleiten, Miss Darent“, erklärte er. Ehe sie protestieren konnte, setzte er hinzu: „In meinen Kreisen trifft man keine junge Dame allein im Freien an.“

Dorothea, der keine passende Antwort einfiel, ging widerwillig neben ihm her.

„Nur um meine Neugier zu befriedigen …“, begann er. „Warum haben Sie bei Ihrem Spaziergang im Wald nicht wenigstens irgendein Dorfmädchen mitgenommen?“

„Ich bin in der Nachbarschaft bekannt und brauche in meinem Alter keine Anstandsdame“, erwiderte Dorothea.

Er lachte. „Mein liebes Kind, so alt sind Sie nun wirklich nicht. Und dass Sie den Schutz einer Anstandsdame brauchen, ist ganz offensichtlich.“

Dass er vor Kurzem den Beweis dafür geliefert hatte, konnte sie schwerlich leugnen. „Wenn ich in Zukunft Ihren Wald betrete, werde ich eine Begleiterin mitnehmen. Allerdings sehe ich die Notwendigkeit nicht ein“, fuhr sie nach kurzem Nachdenken fort. „Haben Sie nicht gerade versprochen, Sie würden mich nicht mehr mit einem Dorfmädchen verwechseln?“

„Das bedeutet aber nur, dass ich das nächste Mal weiß, wessen Lippen ich küsse.“

„Oh!“ Dorothea hielt abrupt inne und funkelte ihn wütend an.

Lord Hazelmere blieb ebenfalls stehen und berührte mit dem Zeigefinger ihre Wange – eine Geste, die sie noch mehr ärgerte. „Ich kann mich nur wiederholen, Miss Darent. Riskieren Sie nicht im Wald oder sonst wo allein herumzulaufen. Dazu sind Sie viel zu hübsch – trotz Ihres fortgeschrittenen Alters.“

Dorothea verschlug es die Sprache. Empört drehte sie sich um und setzte ihren Weg fort.

Er suchte nach einem unverfänglichen Thema. „Ich habe gehört, dass Sie kürzlich Ihre Mutter verloren haben“, begann er. „Wenn ich mich recht erinnere, erzählte mir meine Großtante, dass Sie bei Verwandten im Norden waren.“

Dorothea schaute ihn mit großen Augen an. „Haben Sie sie denn gesehen, bevor sie starb?“

Ihr offenkundiger Zweifel ärgerte ihn sonderbarerweise. „Ob Sie es nun glauben oder nicht, Miss Darent, aber ich hatte meine Tante sehr gern und habe sie regelmäßig besucht. Da ich aber selten länger als einen Tag geblieben bin, wundert es mich nicht, dass Sie nichts davon bemerkt haben. Während der letzten drei Tage vor ihrem Tod war ich bei ihr, und als ihren Erben hat sie mich über die Familien der Nachbarschaft informiert.“

Anstatt sich abzuwenden, wie er erwartet hatte, blickte sie ihn direkt an. „Lady Moreton und ich waren gute Freunde. Es tat mir sehr leid, dass ich sie nicht noch einmal gesehen habe.“

„Ihr Ende war ganz friedlich. Sie ist im Schlaf gestorben. Ihr Tod bedeutete angesichts der Schmerzen, die sie während der vergangenen Jahre erdulden musste, eine Erlösung für sie.“

Dorothea nickte niedergeschlagen.

„Beabsichtigen Sie und Ihre Schwester für immer in Grange zu bleiben?“, fragte er.

Ihre Miene erhellte sich. „Nein, wir besuchen Anfang nächsten Jahres unsere Großmutter, Lady Merion.“

Lady Hermione Merion, die verwitwete Lady Darent, war wie ein frischer Sommerwind durch die düsteren Korridore von Darent Hall gefegt. Sie hatte die Schwestern zusammen mit ihrer Tante Agnes, die offiziell als ihre Anstandsdame fungierte, zurück nach Grange mitten in Hampshire verfrachtet, wo sie das Trauerjahr abwarten sollten. Nach dessen Ablauf erwartete sie die beiden Mädchen in ihrem Londoner Stadthaus.

„Lady Merion will uns in die Gesellschaft einführen“, berichtete Dorothea. „Cecily ist sehr hübsch und wird bestimmt eine gute Partie machen“, setzte sie hinzu.

„Und Sie selbst?“

Auf den spöttischen Unterton, den sie in seiner Stimme zu entdecken glaubte, reagierte sie empfindlich. „In meinem Alter tauge ich nicht mehr für den Heiratsmarkt“, entgegnete sie schroffer, als beabsichtigt. „Ich habe vor, die Tage in London zu genießen und alle Sehenswürdigkeiten zu besuchen.“ Plötzlich kam ihr ein Gedanke. „Kennen Sie Lady Merion?“

Er lächelte. „Jeder im ton kennt Lady Merion. Was mich betrifft – sie ist eine enge Freundin meiner Mutter.“

„Erzählen Sie mir von ihr“, bat Dorothea. „Ich habe sie seit meiner Kinderzeit nicht mehr gesehen, außer in jener Nacht, die sie Anfang des Jahres in Darent Hall verbrachte.“

„Nun, Ihre Großmutter bekleidet eine führende Stellung in der eleganten Welt und kennt die einflussreichsten Leute in London. Sie ist eng befreundet mit Lady Jersey und Princess Esterhazy – beides Patronessen von Almack’s, wo Sie Zutritt erhalten müssen, wenn Sie dazugehören wollen. In Ihrem Fall dürfte das allerdings kein Problem sein. Lady Merion ist enorm reich und lebt in einem Haus am Cavendish Square, das ihr ihr zweiter Gatte, Lord George Merion, der vor fünf Jahren gestorben ist, hinterlassen hat.“ Lord Hazelmere schmunzelte. „Sie achtet sehr auf gute Formen. Ich würde Ihnen daher nicht raten, allein in London herumzuwandern. Andererseits verfügt Ihre Großmutter über viel Humor. In gewisser Weise gilt sie als exzentrisch, schon weil sie kaum je die Stadt verlässt. Alles in allem ist niemand besser geeignet, Sie und Ihre Schwester in der Gesellschaft vorzustellen.“

Dorothea dachte noch über diese Beschreibung nach, als sie das Tor in der Steinmauer erreichten, hinter der die Gärten von Grange lagen.

„Hier werde ich Sie verlassen“, sagte Lord Hazelmere, der sie begleitet hatte, um länger mit ihr zusammen zu sein, aber nicht wünschte, dass sie zusammen gesehen wurden. Den daraus entstehenden Klatsch konnte er sich nur zu gut vorstellen. Als er ihre Hand an die Lippen zog, erglühten ihre Wangen. „Und vergessen Sie meine Warnung nicht. Wenn Sie sich die Gunst ihrer Großmutter sichern wollen, gehen Sie in London nicht unbegleitet aus“, setzte er hinzu. „Leben Sie wohl, Miss Darent.“

Während Dorothea durch den Garten lief, schenkte sie zum ersten Mal den blühenden Blumen keine Beachtung. In der Halle blieb sie stehen, weil die hier herrschende Kühle ihren brennenden Wangen gut tat. Ihren Korb drückte sie einem Hausmädchen in die Hand. „Bringen Sie diese Beeren in die Küche, Doris“, bat sie. „Und richten Sie meiner Tante aus, dass ich mich bis zum Dinner hinlege. Ich habe mich anscheinend zu lange in der Sonne aufgehalten.“

In ihrem Zimmer setzte sie sich auf die Fensterbank und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Ein Kuss und ein Paar nussbraune Augen hatten sie völlig durcheinander gebracht. Sie begriff einfach nicht, dass sie so naiv sein konnte, einem Wüstling gegenüber so etwas wie Zuneigung zu empfinden. Schließlich zwang sie sich dazu, die Angelegenheit vernünftig zu betrachten. Zweifellos sollte sie wütend sein, musste aber ehrlicherweise zugeben, dass sie ihn durch ihre unpassende Aufmachung zu seinem Benehmen herausgefordert hatte. Außerdem hätte eine wohlerzogene junge Dame, die sich plötzlich in den Armen des Marquess of Hazelmere wieder fand, sicherlich anders reagiert, als sie es getan hatte. Das Gute an der Sache war nur, dass er ihr wertvolle Informationen gegeben hatte, die ihre Großmutter betrafen.

Vierzehn Tage später kehrte der Marquess nach Hazelmere House zurück, das am Cavendish Square, beinahe gegenüber von Merion House lag. In der Bibliothek blätterte er den Stapel von Briefen und Einladungen durch, der sich während seiner Abwesenheit angesammelt hatte. Er nahm einen rosa Umschlag heraus, der stark nach einem schweren Parfüm duftete und die geschnörkelte Handschrift seiner derzeitigen Mätresse trug. Nachdem er die wenigen Zeilen gelesen hatte, warf er ihn ins Kaminfeuer. Dann setzte er sich hinter den Schreibtisch und verfasste eine Antwort. Er läutete einem Diener und trug ihm auf, das Schreiben persönlich abzuliefern.

Das bedeutete das Ende einer weiteren Affäre. Zehn Jahre lang hatte er sich allen Vergnügungen gewidmet, die unter seinesgleichen üblich waren, und plötzlich langweilten ihn diese Episoden. In Gedanken verglich er die reife und erfahrene Cerise, von der er sich soeben getrennt hatte, mit dem grünäugigen Mädchen, dessen Gesicht ihn verfolgte. Natürlich wusste er, dass er die Unzufriedenheit mit seinem derzeitigen Dasein hauptsächlich der Begegnung im Wald von Moreton Park zu verdanken hatte.

Marc St. John Ralton Henry war mit einunddreißig Jahren der fünfte Marquess of Hazelmere und einer der reichsten Peers des Landes. Er erinnerte sich noch gut daran, wann er zum ersten Mal von Miss Darent gehört hatte. Ihr Name war im Laufe eines Gespräches mit seiner Großtante in der Nacht vor ihrem Tod gefallen. Als sich die alte Dame nach seinen Heiratsabsichten erkundigt hatte, hatte er derartige Pläne verneint.

„Ich kann dir nicht verdenken, dass du keines dieser albernen Gänschen heiraten magst, die jedes Jahr in die Gesellschaft eingeführt werden“, hatte sie gesagt. „Doch warum schaust du dich nicht woanders um? Es gibt viele nette Mädchen, die aus dem einen oder anderen Grund niemals in London anzutreffen sind.“

Nach einem Blick auf sein skeptisches Gesicht fuhr sie fort: „Auch Mädchen vom Lande sind in der Lage, sich in ein Leben in der Gesellschaft einzufügen. Da wäre zum Beispiel Dorothea Darent jung, schön, mit einer ansehnlichen Mitgift und von genauso guter Herkunft wie du. Während der letzten sechs Jahre führte sie ihrer verwitweten Mutter den Haushalt und war deshalb nicht in der Stadt. Cynthia Darent hat es leider unterlassen, sie nach London zu bringen. Vor ein paar Monaten ist sie gestorben, und ihre beiden Töchter halten sich zurzeit in Darent Hall auf. Es tut mir sehr leid, ich hätte Dorothea gern noch einmal gesehen.“

„Warum ist dieses Prachtexemplar denn noch nicht verheiratet?“, fragte er. „So begriffsstutzig können die Herren vom Lande doch nicht sein.“

Großtante Etta kicherte. „Ich glaube, dass kein Gentleman ihr einen guten Grund für die Ehe geliefert hat. Betrachte die Angelegenheit doch einmal aus ihrer Sicht. Sie führt ein angenehmes Leben, ist vermögend und unabhängig. Warum sollte sie also heiraten?“

„Mir fielen da verschiedene Gründe ein.“

„Das kann ich mir vorstellen, aber die spielen keine Rolle, da du Dorothea wahrscheinlich nie kennenlernen wirst. Es sei denn, Hermione Merion greift ein. Ich habe ihr nämlich geschrieben. Da wäre auch noch die jüngere Schwester Cecily Darent – ebenfalls eine Schönheit, wenn auch von anderer Art. Sie würde allerdings selbst die Geduld eines Heiligen auf die Probe stellen. Und das bist du wahrhaftig nicht, daher kommt sie für dich nicht infrage. Doch genug von den Schwestern Darent. Ich habe sie lediglich als Beispiel genannt.“ Damit war das Thema erledigt.

Großtante Ettas Worte waren auf fruchtbaren Boden gefallen. Seit der Begegnung mit Dorothea Darent hatte er diese bemerkenswerte junge Dame als mögliche Ehefrau in Erwägung gezogen.

Während der vergangenen zehn Jahre hatte keines der verwöhnten Geschöpfe, die man ihm bei Almack’s oder sonst wo vorgestellt hatte, ernsthaft sein Interesse erregt. Einige Mitglieder seiner Familie hatte das gestört, vor allem seine beiden älteren Schwestern Maria und Susan, die ständig die eine oder andere Schönheit gelobt hatten. Seine Mutter und Großtante Etta jedoch hatten ihn in seiner Zurückhaltung bestärkt. Beide hatten begriffen, dass ihn unerträgliche Langeweile befiel, sobald er sich auch nur ein paar Minuten mit einem dieser ewig kichernden und geistlosen Mädchen unterhielt. Natürlich wünschte sich seine Mutter, dass er heiratete, hatte aber wiederholt betont, dass sie sich keine Debütantin als seine Ehefrau vorstellen konnte.

Großtante Etta hatte vor jener Nacht nie ein Wort über dieses Thema verloren. Sie kannte ihn zu gut, um nicht zu wissen, dass sie ihn nicht direkt darauf ansprechen durfte. Stattdessen hatte sie lediglich beiläufig erwähnt, dass sie Dorothea Darent für eine passende Ehefrau hielt und alles Weitere ihm überlasse.

2. KAPITEL

Cecily, die in einer Ecke der Kutsche kauerte, stöhnte leise. Ihre Augen waren geschlossen, doch die Falten auf ihrer Stirn zeigten, dass sie nicht schlief. Die Kutsche schwankte bedrohlich, da die Pferde auf der vereisten Straße ständig strauchelten. Die Regentropfen, die an den Scheiben hinunterrannen, versperrten die Sicht auf die trübsinnige Landschaft. Der graue Februarnachmittag neigte sich dem Ende zu. Plötzlich tauchten die dunklen Umrisse des „Three Feathers Inn“ vor ihnen auf. Da es auf halbem Weg zwischen Grange und London lag, wollten sie dort übernachten. Dorothea allein hätte die Fahrt an einem Tag zurückgelegt. Mit Cecily zusammen war das jedoch unmöglich, denn sie vertrug das Reisen schlecht.

Außer ihnen saß noch ihre Zofe Betsy, die sie seit ihrer Kinderzeit betreute, in der Kutsche. Nach reiflichem Überlegen hatten sie Tante Agnes zurückgelassen. Deren Rheumatismus war legendär, und Dorothea war davor zurückgescheut, sich mit der zwar geliebten, aber ständig jammernden alten Dame zu belasten. Zudem hegte Tante Agnes eine tiefe Abneigung gegen das starke Geschlecht, was nicht gerade hilfreich gewesen wäre, wenn man für Cecily einen Ehemann finden wollte. Jedenfalls hatte Dorothea in ihrem Schreiben, mit dem sie Lady Merion von ihrer Ankunft informierte, die Tante nicht erwähnt.

Das „Three Feathers Inn“ war eine der größten Poststationen des Distriktes. Als die Kutsche im Hof zum Stehen kam, eilten ein paar Knechte herbei, um die dampfenden Pferde auszuspannen. Gleichzeitig erschien der Wirt und führte die Schwestern ins Haus, wo sie mit einem neuen Problem konfrontiert wurden.

Während sie sich in einem kleinen Raum vor dem Kaminfeuer aufwärmten, teilte ihnen Mr Simms entschuldigend mit: „Im Dorf findet ein Boxkampf statt, Miss. Wir sind ausgebucht. Ich habe zwar ein Schlafzimmer für Sie reserviert, aber leider keinen Privatsalon mehr frei.“

Dorothea interessierte es nach der langen, anstrengenden Fahrt wenig, was in der Nachbarschaft passierte, solange sie und Cecily für die Nacht bequem untergebracht waren. Einen fehlenden Privatsalon konnte sie verschmerzen. Sie stand auf und nickte dem Wirt zu. „Schon gut, das macht nichts. Wenn Sie uns jetzt bitte unser Zimmer zeigen wollen?“

Mr Simms hatte die gesellschaftliche Stellung der Schwester Dorotheas Brief nach, in dem sie die Zimmer bestellt hatte, richtig eingeschätzt. Es tat ihm leid, dass die beiden hübschen jungen Damen nur von Dienstboten begleitet wurden. Aus Erfahrung wusste er, wie es im Laufe der Nacht im Haus zugehen würde. Er führte sie daher zu einem großen Raum im Nordteil des Gebäudes, der durch eine separate Treppe zu erreichen war.

„Ich habe Sie in diesem Zimmer untergebracht, weil es abseits liegt, Miss“, erklärte er. „Unten wird es bald von jungen Herren wimmeln, die sich den Boxkampf anschauen wollen. Am besten bleiben Sie im Zimmer und verschließen die Tür. Meine Tochter wird Ihnen Ihr Gepäck und das Essen bringen. Auf diese Weise vermeiden wir alle Unannehmlichkeiten.“ Er verbeugte sich und ging.

Dorothea und die blasse Cecily schauten sich verwirrt an. Betsy sank mit großen Augen auf einen Stuhl. „Vielleicht sollten wir weiterfahren, Miss Dorothea“, jammerte sie. „Ihrer Großmutter wird es nicht gefallen, dass Sie in einem Gasthof mit vielen groben, betrunkenen Burschen übernachten.“

„Es gibt in der Nähe keine andere Unterkunft, Betsy“, erwiderte Dorothea, während sie die Handschuhe abstreifte und ihren Mantel über einen Stuhl legte.

„Ich möchte auch lieber hier bleiben“, murmelte Cecily, der anzumerken war, wie unwohl sie sich fühlte.

Dorothea ging zum Bett. Erleichtert stellte sie fest, dass die Laken sauber waren, und klopfte einladend auf das Kopfkissen. „Das werden wir, Liebes“, versicherte sie. „Warum legst du dich nicht hin, bis das Dinner kommt?“

Es klopfte. „Wer ist da?“, fragte Betsy.

„Ich bin es nur, Madam. Hannah, die Tochter des Wirtes.“

Betsy öffnete und ließ ein rundliches Mädchen herein, das eine weiße Haube trug. „Meine Mama möchte wissen, ob Sie sonst noch etwas brauchen.“ Hannah stellte die Reisetaschen der Schwestern ab und schaute Dorothea fragend an.

„Ja, wir hätten gern warmes Wasser. Und wäre es wohl möglich, ein Bett für unser Mädchen hier aufzustellen? Es wäre mir lieb, sie während der Nacht bei uns zu haben.“

Das Mädchen nickte. „Wird gleich erledigt, Madam.“

Fünf Minuten später kehrte Hannah mit einer Kanne heißem Wasser und einem Feldbett zurück. Während sie und Betsy es aufstellten, wuschen sich Dorothea und Cecily den Straßenstaub von den Gesichtern.

Nach getaner Arbeit wischte sich Hannah die Hände an der Schürze ab. „In einer halben Stunde bringe ich das Dinner, Miss. Vergessen Sie nicht, hinter mir abzuschließen.“

Dorothea bedankte sich und verriegelte die Tür. Cecily kuschelte sich müde ins Bett. Betsy setzte sich vor den Kamin und beschäftigte sich mit einer mitgebrachten Näharbeit.

Dorothea ging ruhelos im Zimmer auf und ab. Sie sehnte sich nach frischer Luft. Plötzlich fiel ihr etwas ein: Normalerweise wären sie am späten Vormittag weitergefahren, doch unter diesen Umständen war es bestimmt besser, früh aufzubrechen. Sie schaute aus dem Fenster auf den Hinterhof. Es war ganz ruhig. Die Zuschauer des Boxkampfes schienen noch nicht eingetroffen zu sein.

„Ich gehe nach unten, um mit dem Kutscher zu sprechen“, sagte sie zu Betsy. „Wir müssen morgen früh fahren, um den Trubel zu vermeiden. Bleiben Sie bei Cecily. Ich bin gleich wieder da.“

Sie hüllte sich in ihren Mantel und verließ den Raum. Aus der Richtung, wo sie die Schankstube vermutete, drang lautes Gelächter an ihr Ohr. Dorothea lief schnell die Treppe hinunter zu der Tür, die zum Hof führte. Dort waren zwar einige Knechte mit den Pferden beschäftigt, doch ihr Kutscher Lang war nicht unter ihnen. Schließlich wagte sie sich ein Stück weiter vor und spähte in den Haupthof.

„Ach, wen haben wir denn da? Ein hübsches junges Ding, das mit uns feiern möchte?“

Ein Arm legte sich um ihre Taille, nur dass sie diesmal nicht in ein braunes Augenpaar, sondern in verschleierte blaue Augen blickte. Der Mann, der sie umfangen hielt, war ganz offensichtlich nicht mehr nüchtern.

Obwohl sie sich sträubte, zerrte er Dorothea um eine Ecke zu einer Gruppe von lärmenden, angetrunkenen Männern, die den Sieg ihres Favoriten feierten. Einer von ihnen zog ihr die Kapuze vom Kopf, sodass ihr das Licht vom Haupteingang voll ins Gesicht fiel. Sie versuchte verzweifelt, sich zu befreien, doch der junge Mann hielt sie eisern fest.

„Lassen Sie sofort die Dame los, Tremlow“, ertönte eine sonore Stimme. „Ich dulde nicht, dass Sie sie weiter belästigen.“

Dorothea, die die Stimme sofort erkannte, wäre am liebsten im Boden versunken.

Die Worte des Marquess of Hazelmere, der am Rande der Gruppe erschienen war, zeigten sofort Wirkung. Der junge Mann nahm den Arm von ihrer Taille. „Tut uns leid, Hazelmere, wir wussten ja nicht, dass sie eine Dame ist.“

Der Satz trieb Dorothea die Schamröte in die Wangen. Sie zog die Kapuze hoch. Der Marquess trat zu ihr, wodurch er die Sicht auf sie weitgehend versperrte. Dann drehte er sich zu den Männern um. „Ich bin sicher, Sie möchten sich alle bei der Dame entschuldigen.“

Ein Chor antwortete: „Oja. Selbstverständlich. Verzeihen Sie, Madam. Es war keine böse Absicht …“

Der Wirt, der zu spät bemerkt hatte, was sich in seinem Hof abspielte, eilte herbei, um einen seiner geschätztesten Gäste zu unterstützen. „Ah, Simms“, rief der Marquess, als er ihn entdeckte. „Nach diesem kleinen Missverständnis wäre wohl eine Runde für diese Herren angebracht, finden Sie nicht auch?“

„Aber ja, Mylord“, erwiderte der Wirt, der den Wink verstanden hatte. „Ich habe ein Fass frisch gebrautes Bier, zu dem ich gerne Ihre Meinung wüsste.“ Das Angebot genügte, um die Herren in die Schankstube zu locken.

Während sich die Gesellschaft entfernte, erschien Lord Anthony Fanshawe an der Seite seines Freundes und hob fragend die Augenbrauen. Er hatte Lord Hazelmere über den Hof begleitet, als dieser plötzlich stehen geblieben war, einen Fluch ausgestoßen und sich durch eine Schar von Neugierigen gedrängt hatte. In der Annahme, dass sich dort irgendwo eine Dame in Not befände, war er seinem Freund gefolgt.

„Vergewissere dich, ob auch alle im Haus sind, Tony“, bat Lord Hazelmere. „Ich treffe dich in ein paar Minuten im Salon.“

Lord Fanshawe nickte nur und entfernte sich wortlos. Er hatte gemerkt, dass sein Freund aus der Kinderzeit sehr zornig war.

Der Marquess nahm Dorotheas Arm. „Ich begleite Sie ins Haus und möchte mit Ihnen reden“, erklärte er.

Sie war wütend auf sich selbst, dass sie sich in diese Lage gebracht und ausgerechnet er sie daraus gerettet hatte. Im hinteren Hof angelangt, drehte er sie zu sich herum. Als sie sein Gesicht aus der Nähe sah, erschrak sie. Seine Augen zeigten einen harten Ausdruck, die Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst. „Darf ich mich erkundigen, was Sie dort draußen zu suchen hatten?“, fragte er in schneidendem Ton.

Dorothea warf den Kopf zurück und funkelte ihn an. „Ich wollte unseren Kutscher informieren, dass wir morgen sehr früh aufbrechen müssen, um das Aufsehen zu vermeiden, das ich bedauerlicherweise gerade eben erregt habe.“

„Simms hätte Sie warnen sollen, dass es klüger gewesen wäre, in Ihrem Zimmer zu bleiben und die Tür abzuschließen.“

Sie zögerte, bevor sie ihm antwortete. „Er hat mich gewarnt“, gestand sie kleinlaut.

Seine Miene wurde noch düsterer. „Ich begreife nicht, dass Ihnen so wenig an Ihrem guten Ruf gelegen ist. Ist Ihnen denn immer noch nicht klar, dass ihr leichtsinniges Verhalten Ihnen in der Gesellschaft schaden wird?“ Er packte sie bei den Schultern, sodass sie schon glaubte, er werde sie schütteln. Als er weiterredete, beherrschte er sich offenbar nur mühsam. „Ich kann nur wiederholen, was ich Ihnen bereits früher gesagt habe. Sie dürfen unter keinen Umständen ohne Begleitung ausgehen. Vielleicht darf ich hinzufügen, dass ich, falls ich Sie je wieder allein antreffe, persönlich dafür sorgen werde, dass Sie eine Woche lang nicht mehr sitzen können.“

Dorothea schnappte ungläubig nach Luft.

„Oh ja, dazu bin ich durchaus imstande“, versicherte er.

Sie merkte, dass er es ernst meinte. Inzwischen war sie genauso wütend wie er. Welches Recht maßte sich dieser unverschämte Mann an, sie herumzukommandieren?

Lord Hazelmere gab ihr keine Gelegenheit, ihren Zorn loszuwerden. Eine Hand fest um ihren Ellbogen gelegt, führte er sie ins Innere des Gasthauses. „Wo hat Simms Sie untergebracht?“ Dorothea, die ihrer Stimme nicht traute, deutete lediglich auf die Tür am oberen Ende der kleinen Treppe.

„Sehr klug! Das ist heute Nacht bestimmt das sicherste Zimmer. Sie werden vielleicht nicht ganz ruhig schlafen, aber mit ein bisschen Glück keine unwillkommenen Störungen erleben.“

Nach einem Blick in ihr blasses Gesicht rief er dem Wirt zu, der gerade den Korridor durchquerte: „Simms, bringen Sie uns ein Glas von Ihrem besten Brandy.“

„Sehr wohl, Mylord.“

Dorothea hielt diesen seltsamen Auftrag für eine Laune Seiner Lordschaft. Ihr war vor allem daran gelegen, ihren Zorn loszuwerden. Als sie sich auf der kleinen Diele zu ihm umdrehte, war sie sich seiner Nähe nur allzu bewusst.

„Lord Hazelmere, die Art, wie Sie mit mir reden gefällt mir nicht“, sagte sie kühl. „Woher nehmen Sie das Recht, mein Benehmen zu kritisieren? Das vorhin war ein unglücklicher Zwischenfall, weiter nichts. Ich bin durchaus imstande, auf mich selbst aufzupassen …“

„Wäre es Ihnen wirklich lieber, ich hätte Sie Tremlow und seinen Kumpanen überlassen?“, unterbrach er sie. „Glauben Sie mir, das hätte sehr unangenehm für Sie werden können.“ Seine in gelangweiltem Ton geäußerten Worte wirkten wie ein kalter Guss.

Wieder waren ihre Gedanken deutlich in ihrem Gesicht zu lesen. Bis zu diesem Augenblick war Dorothea offenbar nicht klar gewesen, in welcher Gefahr sie sich befunden hatte. Sie wurde noch blasser als zuvor.

Der Wirt kam und brachte den gewünschten Brandy. „Ich möchte in ein paar Minuten mit Ihnen sprechen“, erklärte der Marquess, nahm ihm das Glas ab und reichte es Dorothea. „Trinken Sie.“

„Ich mag keinen Brandy“, protestierte sie.

„Vielleicht wissen Sie es nicht, aber Sie zeigen alle Anzeichen eines Schocks. Sie sind schneeweiß und werden bald anfangen zu zittern, sich schwach fühlen und frieren. Der Brandy wird Ihnen helfen. Seien Sie ein braves Mädchen und trinken Sie. Falls nicht, muss ich Sie dazu zwingen.“ Nach einem Blick in sein entschlossenes Gesicht gab sie den ungleichen Kampf auf und ergriff das Glas. Lord Hazelmere wartete geduldig, bis sie es geleert hatte. Seine Miene war weicher geworden. Die harten Linien waren verschwunden. Plötzlich erinnerte er sich an den Anlass der ganzen Episode. „Ich nehme an, Sie fahren nach London“, begann er. „Wie heißt eigentlich Ihr Kutscher?“

„Lang. Ich dachte, wir sollten um acht Uhr aufbrechen.“

„Sehr vernünftig. Ich sorge dafür, dass er informiert wird. Und jetzt schlage ich vor, dass Sie Ihr Zimmer aufsuchen und Ihre Tür nur für die Wirtsleute öffnen.“ Sein ruhiger Ton verriet keinerlei Gemütsbewegung.

In Dorothea kämpften die widersprüchlichsten Empfindungen miteinander. Schock, Zorn, die Wirkung des Brandys und der Marquess selbst verwirrten ihre Sinne. Sie presste die Hände gegen die Schläfen und bemühte sich, sich auf seine Worte zu konzentrieren.

„Versuchen Sie zu schlafen“, riet er. „Ach ja, noch etwas. Richten Sie Lady Merion aus, dass ich ihr übermorgen einen Besuch abstatten werde.“

An der Tür drehte sie sich noch einmal um. Ihr Stolz gebot ihr, sich bei ihm zu bedanken, sowenig ihr das auch gefiel. Sie holte tief Luft. „Mylord, ich muss Ihnen danken, dass Sie mich aus einer Notlage gerettet haben“, murmelte sie.

Auf seinem Gesicht erschien das charmante Lächeln, das eine so verheerende Wirkung auf sie ausübte. „Ja, das müssen Sie wohl“, pflichtete er ihr bei. „Aber machen Sie sich nichts draus. In London finden Sie bestimmt genug Gelegenheiten, mich für mein schreckliches Benehmen zu bestrafen!“ Als von unten Stimmen heraufdrangen, streichelte er mit einem Finger sanft ihre Wange. „Gute Nacht, Miss Darent.“

Sie drehte sich abrupt um und klopfte an die Tür. „Betsy, ich bin es, Dorothea.“

Die Art, wie die Tür geöffnet wurde, zeigte, welche Furcht die beiden Frauen dahinter beseelte. Betsy zog Dorothea ins Zimmer und schloss die Tür sofort wieder.

Lord Hazelmere wartete, bis der Riegel vorgeschoben wurde. Dann ging er nach unten, wo er den Wirt traf.

„Simms, ich möchte sicher sein, dass die Damen heute Nacht nicht gestört werden. Sie haben nicht zufällig einen großen und kräftigen Burschen, der unten an der Treppe Wache halten kann?“

Simms grinste, als er den Goldsovereign in der Hand Seiner Lordschaft entdeckte. „Mein ältester Sohn leidet unter Zahnschmerzen, sitzt den ganzen Tag in der Küche herum und jammert. Er kann Wache halten.“

„Sehr gut.“ Die Münze wechselte den Besitzer. „Noch etwas, Simms. Ich wünsche, dass die Damen äußerst zuvorkommend behandelt werden.“

„Selbstverständlich, Mylord. Meine Frau wird Ihnen gleich das Abendessen servieren.“

Lord Hazelmere trat in den Hof hinaus und schaute zu den Sternen hinauf, die am Himmel funkelten, nachdem die Wolken sich verzogen hatten. Jim Higgins – sein persönlicher Reitknecht, seit der junge Lord einen solchen benötigt hatte – hielt sich in der Nähe auf, für den Fall, dass sein Herr ihn brauchte. Schließlich drehte sich der Marquess um.

„Jim, Sie müssen einen gewissen Lang, den Kutscher von Miss Darent finden und ihn informieren, dass sie morgen früh um acht Uhr weiterfahren will.“

„Ja, Mylord.“

„Falls es bei der Abreise der Damen Schwierigkeiten geben sollte, wünsche ich gerufen zu werden. Ist das klar?“

„Ja, Mylord.“

„Sehr gut. Gute Nacht, Jim.“

Ausnahmsweise hatte der Reitknecht nichts gegen frühes Aufstehen einzuwenden, da es ihm Gelegenheit verschaffte, einen Blick auf Miss Darent zu werfen. Er war aus der Ferne Zeuge des Wortwechsels zwischen ihr und seinem Herrn geworden. Seiner Meinung nach benahm sich Seine Lordschaft ziemlich ungewöhnlich. Einer jungen Dame gegenüber die Beherrschung zu verlieren, entsprach so gar nicht seinem Stil. Jim war neugierig auf diese Miss Darent, die seinen Herrn derart aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.

Lord Hazelmere ahnte glücklicherweise nichts von den Überlegungen seines Dieners. Er betrat das Gasthaus durch den Haupteingang und blieb vor der offenen Tür der Schankstube stehen, aus der ihm lauter Lärm entgegenschlug. Die Gruppe junger Burschen, vor der er Miss Darent gerettet hatte, hatte sich um den Tresen versammelt. Tremlow, ihr Anführer saß mit Sir Barnaby Ruscombe in ein Gespräch vertieft an einem kleinen Tisch in der Ecke. Nachdem er die Szene einen Augenblick lang beobachtet hatte, begab sich seine Lordschaft in den privaten Salon, der stets für ihn reserviert war, wenn er im „Three Feathers Inn“ abstieg. Als er eintrat, war sein Freund damit beschäftigt, einen Apfel zu schälen.

„Da bist du ja endlich“, stellte Lord Fanshawe fest. „Ich habe schon überlegt, ob es wohl nötig wäre, dich zu retten.“

„Ich hatte noch einiges zu erledigen, nachdem ich Miss Darent zu ihrem Zimmer gebracht habe“, erklärte der Marquess, zog seinen Mantel aus und warf ihn über einen Stuhl. Dann ging er zur Anrichte und schenkte sich ein Glas Wein ein.

„Und wer zum Teufel ist diese geheimnisvolle Miss Darent?“

„Da gibt es kein Geheimnis. Miss Darent lebt auf Grange, dem an Moreton Park grenzenden Gut. Sie und ihre Schwester reisen nach London zu ihrer Großmutter, Lady Merion.“

„Wie kommt es, dass ich noch nie etwas von ihr gehört, geschweige denn sie gesehen habe?“

„Ganz einfach. Sie hat ihr ganzes Leben auf dem Land verbracht und nicht in unseren Kreisen verkehrt.“

Die Tür ging auf, und Simms kam mit einem voll beladenen Tablett herein.

„Endlich“, rief Lord Fanshawe. „Ich bin am Verhungern.“

Der Wirt stellte Teller und Platten auf den Tisch. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass alles in Ordnung war, wandte er sich an den Marquess. „Ich habe alles Ihren Wünschen entsprechend veranlasst, Mylord.“

Lord Hazelmere nickte ihm dankend zu. Der Wirt verbeugte sich und verließ den Salon.

Die beiden Freunde nahmen das Mahl in freundschaftlichem Schweigen ein. Sie waren zusammen aufgewachsen, da sie auf Nachbargütern innerhalb eines Monats zur Welt gekommen waren. Dann hatten sie gemeinsam die Schule in Eton und später in Oxford besucht. Auch während der vergangenen zehn Jahre in der Stadt war ihre enge Verbindung nicht abgerissen. Sie hatten nie Geheimnisse voreinander gehabt, doch aus Gründen, die Lord Hazelmere sich selbst nicht erklären konnte, hatte er seinem besten Freund nichts von der Bekanntschaft mit Dorothea Darent erzählt.

Nachdem der Tisch abgeräumt worden war, widmeten sich die Herren dem exzellenten Claret, der aus Simms tiefstem Keller stammte.

„Eines ist seltsam“, stellte Lord Fanshawe fest: „Wenn sich Miss Darent nicht in unseren Kreisen bewegt, wo hast du sie dann getroffen?“

„Wir sind uns nur einmal inoffiziell begegnet.“

„Wann und wo?“

„Im letzten August, als ich in Moreton Park war.“

Sein Freund runzelte die Stirn. „Ich habe dich im August in Moreton Park besucht und weiß noch, dass du dich über den Mangel an weiblicher Gesellschaft beklagt hast.“

„Ich erinnere mich, etwas Derartiges geäußert zu haben.“

„Miss Darent hattest du wohl völlig vergessen.“

Der Marquess lächelte versonnen. „Ganz recht.“

„Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich das glaube. Und wenn ich es nicht tue, dann tut es auch sonst niemand. Da dieser Bursche Ruscombe hier ist, solltest du dir eine gute Erklärung einfallen lassen, falls du nicht wünschst, dass sich ganz London das Maul zerreißt.“

Sir Barnaby Ruscombe wurde von den Gastgeberinnen der Gesellschaft nur deshalb toleriert, weil er eine unerschöpfliche Quelle bösartigen Klatsches war. Es bestand keine Chance, dass er die Geschichte von Lord Hazelmeres Rettungsaktion nicht überall herumerzählen würde. Und die interessante Tatsache, dass der Marquess Miss Darent bereits kannte, musste sie unweigerlich in Verruf bringen.

Ein paar Minuten herrschte Schweigen. „In diesem Fall hätte die Wahrheit verheerende Folgen“, meinte Lord Hazelmere schließlich. „Sämtliche Lästerzungen würden sich in Bewegung setzen, wenn die Einzelheiten meiner ersten Begegnung mit Miss Darent bekannt würden.“

Tony Fanshawe wunderte sich. Hazelmeres Affären mit Halbweltschönheiten waren Legion, Damen seines eigenen Standes gegenüber hatte er sich jedoch immer korrekt benommen. Plötzlich kam ihm die Erleuchtung. „Heißt das vielleicht, dass du sie auf dem Land getroffen hast, und sie nicht in Begleitung einer Anstandsdame war?“

„Du hast richtig vermutet. Wir waren allein. Wenn sich das herumspräche, wäre Miss Darent hoffnungslos kompromittiert, und ich müsste sie heiraten.“

„Gütiger Himmel! Was in aller Welt hast du angestellt?“

„Zügle deine Fantasie“, mahnte der Marquess, der merkte, dass seinem Freund die wildesten Szenen vorschwebten. „Wenn du es denn wissen musst, ich habe sie geküsst. Und zwar wirklich geküsst – nicht nur sanft auf die Wange.“

Lord Fanshawe starrte ihn ungläubig an. „So wie eine deiner Geliebten? Verdammt! Du kannst eine junge Dame doch nicht wie eine Kokotte behandeln.“

„Das ist wahr. Leider ändert das nichts an der Tatsache, dass ich das in Miss Darents Fall getan habe.“

„Wie lange hat es gedauert, bis sie aus ihrer Ohnmacht erwacht ist?“

„Sie ist nicht in Ohnmacht gefallen. Stattdessen hat sie versucht, mich zu schlagen.“

Lord Fanshawe war fasziniert. „Diese Miss Darent scheint eine bemerkenswerte junge Dame zu sein. Ich muss Sie unbedingt kennenlernen.“

„Dazu hast du demnächst in London Gelegenheit. Vergiss nicht, dass sie mir zuerst über den Weg gelaufen ist.“

Tony Fanshawe fand diese Bemerkung sehr aufschlussreich. Er seufzte tief „Typisch für dich, ein Juwel zu finden, das vor dir noch niemand entdeckt hat. Es gibt nicht zufällig eine Schwester?“

„O doch, es gibt eine Schwester – eine aufregende Schönheit, die gerade siebzehn geworden ist.“

„Dann besteht für uns andere ja noch Hoffnung.“ Lord Fanshawe wurde ernst. „Hast du dir inzwischen überlegt, wie du erklären willst, dass du Miss Darent bereits kennst?“

„Sie ist Lady Merions Enkelin. Sobald wir wieder in der Stadt sind, gedenke ich mich Ihrer Ladyschaft anzuvertrauen. Gemeinsam sollte es uns gelingen, eine glaubhafte Ausrede zu erfinden.“

„Vorausgesetzt, Mylady ist bereit, über dein Verhalten ihrer Enkelin gegenüber hinwegzusehen.“

„Es geht wohl eher darum, ob Miss Darent dazu bereit ist.“

„Wie meinst du das?“

„Nun, sie ist zwar wütend auf mich, ich bin aber nicht sicher, dass sie Lady Merion die ganze Geschichte erzählt.“

Lord Fanshawe überlegte, dann schüttelte er den Kopf „Das sehe ich nicht so. Junge Mädchen pflegen alles in romantischen Farben zu malen. Vermutlich hat sie alles ausgeplaudert, noch ehe du Lady Merion auch nur zu sehen bekommst.“

Auf Lord Hazelmeres Gesicht erschien ein undeutbares Lächeln. „In diesem Fall halte ich das für unwahrscheinlich.“

„Das Mädchen ist doch nicht etwa hässlich?“, fragte sein Freund.

„Nein. Auch nicht direkt schön, aber ungeheuer anziehend – wenn passend angezogen.“

„Sie war demnach nicht passend angezogen, als du sie getroffen hast?“

„Das kann man beim besten Willen nicht behaupten.“

Lord Fanshawe beschloss, das Thema fallen zu lassen. In einer solchen Stimmung hatte er seinen Freund noch nie erlebt. Er war nunmehr überzeugt, dass Marc ihm etwas verheimlichte.

„Miss Darent ist zweiundzwanzig“, berichtete der Marquess, „vernünftig und praktisch. Sie ist weder in Ohnmacht gefallen, noch hat sie eine Szene gemacht. Anstatt mir an die Brust zu sinken und zu danken, dass ich sie vor Tremlow und seinen Kumpanen gerettet habe, hat sie mir so ungefähr zu verstehen gegeben, ich könne mich zum Teufel scheren. Mit anderen Worten bezweifle ich, dass Miss Darent Gefahr läuft, dem verhängnisvollen Charme des Marquess of Hazelmere zu erliegen.“

„Ich verstehe“, erwiderte Fanshawe, der nicht das Mindeste verstand.

Ein Klopfen an der Tür kündigte die Ankunft von einigen Freunden an, die nach dem Boxkampf aufgehalten worden waren. Gleich darauf drehte sich die Unterhaltung um sportliche Themen.

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen verließ die Gesellschaft aus Grange ohne weiteren Zwischenfall das „Three Feathers Inn“. Es war ein kühler Tag, doch das Tauwetter hatte eingesetzt, und die Straßen wurden besser, je mehr sie sich der Stadt näherten. Dorothea war deprimiert. Als sie am Abend zuvor ins Schlafzimmer zurückgekehrt war, hatten Cecily und Betsy sie mit Fragen bestürmt. Sie hatte das Verhör über sich ergehen lassen, da sie aus Erfahrung wusste, dass Schweigen eine derartige Inquisition am wirkungsvollsten beendete. Diesmal hatte diese Taktik nichts genützt, und schließlich hatte sie die Beherrschung verloren.

„Hört auf, alle beide“, rief sie. „Wenn ihr es denn wissen müsst – ich habe auf dem Hof einen unverschämten Mann getroffen und bin sehr wütend.“

Cecily war verärgert, weil sie über den Zwischenfall nichts Genaueres erfahren konnte. In einem bedauerlichen Anfall von Aufrichtigkeit hatte Dorothea ihr im August von ihrer Begegnung mit Lord Hazelmere erzählt. Die Reaktion ihrer Schwester hatte sie gelehrt, diesmal den Namen des betreffenden Gentleman zu verschweigen.

Dorothea hatte keinen Appetit, doch das zuzugeben, hätte erneut eine Diskussion nach sich gezogen. Sie zwang sich daher, ein paar Bissen von der Taubenpastete zu essen. Angesichts des genossenen Brandys verzichtete sie auf Wein. Nach Ende des Mahles ging sie zu Bett und Cecily folgte ohne Kommentar ihrem Beispiel.

Dorothea fand bis zum Morgengrauen, als der Lärm im Gasthaus endlich verstummte, keinen Schlaf. Sie hatte daher genügend Zeit, um über ihr zweites Zusammentreffen mit dem Marquess of Hazelmere nachzudenken. Seine arrogante Überzeugung, sie würde ihm gehorchen, ärgerte sie maßlos. Sie versuchte die Erkenntnis zu verdrängen, dass er trotz allem eine seltsame Anziehungskraft auf sie ausübte. Nichts wünschte sie sich weniger, als für diesen schrecklichen Mann Gefühle zu entwickeln. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er in dieser Nacht irgendwo im Gasthaus die Gunst eines leichten Mädchens genießen. Der Gedanke gefiel ihr kein bisschen. Als sie schließlich einschlief, verfolgte sie im Traum ein Paar nussbrauner Augen.

Zum Lunch machten sie in einem hübschen, kleinen Gasthaus am Ufer der Themse Halt. Während der Weiterfahrt malte Dorothea sich die Begegnung mit ihrer Großmutter aus. Sie überlegte, wie sie das Thema Hazelmere und seinen angekündigten Besuch zur Sprache bringen sollte. Erst das Rumpeln der Kutschenräder auf den gepflasterten Straßen riss sie aus ihren Grübeleien. Das geschäftige Leben und Treiben faszinierte sie. Erst als die Kutsche in das Viertel einbog, in dem die reicheren Bürger wohnten, ließen sie den Trubel hinter sich.

Vor einem imposanten Gebäude hielt die Kutsche an. Ein würdiger Butler half den Schwestern beim Aussteigen. Nachdem sie in der Halle die Mäntel abgelegt hatten, führte er sie in den Salon, wo ihre Großmutter sie erwartete.

Lady Merion, die in eine Wolke aus Gaze und Parfum gehüllt war, umarmte ihre beiden Enkelinnen. Ihre blonde Perücke war perfekt frisiert. Das Gesicht mit den scharfen blauen Augen, der geraden Nase und den stets lächelnden Lippen, zeigte noch deutlich die Spuren einstiger Schönheit.

„Meine Lieben, ich freue mich, dass ihr sicher angekommen seid“, rief sie. „Mein Küchenchef Henri hat einen kleinen Imbiss heraufgeschickt, damit ihr euch nach der langen Fahrt stärken könnt.“

Als sie am Kamin saßen, stellte Lady Merion fest, dass keine der Schwestern besonders frisch und munter wirkte. „Wir werden einen ruhigen Abend verleben“, versprach sie. „Ihr müsst gleich nach dem Dinner zu Bett gehen. Für morgen Vormittag habe ich unseren Besuch in einem der elegantesten Modesalons von London angekündigt.“

Nachdem sie gegessen und Tee getrunken hatten, läutete Lady Merion. Witchett erschien, eine hagere Frau mit spärlichen, grauen Haaren, deren Talent darin bestand, die äußere Erscheinung ihrer ältlichen Herrin dem vorherrschenden modischen Stil anzupassen. Mit einem schnellen Blick überzeugte sie sich, dass der Butler Mellow nicht übertrieben hatte. Die jüngere Miss Darent würde, gut angezogen, Aufsehen erregen. Und dass die ältere das gewisse Etwas besaß, war unverkennbar.

„Da sind Sie ja, Witchett“, sagte Lady Merion. „Bitte führen Sie Miss Dorothea und Miss Cecily in ihre Zimmer.“ An ihre Enkelinnen gerichtet fuhr sie fort: „Ich schlage vor, dass ihr euch bis zum Dinner ausruht, meine lieben. Witchett wird dafür sorgen, dass eure Sachen ausgepackt werden. Sie wird sich auch um eure Garderobe kümmern, bis wir geeignete Zofen finden. Und jetzt ab mit euch.“ Sie entließ die beiden Schwestern mit einem Wink ihrer juwelengeschmückten Hand.

Die Mädchen folgten der Zofe in zwei hübsche Schlafzimmer, die offensichtlich neu eingerichtet worden waren. Dorotheas Raum war in sanftem Pastellgrün, Cecilys in einem hübschen Blau gehalten. Alles war bereits ausgepackt. Witchett versprach, wiederzukommen, um ihnen beim Ankleiden zum Dinner zu helfen und ging. Dorothea sank dankbar in die weichen Federn und schlief auf der Stelle ein.

Lady Merion hatte bei ihrem Küchenchef für den Abend ein einfaches und leichtes Menü bestellt. Da Dorothea und Cecily ihren Appetit wieder gefunden hatten, waren sie zum Glück imstande, die ungewohnten Londoner Köstlichkeiten zu genießen.

Ihre Großmutter bestritt weitgehend die Unterhaltung. „Wichtig ist jetzt vor allem, euch beide neu auszustatten“, erklärte sie. „Auf unserer Liste steht daher als erstes Celestine, deren Modesalon in der Bruton Street zu Recht berühmt ist.“

Lady Merion hatte Madame Celestine einen Besuch abgestattet, nachdem sie sich entschlossen hatte, ihre Enkelinnen im ton zu präsentieren. Sie hatte der Schneiderin klargemacht, was sie von ihr erwartete. Celestine hatte ihr sehr erfolgreiches Geschäft in der richtigen Einschätzung ihrer Kundinnen aufgebaut, dass diese ihre Modelle in den besten Kreisen trugen. Sie nahm an, dass Lady Merions Enkelinnen alle exklusiven Veranstaltungen besuchen würden. Nachdem sie eine Beschreibung der jungen Damen erhalten hatte, hatte sie versprochen, ihr Möglichstes zu tun, um deren Debüt zu einem Erfolg zu machen.

„Anschließend müssen wir dafür sorgen, dass mit euren Haaren etwas geschieht“, fuhr Lady Merion fort. „Einen Tanzlehrer habe ich auch bereits engagiert. Ich glaube nämlich nicht, dass ihr den Walzer beherrscht.“ Sie machte eine Pause, aß ein paar Bissen und redete weiter: „Sobald ihr präsentabel seid, werden wir eine Ausfahrt in den Park unternehmen. Nachmittags um drei Uhr, das ist zu dieser Jahreszeit die richtige Stunde, um Leute zu treffen. Ich beabsichtige, euch einigen wichtigen Persönlichkeiten vorzustellen. Vielleicht begegnen wir auch Angehörigen der jüngeren Generation, mit denen ihr euch anfreunden könnt. Lady Jersey und Princess Esterhazy sollten ebenfalls da sein. Beide Damen sind Patronessen von Almack’s und müssen euch eine Einladung zukommen lassen. Falls ihr dort keinen Einlass findet, könnt ihr die Saison vergessen und gleich wieder nach Hause fahren.“

„Gütiger Himmel!“, rief Dorothea. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass das so wichtig ist.“

„Es ist wichtig“, versicherte ihre Großmutter und versorgte ihre Enkelinnen mit einer Fülle von weiteren Informationen. Dorothea und Cecily hörten aufmerksam zu. Ihr gesunder Menschenverstand sagte ihnen, dass sie so viel wie möglich von den Sitten und Gebräuchen der eleganten Gesellschaft lernen mussten, bevor sie sich zum ersten Mal deren kritischen Blicken aussetzten.

Als Lady Merion gegen neun Uhr bemerkte, dass Cecily gähnte, beendete sie auf der Stelle ihre Lektion. „Zeit zum Schlafengehen“, meinte sie lächelnd. „Läute bitte nach Witchett, Dorothea. Sie wird euch beim auskleiden helfen.“

Nachdem sich die Tür hinter den beiden Mädchen geschlossen hatte, machte Lady Merion es sich auf einem Sofa bequem. Die Saison versprach, erfreulich zu werden. In letzter Zeit hatte es in ihrem Alltag in bedauerlichem Maß an Aufregung gemangelt.

Sie hatte nicht über sechzig Jahre lang in aristokratischen Kreisen verkehrt, ohne zu lernen, die Menschen ihrer Umgebung richtig einzuschätzen. Ihre ungekünstelten und sympathischen Enkelinnen hatten sie, als sie sie nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder in Darent Hall gesehen hatte, angenehm überrascht. Nach ein paar Stunden in ihrer Gesellschaft war sie zu dem Schluss gelangt, dass es ihr Spaß machen würde, sie im ton einzuführen. Sie hatte die Mädchen zwar lieb gewonnen, sich aber auch von egoistischen Motiven leiten lassen. Jetzt beschlichen sie leise Zweifel, ob sie der Sache wohl gewachsen sein würde.

Dorothea hatte seltsam in sich gekehrt gewirkt. Lady Merion hoffte, dass das Mädchen sich nicht in irgendeinen Landedelmann verliebt hatte. Doch auch wenn das der Fall sein sollte, würde sie im Trubel der Londoner Vergnügungen ihre ländliche Vergangenheit wahrscheinlich bald vergessen.

Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedankengängen. Dorothea – in einem zartrosa Morgenrock und mit offenen Haaren – streckte den Kopf durch die Tür und trat ein, als sie ihre Großmutter entdeckte.

Lady Merion hob die Brauen. „Kind, was ist los?“

„Großmama, ich muss dir unbedingt etwas sagen.“

Jetzt erfahre ich, was das Mädchen bekümmert, dachte Lady Merion und bedeutete ihrer Enkelin, sich zu setzen.

Dorothea nahm Platz und schaute ins Kaminfeuer. „Der Marquess of Hazelmere wird dich morgen besuchen“, erklärte sie unumwunden.

„Gütiger Himmel!“, rief Lady Merion und richtete sich abrupt auf. „Wie um alles in der Welt hast du einen Mann seines Kalibers kennengelernt?“ Schon der Name bereitete ihr Unbehagen. Viele hoffnungsvolle Mütter betrachteten Lord Hazelmere als Gefahr für ihre naiven Töchter. Da er sich bisher nur für Halbweltdamen interessiert hatte, stand er nicht auf der Liste der passenden Bewerber. Lady Merion konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb er mit ihr sprechen wollte. „Erzähl mir, worum es geht“, bat sie.

„Zum ersten Mal traf ich Lord Hazelmere vergangenen August beim Beerenpflücken in Moreton Park“, begann Dorothea. „Er hatte das Gut gerade von seiner Großtante, Lady Moreton, geerbt.“

„Ja, das weiß ich. Ich habe Etta Moreton gut gekannt. Tatsächlich hat sie mir nach dem Tode deiner Mutter geschrieben und mich gebeten, mich um euch zu kümmern.“

„Hat sie das wirklich getan?“, erkundigte sich Dorothea erstaunt.

„Allerdings. Und was geschah, als du Hazelmere getroffen hast? Vermutlich hat er wie gewöhnlich seinen ganzen Charme versprüht?“

Dorothea hielt sich an ihre erfundene Geschichte. „Er stellte sich mir selbst vor. Und da ich allein war, bestand er darauf, mich nach Hause zu begleiten.“

Lady Merion hörte aus den vorsichtigen Formulierungen ihrer Enkelin mehr heraus, als diese ahnte, und zog daraus ihre eigenen Schlüsse. „Liebes, gib ruhig zu, dass er dich heftig umworben hat“, sagte sie. „Das ist so seine Art. Dieser Teufel kann unglaublich charmant sein, wenn ihn die Laune überkommt.“

„Ich fand ihn ziemlich arrogant“, behauptete Dorothea und redete schnell weiter. „Vergangene Nacht habe ich Lord Marquess im ‚Three Feathers Inn‘ wieder gesehen.“

Lady Merion hätte geschworen, dass nichts und niemand sie so schnell erschüttern könnten. Jetzt merkte sie, dass ihre Enkelin, die erst wenige Stunden im Haus war, es geschafft hatte, sie aus der Ruhe zu bringen. „Der Marquess war vergangene Nacht im ‚Three Feathers Inn‘?“, erkundigte sie sich mit schwacher Stimme.

„Ja, und noch eine ganze Anzahl von Herren. In der Nähe fand nämlich ein Boxkampf statt.“

Lady Merion schloss die Augen und fragte sich, welche Enthüllungen ihr wohl noch bevorstanden. Dorotheas sorgfältig zensierte Geschichte nahm sie schweigend zur Kenntnis. Sie war mehr als nur ein bisschen verwirrt. Dass Hazelmere Dorothea geholfen hatte, mochte stimmen, doch sein anschließendes Benehmen war schwer zu verstehen. Es passte nicht zu ihm, die Beherrschung zu verlieren, schon gar nicht einem Mädchen gegenüber, das er kaum kannte.

Dorothea wartete offensichtlich auf ihr Urteil. Lady Merion versuchte daher nicht länger, das Rätsel Hazelmere zu lösen. „Nun, meine Liebe, ich finde nichts an deinem Verhalten, was dir übermäßige Sorge bereiten sollte“, meinte sie. „Ich weiß, dass man in Grange keinen großen Wert auf Formalitäten legte. Der Zwischenfall im Gasthof ist bedauerlich, doch du konntest den Ausgang nicht voraussehen. Zum Glück war ja Hazelmere da, um dir zu helfen.“ Sie machte eine nachdenkliche Pause. „Hast du eine Ahnung, aus welchem Grund er mich morgen sprechen will?“

Dorothea hatte sich darüber ebenfalls den Kopf zerbrochen. „Vielleicht wegen der anderen anwesenden Herren“, antwortete sie schließlich. „Sie wissen jetzt, dass wir uns schon früher begegnet sind. Ich nehme an, dass wir uns auf eine akzeptable Geschichte einigen müssen.“

Nach kurzem Überlegen nickte ihre Großmutter. „Ja, das wäre eine Erklärung.“ Lord Hazelmere war sich natürlich der möglichen Konsequenzen bewusst. Es entsprach seinem Charakter, den Schaden so gering wie möglich zu halten.

Nachdem Dorothea von der nagenden Furcht befreit war, eine gesellschaftliche Todsünde begangen zu haben, verbrachte sie eine ruhige Nacht. Cecily schlief ebenfalls den Schlaf der Unschuld und erholte sich von den Reisestrapazen.

In der Bruton Street wurden Lady Merion und ihre Enkelinnen von Madame Celestine persönlich empfangen. Die erfahrene Schneiderin wusste sofort, dass die Schwestern Darent eine Herausforderung für ihr Talent waren. Fünf Minuten in ihrer Gesellschaft überzeugten sie, dass die Mädchen in ihrer offenen und charmanten Art sowie der unbewussten Ausstrahlung, die nur wahrhaft gute Herkunft verlieh, zu den Höhepunkten der Saison gehören würden.

Lady Merion nahm sie gleich nach der Ankunft beiseite. „Meine Enkelinnen haben gute Chancen, Madame“, begann sie. „Miss Dorothea hat bereits die Bekanntschaft eines unverheirateten Peers gemacht. Natürlich kann ich den Namen nicht nennen, aber Lord H. lässt seine übliche Gleichgültigkeit vermissen. Ich habe jede Hoffnung, dass sie vor Ende der Saison gut versorgt ist.“

Lady Merion vertraute darauf, dass sich ihre kleine Indiskretion verbreiten würde. Die ganze unangenehme Sache, sollte wenigstens zu etwas nutze sein. Sie machte sich, ihre ältere Enkelin betreffend, keine Illusionen. Die blonde Cecily, die dem vorherrschenden Schönheitsideal entsprach, würde es leicht haben. Dorothea hingegen war zwar attraktiv, musste aber neben ihrer jüngeren Schwester zur Bedeutungslosigkeit verblassen. Außerdem wirkte sie viel zu selbstsicher, um die ritterlichen Instinkte eines Gentlemans zu wecken. Eine brillante Verbindung war pures Wunschdenken, eine gute Ehe immerhin im Bereich des Möglichen.

Celestine, eine dunkelhaarige Frau von unbestimmtem Alter, sprach mit leichtem, französischen Akzent. „Miss Cecily ist so blond und hellhäutig, dass sie wie ein junges Mädchen gekleidet werden muss. Für Miss Dorothea würde ich einen eleganteren Stil vorschlagen. Habe ich dazu Ihre Erlaubnis, Mylady?“

„Wir geben uns ganz in Ihre Hände, Madame.“

Celestine nickte. Die albernen Töchter des ton auszustatten, bot ihr kaum die Möglichkeit, ihr Talent zu beweisen. Daher war eine Kundin Wie Miss Dorothea Darent ein Geschenk des Himmels für sie. Guter Knochenbau, perfekte Haltung, ungewöhnliche Farben, eine elegante Figur und klassisch geschnittene Züge, mehr konnte sich eine Schneiderin wirklich nicht wünschen. Dorothea Darent würde, wenn sie mit ihr fertig war, überall Aufsehen erregen. „Bon!“, rief sie. „Wir werden einfache Schnitte und gewagte Farben wählen, um die Vorzüge zu betonen, die Gott geschaffen hat.“

Während der nächsten zwei Stunden, die die Damen inmitten von Seiden, Musselins und Baumwollstoffen verbrachten, diskutierten sie über die verschiedenen Schnitte, Materialien und Accessoires. Anschließend bestellte Lady Merion eine ganze Anzahl von Kleidern, von denen einige noch am gleichen Abend geliefert werden sollten.

Als die Mädchen nach einem leichten Lunch ihre Zimmer aufsuchten, stellten sie fest, dass Witchett inzwischen ebenfalls eingekauft hatte. Die Schubladen quollen von mit Spitzen besetzter Unterwäsche, Strümpfen aus feiner Seide, Handschuhen, Schals und Fächern fast über. Witchett, die sich erkundigen wollte, ob ihre Hilfe benötigt würde, traf die Schwestern dabei an, ihre Schätze zu bewundern.

Dorothea bedankte sich strahlend. „Wir hätten diese Sachen bestimmt vergessen“, sagte sie.

Witchett erwiderte das Lächeln, was für sie uncharakteristisch war. Selbst ihr fiel es schwer, sich dem Zauber dieser fröhlichen, jungen Geschöpfe zu entziehen. „Aber Miss Cecily, Sie sehen ja ganz zerknittert aus“, schalt sie freundlich. „Betsy kann Ihr Kleid bügeln, während Sie sich ausruhen. Sie wartet in Ihrem Zimmer, um Ihnen beim Auskleiden zu helfen.“

„Aber ich möchte mich nicht hinlegen.“

Der verdrossene Ton alarmierte Dorothea. Cecily konnte sehr ungnädig werden, wenn sie übermüdet war. Scheinbar gelangweilt betrachtete sie einen Spitzenkragen. „Niemand wird dich dazu zwingen“, sagte sie ruhig. „Natürlich müssen wir heute Abend aufmerksam zuhören, wenn Großmama uns über die gesellschaftlichen Sitten und Gebräuche informiert. Wenn du aber meinst, dass du dann hellwach bist, sehe ich keinen Grund, dass du dich hinlegen musst. Es ist ein wunderschöner Tag. Ich werde ein wenig spazieren gehen. Möchtest du mich nicht begleiten?“

Cecily machte ein nachdenkliches Gesicht. Sie war nicht sicher, ob sie einen weiteren Abend voller Verhaltensmaßregeln ertragen konnte, ohne sich vorher auszuruhen. „Vielleicht hat Witchett recht“, lenkte sie ein. „Es fällt mir immer schwer, mich zu konzentrieren, wenn ich müde bin.“ Mit einem Winken verschwand sie im Korridor.

Dorothea blieb am Fenster stehen und schaute zu den Kindern hinunter, die auf dem Rasen spielten. „Witchett, schickt es sich für mich, in den Park zu gehen?“, fragte sie.

„Ja, Miss, vorausgesetzt Sie haben Begleitung.“

Autor

Stephanie Laurens
Stephanie Laurens wurde in Ceylon (dem heutigen Sri Lanka) geboren. Sie begann mit dem Schreiben, um ihrem wissenschaftlichen Alltag zu entfliehen. Bis heute hat sie mehr als 50 Romane verfasst und gehört zu den erfolgreichsten Autorinnen historischer Liebesgeschichten. Die preisgekrönte New-York-Times-Bestsellerautorin lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Melbourne.
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