Historical Saison Band 23

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LIEBESERWACHEN IM WINDERMERE PARK von BRISBIN, TERRI
Atemlos vor Erregung schmiegt der Duke of Windermere sich an seine betörende Frau. Lange Jahre hat er Miranda vernachlässigt - doch in dieser heißen Sommernacht verliert er abermals sein Herz an sie. Ausgerechnet jetzt, da er sicher ist, dass sein Ende naht - und beschlossen hat, einen neuen Mann für sie zu suchen!

VIEL LÄRM UM MISS SWEETLY von MCPHEE, MARGARET
"Du gibst mir den Laufpass?" Alice zerreißt es schier das Herz als der Marquis ihre prickelnde Liaison beendet, weil er sich eine standesgemäße Braut suchen muss. Sie befindet sich in einer Zwickmühle: Wenn sie ihm ihr Geheimnis verraten würde, hätte ihre Liebe noch eine Chance - doch sein Ruf wäre dann für immer zerstört …


  • Erscheinungstag 01.07.2014
  • Bandnummer 0023
  • ISBN / Artikelnummer 9783733763060
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Terri Brisbin, Margaret McPhee

HISTORICAL SAISON BAND 23

TERRI BRISBIN

Liebeserwachen in Windermere Park

Lady Miranda ist verzückt: Nach Jahren des höflichen Nebeneinanders hat ihr Gemahl, der Duke of Windermere, sich wie durch ein Wunder in den feurigen Adrian ihrer Brautzeit zurückverwandelt. Aber kann sie seinen berauschenden Küssen trauen? Warum stellt er sie bloß immer öfter fremden Herren vor und lässt sie unter fadenscheinigem Vorwand mit ihnen allein?

MARGARET MCPHEE

Viel Lärm um Miss Sweetly

Meine betörende Alice! Mit verzweifelter Leidenschaft sehnt James sich nach seiner Geliebten. Wie konnte er sie bloß gehen lassen? Aus Pflichtgefühl sagte der Marquis sich von ihr los, doch bei jedem Zusammentreffen kann er sein Verlangen kaum zügeln. Als er Alice mit einem neuen Gönner sieht, fasst er, rasend vor Eifersucht, einen skandalösen Plan ...

PROLOG

Er drang mit der routinierten Selbstverständlichkeit in sie ein, die sich im Laufe der Jahre ergeben hatte. Und obgleich sie bereitwillig nachgab, zeigte sie nicht, dass sie die Vereinigung genoss, wie sie es in den frühen Tagen ihrer Ehe getan hatte. Nach ihren Reaktionen zu urteilen, empfand sie nicht mehr so wie damals.

Zielstrebig steuerte Adrian dem Höhepunkt entgegen, und während sie leise aufseufzte, sprach er ein stummes Gebet, dass es ihm diesmal gelungen war, den Erben zu zeugen, den er so dringend benötigte. Für das Herzogtum, betete er, als er sich in ihr verströmte. Für den Namen und die Ehre der Familie, feuerte er sich an. Damit mein Name weiter fortlebt! flehte er, an wen auch immer gewandt, in dessen höherer Macht diese Angelegenheiten standen.

Wortlos zog er sich aus ihr zurück, kletterte aus dem Bett, streifte sich den Morgenrock über und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Als sie hörbar mit den Laken raschelte, drehte er sich zu ihr um und nickte.

„Ich danke dir, meine Liebe“, sagte er. Stets sprach er dieselben Worte, weil er das Entgegenkommen seiner Gattin in Bezug auf die Zeugung eines Erben zu würdigen wusste.

„Windermere“, entgegnete sie leise, ohne ihn anzusehen.

Erneut nickte er ihr zu und begab sich in sein Ankleidezimmer. Keine Stunde später befand er sich in seinem Club und genoss einen besonders guten Portwein. Und da man ihm das Getränk ohne jede Aufforderung gebracht hatte, wurde ihm schmerzlich bewusst, wie vorhersehbar alles in seinem Leben war.

1. KAPITEL

Drehen Sie bitte den Kopf zur Seite, Euer Gnaden.“

Schweigend ertrug Adrian Warfield, Duke of Windermere, die unangenehme Untersuchung. Gleich drei von Englands führenden Ärzten waren zu einem Hausbesuch gekommen, und nur seine tadellose Erziehung hielt ihn davon ab, die Flüche auszustoßen, die ihm auf der Zunge lagen. Wenn ihm diese drei Männer keine beruhigende Erklärung für seine zunehmenden Beschwerden geben konnten, sah seine Zukunft, die seiner Familie und die des Herzogtums düster aus. Der Reihe nach gab Adrian den Doktoren die Möglichkeit, ihn abzuhorchen und abzuklopfen. Als sich die Konsultation immer weiter in die Länge zog, begann er die Geduld zu verlieren.

Nach einer gefühlten Ewigkeit beendeten die Ärzte ihre Untersuchungen, sodass er das Hemd und die Weste wieder anziehen konnte. Nervös wartete er auf die Urteilsverkündigung der Mediziner. Wie eine Art Geheimgesellschaft standen sie als Grüppchen neben seinem Schreibtisch und flüsterten miteinander, wobei sie ihm Blicke zuwarfen, während sie sich über seinen Zustand berieten.

„Nun, meine Herren, wie lautet Ihre Diagnose?“ Die Mienen, die sich ihm anstelle einer Antwort zeigten, gefielen ihm ganz und gar nicht. Das bedrückende Schweigen, das folgte, brachte ihn schließlich aus der Fassung, und er stieß einen der Flüche aus, die er bis dahin zurückgehalten hatte. „Zum Teufel! Nun rücken Sie schon mit der Wahrheit heraus!“

Sie tauschten Blicke aus, bevor sie ihn ansahen.

„Euer Gnaden, wir können Ihnen nichts Neues über Ihren Zustand mitteilen“, erklärte Dr. Penworthy. Die zuckenden buschigen Brauen verliehen ihm große Ähnlichkeit mit einem Pelztier.

„Aber er hat sich verschlechtert?“ Adrian machte sich auf das Schlimmste gefasst.

„Ja, er hat sich verschlechtert, Euer Gnaden. Doch nicht in so gravierender Weise, dass wir darüber besorgt wären.“ Dr. Lloyd zog ein kleines Notizbuch hervor und nickte in Richtung Schreibtisch. „Die eine oder andere Veränderung der Dosierung bei den Tropfen und Elixieren, die Sie regelmäßig einnehmen, dürfte genügen, um den Beschwerden entgegenzuwirken.“

Mit einer Geste erlaubte Adrian dem Arzt, auf dem Schreibtischstuhl Platz zu nehmen, um die Anweisungen für den Apotheker aufzuschreiben. Obgleich die Doktoren Penworthy und Wilkins erneut vielsagende Blicke austauschten, hatte keiner von ihnen andere Empfehlungen. Sie bestätigten lediglich, dass Dr. Lloyd in ihrem Namen spreche.

„Euer Gnaden, lassen Sie sich von den Veränderungen nicht zu sehr beunruhigen. Nervosität und psychische Anspannung wirken sich nur negativ auf den Zustand Ihrer Lunge aus“, versuchte Dr. Lloyd ihn zu beruhigen. Die beiden anderen Mediziner nickten zustimmend. Adrian runzelte die Stirn. Dr. Lloyd reichte ihm das Papier, auf das er die neuen Verordnungen gekritzelt hatte. „Machen Sie in diesem Sommer eine Kur – möglichst an der Küste – und Sie werden sich wie neugeboren fühlen.“

Adrian schloss einen Moment die Augen und kämpfte gegen seinen Zorn an. Er wollte nicht den Eindruck vermitteln, eine nervöse Persönlichkeit zu sein, und nicht durchblicken lassen, dass er sie alle drei am liebsten erwürgt hätte. Doch innerlich kochte er vor Wut. Die drei älteren Männer schauten ihn nachsichtig an. Sie wussten, dass er aufgebracht war, weil er sich angesichts seiner Krankheit hilflos fühlte. Hilflosigkeit war kein Gefühl, das sich ein Mann wünschte.

„Wir werden nun gehen, Euer Gnaden“, kündigte Dr. Wilkins an. „Aber falls Sie unsere Hilfe benötigen sollten, stehen wir Ihnen jederzeit zu Diensten.“

Schweigend beobachtete Adrian, wie sich die drei Ärzte zum Abschied verbeugten, die Tür öffneten und sein Arbeitszimmer verließen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er den Zettel mit den veränderten Dosierungen in der rechten Faust zerknüllt hielt. Er glättete ihn und warf ihn auf den Schreibtisch. Anschließend ging er zum anderen Ende des Zimmers und schaute aus dem geöffneten Fenster. Ein strahlend heller Tag war angebrochen. Er setzte sich auf den Lehnstuhl in der Nähe des Fensters und versuchte, sich zu entspannen. Denn in einem Punkt hatten die Mediziner zweifellos recht – starke Emotionen wie Wut und Enttäuschung erhöhten die Anzahl und die Heftigkeit der Anfälle.

Er lehnte den Kopf zurück, schloss die Augen und horchte auf die Geräusche vor dem Haus. Das Getrappel der Pferdehufe, das Rascheln der Blätter in der milden Frühlingsbrise, das zarte Vogelgezwitscher und die Stimmen der Ärzte.

Die Stimmen der Ärzte?

Adrian stand auf und stellte sich direkt neben das offene Fenster, sodass er etwas erkennen und zugleich selbst nicht bemerkt werden konnte. Die drei Doktoren standen wenige Meter von ihm entfernt, und obgleich sie ihre Stimmen leicht gesenkt hatten, verstand er jedes Wort.

„Wirklich jammerschade.“ Lloyd?

„Und man kann leider nichts mehr tun.“ Das war eindeutig Wilkins. Adrian horchte angespannt. Über wen sprachen sie?

„Und in der Blüte seines Lebens. Ein trauriger Fall.“ Er hatte genau vor Augen, wie Penworthys pelzige Brauen bei diesen Worten zuckten.

„Aber sollte man es ihm nicht besser sagen? Der Gedanke bereitet mir Sorge“, räumte Lloyd mit verdrießlicher Stimme ein. „Es sind Vorbereitungen und wichtige Regelungen zu treffen, und so viele Menschen sind von ihm und seinen Entscheidungen abhängig.“

Ein eisiger Schauder lief ihm den Rücken hinunter, und erschrocken wich Adrian vom Fenster zurück. Schweiß stand ihm auf der Stirn und rann ihm das Gesicht und den Hals hinunter. Dabei war es im Zimmer nicht heißer geworden. Furcht, ja schiere Panik, erfasste ihn. Die böse Vorahnung, die schon während der Untersuchung in ihm gewachsen war, schien sich zu bestätigen.

Es konnte nicht sein …

Es konnte einfach nicht um ihn gehen. Wieder versuchte er, genau hinzuhören.

„Angesichts seiner Titel und Ländereien ist davon auszugehen, dass die wichtigsten Dinge längst geregelt worden sind“, bekundete Penworthy. „Ein Mann von seinem Rang und mit seiner Verantwortung und insbesondere einer ohne leiblichen Erben ist auf alles vorbereitet und überlässt die nötigen Entscheidungen nicht dem Zufall. Nein, ich denke, es ist besser, ihm die Ausweglosigkeit seiner Situation nicht zu offenbaren.“

Es folgte eine Pause, als ob die Männer über Penworthys Empfehlung nachdächten.

Ausweglosigkeit?

Adrian schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Er musste ihre Worte falsch verstanden haben. Eben noch hatten sie ihm ins Gesicht gesagt, dass sich sein Zustand nur ein wenig verschlechtert habe. Sie hatten die Dosierungen verändert und ihm zu einer Kur geraten. Sie hatten ihn nicht davor gewarnt, dass er bald sterben würde.

„Wie viel Zeit bleibt ihm Ihrer Ansicht nach?“, fragte Wilkins. „Eine so deutliche Verschlechterung ist kein gutes Zeichen.“

„Ein halbes Jahr vielleicht? Es ist schwer, Genaueres zu sagen, ohne in den Bereich der Spekulation zu geraten, aber ich glaube nicht, dass er das Jahresende erleben wird“, erklärte Lloyd. „Wir werden seinen Zustand überwachen und alles in unserer Macht Stehende tun, um seine Beschwerden zu lindern. Insbesondere wenn sie in absehbarer Zeit schlimmer werden.“

Dann schwiegen die drei Männer eine Weile, und Adrian wischte sich mit dem rechten Handrücken den Schweiß von der Stirn. Während ihre Worte in sein Bewusstsein drangen, schüttelte er erneut den Kopf. Es konnte nicht sein! Es durfte einfach nicht wahr sein!

„Der arme Mann“, sagte Penworthy. „Auch das edelste Blut schützt einen Menschen nicht, wenn der Tod ihn auf seiner Liste notiert hat.“

Das Rattern von Rädern auf dem Kopfsteinpflaster und die vertraute Stimme seines Kutschers verrieten Adrian, dass seine Chaise gerade vor dem Haus hielt, um die Mediziner zurück zu ihren jeweiligen Praxen zu bringen. Wenig später fuhr die Kutsche die Straße hinunter, und er blieb mit der schrecklichen Wahrheit allein zurück.

Er, Adrian Warfield, Duke of Windermere, würde noch vor Ende des Jahres tot sein.

Es kam ihm vor, als würde die Zeit stillstehen, derweil das Todesurteil in seinen Ohren nachhallte. Wie betäubt von den Worten der Ärzte vermochte Adrian nicht, einen klaren Kopf zu behalten. Zu viele Gedanken, Bilder und Erinnerungen strömten auf ihn ein, während er sich bemühte, das Schreckliche seiner Lage zu begreifen.

Vor langer Zeit hatte er mit seinem älteren Bruder über die Tapferkeit von Soldaten angesichts des Todes diskutiert. Damals hatte er sich vorgestellt, wie er sich selbst in einer solchen Situation verhalten würde. Nun lagen all der Mut und das verwegene Gerede in weiter Ferne, und eine qualvolle Furcht hatte von ihm Besitz ergriffen, die seine Beine zittern ließ und eine nie geahnte Übelkeit verursachte.

Adrian wusste nicht, wie lange der Schock ihn regungslos auf dem Stuhl gefangen hielt und er nichts tat, außer zu atmen. Vor ihm schwebten Staubpartikel durch die Luft, und die Geräusche der Straße, die von draußen ins Zimmer drangen, schienen zu verstummen. Er spürte nur noch das innere Chaos, starrte in die Ferne und wartete darauf, dass die grausame Wahrheit in sein Bewusstsein drang.

Und wie ein unerwarteter Schlag in den Magen traf sie ihn.

Als Adrian die Nachricht allmählich in ihrer ganzen Tragweite erfasste, schleppte er sich taumelnd zur Anrichte, ergriff die kristallene Portweinkaraffe und stolperte mit ihr aus dem Arbeitszimmer. Er ignorierte die verwunderten Blicke seines Sekretärs und des Butlers, ging zur Treppe und stieg die Stufen in den zweiten Stock hoch, in dem sich seine privaten Räume befanden. Er eilte an seinem Kammerdiener vorbei, schlug die Tür hinter sich zu und schloss ab.

Dann stellte er den Portwein auf dem Tischchen neben dem Bett ab und riss sich das Krawattentuch vom Hals. An den Knöpfen zerrend entledigte er sich der Weste und warf sie dann quer durch das Zimmer. Er öffnete das Hemd und versuchte, tief Luft zu holen. Der krampfartige Husten, den er so fürchtete, setzte augenblicklich und in großer Heftigkeit ein, sodass er sich vor Schmerzen krümmte.

Die Minuten kamen ihm wie Stunden vor, während sich seine Lungen bei jedem Atemzug zusammenzogen. Doch schließlich spürte er, dass die Krämpfe nachließen. Er sank auf das Bett und kämpfte gegen die drohende Bewusstlosigkeit an, indem er so gleichmäßig wie möglich Luft holte, um den Körper wieder mit Sauerstoff zu versorgen. Schließlich nahm er das Klopfen an der Tür wahr und hörte den Kammerdiener durch den Türspalt fragen:

„Euer Gnaden? Euer Gnaden?“ Thompson klang besorgt – eine Besorgnis, die Adrian in diesem Augenblick nicht ertragen konnte.

„Lassen Sie mich in Ruhe, Thompson! Mir geht es gut!“, rief er.

Er hustete erneut und wartete flach auf dem Bett liegend ab, bis der Anfall ganz vorüber war. Nach ein paar weiteren Krämpfen hörte die Atemnot endlich auf. Adrian setzte sich gerade hin und ergriff den Portwein. Obgleich er wusste, dass es die Bediensteten und seine Frau schockieren würde, wenn sie ihn so sähen, führte er die Karaffe an den Mund und trank in tiefen Zügen von dem schweren Wein.

Ermattet lehnte er sich gegen das Kopfende aus Mahagoni und lauschte den Stimmen vor seiner Zimmertür. Zwei – nein drei – Leute standen dort und berieten, was sie mit ihm machen sollten. Vermutlich setzte sich die Gruppe aus seinem Kammerdiener Thompson, Sherman, dem Butler, und Webb, seinem Sekretär, zusammen, den er bei Ankunft der Ärzte aus dem Arbeitszimmer geschickt hatte.

Wie auch immer, er konnte ihnen jetzt nicht in die Augen sehen. Erst musste er sich wieder sammeln und akzeptieren, was die Ärzte verkündet hatten. Um das zu bewerkstelligen, gedachte er sich aller alkoholischen Getränke zu bedienen, die sich in Reichweite befanden. Er betrachtete die Karaffe, die er in Händen hielt, und zweifelte, dass der Portwein der Sache Genüge tun würde. Es befand sich jedoch stets ein fünfundzwanzigjähriger Whisky im Vitrinenschrank – der würde den ersten Bedarf decken.

Erneut hob Adrian das Kristallgefäß zum Mund und trank einen tiefen Schluck. Wärme breitete sich in seinem Magen und in den Gliedern aus. Da er sich unfähig fühlte, Überlegungen über seine allzu kurze Zukunft anzustellen, beschloss er zu trinken, bis die Nachricht aus seinen Gedanken getilgt war.

Freudlos lächelnd wurde ihm klar, dass er auch noch das alte Schloss zu den heimlichen Alkoholvorräten seines verstorbenen Vaters würde aufbrechen müssen, um den Schock über seinen bevorstehenden Untergang zu betäuben. Dem Tod ins Auge zu blicken, war nicht so leicht, wie er es sich vor etlichen Jahren vorgestellt hatte.

2. KAPITEL

Miranda Warfield, Duchess of Windermere, stand schweigend da, als Fisk die Tür zum Ankleidezimmer öffnete und eintrat. Sie zögerte einen Moment. Dann ließ sie zu, dass die Zofe ein letztes Mal am Stoff des Abendkleides zupfte und ihr ein paar Haarsträhnen befestigte, die sich gelöst hatten. Erst danach begab sie sich auf den immer gleichen Weg über den Gang, der an den Privatgemächern ihres Gemahls vorbei und hinunter in das Speisezimmer führte, wo sie gemeinsam mit ihm das Dinner einnehmen würde.

Ihr Alltag bestand aus sich stets wiederholenden Abläufen dieser und ähnlicher Art: aufstehen, Mahlzeiten einnehmen, sich für Verabredungen ankleiden, Veranstaltungen aufsuchen und wieder schlafen gehen. Alles im Leben der Duchess of Windermere unterlag einem streng definierten Zeitplan. Als sie vor der Zimmertür ihres Gatten stehen blieb, wurde ihr bewusst, dass heute Donnerstag war. Daher würde der Abend mit Windermeres wöchentlichem Besuch in ihrem Bett enden. Und am nächsten Morgen, wenn sie mit den bohrenden Fragen der Herzoginmutter konfrontiert war, die sich wie jeden Freitagmorgen nach ihrem Gesundheitszustand erkundigte, würde sie sittsam nicken, womit sie stumm bekundete, dass sie in allen Bereichen des Ehelebens ihre Pflicht tat.

Sie stand vor Windermeres Tür und wartete darauf, dass sein Kammerdiener öffnete. Doch die Sekunden verstrichen, und nach mehr als einer Minute neigte sie verwundert den Kopf und lauschte, ob aus dem Inneren Geräusche zu vernehmen waren. Dabei handelte es sich um eine bedauerliche Angewohnheit aus ihrer Vergangenheit, allerdings eine, die manchmal von Nutzen war. Lautes Geflüster und schlurfende Schritte waren zu vernehmen, ohne dass die tiefe Stimme des Dukes herauszuhören war. Gerade wollte sie anklopfen, als Fisk an ihre Seite eilte.

„Erlauben Sie, dass ich das übernehme, Euer Gnaden“, sagte die diensteifrige Zofe, machte einen Schritt an ihr vorbei und klopfte an die Tür.

Werde ich mich wohl jemals daran gewöhnen, dass für beinahe jeden Handgriff ein Bediensteter zur Verfügung steht? fragte sich Miranda. Selbst etwas so Simples wie das Anklopfen an eine Tür lag nach Ansicht der Herzoginmutter unter der Würde einer Duchess. Während sie ruhig dastand und auf eine Reaktion wartete, kam ihr die Situation immer seltsamer vor. In solchen Momenten sehnte sie sich danach, wieder die Tochter eines einfachen Gutsherrn zu sein und ein Leben zu führen, das nicht von Heuchelei und Getue geprägt war. Sie schüttelte den Kopf und vertrieb diese Gedanken, bevor sie Überhand gewinnen konnten.

Die Tür wurde aufgerissen, doch an Windermeres Stelle trat sein Kammerdiener heraus. Das war ebenfalls sehr sonderbar.

„Euer Gnaden“, sagte er und verbeugte sich tief vor ihr.

„Thompson.“

„Seine Gnaden kann Ihnen leider heute beim Dinner nicht Gesellschaft leisten, wünscht Ihnen jedoch einen schönen Abend.“ Die angespannte Stimme des Mannes verriet, dass etwas nicht stimmte. Außerdem hätte sie schwören können, dass sein linkes Augenlid beim Sprechen zuckte. War dies ein weiteres Anzeichen für eine Störung der üblichen Etikette?

Der Kammerdiener und die Zofe sahen sie an und warteten offenbar auf ihre Antwort. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, ertönte ein lautes Krachen, und eine ganze Reihe derber Flüche waren aus Windermeres Schlafzimmer zu hören. Thompson hustete laut, in dem vergeblichen Versuch, die wüsten Verwünschungen, die nicht für die Ohren einer Dame bestimmt waren, zu überlagern. Es war zweifellos Windermeres Stimme, auch wenn es viele Jahre her war, dass sie ihn derartig laut und zornig vernommen hatte.

„Verzeihen Sie, Euer Gnaden. Seine Gnaden ist indisponiert.“

Etikette ist wichtiger als alles andere im Leben eines Dukes oder einer Duchess!

Sofort kamen ihr die mahnenden Worte der Herzoginmutter in den Sinn, und Miranda wusste, was von ihr erwartet wurde. Sie nickte Thompson zu und wandte sich von der Tür ab. Dann ging sie den Gang entlang und die Treppe hinunter ins Speisezimmer. Längst hatte sie gelernt, ihre Gefühle zu verbergen. Niemand sollte ihr anmerken, in welche Aufregung sie der Zustand ihres Gatten versetzte.

Nachdenklich nahm sie auf dem Stuhl Platz, den der Butler für sie hervorgezogen hatte. Sie hatte Windermere das letzte Mal zornig brüllen hören, als er noch nicht der Erbe des Titels gewesen war. Damals hatte sie ihn Adrian genannt, und da er der zweitgeborene Sohn war, hatte sie noch nicht als gänzlich ungeeignete Ehefrau gegolten. Seit er nach dem Unfalltod seines älteren Bruders Duke geworden war, hatte er in ihrer Gegenwart nie wieder laut die Stimme erhoben oder in Gesprächen mehr als höfliche Begeisterung bekundet. Das eben Gehörte war also außergewöhnlich.

Ihr wurde der erste Gang serviert, doch sie nahm keinerlei Notiz davon, um was es sich handelte. Wie auch? Die Frage, weshalb sich der Duke an diesem Abend so sonderbar verhielt, nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Sherman wiederholte den Namen des Gerichts, doch es hätte sich um Dreck mit einer Prise Arsen handeln können, es hätte sie gleichgültig gelassen. Während sie die Gabel zum Mund führte, wurde ihr endlich klar, worin die eigentliche Überraschung bestand.

Ihr Gatte, der Duke of Windermere, war betrunken!

Es war, als ob sich das Essen in ihrem Mund zu Staub verwandelte, als sie sich diese Erkenntnis vor Augen führte. In all den Jahren, in denen sie ihn kannte – sowohl vor ihrer Heirat als auch danach – hatte sie ihn niemals betrunken erlebt. Doch jetzt bestand daran kein Zweifel. Miranda trank einen Schluck aus ihrem Weinglas, um den Bissen hinunterzuspülen.

„Ist etwas mit den Jakobsmuscheln nicht in Ordnung, Euer Gnaden?“ Der Butler hatte sich vorgebeugt, um ihr die Frage zuzuflüstern. Es hätte sich nicht geziemt, sich lauter als im Flüsterton zu erkundigen.

„Sie sind gut, Sherman. Bitte bringen Sie den nächsten Gang.“

Als sie weiter über den Zustand des Dukes nachdachte, wurde ihr klar, dass ihn etwas außergewöhnlich wütend gemacht haben musste – derartig zornig, dass er bis zum Exzess getrunken hatte und absichtlich Gegenstände in seinem Zimmer zerbrach. Doch was konnte ihn so verärgert haben?

Es ist unverzeihlich für eine Ehefrau, sich nach den Angelegenheiten ihres Gatten oder seinen Interessen zu erkundigen, geschweige denn sich in sie einzumischen!

Miranda blinzelte, als ihr wieder die Stimme der Herzoginmutter in den Sinn kam, die sie vor unpassendem Benehmen warnte. Die Worte hallten so deutlich in ihren Ohren wider, als ob die Frau mit ihr am Tisch säße. Miranda setzte sich noch gerader hin und versuchte, sich auf das Essen zu konzentrieren.

Doch das überraschende Verhalten des Dukes hatte sie gänzlich aus dem Konzept gebracht. Es lag nicht allein an seinem betrunkenen Zustand. Sie wusste, dass Männer tranken und es manchmal damit übertrieben. Und es lag auch nicht daran, dass er erzürnt war, obgleich es nicht im Einklang mit der würdevollen und reservierten Haltung stand, die ihr Gemahl in den letzten Jahren in jeder Situation aufrechterhalten hatte.

Nein, was sie durcheinanderbrachte, war die Tatsache, dass ihr Leben erstmals nach so langer Zeit nicht nach dem strikt reglementierten Plan ablief, der einmal festgelegt worden war. Zum ersten Mal war sie überrascht und ein wenig schockiert worden – ein Vorfall, zu dem es in all den Ehejahren zuvor nie gekommen war. Erstmals nach viel zu langer Zeit zeigte sich der Duke als ein normaler Mann mit Fehlern und Schwächen.

Die verlockende Vorstellung, hinter der unnahbaren Fassade des Herzogs könne sich noch immer ein echter Mensch verbergen, versetzte sie in Aufregung. Einen Augenblick erinnerte sie sich an den vielversprechenden Beginn ihrer Ehe, und sie wünschte sich ein wirkliches Zusammenleben, anstelle dieser vorgetäuschten und ritualisierten Höflichkeiten. Natürlich wusste sie nicht, aus welchem Grund der Duke so außer sich geraten war. Aber selbst wenn der Anlass bedauerlich sein mochte, freute sie sich insgeheim über die allzu menschliche Reaktion, die dadurch ausgelöst worden war. Es gab also doch noch Leben in Adrian!

Ein sonniger und klarer Tag brach an, und Miranda erwachte vom Duft heißer Schokolade. Sie richtete sich im Bett auf, lehnte sich gegen die Kissen, die das Zimmermädchen ihr in den Rücken schob, und beobachtete, wie das Frühstückstablett mit heißer Schokolade und Toast über ihrem Schoß aufgestellt wurde. Erst nachdem sie einen Schluck des dickflüssigen heißen Getränks gekostet hatte, wurde ihr bewusst, dass sie noch immer ihren Morgenmantel über dem Nachtgewand trug.

Ihr Gatte war nicht zu der wöchentlichen Verabredung erschienen!

Trotz seiner Abwesenheit beim Dinner hatte sie gedacht, er würde sie später aufsuchen. Also war sie so zu Bett gegangen, wie sie es jeden Donnerstagabend zu tun pflegte – mit einem Morgenmantel über dem Nachtgewand. Sie war davon ausgegangen, der Duke würde wie jeden Donnerstag die Kerze auf dem Betttisch löschen, unter die Decken schlüpfen, ihr den Morgenmantel von den Schultern streifen und seiner ehelichen Pflicht nachkommen. Sobald er gegangen war, begab sie sich stets in ihr Ankleidezimmer, wusch sich, ließ den Morgenmantel am Fuße des Bettes liegen und legte sich schlafen.

Kopfschüttelnd machte sie sich klar, dass er sie erstmals in Monaten, wenn nicht Jahren, nicht aufgesucht hatte.

„Euer Gnaden?“, flüsterte das Zimmermädchen und näherte sich knicksend der Bettkante. „Ist etwas mit Ihrer Schokolade nicht in Ordnung? Soll ich Ihnen eine neue Tasse bringen?“

„Nein, Betsy“, antwortete sie kopfschüttelnd. „Ist Seine Gnaden … noch immer …?“

„Indisponiert, Euer Gnaden?“, fügte die junge Dienstmagd hinzu, womit sie sich der höflichen Umschreibung für den gestrigen Zustand des Hausherrn bediente.

„Ja, indisponiert … oder ist er heute Morgen ausgeritten?“ Miranda verlagerte die Position im Bett und stellte die Porzellantasse wieder auf dem Tablett ab. „Es sieht nach günstigem Wetter für einen Ritt durch den Park aus.“

Verstand das Zimmermädchen ihre Neugier? Miranda hatte sich bemüht, einen desinteressierten Ton anzuschlagen, auch wenn Betsy gewiss ahnte, was der Frage zugrunde lag.

Bevor das Zimmermädchen antworten konnte, öffnete sich die Tür und Fisk trat ein. Nachdem sie einen Blick auf ihre Herrin geworfen hatte, entließ die erfahrene Zofe die junge Bedienstete mit einem Nicken und wartete ab, bis sie das Zimmer verlassen hatte. Erst dann ergriff sie das Wort.

„Seine Gnaden ist noch immer im Bett und hat das Haus gestern Abend nicht verlassen.“

„Das ist äußerst seltsam.“

Bevor sie sich recht besann, hatte sie ihrer Verwunderung Ausdruck verliehen. Fisk schwieg und wirkte ein wenig verlegen. Es war erstaunlich, wie leicht eine Veränderung im Verhalten des Dukes an einem einzigen Abend den ganzen Haushalt in Verwirrung stürzen konnte.

Miranda gab der Zofe ein Zeichen, dass sie das Frühstück beendet hatte, und wartete ab, bis das Tablett abgeräumt wurde. Dann stand sie auf und ging in das Ankleidezimmer. Die Garderobe war bereits für sie herausgelegt worden. Fisk half ihr beim Ankleiden und Frisieren, sodass sie wenig später bereit war, der wöchentlichen Befragung durch die Mutter des Dukes ins Auge zu blicken.

Die Zofe öffnete für sie die Zimmertür, und Miranda musste daran denken, dass sie sich niemals an diese bedrückende Begegnung mit der Herzoginwitwe gewöhnen würde. Jedenfalls nicht, solange sie nicht die Nachricht mitbrachte, Windermeres Erben unter dem Herzen zu tragen. Und mit jedem Monat und Jahr, die verstrichen, wurde diese Ankündigung unwahrscheinlicher.

Die Fahrt zum Stadthaus der Herzoginmutter dauerte nicht lang genug, um über die vielen Fragen nachzudenken, die ihr an diesem Morgen durch den Kopf schossen.

Nachdem Miranda das Gesellschaftszimmer betreten hatte, setzte sie sich auf das Sofa neben dem Fenster. Von hier konnte sie wenigstens in den Garten blicken. Sie holte tief Luft und versuchte, sich für die Begegnung mit ihrem Drachen von Schwiegermutter zu wappnen.

„Miranda!“

Allein der Befehlston, in dem die Herzoginwitwe sprach, veranlasste sie aufzustehen und zu nicken. Niemand blieb einfach sitzen, wenn Cordelia Warfield, Dowager Duchess of Windermere, einen Raum betrat. Dabei war es vollkommen unerheblich, welchen Alters oder gesellschaftlichen Ranges man war. Jeder erhob sich, wenn Ihre Gnaden durch die Tür schritt. Miranda wusste aus zuverlässiger Quelle, dass selbst der Prinzregent nicht anders reagierte, sobald er die Dame erblickte.

Mit einer Körperhaltung, die selbst die strengste Gouvernante nicht zu tadeln vermocht hätte, stolzierte die alte Frau durch das weitläufige Zimmer bis zu dem Stuhl, der Miranda gegenüberstand.

Bei einer anderen Frau hätten das fast weiß gewordene Haar und die klaren blauen Augen vermutlich etwas Herzliches und Warmes ausgestrahlt. Bei der Dowager Duchess hingegen betonten sie nur die verbitterten Züge um die Mundwinkel und die Kälte des Blicks.

Ihre Gnaden nahm würdevoll Platz und faltete die Hände auf dem Schoß. Der Abstand zwischen ihrem Rücken und der Stuhllehne betrug genau sechs Zoll. Miranda wusste, dass der Abstand sechs Zoll betrug, da die Herzoginmutter dies für die einzig korrekte Sitzhaltung einer Duchess hielt – egal ob in der Öffentlichkeit oder im Privaten.

Miranda setzte sich wieder kerzengerade auf das Sofa und legte ebenfalls die Hände in den Schoß. Da die alte Dame sich nur räusperte, anstatt dezent zu husten, wusste Miranda, dass sie die gewünschte Körperhaltung eingenommen hatte. Das anschließende Hüsteln signalisierte dem Butler, den Tee zu servieren.

Da es für ein ländliches Frühstück zu spät und für ein städtisches zu früh war, erwartete Miranda nicht mehr als Tee und Gebäck. Ihre Schwiegermutter hasste die Zeiten, die in der Stadt Gültigkeit besaßen, und war seit Sonnenaufgang auf den Beinen. Stets beschwerte sie sich über den Mangel an Disziplin, der andere Menschen veranlasste, den halben Morgen zu verschlafen. Da Miranda mit dieser Frau in einem Haus gelebt hatte, bevor ihr Gatte den Titel erlangte, wusste sie genau, was von ihr erwartet wurde. Die Witwe wünschte ihren wöchentlichen Bericht. Anschließend würde sie die ungeliebte Schwiegertochter wie eine Bedienstete aus dem Zimmer entlassen. Da der erhoffte Erbe bisher ausgeblieben war, bemühte die Mutter des Dukes sich nicht einmal um einen Anschein von Zuneigung.

„Wie befinden Sie sich heute, Miranda?“ Auch wenn die Herzoginmutter in ihrem Tee rührte, ließ sie das Gesicht der Schwiegertochter nicht aus dem Blick. Sie suchte nach Anzeichen … für ganz besondere Umstände.

„Mir geht es gut, Euer Gnaden. Und wie geht es Ihnen?“ Miranda schaute zur Seite. Nach wie vor war sie unfruchtbar. Als sie den Kopf wieder zurückwandte, bestimmte noch immer dieselbe Grimasse die harten Züge der alten Frau.

„Meine Patentochter Juliet wird nächste Woche den Ball von Lady Crispin besuchen. Haben Sie vor, ebenfalls dort zu erscheinen?“ Geschickt hatte die die Dowager Duchess das Gesprächsthema gewechselt.

Anscheinend ist sie ohnehin davon ausgegangen, dass ich sie wieder enttäuschen werde.

Miranda nickte nur.

„Und mein Sohn?“

„Euer Gnaden, ich würde mir niemals anmaßen, über Windermeres Tagesplanung im Bilde zu sein.“ Die Herzoginwitwe musterte sie skeptisch, als ob sie hinter den Worten eine Respektlosigkeit vermutete. Doch Miranda erwiderte den Blick mit Arglosigkeit. „Falls Sie es wünschen, kann ich gern den Sekretär Seiner Gnaden danach fragen.“

Miranda hatte ihre Schwiegermutter dabei unterstützt, Juliet Stevenson, deren Patentochter, in die Gesellschaft einzuführen und war nach wie vor dazu bereit. Schließlich wollte sie die hilflose Wut, die sie gegenüber der alten Dame empfand, nicht an einem unschuldigen Mädchen auslassen.

„Ich werde seinen Sekretär selbst benachrichtigen“, verkündete die Dowager Duchess, erhob sich und glättete das aufwendig verzierte Morgenkleid.

„Worüber, Mutter?“

Miranda zuckte zusammen, als sie die Stimme ihres Gatten vernahm. Sie drehte sich langsam um und beobachtete, wie Adrian das Gesellschaftszimmer betrat und Herzoginwitwe mit einem höflichen Nicken begrüßte. Sein Gang und die Art, wie er den Kopf hielt, verrieten ihr, dass er erheblich unter den Nachwirkungen seiner vorabendlichen Unpässlichkeit litt.

„Ich wüsste es zu schätzen, wenn du beim Ball der Crispins in der nächsten Woche zugegen wärst, Adrian. Es ist erst der dritte Ball seit Juliet bei Hofe vorgestellt wurde, und als Teil ihrer Familie ziemt es sich für uns, dort gemeinsam mit ihr zu erscheinen.“ Die Herzoginmutter hielt inne und musterte den Sohn mit kritischer Miene. „Du siehst reichlich mitgenommen aus.“

Auch Miranda warf einen Blick ihren Gatten. Sein Hemd aus feinstem Leinen und die übrige Kleidung waren untadelig und modisch wie immer. Erst vor wenigen Tagen hatte er sich das Haar kürzer schneiden lassen, sodass die schwarzen Locken nicht mehr bis zum Kragen reichten. Er war noch immer ein attraktiver Mann, wie damals, als sie sich erstmals begegnet waren.

Der Eindruck, den er heute vermittelte, hatte nichts mit seiner Bekleidung zu tun. Trotz seiner leicht gebräunten Haut wirkte er ungewöhnlich blass, und rote Adern durchzogen das Weiß seiner Augen. Ohne Frage sah er an diesem Vormittag wie ein Mann aus, der unter den üblen Nachwirkungen übermäßigen Alkoholgenusses litt.

„Es geht mir gut, Mutter. Ich bin nur müde“, sagte er. Er sah fragend zu Miranda. Würde sie die Wahrheit enthüllen? Als sie nur ganz leicht nickte, fuhr er fort: „Ich bin mir über meine Pläne für die kommenden Wochen noch nicht hundertprozentig im Klaren. Ich muss auf jeden Fall nach Windermere Park, um … Geschäftsangelegenheiten zu regeln, und ich weiß noch nicht genau, wann ich zurückkehren werde.“

Ihm fiel auf, dass seine Frau ihn aufgrund der zögerlichen Reaktion musterte, und er wartete ab, ob sie nachfragte. Doch selbstverständlich schwieg sie. Miranda war von seiner Mutter zu einer perfekten Duchess erzogen worden und würde es niemals wagen, ihm in der Öffentlichkeit eine Frage zu stellen. Und seit sie sich unter der Fuchtel der resoluten alten Dame befand, traute sie sich ebenso wenig, ihn privat zur Rede zu stellen.

Wie würde sie auf die Nachricht ihrer bevorstehenden Witwenschaft reagieren? Würde sie überhaupt eine Regung zeigen? Doch jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt, um solche Dinge zur Sprache zu bringen. Erst einmal musste er in Ruhe klären, welche rechtlichen Folgen sein Tod haben würde. Dann würde er mit seiner Frau reden. Oder lagen die Ärzte mit ihrer Ansicht vielleicht ganz richtig, dass es besser war, nicht im Voraus über derartig fatale Schicksalsschläge unterrichtet zu sein?

„Während das Parlament tagt? Ich dachte, du wolltest unbedingt zu verschiedenen Themen das Wort ergreifen“, sagte seine Mutter.

Als er ihre eisigen Blicke spürte, versuchte er trotz der Kopfschmerzen, der Übelkeit und der brennenden Augen seine Gedanken zu ordnen. Er strich sich mit einer Hand durch das Haar und holte tief Luft, bevor er antwortete.

„Es gibt dringende Probleme, die das Gut betreffen und die keinen Aufschub erlauben. Ich werde nur ein paar Sitzungen verpassen, während ich mich um unsere Familieninteressen im Norden kümmere.“ Gnadenlos spielte er die Trumpfkarte aus – Familieninteressen.

Zu seinem Erschrecken stieg ein Hustenreiz in seinen Lungen auf. Er ging zur Terrassentür, die zum Garten hin geöffnet war, und hielt die rechte Hand vor den Mund, um das Schlimmste zu verbergen. Dieses eine Mal hatte das Schicksal Mitleid mit ihm, und der Hustenreiz verflog.

„Möchtest du, dass ich dich begleite?“ Er vernahm Mirandas leise Stimme, blieb jedoch mit dem Rücken zu ihr stehen. „Ich habe derzeit in der Stadt keine zwingenden Verpflichtungen.“

Wusste sie, wie betrunken er gestern Abend gewesen war? Er entsann sich, sein Schicksal in ziemlich lauter und ordinärer Weise verflucht zu haben … Hatte sie es gehört? Angesichts der Ungewissheiten, die vor ihm lagen, beschloss er, die Reise allein anzutreten.

„Ich sehen keinen Anlass für dich, mitten in der Saison aufs öde Land zu gehen, meine Liebe. Ich werde höchstens eine Woche fort sein.“

Nun sah er sie direkt an und bemerkte das strahlende Blau ihrer Augen und die Fülle ihrer Lippen, die sie zu einem Schmollmund verzog, als ob sie über seine Entscheidung enttäuscht wäre. Jede Entgegnung, die sie hätte machen können, wurde durch das leise Hüsteln seiner Mutter unterbunden, die Miranda vorwurfsvoll anstarrte. In diesem Moment fand eine Art wortloser Kommunikation zwischen den beiden Frauen statt, und er beobachtete, wie Miranda eine noch aufrechtere Haltung einnahm – als ob dies noch möglich gewesen wäre – und den Mund fest zusammenpresste.

Kurz kam ihm eine Erinnerung in den Sinn, und er hatte Miranda bei ihrer ersten Begegnung vor Augen. Als einzige Tochter eines Nachbarn – ein reicher Gutsbesitzer mit einem unbedeutenden Titel – war sie zu einem ländlichen Ball auf dem Familienstammsitz der Windermeres eingeladen worden. Fasziniert von ihrer lebhaften Persönlichkeit und ihrem warmherzigen Lächeln hatte er sie zum Tanz aufgefordert. Er erinnerte sich noch genau, wie ihre dunkelblonden Locken im Schein der Kerzen schimmerten, als sie miteinander getanzt hatten. Sie hatte ihn angelächelt, und lachend hatten sie den Tanz beendet und waren anschließend gemeinsam zum Souper gegangen.

Ihre gesellschaftliche Stellung und vor allem die beachtliche Mitgift, die sie in die Ehe einbringen würde, wurden damals als ausreichend erachtet, weil er nur der zweitgeborene Sohn eines Dukes war. Also heirateten sie bereits im Jahr darauf, sogar noch bevor sein älterer Bruder und Erbe der Familie eine Ehe eingegangen war. Adrian wurde bewusst, dass er seine Frau anstarrte, und er versuchte, die Bilder aus der Vergangenheit zu verdrängen. Was geschehen war, ließ sich nicht mehr ändern, und was ihm in naher Zukunft drohte, verstärkte sein Unbehagen. Mit einem Nicken verabschiedete er sich zuerst von seiner Mutter und dann von seiner Gattin. „Ich habe noch viel zu erledigen, bevor ich mich auf den Weg machen kann.“ Er verbeugte sich höflich vor den beiden Frauen und ging zur Tür, die ein Lakai für ihn öffnete. „Ich wünsche euch beiden einen guten Tag“, sagte er zum Abschied und empfand zum ersten Mal eine gewisse Beklemmung, Miranda in den Klauen der Herzoginwitwe zurückzulassen.

3. KAPITEL

Nachdem Adrian gegangen war, gab es nichts mehr zu sagen. Die Herzoginmutter wäre lieber erstickt, als sich die Blöße zu geben, ihre Schwiegertochter nach dem Befinden des Sohnes zu fragen. Die wöchentliche Vorladung war beendet, und Miranda ließ sich nicht anmerken, wie sehr sie sich darauf freute, dem Haus der verbitterten alten Frau den Rücken zuzukehren. Sie stellte die halbvolle Tasse mit Tee vor sich auf dem Tisch ab und erhob sich. Obgleich sie als Gemahlin des derzeitigen Dukes im Rang höher stand als die verwitwete Herzogin, entschied sich Miranda, der Älteren bei der Verabschiedung ihren Respekt zu erweisen.

Bevor sie nicht einen Erben zur Welt brachte oder wenigstens eine Tochter, würde die Mutter ihres Gatten in ihr weiterhin nichts anderes sehen als die gänzlich ungeeignete Frau ihres zweiten Sohnes. Keine Macht der Welt würde etwas an dieser Betrachtungsweise ändern. Miranda senkte den Kopf, womit sie eine höfliche Verneigung andeutete, ging zur Tür und zögerte nur einen kurzen Moment, als der eifrige Butler der Dowager Duchess die Tür für sie öffnete.

Nach einem solchen Besuch musste Miranda jedes Mal gegen den Drang ankämpfen, sich den Hut vom Kopf zu reißen und schreiend die Straße hinunterzulaufen, wie eine Wahnsinnige, der nur noch der Weg ins Irrenhaus blieb. Doch ihre jahrelange Selbstbeherrschung gewann die Oberhand. Sie überquerte den Gehweg und stieg in die wartende Kutsche. Nachdem sie sich gesetzt hatte und Fisk, die während des Gesprächs im Dienstbotenquartier gewartet hatte, ihr gegenüber Platz nahm, strafte nur das leichte Zittern ihrer verschränkten Hände die ausdrucklose Miene Lügen, die sie aufzusetzen wusste, wenn es nötig war.

Und jetzt war es nötig.

„Wenn du dich bewegst, als ob du eiserne Korsettstangen trügest, weiß ich immer sofort, dass du gerade die Witwe besucht hast.“

Miranda versuchte, nicht zu lachen, doch die respektlose Haltung ihrer Freundin machte alle Anstrengungen zunichte. Ihr entfuhr ein seltenes Kichern, sie lächelte und nahm den Hut vom Kopf.

„Ich versichere dir, mein Korselett ist aus ganz normalem Material, Sophie“, sagte sie und schmunzelte noch immer, als sie auf dem Stuhl mit dem gestreiften Seidenbezug Platz nahm. „Obgleich ich zugebe, dass ich mich in Gegenwart Ihrer Gnaden nie wohlfühle.“

Die Freundin aus Schultagen reichte ihr die zweite Tasse Tee dieses Morgens. Diesmal freute sich Miranda auf das heiße Getränk in der ungezwungenen Gesellschaft. Da Sophie lediglich eine Viscountess war, hielt die Herzoginwitwe sie für keine angemessene Gesellschaft für die Duchess of Windermere. Aber alle Feuerproben und Anfechtungen hatten ihre Freundschaft nur gefestigt, die andauerte, seit sie gemeinsam die Hayton Academy für junge Damen besucht hatten. Die dortigen Lehrerinnen waren ähnlich Respekt einflößend wie ihre Schwiegermutter und hatten sie zweifelsohne auf den ständigen Kampf vorbereitet, die hochtrabendsten Erwartungen zu erfüllen.

Sophies Ehe, das wusste Miranda, war ausgesprochen glücklich, wohingegen ihre eigenen Träume und Hoffnungen nicht in Erfüllung gegangen waren. Die Viscountess Allendale hatte einen aufmerksamen Gatten und zwei reizende Söhne, die abwechselnd das Londoner Stadthaus und den Landsitz der Familie mit Leben erfüllten. Die Leere ihres eigenen Daseins war dagegen nicht zu übersehen. Die Freundin schien ihre Traurigkeit zu spüren, denn sie tätschelte ihr aufmunternd die rechte Hand.

„Es war also wieder ein unangenehmer Besuch?“ Sophie lächelte schelmisch. „Vielleicht erweist sich die Verlässlichkeit der Witwe eines Tages noch als Segen. Wenn du jemandem die glückliche Stimmung verderben willst, weißt du, wo du ihn hinschicken musst.“

Miranda seufzte. „Ich kann dir auch nicht sagen, was mich heute so in Mitleidenschaft gezogen hat. Ihre Gnaden hat sich nicht anders als sonst verhalten.“

„Kehrt sie bald aufs Land zurück? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie je so lange in der Stadt geblieben ist.“

Miranda schüttelte den Kopf. „Ich fürchte nicht. Juliet hat ihre erste Saison, und die Witwe will ausharren, bis sie sichergestellt hat, dass ein geeigneter Heiratskandidat ihrer geschätzten Patentochter einen Antrag gemacht hat. Aber Windermere reist aufs Land“, fügte sie mit einer Bitterkeit in der Stimme, die sie selbst verwunderte, hinzu.

„Er verlässt während der Sitzungsperiode des Parlaments die Stadt? Ich hätte nie gedacht, dass er seine Pflichten vernachlässigt.“ Sophie sah die Freundin an und legte fragend den Kopf zur Seite. „Dich belastet noch etwas anderes, ich spüre es.“

„Wie schon gesagt bin ich heute Morgen nicht gut aufgelegt“, erwiderte Miranda und lehnte sich ein Stück zurück. Doch die Miene ihrer Freundin verriet ihr sofort, dass es für Ausweichmanöver zu spät war.

„Was ist mit Windermere los?“, hakte Sophie nach.

„Er war betrunken und erschien gestern nicht zum Dinner …“ Miranda hielt inne, denn sie wollte nicht offenbaren, welche privatere Verabredung er ausgelassen hatte.

„Männer trinken fast immer. Das ist keine große Überraschung.“

Miranda sah ihre Freundin an. „Er war vollkommen neben sich, hat laut geflucht und mit Gegenständen um sich geworfen. Ich kann mich nicht entsinnen, ihn je zuvor in einem solchen Zustand erlebt zu haben.“ Sie strich sich über das Kleid, bevor sie weiterredete. „Und dann verkündet er heute Morgen ganz unerwartet, dass er nach Windermere Park aufbricht und dort ein paar Tage bleiben wird.“

Sophie stand auf und schob einen gepolsterten Hocker neben Mirandas Stuhl, ließ sich darauf nieder und ergriff die Hände ihrer Freundin.

„Hat er dir wehgetan, Liebes?“

„Sophie! Wie kannst du so etwas fragen?“ Miranda befreite ihre Hände und wich zurück. „Windermere würde nie die Hand gegen mich erheben.“

„Ich sprach nicht von seinen Händen, Miranda. Wenn er betrunken war, als er dich aufgesucht hat, um … seinen ehelichen Pflichten nachzukommen, kann er großen Schaden angerichtet haben. Ist alles mit dir in Ordnung?“

Miranda spürte, wie sich ihre Wangen vor Scham erhitzten. Sie hatten nie offen über dieses Thema gesprochen, und sie war sich nicht sicher, woher Sophie davon wusste.

„Komm schon, Miranda. Ich weiß doch, wie du lebst, seit dein Mann der Duke of Windermere geworden ist“, flüsterte Sophie. „Ihr nehmt die Pflichten beide ernster als nötig, und dein Tagesablauf, der den Vorstellungen der Witwe angepasst wurde, ist von ermüdender Regelmäßigkeit bestimmt. Du hast einmal kurz erwähnt, dass er donnerstags dein Bett aufgesucht hat. Also lässt sich leicht schließen, dass er das jeden Donnerstag so hält.“

„Gestern Abend ist er nicht gekommen.“

„Hat er sie besucht?“

„Die Witwe?“ Als Sophie den Kopf schüttelte, wurde Miranda klar, wen die Freundin gemeint hatte: Windermeres Mätresse. „Ich habe keine Ahnung.“

„Hast du ihm gesagt, dass es dir etwas ausmacht?“, erkundigte sich Sophie.

„Ich weiß nicht, was du meinst. Es ist mir egal, dass er eine Mätresse hat. Die Dinge sind nun einmal, wie sie sind.“

„John hat keine.“

Miranda sah ihre Freundin an. Die Herzoginmutter hatte mehr als deutlich gemacht, dass es für Männer von Windermeres Rang normal war, eine Mätresse zu haben, um die männlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Affären hatten sie nichts anzugehen. Auch wenn ihre Ehe anders begonnen hatte, durch Adrians Titel hatte sich fast alles verändert, sogar der körperliche Aspekt ihrer Ehe.

„Es ziemt sich nicht für eine Ehefrau …“, setzte Miranda an, eine der bevorzugten Ermahnungen der Witwe zu zitieren.

„Es ziemt sich nicht für eine Ehefrau, diese Dinge zu ignorieren und so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre.“ Sophie ergriff erneut Mirandas Hände. „Ich würde dich nicht ermutigen, der Sache auf den Grund zu gehen, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass dir deine Ehe am Herzen liegt. Du warst voller Leben und Vorfreude, als du damals geheiratet hast, und ich dachte, Windermere würde deine Gefühle erwidern.“

„Das ist lange her, Sophie, und es hat sich viel zwischen uns geändert“, sagte sie betrübt.

Jede Hoffnung, die sie einst gehegt hatte, war durch immer neue Pflichten ausgehöhlt worden, die sie als Duchess und Gattin eines wichtigen Mitglieds des Hochadels zu erfüllen hatte. Bedeutsame Entscheidungen hingen von ihm ab, und sie hatte gelernt, zurückzustehen und das zu sein, was er am dringendsten brauchte: eine Ehefrau, die wusste, wo ihr Platz war. Inzwischen unterschieden sie sich beide sehr von dem Mann und der Frau, die einst vor dem Pfarrer in der Kapelle von Windermere Park gestanden und das Ehegelübde abgelegt hatten. Und sie war sich nicht sicher, ob sie wieder zu den Menschen werden konnten, die sie einmal gewesen waren – selbst wenn sie es wollten.

„Ich glaube nicht, dass es dich gleichgültig lässt. Sonst wärst du nicht so beunruhigt über das, was er getan, gesagt oder unterlassen hat.“

Seufzend stand Miranda auf und ging zur Tür. Natürlich wollte sie wissen, was mit Adrian los war. Sie setzte ihren Hut auf und band die Bänder unter dem Kinn zusammen. Dann zog sie die Handschuhe an.

„Ich fahre nach Hause und sehe, ob er bereits aufgebrochen ist.“

„Das ist schon mal ein Anfang. Komm zu mir, wenn du Unterstützung brauchst. Egal, um was es sich handelt!“, rief ihr Sophie noch hinterher, als ein Lakai ihr die Tür öffnete.

Sophie hat mit ihren kritischen Einwänden vermutlich schon genug getan, dachte Miranda. Während die Kutsche sie durch die Straßen von Mayfair zum Stadtpalais brachte, übte sie stumm die Worte, die sie benutzen würde, um sich nach den Schwierigkeiten des Dukes zu erkundigen. Sie hatte so lange nicht mehr gewagt, ihm persönliche Fragen zu stellen, dass sie fürchtete, sich unglücklich auszudrücken.

Und was war, wenn das Problem etwas mit Windermeres Mätresse zu tun hatte? Sollte sie sich dann einfach abwenden und alles hinnehmen, wie es war? Wie konnte sie ihre Scham überwinden, eine so persönliche Angelegenheit zur Sprache zu bringen?

Als sie die Halle betrat, teilte der Butler ihr mit, Seine Gnaden sei bereits nach Windermere Park aufgebrochen. Er ließ ihr mitteilen, sie könne sich jederzeit an seinen Sekretär wenden, falls sie ein Problem hatte.

Doch wie sollte man die Art von Fragen, die sie ihrem Ehemann stellen wollte, über einen Mittelsmann weiterleiten? Miranda verbrachte den restlichen und den folgenden Tag damit, sich die nächsten Schritte zu überlegen. Auch wenn es möglicherweise besser war, dem eigenen Mann keine Fragen zu stellen, beschloss sie, sich nicht daran zu halten. Falls auch nur die geringste Aussicht bestand, die Fassade des Dukes zu durchdringen und wieder den Mann einzufordern, den sie geheiratet hatte, war das jedes Risiko wert.

Drei Tage nachdem Adrian aus London zu seinen nordenglischen Ländereien aufgebrochen war, erhielt Miranda eine Nachricht von ihrer Freundin, die sie veranlasste, Lady Crispin und der Herzoginwitwe eine höfliche Absage zu senden. In der Tat würden weder der Duke noch die Duchess of Windermere auf dem Ball am Samstag zugegen sein.

4. KAPITEL

Adrian schaute aus dem Fenster des Arbeitszimmers und beobachtete, wie die Gärtner in dem riesigen Park ihrer Tätigkeit nachgingen. Vom blauen Himmel strahlte die Sonne.

Er bekam jetzt wieder besser Luft, obgleich er während der Anreise zwei Anfälle erlitten hatte. Das Atmen war ihm auf dem Land stets leichter gefallen als in London, wo der Rauch aus den Kaminen, Staub und Nebel ihm Probleme bereiteten. Und solange er sich von den Stallungen und gewissen blühenden Pflanzen fernhielt, blieb er auch von Heufieber verschont.

Die letzten sieben Tage hatten ihn sehr erschöpft – erst die Reise nach Windermere Park und dann die gründliche Sichtung der Dokumente, die seine Güter und die Familie betrafen. Dass er ohne Ankündigung gekommen war und alle Unterlagen sehen wollte, fand sein hiesiger Verwalter gewiss sonderbar. Dennoch würde der Mann es niemals wagen, seiner Verwunderung Ausdruck zu verleihen. Gemeinsam waren sie zu abgelegenen Bauernhöfen geritten, hatten den Geistlichen des Dorfes, das zu seinem Land gehörte, besucht und mit zahllosen Pächtern gesprochen. Reparaturen und ein paar organisatorische Veränderungen für die Ernte standen auf der Tagesordnung. Zudem ließ er eine größere Anzahl von Büchern bestellen, weil er die Frau des Pfarrers in ihrem Vorhaben unterstützen wollte, die Dorfkinder zu unterrichten.

Doch die schwierigste Aufgabe lag noch vor ihm. Sein Londoner Anwalt sollte entweder an diesem oder am nächsten Tag eintreffen, und dann musste Adrian sein Testament überprüfen und die Regelungen auf den neuesten Stand bringen. Obgleich sein Titel und die meisten dazugehörigen Ländereien als Fideikommiss festgelegt waren, besaß er darüber hinaus frei verfügbares Eigentum beachtlichen Ausmaßes und fest angelegtes Kapital. Er würde sich erleichtert fühlen, sobald für alle, die von seinen Zuwendungen oder seiner Unterstützung abhingen, entsprechende Vorkehrungen getroffen waren.

Adrian wandte sich vom Fenster ab, ergriff das Weinglas und trank einen kleinen Schluck. Er würde es nicht mehr übertreiben. Die Folgen jenes Abends, an dem er von seinem Schicksal erfahren und sich übermäßigem Alkoholgenuss hingegeben hatte, waren ihm eine Lehre. Tagelang hatte sein Magen rebelliert, und er musste mehrmals auf der Reise gen Norden haltmachen, um sich zu übergeben. Nein, er wollte seiner Zukunft, so begrenzt sie auch sein mochte, künftig mit klarem Kopf entgegensehen.

Es dauerte noch ein paar Stunden bis zum Dinner, selbst wenn man die frühen Uhrzeiten in Betracht zog, die auf dem Lande galten. Daher beschloss Adrian, einen Spaziergang zum See zu machen. Er ließ sich vom Butler den Hut reichen und die Tür aufhalten und begab sich an die frische Luft. Er nahm den Pfad, der zu dem größeren der beiden Seen von Windermere Park führte.

Die Sonne schien, und es war warm, obgleich ein leichter Wind wehte, der die Äste und Blätter der Bäume, die den See umgaben, hin und her wogen ließ. Er suchte im Schatten einer breiten Kastanie Zuflucht, ließ sich darunter nieder und lehnte sich gegen den Stamm. Es kam ihm wie bittere Ironie vor, dass alles um ihn herum in vollster Blüte stand, während er selbst seinem baldigen Ende entgegensah.

Wie es seine Angewohnheit war, dachte er über die Liste der unerfüllten Aufgaben nach, die er bei seinem Aufenthalt zu bewältigen hatte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er sich vor dem eiligen Verlassen der Stadt nicht einmal die empfohlenen Tinkturen und Elixiere in der neuesten Dosierung hatte mischen lassen. Wenigstens befand sich das zerknitterte Rezept aller Wahrscheinlichkeit nach noch in der Tasche des Gehrocks, in die er es am nächsten Morgen gesteckt hatte. In Newcastle, ein paar Meilen entfernt, kannte er einen erfahrenen Apotheker, den er gewöhnlich aufsuchte, wenn er auf dem Land war. Doch auch im nahen Dorf gab es eine Frau, die sich als Heilerin einen guten Ruf erworben hatte. Vielleicht machte es Sinn, sie um Rat zu bitten.

Im Geiste fügte er den Besuch bei der Heilerin seiner Aufgabenliste hinzu und beschäftigte sich dann mit dem wichtigsten Punkt. Seine persönlichen Dokumente und alle Unterlagen, die den Familienbesitz betrafen, befanden sich in geordnetem Zustand. Alles schien für den Fall seines Ablebens bereitzuliegen. Er nahm den Hut ab, legte den Kopf nach hinten und schloss die Augen.

Wie konnte man dem eigenen Ende am besten entgegentreten? Da er nie ein übermäßig spiritueller oder religiöser Mann gewesen war, sah er keine Veranlassung, die Unterstützung eines Geistlichen zu suchen. Der Dorfpfarrer würde die Rituale, die einem Duke zustanden, gewiss mit feierlichem Ernst vollziehen. Wenn sich die Beschwerden verschlimmerten und er sicher war, dass das Ende nahe war, würde er mit ihm darüber reden. Aber nicht jetzt.

Die Angelegenheiten des Fideikommisses waren geregelt, die Verfügungen über sein frei verfügbares Eigentum würde er bald in einem neuen Testament festlegen, und die einzigen nahen Angehörigen, die er zurückließ, waren … seine Mutter und seine Frau.

Seine Mutter und seine Frau.

Obgleich die Dokumente bereits Regelungen für die beiden vorsahen, wollte er die Einzelheiten mit dem Anwalt prüfen, um sicherzustellen, dass beide Frauen nach seinem Tod über regelmäßige Einkünfte und ein standesgemäßes eigenes Zuhause verfügten.

Was würde aus ihnen werden? Der seltsame Gedanke nahm vor seinem inneren Auge immer deutlichere Gestalt an, und er begriff, wie intensiv diese Frage ihn beschäftigte.

Robert, sein Cousin zweiten Grades, würde die Ländereien und Titel erben, und da er bereits über einen Stammhalter verfügte, würde das Herzogtum in dieser Nebenlinie fortleben. Diese Vorstellung schmerzte Adrian, auch wenn er einen Moment über die Gründe dafür nachdenken musste.

Da er ursprünglich nicht als Erbe galt, hatte er sich zunächst beinahe widerwillig mit den Machtbefugnissen und Verantwortlichkeiten abgefunden, die ihm das Leben als Duke of Windermere auferlegte. Und seine vorrangige Pflicht neben der Kontrolle über alle geschäftlichen Angelegenheiten bestand darin, einen Erben zu zeugen. Darin waren er und Miranda gescheitert. War dies die Quelle seiner quälenden Unzufriedenheit – keinen eigenen Sohn zu haben, dem er alles vererbte? Nicht einmal eine Tochter, der er das Fideikommiss für deren Sohn übertragen konnte.

Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, änderte nichts an der Lage. Er stand auf und begab sich zurück zum Haus. Vermutlich würden die qualvollen Gedanken an die Auswirkungen seines Todes nachlassen, sobald der Anwalt da war und sie die entscheidenden Dinge geregelt hatten. Danach konnte er überlegen, wie er die Zeit verbringen würde, die ihm noch blieb.

Während des Dinners und des restlichen Abends dachte Adrian über sein Leben nach. Als er keinen Schlaf fand, schlenderte er durch die Gänge des ehrwürdigen Landsitzes. Er suchte Räume auf, in denen er seit der Kindheit nicht mehr gewesen war, und stellte überrascht fest, dass im Kinderzimmer noch immer ein Teil seiner alten Spielsachen verwahrt wurde und auf die Entdeckung durch andere kleine Hände wartete. Vom Fenster des Zimmers aus, in dem er als Student gewohnt hatte, wenn er von der Universität zu Besuch gekommen war, betrachtete er den Baum, auf dem sich für ihn und seinen Bruder zahlreiche Abenteuer abgespielt hatten.

Im Morgengrauen war er noch immer ruhelos und verlangte nach einem Pferd, um über das Land zu reiten, das noch für kurze Zeit das seine war. Erst als die Sonne am Mittag ihren Zenit erreichte und er das laute Knurren seines Magens nicht länger ignorieren konnte, kehrte er zum Haus zurück, um etwas zu essen und sich auszuruhen.

Der Butler weckte ihn, um ihm die Ankunft einer Kutsche aus London zu melden. Offenbar war der Anwalt eingetroffen, und da in Windermere Park stets alles für die Unterbringung von Gästen vorbereitet war, ließ Adrian nur ausrichten, dass er Anderson zum Dinner treffen würde. Zeit auf dem Land zu verbringen besaß aus seiner Sicht große Vorteile – vor allem die frühen und weniger förmlichen Mahlzeiten. Das Personal kannte seine Vorlieben, und da die meisten Nachbarn sich in London aufhielten, schien einer ungestörten Arbeit mit dem Anwalt nichts im Wege zu stehen.

Jetzt wartete er im Gesellschaftszimmer bei einem Glas Rotwein auf die Ankunft des Mannes. Eine vertraute Stimme auf dem Gang ließ ihn aufhorchen, und er drehte sich um, als der Lakai die Tür öffnete und nicht sein Anwalt, sondern sein bester Freund eintrat.

„Parker! Was tust du hier?“ Adrian stand auf und ging dem unerwarteten Gast entgegen.

„Deine geheimnisvolle Nachricht, dass du plötzlich aufs Land fährst, hat meine Neugier entfacht. Also bin ich hier.“ Parker nahm vom Butler ein Glas Rotwein entgegen. „Können wir bald essen? Wir haben am Mittag keinen Halt gemacht, um eine Mahlzeit einzunehmen.“

Adrian sah in Richtung Gang, konnte jedoch keine weitere Person ausmachen. War Parker etwa gemeinsam mit dem Anwalt gekommen?

„Sobald Anderson sich zu uns gesellt, beginnen wir mit dem Dinner.“

„Anderson?“ Parker schüttelte den Kopf. „Ich bin ihm direkt vor deinem Haus in London begegnet und soll dir ausrichten, dass seine Abreise sich verzögert und er erst morgen eintreffen wird. So lange müssen wir hoffentlich nicht mit dem Essen warten, oder?“ Parker hielt dem Butler sein leeres Glas entgegen und schaute zu, wie es erneut gefüllt wurde. „Wo zum Teufel bleibt sie nur?“ Er ging zur Tür und hielt auf dem Gang Ausschau.

„Sie?“ Beunruhigt drehte sich Adrian zur Tür. „Wen hast du denn mitgebracht?“ Parker würde sie doch nicht einfach mitbringen …

„Guten Abend, Windermere. Entschuldige, dass ich euch warten ließ.“

Miranda!

Sie stand im Türrahmen und machte ein ängstliches Gesicht, als ob sie mit seinem Zorn rechnete. Adrian war erleichtert, dass Parker nicht auf die Idee gekommen war, Caro mitzubringen, wie er es im ersten Augenblick befürchtet hatte. Er ging auf seine Frau zu, um sie zu begrüßen.

„Ich habe dich nicht hier erwartet“, stellte er fest und gab ihr einen Handkuss. „Ich sagte dir doch, dass du mich nicht hierher begleiten solltest.“

Angesichts seines harschen Tonfalls zitterte sie. Er brauchte Zeit für sich, um mit seinem Schicksal fertigzuwerden, und die Gegenwart seiner Ehefrau machte die Lage nur komplizierter. Doch zunächst würde er beim Dinner herausfinden, weshalb sie gekommen war, und sie morgen zurück in die Stadt schicken. Bevor er noch etwas sagen konnte, schob Parker ihn beiseite und bot Miranda den rechten Arm.

„Zu mir hat er dasselbe gesagt, Madam, und Sie sehen ja, wie viel Wert ich seinen Worten beimaß. Kommen Sie, der Butler hat mir schon signalisiert, dass unser Essen fertig ist.“

Nachdem Miranda ihrem Mann noch einen zögerlichen Blick zugeworfen hatte, legte sie die Hand auf den Arm seines Freundes, und alle drei begaben sich den Gang hinunter in das private Speisezimmer. Das Personal schien längst von den Änderungen zu wissen, denn an dem ovalen Tisch war für drei Personen eingedeckt worden und nicht für zwei, wie ursprünglich geplant.

Adrian wartete ab, bis Miranda und Parker einander gegenüber Platz genommen hatten, und setzte sich dann selbst an den Kopf der Tafel, sodass er seine Frau zur Rechten und den Freund zur Linken hatte.

Auf sein Nicken hin begannen der Butler und ein Lakai, das Dinner zu servieren. Parker schaufelte sich in beunruhigender Menge Essen in den Mund. Er hielt lediglich inne, um kurz Luft zu holen oder einen Schluck Wein zu trinken, und vertilgte in kürzester Zeit zwei Teller mit Hummersuppe. Als der nächste Gang einen Moment auf sich warten ließ, nahm er sich eine Scheibe Brot und schob sich davon große Stücke in den Mund.

„Bist du dir sicher, dass du nur eine Mahlzeit ausgelassen hast?“, erkundigte sich Adrian spöttisch. Offensichtlich schämte Parker sich nicht einmal für sein Verhalten.

„Die lange Reise hierher … Wie viele Tage haben wir doch gleich gebraucht, Madam? Vier?“, murmelte Parker, nachdem er aufgehört hatte zu kauen.

„Ja, wir haben vier Tage gebraucht, obgleich wir heute ein bisschen früher angekommen sind, als ich für möglich gehalten hatte“, antwortete Miranda leise und lächelte.

Irritiert durch ihre ungewohnte Offenherzigkeit und durch die Tatsache, dass sie überhaupt anwesend war, sprach Adrian laut aus, was er vom ersten Augenblick an hatte fragen wollen.

„Warum bist du hier, Miranda? Ich hatte dir doch erklärt, dass meine Reise ausschließlich der Regelung von geschäftlichen Angelegenheiten dient. Hier gibt es keine Unterhaltung und weder Festivitäten noch Bälle. Ich hätte gedacht, dass die Vergnügungen der Stadt einen stärkeren Reiz auf dich ausüben würden.“

Es wurde ganz still im Zimmer, und selbst die Bediensteten hielten angesichts seines barschen Tonfalls in ihren Bewegungen inne. Parker würgte den Bissen hinunter, den er gerade im Mund hatte, und spülte ihn mit einem großen Schluck Wein hinunter. Als der Freund sich hörbar räusperte, verstand Adrian, dass er zu weit gegangen war. Mirandas Wimpern zuckten, und nach den unfreundlichen Worten wich sie seinen Blicken aus.

Da der nächste Gang serviert wurde, bestand für sie keine Möglichkeit zu einer direkten Entgegnung. Silberne Platten mit gebratenem Wildbret und einer Lammkeule wurden auf den Tisch gestellt. Dazu gab es Spargel und verschiedene Soßen. Adrian ergriff das Tranchiermesser und schnitt Scheiben von den Fleischstücken ab.

„Die Strapazen der Saison haben mich ein wenig ermüdet, Windermere. Daher dachte ich, eine kurze Pause auf dem Land würde mir guttun“, erklärte Miranda schließlich zögerlich.

„Wahrscheinlich hat die Erwartungshaltung der Herzoginmutter Sie ermüdet, Madam“, mischte sich Parker ein. Während er mit der Gabel in ihre Richtung wies, fuhr er fort: „Jetzt, wo sie dieses junge Ding bei der ersten Saison unterstützt, kann ich mir vorstellen, dass sie von Ihnen verlangt, das Mädchen in jeden Winkel der Stadt zu begleiten.“

„Dieses junge Ding? Was weißt du denn über die gesellschaftlichen Aktivitäten meiner Mutter?“ Adrian fühlte sich bei dieser Unterhaltung wie das fünfte Rad am Wagen.

„Deine werte Mutter trieb mich bei Lord Hansons Soiree höflich in die Enge und machte deutlich, dass ich als dein enger Freund die Pflicht hätte, ihr dabei zu helfen, das junge Ding – Verzeihung, ich meine Miss Juliet Stevenson – in die Gesellschaft einzuführen.“

„Und was war deine Antwort?“, wollte Adrian wissen. Es kam nicht oft vor, dass jemand Parker erfolgreich in die Enge trieb. Doch wenn sich seine Mutter etwas in den Kopf gesetzt hatte, verfügte sie zweifellos über eine zwingende Durchsetzungskraft. Und sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, wie wichtig ihr das Debüt ihrer Patentochter in der feinen Gesellschaft war.

Parker zwinkerte ihm zu und runzelte die Stirn. „Was glaubst du wohl, was ich Ihrer Gnaden geantwortet habe? Selbstverständlich habe ich eingewilligt.“

Adrian ließ sich nicht von seiner ursprünglichen Frage abbringen und wandte sich wieder an Miranda. „Aber du leidest nicht unter gesundheitlichen Problemen, oder doch?“

Sie errötete leicht und lächelte zaghaft, als ob er sie gerade bei einem sehr privaten Gedanken ertappt hätte. Dann sah sie ihn an und schüttelte den Kopf. „Es geht mir gut, Windermere. Als du deine Abreise erwähntest, wurde ich daran erinnert, wie erholsam es von Zeit zu Zeit auf dem Land ist. Der Trubel und die Enge der Stadt haben zuweilen etwas Erschöpfendes.“

Adrian zuckte zusammen, als er merkte, mit welcher Förmlichkeit sie sich an ihn wandte. Er spürte, dass sie ihm eine ganz allgemeine Antwort gegeben hatte, die wichtige Punkte außer Acht ließ. Aber in Gesellschaft anderer, und sei es auch nur eines Freundes wie Parker, konnte er nicht weiter in sie dringen. Ein deutlicheres Interesse an ihr zu zeigen als unbedingt erforderlich würde ihre Gegenwart nur zu einem unnötig großen Problem machen. Ihrer Anwesenheit wurde dadurch ein Gewicht verliehen, das weit über die Belästigung hinausging, die er darin sah. Es ärgerte ihn einfach nur, dass er nicht die Ruhe und Einsamkeit haben würde, die er sich von dem Aufenthalt im Norden versprochen hatte.

Er konzentrierte sich wieder auf das Essen, und eine Weile herrschte eine Stille am Tisch. Schließlich lehnte sich Adrian gesättigt auf dem Stuhl zurück und schlug vor, dass sie sich in das Billardzimmer zurückzogen. Obgleich es aussah, als ob Parker Einwände erheben wollte, schluckte der Freund den letzten Bissen hinunter und nickte.

5. KAPITEL

Miranda war froh, dass ihr Gatte nicht weiter nach den Gründen ihrer Anwesenheit fragte – auch wenn sie bezweifelte, dass er sich ernsthaft mit ihrer mageren Erklärung zufriedengab. Sie war mit dem Essen fertig, tupfte sich den Mund ab und legte die Serviette auf den Tisch. Dann erhob sie sich, während der Lakai den Stuhl für sie zurückzog, und folgte Adrian in das Billardzimmer, jenes Refugium der Männerwelt, das er so schätzte, wenn er sich in Windermere Park aufhielt. Wusste er, wie sehr sie Billard liebte und dass sie des Öfteren spielte, wenn er nicht zugegen war?

Sie setzte sich vor den Kamin und beobachtete, wie ihr Gatte und sein Freund aus dem Ständer ihre Queues wählten. Sie tauschten die üblichen Prahlereien über die bevorstehende Partie aus und gaben sogar Wetten auf deren Ausgang ab. Es wurde Tee serviert, und sie trank einen Schluck aus ihrer Tasse.

„Würden Sie es als Unhöflichkeit erachten, wenn wir unsere Frackröcke auszögen, Madam?“, fragte Parker ein paar Minuten später, nachdem bereits klar war, dass die Spieler einander ebenbürtig waren. „Ich weiß, es entspricht nicht den offiziellen Regeln der Etikette, aber …“ Er lächelte sein ansteckendes Lächeln und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.

„Ich bin mir sicher, dass meine Verfassung und meine Gefühlslage eine derartige Ungezwungenheit aushalten werden, Sir. Selbstverständlich nur, solange wir uns auf dem Land befinden.“

„Ich sagte dir ja, dass deine Frau wahrhaftig keine Spielverderberin ist, Windermere! Jetzt kann mich nicht mal mehr die eng sitzende Kleidung daran hindern, dir eine fürchterliche Niederlage zu bereiten“, brüstete sich Parker, nachdem er den Frack ausgezogen und ihn über einen Stuhl geworfen hatte.

Miranda beobachtete, wie ihr Mann sich ebenfalls des Frackrocks entledigte, ihn jedoch nicht achtlos hinwarf, sondern sorgfältig gefaltet über eine Stuhllehne legte. Unwillkürlich verglich sie die Statur der Männer. Beide waren hochgewachsen, Parker überragte ihren Mann sogar noch um einige Zentimeter. Beide waren muskulös, aber Adrian wirkte schlanker als sein Freund. Das war nicht weiter verwunderlich, wenn sie in Betracht zog, welche Mengen Parker an einem einzigen Abend essen konnte! Was die Haarfarbe betraf, hätten die Männer nicht gegensätzlicher sein können – Adrian war dunkelhaarig und sein Freund ein blonder Adonis.

Während ihrer viertägigen Anreise in Parkers Gesellschaft war ihr deutlich geworden, dass er sie an den Adrian erinnerte, den sie zu Beginn ihrer Ehe erlebt hatte. Der beste Freund ihres Mannes hatte einen Sinn für respektlosen Humor und war dennoch ein Mann von Ehre, der sich fürsorglich und mitfühlend verhielt. Derweil sie den kühl gewordenen Tee austrank, überlegte sie, wann Adrian sich so stark verändert hatte.

Jedenfalls weder im Jahr ihrer Verlobung noch im ersten Jahr ihrer Ehe. Erst nach dem tödlichen Reitunfall seines Bruders war er immer verschlossener geworden und hatte sich ganz in die Pflichten ergeben, die mit dem Erbe des Titels verbunden waren.

Anstatt wie zuvor gegen jeden Befehl der Herzoginwitwe Widerstand zu leisten, hatte sich Adrian ihren Anweisungen gefügt. Und statt die liebevolle Beziehung, die sie miteinander geführt hatten, fortzusetzen, entfernte er sich immer weiter von ihr und unterwarf sich den Vorstellungen seiner Mutter in Bezug auf ein angemessenes Eheleben eines Dukes und seiner Duchess.

Miranda stellte die Tasse ab und konzentrierte sich wieder auf das Billardspiel, das seinem Ende zuging. Sie war verwundert, als sie Adrian laut lachen hörte und er den Freund belustigt ans andere Ende des Tisches schubste, weil Parker ihm eine Drohung zugerufen hatte. Ihn so zu erleben, war ihr ganz neu.

Warum gab er sich ihr gegenüber nicht ebenso ungezwungen wie in Gegenwart des Freundes? Teilte er diese heitere Ungezwungenheit mit seiner Mätresse?

Fröhlich.

Spontan.

Ausgelassen.

Warmherzig.

Attraktiv.

Ihr Magen rebellierte, während sie ihre eigenen Schlüsse zog. Ihr wurde ganz schlecht, wenn sie sich das Zusammensein ihres Mannes mit seiner Geliebten ausmalte. Sie wusste, wie die Frau aussah. Jemand, der sie wegen ihrer bescheidenen Herkunft verachtete und sie blamieren wollte, hatte eines Tages im Park mit dem Finger auf Mrs Robinson gezeigt. Seither war sie ihr noch dreimal begegnet.

„Bitte rufe ihre Zofe!“ Adrians Stimme riss sie aus den Gedanken. Miranda blinzelte, um die Tränen aus den Augen zu vertreiben, und sah, dass die Männer ihre Partie beendet hatten und sie besorgt betrachteten.

„Siehst du, Parker. Es ist genau, wie ich vermutet habe. Die Duchess fühlt sich nicht wohl.“ Adrian ging vor ihr in die Hocke. „Sie ist ganz grün im Gesicht.“

Parker klingelte nach dem Lakaien, der Fisk holen sollte. Dann kam er näher und beugte sich über sie. „Was meinst du, war es die Hummersuppe? Kann etwas beim Dinner verdorben gewesen sein?“

Miranda holte tief Luft und schüttelte den Kopf. „Ich denke, ich bin einfach nur übermüdet von der weiten Reise. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden“, sagte sie und versuchte aufzustehen. Doch ihre Beine gaben nach, und sie musste sich von Adrian stützen lassen. Nachdem sie ein zweites Mal tief Luft geholt hatte, ließ das Schwindelgefühl nach. „Ich werde mich besser in meine Suite zurückziehen.“

Adrian begleitete sie zur Tür. Inzwischen war Fisk zur Stelle, und er übergab sie der Fürsorge ihrer Zofe. Als Miranda sich umdrehte, um den Männern eine gute Nacht zu wünschen, bemerkte sie, dass Adrian sie prüfend ansah. Er fragte sie jedoch nichts und nickte nur, bevor sie sich abwandte.

Kurz vor dem Einschlafen wurde ihr bewusst, dass es Donnerstagabend war.

Erst am Mittag des nächsten Tages öffnete Miranda wieder die Augen. Nicht einmal die zugezogenen Vorhänge konnten verbergen, wie hoch die Sonne bereits am Himmel stand. Sie schob die Decken beiseite und stand auf. Als sie mit den Füßen den Teppich berührte, öffnete sich die Tür zum Gang, und Fisk betrat das Zimmer.

„Wie spät ist es?“

„Halb eins, Euer Gnaden. Seine Gnaden hat Anweisung gegeben, dass niemand Sie wecken sollte“, gab die Zofe Auskunft, als sie ihrer Herrin in einen Morgenmantel half. Dann zog sie die Vorhänge zurück. Helles Sonnenlicht strömte ins Zimmer.

„Ist der Duke beschäftigt?“, Miranda band den Gürtel zu, setzte sich an den Ankleidetisch und ließ sich von Fisk die Haare zurechtmachen. „Bitte eine einfache Frisur.“

„Seine Gnaden hat sich mit seinem Anwalt, der heute früh eingetroffen ist, im Arbeitszimmer eingeschlossen, Madam. Er bat darum, nicht gestört zu werden.“

Ihr Leben und das ihres Gatten überschnitten sich nicht viel, schon gar nicht, wenn sie auf dem Lande waren. Daher beschloss Miranda, den Pfarrer und seine Frau zum Dinner einzuladen. Da sich ihr Gatte offenkundig durch ihre Anwesenheit gestört fühlte, zögerte sie, ihn für den Abend mit einzubeziehen. Sie würde ihm ein oder zwei Tage ganz aus dem Weg gehen und dann sehen, ob sie sich ihm mit ihren Fragen nähern konnte.

„Wenn das Wetter so gut ist, wie ein Blick durchs Fenster vermuten lässt, würde ich mich gern draußen in den Pavillon setzen. Wären Sie so liebenswürdig, die Köchin zu bitten, mir heiße Schokolade und etwas Gebäck bringen zu lassen?“

„Selbstverständlich, Euer Gnaden. Soll ich Sie nach draußen begleiten?“

Fisk half ihr aus dem Morgenmantel und in ein gelbes Tageskleid mit kurzen Ärmeln und weißen Rüschen. Nachdem Miranda einen Sonnenhut entgegengenommen hatte, schüttelte sie den Kopf. „Nein, sie können ruhig im Haus bleiben.“

Miranda wählte ein Buch aus, auf das sie neugierig war, und verließ wenig später das Haus durch einen Seiteneingang. Sie fand den Pavillon im schönsten Sonnenschein vor. Nachdem man ihr die heiße Schokolade und das Gebäck gebracht hatte, setzte sie sich in aller Ruhe zum Lesen hin.

Sie versuchte ernsthaft, sich auf das Buch zu konzentrieren, doch immer wieder kamen ihr irritierende und unangenehme Gedanken in den Sinn, die sie von der Lektüre ablenkten. Schließlich legte sie das Buch beiseite und dachte darüber nach, welche Möglichkeiten ihr blieben.

Während der viertägigen Reise war ihr deutlich geworden, wie wenig sie über das Leben ihres Ehemanns wusste. Lord Parker hatte sie in der Kutsche mit Geschichten über Adrians und seine gemeinsamen Aufenthalte auf verschiedenen Landsitzen der Windermeres unterhalten. Es gab sogar einen Jagdsitz in Schottland, von dessen Existenz Miranda gar nichts gewusst hatte. Als Parker verlegen wurde, weil er es erwähnt hatte, schloss sie, dass er für die Art von Vergnügungen genutzt wurde, bei denen die Anwesenheit der Gattin nicht erwünscht war.

Erst gestern Abend war ihr wieder aufgefallen, wie stur und verschlossen ihr Ehemann sein konnte. Es war in der Tat etwas im Gange, und er wollte nicht, dass sie sich einmischte. Die barschen Worte hatten eindeutig verraten, wie sehr ihr Auftauchen seine Pläne durchkreuzte.

Durch den Wind löste sich eine lockige Haarsträhne und fiel ihr ins Gesicht. Miranda zog die Haube aus und legte sie sich auf den Schoß, während sie die Frisur wieder ordnete.

Sie fühlte sich zu schwach, um ganz offen mit Adrian darüber zu sprechen. In den letzten Jahren hatte sie sich an eine bestimmte Lebensweise gewöhnt, und auch wenn es dieser Ehe an jener Herzlichkeit und Nähe mangelte, die sie sich erträumt hatte, entsprach sie allem Anschein nach den Wünschen ihres Mannes.

Sie musste über ihre eigene Torheit lächeln, als sie, ganz in Gedanken versunken, ihren Sonnenhut absetzte. Nur weil sich der Duke ein Mal anders verhalten hatte als sonst, hieß dies noch lange nicht, dass er an einer Veränderung ihres Lebens interessiert war. Es bedeutete bloß, dass er auch nur ein Mann war. Sie hätte schon deutlichere Anzeichen für Veränderungen bei ihm abwarten müssen als den einmaligen Genuss von zu viel Alkohol. Dadurch allein begann seine herzogliche Fassade noch nicht zu bröckeln.

„Was für ein hübscher Anblick Sie sind, Euer Gnaden.“

Lord Parkers Erscheinen riss sie aus den Gedanken. „Ich habe Sie gar nicht kommen sehen.“ Sie schirmte mit einer Hand das blendende Sonnenlicht ab.

„Verzeihen Sie, wenn ich mich so unangekündigt auf Sie stürze, Madam.

Ich bin überall im Haus und in den Gärten herumgelaufen, hatte aber wenig Glück, irgendwo einer Menschenseele zu begegnen. Nun, zumindest niemandem, der nicht gerade in eine weltbewegend wichtige Tätigkeit vertieft war, die unmöglich unterbrochen werden kann.“ Er lachte verlegen. „Nicht, dass Ihre Tätigkeit hier draußen unbedeutender wäre – ich meine, im Vergleich …“

Miranda hob abwehrend die rechte Hand. „Ich habe keinerlei Anstoß an Ihren Worten genommen“, sagte sie und deutete auf einen freien Stuhl. „Wenn Sie möchten, können Sie mir gern Gesellschaft leisten.“

Während sie sich angeregt über den hübschen Garten mit den gepflegten Blumenrabatten und blühenden Rosensträuchern unterhielten, wurde Miranda bewusst, dass sie mit Parker in den letzten paar Tagen mehr geredet hatte als mit Adrian in vielen Jahren.

Zum wiederholten Mal schob er den Vorhang zur Seite, um sie zu beobachten. Vom Arbeitszimmer aus hatte er eine gute Sicht auf den Pavillon in der Nähe der westlichen Terrasse und auf die Personen, die sich dort aufhielten. Seine Frau hatte eine ganze Weile allein dort gesessen, bevor Parker sich zu ihr gesellte. Sie schienen sehr gut miteinander auszukommen. Sein Freund hatte ihm bereits erzählt, wie gut sie sich während der Reise verstanden hatten. Obwohl Miranda noch immer blass aussah, schien sie sich weitgehend von der Schwindelattacke des Vorabends erholt zu haben, was auch immer deren Ursache gewesen sein mochte.

„Dies sind also die vorgesehenen Regelungen für die Duchess. Soll es dabei bleiben?“

Adrian drehte sich zu seinem Anwalt um. Die Bestimmungen des Testaments und seine Klauseln stellten für ihn keine Überraschung dar – ohne einen direkten männlichen Erben fiel alles der anderen Familienlinie seines Großvaters zu.

Autor

Terri Brisbin
<p>Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt...
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<p>Margaret McPhee lebt mit ihrem Ehemann an der Westküste Schottlands. Ganz besonders stolz ist sie auf ihre Kaninchendame Gwinnie, die mit ihren acht Jahren eine alte Lady unter ihren Artgenossen ist. Als Wissenschaftlerin ausgebildet, hatte sie trotzdem immer eine romantische Ader. Ihrem Mann begegnete sie zum ersten Mal auf der...
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