Historical Saison Band 33

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DER UNMÖGLICHE VISCOUNT von NICHOLS, MARY
Den hübschen Kopf voll romantischer Ideen reist die bildbschöne Sophie Cavenhurst zu ihrer allerersten Saison nach London. Sie will möglichst rasch heiraten! Natürlich niemals diesen arroganten Viscount Kimberley, der sie so spöttisch anlächelt - und ihr einen viel zu feurigen Kuss raubt …

WACHGEKÜSST VON EINEM EARL von PRESTON, JANICE
Unerfüllte Sehnsucht kann so schmerzhaft sein! Deshalb erscheint Lady Felicity Weston die Vernunftehe mit dem attraktiven Richard Durant, Earl of Stanton, die perfekte Lösung. Keine Liebe - kein Leid! Aber schon die sinnliche Hochzeitsnacht mit ihrem Ehemann bringt Felicitys Herz in höchste Gefahr …


  • Erscheinungstag 05.01.2016
  • Bandnummer 0033
  • ISBN / Artikelnummer 9783733763237
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Mary Nichols, Janice Preston

HISTORICAL SAISON BAND 33

MARY NICHOLS

Der unmögliche Viscount

Immer wieder muss Adam der blutjungen Miss Sophie zur Seite stehen. Diese widerspenstige Schönheit vom Lande kennt sich auf dem spiegelglatten Parkett der Londoner Saison einfach nicht aus – und die Anstandsregeln der feinen Gesellschaft sind ihr einerlei! Doch gerade diesen Mangel an Anstand findet der Viscount unglaublich verlockend …

JANICE PRESTON

Wachgeküsst von einem Earl

Seine Braut wurde noch nie geküsst – und das ist gut so! Richard beglückwünscht sich zu seiner Entscheidung, die unerfahrene Lady Felicity aus rationalen Gründen geheiratet zu haben. Dennoch: Als er sie zum ersten Mal an sich zieht, durchfährt die Leidenschaft ihn wie ein Blitz. Aber romantische Gefühle könnte er niemals zulassen …

1. KAPITEL

Hadlea, 1819

Miss Sophie Cavenhurst war weder für ihren Takt noch für ihre Geduld berühmt. Und auch nicht für Besonnenheit. Ausgeglichen wurden diese Mängel durch ihr Äußeres – sie war hübsch von Gesicht und Gestalt – und durch ihr weiches Herz und ihr heiteres Gemüt. In regelmäßigen Abständen hielten junge Gentlemen um ihre Hand an und wurden ebenso regelmäßig abgewiesen. „Wissen Sie“, sagte sie dann und lächelte süß, um den Hieb zu mildern, „es würde mit uns einfach nicht gut gehen.“ Was, wie ihr Vater meinte, bewies, dass sie doch besonnener war, als man ihr generell zutraute.

Sophies Problem lag darin, dass sie jeden Bewerber mit den Gatten ihrer älteren Schwestern verglich – beides Musterexemplare von Ehemännern, mit denen ihre Verehrer nie mithalten konnten. Mark, Lord Wyndham, der Gatte Janes, war freundlich, gütig und verlässlich; Isabels Gemahl, der erst kürzlich zum Ritter geschlagene Sir Andrew Ashton, der Isabel auf seinen abenteuerlichen Reisen in ferne Länder stets mitzunehmen pflegte, dagegen umwerfend und aufregend. Beide Gentlemen waren reich, wobei ihr Reichtum sehr unterschiedlichen Quellen entstammte. Mark hatte ihn ererbt, Drew seinen durch weltweiten Handel erworben. Keiner der Bewunderer, die bisher um Sophies Hand angehalten hatten, konnte den beiden das Wasser reichen.

Was sie jedenfalls ganz gewiss nicht wollte, war ein Tunichtgut wie ihren Bruder Edward, den erst eine schlimme Erfahrung und ein Aufenthalt in Indien zur Vernunft hatten bringen können und den sie dennoch von Herzen liebte. Um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, musste sie allerdings einräumen, dass er den Besitz und das Vermögen der Familie gerettet hatte, als es aussah, als würden sie beides verlieren, und dafür verzieh Sophie ihm so ziemlich alles, sogar, dass er sie ständig neckte.

„Sophie, du hast nun sämtliche annehmbaren Herren in der Umgebung entmutigt“, erklärte er ihr eines schönen Morgens im April. „Du wirst dir noch den Ruf einhandeln, übertrieben anspruchsvoll zu sein.“

„Und was wäre daran schlimm? Die Ehe ist eine wichtige Angelegenheit. Ich will nicht den gleichen Fehler machen, den Isabel beinahe gemacht hätte.“

„Und als Folge davon wirst du vielleicht als alte Jungfer enden.“

„Deshalb möchte ich zur Saison nach London. Da würde ich neue Leute kennenlernen.“

„Eine Saison? Wie kommst denn auf diese Idee?“

Natürlich konnte sie ihm nicht sagen, dass sie Angst hatte, sich in ihren Schwager Mark zu verlieben, was einfach nicht sein durfte! Dagegen würde, hatte sie sich ausgerechnet, nur eins helfen – Hadlea eine Zeit lang hinter sich zu lassen und anderswo einen Gatten zu suchen, einen, der Mark gleichkam. Und wo konnte das besser gelingen als während der Saison in London? „Ach, ich denke schon eine ganze Weile daran“, sagte sie ausweichend. „Lucy Martindale wird dieses Jahr debütieren, und sie redet von nichts anderem mehr.“ Der Besitz der Martindales lag nur zehn Meilen von Hadlea entfernt, und Sophie kannte Lucinda seit ihrer gemeinsamen Schulzeit. Nicht nur schrieben sie sich regelmäßig, sie besuchten sich auch oft gegenseitig.

„Ich sehe durchaus, dass du ihr da nicht nachstehen möchtest, nur was sagt unser verehrter Herr Vater zu deinem Einfall?“

„Ich habe ihn noch nicht gefragt.“

„Ich bezweifle, dass du ihn dazu überreden kannst. Du weißt, wie schlecht Mama das Reisen bekommt, und ohne sie wird er nicht fahren.“

„Ich weiß.“ Sophie seufzte. „Wenn Papa ablehnt, würdest dann du mich begleiten?“

„Guter Gott! Wer hat dir denn das eingeredet?“

„Niemand. Aber wer könnte es sonst tun?“

„Frag Jane.“ Immer noch pflegten alle Familienmitglieder gewohnheitsmäßig „Frag Jane“ zu sagen, sobald sich ein Problem auftat.

„Jane hat mit ihrem Baby zu tun; sie würde es nicht in der Obhut der Kinderfrau lassen, das weißt du genau, und Issie ist irgendwo auf den Weltmeeren unterwegs. Wenn du bereit bist, mich zu begleiten, kann Papa doch wohl nichts einwenden, oder?“

„Frag ihn erst einmal.“

Sie fand ihren Vater im Morgensalon über der täglich aus London gelieferten Zeitung. Er war gern auf dem Laufenden, wenn auch die Nachrichten zurzeit nicht die besten waren. Überall kam es zu Unruhen, besonders im Norden des Landes mit seinen Industrien, und immer wieder wurde für Reformen des Parlaments demonstriert, aber auch der ungeliebte Prinzregent war ein Thema. Es ging das Gerücht, er wolle sich von seiner Gemahlin scheiden lassen, von der er längst getrennt lebte – ein wahrlich unerhörter Plan und ein schlechtes Beispiel für seine Untertanen. Es hieß auch, dass er nach dem Tod seiner Tochter und seines Enkelkindes unbedingt noch einmal heiraten wolle, um einen rechtmäßigen Erben zu zeugen. Seine Brüder, von denen keiner legitimen Nachwuchs, dafür jedoch reichlich illegitimen hatte, versuchten alle gerade eiligst, sich zu vermählen und Kinder zu zeugen. Doch bisher hatte nur der Duke of Kent dergestalt Fortschritte gemacht, als dass seine Duchess in guter Hoffnung war.

Als seine jüngste Tochter mit strahlendem Lächeln ins Zimmer trat, legte Sir Edward die Zeitung beiseite.

„Papa, liebster Papa!“, begann sie überschwänglich. „Ich habe eine Bitte an dich.“

„Und sie wird mich zweifellos Geld kosten.“ Sir Edward lächelte.

Sophie hockte sich auf die Fußbank neben seinem Sessel. „Ja, das schon, aber ich weiß, du magst mich nicht enttäuschen.“

„Nun, also heraus damit.“

„Ich möchte eine Saison in London.“

„So, so … ich hätte gedacht, du wünschst dir ein neues Kleid oder sonst einen modischen Putz, aber eine Saison! Wie kommst du darauf?“

„Alle jungen Damen von Stand debütieren in London. So finden sie ihre Ehemänner. Du möchtest doch nicht, dass ich als alte Jungfer ende?“

„Ich denke, das steht nicht zu befürchten.“

„Teddy meint, doch. Er sagt, in unserer Gegend gäbe es keinen passenden Gentleman mehr, also muss ich mich anderswo umsehen. Er sagt, er begleitet mich, wenn du nicht kannst.“

„Eine solche Verantwortung würde ich ihm nicht aufbürden wollen, Sophie.“

„Dann werdet ihr mit mir mitkommen, du und Mama?“

„Sophie, eine Saison in diesem Jahr – oder wann immer – steht nicht zur Debatte. Als Landadel streben wir nicht solche gesellschaftlichen Höhen an. Es würde eine gewaltige Summe kosten, die ich leider nicht erübrigen kann. Keine deiner Schwestern hat eine Saison mitgemacht …“

„Aber sie durften eine Zeit lang zu Tante Emmeline.“

„Sophie, ihr Besuch dauerte nicht länger als höchstens zwei Wochen, und sie waren nicht in der Stadt, um zu debütieren, wie du sehr gut weißt. Jane und Isabel haben ihre Ehemänner auch ohne Bälle und Soireen und Teegesellschaften gefunden.“

„Ja, aber wo soll ich jemandem wie Mark oder Drew begegnen, wenn nicht in London, wo solche Gentlemen anzutreffen sind?“

„Ich schätze die beiden über die Maßen, aber warum willst du unbedingt einen Mann wie Mark oder Andrew?“

Das war ihr Geheimnis, daher sagte sie nur: „Sie sind mein Ideal.“

Ihr Vater lachte. „Sophie, du wirst beizeiten den richtigen Mann für dich finden. Es eilt doch nicht. Du bist gerade erst neunzehn, und unangebrachte Eile endet meistens im Unglück.“

„Also wirst du mich nicht nach London lassen?“

„Nein, so leid es mir tut. Und nun würde ich gern meine Zeitung lesen.“

Tief enttäuscht verließ Sophie den Salon und machte sich auf die Suche nach ihrer Mutter. Lady Cavenhurst war im Garten und schnitt Narzissen. Sophie schüttete ihrer Mutter ihr Herz aus. „Liebste Mama, wirst du Papa überreden? Du weißt doch, wie wichtig die richtigen Beziehungen für eine junge Dame sind. In einem ländlichen Ort wie Hadlea besteht keine Hoffnung für mich, einen passenden Ehemann zu finden.“

Ungerührt fuhr Ihre Ladyschaft mit ihrer Tätigkeit fort. „Woher dieser plötzliche Drang zu heiraten, Sophie?“

„Es ist nicht plötzlich. Ich denke schon daran, seit Jane und Issie geheiratet haben, und finde, dass es nun an der Zeit wäre, nach einem Mann wie Mark oder Drew Ausschau zu halten.“

„Du strebst ein hohes Ziel an, Kind.“

„Und warum nicht? Ist das falsch?“

„Nein, Liebes, natürlich nicht.“

„Wirst du mit Papa reden? Tante Emmeline würde mich doch aufnehmen, nicht wahr?“

„Tante Emmeline ist eine alte Dame, Sophie. Ich glaube kaum, dass sie noch oft in Gesellschaft geht.“

„Teddy sagt, dass er mich begleiten würde. Willst du also mit Papa reden?“

Ihre Mutter seufzte. „Also gut, aber du weißt, dass er sich nicht umstimmen lässt, wenn seine Meinung einmal feststeht, und ich werde ihn nicht bedrängen.“

„Danke, Mama.“

Mit diesem Zugeständnis musste Sophie sich vorerst zufriedengeben. Sollte es bei einem Nein bleiben, würde sie weitere Argumente in Stellung bringen müssen. Sie eilte ins Haus, holte sich Hut und Schal und machte sich auf, ihre Schwester auf Broadacres zu besuchen.

Broadacres war ein prächtiger Landsitz etwa drei Meilen von Greystone Manor entfernt, nicht so alt wie Greystone Manor, jedoch viel imposanter. Die lange Auffahrt mündete auf dem Vorplatz des weitläufigen Gebäudes, dessen wahrhaft eindrucksvolle Fassade mit Dutzenden hoher Fenster prunkte. Breite, vorspringende Stufen führten zu einem gewaltigen Eichenportal. Die Halle war mit Fliesen im Schachbrettmuster ausgelegt, und eine Prachttreppe wand sich ins obere Geschoss. Ein Lakai ließ Sophie ein. „Ihre Ladyschaft ist wahrscheinlich im Kindertrakt“, klärte er sie auf. „Soll ich hinaufgehen und Sie anmelden?“

„Nicht nötig, ich finde mich zurecht.“

Sophie kannte das Haus und eilte hinauf zu den Kinderzimmern, wo sie ihre Schwester auf dem Boden sitzend vorfand, in ein Spiel mit ihrem zehnmonatigen Söhnchen vertieft. Bei ihrem Eintreten rappelte Jane sich hoch. „Sophie, du? Was bringt dich her? Es ist doch zu Hause alles in Ordnung?“

„Aber ja, wir sind alle wohlauf. Darf ich nicht einfach meine Schwester besuchen?“

„Natürlich, jederzeit, das weißt du doch.“ Jane holte ihr Söhnchen aus einem Schrankfach heraus, in das der Kleine neugierig gekrabbelt war. „Ich wollte Harry gerade ausfahren, damit er ein wenig an die frische Luft kommt. Willst du mich begleiten?“

„Ja, gern.“

Die Kinderfrau wurde angewiesen, das Kind warm anzuziehen und es an den hinteren Ausgang zu bringen, wo sein Kinderwagen stand.

„Und nun erzähl, was es auf Greystone Neues gibt.“ Gemeinsam gingen die Schwestern zu Janes Räumen, damit diese sich für den Ausgang umkleiden konnte.

Sophie zuckte die Schultern. „Gar nichts. Es ist langweilig wie immer. Ich möchte nach London und habe Papa gebeten, mir eine Saison zu erlauben.“

„Und du meinst, das würde dir die Langeweile vertreiben?“

„Aber natürlich! Und vielleicht fände ich einen Ehemann.“

„Vielleicht. Vielleicht fändest du aber auch einen hier in Norfolk.“

„Teddy sagt, ich hätte alle infrage kommenden Gentlemen abgewiesen.“

Jane lachte. „Wie viele Anträge hast du bekommen?“

„Also, da war Mr. Richard Fanshawe, der unglaublich schlechte Manieren hat und eingeschnappt davonstürmte, als ich ihm einen Korb gab. Dann Sir Reginald Swayle, der sich als Dandy gebärdet, aber nur lächerlich wirkt, und dann Lord Gorange, der nun wirklich uralt und Witwer ist und zwei Kinder hat. Ich staune, dass Vater ihm überhaupt gestattet hat, mit mir zu sprechen. So jemanden kann ich nicht heiraten, verstehst du?“

„Ja, absolut. Was sagte Papa wegen der Saison?“ Jane trat vor den Spiegel und band die Bänder ihres Schutenhuts zu einer Schleife unter dem Kinn.

„Er lehnte mein Ansinnen rundheraus ab.“

Sie gingen hinunter, wo die Kinderfrau schon mit Harry wartete, der in seinem Wägelchen saß und jedermann anstrahlte. „Er wird bald laufen können“, erkläre Jane stolz, als sie ihn ins Freie und einen Pfad entlangschob, der in die Gartenanlagen führte. „Er zieht sich schon an den Möbeln hoch. Und er sagte ‚Papa‘, als Mark neulich ins Kinderzimmer kam.“ Sie lachte glücklich. „Mark ist ganz vernarrt in seinen Sohn.“

„Ja, ich weiß, ebenso vernarrt wie du. Ich behaupte, dass die Kinderfrau viel zu wenig zu tun hat.“

„Ich bin gern bei meinem Kind, Sophie, und wäre es den ganzen Tag. Aber ich habe noch andere Pflichten, die meine Zeit in Anspruch nehmen, und dann hat Tilly alle Hände voll zu tun.“

Sophie wusste, dass Jane außer ihrem Gatten, ihrem Kind und ihrem Heim einer weiteren Aufgabe nachging – das Waisenhaus, das sie in der Nähe von Witherington gegründet hatte. Dort verbrachte sie viel Zeit, weil sie bei der Erziehung der Kinder half. „Du würdest Harry nicht eine Weile hierlassen und mit mir nach London kommen?“

„Nein, Sophie, wirklich nicht. Bist du deshalb hergekommen – um mich zu überreden, dich zu begleiten?“

„Ich dachte mir schon, dass du nicht willst. Teddy würde mit mir mitkommen, aber Papa sagt, er ist der Verantwortung nicht gewachsen.“

„Da hat er nicht unrecht.“

„Ich weiß gar nicht, was ihr alle gegen Teddy habt! Seit er aus Indien zurück ist, beträgt er sich mustergültig.“

Jane lachte. „Kaum. Anscheinend hat er das ganze Geld durchgebracht, das ihm nach der Rettung Greystones noch übrig blieb.“

„Immerhin hat er nichts Ungehöriges angestellt, und wenn wir bei Tante Emmeline wohnen …“

„Ah, du hast dir schon alles zurechtgelegt, nicht wahr? Also, was soll ich für dich tun, heraus mit der Sprache?“

„Überzeuge Papa, dass Teddy gut auf mich aufpassen wird. Mama sagt, sie würde ihr Möglichstes tun, aber es wäre sicher hilfreich, wenn du auch noch einmal mit Papa sprächest.“

„Was zieht dich so plötzlich nach London?“

„Es ist nicht plötzlich. Seit du und Issie dort wart, befasse ich mich mit der Möglichkeit, und immer gab es gute Gründe dagegen. Aber ich sehe nicht ein, warum es dieses Jahr nicht gehen sollte. Ich war noch nie in London. Du schon, mehrmals sogar, und Issie hat inzwischen die ganze Welt gesehen. Das ist so ungerecht. Ich werde als alte Jungfer enden.“

„Ah, Sophie, das ist höchst unwahrscheinlich“, sagte Jane lachend. „Es gibt nicht viele junge Damen, die sich in deinem Alter rühmen können, gleich drei Heiratsanträge bekommen zu haben.“

„Aber keinen von dem richtigen Mann.“

„Wie soll denn der Richtige sein? Nur denk daran, vollkommen ist keiner.“

„Er muss nicht vollkommen sein, das wäre öde. Aber er muss mich lieben und ich ihn, so wie ihr, du und Mark, euch liebt.“

„Das ist selbstverständlich, aber wie muss er denn sein, damit du ihn liebst?“

„Nun, hochgewachsen und gut aussehend und stattlich …“

„Auch das versteht sich von selbst.“

Sophie merkte sehr wohl, dass ihre Schwester sie neckte, trotzdem fuhr sie fort: „Er muss gütig und großherzig sein und verlässlich.“

„Bewundernswerte Eigenschaften. Ich darf dich loben für so viel Vernunft.“

„Aber er sollte auch aufregend sein, er muss mein Herz schneller schlagen lassen, sollte mich manchmal überraschen …“

„Es gibt auch unangenehme Überraschungen.“

„Ich meine natürlich angenehme. Du nimmst mich nicht ernst!“

„Ganz im Gegenteil, wirklich! Nur wirst du vielleicht feststellen, dass der Mann, in den du dich verliebst, ganz anders ist – oder teilweise anders. Man kann die Liebe nicht in Auftrag geben wie ein Paar Schuhe oder einen neuen Hut. Sie überkommt einen einfach.“

„Das weiß ich, aber wie soll mir das je in Hadlea passieren?“

„Mir ist es hier passiert.“

„Ja, aber es gibt nur einen Mark.“

„Richtig.“ Jane lächelte. „Ich sehe, du hast dich darauf versteift. Ich werde Mark fragen, was er darüber denkt, und wenn er nichts Nachteiliges darin sehen kann, rede ich mit Papa.“

„Oh, du bist die beste aller Schwestern! Danke, danke!“

Zuversichtlich, dass sie Erfolg haben würde, wandte Sophie sich anderen Themen zu – Klatschgeschichten und Mode, den neu erworbenen Fähigkeiten Harrys, den Kindern im Waisenhaus und der Frage, wo Isabel wohl gerade weilte und wann sie sie endlich wiedersehen würden.

„Den letzten Brief schrieb sie aus Indien, doch sie waren gerade im Aufbruch begriffen“, erzählte Jane aufgeräumt. „Habt ihr seitdem neue Nachrichten?“

„Nein, Mama bekam den gleichen Brief. Teddy sagt, Drew denkt daran, ein weiteres Schiff zu kaufen. Wenn sie zum Beginn der Saison wieder in England wären, würden sie mich vielleicht unterstützen.“ Die Bemerkung zeigte, dass ihre Gedanken nie weit von ihrem Wunsch zu debütieren abwichen. „Aber darauf kann ich mich nicht verlassen.“

„Nein, besser nicht.“

Sie kehrten um und gaben, beim Haus angekommen, Harry wieder in die Obhut der Kinderfrau. Jane läutete nach Tee. „Mark ist nach Norwich gefahren“, erklärte sie die Abwesenheit ihres Gatten. „Anscheinend nehmen ihn seine Geschäfte länger in Anspruch, als er voraussehen konnte. Wenn er zurück ist, werde ich mit ihm reden, Sophie, versprochen, aber erwarte keine Wunder.“

Zwei Tage später trafen Mark und Sophie mit ihrem Sohn zu einem Besuch auf Greystone ein. Das war nicht ungewöhnlich; die kleine Familie kam regelmäßig, doch Sophie ging sofort davon aus, dass sie ihretwegen gekommen waren, und eilte in den Salon. „Ich freue mich so, euch zu sehen!“, rief sie überglücklich, nahm Harry seiner Mutter ab und setzte sich mit ihrem kleinen Neffen auf die Chaiselongue.

„Wir alle freuen uns“, korrigierte ihre Mutter sie lächelnd, „Aber ich ahne, dass dein Enthusiasmus etwas mit deinem Wunsch nach einer Saison zu tun hat. Richtig?“

„Ich dachte, Jane könnte mich unterstützen.“

Lady Cavenhurst wandte sich ihrer ältesten Tochter zu. „Habt ihr denn vor, für die Saison nach London zu fahren?“

„Nein, Mama, ich würde Harry oder das Waisenhaus nicht so lange allein lassen, aber soweit ich hörte, ist Teddy bereit, Sophie zu begleiten.“

„Ich weiß nicht, wie es ihr gelungen ist, ihn zu überreden.“ Ihre Ladyschaft schüttelte den Kopf. „Eigentlich hätte ich es nicht von ihm erwartet.“

„Warum nicht?“ Sophie sah ihre Mutter fragend an.

„Die Verantwortung könnte ihm zu viel werden. Außerdem ist er zu jung. Du brauchst jemanden, der weiß, was sich für eine junge Dame gehört, und darauf achtet, dass du nicht in unangenehme Situationen gerätst, die deinem Ruf schaden könnten.“

„Ich weiß darüber Bescheid, und ich kann selbst auf mich aufpassen.“ Sophie setzte sich gerade auf. „Und ich bin mir sicher, Teddy weiß es auch. Außerdem wird Tante Emmeline mich chaperonieren und darauf schauen, dass ich die richtigen Leute treffe, nicht wahr?“

„Was meinst du, Jane?“, wandte ihre Mutter sich an ihre älteste Tochter.

Jane dachte nach. „Ich weiß wirklich nicht. Hast du mit Teddy gesprochen?“

„Er wäre bereit dazu, aber da sind noch die Kosten. Eine Saison ist teuer.“

„Geld ist kein Problem.“ Mark äußerte sich zum ersten Mal. „Ich werde Sophies Debüt gern finanzieren, aber nur, wenn sie eure ausdrückliche Erlaubnis bekommt.“

„Ach, Mark“, rief Sophie mit glänzenden Augen, „das würdest du tun?“

„Ja, wenn deine Eltern zustimmen.“

„Du bist mehr als großzügig, Mark.“ Ihre Ladyschaft lächelte dankbar. „Vielleicht sprichst du mit Sir Edward. Du findest ihn in der Bibliothek. Richte ihm aus, dass gleich der Tee serviert wird und er sich uns bitte anschließen möchte.“

Mark erhob sich und ging seinen Schwiegervater suchen.

„Ach, ich kann es gar nicht erwarten!“ Seufzend drückte Sophie ihren Neffen an ihr Herz. Als der Kleine sich sträubte, setzte sie ihn auf den Boden nieder, wo er eilig zu seiner Mutter krabbelte, die ihn auf ihren Schoß hob.

„Es ist noch nicht ausgemacht“, mahnte Jane bedächtig. „Wir müssen an Tante Emmeline denken. Möglicherweise geht es ihr nicht so gut, dass sie dich aufnehmen kann. Als wir bei ihr waren, pflegte sie leicht zu ermüden. Falls du bei ihr wohnen darfst, musst du viel Rücksicht üben.“

Eine Bedienstete servierte den Tee und entfernte sich wieder. Gleich darauf trat Sir Edward in den Salon, gefolgt von Mark und Teddy. Letzterer kam von einem Ausritt und trug noch Reitkleidung. „Verzeih, Mama“, bat er mit einem schiefen Lächeln, „ich gehe sofort nach oben und ziehe mich um. Es dauert nicht lange.“

Ohne ihren Bruder zu beachten, wandte Sophie sich an ihren Vater: „Nun, Papa? Darf ich nach London?“

Aufseufzend nahm Sir Edward neben seiner Gemahlin Platz. „Mir scheint, du hast deine Truppen gut aufgestellt, Kind. Ihr habt mich ausmanövriert.“

„Du meinst, ich darf?“ Sophie sprang auf, umarmte ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Oh, danke, Papa, ich danke dir!“

Sanft löste ihr Vater sich von ihr. „Mark solltest du danken. Er muss nächsten Monat geschäftlich nach London, sagt er, und wird dich und Teddy in seiner Kutsche mitnehmen und sicher bei Tante Emmeline abliefern. Dort werden dann deine Tante und dein Bruder dafür sorgen müssen, dass dir nichts zustößt.“

Sophie wandte sich Mark zu. „Mark, du bist der gütigste, großzügigste Schwager der Welt. Ich wäre höchst zufrieden, wenn ich einen Gatten wie dich fände.“

„Sophie!“, mahnte Ihre Ladyschaft leise.

Mark lachte, um seine Verlegenheit zu überspielen. „Du wirst schon den Richtigen treffen. Sei nur nicht so ungeduldig.“

Teddy, nun in angemessener Kleidung, kam zurück. „Ist es entschieden?“ Fragend schaute er zwischen den Eltern hin und her.

„Ja.“ Sein Vater nickte. „Vorausgesetzt, du weißt, was von dir erwartet wird.“

„Meine kleine Schwester hüten und dafür sorgen, dass sie keinen Unsinn macht.“

„Genau. Und selbst keinen Unsinn machen. Kein Glücksspiel!“

„Was, gar nicht? Das ist aber ziemlich hart, finde ich.“

„Auf Gesellschaften, mit niedrigen Einsätzen oder mit Spielmarken, spricht nichts dagegen“, gestand sein Vater ihm zu. „Und nur, wenn währenddessen eure Tante für Sophie als Anstandsdame zur Verfügung steht. Aber keine Spielhöllen!“

„Das meinte ich natürlich.“

„Dann darfst du, sofern Emmeline einwilligt, deine Schwester nach London begleiten. Bessie wird mitfahren.“ Bessie Sadler war Lady Cavenhursts Zofe und stand seit vielen Jahren in ihren Diensten. Sie näherte sich dem Ruhestand und lernte gerade eine junge Nachfolgerin an. Von den Familienmitgliedern abgesehen kannte niemand Sophie besser als sie, und sie würde eher merken, wenn etwas nicht stimmte, als die Tante oder Teddy.

Sophie, die in Freude und Trübsinn gleichermaßen zu Überschwang neigte, sprang auf und beeilte sich, jedem einzelnen Familienmitglied ihren Dank auszusprechen. Ihr glückliches Lächeln steckte alle andern an.

Dann wandte sich das Gespräch dem Waisenhaus zu. Es wurden Geldmittel gebraucht, die zu beschaffen Jane sich zur Aufgabe gemacht hatte. Derselbe Grund führte Mark nach London; er wollte dort seine Verbindungen nutzen, um weitere Gelder aufzutun.

Schon bald erhielt Lady Cavenhurst von Tante Emmeline eine Antwort auf ihr Schreiben, die besagte, dass sie Sophie und Teddy nur zu gern aufnehmen werde. Sie gehe nicht mehr oft aus, wolle Sophie aber gern Freunden vorstellen, denen sie sich zu bestimmten Unterhaltungen anschließen könne, sofern ihr das genügen werde.

Bis zum Reiseantritt war es noch einen Monat hin, und Sophie verbrachte die Zeit mit Träumereien darüber, was sie alles unternehmen, an welchen Bällen und sonstigen Vergnügungen sie teilnehmen und was für Verehrer sie finden würde. Natürlich überlegte sie auch, was an Kleidung angebracht wäre. Nicht dass es ihr daran gemangelt hätte, doch als sie ihre Garderobe inspizierte, stellte sie betrübt fest, dass kaum etwas davon gut genug war für eine erste Saison, während der sie stets besonders hübsch aussehen musste. Für Norfolk waren ihre Tageskleider ganz passabel, aber für London fand Sophie sie zu nichts nütze, außer um damit dem ton zu beweisen, was für ein Landei sie war. Ein einziges elegantes Abendkleid besaß sie – sie hatte es auf Janes und Isabels Doppelhochzeit getragen – und außerdem ein Nachmittagskleid aus blauer, gekreppter Seide, das für Harrys Taufe geschneidert worden war. Doch zwei Kleider reichten bei Weitem nicht aus.

Glücklicherweise kam Jane zu ihrer Rettung, noch ehe sie Mut genug gefasst hatte, ihrem Vater eine weitere Bitte vorzutragen.

„Mark ist so großzügig“, sagte ihre Schwester eines Tages, als Sophie sie besuchte, um ihr Unglück zu beklagen, „ständig drängt er mich, mir neue Kleider zu kaufen. Meine Schränke platzen aus allen Nähten, so viele Sachen sind darin, die ich im Leben nicht mehr tragen werde. Wir können dir einige davon anpassen und ändern, sodass sie der neuesten Mode entsprechen.“

Das war fast so gut, wie eine ganz neue Ausstattung anzuschaffen, und bald waren sie eifrig mit Nadel, Faden und modischem Zubehör beschäftigt. Jane konnte wunderbar nähen, und während sie ein Kleid nach dem anderen entsprechend der neuesten Mode verwandelte, bedauerte Sophie bald nicht mehr, dass sie keine neue Garderobe bekam, denn niemand würde bemerkten, dass die Sachen nicht extra für sie angefertigt worden waren. Nur ihr Schuhwerk würde sie kaufen müssen, da Jane größere Füße hatte als sie, doch dafür aufzukommen erklärte Sir Edward sich gern bereit, dankbar, ihr ansonsten nur ein Taschengeld zur Verfügung stellen zu müssen.

„Ich habe ein kleines Geschenk für dich“, sagte Jane, als wäre ein Berg Kleider, würdig einer Königin, noch nicht ausreichend. „Da, trag das zu der blauen Abendrobe.“ Sie reichte Sophie eine kleine Schatulle mit einem zauberhaften, mit Saphiren und Diamanten besetzten Collier. „Es passt farblich genau dazu.“

„Jane! Wie wunderschön! Aber du darfst mir den Schmuck nicht geben, wo du ihn doch von Mark geschenkt bekommen hast.“

„Er hat es sogar angeregt, Sophie, sobald er den blauen Stoff sah, an dem ich arbeitete. Ich habe so viel Schmuck, ich kann das Stück entbehren.“

Stürmisch umarmte Sophie ihre Schwester. „Das sieht Mark ähnlich! Sag ihm bitte meinen Dank. Mit eurer Hilfe werde ich die Ballkönigin sein!“

„Das hoffe ich für dich. Aber, Sophie, ich muss dich ermahnen, betrag dich anständig, wenn du bei Tante Emmeline bist. Zu viel Stolz wird dir nicht weiterhelfen. Allerdings darfst du auch nicht zu ehrerbietig sein. Denk dran, du bist eine Cavenhurst.“

Sophie lächelte. „Keine Angst, liebste Jane, das werde ich.“

Eine überglückliche Sophie verabschiedete sich ein paar Tage später frühmorgens von ihren Eltern und Jane und kletterte in Marks Reisekutsche. Es war Ende Mai, und endlich, endlich ging es los! Einzig das Wetter zeigte sich enttäuschend, denn es war bitterkalt geworden, und Sophie musste einen warmen Mantel über ihrem neuen Reiseensemble tragen. Sie brauchte sogar einen Pelzmuff für ihre kalten Hände und einen heißen Ziegel für ihre Füße.

Die Fahrt dauerte zwei ganze Tage, doch da die Kutsche bequem war und die Pferde bei jeder Rast gewechselt wurden, verging die Zeit recht angenehm.

Am Abend des zweiten Tages trafen sie in London ein. Mark schickte den Kutscher samt Chaise zu seinem Stadtpalais in der South Audley Street voraus und begrüßte gemeinsam mit den Geschwistern Lady Cartrose in ihrem Haus in der Mount Street.

Ihre Ladyschaft, fülliger denn je, strömte über vor Herzlichkeit. „Willkommen, mein Kind“, sagte sie zur Begrüßung, fasste Sophie bei den Händen und begutachtet sie von Kopf bis Fuß. „Meine Güte, bist du hübsch geworden! Wir werden dich mühelos unter die Haube bringen!“

Dann wandte sie sich Teddy zu und unterwarf ihn der gleichen Musterung. „Ich weiß nicht, wann ich dich zuletzt gesehen habe, junger Mann. Es muss auf der Hochzeit deiner Schwestern gewesen sein. Du bist noch nicht verlobt?“

„Nein, Tante Emmeline.“

„Wir werden sehen, was da zu tun ist. Viele meiner Freunde haben schöne Töchter.“

„Ich bin nicht hier, um eine Braut zu finden, sondern als Sophies Eskorte“, erklärte Teddy unmissverständlich.

„Pah!“ Lady Cartrose wandte sich Mark zu. „Mylord, herzlich willkommen. Wie geht es meiner lieben Jane? Und dem kleinen Harry? Eines Tages habe ich hoffentlich die Freude, ihn kennenzulernen. Sie werden zum Supper bleiben, nicht wahr? Dann können Sie mir von ihm erzählen.“

Mark lehnte die Supper-Einladung ab, blieb jedoch zum Tee und beantwortete die Fragen Ihrer Ladyschaft zu Jane und ihrem Sohn. Ungeduldig wartete Sophie darauf zu erfahren, was alles sie während ihres Aufenthalts unternehmen würden, und warf in einer Gesprächspause ein: „Was hast du für morgen geplant, Tante Emmeline?“

„Nichts Besonderes, Kind; ich dachte, dass du nach der Reise vielleicht ein wenig müde sein würdest. Höchstens am Nachmittag eine Kutschfahrt durch den Hyde Park, wenn du magst, sofern es ist nicht zu kalt ist. Speisen werden wir daheim.“

Sophie, die gleich vom Anfang ihres Aufenthalts an ein ganzes Bündel aufregender Unternehmungen erwartet hatte, reagiert gedämpft. Es war so langweilig wie daheim. Mark lächelte ihr zu. „Tröste dich, Sophie, am nächsten Tag wirst du umso frischer sein, wenn du dich in das Londoner Gesellschaftsleben stürzt. Bestimmt wirst du die Stadt im Sturm erobern.“

„Aber gewiss“, meinte die alte Dame, „Sophie wird glänzen. Eine gute Freundin von mir, Mrs. Malthouse, hat eine Tochter in Sophies Alter. Cassandra ist ein liebes, süßes Mädchen und debütiert dieses Jahr ebenfalls. Später in der Saison werden die Malthouses einen großen Ball für sie geben. Und nächste Woche laden die Rowlands zu einer Tanzgesellschaft, was für eine junge Dame, die noch nicht debütiert hat, eine gute Gelegenheit bietet, ihre Schrittfolgen zu üben. Ohne Zweifel wird Augusta eine Einladung schicken, wenn ich sie darum bitte.“

Das klang schon besser, und Sophie dankte ihrer Tante artig und stellte stumme Überlegungen darüber an, welche Robe sie tragen sollte.

An diesem Punkt verabschiedete Mark sich, nicht ohne einer Einladung zum Dinner am nächsten Tag zugestimmt zu haben, und da der Abend noch jung war, beschloss Teddy auszugehen. Ihrer Tante und deren Gesellschafterin Margret Lister überlassen, beschloss Sophie, ihren Eltern und Jane wie versprochen per Brief von ihrer sicheren Ankunft zu berichten. Anschließend ging sie zu Bett und träumte von den kommenden Vergnügungen.

Noch vor ein paar Jahren hätte die Tatsache, dass Adam Trent, Viscount Kimberley in der Stadt eingetroffen war, die jungen Damen des ton – und auch einige der verheirateten – in Aufregung versetzt. Lange Zeit hatte der stattliche, wohlhabende junge Gentleman als Zierde der Clubs und Salons der Hauptstadt gegolten, und Mütter von Debütantinnen waren reihenweise in Unruhe und Rivalität verfallen, während ihre Töchter ihm hinterhergeseufzt und davon geträumt hatten, ihn für sich zu gewinnen.

„Achtundzwanzig und immer noch ledig? Wie bist du dem Ehejoch so lange entronnen?“, hatte sein Cousin Mark ihn neckend gefragt.

„Ganz einfach. Bisher habe ich keine Frau getroffen, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Und außerdem bin ich zu beschäftigt.“ Zu dem Zeitpunkt war ihm nämlich gerade durch den Tod seines Vaters der Titel mitsamt dem dazugehörigen Landsitz in Yorkshire zugefallen, wodurch seine Attraktivität zweifellos noch gestiegen war. Dann jedoch hatte er etwas in den Augen des ton Unverzeihliches getan und Anne Bamford geheiratet, die Tochter eines Wollspinnereibesitzers. Niemand hatte gewusst, ob es sich um eine Liebesheirat handelte oder ob er nur seinen Reichtum vergrößern wollte, doch seitdem war er nicht mehr so gut angesehen.

Nicht lange nach der Heirat hatte sein Schwiegervater das Zeitliche gesegnet und Adam die Spinnerei geerbt. Im Jahr darauf war seine junge Frau zusammen mit dem neugeborenen Sohn im Kindbett gestorben, und seitdem war er wieder allein. Um den Verlust zu überwinden, stürzte er sich ganz in seine Arbeit, sowohl in der Spinnerei als auch auf seinem Landgut. In London sah man ihn kaum noch.

An diesem Abend nun schlenderte er die South Audley Street Richtung Piccadilly entlang, als sein Cousin ihm entgegenkam. „Mark!“, rief er erfreut, „welch ein Wunder! Dass wir uns hier treffen!“

Mark, der gerade einer Schlammpfütze auswich, sah auf, als er seinen Namen hörte. „Du lieber Himmel! Adam! Was machst du in der Stadt?“

„Dringende Geschäfte, sonst wäre ich nicht hier.“

„Ich hörte vom Tod deiner Frau. Mein Beileid.“

„Ja, es war eine schlimme Zeit. Ich bin nur damit fertiggeworden, indem ich mich in die Arbeit gestürzt habe.“ Das war eine gewaltige Untertreibung, doch Adam neigte nicht dazu, seine Gefühle zur Schau zu stellen. Es war einfacher, zu tun, als hätte man keine.

Mark schüttelte den Kopf. „Nur Arbeit und kein Spaß ist ungesund. Und das Trauerjahr ist vorbei.“

„Man kann Trauer nicht einfach abbrechen, Mark.“

„Nein, natürlich nicht, wie taktlos von mir, entschuldige.“

„Schon in Ordnung. Ich wollte zu White’s. Magst du dich mir anschließen?“

Was Mark tat, und bald saßen sie in dem wohlbekannten Etablissement beim Supper. „Wie ist das Eheleben?“, erkundigte Adam sich. „Tut mir leid, dass ich die Hochzeitseinladung ablehnen musste, aber ich hatte gerade erst die Leitung der Spinnerei übernommen, und es gab eine Menge Vorbehalte auszuräumen. Es herrschte – herrscht noch immer – große Unruhe unter den Arbeitern, und ich musste meine Leute überreden, sich nicht dem Marsch nach London anzuschließen.“

Dieser Marsch vom industriell geprägten Norden nach London, zwei Jahre zuvor von den Webern aus Lancashire organisiert, hatte den Zweck gehabt, dem Prinzregenten eine Petition zu der verzweifelten Lage in der Textilindustrie zu übergeben und gegen die Aussetzung der Habeas-Corpus-Akte zu protestieren, infolge der jeder sogenannte Unruhestifter ohne Anklage festgenommen werden konnte. Militär hatte die Versammlung zerschlagen und die Anführer inhaftiert, und die Petition war dem Regenten nie vorgelegt worden.

Mark lehnte sich zurück. „Gelang es dir?“

„Leider nein. Sie werden erst zufrieden sein, wenn sie ein Wort zur Gestaltung ihrer Zukunft mitreden können. Wenn man sie nicht bald anhört, befürchte ich, wird es in einer Katastrophe enden.“

„Doch sicherlich nicht bei deinen Leuten? Du stehst in dem Ruf, ein wohlwollender Arbeitgeber zu sein.“

„Ich tue mein Bestes. Trotzdem werden ein paar Heißsporne versuchen, denen, die sich abseits halten wollen, Angst vor Vergeltungsmaßnahmen zu machen.“

„Was kannst du dagegen tun?“

Adam zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich zahle ihnen schon mehr als den üblichen Lohn, und sie bekommen ein Mittagsmahl, doch dafür kritisieren mich die anderen Arbeitgeber, da ich angeblich ein schlechtes Beispiel gebe und das Geschäft generell ruiniere. Ich sitze zwischen zwei Stühlen, hoffe aber, durch andere Mittel Ärger vermeiden zu können.“

„Die Miliz?“

„Nein, das ist der letzte Ausweg. Wenn man Soldaten loslässt, werden meistens Unschuldige verletzt. Nein, ich will im House of Lords sprechen, weil ich hoffe, dass die Regierung der Vernunft zugänglich ist und zumindest ein paar Forderungen erfüllt.“

„Meinst du, es gelingt?“, fragte Mark nach einer Pause.

„Eher nicht, aber versuchen muss ich es. Wenn ich genug einsichtige Leute auf meine Seite bringe, kann ich vielleicht etwas bewirken. Die Zeiten ändern sich, Mark, also müssen auch wir uns ändern oder untergehen. Seit ich die Spinnerei geerbt habe, versuche ich mich in die Lage meiner Arbeiter zu versetzen. Ich habe die Arbeitszeit der Kinder um die Hälfte gesenkt, ein Schulzimmer für sie eingerichtet und einen Lehrer eingestellt, der sie unterrichtet. Selbst das wird nicht von allen gut aufgenommen. Selbst einige Eltern beschuldigten mich, ihren Kindern Flausen in den Kopf zu setzen. Meine Antwort darauf war, auch die Erwachsenen zu bilden. Das verärgert die anderen Spinnereibesitzer heftig, die befürchten, mehr Wissen mache ihre Arbeiter nur umso rebellischer.“

„Ich dächte ja, dass jemand, der lesen und schreiben kann, insgesamt tüchtiger ist.“

„Genau mein Argument! Jeder Mensch müsste das Recht haben, etwas aus sich zu machen.“ Adam unterbrach sich. „Aber betätigst du dich nicht auf ähnliche Weise?“

Mark nickte. „Wir haben ein Waisenhaus gegründet, ebenfalls mit Schulzimmer und Lehrkräften. Das Projekt ist eher das meiner Gemahlin als meines, aber ich helfe ihr, wo ich kann. Angefangen hatte es mit kaum einer Handvoll Kindern, doch daraus wurden viele, und es werden immer noch mehr. Wir müssen erweitern. Ich bin hier, um einen Architekten zu finden und weitere Mittel zusammenzubringen. Durch die große Teuerung ist es schwer geworden, alles am Laufen zu halten.“

„Aber ihr kommt über die Runden? Broadacres ist doch ein blühender Besitz.“

„Richtig, aber Jane will das Hadlea-Heim unbedingt auf eigene Füße gestellt sehen, und ich beuge mich ihren Wünschen und unterstütze das Vorhaben ganz allgemein. Natürlich ist es für mich obligatorisch, den Besitz für meinen Sohn zu erhalten, daher kann ich nicht endlos für das Waisenhaus geben.“

„Also bist du Vater geworden.“

„Ja, Harry ist jetzt zehn Monate und Janes Ein und Alles.“

„Und deines zweifellos. Wie du weißt, verlor ich mein Kind.“

„Das tut mir schrecklich leid. Aber du wirst wieder heiraten und Kinder haben.“

„Wohl kaum. Es gibt nur eine Anne.“

„Das stimmt, nur weißt du, wir alle sind einmalige Wesen, lieben und werden aus unterschiedlichsten Gründen geliebt. Daher ist eine zweite Frau nicht ausgeschlossen.“

„Als Anne so grausam und unter Schmerzen starb, schwor ich mir, es nicht noch einmal so weit kommen zu lassen.“ Adam brach ab, außerstande, weiter über seinen Verlust zu reden, den niemand, dem es nicht ebenso ergangen war, verstehen konnte. Schließlich fragte er ablenkend: „Wie wäre es mit einer Partie Whist?“

„Heute nicht mehr, Cousin. Ich habe meine junge Schwägerin nach London gebracht, zu ihrer Tante in die Mount Street, und war noch gar nicht in meinem Stadthaus. Die Dienerschaft erwartet mich. Wo bist du untergebracht?“

„Im ‚Grillon‘. So selten, wie ich in der Stadt bin, sehe ich keinen Grund, hier ein eigenes Haus zu unterhalten.“

„Dann wohne doch bei mir in Wyndham House. Natürlich kannst du kommen und gehen, wie es dir beliebt.“

Angenehme Gesellschaft zu haben und dazu eine mehr als respektable Adresse, während er hier seinen Geschäften nachging, würde ihm sehr gelegen kommen. Adam nickte langsam. „Sehr gern, Mark, vielen Dank!“

Sie verließen den Club; Mark ging nach Hause, um dafür zu sorgen, dass die Dienerschaft alles für den Besuch herrichtete, und Adam eilte ins Hotel, um seine Rechnung zu begleichen und seinen Kammerdiener anzuweisen, das Gepäck nach Wyndham House zu schaffen.

2. KAPITEL

Als Sophie am nächsten Morgen erwachte, war es immer noch kalt, aber wenigstens schien die Sonne. Bessie war schon eifrig dabei, ihr warme Kleidung herauszulegen. „Wie kalt es ist für Mitte Mai!“, sagte sie fröstelnd. „Man könnte denken, es wäre mitten im Winter und nicht schon bald Sommeranfang. Glauben Sie, Sie werden heute ausgehen, Miss Sophie?“

„Auf jeden Fall. Wenn Tante Emmeline nicht mit möchte, werde ich Teddy bitten, mich auszuführen. Ich bin nicht nach London gekommen, um im Haus zu sitzen.“

Da Bessie darauf bestand, legte Sophie statt des von ihr bevorzugten Musselinkleides ein wärmeres zartblaues Wollkleid an und begab sich ins Morgenzimmer, wo sie ihr Frühstück einnahm. Lady Cartrose pflegte lange zu schlafen, und als Sophie einen Diener fragte, ob Mr. Cavenhurst schon auf sei, erfuhr sie, dass ihr Bruder erst in der Morgendämmerung heimgekehrt war und noch schlief. Also war sie ganz auf sich selbst gestellt.

Nach dem Frühstück trödelte sie in den unteren Räumen herum, wo sie den mit ihren vormittäglichen Arbeiten befassten Dienstboten ständig in die Quere kam. Sie wurde ungeduldig und missmutig. Schließlich begab sie sich in ihr Zimmer, legte eine knielange Pelisse und eine Samtkappe an, nahm ihren Muff und schlüpfte in Ausgehschuhe. Dann begab sie sich in den Garten, der nicht sonderlich groß war, sodass sie ihn bald gründlich erkundet hatte. Die Welt außerhalb lockte.

In der rückwärtigen Gartenmauer gab es eine kleine Pforte. Sie führte zum Pferdestall, in dem auch die Kutsche Ihrer Ladyschaft untergebracht war. Außerdem hatte der Pferdeknecht hier sein Quartier.

Sophie ging an dem Gebäude entlang und gelangte zur Park Lane. So früh es war, so herrschte doch reger Betrieb auf der Straße. Kutschen und Lastkarren rumpelten vorbei, Reiter auf edlen Rössern steuerten den Park an, Fußgänger eilten geschäftig dahin. Drei Soldaten in roten Uniformröcken warfen ihr lüsterne Blicke zu, als sie an ihr vorbeigingen. Einer nahm sogar seine Mütze schwungvoll ab und begann sie grüßend zu schwenken. Hochmütig reckte Sophie das Kinn. Das war ihr Verderben. Sie übersah eine vereiste Pfütze, glitt darauf aus und landete hart auf dem Rücken. Ihr Hut wurde ihr vom Kopf geschleudert, das Kleid rutschte ihr bis zu den Knien hoch und entblößte ihre schlanken Knöchel samt einiger Zoll wohlgeformter Waden.

Umgehend eilten ihr die Soldaten zu Hilfe. Trotz ihrer Beteuerung, dass sie unverletzt sei und allein aufstehen könne, trat einer hinter sie, fasste sie unter den Achseln und zog sie auf die Füße.

Als sie stand, bebte sie am ganzen Körper, nicht so sehr vor Schreck als vor Entrüstung, dass der Mann sie derart vertraulich berührt hatte und immer noch keine Anstalten machte, sie freizugeben. „Lassen Sie mich los!“, verlangte sie ungehalten.

„Aber Sie werden erneut fallen, wenn ich Sie nicht stütze.“

„Gewiss nicht. Ich bin durchaus in der Lage, alleine zu stehen. Lassen Sie mich sofort los!“

Vielleicht hätten die Grenadiere von ihr abgelassen, doch Sophies hochmütiger Ton reizte sie anscheinend, sich einen Spaß mit ihr zu machen. „Na, das nennt man Dankbarkeit“, sagte der, der ihr aufgeholfen hatte. „Hat Ihre Mutter Sie keine Manieren gelehrt?“

Ohne darauf einzugehen, wiederholte Sophie: „Lassen Sie mich los, oder ich rufe einen Wachtmeister.“

„Ach? Ich sehe keinen Wachtmeister. Du etwa, Jamie?“

„Weit und breit nicht.“ Der Angesprochene bückte sich und hob Sophies Hut vom Boden auf, stülpte ihn sich auf den Kopf und stolzierte damit herum. Inzwischen hatte das Schauspiel diverse Passanten angelockt, die jedoch nur lachend zusahen, anstatt ihr beizustehen.

„Bestimmt haben Sie doch gemerkt, dass bei Ihrem Sturz das Eis aufbrach? Und dass Ihr feines Mäntelchen ganz nass und schmutzig ist? Was wird da bloß die Mama sagen?“, kam es von dem, der sie immer noch festhielt.

Sie war sich des Zustands ihrer Pelisse durchaus bewusst, denn die feuchte Kälte drang ihr durch das Kleid bis auf die Haut. „Lassen Sie mich endlich los, Sie Rüpel!“ Sie zappelte und wehrte sich heftig, doch der Soldat hielt sie nur umso fester.

„Lieber Himmel, was für Ausdrücke! Aber ich nehme es nicht übel. Nur fürchte ich, wenn ich Sie loslasse, werden Sie noch mal ausrutschen, und weil ich Ihnen ja nicht helfen soll, werden Sie in der Pfütze sitzen bleiben müssen … Andererseits … wenn Sie mich recht schön bitten und mir zur Belohnung einen Kuss geben, könnte ich es mir überlegen.“

„Das fehlte noch!“ Langsam verdrängte Furcht ihren Stolz, wenn sie sich auch bemühte, es nicht zu zeigen. Niemand hatte sie vor den Gefahren gewarnt, die auf eine junge Dame lauerten, die unbegleitet ausging, oder falls doch, hatte sie wohl, absolut überzeugt, alleine zurechtzukommen, nicht richtig hingehört. In Hadlea konnte man unbedenklich auch unbegleitet im Dorf umherwandern; niemand hätte sie auch nur im Traum belästigt. Hier in der Stadt rührten nicht einmal die Zuschauer einen Finger für sie, sondern amüsierten sich über den Soldaten, der, immer noch ihren Hut auf dem Kopf, unsichtbare Röcke ausbreitete und Knicks um Knicks vollführte.

Sophie kämpfte gegen Tränen der Wut an, als ein Gentleman sich durch die Leute drängte, den Kerl, der sie immer noch festhielt, beim Kragen packte und ihn fortzerrte. „Verschwinde, Bursche, oder dein Offizier wird von dieser Geschichte erfahren!“

Die Stimme der Autorität erkennend, machten sich die drei Grenadiere, Sophies Hut zurücklassend, hastig davon. Sophie sank ihrem Retter in die Arme. Er gab ihr einen Moment, sich zu fassen, ehe er sie losließ. Er hatte den wettergebräunten Teint eines Mannes, der viel im Freien war, und an den Winkeln seiner braunen Augen, über denen sich dichte Brauen wölbten, zeigten sich feine Fältchen. Sein Haar unter dem Biberhut war hellbraun und wellte sich im Nacken. Er war stilvoll, aber nicht extravagant gekleidet, doch all das zählte für Sophie nicht, denn es verstimmte sie erheblich, dass er nur mühsam ein Lachen unterdrückte. Sie sah sich verpflichtet, ihm zu danken, tat es jedoch auf eine so überhebliche Art, dass er nicht einmal entfernt auf den Gedanken kam, seine Hilfe übersteige das, was ihr als Dame gebührte.

Er hob ihren Hut vom Boden auf und wollte den Schmutz abklopfen, doch das schien vergebliche Mühe, sodass er ihn ihr nur stumm übergab. „Haben Sie es noch weit?“

„Nur bis zur Mount Street.“

„Ich werde Sie hinbegleiten.“

„Das ist nicht nötig. Guten Tag, mein Herr.“ Damit entfernte sie sich, um so rasch wie möglich zurück in den sicheren Hort des Gartens ihrer Tante zu gelangen, wobei sie krampfhaft überlegte, wie sie den Zustand ihrer Kleidung erklären sollte.

Gott sei Dank waren Tante Emmeline und Edward immer noch nicht aufgestanden, daher konnte Sophie sich unauffällig in ihr Zimmer schleichen. Bessie war dabei, die Koffer auszupacken, aus denen sie gestern nur das Nötigste entnommen hatte. „Du meine Güte, Miss Sophie, was ist denn mit Ihnen passiert?“, fragte sie beim Anblick ihres Schützlings.

„Ich bin ausgerutscht und in einer Pfütze gelandet.“

„Sind Sie verletzt?“

„Nur mein Stolz.“

„Ziehen Sie sich um, sonst erkälten Sie sich noch.“ Eifrig suchte Bessie saubere Sachen heraus. „Wo ist es geschehen?“

„Auf dem Weg zum Park. Im Garten gab es nicht viel zu sehen, und so dachte ich, ich könnte einen Spaziergang im Park machen.“

„Miss Sophie, Sie können – nein, Sie dürfen nicht ohne Begleitung ausgehen!“ Die Zofe war so lange in der Familie, dass sie sich die Freiheit herausnahm, der jungen Dame, die sie seit dem Tag ihrer Geburt kannte, die Meinung zu sagen. „Wir sind in London, nicht in Hadlea. Hier könnte wer weiß was passieren. Hat jemand Sie gesehen?“

„Nur ein paar Passanten. Aber ich war schnell wieder auf den Füßen und konnte nach Hause eilen.“

„Dann ist es ja gut. Aber Sie hätten mich mitnehmen sollen, wenn sonst niemand da war.“

„Der Gedanke kam mir gar nicht. Das war sonst nie nötig.“

„Genau das sagte ich doch gerade! Was sich in Hadlea schickt, schickt sich nicht in London.“

„Sie werden es doch nicht meiner Tante erzählen, Bessie? Es ist zu peinlich.“

„Nein, natürlich nicht, aber tun Sie so etwas nie wieder! Sie hätten sich den Knöchel verstauchen oder den Arm brechen können!“

„Es war eher erniedrigend als schmerzhaft.“ Nur wie erniedrigend es tatsächlich gewesen war, würde sie im ganzen Leben nicht erzählen.

Lady Cartrose kam gegen Mittag herunter und fand ihre Nichte im Salon mit einem Roman von Miss Austen, doch das Mädchen träumte vor sich hin, anstatt zu lesen. Nicht einmal Miss Austens eleganter Erzählstil konnte sie fesseln. Nie zuvor hatte sie sich so gelangweilt. Es war schlimmer als in Hadlea, wo sie wenigstens ausreiten oder ihre Schwester besuchen konnte.

„Nach dem Lunch fahren wir aus“, erklärte ihre Tante. „Ich muss zur Leihbibliothek, das Buch zurückgeben.“ Sie wies auf den Band in Sophies Hand. „Oder möchtest du es lesen?“

„Nein, Tante, ich kenne es schon.“

„Dann fahren wir also zur Bibliothek, und anschließend besuchen wir meine Freundin Mrs. Malthouse am Hanover Square. Die Familie ist außerordentlich vermögend, aber das ist unerheblich, denn ich habe oft von dir und Jane und Issie und ihren Ehemännern gesprochen und wie gut sie gestellt sind, also brauchst du dich in keiner Weise unterlegen zu fühlen.“

Dazu sah Sophie sowieso keinen Grund, schwieg aber wohlweislich.

Mrs. Malthouse war noch rundlicher als Tante Emmeline, was sie nicht hinderte, üppige Roben mit vielen Rüschen und Bändern zu tragen. Im Gegensatz dazu war ihre Tochter Cassandra groß und schlank. Sie trug ihr braunes Haar in Locken gelegt und besaß ein fröhliches Lächeln.

Lady Cartrose stellte Sophie vor und fügte hinzu: „Ihr Bruder ist mitgekommen und wird als ihre Eskorte fungieren, wann immer sie zu Veranstaltungen geladen ist. Da jedermann im ton weiß, dass ich kaum noch ausgehe, erhalte ich auch nur noch selten Einladungen. Daher bitte ich dich, liebe Augusta, mir auszuhelfen. Ich weiß, dass Cassandra zur Tanzgesellschaft der Rowlands eingeladen ist. Ob du sie wohl bitten könntest, Sophie darin einzuschließen?“

Sophie gefiel nicht, wie ihre Tante ihretwegen geradezu bettelte. Lieber wäre sie gar nicht zu der Gesellschaft gegangen, als aus Mitleid eingeladen zu werden. „Tante, wir dürfen Mrs. Malthouse nicht in Verlegenheit bringen“, murmelte sie peinlich berührt. „Zweifellos wird es andere Einladungen geben.“

„Es ist eine öffentliche Veranstaltung, und es wird ein Beitrag erhoben“, warf Cassandra ein. „Bei den Rowlands findet sie nur statt, weil deren Ballsaal groß genug ist. Man muss eine Eintrittskarte erwerben. Sie kostet fünf Guineen, glaube ich.“

„Eine beträchtliche Summe, fürwahr.“ Tante Emmeline zog die Brauen hoch.

„So sollen unerwünschte Gäste abgeschreckt werden.“ Mrs. Malthouse lächelte. „Wie ihr wisst, brachte die Duchess of Kent kürzlich ein Töchterchen zur Welt. Die Einnahmen sind für ein passendes Geschenk für die kleine Prinzessin bestimmt.“

„In dem Falle werde ich natürlich Karten für Sophie und Teddy beschaffen. Ich selbst habe nicht vor zu erscheinen.“

„Wenn es Sophie an Bekannten mangelt“, ergänzte Mrs. Malthouse großzügig, „dürfen sie und ihr Bruder sich gern unserer Gesellschaft anschließen.“

Tante Emmeline seufzte erleichtert. „Danke, Augusta, ich wusste, ich kann auf deine Unterstützung zählen.“

Auch Sophie bedankte sich, fragte sich indes, wer die Eintrittskarten bezahlen würde. Das Taschengeld, das sie erhalten hatte, reichte dafür nicht. Vielleicht nahm die Tante an, dass Mark auch bei derartigen Extravaganzen einsprang. Doch was, wenn ihr Schwager eine solche Summe für übertrieben hielt und es ablehnte, sie zur Verfügung zu stellen? Sophie wusste, sie würde bitter enttäuscht sein, wenn sie die Party nicht besuchen konnte.

„Sollen wir ein wenig im Garten spazieren gehen?“ Cassandra wandte sich lächelnd zu Sophie um. „Und Mama und Lady Cartrose ihrem Klatsch überlassen?“

Sophie stimmte bereitwillig zu, und die beiden jungen Damen gingen nach draußen. Inzwischen hatte die Sonne den Frost vertrieben, außerdem lag der Garten abgeschieden und geschützt.

„Waren Sie schon einmal in London?“, fragte Cassandra interessiert.

„Nein, noch nie, aber meine beiden Schwestern. Jane ist mit Lord Wyndham verheiratet und Isabel mit Sir Andrew Ashton, der Eigner eines schnittigen Segelschiffs ist und sie auf seinen Reisen rund um die Welt mitnimmt. Mein Bruder hat mich nach London begleitet. Es ist älter als Isabel und jünger als Jane.“

„Ich erinnere mich, dass Lady Cartrose über Ihre Schwestern sprach. Und Ihr Vater besitzt ein ausgedehntes Anwesen in Norfolk, nicht wahr?“

„Ja, es ist ziemlich groß, vorwiegend Felder und Weideland. Sehr fruchtbar, wie Vater nicht müde wird zu betonen, aber ich würde es nicht beschwören, denn ich verstehe nichts davon.“

„Wir haben keinen Landsitz. Vater könnte es sich natürlich erlauben, aber als angesehener Anwalt wird er das ganze Jahr über in seiner Kanzlei hier in der Stadt gebraucht. Manchmal besuche ich Verwandte auf dem Land, aber dann fehlen mir die Unterhaltungsmöglichkeiten der Stadt, die Geschäfte und meine Freunde. Daher bin ich immer froh, wieder hier zu sein.“

„Das verstehe ich gut, es ginge mir sicher genauso.“

„Sie sind so hübsch, Miss Cavenhurst! Und Ihr Kleid gefällt mir sehr.“ Cassandra musterte Sophies elegantes Nachmittagskleid aus gelbem Sarsenet. „Es muss nach einem hervorragenden Schnittmuster gefertigt sein.“

„Das stimmt. Wenn ich auch auf dem Lande lebe, so kenne ich mich doch mit der neuesten Mode aus und kann sie mir leisten.“ Sophie fand, dass sie fürchterlich angeberisch klang. Außerdem hatte sie ein wenig geflunkert, aber sie konnte den Gedanken nicht ertragen, als Landei betrachtet zu werden. Und Jane war eine solche Künstlerin mit der Nadel, dass sie mit jeder Londoner Schneiderin konkurrieren konnte.

„Das höre ich gern. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als knausern zu müssen. Welch ein Glück, dass wir das nicht nötig haben.“

Eigentlich hatte Sophie nur Janes Arbeit ins rechte Licht rücken wollen, doch ihre Tante hatte ja schon allen erzählt, dass ihre Nichte gut gestellt sei, und dem konnte sie nun schlecht widersprechen, also ließ sie es dahingestellt sein.

„Nenn mich doch bitte Sophie“, bot sie Cassandra an.

Ihre neue Freundin lächelte. „Dann musst du Cassie zu mir sagen. Alle nennen mich so, nur meine Eltern und Großeltern nicht.“

„Hast du einen Verehrer, Cassie?“

„Nein, das würde Mama nie erlauben, solange ich nicht debütiert habe, aber ich hoffe, dass ich dieses Jahr einen Ehemann finde. Und du? Erwartest du, einen zu finden, solange du in der Stadt bist?“

„Das ist der Sinn einer Saison in London, oder?“

„Ganz richtig. Denkst du an jemand Bestimmten?“

„Nein. Mein Bruder sagt, ich sei zu wählerisch, aber ich will nicht heiraten, nur um verheiratet zu sein. Ich habe schon drei Anträge abgelehnt.“

„Drei!“, rief Cassandra aus. „Das meinst du nicht im Ernst.“

„Aber doch.“

„Wie waren sie? Gut aussehend und reich? Und hatten sie alle drei einen Titel?“

„Einer sieht gut aus und ist ziemlich vermögend, der andere ist ein Baron und der Dritte ein Earl. Aber keiner entspricht dem, wonach ich suche. Der Earl ist Witwer mit zwei Kindern, aber ich will nicht die zweite Frau sein. Ich konnte sie alle leichten Herzens abweisen.“ Da, sie prahlte schon wieder, wenn sie auch nicht wirklich etwas Unwahres gesagt hatte, und betrachtete nun amüsiert Cassandras Miene, die gleichermaßen Schock und Unglauben spiegelte.

„Was für eine Art Mann suchst du?“

„Die Sorte, nach der jede junge Dame sucht, vermutlich. Ansehnlich, wohlhabend und Titelinhaber, aber er muss auch gütig, aufmerksam und rücksichtsvoll sein, und vor allem natürlich wahnsinnig in mich verliebt.“

„Du denkst wie ich, Sophie. Hoffen wir nur, dass wir nicht denselben Gentleman wollen, wenn es überhaupt einen gibt, der unseren Wünschen entspricht und außerdem Junggeselle ist und nach einer Gattin Ausschau hält.“

„Erzähl mir mehr über jenen Ball.“ Sophie fand, dass das Thema zukünftiger Gemahl erschöpft war, und sie fühlte sich ein wenig schuldbewusst ob ihrer Prahlerei, die ihr im Grunde nicht lag. „Was wirst du anziehen?“

„Mama erlaubt mir nur Weiß, bis ich debütiert habe – und das ist erst in ein paar Wochen. Aber eine farbige Schärpe geht und farbige Bänder im Haar. Was meinst du, welche Farbe würde mir gut stehen?“

Sophie musterte Cassandra gründlich. „Grün“, entschied sie, „Eindeutig grün, es wird die Farbe deiner Augen unterstreichen. Ah, und grüne Ballschuhe natürlich.“

Erfreut klatschte Cassandra in die Hände. „Oh ja! Das wird Mama bestimmt erlauben. Und du? Du bist blond und hast blaue Augen, vielleicht also Blau für dich? Oder Rosa.“

„Das käme auf den Farbton an, aber Blau mag ich am liebsten. Ich habe ein ganz entzückendes blaues Ballkleid dabei und eine zweite rosenrote Abendrobe aus Gazestoff.“

„Wie, ein farbiges Kleid? Nicht weiß?“

„Weiß gefällt mir nicht. Dir steht es sicherlich gut, aber ich sehe schrecklich fade darin aus.“

„Wird dir deine Tante dieses Kleid erlauben?“

„Warum nicht?“

„Es widerspricht den Regeln.“

„Pfeif auf die Regeln!“

Cassandra lachte. „Ah, ich sehe schon, du wirst den ton in Aufruhr versetzen.“

Sophie stimmte in ihr Lachen ein. „Genau das habe ich vor.“ Nach kurzer Pause fügte sie hinzu: „Die Kleider sollen bis zu den Veranstaltungen, für die sie gedacht sind, geheim bleiben, also sag bitte deiner Mama nichts davon.“

„Nein, ich schweige wie ein Grab. Gehen wir zurück? Ich denke, Lady Cartrose wird langsam aufbrechen wollen.“

Als sie den Salon betraten, war Cassandras Bruder Vincent gerade eingetroffen, wodurch sich der Aufbruch verzögerte, da Sophie ihm vorgestellt wurde.

Er ähnelte Cassandra sehr, nur war er größer als sie, außerdem war er zu dünn, um noch als ansehnlich zu gelten. Dazu befleißigte er sich eines übertrieben modischen Aufzugs. Er verbeugte sich vor Sophie, nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf, dann sagte er: „Sie werden den Ball der Rowlands mit Ihrer Anwesenheit beehren? Ich freue mich, Sie dort zu treffen.“

„Zu freundlich, Sir.“

„Komm, Sophie“, mahnte Tante Emmeline ungeduldig, „wir haben heute Abend Lord Wyndham zu Gast. Und vorher wollen wir doch noch eine Runde durch den Park fahren.“

Sie verabschiedeten sich und rollten kurz darauf die Park Lane entlang. „Was hältst du von Cassandra?“, fragte die Tante neugierig.

„Ich denke, wir werden gut miteinander zurechtkommen. Sie betrachtet mich schon als ihre Freundin.“

„Gut. Das heißt, du hast eine Gefährtin, wenn ich dich nicht begleiten kann. Was denkst du über Vincent?“

„Noch gar nichts, Tante, ich habe ihn ja nur kurz gesehen.“

„Er ist ein bewunderungswürdiger junger Mann. Zwar hat er keinen Titel, aber er wird einmal ein beträchtliches Vermögen erben. Bis dahin ist er in der Kanzlei seines Vaters angestellt.“

„Wenn er auch nur ein bisschen wie Teddy ist, wird er da nicht viel tun.“

„Du sprichst nicht nett über deinen Bruder, Sophie. Als Teddy in Indien war, hat er sehr hart gearbeitet und ein Vermögen gemacht – eines, das groß genug war, um sich selbst und deinen Vater aufs Trockene zu bringen.“

„Gut, das will ich ihm zugestehen, aber was die Juristerei angeht – es war ihm zuwider, den ganzen Tag am Schreibtisch zu sitzen. Jetzt hilft er Papa bei der Führung des Gutes. Mr. Malthouse hat keinen Landsitz.“

„Das stimmt. Aber er ist auch nur einer von vielen jungen Gentlemen, die du in den nächsten Wochen kennenlernen wirst. Und du kannst jeden haben, davon bin ich überzeugt.“

Sophie sah das nicht ganz so, bedachte man, dass sie bisher nur zu einem einzigen Ball eingeladen war. Sie brauchte mehr Gelegenheiten. Jeder Tag musste eine Veranstaltung bieten, und sie musste an jedem einzelnen Tag Eindruck machen.

Sie schwenkten in den Park ein und reihten sich in die Kutschenparade ein, der wiederum zahllose Kutschen aus der entgegengesetzten Richtung entgegenkamen. Lady Cartrose kannte so viele Leute, dass sie dauernd auf einen Plausch oder um Sophie vorzustellen anhalten mussten. Sophie grüßte stets höflich und murmelte ein paar Worte, bezweifelte aber, dass sie all die Namen würde behalten können. Einen einzelnen Reiter jedoch würde sie nicht vergessen, obwohl er nicht anhielt. Er trabte gemächlich an ihrer Chaise vorbei, also kannte ihre Tante ihn vermutlich nicht, wofür Sophie dankbar war. Unsicher, ob er sie gesehen und erkannt hatte, wandte sie sich rasch ihrer Tante zu und bemerkte: „Ist es nicht schön zu sehen, wie die Bäume grün werden? Ich freue mich so auf den Sommer.“

„Der hoffentlich besser wird als der vergangene.“ Ohne Sophies Aufregung zu bemerken, fuhr Tante Emmeline fort: „So, nun wissen alle, dass du in der Stadt bist, und denen, die nicht im Park waren, wird es bald zu Ohren kommen. Fahren wir heim.“

Mark traf um sechs Uhr zum Dinner ein. Er war guter Laune und lauschte Lady Cartroses Schilderung der nachmittäglichen Unternehmungen aufmerksam. Selbstverständlich erwähnte Ihre Ladyschaft auch die Einladung zur Gesellschaft der Rowlands. „Es ist kein formeller Ball. Meinst du, Sophie sollte teilnehmen?“

„Mylady, Sie und Sophies Bruder müssen entscheiden, was sie tun darf.“

Lady Cartrose wandte sich an Teddy. „Nun, Edward, soll ich es erlauben?“

„Warum nicht?“, sagte der junge Mann träge. „Was ist das für ein Ball?“ Er hatte eindeutig nicht zugehört.

„Es wird eine handverlesene Gesellschaft sein. Die Karten kosten fünf Guineen.“

„Was? Seit wann muss man für einen Ball bezahlen? Das klingt komisch.“

Lady Cartrose erläuterte, dass es um ein Geschenk für die neugeborene Prinzessin gehe.

„Was braucht das Kind Präsente? Es wird bestimmt nicht knapp dran sein.“

„Ach, Teddy, stell dich nicht quer. Schließlich bin ich wegen solcher Veranstaltungen nach London gekommen. Das wirst du mir doch nicht abschlagen!“

„Nein, Schwesterchen, wir gehen auf deinen Ball, und ich kaufe die Karten. Zufrieden?“

Der Blick, den Mark ihrem Bruder zuwarf, hätte sie irritieren sollen, doch da sie ihn nicht bemerkte, strahlte sie Teddy an. „Ach, du bist der beste Bruder der Welt! Danke, danke.“

„Ah, da wir gerade über Geldbeschaffung reden“, meldete Lord Wyndham sich zu Wort. „Die Vorbereitungen für das Wohltätigkeitskonzert sind abgeschlossen. Es geht um die Erweiterung unseres Waisenhauses. Ich hoffe, ihr werdet alle kommen. Nächsten Samstag in Wyndham House. Ich habe ein paar exzellente Musiker engagiert.“

„Müssen wir da auch Eintritt zahlen?“, fragte Teddy grinsend.

„Spenden sind freiwillig.“ Mark lächelte. „Aber da du ja gut bei Kasse zu sein scheinst, hoffe ich, dass du einen Beitrag leistest.“

Die spitze Bemerkung ließ Sophie aufhorchen. „Was ist denn los?“

„Nichts“, beeilte Teddy sich zu versichern. „Du weißt doch, ich bin nicht immer flüssig.“

„Ja, sicher. Aber Papa hat dir ja etwas gegeben, um mein Taschengeld aufzustocken, wenn nötig.“

„Ganz recht“, stimmte Teddy sichtlich erleichtert zu.

Nach dem Dinner schlossen sich die Gentlemen schon recht bald Sophie und ihrer Tante an und nahmen im Salon unter lebhafter Unterhaltung den Tee ein.

Schließlich erklärte Mark, dass er gehen müsse, weil er seinen Cousin, der in London weilte und in seinem Stadthaus untergebracht war, sträflich vernachlässigt habe. Er stand auf, verneigte sich vor Lady Cartrose, verabschiedete sich mit einem Handkuss von Sophie und ging. Die alte Dame zog sich zur Nacht zurück, und so blieben Bruder und Schwester allein unter sich.

„Welchen Cousin meint Mark denn wohl?“ Sophie zog die Stirn kraus. „Zur Beisetzung seines Vaters waren mehrere da und auch bei der Hochzeit. Aber mir fällt kein Name ein.“

„Spätestens wenn wir zu dem Konzert gehen, werden wir es erfahren.“

„Teddy, sag, soll ich mich, was ein wenig Anregung angeht, auf ein Konzert verlassen, das bestimmt öde ist und zu dem nur alte Leute und langweilige, verheiratete Paare kommen?“

„Da ist noch der Ball bei den Rowlands.“

„Aber erst in einer Woche.“

„Und was soll ich dagegen tun? Ich kann dir keine Veranstaltung herbeizaubern.“

„Du könntest mit mir ausreiten. Mir fehlt mein täglicher Ausritt. Wir könnten im Hyde Park reiten. Machen das nicht alle?“

„Und woher die Pferde nehmen?“

„Die kannst du mieten. Jane hat mir ein umwerfendes laubgrünes Reitkleid genäht, das kann ich nirgends vorführen, wenn du mich nicht auf einen Ausritt mitnimmst. Schließlich ist kaum zu erwarten, dass Tante Emmeline das übernimmt.“

Teddy lachte. „Nein, das arme Tier würde unter ihr zusammenbrechen! Wenn sie überhaupt hinaufkäme.“

„Dann machst du’s? Morgen Vormittag – aber sehr früh. Du hast doch nichts Dringendes zu tun?“

„Also gut! Aber dann kümmere ich mich besser jetzt noch um Mietpferde, sonst sind die guten vergeben und uns bleiben nur alte Klepper.“ Er stand auf und fügte hinzu: „Warte nicht auf mich.“

Bessie sah nichts Ungehöriges darin, dass Sophie mit ihrem Bruder ausreiten wollte, daher weckte sie ihren Schützling frühzeitig. Nachdem sie ihr das Frühstück ans Bett gebracht hatte, half sie ihr in das todschicke, modische Reitkostüm im Uniformstil. Dazu gehörte ein zierlicher Biberhut mit aufgewölbter Krempe und einem winzigen Schleier. „Ah, Miss Sophie, bildschön sehen Sie aus“, sagte sie bewundernd. „Aber Sie werden hoffentlich gemessen reiten und auf keinen Fall galoppieren.“

„Aber sicher, Bessie, ich will gesehen werden, also kann ich nicht in wildem Galopp dahinfliegen.“

Sophie zog ihre Stiefeletten an, nahm die Reitpeitsche und ging nach unten. Teddy war nirgends zu sehen. Ärgerlich schickte sie einen Lakaien zu seinem Zimmer, um ihn wecken zu lassen.

Erst eine halbe Stunde später tauchte er auf, in Reitkleidung.

„Teddy, ich warte seit Ewigkeiten!“

„Tut mir leid, Schwesterchen, hab verschlafen.“ Er gähnte.

„Wann bist du zu Bett gegangen?“

„Ich weiß nicht mehr. Irgendwann nach zwölf.“

Sophie seufzte. „Können wir aufbrechen?“

„Nicht, ehe ich etwas gegessen habe. Du willst bestimmt nicht, dass ich mit leerem Magen losziehe, oder?“

Sophie musste ihre Ungeduld zügeln, bis ihr Bruder sein Frühstück beendet hatte.

Eineinhalb Stunde später als geplant ritten sie durch die Parktore. Für die Damen in ihren Kutschen war es noch zu früh, doch der Reitweg – die berühmte Rotton Row – war schon gut besucht, vorwiegend von Gentlemen, doch auch ein paar Damen waren in Begleitung unterwegs. Sophie hätte die ganze Welt umarmen können. Sie strahlte jedermann freudig an, wandte sich immer wieder ihrem Bruder zu und plauderte lebhaft. „Ach, das Leben ist schön! Die Sonne scheint, die Vögel singen, die Menschen lächeln!“

„Natürlich lächeln sie“, antwortete Teddy verschmitzt. „Du siehst fabelhaft aus, obwohl ich das eigentlich nicht sagen dürfte, um dich nicht noch eingebildeter zu machen, als du schon bist.“

„Ich bin nicht eingebildet!“

„Dann hör auf zu grinsen wie die Katze vorm Rahmtopf. Du bringst mich in Verlegenheit. Ein bisschen kühle Zurückhaltung bitte.“

„Also gut.“ Sie setzte eine so tiefernste Miene auf, dass er lachen musste.

Sie zogen die amüsierte Aufmerksamkeit anderer Reiter auf sich, besonders die eines speziellen Gentleman. Als sie an ihm vorbeikamen, verneigte er sich leicht in Sophies Richtung. Sie erkannte ihn an seiner aufrechten Haltung, dem leicht gelockten braunen Haar, den braunen Augen und dem energischen Mund, der ein bisschen amüsiert zuckte. Ihr wurden die Wangen heiß, doch sie fasste sich rasch, hob stolz das Kinn und trieb ihr Pferd zu schnellerer Gangart an.

„Wer war das?“, fragte Teddy stirnrunzelnd, nachdem er zu ihr aufschlossen hatte. „Kennst du ihn?“

Sophie zog die Zügel straffer. „Wen?“

„Den Burschen auf dem prächtigen Braunen. Scheint mir zur crème de la crème zu gehören. Wer ist das?“

„Ich habe keine Ahnung.“

„Aber du hast ihm zugelächelt.“

„Ganz bestimmt nicht. Wie kommst du darauf!“

„Er hat dein Lächeln erwidert und sich verneigt, als würde er dich kennen. Wolltest du deshalb heute unbedingt ausreiten? Um ihn zu treffen?“

„Aber nein! Ich habe keine Ahnung, wer er ist.“

„Ach, ich wusste, all dieses Zurschaustellen in der Öffentlichkeit würde zu Schwierigkeiten führen. Fremde Gentlemen, die dich anlächeln und sich verbeugen. Ehrlich, Sophie, das gehört sich nicht.“

„Ich kann doch nichts dafür! Habe ich ihn gebeten, sich zu verneigen?“

„Du hast ihn ermutigt.“

„Habe ich nicht! Warum sollte ich? Wenn er das dachte, ist er ganz schön eingebildet, und wenn ich ihn je wiedersehe, wird er das auch zu hören kriegen. Nicht dass ich ihn je wiedersehen wollte“, fügte sie hastig hinzu.

„Nein, natürlich nicht!“ Die Worte trieften vor Ironie.

„Genau! Reiten wir zurück, vielleicht ist Tante Emmeline aufgestanden und lässt sich zu einer Einkaufstour überreden.“

„Was ihr Frauen nur immer einzukaufen habt!“, murmelte Teddy kopfschüttelnd. „Ich dächte, du hättest sämtlichen Tand, den du brauchst.“

Adam, der in ihr die junge Dame erkannt hatte, der er zu Hilfe geeilt war, fragte sich, wer sie wohl sein mochte. In Herrenbegleitung und ohne Anstandsdame oder Pferdeknecht. Vielleicht hatte sie sich heimlich von zu Hause fortgeschlichen, oder ihre Eltern – oder Vormunde – scherten sich nicht um Schicklichkeit. Sie war reizend, und wenn sie lachte oder lächelte, blitzten ihre blauen Augen hell. Zweifellos war dies ein heimliches Treffen mit einem Verehrer, und sie amüsierte sich gut, ohne jeden Sinn für Anstand.

Schon am Tag zuvor hatte er sie gesehen – in einer Kutsche in Begleitung einer älteren Dame, möglicherweise eine Verwandte. Keine sehr aufmerksame Hüterin, wenn das junge Ding, unbegleitet unterwegs, von Soldaten belästigt werden konnte. Die Erinnerung daran ließ ihn lächeln. Gewiss eine lebhafte junge Dame, nicht leicht einzuschüchtern, selbst wenn ihre Kleider verschmutzt waren und ihr Hut am Boden lag.

Auf seinem Weg zurück zur South Audley Street kam er zu dem Schluss, dass er besser daran tat, sie sich aus dem Kopf zu schlagen. Er hatte an Wichtigeres zu denken als an ein törichtes Mädchen, und sei es noch so entzückend. Er musste eine Rede verfassen.

Er hegte große Sympathie für die missliche Lage der Arbeiter, die von niedrigstem Lohn leben mussten, der dazu noch von den meisten Fabrikbesitzern gnadenlos gekürzt wurde, sobald der Gewinn zurückging. Der Verdienst der Weber war um zwei Drittel gesunken, und das traf die Leute umso härter, als der gesetzlich festgelegte Preis für Getreide mittlerweile derart hoch lag, dass Brot für sie kaum noch bezahlbar war.

Viele Arbeiter kündigten und kamen, sobald eine Stelle frei wurde, zu ihm, da die Bezahlung besser war und es sogar täglich eine warme Mahlzeit gab, was ihn bei den anderen Spinnereibesitzern nicht gerade beliebt machte. Adam argumentierte damit, dass die Arbeiter samt ihren Familien hungerten, wurde von den anderen Spinnereibesitzern jedoch als Verräter betrachtet.

Zurück in Wyndham House, setzte er sich in die Bibliothek und machte sich an den Entwurf seiner Rede. Er war kein geborener Redner und hatte noch nie öffentlich gesprochen, außer vor seinen eigenen Arbeitern. Nun musste er vor Seinesgleichen sprechen, vor unwilligen Männern, die er von seinen Ansichten überzeugen wollte. Nachdem er schon mehrere Entwürfe geschrieben und wieder verworfen hatte, kam Mark herein.

„Mir scheint, du bist ziemlich beschäftigt“, bemerkte sein Cousin.

„Aber bislang ergebnislos. Irgendwie finde ich nicht die richtigen Worte.“

„Die, die ich letztens von dir hörte, klangen für mich gut genug.“

„Die paar Sätze! Jetzt muss es eine komplette Rede sein. Und meine Zuhörer sind mir weit weniger wohlgesonnen als du.“

„Dann trag mir deine Rede vor, und ich spiele den Advocatus Diaboli. Ich kann dich auch ausbuhen, um zu sehen, wie du damit zurechtkommst.“

Eine Stunde später ging es Adam schon wesentlich besser.

„Wenn du frei von der Leber weg sprichst, bist du viel überzeugender. Du solltest dir nur Stichpunkte notieren, damit du nicht den Faden verlierst.“

„Meinst du, ich kann auch nur einen der Peers überzeugen?“

„Die unentschlossenen vielleicht, die Ewiggestrigen eher nicht. Im House of Commons hättest du eher eine Chance.“

„Von den Abgeordneten aus Lancashire, die dort einen Sitz haben, wird sich keiner rühren. Die Stimmen sind zu ungleich verteilt. Wenn die Arbeiter wählen dürften, sähe es anders aus. Eine Reform des Systems ist überfällig.“

Mark lachte. „Dafür trittst du ein, ja? Ich rate dir, mach einen Schritt nach dem anderen, sonst gehst du mit deiner gesamten Argumentation unter. Genug gearbeitet. Ich habe Hunger. Gehen wir im Club essen? Dann erzähle ich dir von meinen Plänen, und du gibst mir Ratschläge.“

3. KAPITEL

Sophie fand, dass sie für die Robe, die sie zu Marks Konzertabend tragen wollte, noch ein paar Ellen Schleifenband brauchte. Das weißseidene Unterkleid mit dem rosenroten Gazeüberwurf war ihr jedenfalls zu schlicht; es fehlte ihm eine hübsche Schleife, unter der Büste gebunden, sodass die Enden flatternd hinabfielen, wie sie es Jane schon vorgeschlagen hatte, als das Kleid für sie abgeändert worden war. Ihre Schwester hatte damals gemeint, es sei auch so sehr schön. Nur wollte Sophie sich auf keinen Fall von Cassandra in den Schatten stellen lassen. „Wer weiß, wen ich kennenlerne“, sagte sie zu Bessie. „Vielleicht stellt Mark mich akzeptablen Gentlemen aus seinem Bekanntenkreis vor. Ob sein Cousin wohl kommt? Der zurzeit bei ihm wohnt. Aber Mark erwähnte den Namen nicht.“

„Sie putzen sich heraus, um jemanden zu beeindrucken, den Sie nicht kennen, Miss Sophie?“

„Aber nein! Ich will nur so gut wie möglich aussehen. Wyndham House ist sehr imposant, und Marks Freunde gehören zweifellos zur feinen Gesellschaft. Cassandra wird sich glänzend ausstaffieren, da kann ich unmöglich nachstehen.“

„Hat Lady Cartrose für heute Vormittag die Kutsche bestellt?“

„Ja, aber nicht für mich. Sie macht einen vor Längerem vereinbarten Besuch, und ich brauche nicht mitzugehen. Wo Teddy ist, weiß der Himmel. Aber Sie werden mich begleiten, Bessie, nicht wahr? Wir gehen einfach zu Fuß.“

„Natürlich komme ich mit.“

Sobald Lady Cartrose ausgefahren war, machten Sophie und die Zofe sich auf zur Bond Street. Zwar war es nicht mehr so kalt, doch es hatte geregnet, und die Straßen waren nass und schmutzig. Sie wählten ihren Weg sehr sorgfältig, mussten indes immer wieder ihre Rocksäume anheben. Plötzlich raste ein hochrädriger Phaeton an ihnen vorbei und bespritzte Sophie, die ein Stück voranging, mit Schmutzwasser. „Was für ein rücksichtsloser Kerl!“, schimpfte die junge Dame außer sich. „Nun sehen Sie sich mein Kleid an, Bessie! Jetzt muss ich umkehren und mich umziehen.“

Schon wollte sie sich auf den Rückweg machen, als sie bemerkte, dass der Phaeton angehalten hatte und sein Fahrer abstieg und in ihre Richtung kam.

Bessie legte ihrem Schützling die Hand auf den Arm. „Miss, sprechen Sie nicht mit ihm!“

„Warum nicht? Er soll ruhig wissen, was ich von ihm halte!“

Erst als der Gentleman schon recht nahe heran war, erkannte sie ihn – es war Reginald Swayle, einer ihrer früheren Verehrer. „Oh, Gott, es ist dieser geckenhafte Reginald“, murmelte sie ungnädig.

Und wirklich war er auch dieses Mal wieder wie ein Stutzer gekleidet. Er lüftete seinen lächerlich hohen Hut mit der schmalen Krempe. „Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Sophie. Ich habe dich nicht erkannt, sonst hätte ich angehalten und dich mitgenommen.“

„Was wohl heißt, wenn du mich nicht erkannt hättest, wärst du einfach weitergefahren! Sehr ritterlich, wirklich, Sir. Wie ein Wahnsinniger diese belebte Straße entlangzurasen, ohne Rücksicht auf Fußgänger!“

„Ich bin nicht wie ein Wahnsinniger gefahren, und außerdem sollten Damen nicht zu Fuß gehen, wenn es geregnet hat.“

„Ach, dann bin ich schuld daran, dass mein Kleid verdorben ist und ich nun heimgehen und es wechseln muss!“

„Nein, natürlich tadele ich dich nicht, und ich habe mich ja schon entschuldigt. Erlaube mir, dich heimzubringen, damit du dich umkleiden kannst. Und ich führe dich anschließend in einen Laden und kaufe dir ein neues Kleid.“

„Das ist unnötig.“

„Nicht doch! Komm, lass dir in die Chaise helfen.“

„Und was wird mit meiner Zofe?“

„Sie kann zu Fuß gehen.“

„Bitte, Miss Sophie, fahren Sie nicht mit“, mischte Bessie sich ein. „Wenn wir uns beeilen, können wir im Nu zurück in der Mount Street sein.“

„Ich mag nicht schmutzig wie ein Putzlumpen durch die Straßen gehen, und schließlich ist Reggie kein Fremder.“

„Nein, in der Tat nicht.“ Sir Reginald bot ihr den Arm, um sie zu seinem Phaeton zu geleiten.

Sophie hakte sich bei ihm unter. „Wir treffen uns bei meiner Tante“, rief sie Bessie über die Schulter zu.

Sir Reginald half ihr in das schnittige Gefährt, kletterte auf den Sitz neben sie und nahm die Zügel. „Ich kann erst ein Stück weiter hinten wenden.“ Mit dem Kinn deutete er die Straße hinauf. „Aber das dauert nur ein paar Minuten.“

Sophie musste zugeben, dass es aufregend war, so hoch zu sitzen und auf die Leute hinunterzuschauen. „Wann hast du dir dieses monströse Fahrzeug angeschafft?“

„Es ist nicht monströs. Es ist der letzte Schrei und außerdem sehr schnell.“

„Das habe ich bemerkt. Zu schnell für die Stadt.“

Autor

Mary Nichols
Mary Nichols wurde in Singapur geboren, zog aber schon als kleines Mädchen nach England. Ihr Vater vermittelte ihr die Freude zur Sprache und zum Lesen – mit dem Schreiben sollte es aber noch ein wenig dauern, denn mit achtzehn heiratete Mary Nichols. Erst als ihre Kinder in der Schule waren,...
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