Historical Mylady Spezial Band 2

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WIE VERFÜHRT MAN EINE LADY? von CAROLE MORTIMER
Lady Juliet ist entschlossen, den Freuden der Lust für immer zu entsagen - bis sie Sebastian St Claire begegnet. Ebenso männlich wie charmant, weckt er in ihr sündige Gefühle, die die schöne Witwe selbst in den vertraulicheren Momenten ihrer Ehe nicht empfunden hat! Doch will Sebastian sie erobern, weil er sie begehrt? Weil er sie liebt? Oder weil er herausfinden möchte, warum die Gesellschaft sie als Schwarze Witwe ächtet?

LADY ARABELLAS GEHEIMES VERLANGEN von CAROLE MORTIMER
Skandal um Lady Arabella! Eben noch hat man sie in einer unziemlichen Situation ertappt. Jetzt gibt es nur eine Möglichkeit, ihren Ruf zu retten: Sie muss Darius Wynter, Duke of Carlyne, heiraten! Dabei munkelt man, der Duke sei in jeder Hinsicht alles andere als unschuldig. Sogar seine eigene Frau soll er ermordet haben! Dennoch: Arabella heiratet ihn - und wird schon kurz darauf in eine Reihe scheinbar tragischer Unfälle verwickelt ...


  • Erscheinungstag 25.10.2013
  • Bandnummer 0002
  • ISBN / Artikelnummer 9783733761899
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carole Mortimer

HISTORICAL MYLADY SPECIAL EDITION BAND 2

CAROLE MORTIMER

Wie verführt man eine Lady?

Er begehrt sie, wie er noch nie eine Frau begehrt hat, und das will bei dem berühmt-berüchtigten Sebastian St Claire etwas heißen! Aber die schöne Lady Juliet Boyd zu erobern, erweist sich als ungeahnt schwierig. Dabei sieht er doch die brennende Sehnsucht in ihren Augen, spürt ihre Erregung – warum nur weist sie ihn beharrlich ab?

Lady Arabellas geheimes Verlangen

Schuldig oder nicht? Bis jetzt hat Lady Arabella St Claire nicht viel auf die Gerüchte gegeben, die sich um Darius Wynter, Duke of Carlyne, ranken. Im Gegenteil: Seinen Kuss erwidert sie voller Leidenschaft. Doch ihre stürmische Begegnung bleibt nicht unbemerkt! Überstürzt muss Arabella den Duke heiraten, von dem es heißt, er hätte seine Frau ermordet …

PROLOG

Banford House, Mayfair, Ende Juli 1817

Du bist es also wirklich, Sebastian!“, begrüßte seine Gastgeberin ihn herzlich, als er in ihren Salon geführt wurde. „Revell teilte mir zwar mit, dass Lord St Claire vorgesprochen hat, aber ich dachte, dass es sich vielleicht um Lucian handelt. Andererseits hat der ja gerade geheiratet und befindet sich wahrscheinlich noch auf seiner Hochzeitsreise. Ich freue mich so sehr, dich zu sehen!“

Sebastian Lord St Claire hatte sich wie gewöhnlich nach dem letzten Schrei der Mode gekleidet. Er trug einen wie angegossen sitzenden braunen Frackrock über einer Weste aus Goldbrokat und einem schneeweißen Hemd, dazu beigefarbene Hosen und auf Hochglanz polierte schwarze Stiefel mit braunem Schaft. Sein modisch langes hellbraunes Haar war durchzogen von goldblonden Strähnen.

Er lächelte verschmitzt, während er den Raum durchquerte und auf Dolly Vaughn zuging, die anmutig auf dem himbeerroten Sofa im Salon ihres Stadthauses ruhte. Nur dass sie natürlich nicht mehr Dolly Vaughn hieß, sondern Lady Dorothea Bancroft, Countess of Banford.

Amüsiert begegnete Sebastian dem neckenden Blick aus ihren blauen Augen, während er ihre Hand an die Lippen führte. „Zerstör bitte nicht all meine Illusionen, indem du mir sagst, dass du einmal mit meinem Bruder Lucian bekannt warst“, meinte er gedehnt.

„Sogar aufs Engste“, versicherte Dolly ihm kokett. „Mit Stourbridge übrigens auch. Aber das ist eine ganz andere Geschichte …“ Sie lachte entzückt, und Sebastian nahm an, dass er ganz schön verblüfft geschaut hatte bei der Erwähnung seines ältesten Bruders Hawk, des vornehmen, reservierten zehnten Duke of Stourbridge. „Der arme Bancroft hat es verteufelt schwer, vorzugeben, er sei sich der Namen meiner vergangenen Liebhaber nicht bewusst“, fügte sie mit einem ungenierten Lächeln hinzu.

William Bancroft, der Earl of Banford, sollte sich glücklich schätzen, Dolly seit drei Jahren seine Gattin zu nennen, und wie Sebastian wusste, tat er das auch. Vor ihrer Heirat war sie, wenn auch stets diskret, die Geliebte vieler Mitglieder des ton gewesen – und wie es schien, zählten sogar Sebastians ältere Brüder beide dazu!

Seine eigene Beziehung zu Dolly war jedoch stets platonischer Natur gewesen, und sie bestand, seit er im zarten Alter von siebzehn Jahren das erste Mal nach London gekommen war, damals noch gänzlich unerfahren. Dolly hatte eine reizende junge Dame für ihn gefunden, die ihn in die Freuden des Fleisches eingeführt hatte.

„Bitte setz dich doch, Sebastian“, bat sie ihn jetzt herzlich und klopfte einladend neben sich auf das Sofa. Noch immer war Dolly eine goldblonde Schönheit, obwohl bereits in ihren Mittdreißigern. „Ich habe Tee für uns bestellt. Es ist ein wenig früh, um dir stärkere Erfrischungen anzubieten, fürchte ich“, fügte sie spöttisch hinzu, als er die Augenbrauen hob.

Sebastian erinnerte sich noch an eine Zeit, da es für Dolly nie zu früh gewesen war, solche ‚stärkeren Erfrischungen‘ zu sich zu nehmen, aber aus Respekt vor ihrer neuen Rolle als Countess verbiss er sich jede Bemerkung. „Sie sehen hinreißend aus, Lady Bancroft.“ Er nahm neben ihr Platz. „Die Ehe bekommt Ihnen offensichtlich gut.“

„Die Ehe mit meinem geliebten Bancroft bekommt mir gut“, verbesserte sie ihn. „Ich erlaube dir aber nicht, so förmlich mit mir zu sein.“ Sie schlug ihn leicht mit ihrem Fächer aufs Handgelenk. „Wenn wir allein sind, bestehe ich darauf, dass wir uns so anreden wie immer – einfach Dolly und Sebastian.“ Sie wandte sich um und teilte dem Butler, der gerade mit einem Tablett erschien, mit: „Ich bin heute Nachmittag für keinen anderen Besucher zu Hause, Revell.“ Sie wartete, bis er gegangen war, bevor sie wieder zu sprechen begann. „Ich fürchte, selbst nach drei Jahren empfindet die Dienerschaft meine unkonventionelle Art als ein ziemliches Ärgernis“, erklärte sie leichthin, während sie schon begann, den Tee einzuschenken. In ihrem hochtaillierten blauen Morgenkleid, das so gut zu ihren Augen passte, sah sie dabei entzückend aus.

Damit gab sie Sebastian das Stichwort, auf das er gehofft hatte. „Aber der ton ist jetzt etwas … freundlicher dir gegenüber als früher, nicht wahr?“

„Du meine Güte, man reißt sich richtig um mich!“ Dolly lachte und reichte ihm eine der zarten Porzellantassen. „Eine Einladung zu einer meiner sommerlichen Gesellschaften auf Banford Park hält man inzwischen für eine exklusive Angelegenheit.“

Sebastian nickte. „Genau wegen der diesjährigen Sommergesellschaft bin ich heute hier.“

Nachdenklich betrachtete sie ihn. „Aber gewiss hast du doch längst, so wie auch einige deiner Freunde, eine Einladung erhalten, Sebastian. Eine Einladung übrigens, die du, wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, bisher immer ausgeschlagen hast.“

Beide wussten sehr gut, dass Dolly keine Probleme mit ihrem Gedächtnis hatte. „Dieses Jahr spiele ich mit dem Gedanken zu kommen …“

„Falls?“, setzte sie seinen Satz scharfsinnig fort.

Sebastian lachte leise und lehnte sich entspannt in die Kissen zurück. „Du bist unverblümter, als manchem Mann lieb sein kann, Dolly.“

„Auch unverblümter, als dir lieb sein kann?“

Sebastian hatte seinen Einfall eigentlich wunderbar unkompliziert gefunden – er hatte Dolly einfach nur bitten wollen, eine weitere Frau, eine ganz bestimmte Frau, auf ihre Gästeliste für die Sommergesellschaft zu setzen, die in zwei Wochen auf dem Gut der Banfords in Hampshire stattfinden sollte. Leider hatte Sebastian nicht mit Dollys Neugier gerechnet.

„Du möchtest, dass ich einen weiteren Gast einlade. Einen weiblichen Gast“, riet sie völlig richtig. „Was ist mit deiner Affäre mit der verwitweten Lady Hawtry?“

„Deiner Aufmerksamkeit entgeht nichts, was, Dolly?“, entgegnete Sebastian schief lächelnd. „Die Affäre ist zu Ende.“ Wie jede seiner Affären, sobald die Dame anfing, von Ehe zu sprechen.

„Wer ist es also dieses Mal? Zögerst du, mir den Namen zu sagen, weil sie verheiratet ist?“, drängte sie ihn, da er weiterhin schwieg. „Ich versichere dir, dass mich nach drei Jahren in der guten Gesellschaft nichts mehr schockieren kann, das sich hinter geschlossenen Türen abspielt – nicht einmal hinter meinen eigenen.“

„Die Dame war verheiratet“, gab Sebastian nach. „Sie ist es aber nicht mehr.“ Trotz der Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, hätte er nie auch nur in Betracht gezogen, sie zu verführen, wenn sie verheiratet gewesen wäre. Selbst ein Mann, der von jedem ohne Ausnahme für einen Draufgänger gehalten wurde, musste wenigstens über gewisse Prinzipien verfügen!

„Wieder eine Witwe also. Aber welche nur …?“ Dolly ging offenbar in Gedanken alle verwitweten Damen ihrer Bekanntschaft durch. „Ach, gib mir doch einen Hinweis. Bitte!“, flehte sie ihn schließlich an. „Du weißt, wie ich Geheimnisse hasse.“

Ja, alles war ihm so viel einfacher erschienen, als er allein zu Hause gesessen und sich einen Plan zurechtgelegt hatte, wie er es schaffen könnte, dieser Frau vorgestellt zu werden. Ihr einsiedlerisches Dasein in den vergangenen achtzehn Monaten stellte nun einmal eine gewisse Herausforderung für einen erfahrenen Herzensbrecher wie ihn dar.

Er verzog das Gesicht. „Das Trauerjahr für ihren Mann endete vor sechs Monaten, aber zu meinem Unglück und dem jeden Mannes, der es äußerst reizvoll fände, der erste Liebhaber der schönen Witwe zu werden, ist sie noch immer nicht in Gesellschaft gegangen.“

„Hm …“ Dolly tippte sich mit einem Finger nachdenklich auf die Lippen. „Nein!“ Sie schnappte ungläubig nach Luft. „Du meinst doch nicht … Sebastian, du beziehst dich doch sicher nicht auf …?“

Er nickte. „Sie war die Einzige, die freundlich zu dir war, als Bancroft dich vor drei Jahren dem ton als seine Gattin vorstellte, nicht wahr?“

„Also meinst du sie wirklich!“, stieß Dolly leise hervor. „Ich hätte nie gedacht …“ Sie bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. „Dir ist doch hoffentlich bewusst, welch unerfreulicher Klatsch über sie kursiert, seit ihr Mann so unerwartet gestorben ist?“

„Selbstverständlich“, wiegelte er ab. „Dadurch erscheint mir die Lady nur noch … faszinierender.“

Die Countess of Banford runzelte die Stirn. „Sehr oft liegt solchen Gerüchten aber auch ein Quäntchen Wahrheit zugrunde, weißt du?“

„Und wenn schon.“ Er zuckte mit den Achseln. „Wie ich dir schon sagte, will ich die Dame verführen, nicht heiraten.“

„Ich mache mir einfach nur Sorgen um dich, Sebastian.“

Er lächelte. „Ich versichere dir, dazu besteht kein Grund.“

„Deine Absichten sind also ganz bestimmt nicht ehrenhafter Natur?“ Dolly schaute ihn auf ihre listige Art an.

„Das habe ich doch gerade gesagt. Ich bin Junggeselle aus Überzeugung. Deswegen wird keine Frau, so schön sie auch sein mag, mich dazu bringen, diesen beneidenswerten Zustand aufzugeben.“

„Weißt du auch, dass diese bestimmte Dame nicht mehr in Gesellschaft erschienen ist, seit sie sich auf ihr Gut in Shropshire zurückgezogen hat?“

„Ich würde dich kaum bitten, sie einzuladen, wenn ich glaubte, es gäbe einen anderen Weg für mich, ihr vorgestellt zu werden“, erklärte er trocken.

Dolly riss erstaunt die Augen auf. „Ihr seid euch nicht einmal vorgestellt worden?“

„Noch nicht.“ Er lächelte anzüglich. „Ihr Gatte und ich bewegten uns nicht in denselben Kreisen, wie du dir denken kannst.“

„Ja, er war ein ziemlich aufgeblasener Langweiler, nicht wahr? Ihr seid euch also niemals richtig begegnet?“

„Ich habe sie nur ein, zwei Mal von Weitem gesehen“, gab Sebastian zu.

„Und jetzt möchtest du sie von Nahem sehen?“, neckte Dolly ihn. „Die arme Juliet ist bereits so gut wie verloren!“

„Du schmeichelst mir, Dolly.“

Sie schüttelte den Kopf. „Welche Frau würde sich nicht von den Aufmerksamkeiten des gut aussehenden, doch unerreichbaren Lord Sebastian St Claire geschmeichelt fühlen?“ Sie betrachtete ihn anerkennend. „Zufällig habe ich die betreffende Dame bereits eingeladen.“

„Das wird ja immer besser.“

„Vor dem Tod ihres Mannes waren wir Freundinnen, und trotz der Klatschgeschichten, die sie umgeben, war ich entschlossen, sie nicht länger in Shropshire verkümmern zu lassen.“

„Hat sie die Einladung angenommen?“

„Noch nicht. Aber sie wird“, antwortete Dolly zuversichtlich. „Wirklich, Sebastian, wie kannst du nur an meinen Überredungskünsten zweifeln?“, fügte sie hinzu, als sie seine skeptische Miene sah.

Wohl wahr …

„Was hältst du hiervon, Helena?“ Juliet Boyd, die Countess of Crestwood, reichte die Einladung, die sie gerade erhalten hatte, an ihre Cousine weiter. Sie saßen gerade gemeinsam im Frühstückszimmer auf Falcon Manor und gingen die Post durch.

Helena runzelte verwundert die Stirn, bevor sie die Einladung entgegennahm. Das hellblonde Haar war streng aus ihrem blassen Gesicht frisiert, ihr fast jungenhaft schlanker Leib war in eins der faden braunen Kleider gehüllt, die sie immer trug. Als sie die Einladung gelesen hatte, sah sie fragend auf: „Wirst du hingehen?“

Normalerweise hätte Juliet die Einladung der Countess of Banford auf dem Tisch liegen gelassen und keinen weiteren Gedanken darauf verwendet. Auch jetzt zögerte sie nur, weil sich im Umschlag noch ein Brief befunden hatte – ein handgeschriebener Brief, den sie ihrer Cousine jetzt ebenfalls reichte.

„‚Meine Liebe‘“, las Helena laut. „‚Sie waren in der Vergangenheit stets so freundlich zu mir, dass ich diese Freundlichkeit mit der beiliegenden Einladung erwidern möchte. Es werden nur Bancroft und ich und einige wenige ausgewählte Freunde anwesend sein. Bitte, bitte sagen Sie, dass Sie kommen werden, Juliet! Ihre Freundin Dolly Bancroft.‘“

„Es ist eine sehr aufmerksame Geste von ihr, aber natürlich kann ich nicht hingehen“, sagte Juliet leise.

„Selbstverständlich musst du gehen!“, widersprach ihre Cousine ungeduldig, und die plötzliche Röte in ihren Wangen ließ ein wenig von der Schönheit ahnen, die sie mit dem strengen Haarknoten und der unvorteilhaften Kleidung so erfolgreich verbarg. „Siehst du nicht, dass dies der Schlüssel für deine Rückkehr in die gute Gesellschaft sein könnte?“

Ein Schlüssel, den Juliet gar nicht nutzen wollte. „Ich möchte mit der sogenannten guten Gesellschaft nichts zu tun haben, das weißt du sehr gut. Und wie ich im vergangenen Jahr nur allzu deutlich gespürt habe, will sie auch mit mir nichts zu tun haben“, fügte sie trocken hinzu.

Das Trauerjahr war ihr sehr schwergefallen, da sie bei Edwards Tod eher Erleichterung als Kummer empfunden hatte. Doch die Art, wie einige Mitglieder des ton sie geschnitten hatten, schon bei Edwards Beerdigung, war für Juliet ein Zeichen dafür gewesen, wie wenig sie willkommen war.

Sie seufzte. „Es ist natürlich sehr freundlich von Dolly Bancroft, an mich zu denken …“

„Warst du nicht auch freundlich zu ihr, bevor sie der Liebling des ton wurde?“, erinnerte ihre Cousine sie scharf. „Bevor Banfords Beziehungen und sein hohes Ansehen im Oberhaus die verlogene Gesellschaft vergessen ließen, dass sie nicht mehr war als eine Geliebte, die ihren Liebhaber geheiratet hat, als dessen Frau kaum zu Grabe getragen war!“, fügte Helena auf ihre gewohnt unverblümte Art hinzu.

Gerade diese nüchterne Sachlichkeit ihrer Cousine hatte Juliet in den letzten eineinhalb Jahren gesellschaftlicher Verbannung sehr geholfen. Sie lächelte ihr zu. „Es waren tatsächlich gute neun Monate nach dem Tod seiner Frau. Und vor zwölf Jahren war die Gesellschaft auch nicht sehr entgegenkommend, als eine schlichte Miss Juliet Chatterton den Kriegshelden Admiral Lord Edward Boyd, Earl of Crestwood, Mitglied des Oberhauses und Berater des Kriegsministeriums, heiratete. Ich konnte Dolly Bancroft gut verstehen, und so schien es mir nur selbstverständlich, ihr meine Freundschaft anzubieten und ihr so den Eintritt in die Gesellschaft ein wenig zu erleichtern.“

Juliet war erst achtzehn gewesen, als sie einen dreißig Jahre älteren Mann heiratete. Ihre Eltern hatten die Heirat eingefädelt, und sie war mit der naiven Erwartung lebenslangen Glücks in die Ehe gegangen. Wie es wohl auch nicht anders zu erwarten gewesen war von einem so jungen, unerfahrenen Mädchen.

Schon bald hatte sie jedoch erfahren müssen, dass ihrem Mann nicht viel an ihrem Glück lag und er im eigenen Heim nicht der Mensch war, den seine Bekannten und Freunde, ja, das ganze Königreich, so bewunderten.

Ihr einziger Trost war, dass ihre Eltern ihre katastrophale Ehe nicht mehr hatten erleben müssen. Die beiden waren nur wenige Monate nach ihrer Hochzeit mit dem Earl bei einem Bootsunfall ertrunken.

Doch vor sechs Jahren war ihre Cousine Helena, damals erst sechzehn Jahre alt, aus Frankreich geflohen und zu ihr gekommen. Juliet hatte sie sogleich als Gesellschafterin aufgenommen, und Helena hatte ihr seitdem ihr unglückliches Leben ein wenig leichter gemacht. Crestwood war, wie es schien, zu feige gewesen, seine Grausamkeit vor einem Zeugen voll auszuleben.

„Du musst der Countess erlauben, auch etwas für dich zu tun, Cousine.“ Wieder einmal war Helena diejenige, die praktisch dachte. „Du bist immer noch viel zu jung und zu schön, um dein Leben auf dem Land zu verschwenden!“

„Ich versichere dir, ich habe keineswegs die Absicht, mich schon zur Ruhe zu setzen, liebe Helena!“ Juliet lächelte amüsiert.

Mit ihren dreißig Jahren, das wusste sie, war sie nicht mehr in der Blüte der Jugend, die einst Crestwoods Aufmerksamkeit erregt hatte. Inzwischen war sie eine reife Frau, und nicht nur an Jahren. Die Zeit als Crestwoods Ehefrau hatte unauslöschbare Spuren bei ihr hinterlassen.

Glücklicherweise hatte sie ihm keine Kinder geschenkt, die die gefühllose, unversöhnliche Natur ihres Vaters hätten erben können. So war ihr Leib zwar weiblicher und kurviger geworden, doch noch immer schlank. Das schimmernde dunkle Haar hatte sie locker hochgesteckt, sodass einige vorwitzige Strähnen ihr in den Nacken und die Schläfen fielen, wie es zurzeit Mode war. Auch ihre Haut war noch immer zart und faltenlos wie eh und je.

Und doch entdeckte sie im Spiegel oft einen Hauch von Traurigkeit in ihren grünen Augen, und sie lächelte sehr viel seltener als damals, während ihrer ersten Saison vor zwölf Jahren. Bevor ihr die über zehn Jahre andauernde Ehe mit dem eiskalten Earl of Crestwood jene mädchenhafte Freude am Leben genommen hatte.

„Dennoch werde ich nie wieder heiraten“, schloss sie heftig.

„Das hat ja auch niemand vorgeschlagen, Dummerchen.“ Helena beugte sich vor und drückte ihre Hände, die Juliet fest ineinander verschränkt hatte. „Zwei Wochen auf Banford Park, wo du dich behutsam wieder der guten Gesellschaft näherst, bedeuten nicht, dass du einen Heiratsantrag annehmen sollst.“

Beinahe hatte Juliet sich schon mit dem Gedanken angefreundet, zwei Wochen in der Gesellschaft von Dolly Bancrofts ‚wenigen ausgewählten Freunden‘ zu verbringen, doch diese Bemerkung weckte wieder ihren inneren Widerstand. „Ebenso wenig wie anders geartete Anträge“, erklärte sie, da sie nur zu genau wusste, welch skandalöses Verhalten einige Mitglieder des ton während solcher Sommergesellschaften an den Tag legten. Offenbar wurde allgemein gebilligt, dass ein Mann die Nächte im Bett einer beliebigen Dame verbrachte statt bei seiner eigenen Frau.

Helena schüttelte den Kopf. „Ich bin davon überzeugt, Lady Bancroft möchte dir lediglich deine Freundlichkeit von damals vergelten, genau wie sie es in ihrem Brief schreibt.“

Wie sehr wünschte Juliet, sie könnte ebenso sicher sein. An Dollys guter Absicht zweifelte sie natürlich nicht. Sie hatte sie als freundlich und warmherzig in Erinnerung und wusste, dass Dolly ihren Mann von Herzen liebte. Juliet fürchtete nur, dass Dollys Vorstellung davon, was eine gute Absicht war, nicht ganz mit ihrer eigenen übereinstimmte.

„Bitte sag, dass du gehen wirst!“ Helena flehte sie richtiggehend an. „Ich kann mitkommen und als deine Zofe fungieren …“

„Du bist meine Cousine, keine Dienstbotin!“, protestierte Juliet.

„Aber als deine Cousine bin ich nicht eingeladen. Überleg doch. Es könnte so viel Spaß bringen. Und es ist die letzte Mode, eine französische Zofe zu haben. Du kommst eben mit deiner Zofe Helena Jourdan.“

Juliet wusste, wie wenig Spaß Helena in ihrem jungen Leben gehabt hatte. Ihre Eltern, die Schwester ihrer eigenen Mutter und deren französischer Gatte, fielen der Geißel zum Opfer, die Bonapartes Herrschaft für Frankreich bedeutet hatte. Beide waren vor sechs Jahren bei einem Überfall auf ihren kleinen Hof von Soldaten auf der Suche nach Nahrung und Wertsachen getötet worden.

Helena hatte den Überfall selbst miterlebt, doch sie hatte später, als sie sicher in England angekommen war, nie auch nur ein Wort über ihr eigenes Schicksal während dieser einwöchigen Belagerung verloren. Allerdings konnte Juliet sich vorstellen, dass ihre junge Cousine nicht unbeschadet davongekommen war, so wie sie seitdem darauf bestand, ihre zarte Schönheit mit allen Mitteln herunterzuspielen.

In den letzten Monaten, seit Crestwoods Tod, hatten sie beide ruhig und zufrieden gelebt, ganz allein mit Ausnahme der wenigen Dienstboten, doch Juliet glaubte gern, dass ein erst zweiundzwanzig Jahre altes Mädchen wie Helena ein wenig mehr Aufregung in ihrem langweiligen Leben begrüßen würde.

Die Art von Aufregung, die ein zweiwöchiger Aufenthalt auf Dolly Bancrofts Landgut ihnen zweifellos bescheren würde …

1. KAPITEL

Mir ist schleierhaft, wieso du es für nötig befunden hast, mich in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett zu scheuchen …“

„Es ist elf Uhr, Gray“, antwortete Sebastian, während er mühelos die lebhaften, perfekt aufeinander abgepassten Grauen vor seiner Karriole bändigte.

„Soweit es mich angeht, ist jede Stunde vor dem Mittagessen finsterstes Morgengrauen“, beharrte Lord Gideon Grayson – von seinen engsten Freunden Gray genannt. Finster dreinblickend hockte er neben Sebastian in einer Ecke, den hohen Kragen seiner modisch geschnittenen Jacke trotz des warmen Augusttags bis zu den Ohren gezogen. „Ich hatte kaum Zeit, wach zu werden, geschweige denn, mein Frühstück zu genießen.“

„Bücklinge, Eier und Toast mit zwei Kannen starken Kaffees“, sagte Sebastian fröhlich. „In aller Ruhe zu dir genommen, wie ich mich erinnere, während du die Morgenzeitung studiertest.“

„Mein Diener konnte mich nicht in aller Sorgfalt ankleiden, sondern wurde rücksichtslos gehetzt und …“

An dieser Stelle hörte Sebastian auf, Grays Beschwerden zu lauschen. Zu süß war der Gedanke an die aufregende Herausforderung, Juliet Boyd zu verführen, als dass irgendjemand ihm die gute Laune verderben konnte.

„… und jetzt langweilt sich der beste Freund, den ich auf Erden habe, so sehr in meiner Gesellschaft, dass er sich nicht einmal die Mühe macht, mir zuzuhören. Wohlgemerkt, nachdem er mich mit Gewalt aus dem Bett gezerrt hat!“ Gray warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.

Sebastian lächelte ohne Bedauern. „Sobald du etwas Interessantes zu sagen hast, Gray, sei versichert, dass ich dir auch zuhören werde.“

„Könntest du wenigstens versuchen, diese abscheuliche Fröhlichkeit ein wenig zu drosseln?“, brummte sein Freund mürrisch. „Ich fühle mich wirklich etwas schwach heute Morgen.“

„Eine selbst verschuldete Schwäche.“

Zusammen waren sie am Abend zuvor durch diverse Trink- und Spielhöllen gezogen – Sebastian hatte gewonnen, Gray nicht –, und die übrige Zeit hatte Gray im Bett seiner derzeitigen Geliebten verbracht, bevor er in den nicht mehr ganz so frühen Morgenstunden heimgekehrt war.

„Du bist heute in widerlich guter Stimmung, Seb.“ Gray verzog das Gesicht. „Hast du dir eine neue Geliebte genommen, um Lady Hawtry zu ersetzen?“

„Noch nicht.“ Sebastian lächelte breit. „Aber ich habe in den nächsten zwei Wochen die Absicht, es zu tun.“

„Ach, tatsächlich?“ Grays Interesse war geweckt. „Ich hoffe, du hast nicht vor, dein Glück bei Dolly Bancroft zu versuchen, während du auf Banford Park weilst? Ich warne dich, neben dir und deinem Bruder Lucian ist Bancroft der beste Fechter Englands.“

„Du kannst dich beruhigen“, versicherte Sebastian ihm trocken. „Dolly und ich sind nur gute Freunde.“ Erst recht jetzt, nachdem er wusste, dass Dolly mit seinen beiden Brüdern das Vergnügen gehabt hatte.

Gray hob eine dunkle Augenbraue. „Aber du gibst zu, dass eine Dame schuld ist an unserem völlig außergewöhnlichen Entschluss, an einer Sommergesellschaft teilzunehmen!“

„Selbstverständlich“, meinte Sebastian gelassen, hatte aber keinesfalls die Absicht, sein Interesse an der kürzlich verwitweten Countess of Crestwood zu enthüllen.

„Sag mir bitte, dass du dich nicht in die Ehefalle locken lassen willst“, spottete Gray.

Sebastian lachte, ohne besondere Belustigung zu empfinden. „Ganz gewiss nicht.“ Nachdem gleich beide seiner Brüder sich im vergangenen Jahr hatten einfangen lassen, war er nur umso entschlossener, dass ihm so etwas nicht zustoßen würde.

„Nun, ich muss allerdings zugeben, dass keiner deiner Brüder darüber zu klagen scheint“, sagte Gray, als hätte er seine Gedanken gelesen. „Und ich selbst würde wohl auch nicht klagen, wenn ich eine ihrer Frauen bekommen könnte!“

„In dem Fall steht es dir völlig frei, dich selbst auf die Suche nach einer Ehefrau zu machen“, spottete Sebastian. „Aber lass mich dabei bitte aus dem Spiel.“ Sein Interesse an Frauen – Juliet Boyd eingeschlossen – sah mit Sicherheit keine Ehe vor!

„Ja, Sebastian, sie ist gekommen“, beantwortete Dolly seine unausgesprochene Frage, nachdem sie einander begrüßt hatten und Gray in der Bibliothek verschwunden war, um ein erfrischendes Glas Kognak mit ihrem Gastgeber zu trinken. „Sie hat allerdings darum gebeten, den Tee auf ihrem Zimmer einnehmen zu dürfen, und beabsichtigt wohl, dort zu bleiben, bis es Zeit wird, zum Dinner herunterzukommen. Die gute Nachricht ist, dass ich dir ein Schlafzimmer geben konnte, das neben dem ihren liegt. Eure Balkons sind sogar miteinander verbunden“, vertraute sie ihm an.

Sebastian lächelte zufrieden. „Ich hoffe, ich werde beim Dinner auch neben ihr sitzen?“

„Mein Lieber, ich bin nicht sicher, ob deine Leidenschaft für die Countess wirklich so weise ist“, sagte Dolly plötzlich.

„Wenn sie weise wäre, würde ich ihr wohl nicht nachgeben wollen“, neckte er sie. „Mit deiner Erlaubnis möchte ich mich jetzt auf mein Zimmer zurückziehen und vor dem Essen ein wenig ausruhen.“

„Ausruhen?“ Sie hob zweifelnd die Augenbrauen.

„Glaube mir, ich werde die Dame nicht belästigen, bevor wir uns in aller Förmlichkeit vorgestellt worden sind.“

„Danach allerdings umso häufiger, nehme ich an.“

„Hoffentlich“, antwortete er leise.

Man erzählte sich viele Geschichten über die Countess of Crestwood seit dem plötzlichen Tod ihres Mannes – die meisten davon waren, gelinde gesagt, unerfreulich. Doch in keiner wurde auch nur angedeutet, sie könnte mit einem anderen Mann liiert gewesen sein, weder vor noch während ihrer Ehe. Ja, nicht einmal nach dem Tod des Earls.

Also ruhte Sebastian die Stunden vor dem Dinner in seinem Schlafzimmer aus, wobei er die ganze Zeit nicht vergessen konnte, dass die wunderschöne Juliet Boyd sich direkt im Zimmer nebenan befand. Hinter den zugezogenen Spitzenvorhängen blieb allerdings alles still, und die Balkontüren waren fest verriegelt, wohl um die Hitze des Tages nicht hereinzulassen.

Doch immerhin hatte sie die Einladung angenommen, wie Dolly versprochen hatte. Und sie konnte sich schließlich nicht die ganze Zeit auf ihrem Zimmer verstecken …

Noch nie hatte Juliet sich so aufgeregt gefühlt wie jetzt, da sie in der riesigen Eingangshalle von Banford Park stand und sich nicht dazu überwinden konnte, den Salon zu betreten. Innen hörte sie bereits die übrigen Gäste der Countess und des Earl of Banford plaudern und lachen.

Dolly Bancroft hatte Juliet bei ihrer Ankunft am Nachmittag sehr herzlich begrüßt, und auch William Bancroft war nicht minder reizend gewesen.

Nein, es lag weder an ihrer Gastgeberin noch an deren Gatte, dass Juliet so bang zumute war. Sie fürchtete vielmehr die Reaktion der anderen Gäste, sobald diese bemerkten, dass die Countess of Crestwood sich unter ihnen aufhielt. Dolly zuliebe hoffte Juliet, dass keiner von ihnen beschloss abzureisen, um nicht mit der „Schwarzen Witwe“, wie sie gemeinhin nach dem Tod ihres Gatten genannt wurde, im selben Haus verweilen zu müssen.

Du hättest dich nicht überreden lassen dürfen, sagte sie sich selbst wohl schon zum hundertsten Mal, seit sie die Einladung angenommen hatte. Sosehr sie auch Helena nach der langen Trauerphase eine kleine Abwechslung gönnte, hätte sie sich doch etwas anderes einfallen lassen müssen, um ihre Cousine aufzuheitern.

Vielleicht wäre ihr anders zumute gewesen, wenn sie Helena als Stütze an ihrer Seite gehabt hätte. Aber die hatte darauf bestanden, sie als ihre Zofe zu begleiten – eine Rolle, die sie übrigens gern zu spielen schien. Vor einer Weile war sie in die Gemächer der Bediensteten hinuntergegangen, um mit den anderen Zofen den neuesten Klatsch auszutauschen.

„Würden Sie mir die Ehre erweisen, Sie in den Salon begleiten zu dürfen, Lady Boyd?“

Juliet drehte sich abrupt um, entspannte sich aber wieder, als sie ihren Gastgeber erkannte, der besorgt neben ihr stehen blieb. Der Earl, ein hochgewachsener, gut aussehender Mann in den Fünfzigern, erinnerte Juliet sehr an ihren Vater, wenn er sie, wie jetzt, aus klugen haselnussbraunen Augen ansah.

„Ich bewunderte nur gerade dieses Porträt.“ Sie sah zu dem Gemälde hinüber, das sie in Wirklichkeit jetzt zum ersten Mal bemerkte.

„Mein Urgroßvater, der siebte Earl of Banford. „Ein ungewöhnlich hässlicher Mann, nicht wahr?“, meinte der Lord mit ironischem Lächeln.

Ein Kichern entfuhr Juliet. Der siebte Earl war tatsächlich ein ausgesprochen unattraktiver Mann gewesen.

„Wollen wir?“ Der Urenkel des geschmähten Adligen, der zehnte Earl of Banford, bot ihr zum zweiten Mal seinen Arm.

„Vielen Dank.“ Schüchtern legte sie die behandschuhte Hand darauf.

Für heute hatte sie ein modisch hochtailliertes Kleid aus grauer Seide gewählt, das nur mit einem Hauch Brüsseler Spitze am Dekolleté und am Saum der kurzen Puffärmel verziert war. In ihre dunklen Locken hatte sie Perlenstränge eingeflochten, und darüber hinaus trug sie als einzigen Schmuck die dazu passenden Ohrringe und den schlichten Ehering an ihrer linken Hand.

Am liebsten hätte Juliet auch dieses Symbol für Edwards Besitzanspruch abgelegt, wusste aber, dass sie damit nur den Gerüchten Vorschub leisten würde, die schon bald nach Edwards Tod die Runde gemacht hatten.

„Meine Frau behauptet immer, es sei das Beste, genau das zu tun, was einen selbst am meisten erfreut. Vermutlich weil sie davon ausgeht, dass es ohnehin unmöglich ist, allen Menschen gleichzeitig gefällig zu sein“, vertraute der Earl ihr an.

Erstaunt wandte Juliet ihm den Blick zu. „Meine Erfahrung ist eher, dass man keinem einzigen gefällig sein kann, was immer man tut!“, entgegnete sie, aber ihre Anspannung ließ ein wenig nach. „Hat Ihre Frau Sie auch gebeten, hier in der Halle auf mich zu warten, damit Sie mich galant in den Salon begleiten können?“

Der Earl nickte. „Sie könnte tatsächlich etwas in dieser Richtung erwähnt haben.“

Juliet lachte leise. „Sie sind zu freundlich, Mylord.“

„Ganz im Gegenteil, meine Liebe. Ich fühle mich vielmehr sehr geehrt“, erwiderte er. „Und jetzt lassen Sie uns hineingehen und die Klatschbasen in Aufregung versetzen, hm?“

Es schien Juliet, als würden alle Blicke sich auf sie richten, kaum dass sie den Fuß in den Salon gesetzt hatte. Jedes Gespräch versiegte. Dann unterbrach Dolly schnell diese Stille, indem sie sich an den attraktiven, modisch gekleideten jungen Mann an ihrer Seite wandte – ein junger Mann, der Juliet aus seinen unergründlichen hellbraunen Augen unverhohlen musterte …

Sebastian achtete kaum auf Dollys Worte, da er, ebenso wie alle übrigen Anwesenden, seine ganze Aufmerksamkeit der Countess of Crestwood schenkte, die gerade am Arm ihres Gastgebers hereinkam.

Sie war unglaublich schön, sogar noch schöner, als Sebastian sie in Erinnerung hatte. Zum letzten Mal hatte er sie auf irgendeinem Ball vor etwa zwei Jahren gesehen, und sie hatte sofort sein Interesse geweckt.

Jetzt bemerkte er feinere Einzelheiten an ihr – ihr tiefschwarzes Haar und die darin eingeflochtenen Perlen, die hohe Stirn, die dichten Wimpern, Augen von einem so intensiven Grün, wie er es noch nie gesehen hatte. Dann ihre kleine, vollkommene Nase, die wunderschön geschwungenen sinnlichen Lippen und die stolze Haltung.

Die Brüste wirkten voll und rund, genau wie damals. Weich und verführerisch hoben sie sich unter der perlgrauen Spitze an ihrem Ausschnitt ab. Ihre Taille und die Hüften hingegen kamen ihm schmaler vor, und ihre Haut schimmerte fast ebenso durchscheinend hell wie die Perlen in ihrem Haar.

„Ich rate dir, den Mund zuzumachen, Sebastian, bevor du noch anfängst zu sabbern und dir damit dein Halstuch ruinierst“, flüsterte Dolly ihm spöttisch zu. Gereizt runzelte er die Stirn, aber sie hatte recht. Er starrte Lady Boyd schon seit mehreren Minuten auf sehr unhöfliche Weise an.

Hatte außer Dolly jemand sein betontes Interesse bemerkt? Ein unauffälliger Blick auf die übrigen Gäste zeigte ihm allerdings, dass er nicht der Einzige war, der sich der Unhöflichkeit schuldig machte.

„Es wird Zeit, dass wir uns zu Tisch begeben“, teilte Dolly ihm mit, nachdem der Butler ihr von der Tür aus diskret ein Zeichen gegeben hatte. „Bancroft wird natürlich seine Mutter, die Dowager Countess, begleiten. Dürfte ich vorschlagen, dass du der Countess of Crestwood deinen Arm reichst, da ihr beide nebeneinander sitzen werdet?“

Sebastian war so sehr in Juliet Boyds Anblick vertieft gewesen, dass Dollys Vorschlag ihn für einen Moment etwas verwirrte. Aber nur für einen Moment. War er nicht der reiche Lord Sebastian St Claire, Bruder eines Dukes? Und wurde er nicht allgemein von allen weiblichen Mitgliedern des ton – ungeachtet ihres Alters – als die beste Partie dieser Saison angesehen, da seine beiden Brüder bereits vergeben waren?

Noch wichtiger war allerdings, dass er nur aus einem einzigen Grund hier war – um Juliet kennenzulernen. Worauf wartete er also?

Trotz des Geleitschutzes durch den Earl of Banford war Juliets Erscheinen im Salon genauso dramatisch verlaufen, wie sie befürchtet hatte.

Nach der anfänglichen bestürzten Stille hatten wenigstens die Damen ihre Gespräche wieder aufgenommen, in Form eines aufgeregten Flüsterns hinter vorgehaltenen Fächern. Die männlichen Gäste waren weniger schnell damit gewesen, ihre Überraschung zu verbergen, und fuhren einfach weiterhin fort, sie offen anzustarren.

Ein Mann im Besonderen …

Ein auf arrogante Weise attraktiver Mann, nach der letzten Mode gekleidet mit seiner schwarzen Abendkleidung, grauer Weste und schneeweißem Hemd. Es war derselbe Mann, mit dem Dolly Bancroft ein Gespräch begonnen hatte, als Juliet den Salon betrat. Derselbe Mann, der Juliet mit einem rätselhaften Ausdruck angeblickt hatte. Gegen ihren Willen fiel ihr auf, dass seine Augen von ungewohnt langen Wimpern umrahmt wurden und von der Farbe des samtigen Kognaks waren, den ihr Vater einst so gern getrunken hatte.

Mit der eisigen Verachtung des ton hatte sie gerechnet. Darauf war sie vorbereitet. Doch von einem Mann, den sie nicht einmal kannte und der ganz offensichtlich nicht mehr als ein oberflächlicher Verführer war, auf so vertrauliche Weise angegafft zu werden, gefiel ihr nicht. Es gefiel ihr ganz und gar nicht!

Schließlich verließ ihre Ruhe sie endgültig, als sie sah, wie Dolly diesen Mann am Arm packte und in ihre Richtung schubste. Sollte er sie etwa zu Tisch führen? Dabei sah Juliet ihm an, dass auch ihm, sosehr er sie vorher mit Blicken verschlungen hatte, diese Aussicht alles andere als angenehm war.

Unvermittelt ließ Juliet ihren Fächer aufschnappen und wandte dem Paar den Rücken zu, um den Earl in ein Gespräch zu ziehen. „Wie es scheint, haben wir trotz Ihrer Bemühungen einen Aufruhr unter den Gästen verursacht, Mylord“, brachte sie hervor. Die Demütigung, dass man einen Mann dazu zwingen musste, ihr den Arm zu reichen, wühlte sie bis ins Innerste auf.

So freundlich es Dolly Bancroft auch mit ihr meinte, Juliet wusste jetzt, sie hätte nicht kommen dürfen!

„Wären Sie so liebenswürdig, mich vorzustellen, Mylord?“

Ein heftiger Schauer überlief Juliet beim Klang dieser tiefen Stimme. Der Schauer wandelte sich in ein leises Zittern, als sie sich umdrehte und Dollys attraktiven Begleiter dicht vor sich stehen sah. Er blickte von seiner eindrucksvollen Höhe auf sie herab, aber der Ausdruck seiner Augen blieb hinter leicht gesenkten Lidern verborgen.

Doch Juliet wusste auch so, dass dieser Mann dieselbe Verachtung für sie empfand wie jeder andere Anwesende. Sie wollte gar nicht wissen, welchen Druck Dolly auf ihn ausgeübt hatte, damit er sich um die ‚Schwarze Witwe‘ kümmerte.

Bis zu diesem Moment hatte sie geglaubt, dass Dolly dem Earl of Banford treu ergeben war. Allerdings musste es mehr als einer schlichten Bitte bedurft haben, um diesen arroganten jungen Mann dazu zu überreden, sich ihr zuliebe mit der berüchtigten Countess of Crestwood abzugeben und dadurch den gesellschaftlichen Ruin zu riskieren. Juliet fragte sich angewidert, ob dieser Mensch der derzeitige Liebhaber der Countess of Banford war.

„Lady Boyd, darf ich Ihnen Lord Sebastian St Claire vorstellen?“, fragte der Earl pflichtgemäß. „Lord St Claire, Lady Juliet Boyd, Countess of Crestwood.“

Am interessierten Funkeln in den Augen des Earls erkannte Sebastian, dass Dolly ihrem Mann den wahren Grund für seine Anwesenheit anvertraut haben musste. Ärgerlich über diesen Vertrauensbruch presste er für einen Moment die Lippen zusammen, dann verbeugte er sich knapp. „Mylady.“

„Mylord.“ Die Countess knickste anmutig, reichte ihm aber nicht die Hand.

Leicht verwundert runzelte Sebastian die Stirn. „Wollen Sie mir die Ehre erweisen, Sie zu Tisch geleiten zu dürfen, Lady Boyd?“

„Ehre, Mylord?“, fragte sie spöttisch.

Er neigte den Kopf. „Gewiss.“

„Dann verfügen Sie über eine sehr ungewöhnliche Auffassung von Ehre, Mylord“, meinte sie mit einem verächtlichen Lachen.

Zum Henker, das Gespräch verlief ganz und gar nicht so, wie er es sich erhofft hatte. In seiner Vorstellung war sie ebenso schnell von ihm angetan gewesen wie er von ihr. Sebastian hatte sich ausgemalt, dass sie sich schon bald allein miteinander unterhielten, dass sie allein zusammensaßen, allein einen Spaziergang machten – und auf jeden Fall allein waren, während sie sich liebten …

Insgeheim unterdrückte er ein Stöhnen, während er sich vorstellte, wie er ihr zunächst die Perlen aus dem Haar nahm, damit die schimmernden Locken offen über ihren schlanken Rücken fallen konnten. Als Nächstes würde er ihr das Kleid ausziehen, indem er ganz langsam einen winzigen Knopf nach dem anderen öffnete – vom zarten Nacken bis zur Taille –, bei jedem Knopf kurz verweilend, um die seidenweiche Haut zu küssen, die er enthüllte. Sobald er den letzten Knopf geöffnet hatte, würde er das Kleid an ihr herabgleiten lassen und ihren Körper bewundern, nur in Chemise und Strümpfe gehüllt. Vor seinem inneren Auge sah er, wie ihre vollen Brüste sich ihm verführerisch unter dem dünnen Stoff entgegenreckten, als wollten sie seine Aufmerksamkeit erregen, und die dunklen Knospen versprachen ihm ein Vergnügen, das er kosten und genießen würde, bis er genug davon hatte – falls das überhaupt möglich war.

„Wie es scheint, sind wir die Letzten bei Tisch, Lord St Claire“, sagte Juliet tadelnd. Er schien tief in Gedanken versunken zu sein. Vielleicht überlegte er schon das Ausmaß seines gesellschaftlichen Ruins, wenn man nach dem schmerzlichen Ausdruck auf seinem Gesicht ging.

Ganz offensichtlich kehrte er nur mühsam in die Wirklichkeit zurück. „Ich entschuldige mich für meine Geistesabwesenheit, Lady Boyd“, sagte er heiser und reichte ihr seinen Arm.

„Dazu besteht überhaupt kein Grund, Lord St Claire.“ Juliet legte ihm die Hand auf den Arm und spürte die kräftigen Muskeln unter ihren Fingerspitzen. „Schließlich bittet man Sie nicht jeden Tag darum, die berüchtigte Schwarze Witwe zu Tisch zu begleiten“, fügte sie spitz hinzu.

„Ich … Wie haben Sie sich eben genannt?“, rief er verblüfft.

Sie lächelte humorlos. „Glauben Sie mir, ich kenne die wenig schmeichelhaften Spitznamen sehr gut, mit denen man mich seit dem … Tod meines Mannes versieht. Machen Sie sich keine Sorgen. Ihre Pflicht wird erfüllt sein, sobald wir Platz genommen haben. Ich bin nicht im Geringsten gekränkt, falls Sie es vorziehen, mich für den Rest des Abends zu ignorieren.“ Sie würde es vielmehr begrüßen!

Inzwischen hatte Juliet in Lord Sebastian St Claire den jüngsten Bruder des vornehmen Duke of Stourbridge erkannt. Sie wusste, dass er als einer der begehrtesten Junggesellen des ton galt. Entsprechend zog seine Anwesenheit hier ebenso viel Aufmerksamkeit auf sich wie ihre eigene, und ihr verspätetes Erscheinen im Speiseraum musste allgemein umso größeres Aufsehen erregen.

Er betrachtete sie offensichtlich verwundert. „Warum sollten Sie denken, dass ich Sie zu ignorieren wünsche?“

„Um sich weitere Peinlichkeit zu ersparen vielleicht?“

Zum ersten Mal kam Sebastian der Gedanke, dass es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, Juliet nach Banford Park bringen zu lassen. Nach all dem Gerede in den letzten achtzehn Monaten über den unerwarteten Tod ihres Gatten musste ihr der erste gesellschaftliche Auftritt selbstverständlich unangenehm sein.

Flüchtig berührte er die Hand, die auf seinem Arm ruhte. „Ich versichere Ihnen, ich empfinde nicht die geringste Peinlichkeit darüber, in Ihrer Gesellschaft gesehen zu werden, Lady Boyd.“

Ihr Blick blieb kühl. „Ebenso sicher bin ich aber, dass Sie es als der jüngste Bruder des Duke of Stourbridge für unhöflich halten würden, es zuzugeben, wenn dies der Fall wäre.“

„Ganz im Gegenteil, Mylady“, konterte Sebastian. „Wüssten Sie auch nur das Geringste über die St Claires, wäre Ihnen klar, dass wir es vorziehen – dass wir in der Tat keine Mühe scheuen –, uns den Gesetzen der Gesellschaft zu widersetzen.“

Juliet hatte tatsächlich gehört, dass die St Claires sich über alle Gebote hinwegsetzten. Selbst das Oberhaupt der Familie, der erlauchte Duke of Stourbridge, bildete da offenbar keine Ausnahme.

Nachdem er jahrelang als die beste Partie gehandelt worden war, die eine ehrgeizige Mama für ihre Tochter gewinnen konnte, hatte der Duke vor knapp einem Jahr eine kleine Sensation hervorgerufen, indem er eine junge Frau umwarb und heiratete, von der der ton bis zu dem Tag nicht das Geringste gehört hatte.

Juliet nahm auf dem Stuhl Platz, den Lord St Claire für sie heranzog. „Dann befinden Sie sich in der Gesellschaft einer Frau, die Ihnen sehr gut dabei helfen kann, Mylord.“

Einen Augenblick war sie damit beschäftigt, es sich bequem zu machen, und bemerkte also nicht sofort, dass er sich auf den Stuhl neben ihr setzte. „Oh, du meine Güte.“ Sie war zwischen den Earl of Banford, der am Kopf der Tafel saß, und Lord St Claire zu ihrer Rechten platziert worden. „Ist es Ihnen irgendwie gelungen, Lady Bancrofts Zorn zu erregen, Lord St Claire?“

Er hob die Augenbrauen, ein belustigtes Funkeln leuchtete in seinen hellbraunen Augen auf. „Wieder irren Sie sich. Lady Bancroft – Dolly – und ich sind seit jeher die besten Freunde.“

Nachdenklich betrachtete sie ihn. „Ach, wirklich?“, fragte sie schließlich ausdruckslos und wandte sich ab, um ihm zu zeigen, wie gering ihr Interesse an diesem Thema war.

Sebastian hätte das Gespräch mit ihr gern fortgesetzt und erfahren, was dieser rätselhafte Blick zu bedeuten hatte. Doch er wurde in diesem Moment unterbrochen, da der erste Gang serviert wurde. Als der Diener verschwunden war, hatte Lord Bancroft die Countess bereits in ein Gespräch verwickelt, und Sebastian musste sich damit zufriedengeben, Juliet Boyd verstohlen unter halb gesenkten Lidern zu betrachten.

Obwohl sie gewiss ahnte, dass sie noch immer im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses lag, achtete sie nicht darauf, sondern fuhr fort, sich liebenswürdig lächelnd mit ihrem Gastgeber zu unterhalten und ab und zu einen Löffel von ihrer Suppe zu kosten.

Sebastian konnte nicht den Blick von ihr nehmen. Wusste sie überhaupt, wie verlockend ihr Mund war mit diesen hübschen, vollen Lippen? Wie verführerisch diese dunkelgrünen Augen? Wie fast durchscheinend blass ihre Haut, die darum zu flehen schien, liebkost zu werden?

Nichts ersehnte Sebastian mehr, als ihre schlanken Hände auf seiner erhitzten Haut zu spüren …

Zu Juliets Betroffenheit fühlte sie sich beim Dinner sogar noch unbehaglicher als vorher. Sie spürte, dass die anderen Gäste jede ihrer Gesten voller Neugier beobachteten; zweifellos in der Absicht, später in aller Ruhe darüber zu klatschen. Ganz besonders aber und sehr gegen ihren Willen war sie sich des Mannes bewusst, der zu ihrer Rechten saß.

Lord Sebastian St Claire war zweifellos einer der attraktivsten Männer, die sie je gesehen hatte. Mit der ungewöhnlichen Haarfarbe, dem sanft flirtenden Blick, dem sinnlichen Mund und dem markanten Kinn, das von Entschlossenheit zeugte, stellte er für die meisten Frauen sicher eine große Versuchung dar.

Noch beunruhigender war vielleicht, wie seine auf den Leib geschneiderte Abendkleidung die breiten Schultern, die schmalen Hüften und die langen, muskulösen Beine ausnehmend gut zur Geltung brachte.

Juliet hatte geheiratet, bevor sie die Gelegenheit gehabt hatte, die Welt besser kennenzulernen. Dennoch glaubte sie beurteilen zu können, dass Lord St Claire zu der gefährlichsten Sorte von Männern zählte – ein Verführer und Frauenheld. Sicherlich ließ er sich von keinen Skrupeln abhalten, wenn es darum ging, eine Frau zu gewinnen. Selbstverständlich ohne dabei selbst irgendeine gefühlsmäßige Bindung einzugehen.

Nach so vielen Jahren unglücklicher Ehe konnte Juliet ein so sorgloses Liebesleben wie das Sebastian St Claires nur beneiden.

Beneiden, aber niemals nachahmen.

Natürlich war ihr nicht entgangen, dass viele verwitwete Damen ihres Alters ihre Freiheit von Gatten und ehelichen Verpflichtungen nutzten, um Affären zu genießen, die ihnen entweder erotische oder emotionale Befriedigung verschafften. Nach einem Leben mit Lord Edward Boyd, einem kalten, gnadenlosen Mann, verspürte Juliet weder das Verlangen nach dem einen noch nach dem anderen.

„… Gefallen daran finden, morgen mit mir eine Bootsfahrt auf den See zu unternehmen, Mylady?“

Verblüfft sah sie Lord St Claire an. „Verzeihung?“

Er lächelte über ihr offensichtliches Erstaunen. „Ich wollte nur wissen, ob es Ihnen gefallen würde, morgen eine Bootsfahrt mit mir zu unternehmen.“

Also tatsächlich das, was Juliet zu hören geglaubt hatte!

2. KAPITEL

Oder vielleicht“, verbesserte Sebastian sich geschickt, als er ihren erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkte, „ziehen Sie einen Spaziergang im Garten vor?“

Sie hatte die grünen Augen leicht zusammengekniffen, ihre innere Anspannung war fast spürbar. „Ich weiß nicht, welche Belohnung Dolly Ihnen versprochen hat, wenn Sie freundlich zu mir sind, Lord St Claire“, zischte sie leise, sodass weder ihr Gastgeber noch die übrigen Gäste sie hören konnten, „aber ich versichere Ihnen mit allem Nachdruck, dass ich persönlich solche Aufmerksamkeiten nicht zu schätzen weiß!“

So betroffen war Sebastian von ihrer Anschuldigung, dass er einen Moment lang kein Wort herausbrachte. Sie glaubte doch tatsächlich, er und Dolly seien Geliebte!

Die Zähne verärgert zusammengebissen, betrachtete er sie kühl. „Ich wiederum kann Ihnen versichern, Lady Boyd, dass Sie sich irren in Ihrer Vermutung, was meine ‚Freundschaft‘ mit Dolly angeht.“

Sie machte keinerlei Anstalten, sich von seiner Missbilligung einschüchtern zu lassen. „Ob ich mich nun irre oder nicht, die Aufmerksamkeiten, die Sie mir gezwungenermaßen erweisen, sind mir ausgesprochen unwillkommen.“

Nein, dieser Abend entwickelte sich ganz und gar nicht so, wie Sebastian ihn sich erhofft hatte!

Er war es einfach nicht gewohnt, dass man ihn derart herausforderte. Die St Claires hielten stets ihre Gefühle im Zaum, ob es sich nun um Belustigung, Langeweile oder Zorn handelte. Wie es allerdings aussah, schien das Sebastian nicht zu gelingen, wenn es um Lady Juliet Boyd ging.

Erst jetzt wurde ihm bewusst, was sie gesagt hatte, und die Wut verrauchte so schnell, wie sie gekommen war. „Die ich Ihnen gezwungenermaßen erweise?“, wiederholte er leise.

„Selbstverständlich“, bestätigte sie ärgerlich. „Glauben Sie, ich hätte den Ausdruck des Widerwillens auf Ihrem Gesicht nicht bemerkt, als ich vorhin den Salon betrat?“

Widerwillen? Sebastian erinnerte sich, dass er von ihrer außer­ordentlichen Schönheit überwältigt gewesen war. Aber Widerwillen? Niemals!

Er schüttelte den Kopf. „Sie irren sich, Mylady.“

„Das glaube ich nicht.“

„Nennen Sie mich einen Lügner?“ Seine Stimme klang trügerisch sanft.

„Ich sage nur, was ich sah“, beharrte sie.

„Was Sie zu sehen glaubten“, verbesserte er sie entschlossen. „Kann ich Ihren Bemerkungen also entnehmen, dass Sie es vorzögen, nicht mit mir im Garten spazieren zu gehen?“, fügte er trocken hinzu.

Die Countess betrachtete ihn nachdenklich mit ihren faszinierenden grünen Augen. „Ich zöge es vor, Mylord, wenn Sie mich in Ruhe ließen“, sagte sie schließlich. „Mein Entschluss, herzukommen, war ein großer Fehler. Ich überlege ernsthaft, mich zu entschuldigen und morgen bereits wieder abzureisen.“

Da Sebastian sich nur auf die lästige Sommergesellschaft eingelassen hatte, um diese Frau zu verführen, hatte er gewiss nicht die Absicht, sie so schnell davonkommen zu lassen!

„Sind Sie nicht ein wenig zu voreilig, Lady Boyd?“, sagte er liebenswürdig schmeichelnd. „Dolly erzählte mir, dies sei das erste Mal, dass Sie wieder in Gesellschaft gehen, seit Ihr Trauerjahr vorüber ist. Stimmt das?“

Nach diesem unangenehmen Abend würde es sehr wahrscheinlich auch das letzte Mal sein!

Sie mochte Dolly ausgesprochen gern, und ihre erfrischende Art, die nichts mit der steifen Förmlichkeit der guten Gesellschaft gemein hatte, war Juliet sehr sympathisch. Falls ihre Gastgeberin allerdings glaubte, sie würde ihr einen Gefallen tun, indem sie ihr einen ihrer Liebhaber zur Verfügung stellte, irrte sie sich gewaltig. Die Aufmerksamkeiten eines Mannes wie Sebastian St Claire – eines Frauenhelden, wie er im Buche stand, und außerdem einige Jahre jünger als sie – war das Letzte, was sie in ihrem ohnehin schon komplizierten Leben gebrauchen konnte.

„Ich denke nicht, dass mein Entschluss Sie irgendetwas angeht, Mylord.“

„Nein?“ Er hob spöttisch die Augenbrauen. „Sie denken nicht, dass es Dolly in Verlegenheit bringen würde, sollten Sie so kurz nach Ihrer Ankunft wieder abreisen?“

„Ganz im Gegenteil, Mylord. Ich denke eher, ich könnte ihr dadurch weitere Verlegenheit ersparen.“

„Also beabsichtigen Sie, bei der ersten Andeutung von Schwierigkeiten in die Sicherheit Ihres Guts in Shropshire zurückzulaufen?“, stichelte er.

Empört schnappte Juliet nach Luft. „Sie gehen zu weit, Sir!“

Ihre Wut schien ihn jedoch nicht im Geringsten zu erschüttern. Stattdessen beugte er sich vor, legte seine Hand auf ihre, die Lippen nur einen Hauch von ihrem Ohr entfernt, und flüsterte: „Meine liebe Countess, was Sie angeht, habe ich noch nicht einmal damit begonnen, zu weit zu gehen!“

Juliet schoss die Röte in die Wangen, nur um genauso schnell wieder zu entweichen. Das verführerische Funkeln seiner Augen war nicht zu übersehen. Wie konnte er es wagen, auf diese vertrauliche Art mit ihr zu reden?

„Sie werden unverschämt, Sir“, fuhr sie ihn an und entzog ihm abrupt ihre Hand. „Es wäre für uns beide besser, wenn Sie für den Rest des Abends davon Abstand nehmen würden, mich anzusprechen.“

Er lächelte spöttisch. „Wird das nicht seltsam aussehen, nachdem wir doch allem Anschein nach so gut miteinander auskommen?“

„‚Anschein‘ ist das richtige Wort, Sir“, konterte sie kühl. „Dieses Gespräch ist beendet.“ Damit kehrte sie ihm den Rücken zu und begann mit ihrem Gastgeber ein Gespräch über das zu erwartende Wetter für die kommende Woche.

In ihrem ganzen Leben war ihr noch kein Mann wie Sebastian St Claire begegnet – so unverblümt, so fest entschlossen, sich nicht abweisen zu lassen.

Juliet hatte Edward im Frühling immer zur Saison nach London begleitet, an Gesellschaften teilgenommen und am Ende jeder Saison sogar selbst einen Ball gegeben, zu dem alle respektablen Mitglieder des ton eingeladen worden waren. Lord Sebastian St Claire hatte nicht zu ihren Gästen gezählt.

Sein ältester Bruder hingegen, der hochmütige Duke of Stourbridge, war mehrere Male zu einem privaten Dinner geladen worden, und Juliet erkannte eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden Männern. Junge Herzensbrecher wie Sebastian St Claire hatten allerdings nicht zu Edwards erlesenem Bekanntenkreis gehört, und dementsprechend auch nicht zu ihrem eigenen.

Während sie sich mit dem Earl of Banford unterhielt, ertappte Juliet sich bei dem Gedanken, was Edward wohl von dem jungen Lord St Claire gehalten haben würde.

Er hätte ihn nicht gutgeheißen.

St Claire war zu jung, zu verantwortungslos, zu verwegen – alles Eigenschaften, die Edward missbilligt hatte.

Plötzlich weckte diese Erkenntnis in ihr den Wunsch, sich trotz ihrer Bedenken mit St Claire anzufreunden!

Die Kerze in Juliet Boyds Schlafzimmer brannte noch, als Sebastian auf seinen Balkon hinaustrat, um eine letzte Zigarre zu rauchen. Doch die Spitzenvorhänge machten es ihm wieder einmal unmöglich, ins Innere zu blicken und zu sehen, ob die Bewohnerin des Zimmers bereits im Bett lag oder nicht.

Es war gewiss ein sehr interessanter Abend gewesen, wenn auch enttäuschend. Das offene, fast schon intime Gespräch mit der Countess war unterhaltsam gewesen, aber danach hatte er hinnehmen müssen, dass sie ihm während des ganzen Dinners keine Beachtung mehr schenkte – genau wie sie es angekündigt hatte. Noch enttäuschender fand er, dass sie nicht mehr da gewesen war, als die Gentlemen später nach einigen Gläsern vorzüglichen Portweins wieder zu den Damen gestoßen waren.

Würde sie auch ihre Drohung wahr machen, am nächsten Morgen abzureisen?

Heute Abend war Sebastian klar geworden, was für eine ausgesprochen mutige Frau Juliet Boyd sein musste, um Dollys Einladung anzunehmen und einzuwilligen, sich einer Gesellschaft zu stellen, die sie vor eineinhalb Jahren hart verurteilt hatte. Musste sie aber auch so unglaublich starrköpfig sein?

Und doch war es gerade diese Starrköpfigkeit – die Art, wie ihre Wangen sich vor Zorn gerötet und die herrlichen Augen gefunkelt hatten wie Smaragde –, die Sebastians Interesse noch verstärkte.

Dolly würde mit ihr reden müssen, sie irgendwie dazu überreden müssen, zu bleiben …

Ein leises Geräusch kündigte an, dass er gleich nicht mehr allein auf dem Balkon sein würde. Er ließ die Zigarre fallen und trat sie aus, dann wich er rasch in den Schatten zurück, gerade noch rechtzeitig, bevor die Tür zum Schlafzimmer nebenan geöffnet wurde und die Countess auf ihren Balkon herauskam.

Ihm stockte der Atem, als sie an das Geländer herantrat und zum sternklaren Himmel hinaufblickte.

Dieser Besuch auf dem Balkon war aus einem plötzlichen Impuls entsprungen, daran gab es keinen Zweifel. Sie hatte sich schon bettfertig gemacht. Das wundervolle, im Mondlicht schimmernde dunkle Haar reichte bis zur verführerischen Rundung ihres Gesäßes. Es war atemberaubend. Die Countess trug einen Morgenrock aus blassgrüner Seide über einem dazu passenden Nachtgewand, doch im hellen Mondlicht konnten sie nicht die vollen Brüste darunter verbergen, ebenso wenig wie die schmale Taille, das verführerisch runde Gesäß oder die langen, schlanken Beine.

Sie war die fleischgewordene Versuchung.

Eine wahre Göttin …

„Wer ist da?“

Sebastian wusste nicht, wie er sich verraten hatte. Er musste beim Anblick ihrer Schönheit unbewusst eingeatmet haben. Vielleicht hatte er auch unwillkürlich einen Schritt auf sie zu gemacht, auf die Versuchung, die sie so unschuldig darstellte. Jedenfalls war Juliet Boyd gewarnt und drehte sich genau zu der Stelle um, wo Sebastian im Schatten stand und sie beobachtete.

Da es lächerlich gewesen wäre, sich jetzt noch weiter zu verstecken, trat er hervor und verbeugte sich gewandt. „Mylady.“

Juliet schnappte nach Luft und legte eine Hand an die Kehle. Es war nicht schwer zu erkennen, wer so groß und eindrucksvoll auf ihrem Balkon stand. „Was tun Sie hier?“ Ihre Stimme klang atemlos.

Und sie war auch wirklich atemlos! Schon einmal an diesem Abend hatte sie Gelegenheit gehabt, sich über die Unverfrorenheit dieses Mannes zu wundern, aber auf keinen Fall hätte sie für möglich gehalten, dass er versuchen würde, uneingeladen in ihr Schlafzimmer einzudringen!

Sie war ganz starr vor Empörung. „Wie können Sie sich erdreisten, auf diese Weise meinen Balkon zu betreten, Mylord?“

Wie schon zuvor schien er völlig ungerührt über ihren Missmut, als er antwortete: „Sie irren sich, Mylady.“

Juliet sog entrüstet die Luft ein. „Ich werde ja wohl noch wissen, was ich mit meinen eigenen Augen sehe, Sir!“

„Das meinte ich nicht.“ Er lächelte belustigt.

„Was dann?“

Er zuckte die kräftigen Schultern, und sofort fiel Juliet auf, dass er die schwarze Jacke und das Krawattentuch ausgezogen hatte. Die silberfarbene Brokatweste, eng an den Leib geschneidert, betonte den flachen Bauch. Das weite Hemd war am Hals gelockert und enthüllte dunkle Härchen auf der breiten Brust.

Hastig wandte Juliet den Blick ab. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass auch sie nicht sehr schicklich gekleidet war. Vorhin hatte Helena ihr die Haarnadeln entfernt und ihr ins Nachtgewand geholfen – das blassgrüne Seidennachthemd mit dazu passendem Morgenrock war alles, was sie im Augenblick trug, während sie sich von dem verruchten Sebastian St Claire in ein Gespräch verwickeln ließ!

Sebastian konnte sehen, wie Juliet allmählich in Panik geriet, als sie den Morgenrock um sich zusammenzog und sich zur Flucht bereit machte. „Ich meinte, dass die Tür hinter mir in mein Schlafzimmer führt und ich daher auf meinem Balkon stehe und nicht auf Ihrem.“

„Ihr Balkon?“ Verblüfft sah sie zu der offenen Tür hinüber, und erst jetzt entdeckte sie zwischen ihnen ein niedriges schmiedeeisernes Geländer, das die beiden Balkone trennte, aber auf beiden Seiten von Topfpflanzen verdeckt wurde. Sie schluckte angestrengt. „Wie es aussieht, schulde ich Ihnen eine Entschuldigung, Lord St Claire.“

„Nicht so schnell, Mylady.“ Im nächsten Moment war er geschmeidig über das Geländer gestiegen, das sie trennte. „Da, sehen Sie? Keine Entschuldigung mehr nötig.“ Er lächelte unverschämt, während er dicht vor ihr stehen blieb.

Juliet erzitterte. Obwohl sie so lange verheiratet gewesen war, verfügte sie über keine Erfahrung, um mit dem ungeheuerlichen Benehmen dieses Mannes fertigzuwerden!

Seit sie den Salon am Arm des Earls betreten hatte, hatte St Claire sie auf kühne, vertrauliche Weise angesehen. Nachdem er ihr vorgestellt worden war, hatte er es vorgezogen, mit ihr zu streiten, nur um während des Dinners wieder mit ihr zu flirten – bis zu dem Moment, da Juliet dem ein Ende gesetzt hatte.

Dass sie jetzt mit ihm allein war – auf dem Balkon vor ihrem Schlafzimmer, zu dieser späten Stunde, bei Mondlicht und mit nichts als ihrer Nachtkleidung am Leib –, könnte für einen Skandal sorgen!

Mit leicht zitternder Hand wies Juliet auf seine Tür. „Sie müssen sofort auf Ihren Balkon zurückgehen!“

„Muss ich das?“

Plötzlich war er ihr viel zu nah. So nah, dass Juliet der Duft seines Rasierwassers und schwacher Zigarrengeruch in die Nase stiegen. Schlimmer noch, er blickte sie mit seinen Augen, jenen faszinierenden cognacfarbenen Augen, auf eine Weise an, die Juliet mit unwiderstehlicher Macht zu fesseln schien.

Dennoch musste sie der Versuchung widerstehen. „Ja, das müssen Sie“, antwortete sie bestimmt.

Sein Blick wurde fragend. „Warum?“

„Weil man uns hier nicht so zusammen sehen darf!“

„Was aber auch kaum wahrscheinlich ist, nicht wahr, Juliet?“ Er sah sich vielsagend um. Tatsächlich, in keinem der anderen Schlafzimmer brannte eine Kerze, was gewiss bedeutete, dass sich die übrigen Gäste noch nicht für die Nacht zurückgezogen hatten.

Zweifellos hielten sie sich alle noch unten im Salon auf und zerrissen sich das Maul über die berüchtigte Countess of Crestwood.

„Ich habe Ihnen nicht erlaubt, mich mit meinem Vornamen anzusprechen.“ Sie hob herausfordernd das Kinn. „Und ich gehe außerdem davon aus, dass Sie den Grund kennen, Lord St Claire, weswegen der ton mich die Schwarze Witwe nennt.“

Wieder runzelte Sebastian die Stirn bei der Erwähnung dieses Spitznamens, an dem er zu seinem eigenen Erstaunen heftigen Anstoß nahm. „Was mich betrifft, ziehe ich es vor, nicht auf bösartigen Klatsch zu hören.“

Sie hob die dunklen Augenbrauen. „Und wenn er sich in diesem Fall nicht als bösartig herausstellen sollte? Wenn er wahr wäre?“

Nachdenklich sah er ihr in die grünen Augen, und sie begegnete seinem Blick offen, ohne vor der Herausforderung zurückzuschrecken. „Ist er denn wahr?“, fragte er leise.

Ein freudloses Lachen entfuhr ihr. „Ich habe nicht die Absicht, eine solche Frage zu beantworten!“

„Das freut mich“, meinte er ruhig. „Es spielt schließlich keine Rolle, was ich oder sonst jemand über den Tod Ihres Gatten vermute.“

„Es … spielt keine Rolle?“, wiederholte sie ungläubig.

„Nein.“ Er legte ihr die Hände auf die Arme und zog sie langsam, aber entschlossen an sich. „Da ich nicht das geringste Interesse daran habe, Ihr zweiter Mann zu werden, ist es eher unwahrscheinlich, dass Sie mir je den Tod wünschen.“

Da irrte er sich gewaltig. Noch nie hatte Juliet einen so heftigen Wunsch verspürt, einem Menschen körperlichen Schaden zuzufügen, wie in diesem Moment! „Sie täuschen sich, Lord St Claire“, fuhr sie ihn an und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. „In diesem Augenblick würde mich nichts mehr freuen, als Sie zum Teufel zu schicken – wo Sie ganz offensichtlich hingehören!“

Er lachte heiser, ohne sie jedoch loszulassen. „Sie glauben, meine früheren Missetaten sind schwerwiegend genug, um mich zum ewigen Feuer zu verdammen?“

„Glauben Sie das etwa nicht?“

„Schon möglich“, gab er zu, nachdem er einen Augenblick tatsächlich darüber nachgedacht zu haben schien. „Trunkenheit, Kartenspiel, Ausschweifungen. Hm, es scheint sogar mehr als wahrscheinlich, nicht wahr?“

Langsam senkte er den Kopf. Unfähig, sich zu rühren, sah Juliet zu ihm auf. „Was tun Sie da?“, brachte sie atemlos hervor.

Ein ironisches Lächeln umspielte seinen Mund. „Da Sie ohnehin überzeugt sind, dass mir die Hölle sicher ist, sehe ich nicht ein, wie ein weiterer Fehltritt mir noch schaden könnte.“

„Sie …“ Juliets Protest wurde in einem Kuss erstickt, als Sebastian St Claire seinen Mund auf ihren presste.

Dieser hochmütige, spöttische Mund, und doch so fest, so erfahren. Juliet spürte, wie St Claire ihre Lippen sanft mit den seinen auseinanderschob und gleichzeitig ihre weichen Rundungen an seinen harten, muskulösen Körper presste.

In den dreißig Jahren ihres Lebens hatte Juliet nie die Küsse eines anderen Mannes als Edward erfahren. Und die hatten sie gewiss nicht auf den verlockenden Ansturm vorbereitet, den Sebastian St Claire auf ihre Sinne unternahm. Eher zögernd, forschend strich er mit der Zunge über ihre Lippen, bevor er den Kuss vertiefte.

Ist das Erregung? fragte Juliet sich leicht benommen.

Eine ungewohnte Hitze konzentrierte sich zwischen ihren Beinen, je länger der Kuss anhielt. In ihren Brustspitzen prickelte es heftig, dort, wo sie fest an seine Brokatweste gedrückt wurden. Mit einer Hand strich er ihr verführerisch über den Rücken, und bei jeder Bewegung rieben sich ihre Brüste an seinem Leib. Juliet stöhnte leise auf, so heiß durchfuhr sie ein nie gekanntes Lustgefühl.

Was geschieht nur mit mir? dachte sie verwundert.

Nie hatte sie etwas Ähnliches empfunden, wenn Edward ihr das Nachthemd bis zum Kinn hochgeschoben und schmerzhaft in sie eingedrungen war. Als er ihr die Unschuld nahm, hatte sie sogar das Bewusstsein verloren.

Jedes Mal danach war es dasselbe gewesen, wann immer Edward zu ihr gekommen war – er hatte sie auf brutale, schweigsame Art genommen, und sie hatte stets gegen die Tränen angekämpft, weil sie gewusst hatte, dass sie ihn damit nur verärgert und er sie dafür nur noch mehr gedemütigt hätte.

Also hatte Juliet den Schmerz klaglos ertragen, während Edward wie ein Tier über sie hergefallen war, bis er endlich mit einem Grunzen schwer auf ihr zusammenbrach. Zu ihrer unendlichen Erleichterung war Edward in den letzten Jahren ihrer Ehe nur noch selten in ihr Bett gestiegen, doch wann immer er es getan hatte, hatte kein Flehen ihrerseits geholfen, ihn milder zu stimmen. Sie sei seine Ehefrau, hatte er kalt erwidert, und somit sei es ihre Pflicht, sich hinzulegen und die Beine zu spreizen, damit er seine Lust befriedigen konnte!

Die Erinnerung an jene fürchterlichen Nächte mit Edward genügte, um jeden Wunsch auf weitere Erlebnisse dieser Art – und wären sie auch mit Sebastian St Claire – im Keim zu ersticken. Juliet riss sich von ihm los, stieß ihn von sich und streckte abwehrend die Hände aus, während sie so weit wie möglich zurückwich.

Edward ist tot, sagte sie sich eindringlich, ich bin endlich frei. Und nicht nur frei von ihm, sondern von allen Männern. Nach Edwards Tod hatte sie sich geschworen, nie wieder solche Qualen in den Armen eines Mannes auszustehen.

„Kommen Sie nicht wieder in meine Nähe!“, warnte sie ihn barsch, als er einen Schritt auf sie zu machte.

Sebastian hatte lediglich eine Hand an ihre Wange legen, die von seinen Küssen leicht geschwollenen Lippen mit dem Daumen berühren wollen. Aber jetzt ließ er die Hand abrupt sinken und musterte sie nachdenklich, als er nackte Angst in ihren grünen Augen entdeckte. Wie ein Tier, das hilflos einem Feind gegenübersteht …

Wer war verantwortlich für die tiefe Verzweiflung dieser bezaubernden Frau?

3. KAPITEL

Sebastian wusste nicht, was er als Nächstes getan oder gesagt hätte. Da ertönte ein Klopfen an der Tür zu Juliets Zimmer und erlöste ihn von dieser Entscheidung.

„Vielleicht sollten Sie öffnen“, riet er ihr leise, weil sie immer noch dastand und ihn schwer atmend anstarrte, statt sich zu rühren.

„Nicht, bevor ich sicher sein kann, dass Sie mich verstanden haben. Es ist mein Wunsch, dass Sie sich in Zukunft von mir fernhalten!“ Ihre Hände waren zu Fäusten geballt.

„Ich habe verstanden.“ Er neigte kurz den Kopf.

Nach einem letzten misstrauischen Blick drehte sie sich auf dem Absatz um und betrat ihr Schlafzimmer. Ihre weichen Slipper machten kaum ein Geräusch, während sie zur Tür ging.

Sebastian zog sich inzwischen in den Schatten zurück. Was immer Juliet von ihm halten mochte, es war nie seine Absicht gewesen, sie in die Art von Skandal zu verwickeln, die seine Anwesenheit vor ihrem Schlafzimmer gewiss heraufbeschwören würde.

Verblüfft hob er die Augenbrauen, als er in der späten Besucherin Dolly Bancroft erkannte.

Juliet zitterten noch immer die Knie, während sie dabei war, die Tür zu öffnen. Noch immer atmete sie schwer nach St Claires Kuss – der noch dazu ausgerechnet auf ihrem Balkon stattgefunden hatte! In ihrem aufgewühlten Zustand konnte sie Dolly, die noch immer in Abendkleidung im schwach erleuchteten Flur stand, zunächst nur ausdruckslos anblicken.

Ihre Gastgeberin schien unruhig zu sein. „Es tut mir leid, Sie stören zu müssen, Juliet, aber es hat einen kleinen Unfall gegeben.“

War es nur Einbildung, oder hatte Dolly wirklich einen flüchtigen Blick ins Schlafzimmer geworfen, bevor sie sprach? Als hätte sie vermutet, nein, sogar damit gerechnet, dass Juliet nicht allein wäre!

Immerhin war Dolly Bancroft ja wohl dafür verantwortlich, dass man Sebastian St Claire das anliegende Schlafzimmer gegeben hatte!

Verstand sie das also unter der Vergeltung ihrer ‚Freundlichkeit‘? Verärgert presste Juliet einen Moment die Lippen zusammen. „Ein Unfall?“

„Ihre Zofe. Sie heißt Helena, nicht wahr?“

Juliet sog erschrocken den Atem ein. „Was ist geschehen?“, fragte sie ängstlich.

Seufzend zuckte Dolly die Achseln. „Das dumme Ding muss auf der Treppe gefallen sein und hat sich den Knöchel verletzt. Ein Lakai hat sie auf ihr Zimmer hinaufgetragen, und einer meiner Gäste, Mr Hallowell, ist Arzt. Er ist jetzt bereits bei ihr.“

„Ich muss zu ihr.“

„Das ist nicht nötig. Mr Hallowell ist sehr vertrauenswürdig, glauben Sie mir.“

„Trotzdem möchte ich meine … Helena sehen.“ Juliet griff nach einem der Kerzenständer. „Sie hätten ruhig einen der Diener zu mir schicken können, statt Ihre Gäste allein zu lassen.“

Dolly schürzte die Lippen und wich ihrem Blick aus. „Ich hielt es unter den Umständen für besser, Sie selbst zu informieren.“

„Welche Umstände?“

„Ich …“ Dolly schien – völlig untypisch für sie – verlegen zu sein. „Ich hielt es einfach für besser“, wiederholte sie knapp.

„Dolly?“

Plötzlich wieder ganz die stolze Countess of Banford, hielt sie inne und erwiderte ihren Blick mit hochmütig erhobenen Brauen. „Ich muss jetzt wirklich wieder nach unten zu meinen Gästen gehen.“

„Selbstverständlich.“ Auch Juliet sprach jetzt in kühlem, distanziertem Ton. „In dem Fall unterhalten wir uns morgen früh, Lady Bancroft.“

Dollys strenge Miene wurde sichtlich weicher. „Warum solches Theater, Juliet?“ Sie lächelte verschwörerisch. „Sie werden doch zugeben, dass St Claire teuflisch gut aussieht. Die meisten Damen des ton wünschten insgeheim, sie könnten ihn zum Liebhaber nehmen!“

Stolz richtete Juliet sich zu ihrer vollen Größe von knapp einem Meter sechzig auf. „Von mir aus können sie ihn gern haben!“

„Das würden sie wohl nur zu gerne, wenn sie denn könnten. Leider besitzt keine von ihnen zurzeit Sebastians Interesse.“ Dolly warf ihr einen vielsagenden Blick zu.

Juliet runzelte argwöhnisch die Stirn. Wollte Dolly damit andeuten, sie, Juliet, sei diejenige, für die St Claire sich interessierte? Und dass er selbst das Schlafzimmer neben dem ihren verlangt hatte?

Aber nein, schalt sie sich sofort, wie könnte das sein? Sie und Seine Lordschaft waren sich doch heute Abend erst vorgestellt worden, wie sollte er also schon vorher den besonderen Wunsch gehabt haben, sie näher kennenzulernen?

„Lord St Claire ist an mir nicht mehr interessiert als an jeder anderen Frau auch“, sagte sie kühl. „Er ist ganz einfach nur ein Schmeichler. Ein Mann, der mein … mein Unbehagen heute Abend zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen suchte.“ Ihre Augen blitzten empört auf beim Gedanken daran, wie er sich noch vor wenigen Minuten Zugang zu ihrem Balkon verschafft und es gewagt hatte, sie zu küssen.

Sehr wahrscheinlich stand er noch immer dort und hörte jedes ihrer Worte!

„Lord St Claire ist ein bekannter Wüstling, nichts als ein gemeiner Verführer!“, fügte sie genüsslich hinzu.

Sebastian lauschte der Unterhaltung der beiden Damen mit wachsendem Unmut. Allerdings blieb ihm keine Wahl, als zu bleiben, wenn er nicht von Dolly entdeckt werden wollte. Jeder Versuch, auf seinen Balkon zurückzuklettern, würde ihn verraten. Doch Juliets letzter Vorwurf hätte fast genügt, um ihn protestierend aus seinem Versteck hervortreten zu lassen – was die ohnehin schon argwöhnische Dolly auf ihn aufmerksam gemacht hätte.

Juliet hätte ihm gewiss nicht dafür gedankt. Dennoch musste die hinreißende Countess doch wissen, dass er noch auf dem Balkon stand und jedes ihrer Worte hörte. Nein, jede ihrer Beleidigungen.

In diesem Moment konnte er sich nicht entscheiden, ob er Lady Juliet Boyd lieber einen Klaps auf ihr süßes Gesäß verpassen oder sie küssen wollte, bis sie schwach und willig in seinen Armen lag. Oder würde sie ihn dann nur wieder mit diesem angsterfüllten Blick ansehen?

„Sebastian ist meist zu sehr damit beschäftigt, sich die Frauen vom Leib zu halten, als dass er sich noch dazu aufraffen könnte, eine von ihnen zu verführen“, sagte Dolly.

„Dann wünschte ich, er würde aufhören, sie sich vom Leib zu halten, und sich endlich durch eine von ihnen einfangen lassen“, meinte Juliet unwillig. „Ich jedenfalls habe nicht den geringsten Wunsch, Lord St Claire näher kennenzulernen, als ich es heute Abend leider bereits getan habe!“

Dolly zuckte mit den Achseln. „Ich fürchte, das werden Sie Sebastian selbst sagen müssen.“

Doch Juliet wusste, dass sie das gerade getan hatte.

Da sie noch nicht bereit war, nach unten zu gehen und unter den neugierigen Blicken der anderen Gäste ihr Frühstück einzunehmen, bat Juliet Dollys Zofe, die ihr beim Ankleiden half, ein Tablett auf ihr Zimmer zu bringen.

Ein Blick in den Spiegel heute Morgen hatte ihr verraten, dass die dunklen Schatten unter ihren Augen und die blassen Wangen nur allzu deutlich bezeugten, wie schlecht sie geschlafen hatte. Jetzt, da ihr Haar in sanften Locken hochgesteckt war, schien beides nur noch auffälliger hervorzutreten.

Zwar redete Juliet sich ein, die unruhige Nacht sei auf ihre Sorge um Helena und deren verstauchten Knöchel zurückzuführen, aber insgeheim wusste sie, dass es noch einen ganz anderen Grund dafür gab.

Und dieser Grund hieß Lord Sebastian St Claire.

Fast hatte sie schon damit gerechnet, dass er noch auf dem Balkon stand – oder, noch schlimmer, in ihrem Schlafzimmer –, als sie gestern Abend aus Helenas Zimmer zurückgekehrt war. Doch er war fort gewesen, und ein vorsichtiger Blick aus dem Fenster hatte ihr gezeigt, dass bei ihm auch kein Licht mehr gebrannt hatte. Also war Lord St Claire entweder schon zu Bett gegangen oder hatte noch mit den übrigen Gentlemen Karten gespielt. Juliet vermutete eher Letzteres.

Eins wusste sie ganz gewiss: Sie würde heute nicht abreisen können. Helenas Knöchel war sehr stark geschwollen, und Mr Hallowell hatte ihr dringend dazu geraten, mindestens einen Tag lang das Bett zu hüten. Und Juliet wollte Banford Park auf keinen Fall ohne ihre Cousine verlassen.

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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