Historical Saison Band 37

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EIN FAST EHRENWERTER GENTLEMAN von BRENDAN, MARY
Gerettet - oder entehrt? Ein attraktiver Fremder beschützt die junge Gouvernante Fiona Chapman vor Straßenräubern. Doch bereits im nächsten Gasthaus macht der Retter Luke Wolfson ihr ein skandalöses Angebot: Sie soll seine Geliebte werden! Fionas Herz schlägt rasend schnell. Aus Angst - oder vor Verlangen?

SPIEL DER SINNLICHKEIT von ASHFORD, LUCY
Mit ihrer Schauspielertruppe reist Deborah durchs Land - bis sie einwilligt, für den unwiderstehlichen Duke of Cirencester zu lügen. Erst hat er sie in der Hand, dann in seinen starken Armen! Und wenn der Duke sie heiß liebt, wünscht Deb, der Vorhang dieses gefährlich sinnlichen Spiels würde niemals fallen …


  • Erscheinungstag 31.05.2016
  • Bandnummer 0037
  • ISBN / Artikelnummer 9783733765651
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Mary Brendan, Lucy Ashford

HISTORICAL SAISON BAND 37

MARY BRENDAN

Ein fast ehrenwerter Gentleman

„Werden Sie meine Geliebte!“ Seit Major Luke Wolfson die hübsche Gouvernante Fiona Chapman aus den Händen von Straßenräubern gerettet hat, begehrt er sie. Und das lustvolle Funkeln in Fionas wunderschönen Augen verrät ihm, dass sein verruchter Vorschlag sie in größte Versuchung führt. Sie hat nichts zu verlieren – jetzt, wo bekannt ist, dass sie im selben Gasthof wohnen, ist ihr Ruf ohnehin ruiniert!

LUCY ASHFORD

Spiel der Sinnlichkeit

Verliebt in eine … Schauspielerin? Der Duke of Cirencester kann sich die Verachtung bereits vorstellen, sollte seine Schwäche für die entzückende Deborah O´Hara in der feinen Gesellschaft bekannt werden! Aber zum Glück hält jeder Deb für die Frau seines verstorbenen Bruders. Und so kann der Duke ihr heimlich den Hof machen – doch die Angst, ihre sündige Liaison könnte bekannt werden, begleitet ihn …

1. KAPITEL

Sie reisen also gern allein, Miss Chapman?“

„Jawohl, Madam“, antwortete die junge Dame mit mühsam unterdrückter Ungeduld. Man hatte ihr gerade vor fünf Minuten dieselbe Frage im gleichen entsetzten Ton gestellt. Und davor hatten sich zwei weitere Damen und ein Gentleman auf andere Weise, doch mit ähnlich schlecht verhohlener Neugier an sie gewandt. Jeder der Fragenden hatte allerdings lediglich Sorge um ihr Wohlergehen bekundet, und nicht etwa ein ungehöriges Interesse an ihren Angelegenheiten. Im beengten Raum der Postkutsche konnten Fiona Chapman die kritischen Blicke der Damen nicht entgehen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie hinter vorgehaltenen Händen über sie tuschelten. Nur der Farmer mittleren Alters war nach seiner anfänglichen Bemerkung nicht mehr auf das Fehlen einer Begleitperson zurückgekommen.

Das triumphierende Horngetöse des Kutschers verkündete das Erreichen der nächsten Poststation. Miss Chapmans Reisegesellschaft rührte sich aufgeregt bei der Aussicht, sich endlich die Beine vertreten und eine Erfrischung zu sich nehmen zu können. Wenige Minuten danach sah Fiona ihnen unter dem Rand ihres Strohhutes dabei zu, wie sie aus der Kutsche kletterten. Der Farmer, der sich und seine Frau als die Jacksons vorgestellt und Fiona gegenübergesessen hatte, hielt ihr jetzt freundlich die Hand hin und half ihr, das Kopfsteinpflaster vor dem Wirtshaus der Poststation namens Fallow Buck zu betreten. Fiona schenkte dem Mann ein recht wehmütiges Lächeln, weil er sie mit seinem grau melierten Haar und dem rundlichen Leibesumfang, der die Knöpfe an seiner Weste fast zum Bersten brachte, an ihren verstorbenen Papa erinnerte. Allerdings war Anthony Chapman wohl älter gewesen als dieser Herr. Fionas Vater war vor wenigen Jahren im Alter von nur zweiundfünfzig Jahren an einem Herzanfall gestorben, und jenes traurige Ereignis war der Grund für Fionas jetzige Reise.

„Achten Sie nicht auf meine Frau, Miss.“ Mr. Jackson tätschelte Fionas Hand, bevor er sie losließ. „Sie macht sich stets Sorgen, und nicht immer um sich selbst. Wir haben zwei Mädchen, verstehen Sie, und wissen also ein wenig, welchen Unsinn junge Damen manchmal anstellen können.“ Er sog erschrocken die Luft ein. „Womit ich nicht sagen will, dass Sie irgendwelchen Unsinn anstellen wollen, liebe Miss Chapman“, fügte er hastig hinzu. „Oh nein … ich wollte nicht sagen … und möchte auch nicht indiskret werden …“

„Ist schon gut.“ Fiona lächelte freundlich. Natürlich glaubte er, dass sie etwas im Schilde führte – genauso wie die Damen der kleinen Reisegesellschaft. Und sie hatten auch ganz recht, misstrauisch zu sein. Wohlerzogene junge Damen reisten in der Regel nicht allein in einem öffentlichen Verkehrsmittel wie der Postkutsche.

„Unsere beiden Mädchen sind inzwischen schon verheiratet, jede mit einem sehr guten Mann.“ Er schenkte Fiona ein ermunterndes Lächeln, vielleicht in der Hoffnung zu hören, auch für sie könne ein solch erstrebenswertes Schicksal erwartet werden, bevor es zu spät war.

Fiona machte sich keine Illusionen. Sie war nicht mehr in der Blüte ihrer Jugend und musste somit damit rechnen, dass sie eine alte Jungfer werden würde. Ebenso wenig konnte sie Anspruch auf besondere Schönheit erheben, und so erkannte jeder sofort, was sie war: eine unverheiratete Dame von Mitte Zwanzig mit einem eher angenehmen als hübschen Gesicht und Haar von einem enttäuschend matten Blond. Ihre Sprache zeugte von guter Bildung, und sie war adrett gekleidet, was darauf hinwies, dass sie weder arm noch reich war, sondern irgendetwas dazwischen.

Mr. Jackson reichte ihr den Arm, um ihr seine Begleitung in das Wirtshaus anzubieten. Während sie sich unterhalten hatten, waren seine Frau und die Schwestern Beresford bereits vorausgegangen und hatten das Gebäude betreten. „Mrs. Jackson befürchtet, es könnte Ihnen etwas zustoßen, wissen Sie. Und ich muss Ihnen gestehen, ich teile die Befürchtung meiner lieben Frau.“

„Ich bin sicher, ich werde in einem Stück in Dartmouth ankommen“, entgegnete Fiona zuversichtlicher, als ihr wirklich zumute war. Sie hatte London guter Dinge verlassen, obwohl ihre Mutter sie angefleht hatte, nicht so unüberlegt zu handeln. Doch je weiter gen Westen die Reise sie führte, desto mehr begann sie an der Weisheit ihres Entschlusses zu zweifeln, eine einträgliche Anstellung in einer so unvertrauten, abgeschiedenen Gegend anzunehmen.

Sie hatte in Büchern über Devon und Cornwall gelesen und die Bilder vom wild tosenden Meer betrachtet, das gegen eine schroffe Küste peitschte. Die Bewohner jenes rauen Landstrichs trugen schlichte, derbe Kleidung und harte Holzschuhe an den Füßen. All das gehörte zu einer ganz anderen Welt als die kultivierte, elegante Hauptstadt, in der sie aufgezogen worden war. Andererseits hatte Fiona auch nie viel mit jener Eleganz zu tun gehabt, da sie es meist vorgezogen hatte, zu lesen oder zu malen, statt mit ihrer Mutter und Schwester an den Veranstaltungen der guten Gesellschaft teilzunehmen. Sie war bereit gewesen für einen Neuanfang – selbst bevor ihr dieser Wechsel durch Papas Ableben und die Ankunft von Cecil Ratcliff aufgezwungen worden war.

„Sie sind eine Unschuld, meine Liebe, und wissen nicht, wie es auf dem Lande zugeht, versichere ich Ihnen“, riss Peter Jackson sie aus ihren Gedanken. „Es gibt sehr ungehobelte Burschen in diesen Gegenden hier, die eine Dame berauben würden … oder Schlimmeres …“, meinte er grummelnd. „Passen Sie also jeden Augenblick auf sich auf. Bevor wir uns trennen, geben wir Ihnen noch unsere Adresse mit, falls Sie Hilfe brauchen sollten. Falls Ihre Angelegenheiten nicht so verlaufen, wie Sie erhoffen, könnten Sie Freunde gebrauchen.“

Fiona war klar, dass er gern mehr über ihre Angelegenheiten erfahren würde, hatte aber nicht die Absicht, näher darauf einzugehen. Man hatte sie dazu erzogen, ihre Zunge zu hüten, um niemandem Anlass zum Klatsch zu geben. Dass ihr Ziel das Haus eines Witwers war, würde gewiss für Gerede sorgen. Sie hatte auch wirklich lange darüber nachgedacht, bevor sie die Stellung der Gouvernante für zwei mutterlose Kinder in Herbert Lodge angenommen hatte.

„Vielen Dank für Ihren fürsorglichen Rat, Sir. Ich werde daran denken“, versprach sie und hielt ihren Hut fest, als eine plötzliche heftige Brise ihn ihr vom Kopf zu wehen drohte.

Mr. Jackson hatte sich und seine Frau vorgestellt, als sie in Dawlish gemeinsam in die Postkutsche gestiegen waren. Sie befanden sich auf der Heimreise nach der Hochzeit einer Nichte. Miss Beresford und ihre Schwester Ruth waren ebenfalls in Dawlish zu ihnen gestoßen, würden aber als Erste ihr Ziel erreichen. Fiona und die Jacksons wollten ihre Reise durch Devon fortsetzen.

Als sie das Gasthaus betraten, entdeckten Fiona und Mr. Jackson die drei Damen vor dem prasselnden Kaminfeuer, wo sie es sich bereits in weichen Sesseln bequem gemacht hatten, während der Wirt sich um sie kümmerte.

„Kommen Sie, setzen Sie sich dicht ans Feuer, Miss Chapman“, rief Mrs. Jackson und winkte ihr zu.

„Der Kaffee hier ist sehr gut, oder darf ich Ihnen einen heißen Grog empfehlen, der Sie bestimmt aufwärmen wird?“ Peter Jackson schob ihr aufmerksam einen Sessel zurecht. „Wir kommen hier recht oft vorbei – nicht wahr, Betty? – und finden die Küche ganz annehmbar. Das letzte Mal hatte ich eine Rindfleischpastete, die wirklich vorzüglich war.“

Mrs. Jackson nickte eifrig. „Ich würde den Rum probieren, Miss Chapman“, riet sie Fiona. „Ich werde mir auch ein Schlückchen genehmigen. So wie der Wind jetzt durch den Kamin heult, wird der Nachmittag gewiss noch recht kühl werden.“

Die jüngere Miss Beresford rutschte auf ihrem Sessel nach vorn und flüsterte Fiona zu: „Verzeihen Sie, aber sind Sie heimlich davongelaufen, um mit Ihrem Liebsten durchzubrennen?“

„Nein! In der Tat, nein!“ Fiona lachte, halb amüsiert, halb verärgert, und sah sich um, falls irgendjemand es gehört hatte. Nur ein Schankmädchen war hinter ihnen gerade dabei, leere Gläser von den Tischen zu räumen. Und es schien eher damit beschäftigt zu sein, aus dem Fenster zu starren und mit dem Stalljungen im Hof zu flirten. „Sehe ich etwa wie eine verliebte Ausreißerin aus?“, antwortete Fiona leise.

„Ich dachte nur, wie aufregend es doch wäre, wenn Sie es wären. Was für ein Abenteuer!“ Ruth Beresford kicherte auf eine Weise, die nicht zu einer Frau passen wollte, die mindestens dreißig Jahre alt sein musste.

„Die Tochter des Duke of Thornley heiratet bald“, warf Mrs. Jackson ein. „Es heißt, Seine Gnaden sei sehr großzügig. Zweifellos wird er die Arbeiter auf seinem Gut zur Feier zu einem prächtigen Festmahl einladen.“

„Wollen wir also hoffen, dass er ihnen Fasan servieren wird“, meinte Mr. Jackson trocken. „Auf seinem Anwesen wimmelt es nur so von diesen Viechern. Sie sind eine wahre Plage, krächzen ständig ohrenbetäubend und treiben sich auf den Wegen herum“, fügte er hinzu, als er Fionas fragenden Blick bemerkte.

„Eine adlige Hochzeit!“ Ruth Beresford seufzte und zwinkerte Fiona zu, als würden sie ein Geheimnis teilen.

„Ich sehe mal, ob unser Wirt heute eine Pastete anbieten kann“, wechselte Mr. Jackson das Thema. „Möchtest du etwas essen?“, fragte er seine Frau, während er schon auf den Schanktisch zuging.

„Oh ja, sehr gern“, antwortete sie.

„Ich hätte Appetit auf ein Rindfleisch-Sandwich, falls der Wirt uns so etwas machen kann“, wandte Ruth sich an ihre ältere Schwester. „Kann ich meine Münzen haben?“ Valerie Beresford zog einen kleinen Beutel aus einer Tasche.

Auch Fiona hatte ein wenig Hunger. Sie legte sich ihr Retikül auf den Schoß und öffnete die Schnüre, um an ihr Geld zu kommen. Bei dem Gedanken an ein Rindfleisch-Sandwich mit Meerrettich lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie bestellte gemeinsam mit ihren Reisegefährten und folgte Mrs. Jacksons Rat, sich mit einem schönen Glas Rum-Grog die Kälte vom Leib zu halten. Wie sie sich jetzt so gemütlich mit den übrigen Reisenden vor dem Kaminfeuer entspannte, ließen ihre Bedenken über ihr neues Leben allmählich nach. Alles würde gut werden, wenn sie nur ihren Mut nicht sinken ließ.

„Was zum Teufel tust du hier?“ Die barsche Frage des Gentlemans deutete eigentlich auf einen unmittelbar bevorstehenden Wutausbruch hin, doch er fläzte dennoch weiterhin lässig in seinem Sessel. Nur dass sein attraktives Gesicht sich kaum merklich verfinsterte, zeigte seinen Ärger.

Becky Peake wusste allerdings genau, dass er sehr zornig auf sie war. Er hatte sie nicht angeschrien, obwohl sie es gewiss verdient hätte. Aber seine Stimme war kalt, ebenso wie seine bemerkenswerten dunklen Augen.

„Sei nicht böse auf mich, Luke“, flehte sie ihn an. Der Wirt des Gasthauses hatte sie zu diesem Hinterzimmer geführt, und jetzt trat Becky leichtfüßig über die Schwelle und zog die Tür hinter sich ins Schloss. „Ich will nicht allein in der Stadt bleiben, wenn du so weit fort bist.“ Sie kam auf ihn zu und ließ dabei herausfordernd die Hüften schwingen.

Aber er erhob sich abrupt, einen leisen Fluch ausstoßend, und ging von ihr fort.

Praktisch wie immer, warf Becky einen Blick auf den Teller voll appetitlicher Happen. „Ich sterbe vor Hunger … darf ich mich bedienen, wenn du schon fertig bist?“

Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nur zu.“

Schnell entledigte Becky sich ihres Huts, sodass ihre dunklen Locken ihr auf die Schultern fielen. Sie löste den Knoten am Hals ihres Umhangs und machte sich daran, sich an den kalten Fleischstücken, dem frisch duftenden Brot und dem Käse gütlich zu tun. Als ihr plötzlich bewusst wurde, dass ihr Liebhaber sie nachdenklich betrachtete, wischte sie sich mit der schneeweißen Serviette über die vollen Lippen. „Was ist?“ Sie lächelte kokett und ließ ihre hübschen Grübchen sehen. „Vergibst du mir? Du wirkst, als würdest du es tun …“

„Nun, das kommt darauf an“, meinte er mit einem kaum merklichen Lächeln.

„Du verzeihst mir immer meine kleinen Sünden, wenn ich dir ganz besondere Gefälligkeiten erweise“, sagte sie selbstbewusst, stand auf, ging tänzelnd auf ihn zu und legte ihm die Arme um den Nacken.

„Deine Dreistigkeit ist keine kleine Sünde, und ich werde sie nicht vergessen, meine Süße. Aber da du schon einmal da bist, gibt es vielleicht einen Weg, wie du es wiedergutmachen könntest.“

Becky legte den Umhang ganz ab. Darunter trug sie ein hauchdünnes zitronengelbes Kleid, das sich eng an ihre üppigen Rundungen schmiegte. „Ich tu alles, was du verlangst“, gurrte sie anzüglich und schlang wieder die Arme um ihn.

„Gut“, knurrte er und befreite sich aus ihrer Umarmung. „Ich habe einen Vorschlag für dich …“

2. KAPITEL

Ich bin nicht gegen Ihren Plan, Euer Gnaden. Ich bin lediglich der Meinung, dass es verfrüht wäre, ihn in die Tat umzusetzen.“

„Und warum, wenn ich fragen darf?“ Alfred Morland, der Duke of Thornley, war Widerspruch nicht gewohnt, ganz besonders nicht von Personen weit geringeren Ranges. Allerdings handelte es sich hier nicht um einen gewöhnlichen Mann. Major Wolfson war Veteran der Napoleonischen Kriege und besaß eine ganze Liste von Empfehlungen, die von seinem militärischen Können und seiner unbestrittenen Tapferkeit zeugten. Der Duke of Wellington, ein gemeinsamer Bekannter, hatte die Dienste des Majors empfohlen, als Thornley ihm von seiner misslichen Lage erzählt hatte. Da Seine Gnaden dringend die Hilfe eines Mannes von Wolfsons Qualitäten brauchte, unterdrückte er seine Wut, so gut er konnte, heftete den Blick aber finster auf die hochgewachsene Gestalt des Mannes, der vor ihm stand. Widerwillig musste er zugeben, dass Wolfson sehr stattlich war, und glaubte unbesehen Wellingtons prahlerischen Worten, dass kein vernünftiger Mensch es je wagen würde, seinen ehemaligen Adjutanten zu verärgern. Doch nachdem er so viel Zeit und Überlegung in diesen Plan investiert hatte, wollte der Duke of Thornley so bald wie möglich Taten sehen.

Seit Napoleon endgültig besiegt worden war, ließ Major Wolfson sich und seine Talente anderweitig engagieren. Nicht, dass er das Geld benötigte. Wie Wellington angedeutet hatte, besaß er ein von seinem Großvater geerbtes Vermögen, um das ihn selbst Krösus beneidet hätte. Offenbar gefiel Luke Wolfson das Soldatenleben, und ihm schien der Sinn nicht nach einer ruhigen Existenz als Landadliger in Essex zu stehen. Ein abenteuerlustiger Mann also, wie er ihn für seine Mission brauchte, aber Thornley sah deutlich, dass Wolfson alles andere als beeindruckt zu sein schien von seinem Plan, einen hiesigen Schurken zur Strecke zu bringen.

Luke nahm einen herzhaften Schluck von dem Branntwein, den der Duke ihm eingeschenkt hatte, als er noch in leutseliger Stimmung gewesen war, und stellte das Glas dann auf den Kaminsims. „Wenn das Leben einer jungen Frau in Gefahr geraten könnte, sind gründliche Überprüfungen doch wohl zwingend erforderlich, bevor es zu spät ist.“

„Ich habe Sie in der Hoffnung kommen lassen, Sir, dass Sie mit jedweder Gefahr fertigwerden. Falls Ihnen die Aufgabe zu mühsam erscheint oder Sie sich ihr nicht gewachsen fühlen, müssen Sie es nur sagen, und ich rufe einen anderen Söldner.“

„Auch in dem Fall wird Ihr Plan warten müssen, bis Sie jemanden finden, der bereit ist, den Auftrag anzunehmen und die Collins-Bande zu unterwandern.“ Luke verzog den Mund zu einem kaum merklichen Lächeln, während der Duke, eindeutig verärgert, über diesen Einwand nachgrübelte.

„Die Frau wird großzügig für ihren Einsatz bezahlt – genau wie Sie“, erinnerte er Luke säuerlich.

„In der Tat, und ich habe Miss Peake versprochen, dass sie nächste Woche wieder in London sein wird, um ihren Lohn ausgeben zu können. Es wäre mir sehr unlieb, stattdessen ihre Beerdigung veranlassen zu müssen.“

„Nun, dann geben Sie ihr eben einen Bonus, wenn sie einwilligt, die Sache zügig anzugehen.“ Thornley bedachte den Major mit einem mürrischen Blick. „Zweifellos rechnen Sie mit einem ähnlichen Lohn, obwohl Sie für sich bereits eine fürstliche Bezahlung ausgehandelt haben.“

Luke zuckte ungerührt die Achseln. „Wenn Sie einen Anreiz bieten, um die Sache zu beschleunigen, habe ich natürlich nichts dagegen. Aber das Risiko bleibt das Gleiche, und ich rate Ihnen dringend, gründlich nachzudenken, bevor Sie etwas unternehmen. Sollte Collins Verdacht schöpfen, hätten Sie nichts gewonnen und würden die Bande womöglich dazu bringen, sich an Ihnen und Ihrer Tochter zu rächen. Ihr Wohlergehen ist Ihnen doch wohl wichtig, oder?“

„Selbstverständlich!“ Wolfsons letzte Bemerkung hatte einen wunden Punkt getroffen. Der Duke of Thornley vergötterte seine Tochter. Er wusste, wie sehr sie sich in Devon langweilte, weil er sie nicht oft aus dem Haus gehen ließ, nicht einmal in Begleitung ihrer Zofe. Schuld daran war die Bande von Gewalttätern, die die Gegend unsicher machte. „Falls der Schurke Verdacht schöpfen sollte, dann lediglich, weil Wellington mir zu viel versprochen hat, was Ihre Fähigkeiten angeht. Ich bezahle Sie dafür, dass Collins nichts ahnt.“ Seine Gnaden stellte sein Glas mit einem heftigen Ruck auf den Schreibtisch und erhob sich. „Sie vergessen sich, Sir, wenn Sie es wagen, mich zu schulmeistern!“

„Ich glaubte, Sie würden meinen Rat willkommen heißen“, sagte Luke ruhig. „Tatsächlich hatte ich den Eindruck, Sie hätten mich aus ebendiesem Grund hierher beordert.“ Ihre Blicke trafen sich, aber Luke konnte sehen, dass der Duke nicht bereit war, seinen Fehler einzugestehen. „Vor ungefähr sechs Monaten kidnappte Jeremiah Collins einen jungen Mann und ließ ihn dann zu seiner Familie zurückkehren, nachdem man ihm ein beträchtliches Lösegeld gezahlt hatte.“ Luke sah, wie dem Duke heftige Röte in die Wangen stieg. „Sie wussten davon. Und haben sich wohl auch davon inspirieren lassen, wie ich annehme.“

„Natürlich weiß ich davon“, brauste Seine Gnaden auf, offenbar gereizt, dass man ihm vorwarf, seine Idee ausgerechnet von der Person gestohlen zu haben, die er aufgeknüpft sehen wollte. „Mein Freund Squire Smalley ist Friedensrichter in Devizes. Die Angelegenheit ist vertuscht worden, um die Leute nicht in Angst und Schrecken zu versetzen. Aber offensichtlich ja nicht gut genug, wenn Sie davon Kenntnis haben.“

Luke lächelte. „Wie Sie, Euer Gnaden, habe auch ich Freunde mit Einfluss“, sagte er leise.

„In dieser Gegend – und in London übrigens auch – bin ich derjenige mit dem größten Einfluss.“ Die arroganten Worte taten dem Duke schon leid, kaum dass er sie ausgesprochen hatte, aber Wolfson war entschieden zu vorlaut und musste ein wenig zurechtgestutzt werden. „Sie sind entweder auf meiner Seite, Major, oder nicht. Lassen Sie mich wissen, was von beidem der Fall ist.“

„Verzeihen Sie, aber so wie es aussieht, können wir uns in dieser Sache nicht einigen. Ich kann unmöglich guten Gewissens weitermachen, wenn ich kein Vertrauen in den Plan habe, wie er im Augenblick aussieht. Außerdem besitze ich noch nicht genügend Fakten, um Miss Peakes Sicherheit zu garantieren. Um die Wahrheit zu sagen, würde ich auch lieber keine Frau in solche Gefahr bringen.“ Luke verbeugte sich knapp. „Ich werde meinen Anwalt veranlassen, Ihnen die Anzahlung zurückzuschicken. Somit ist unser Vertrag ungültig. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend.“

Luke unterdrückte einen Fluch, während er zur Tür ging. Die Sache hatte ihm von Anfang an nicht gefallen und er war nur bereit gewesen, nach Devon zu reisen und mit Thornley zu sprechen, um Wellington einen Gefallen zu tun.

Eine Mission, bei der einem unversehens ein Messer in die Brust gestoßen werden konnte, war nichts Ungewöhnliches bei den Aufträgen, die Luke übernahm, aber Becky hatte in ihrem Leben nie Gefährlicheres erlebt als einen Bewunderer, der ihr auf einem unbeleuchteten Weg in Vauxhall Gardens auflauerte. In jedem Fall zog Luke es vor, allein zu arbeiten, und erst hier in Devon hatte er erfahren, dass er eine Komplizin brauchen würde.

Trotz seiner Ergebenheit für Wellington hatte er schon nach der ersten Begegnung mit Thornley in Erwägung gezogen, sein Bedauern auszudrücken und den Auftrag abzulehnen. Und dann war unerwartet seine Geliebte aufgetaucht. Luke wusste, dass er keine bessere Kandidatin für die Rolle der Komplizin würde finden können.

Becky war eine sehr tüchtige Schauspielerin. Wäre sie in London geblieben, statt ihm zu folgen, würde sie jetzt auf der Bühne in Haymarket stehen und die Desdemona geben. Aber bei näherer Überlegung wurde ihm klar, dass er das Risiko nicht eingehen wollte. Wahrscheinlich würde Becky enttäuscht sein, früher als erwartet von ihm nach London zurückgeschickt zu werden. Dennoch würde er genau das tun, denn ihr Erscheinen hier hatte das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht.

Während Luke schnell auf die riesige Eichenholztür am Ende einer stillen Marmorhalle zuschritt, trat der Butler auf ihn zu und überreichte ihm den Mantel. Bevor er allerdings das Haus verlassen konnte, rief eine junge Frau seinen Namen, und er drehte sich verblüfft um.

Lady Joan Morland eilte die letzten Stufen herunter und brachte den alten Diener dazu, missbilligend die Augenbrauen zu heben über die älteste Tochter seines Herrn.

„Hat Papa Sie dazu überredet, unseren Plan schnell umzusetzen?“, flüsterte sie, als sie Luke erreichte.

„Nein“, antwortete er nach kurzer Überlegung. „Es ist uns nicht gelungen, uns zu einigen, also wird ein anderer meine Rolle übernehmen müssen, falls Ihr Vater bei seinem Plan bleiben will.“ Er verbeugte sich und ging weiter.

Joan schien sehr bedrückt über die Neuigkeit zu sein. Schnell folgte sie Luke. „Das ist sehr schade. Dieser fürchterliche Mann ist eine entsetzliche Plage. Er hat zwei unserer Arbeiter zusammenschlagen lassen, weil sie verraten haben, dass er Branntwein verkauft, der schon einige Menschen das Leben gekostet hat. Und jetzt hat jeder im Dorf zu große Angst, um auch nur seinen Namen zu erwähnen. Aber Papa und ich nicht! Er wird uns nicht dazu bringen, seine Verbrechen zu dulden.“

„Hat Collins Sie je zu Gesicht bekommen?“, fragte Luke.

Joan schüttelte den Kopf. „Soweit ich weiß, nein. Ich gehe nicht viel aus dem Haus – Papa möchte es nicht. Aber ich habe keine Angst vor Collins! Und ich habe Papa schon gesagt, dass er mich nicht für ewig einsperren kann.“ Sie seufzte. „Am liebsten würde ich wieder nach London zurückkehren, wo es lustig ist und ich viel unternehmen kann.“

Luke unterdrückte ein Lächeln. Sie mochte noch jung sein, noch nicht einmal mündig, wie ihr Vater ihm verraten hatte, aber sie hatte Mut.

„Collins’ Glückssträhne wird irgendwann zu Ende gehen. Ich stelle mir vor, dass die Behörden ihm bereits auf der Spur sind und ihn bald festnehmen werden.“

„Das sagen die Leute in der Gegend schon seit über einem Jahr, und trotzdem tut er noch immer, was er will“, meinte Joan finster. „Ein Lieutenant Brown von der Küstenwache wurde neulich halb totgeschlagen aufgefunden. Wir wissen ja wohl alle, wer das getan hat! Und letzte Woche sind noch mehr Branntweinfässer an die Küste geschwemmt worden, wie ich von meiner Zofe hörte …“

Luke nickte bedauernd, um ihr zu zeigen, dass ihn die Nachricht nicht erfreute, aber auch nicht überraschte. „Ich muss jetzt gehen.“ Er verneigte sich höflich.

Natürlich versuchte sie, an sein Gewissen zu appellieren, damit er doch noch den verrückten Plan ihres Vaters ausführte und Collins in die Falle lockte. Doch Luke war sicher, dass der Duke in seiner Arroganz die gerissene Intelligenz seines Gegners unterschätzte. Außerdem wusste Luke, dass ihm der Duke nicht die Freiheit der Entscheidung geben, aber die gesamte Verantwortung auf seine Schultern laden würde. Unter diesen Bedingungen war Luke nicht bereit, sich einzusetzen. Außerdem erwartete ihn woanders ein dringendes Anliegen.

Er freute sich keineswegs auf sein Treffen mit Drew Rockleigh. Doch er musste sich um die Angelegenheit kümmern, die ihre Freundschaft gefährdete, bevor er nach London zurückreiste.

3. KAPITEL

Reisen wir schon heute nach London zurück?“

„Nicht wir … du“, sagte Luke lächelnd. Er stand vor dem Kamin im Privatsalon des Wirtshauses und blickte in den Spiegel, während er geschickt sein Krawattentuch band und kurz Beckys Blick begegnete.

„Es ist wirklich zu gemein vom Duke, unser kleines Abenteuer abzusagen.“ Becky biss schmollend in ihren Toast. „Er sollte mir wenigstens meinen Lohn zahlen. Ich brauche einen neuen Hut.“ Sie sah Luke dabei zu, wie er in seine Jacke schlüpfte.

„Nicht er hat es abgesagt, sondern ich. Und ich werde dir genug für einen Hut geben, meine Süße, keine Sorge.“ Er war offenbar nicht der einzige Söldner in diesem Raum. Er unterdrückte ein amüsiertes Lachen. Aber er zog es vor, wenn seine Geliebten sich mit sinnlicher Befriedigung und einem großzügigen Taschengeld zufriedengaben und weder seine Zeit noch seine Freiheit zu sehr in Anspruch nahmen. Leider überschritt Becky immer öfter die Grenzen und legte eine Eifersucht an den Tag, die Luke ermüdend fand. Es wurde Zeit, ihre Beziehung zu beenden, und er würde es tun, sobald er wieder in London war. In gewisser Hinsicht war es allerdings seine eigene Schuld, dass sie ihm bis hierher gefolgt war, da er ihr gesagt hatte, wohin er fahren wollte. Dennoch hätte er nie gedacht, dass sie die Frechheit besitzen würde, sich an seine Fersen zu heften.

„Kommst du bald zum Eaton Square?“, fragte sie mit angemessener Demut.

Sie hatte nie den Fuß in Lukes Stadthaus in Mayfair gesetzt und hätte es natürlich nie gewagt, ihn vor seiner Familie in Verlegenheit zu bringen. Andererseits wusste sie, dass er gar nicht mehr so viele Verwandte besaß, die sie durch ihre Existenz hätte erschüttern können. Er war ein Einzelkind gewesen, und sein Großvater väterlicherseits hatte beide seiner Eltern überlebt. Mehr als das wusste Becky nicht über ihren Liebhaber. Und sie war viel zu klug, um ihn zu drängen, ihr mehr zu verraten.

Seit fünf Monaten war sie die Geliebte des „Glücksritters“, wie er heimlich genannt wurde, und sie wollte es auch bleiben. Luke Wolfsons Ruf als Herzensbrecher und sein hinreißendes, fast fremdländisch dunkles Aussehen machten ihn in Beckys Augen unwiderstehlich. Als erfahrene Kurtisane hatte sie jedoch erkannt, dass Lukes Interesse an ihr nachzulassen begann.

„Die Londoner Saison wird bald anfangen“, sagte sie in einem neuen Versuch, ihn zum Sprechen zu bewegen.

„Und?“ Er wandte sich vom Spiegel und zu ihr um.

„Wirst du während der Saison ständig in der Stadt bleiben?“

Luke besaß ein riesiges Gut in Essex, und Becky vermutete, dass er auf dem Land eine chère amie haben musste, die ihm Gesellschaft leistete in der langen Zeit, die er von ihr fort war. Aber ein Milchmädchen mit dicken Waden beunruhigte sie nicht besonders.

„Vielleicht. Warum fragst du?“

„Harriet Ponting ist mit ihrer Mutter in der Stadt angekommen.“

„Und?“ Lukes Miene blieb ausdruckslos, während er seine Manschetten zurechtrückte.

„Oh, du weißt doch, was man von dir erwartet!“, rief Becky aufgebracht und bedeckte ihr hübsches Gesicht mit den Händen. „Ihre Mama bringt schon eine Ewigkeit Gerüchte in Umlauf, dass du kurz davor bist, ihrer ältesten Tochter wieder den Hof zu machen.“

„Ist dem so?“, murmelte Luke abweisend, und der Ausdruck, den er aufgesetzt hatte, war Becky, die zwischen den Fingern hindurchlugte, nur allzu bekannt. Er ließ sie wissen, dass seine Heiratspläne sie nicht das Geringste angingen und er sehr ungehalten darüber war, sie das Thema überhaupt anschneiden zu hören.

„Ich bezahle die Rechnung. Pack deine Sachen, meine Süße. Wir gehen.“

Becky sah ihm wütend nach. Ihrer Meinung nach ging es sie sehr wohl etwas an. Sie mochte ja nicht von Adel sein wie Harriet, aber sie hätte einem Gentleman als seine Gattin sehr viel zu bieten. Becky wollte es anderen ehrgeizigen Kurtisanen nachtun, die es geschafft hatten, reiche, einflussreiche Männer zu heiraten und ihnen legitime Erben zu schenken. Harriet Ponting hatte Luke bereits ein Mal abgewiesen und verdiente keine zweite Chance. Das war Beckys feste Überzeugung.

„Oh, es ist einfach unerträglich!“

„Na, na, beruhige dich, meine Liebe“, beschwichtigte Peter Jackson seine Frau. Er drückte sie fester an sich und unter den Baum, unter dem sie Schutz vor dem peitschenden Regen suchten.

Fiona hatte sich mit den Schwestern Beresford unter einer kargen Eiche zusammengedrängt. Doch ein lauter Donnerschlag ließ sie durch die knarrenden Äste über sich nach oben blicken.

„Vielleicht wären wir im Freien sicherer“, sagte sie und zog die Kapuze ihres Umhangs weiter vor, um ihr Gesicht zu schützen.

„Aber dann werden wir doch patschnass“, beschwerte sich Ruth Beresford und rückte mit ihrer Schwester dichter an den Baumstamm.

„Besser das, als vom Blitz getroffen zu werden“, gab Fiona zu bedenken.

Kurz entschlossen lief sie zur Kutsche zurück, die sich bedenklich zu einer Seite neigte. Der Kutscher und der Pferdeknecht versuchten mit allen Kräften, die vordere gebrochene Achse zu reparieren, nicht wenig behindert davon, dass sie gleichzeitig den stürmischen Elementen trotzen mussten. Das Gewitter war wie aus dem Nichts gekommen, als sie sich auf einer besonders abgelegenen Strecke befanden. Toby Williams legte den Hammer hin, als Fiona neben ihm stehen blieb. Erschöpft erhob er sich, klopfte dem nächsten Pferd auf die Flanke und redete beruhigend auf das arme Tier ein. Das Gespann hatte die Köpfe gesenkt vor dem wilden Angriff der Natur. In Strömen lief das Wasser an ihren Flanken und Mähnen herab.

„Es nützt nichts, Miss. Ich muss zum Fallow Buck zurück und um Hilfe bitten. Allein schaff ich es nicht, dieses verflixte Ding wieder fahrbar zu machen.“ Der Kutscher wies auf seinen jungen Pferdeknecht. „Bert bleibt bei Ihnen. Er kann meine Donnerbüchse zu Ihrem Schutz benutzen. Ich denke, in der Kutsche sind Sie sicher. Sie steckt im Schlamm fest und wird nicht umkippen. Und Sie können nicht im Freien bleiben, sonst holen Sie sich noch den Tod.“

„Glauben Sie denn, Bert könnte die Donnerbüchse brauchen?“, fragte Fiona beunruhigt. Der Junge sah nicht besonders begeistert darüber aus, allein gelassen zu werden und noch dazu die Verantwortung für die Sicherheit der durchnässten, verärgerten Fahrgäste übernehmen zu müssen.

„Nun, man kann nie wissen. Besser auf Nummer sicher gehen“, meinte Toby Williams ausweichend. Er dachte an die Collins-Bande, die die Gegend von Kent bis Cornwall entlang der Küste unsicher machte. Jene Plünderer würden ihr Glück nicht fassen können, sollten sie zufällig auf eine Gruppe wehrloser Reisender treffen. Jeremiah würde ihnen alle Wertsachen rauben und den Damen die Tugend, wenn stimmte, was Toby über den Schurken gehört hatte. Vor allem fürchtete er jedoch, Bert könnte sein Leben verlieren. Der Junge war erst achtzehn Jahre alt, doch schon hingen eine Frau und ein Kind von ihm ab. Man hatte Collins in Verdacht, einen Steuereintreiber aus Rye ermordet zu haben, doch über ein Jahr war vergangen, und dem gefährlichen Mann gelang es immer noch, sich dem Zugriff des Gesetzes zu entziehen.

Man erzählte sich, Jem Collins habe keine Skrupel mehr. Er wusste, dass ihn der Strick erwartete, und so war es ihm gleichgültig, wie viel Angst er überall verbreitete, um so viel Profit zu scheffeln, wie er nur konnte, bevor er gefasst wurde – irgendwann würde das jedoch mit Gewissheit geschehen.

„Ich bringe die anderen zur Kutsche zurück“, brachte Fiona hervor, während der eiskalte Regen ihr ins Gesicht schlug.

„Wollen wir uns ein wenig mit einem Spiel aufheitern? Wir könnten ein Lied singen“, schlug Fiona verzweifelt vor, als der Regen draußen unvermindert auf sie einprasselte und der Wind die Kutsche erschütterte. Trotz des Regens, der auf das Dach trommelte, konnte Fiona Valerie Beresford in einer Ecke des Wagens weinen hören. In der anderen gab Mrs. Jackson sich noch lauter ihrer Verzweiflung hin, während ihr Mann ihr beschwichtigend die Hände tätschelte.

„Was für ein Abenteuer“, sagte Ruth Beresford mit einem unsicheren Lächeln.

„In der Tat, und eins, das ich lieber nicht erlebt hätte.“ Fiona seufzte. Aber sie war entschlossen, heiter zu bleiben. Schließlich war sie die jüngste Frau in ihrer kleinen Reisegesellschaft und sollte Stärke und Mut an den Tag legen. Sie hob das Lederrollo ein wenig an und sah zum armen Bert hinaus, der einsam auf und ab ging, Donnerbüchse in der Hand. Es wurde allmählich dunkel, und Fiona fürchtete, dass es Nacht sein würde, bevor die Rettung nahte.

„Wie viel länger wird der elende Mann noch brauchen?“, heulte Mrs. Jackson. „Ich bin völlig steifgefroren und werde sicher ernsthaft krank.“

„Ruhig, meine Liebe. Ich bin sicher, Toby tut sein Bestes. Er wird da sein, bevor du es dich versiehst.“ Doch man sah ihm die tiefe Sorge um seine Frau an, denn sie war sehr anfällig gegen die Kälte. Darüber hinaus beunruhigte ihn die ganze Situation zutiefst. Insgeheim machte er sich Vorwürfe, weil er keine Waffe dabei hatte. Doch er hatte diese Strecke oft hinter sich gebracht und wusste, dass Toby Williams stets bewaffnet war, um seine Passagiere zu beschützen. Vor über einer Stunde hatte er aber das kräftigste Pferd abgespannt und seine Pistole mitgenommen, um sich auf dem Ritt zurück zum Wirtshaus verteidigen zu können, falls nötig. Was bedeutete, dass sie jetzt nur von einem grünen jungen Mann und einer einzigen Waffe beschützt wurden.

„Ein Reiter!“ Bert riss die Kutschtür auf, um die Neuigkeit ins Innere zu schreien.

„Schließ die Tür, bevor wir alle vom Regen weggeschwemmt werden, du dummer Junge“, kreischte Mrs. Jackson und hielt sich abwehrend die Hände vor das Gesicht.

Mr. Jackson war blass geworden bei Berts Worten, sagte jedoch mannhaft: „Lass mich an der Tür sitzen.“ Er erhob sich und schob seine Frau weiter ins Innere der Kutsche. „Halten Sie das Gewehr hoch, junger Mann“, befahl er Bert. „Ich nehme an, Sie wissen, wie man die Büchse benutzt und neu lädt, sollte es nötig sein.“

Bert nickte ruckartig, den Blick entsetzt auf Mr. Jackson gerichtet. Dieser überlegte, ob es gar schon Toby Williams war, aber so schnell hätte der Kutscher unmöglich das Fallow Buck erreichen und wieder zu ihnen zurückkehren können.

Hufgeklapper wurde lauter, und Bert wirbelte erschrocken herum. Er hatte gespürt, dass der Farmer seine Angst teilte. Mit einem Pfiff könnte der sich nähernde Fremde den Rest seiner Bande herbeiholen, sobald er erkannt hatte, wie schutzlos die kleine Gesellschaft war. Oder es handelte sich um einen einsamen Wegelagerer, der zufällig ihren Weg kreuzte …

Luke verlangsamte das Tempo seines Pferdes und fluchte leise, als er die schief am Wegesrand stehende Kutsche entdeckte. Es trennte ihn nur eine kurze Strecke von seinem Ziel, und einen Moment lang war er versucht weiterzureiten. Er fror, war nass und hungrig, aber er wusste, dass er die armen Leute nicht einfach ihrem Schicksal überlassen konnte. Zumindest würde er ihnen anbieten, Hilfe zu holen, und gleichzeitig hoffen, dass die schon unterwegs war. Ein Pferd fehlte vom Gespann, also musste einer der Kutscher sich bereits auf den Weg gemacht haben. Der junge Bursche mit der Donnerbüchse sah aus, als könnte er sie jeden Moment benutzen, also gab er sich besser schnell als Freund zu erkennen. Andererseits verstand Luke ihre Angst in einer Gegend, in der die Collins-Bande sich herumtrieb.

Er stieg vom Pferd und salutierte freundlich, band seinen Hengst an einen tief hängenden Ast und watete durch den Schlamm zum hinteren Ende der schief stehenden Kutsche, um den Schaden zu begutachten.

Als es angefangen hatte zu regnen, hatte er seinen Entschluss zu reisen bedauert, aber am Nachmittag war das Wetter noch gut gewesen, und er hatte es eilig gehabt, Drew Rockleigh auf dessen Jagdsitz zu besuchen. Wenn ein Streit mit ihm unvermeidbar war, wollte Luke ihn so bald wie möglich hinter sich bringen.

Jetzt ging er in die Hocke, stellte fest, dass die Achse entzweigebrochen war, und erhob sich fast augenblicklich wieder. Es würde schneller und einfacher sein, eine andere Kutsche zu schicken, um diese armen Leute zu retten, als zu versuchen, dieses jämmerliche Gefährt zu reparieren. Plötzlich spürte er, dass er beobachtet wurde, und durch den dichten Regenvorhang sah er undeutlich das Gesicht einer Frau.

„Wohin waren Sie unterwegs?“ Er wischte sich den Regen, so gut es ging, vom Gesicht, trat dichter an die Kutsche heran und konnte die Frau, an die er die Frage gerichtet hatte, jetzt besser sehen. Sie war um einige Jahre jünger als er, wenn auch nicht so jung wie Becky, und ihr ernster Gesichtsausdruck ließ sie unscheinbarer wirken, als sie wahrscheinlich war.

„Dartmouth.“ Fiona wollte nicht zu viel verraten. Sie wussten schließlich nichts über diesen Burschen, um ihm vertrauen zu können. Mr. Jacksons Unruhe, als er von dem Reiter gehört hatte, ließ Fiona vermuten, dass es in dieser Gegend von Verbrechern nur so wimmeln musste. „Und Sie?“, entgegnete sie und blinzelte, um ihn durch den Regen besser ausmachen zu können. Ihr stockte der Atem. Er war der umwerfendste, attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte.

„Lowerton, ein Dorf nur einige Meilen von hier entfernt“, erklärte Luke und hoffte, sie beruhigt zu haben. Ihm war ihr Unwohlsein aufgefallen. „Ist bereits jemand unterwegs, um Hilfe zu holen?“ Er neigte den Kopf, um auch die übrigen Passagiere der Kutsche ins Gespräch einzuschließen.

„Unser Kutscher ist losgeritten. Wir erwarten ihn jeden Moment zurück. Möchten Sie sich bitte vorstellen, Sir?“, forderte Mr. Jackson ihn auf.

„Oh, verzeihen Sie. Luke Wolfson, zu Ihren Diensten.“

„Mein Name ist Peter Jackson, und das ist meine Frau. Diese beiden Damen sind die Misses Beresford, und die Dame Ihnen am nächsten ist …“

„Miss Fiona Chapman“, stellte Fiona sich leise vor, da Mrs. Jacksons Husten die Stimme ihres Mannes übertönt hatte.

Fiona fühlte sich ein wenig entspannter. Zwar hatte Mr. Wolfson nur wenige Sätze gesagt, und doch ging etwas von dieser hochgewachsenen, imposanten Gestalt aus, dass der Mann ihr jetzt eher beruhigend als bedrohlich vorkam. Er sprach gelassen, war offensichtlich gebildet und trug kostspielige Kleidung – entsprach also in der Tat nicht dem Bild eines herkömmlichen Wegelagerers.

Auch ihre Reisegefährten schienen froh über Mr. Wolfsons unerwartetes Erscheinen zu sein. Ein weiterer Mann – besonders einer von Luke Wolfsons Alter und muskulöser Statur – stellte eine große Hilfe dar, wenn er denn bleiben wollte. Fiona fragte sich, ob er sich vielleicht schon bald wieder verabschieden würde, jetzt da er wusste, dass Hilfe unterwegs war.

„Ist Ihnen kalt?“ Luke hatte bemerkt, wie Fiona erschaudernd ihren Umhang enger um sich gezogen hatte.

„Sehr, Sir. Wir alle sind vorhin ausgestiegen, damit der Kutscher sich daranmachen konnte, die Achse zu reparieren. Leider vergeblich.“ Sie zuckte die Achseln. „Toby Williams ist also auf dem Weg, besseres Werkzeug und Hilfe zu besorgen. Die Bäume haben uns nicht vor dem Sturm schützen können. Wir sind alle völlig durchnässt.“

„Ich würde sagen, dass diese Kutsche nicht mehr repariert werden kann. Ihr Kutscher sollte lieber mit einer neuen Kutsche kommen.“

Ein verzweifeltes Aufstöhnen von Mrs. Jackson war die Antwort auf Lukes Worte. Fiona nickte. Sie war zu einem ähnlichen Schluss gelangt.

„Ich hoffe, er kehrt bald zurück“, meinte sie mit einem besorgten Blick auf die ältere Dame, die wieder zu husten begann.

„Am besten mache ich ein Feuer. Sie könnten sich darum versammeln und ihre Kleidung trocknen, während Sie auf den Kutscher warten.“ Luke betrachtete stirnrunzelnd ein nahe liegendes Gehölz, als versuchte er einzuschätzen, wie viel Schutz es ihnen bieten würde.

„Ein Feuer?“, wiederholte Peter Jackson ungläubig lachend. „Ich würde mir ja nichts mehr wünschen, als dass er es zuwege brächte, aber ich bezweifle es sehr.“ Er sah Luke nach, der schon weitergegangen war. „Er wird keinen einzigen trockenen Zweig finden.“

„Es ist sehr freundlich von ihm, es zu versuchen“, sagte Fiona, die ebenfalls nicht den Blick von seinem breiten Rücken wenden konnte.

Zwanzig Minuten später musste der Farmer alles zurücknehmen. Der heftige Regen hatte sich in ein Nieseln verwandelt, und kleinlaut folgte Mr. Jackson den Damen zu den Bäumen, wo ein einladendes Feuer sie willkommen hieß. Luke hatte dafür eine Lichtung gewählt, die die kleine Reisegesellschaft vorher nicht bemerkt hatte. Die Flammen wurden von einem Dach aus immergrünen Ästen geschützt. Nur ab und zu hörte man ein Zischen, wenn ein Regentropfen durch den Efeu auf die Glut fiel.

„Ich sollte mir die nassen Sachen ausziehen. Bestimmt werde ich wochenlang das Bett hüten müssen, ich weiß es einfach“, jammerte Betty Jackson zähneklappernd.

„Bleib dicht am Feuer, meine Liebe, damit dir warm wird.“ Mr. Jackson zog seinen Mantel aus, damit seine Frau sich dahinter der feuchten Kleidung entledigen konnte.

Die Schwestern Beresford begaben sich auf die andere Seite und halfen sich gegenseitig dabei, ebenfalls einige Kleidungsstücke abzulegen, während Ruth ein Kichern nicht unterdrücken konnte.

Fiona entfernte sich ein wenig, um sie nicht zu stören, während sie sich unter Umhängen und Schultertüchern verbargen und versuchten, sich notdürftig abzutrocknen. Sie selbst streckte die Hände den Flammen entgegen, aber da sie jetzt weiter von dem Feuer entfernt stand, spürte sie ihre Wärme kaum noch.

„Sie sind auch ganz durchnässt. Ziehen Sie Ihren Umhang aus und tragen Sie meinen Mantel, bis er trocken ist.“

Überrascht stotterte Fiona: „Danke … für … für das freundliche Angebot, Sir, aber das wäre nicht sehr fair. Es nieselt immer noch, und Ihr Hemd wird nass werden.“ Sie schenkte Luke ein flüchtiges Lächeln und wandte den Blick ab. Seine klugen dunklen Augen schienen mehr sehen zu können, als ihr lieb war. Stattdessen schaute sie zum Himmel empor und erschauderte von dem kühlen Dunst, der ihr Gesicht benetzte. „Aber den hier werde ich abnehmen“, fügte sie leichthin hinzu, griff nach ihrem Hut und schüttelte ihn heftig aus.

Ihr Herz begann, auf alarmierend schnelle Weise zu klopfen, und zu ihrer eigenen Verwirrung wusste sie nicht, ob sie sich wünschte, dass er blieb oder ging. Dabei verhielt er sich tadellos, war nur höflich und hilfsbereit. Ohne ihn anzuschauen, war sie dennoch sicher, dass ihr guter Samariter sie noch immer betrachtete, während er schon dabei war, den langen Lederreitmantel auszuziehen, den er trug.

„Hier, bitte zieren Sie sich nicht. Ich bin es gewohnt, den Elementen zu trotzen“, sagte Luke fest, legte ihr den Mantel um die Schultern und ging weiter.

Da ihr keine Zeit blieb zu protestieren, schloss Fiona wieder den Mund und hielt den Mantel an den Aufschlägen fest. Er war so lang, dass er den Boden berührte, und sie versuchte, ihn anzuheben, um den Saum nicht zu beschmutzen. Der Ledergeruch erinnerte sie ein wenig an den Duft des Arbeitszimmers ihres lieben Papas. Einst hatten darin alte, gemütliche Sofas gestanden, und alles hatte nach Zigarren gerochen, aber nach der Hochzeit ihrer Mutter mit Cecil Ratcliff war alles verkauft worden.

Hastig verdrängte sie die Gedanken, nahm ihren nassen Umhang ab und schüttelte ihn kräftig, um so viel Wasser wie möglich von der Wolle zu entfernen.

Die beiden Gentlemen und der junge Bert hängten die Kleidung der Damen auf lange Zweige, die sie um das Feuer herum in den Boden steckten. Luke kam zu Fiona zurück und ließ sich von ihr den Umhang geben, um ihn ebenfalls aufzuhängen.

„Ich bin am Verhungern“, rief Valerie Beresford stöhnend. „Ich hoffe, Mr. Williams wird uns etwas zu essen mitbringen.“

„Das wird er“, versicherte sein Neffe. „Er wird alles tun, was möglich ist, damit Sie sich wieder wohlfühlen.“

„Eine Rückerstattung meiner Reisekosten würde mich auch schon zufriedenstellen“, meinte Mr. Jackson grimmig. „Dieses wacklige Gefährt kann unmöglich reisetüchtig gewesen sein, wenn es einen solchen Schaden erleiden konnte.“

Mrs. Jackson stimmte ihrem Gatten eifrig zu. „Es ist wahre Halsabschneiderei, was wir bezahlen müssen.“

Als Valerie Beresford sich auch noch zu beschweren begann, trennte der arme Bert sich von der Gesellschaft und verschwand heimlich in den Schatten der Bäume. Fiona fand einen niedrigen Baumstumpf, der gut als Sitzgelegenheit dienen würde, wischte ein wenig Wasser fort und setzte sich mit einem Seufzer, um auf Tobys Rückkehr zu warten.

4. KAPITEL

Wohin genau in Dartmouth wollen Sie reisen, Miss Chapman?“

Nachdem er Fionas Umhang zum Trocknen über zwei Stöcke gehängt hatte, war Luke zu ihr herübergeschlendert.

Nach kurzem Zögern erzählte sie es ihm. Es gab eigentlich keinen Grund, es nicht zu tun, fand sie. Mr. Wolfson machte nicht den Eindruck eines Mannes, der sich dem Klatsch hingab. Außerdem würden sie sich nach dem heutigen Tag nie wiedersehen, also war es sehr unwahrscheinlich, dass ihre Geschichte von Bedeutung für ihn sein könnte. Und selbst wenn er sie weitererzählen sollte, wen würde es schon kümmern – bis auf die wenigen Menschen, die ihr lieb und teuer waren –, ob Fiona Chapman, eine unverheiratete, unwichtige Person, ihr Zuhause verlassen hatte, weil es dort zu unerfreulich für sie geworden war und um eine Stellung als Gouvernante anzunehmen?

„Und reisen Sie zum Vergnügen?“

Fiona ertappte sich dabei, dass sie ihn anstarrte, und löste mühsam den Blick von seinem leicht feuchten Leinenhemd, das sich an die breite Brust schmiegte. Die Knöpfe am Hals waren offen und zeigten die sonnengebräunte Haut darunter, die ihm ein gefährlich fremdländisches Aussehen verlieh. Und doch war er ein kultivierter Engländer, da war sie sicher, obwohl er nichts über sich erzählt hatte.

Da sie nichts sagte, sah er sie mit leicht gehobenen Augenbrauen an, offensichtlich auf eine Antwort wartend. Wieder war Fiona versucht, sich ihm anzuvertrauen, was sehr ungewöhnlich für sie war, da sie eigentlich ein eher verschlossener Mensch war. In gewisser Weise fand sie seine ausgesprochen männliche Ausstrahlung beängstigend, andererseits war seine selbstbewusste, kompetente Art auch sehr beruhigend. Die romantische Atmosphäre hier im Flackern der Flammen und mit dem Duft vom knisternden Feuerholz hatte eine seltsame Wirkung auf sie, wie Fiona feststellte. Sie war wie verzaubert, nicht fähig, sich der Ausstrahlung dieses gut aussehenden Fremden zu entziehen, und mehr als bereit, ihre intimsten Geheimnisse mit ihm zu teilen, solange er nur bereit war, sich mit ihr zu unterhalten.

„Ich bin auf dem Weg zu einer Anstellung als Gouvernante“, antwortete sie.

„Dann sind Sie nicht nur sehr mutig, sondern auch sehr … töricht …“ Im letzten Moment ersetzte Luke das Kompliment, das ihm fast herausgerutscht wäre, durch eine andere, wenn auch gar nicht schmeichelhafte Wahrheit. Er wunderte sich selbst über die für ihn völlig ungewohnt vertrauliche Art, mit einer vornehmen Dame zu sprechen, die er kaum kannte. Fiona Chapman war nicht schön, nicht einmal besonders hübsch trotz der niedlichen hellbraunen Locken, die jetzt, da das Feuer sie trocknete, flaumartig ihr herzförmiges Gesicht umrahmten. Vorhin war ihr Haar vom Regen ganz glatt gewesen, sodass Luke sie für brünett gehalten hatte, und ihre Züge, wenn auch regelmäßig und angenehm, hatten nichts Besonderes. Dennoch war etwas an ihr, das er unbestreitbar anziehend fand – und fast hätte er es ihr gesagt.

Der Bann war gebrochen. Fiona erhob sich abrupt. Insgeheim fragte sie sich, ob er sarkastisch sein wollte. Sie war sicher, dass er kurz davor gewesen war, sie schön zu nennen, und sie wusste, dass nichts weniger der Wahrheit entsprach als das. Leider kam sie zu dem Schluss, dass Mr. Wolfson trotz seiner wertvollen praktischen Fähigkeiten ein ziemlich oberflächlicher Mensch zu sein schien. Es war kaum der richtige Ort oder Zeitpunkt für unaufrichtige Schmeicheleien.

„Töricht?“, wiederholte sie kühl. „Und warum glauben Sie das, Sir, wenn wir uns doch kaum kennen?“

„Sie reisen doch allein, nicht wahr?“

„Ja“, gab sie knapp zu.

„Dann möchte ich hinzufügen, dass Sie sogar außerordentlich töricht sind. Wir befinden uns in einer gefährlichen Gegend, die von rücksichtslosen Verbrechern heimgesucht wird, wie Ihnen Ihr Kutscher inzwischen mitgeteilt haben muss.“

„Selbst wenn ich mir eine leisten könnte, auf welche Weise könnte eine Zofe mich wohl vor Wegelagerern beschützen?“, fuhr Fiona ihn an. „Eine Dienerin wäre vielmehr eher eine Belastung für mich als ein Trost, weil ich mir ständig nicht nur um meine, sondern auch um ihre Sicherheit Sorgen machen müsste.“ Fiona wirbelte herum, um nach ihren letzten Worten davonzugehen. Doch sie hatte erst zwei Schritte getan, da spürte sie seine Finger hart um ihr Handgelenk, sodass sie stehen bleiben musste.

„Und wen wollen Sie mit Ihrer Sicherheit belasten, Miss Chapman? Einen Kutscher mittleren Alters oder einen Jungen, der nicht einmal fähig ist, eine Waffe richtig zu bedienen? Einen Farmer, der sich um seine Frau kümmern muss? Mich?“

Fiona entriss ihm ihren Arm und sah ihn mit wild blitzenden hellbraunen Augen an. „Ich erwarte von niemandem, dass er auf mich aufpasst, Sir. Am allerwenigsten von Ihnen. Ich kann allein auf mich aufpassen.“

„Können Sie das in der Tat?“

Er klang ein wenig spöttisch, und Fiona errötete noch heftiger vor Ärger. „Ja, in der Tat!“

Er nickte langsam, als wäre er bereit, ihr zu glauben, aber Fiona wusste, dass er sie insgeheim noch immer auslachte.

„Werden Sie auch die Beresford-Damen tadeln, weil sie ohne Dienerin reisen?“, verlangte Fiona zu wissen. „Oder stehe nur ich unter Anklage?“

„Nur Sie …“

„Und warum, bitte schön?“

„Sie sind jünger und ansehnlicher als die anderen Damen, dessen sind Sie sich ja sicherlich bewusst. Sollte man die Kutsche überfallen, würden Sie die Aufmerksamkeit der Schurken erregen und sie auf die Idee bringen, mehr von Ihnen zu verlangen als materielle Wertgegenstände.“

Das nahm Fiona den Wind aus den Segeln. Noch heftigere Röte schoss ihr in die Wangen. Sie schluckte unruhig und sagte mit rauer Stimme: „Sie scheinen ja sehr viel darüber zu wissen, Mr. Wolfson. Sehr beunruhigend.“

Er lächelte amüsiert. „Im Lauf der Jahre habe ich viel gelernt.“

„Davon bin ich überzeugt. Und haben Sie jetzt gelernt, lieber nicht anzuhalten und Reisenden in Not zu helfen, da sie sich als lästig erweisen könnten?“

„Ich gestehe, ich war wirklich versucht weiterzureiten.“

Fiona fand dieses Eingeständnis ziemlich irritierend, wenn sie bedachte, wie sehr er ihnen geholfen hatte, indem er ein Feuer für sie gemacht hatte, sodass sie sich sicherer fühlen und ihre Kleidung trocknen konnten. „Gut zu wissen, dass Ihr Gewissen am Ende gesiegt hat, Sir“, sagte sie nur kühl.

Sie wandte sich ab, doch dann fiel ihr auf, dass sie noch immer seinen Mantel trug. Schnell nahm sie ihn ab und gab ihn zurück. „Danke, ich habe keine Verwendung mehr dafür.“

Dieses Mal ließ er sie gehen, und so eilte Fiona zu den anderen zurück, die sich gerade lebhaft darüber unterhielten, wie lange Toby schon fort war und wann sie ihn wohl zurückerwarten konnten. Fiona sah deutlich, dass Mr. und Mrs. Jackson sich in eine ziemliche Aufregung hineingesteigert hatten und dem Kutscher die ganze Schuld an ihrer misslichen Lage gaben.

Und wie als Antwort auf Mrs. Jacksons Gebete, die sich mit heftigen Hustenanfällen abwechselten, erklangen plötzlich Hufgeklapper und das ratternde Geräusch einer Kutsche.

Bert, bedrückt neben dem Feuer hockend, sprang abrupt auf, packte die Donnerbüchse und sah ängstlich fragend in Lukes Richtung, der bereits zwei Pistolen aus seiner Satteltasche hervorgeholt hatte.

Doch einen Moment später grinste Bert erleichtert und lief auf den Weg zu, von wo er die Stimme seines Onkels vernahm.

„Dann verabschiede ich mich also von Ihnen, nun da Ihr Kutscher wieder da ist“, verkündete Luke, als der erste Schlagabtausch zwischen Toby Williams und einem wütenden Peter Jackson vorüber war.

„Unsere Dankbarkeit kennt keine Grenzen, Sir“, rief Peter. „Sie haben uns allen einen großen Dienst erwiesen.“ Er schüttelte Luke herzlich die Hand. „Dieser Mann war ein wahres Gottesgeschenk während Ihrer Abwesenheit“, herrschte er Toby Williams anklagend an.

„Ich nehme an, Sie werden im Fallow Buck übernachten“, wandte Luke sich an den Kutscher.

Toby Williams nickte. „Ich muss Ihnen auch für Ihre Hilfe danken, Mr. Wolfson.“

Luke schüttelte ihm die Hand, verbeugte sich vor den Schwestern Beresford, die ihm auch ihre Dankbarkeit ausdrückten, und Mrs. Jackson ging sogar so weit, ihm mütterlich die Wange zu tätscheln.

Danach wandte er sich an Fiona. „Miss Chapman …“ Er verbeugte sich und erhielt als Antwort nur ein kurzes Neigen des Kopfes.

„Ich hoffe, Sie kommen sicher an Ihrem Ziel an“, sagte er leise.

„Und ich wünsche Ihnen dasselbe, Sir“, entgegnete Fiona.

„Wie heißt die Familie noch einmal, die Sie eingestellt hat?“

Doch Fiona verspürte keine Neigung mehr, sich ihm mitzuteilen. Also antwortete sie nur mit einem knappen Lebewohl und einem frostigen Lächeln, bevor sie ihren Reisegefährten zur neuen Kutsche folgte.

Doch sie lauschte auf jedes Geräusch hinter sich, hörte Lukes Pferd wiehern, als er aufstieg. Das langsame Hufgeklapper kurz danach verriet ihr, dass er davonritt. Ein seltsamer Kloß im Hals ließ sie schlucken, aber sie sagte sich verärgert, dass sie lediglich in Sorge darüber war, seinen Schutz verloren zu haben.

Sobald das Gepäck sich in der neuen Kutsche befand und die Pferde hinten angebunden waren, begann eine Diskussion mit dem Kutscher.

„Meiner Meinung nach ist es besser, zum Fallow Buck zurückzukehren“, sagte er. „Nach all dem Regen ist das Fahren in der Nacht sehr gefährlich, ganz abgesehen von den Wegelagerern, die sich gerade hier herumtreiben.“ Er senkte die Stimme am Ende, um nicht die Damen zu erschrecken.

„Nein, wir fahren weiter“, verlangte Peter Jackson energisch. „Wir haben bereits viel zu viel Zeit verloren, und meine Frau muss endlich nach Hause und in ihrem eigenen Bett schlafen. Sie hat sich erkältet und braucht vielleicht einen Arzt.“

„Wir sollten uns besser im Gasthaus ausruhen und die Reise morgen früh bei hellem Tageslicht und besserem Wetter fortsetzen.“

„Mr. Williams hat nicht so unrecht“, warf Fiona ein. „Wir möchten doch im Dunkeln nicht in einen Graben rutschen.“

„Noch einmal werden wir nicht so viel Glück haben und von jemandem wie Mr. Wolfson gerettet werden“, meinte Ruth händeringend. Sie schien den Wunsch nach einem Abenteuer aufgegeben zu haben und sah ebenso betroffen aus wie ihre ältere Schwester.

„Ich bestehe darauf, dass wir weiterfahren!“, ereiferte sich Mr. Jackson, und seine Frau kam ihm mit einem Hustenanfall zur Hilfe. „Das Pig and Whistle ist gar nicht mehr so weit entfernt.“ Er zog seine Uhr aus der Westentasche. „Bei guter Geschwindigkeit könnten wir das Gasthaus kurz vor Mitternacht erreichen.“

„Nun gut. Aber auf Ihre Verantwortung!“ Ohne weiteres Zögern kletterte Toby grimmig auf den Kutschbock und gab seinem Neffen ein Zeichen, ihm zu folgen.

Fiona erwachte etwa eine Stunde nach dem Fortsetzen ihrer Reise, noch immer erschöpft und sich mühsam den Schlaf aus den Augen reibend. Sehr unbequem in die Ecke ihres Sitzes gedrängt, hatte sie es geschafft, wenn auch unruhig, ein wenig einzunicken. Neben ihr hörte sie Ruth Beresford schnarchen, den Kopf an Fionas Schulter gelehnt. Doch statt sie zu wecken und zu bitten, etwas zur Seite zu rutschen und ihr mehr Platz zu lassen, nahm Fiona ihre beengte Position resigniert hin. Die Stimmung in der Kutsche war beim Abfahren nicht besonders fröhlich gewesen, und Fiona zog ein wenig Unbehaglichkeit bei Weitem jeder Art von Jammern und Stöhnen vor.

So wie sie ans Fenster gepresst wurde, blieb Fiona keine andere Wahl, als in die Dunkelheit hinauszustarren. Im flackernden Lampenlicht der Kutsche wurden undeutlich Büsche und Bäume am Wegesrand sichtbar und verschwanden gleich darauf wieder, sobald das Gefährt schwerfällig vorbeiratterte. Fiona schauderte, weil sie das ungute Gefühl nicht loswurde, dass unfreundliche Blicke sie verfolgten. Obwohl sie vor Luke Wolfson stolz geprahlt hatte, allein auf sich aufpassen zu können, wusste sie natürlich, dass das nicht stimmte. In dieser ländlichen Umgebung fühlte sie sich wie ein Fisch auf dem Trockenen und wünschte genauso innig wie alle anderen, dass Mr. Wolfson sie auf ihrer einsamen, dunklen Reise begleitet hätte. Aus einem Grund, den sie sich selbst nicht erklären konnte, vermutete sie, dass er vielleicht sogar eingewilligt hätte, mit ihnen zu kommen, wenn sie ihn darum gebeten hätte. Doch stattdessen hatten sie sich kühl voneinander verabschiedet, und jetzt war er gewiss Meilen von ihnen entfernt und bereits an seinem Ziel angekommen.

Er hatte gesagt, er wolle nach Lowerton reisen, aber Fiona bezweifelte, dass er selbst in diesem abgelegenen Dorf in Devon lebte. Sie nahm an, er müsse genau wie sie aus London kommen, und fragte sich, ob sie jemals auf einer Straße an ihm vorbeigegangen war. Vielleicht war sie irgendwann mit ihm zusammengestoßen, während sie mit ihrer Schwester oder ihren Freunden einen Spaziergang gemacht hatte. Einen Moment dachte sie über eine solche Wahrscheinlichkeit nach, um am Ende zu dem Schluss zu kommen, dass sie es sehr bezweifelte. Sie hätte ihn auf jeden Fall bemerkt, selbst wenn er sie übersehen hätte.

Und genau das hätte er selbstverständlich getan. Ihre jüngere Schwester Verity hatte immer die Blicke der Gentlemen auf sich gezogen, und ihre Freundinnen Elise und Beatrice Dewey waren blonde Schönheiten, die inzwischen beide mit sehr reichen Männern verheiratet waren.

Fiona war die Älteste, aber als die übrigen heirateten, war sie nie eifersüchtig oder verstimmt gewesen, weil sie als Unscheinbarste einfach übergangen worden war. Bis jetzt. Die Vorstellung, Luke Wolfson könnte mit ihrer Schwester oder einer ihrer Freundinnen flirten, verletzte sie, obwohl sie wusste, wie lächerlich es war, so zu empfinden. Wie konnte sie denn nur so aufgebracht über etwas sein, das niemals stattgefunden hatte, und noch dazu wegen eines Gentlemans, den sie kaum kannte?

Wütend auf sich selbst, seufzte sie leise und kniff die Augen fest zusammen in der Hoffnung, so Mr. Wolfsons vollkommene Züge und die schöne tiefe Baritonstimme aus ihrer Erinnerung zu verdrängen. Als sie sie wieder öffnete, sog sie scharf den Atem ein. Hastig blinzelnd und den Hals reckend, starrte sie aus dem Fenster, aber der Schatten, den sie erhascht hatte, war verschwunden. Sie überlegte, ob sie den Kutscher aufmerksam machen sollte auf was immer es war, das sie glaubte, gesehen zu haben.

Bevor sie zu einem Entschluss gekommen war, durchfuhr ein heftiger Ruck die Kutsche. Toby hatte offenbar die Leinen mit einem Ruck angezogen. Die Stille von eben wurde von erschrockenem Geschrei innerhalb und außerhalb der Kutsche abgelöst.

Peter Jackson fiel fast auf Ruth Beresfords Schoß, während seine Frau, die an seiner Schulter gelehnt hatte, auf den leeren Sitz rollte. Nur Fiona, die in Alarmbereitschaft gewesen war, rutschte als Einzige nicht von ihrem Sitz.

Der Knall eines Gewehrschusses ließ sofort wieder unheimliche Stille eintreten. Dann ertönte ein weiterer Schuss, und Mr. Jackson öffnete den Schlag der Kutsche und sprang hinaus. Der Anblick, der sich ihnen allen bot, war so entsetzlich, dass Valerie Beresford ohnmächtig an die Brust ihrer Schwester sank und Mrs. Jackson angstvoll aufschrie.

Nur Fiona und Ruth gaben keinen Laut von sich, obwohl beide aufs Tiefste über den grinsenden Mann, der eine Waffe auf sie gerichtet hielt, erschraken.

Fiona wusste nur, dass er grinste, weil tiefe Lachfalten seine Augen umgaben, denn die untere Hälfte seines Gesichts war hinter einem Halstuch verborgen.

„Dann mal heraus mit euch, meine Damen, und lasst euch anschauen“, befahl der Kerl offenbar amüsiert.

„Sie werden die Damen nicht anrühren!“, brüllte Peter Jackson und drohte mit der Faust, obwohl er vor Angst schwitzte.

Nachdem sie mit den anderen Frauen ausgestiegen war, konnte Fiona sehen, dass der Wegelagerer nicht allein war. Sein Kumpan saß nur wenige Meter entfernt auf seinem Pferd. Auch sein Gesicht war halb verborgen, und dennoch kam er ihr seltsam vertraut vor. Und dann bemerkte sie etwas, das sie bestürzt aufstöhnen ließ: Toby Williams war die ganze Zeit ungewöhnlich ruhig gewesen, weil er sich um seinen verwundeten Neffen kümmerte. Der junge Bert lag auf dem Boden, und sein Onkel hockte neben seinem bewegungslosen Körper und versuchte, die Blutung aus einer Wunde zu stillen.

Ohne auf den Befehl des Räubers zu achten, gefälligst zu bleiben, wo sie war, eilte Fiona dem Verletzten zur Hilfe. „Ist es eine gefährliche Wunde?“, fragte sie besorgt. Toby presste ein Taschentuch auf die Stelle, die nicht aufhören wollte zu bluten.

Schnell wandte Fiona sich ab, hob ihren Rock leicht an und riss ein langes Stück von ihrem Unterrock ab, um es Toby zu reichen. Der nahm es mit einem dankbaren Lächeln an und faltete es zu einer dicken Kompresse zusammen.

„Ich sagte Bert, er soll die Büchse hinlegen, als ich sie kommen sah.“ Toby warf den Räubern einen verzweifelten Blick zu. „Ich wusste, dass wir nichts tun konnten und es nichts nützen würde, die Dinge noch schlimmer zu machen. Aber der Esel gab in seiner Angst einen Schuss ab. Dabei könnte er nicht einmal ein Scheunentor treffen, wenn er genau davor stünde. Was soll ich jetzt bloß seiner Mutter sagen?“

„Er wird wieder gesund, da bin ich sicher“, flüsterte Fiona so zuversichtlich sie konnte. Aber der Junge sah beunruhigend bleich aus. Während sein Onkel ihm die Stoffkompresse unter das Hemd schob und ihn verband, riss Fiona noch mehr von ihrem Unterrock ab, falls sie es brauchen sollten.

„Du da … komm her!“, blaffte der ältere Wegelagerer Fiona an.

Sie sah über die Schulter. Der jüngere Mann war von seinem Pferd abgestiegen und hatte sich neben seinen Kameraden gestellt. Beide richteten ihre Waffen drohend auf ihre Opfer.

Der Jüngere flüsterte dem anderen plötzlich etwas ins Ohr, und Fiona hatte das ungute Gefühl, dass es, was immer er sagte, etwas mit ihr zu tun hatte, denn beide blickten in ihre Richtung.

„Komm her, aufsässiges Frauenzimmer!“, brüllte der Ältere. Er kam auf sie zu und zerrte sie am Ellbogen auf die Füße, dann schubste er sie vor sich her bis zu dem jungen Mann, der sie über das Handtuch hinweg anstarrte.

„Oh ja, das ist sie“, sagte der. „Durchgebrannt, um zu heiraten.“

„Lasst sie in Ruhe, sonst bekommt ihr es mit mir zu tun“, schrie Peter Jackson. Er machte Fiona verzweifelte Zeichen, zu ihm zu kommen, aber seine Bemühung, sie zu beschützen, wurde mit einem Schlag auf den Kopf belohnt, den der jüngere Gauner ihm mit dem Griff seiner Pistole verpasste.

Mrs. Jackson ging neben ihrem Mann in die Knie. Ihr Klagen zerschnitt die Nachtluft, während die beiden Schwestern hinter vorgehaltenen Händen zu wimmern begannen.

„Lassen Sie mich los!“ Fiona versuchte verzweifelt, sich aus dem schmerzhaften Griff des Mannes zu befreien. „Was wollen Sie? Geld? Hier, nehmen Sie es sich.“ Mit der freien Hand holte sie ihren mageren Beutel aus der Tasche.

Ihre Geste löste ein glucksendes Lachen aus. „Oh, vielen Dank“, höhnte der ältere Mann und ließ die kargen Münzen vor dem Gesicht seines Kollegen klimpern. „Aber da ist wohl nicht genug drin, um uns glücklich zu machen.“ Doch trotz seiner Verachtung steckte er Fionas gesamtes Geld achtlos ein, bevor er sich plötzlich auf sie stürzte. „Während Sie, meine Liebe, ein wahrer Schatz sind für jemanden, den ich kenne.“ Damit packte er sie unter den Knien und schwang sie sich mühelos auf die Schulter.

5. KAPITEL

Wäre er kein Soldat gewesen, hätte Luke den gedämpften Knall der Büchse für den Ruf eines Hirsches halten können. Doch er brachte sein Pferd mit einem leisen Fluch zum Stehen. Eine weitere Kugel wurde in einiger Entfernung abgegeben, und dieses Mal war er sicher, dass es sich um einen Pistolenschuss handelte.

Sein Hengst hatte die Geräusche ebenfalls gehört und wusste sehr wohl, dass sein Herr bei solchen Signalen große Geschwindigkeit von ihm verlangte. Der sanfte Druck von Lukes starken Schenkeln reichte, um das Tier herumwirbeln zu lassen und den Weg über schwarze, verschlammte Felder zurückzujagen, den sie bis hierher gekommen waren.

Als Luke dreißig Minuten später sein Pferd zügelte, waren dessen Flanken schaumig vor Schweiß. Behutsam ritt er näher, rutschte schließlich aus dem Sattel und legte die letzte Strecke zu Fuß zurück, geleitet von den Lampen der Kutsche. Sofort fürchtete er das Schlimmste, denn in der nächtlichen Stille hörte er leises Stöhnen und ängstliches Weinen.

Unwillkürlich packte er seine Pistolen fester und biss grimmig die Zähne zusammen, als er durch das Unterholz spähte. Die Räuber waren offenbar schon fort. Er sprang hervor und gab sich zu erkennen, um nicht aus Versehen von einer Kugel getroffen zu werden.

Die Schwestern Beresford bemerkten ihn als Erste. Sie kletterten aus der Kutsche, in der sie sich verkrochen hatten, liefen auf ihn zu und klammerten sich an seine Arme, während sie ihm stotternd und weinend von den Ereignissen berichteten.

Peter Jackson saß auf dem Boden, eine Hand an den Hinterkopf gepresst. Seine Frau betupfte fieberhaft seine Stirn mit ihrem Taschentuch, gleichzeitig die niederträchtigen Feiglinge beschimpfend, die dieses Chaos verursacht hatten.

Aber es waren der bewegungslose Junge, im Schmutz niedergestreckt, und dessen Onkel, der sich verzweifelt um ihn bemühte, die Lukes Aufmerksamkeit endgültig gefangen nahmen. Doch nur einen Moment lang, denn plötzlich wurde ihm bewusst, dass ausgerechnet die Person, die er vor allem sehen wollte, abwesend zu sein schien. Er befreite sich entschlossen aus dem Griff der beiden Damen, ging mit langen Schritten auf die Kutsche zu und lugte hinein.

„Wo ist Miss Chapman?“, fragte er mit plötzlich aufsteigender Wut.

„Sie haben sie mitgenommen.“ Peter Jackson schüttelte den Kopf, Tränen liefen ihm über die Wangen. „Ich konnte sie nicht aufhalten, Sir. Sie schlugen mich nieder, als ich versuchte …“

„Wer war es?“, brachte Luke knapp hervor, kam näher und musste an sich halten, den Mann nicht bei den Aufschlägen zu packen, um die Antwort aus ihm herauszuschütteln.

Peter sah in Lukes grimmig schauende dunkle Augen. „Es waren zwei. Sie hatten ihre Gesichter mit Tüchern verhüllt, aber ich bin sicher, dass Collins dahintersteckt. Dieser niederträchtige Schurke!“

Luke fuhr zu Williams herum. Der Mann war schließlich für die Sicherheit seiner Fahrgäste verantwortlich, hatte aber weder eine Erklärung gegeben, noch sich entschuldigt für Miss Chapmans Entführung. Doch der Kutscher war völlig aufgelöst, also verbiss Luke sich die wilde Anschuldigung, die ihm auf der Zunge gelegen hatte.

„Ich glaube, er stirbt“, brachte Toby verzweifelt hervor und versetzte Bert immer wieder einen Schlag auf die Wange, um ihn so ins Bewusstsein zurückzurufen.

„In die Kutsche! Alle! Außer Ihnen“, wies Luke den Kutscher an. „Helfen Sie mir, den Jungen hochzuheben. Wir werden ihn auf einen Sitz legen. Die Übrigen werden sich auf der anderen Seite zusammendrängen müssen. Kommen Sie, schnell!“, herrschte er Toby an, der noch ganz benommen war. „Das Pig and Whistle ist nur wenige Meilen entfernt, und dort können Sie einen Arzt für Ihren Neffen holen lassen. Gebe Gott, dass wir rechtzeitig ankommen …“

Die Damen kletterten also wieder hinein, gefolgt von Mr. Jackson, und Luke und Toby legten den verletzten Jungen behutsam auf die abgewetzten Polster. Toby zuckte zusammen, als Bert stöhnte, aber Luke war erleichtert.

„Seine Bewusstlosigkeit ist also noch nicht so tief“, beschwichtigte er den Kutscher und machte den Schlag zu. Auf dem Kutschbock griff Luke selbst nach den Leinen. Er wollte nicht, dass Toby Willliams sie in seinem bedrückten Zustand in den nächsten Graben manövrierte.

„Sollten Sie Ihr Pferd nicht hinten anbinden, Mr. Wolfson?“, fragte Toby.

„Keine Sorge. Star wird uns schon folgen.“ Luke setzte das Gespann in Gang. Bald hatten sie das Wäldchen hinter sich gelassen, und er konnte das Tempo beschleunigen, die Augen leicht zusammengekniffen, um in der Dunkelheit rechtzeitig eventuelle Hindernisse ausmachen zu können.

Doch so sehr ihn auch seine Aufgabe in Anspruch nahm, in Gedanken war er ständig bei einer Frau mit braunem Haar und hellbraunen Augen. Falls Collins es gewagt haben sollte, Fiona Chapman auch nur ein Haar zu krümmen, würden die Dragoner, die auf der Spur des Schmugglers waren, nicht mehr nach ihm suchen müssen. Luke würde den gesetzlosen Mistkerl finden und ihn mit eigenen Händen umbringen.

Fiona konnte kaum atmen durch den Knebel zwischen ihren Lippen. Während man sie davontrug, hatte sie getreten und gekratzt und so laut geschrien, dass die zwei Männer nach kurzem Galopp angehalten hatten, um ihr Hand- und Fußgelenke zusammenzubinden. Als sie Fiona zu ihrer Zufriedenheit zum Schweigen gebracht hatten, hatten sie sie so achtlos über den Rücken eines ihrer Pferde geworfen, dass es ihr den Atem genommen und Fiona geglaubt hatte, sie würde das Bewusstsein verlieren.

Jetzt hing sie mit dem Kopf nach unten und schlug bei jedem Schritt gegen dessen Bauch, während eine harte Hand auf ihrem Rücken verhinderte, dass sie vom Pferd glitt. Statt allerdings Angst zu empfinden, wallte heiße Wut in ihr, und statt Mitleid mit sich zu haben, machte sie sich vielmehr Vorwürfe, weil sie sich nicht noch heftiger gewehrt hatte.

Sie war außer sich, dass man sie so behandelte. Noch nie hatte ein Mann die Hand gegen sie erhoben, noch nicht einmal ihr Vater, selbst wenn sie es verdient gehabt hätte. Als Cecil Ratcliffs Belästigungsversuche unerträglich geworden waren, hatte sie ihm mit ihrer silbernen Bürste ins Gesicht geschlagen und bald darauf ihre Sachen gepackt.

Außerdem war ihr aber bewusst, dass auch andere unter diesen brutalen Männern gelitten hatten. Der junge Bert war womöglich tot, und Mr. Jackson war am Kopf verletzt worden. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, nicht nur wegen ihres eigenen ungewissen Schicksals, sondern auch wegen ihrer armen Reisegefährten.

Gerade als sie glaubte, das ewige Donnern der Hufe nicht mehr länger ertragen zu können, während sie nach Atem rang und ihr jeder Knochen im Leib wehtat, begann das Tempo der Pferde sich zu verlangsamen.

Nur Momente später blieben sie endgültig stehen, und ihr Entführer stieg ab und zog Fiona mit sich, sodass sie zu seinen Füßen auf die Knie fiel. Ihr Haar hatte sich aus dem ordentlichen Knoten gelöst und lag jetzt schwer auf Fionas Schultern. Sie rührte sich nicht, sondern lauschte und spürte die Gegenwart der anderen. Dann hörte sie Männerstimmen, Stiefelknirschen auf Kies. Gleich darauf wurde sie an einem Arm hochgezerrt, und man nahm ihr Augenbinde und Knebel ab.

Im Mondlicht konnte Fiona erkennen, dass ein ziemlich dünner, unauffälliger Bursche sie anstarrte und sie sich auf einem Friedhof befanden. Der massige Umriss einer Kirche, deren Turmspitze hoch in den blauen Himmel emporragte, zeichnete sich, nicht weit von ihnen entfernt, auf einem Hügel ab. Fiona unterdrückte einen Schauder. Sie wollte sich vor diesen niederträchtigen Schurken ihre Angst nicht anmerken lassen.

„Jeremiah Collins, zu Ihren Diensten, Mylady.“ Der Mann hob die Hand und nahm eine Strähne ihres hellbraunen Haars zwischen die schwieligen Finger. „Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie die Tochter des Duke of Thornley sind?“ Er legte prüfend den Kopf auf die Seite.

„Nein, tun Sie nicht, Sie Dummkopf“, fauchte Fiona.

Jeremiah kicherte. „Sie hat ohne Zweifel den Hochmut eines hochgeborenen Mädchens, Fred, aber ich bin nicht sicher. Der Major sagte, die Spritztour ist aufgehoben worden.“ Er wandte sich an den älteren der beiden Verbrecher, den er Fred genannt hatte. „Sie ist außerdem ziemlich unscheinbar und älter, als ich erwartet habe. Ich glaube, du hast mir die Katze im Sack gebracht, keine Goldgrube.“

Fred Ruff, betroffen über die Kritik seines Chefs, zerrte sein Halstuch herunter, um besser reden zu können, ohne sich darum zu kümmern, dass Fiona sein Gesicht sehen konnte. Wenn Collins recht hatte und er eine völlig nutzlose Frau hergebracht hatte, würde er sie sowieso irgendwie loswerden müssen, also spielte es keine Rolle, ob sie ihn sah oder nicht. „Vielleicht macht uns der Major ja nur etwas vor, damit er das ganze Geld für sich behalten kann“, brauste Fred auf, warf seinem jüngeren Kumpan aber einen verärgerten Blick zu. Sam Dickens hatte ihn davon überzeugt, dass sie den großen Fang gemacht hatten.

„Doch, sie ist es!“ Auch Sam entfernte sein Tuch. Er wusste, dass er in großen Schwierigkeiten steckte, wenn er Fred aufs Glatteis geführt hatte, ohne es zu wollen. „Megan sagte, sie sprachen vom Gut und den Fasanen des alten Dukes und von der Hochzeit. Und dann sagten sie noch, die hier ist durchgebrannt, und zwar flüsternd, als wäre es ein großes Geheimnis.“

„Das stimmt, aber die Hochzeitspläne der Thornleys haben doch nichts mit mir persönlich zu tun!“, warf Fiona voller Erbitterung ein. Jetzt fiel ihr auch wieder ein, wo sie den Jungen bereits gesehen hatte. Es war der Stallbursche, der mit dem Schankmädchen im Fallow Buck geflirtet hatte. „Ich heiße Miss Chapman und komme aus London.“ Ihr wurde klar, dass die Einfaltspinsel sie mit der Tochter eines Dukes in der Nachbarschaft verwechselt und also die falsche Frau entführt hatten. Fast hätte sie laut aufgelacht. Früher oder später würden sie ihren Irrtum erkennen, und sollten sie sich an ihren Stiefvater um ein Lösegeld wenden, würde der gemeine Geizhals keinen Penny für sie zahlen. Und ihre Mutter besaß keinen einzigen Wertgegenstand, den sie geben könnte.

Collins drehte sich zu ihr herum, sich nachdenklich das Kinn reibend. „Du könntest sogar recht haben, Fred, dass der Major versucht, uns übers Ohr zu hauen, um den ganzen Gewinn einzustreichen. Wenn er das aber vorhat, dann wird der saubere Herr in der Nähe sein und fuchsteufelswild, weil wir ihm bei der kleinen Dame zuvorgekommen sind.“ Er ging um Fiona herum, den Blick langsam über ihren Körper gleiten lassend. „Vielleicht sind Sie gar nicht so übel, wie ich zuerst dachte. Jedenfalls gehören Sie der besseren Gesellschaft an, das lässt sich nicht übersehen. Sogar in diesen schlichten Kleidern.“ Er befingerte ihren Wollumhang. „Aber schließlich wollten Sie ja auch gewöhnlich aussehen, nicht wahr, meine Liebe? Sie würden nicht auffallen wollen, bevor Sie unter dem Schutz Ihres Geliebten stehen.“

„Vielleicht würde ihr Liebling ja auch Geld für Sie zahlen“, schlug Sam fröhlich vor. „Wir könnten sie doch beide gegeneinander ausspielen.“

„Der ist arm wie eine Kirchenmaus, nach allem, was der Major sagt, deswegen brennt sie ja durch. Weil ihr Vater nichts von dieser Verbindung wissen will.“

„Sie reden alle Blödsinn!“, schrie Fiona außer sich. „Und Sie können mich ruhig gehen lassen, weil man woanders darauf wartet, dass ich meine Stellung antrete. Inzwischen ist man Ihnen gewiss schon auf den Spuren. Meine Reisegefährten werden diese empörende Entführung schon längst gemeldet haben.“

„Die ist keine Bedienstete, da verwette ich meinen Kopf! Sie lügt!“, rief Sam triumphierend.

„Ich bin eine Gouvernante, und mein Arbeitgeber wird mich bereits vermissen. Er wird eine Suchmannschaft nach mir ausschicken, wenn ich nicht bald auftauche“, warnte Fiona.

Jeremiah Collins streckte wieder eine Hand aus, um sie zu berühren, aber Fiona wich vor ihm zurück, die Augen wütend funkelnd. Er sah eigentlich recht harmlos aus mit seinem dünnen weißen Haar und der drahtigen Gestalt. Trotzdem spürte sie, dass sich hinter diesem blassen Gesicht mit den farblosen Augen ein grausamer, verschlagener Verstand verbarg, und sie wünschte, sie wäre ihm nie begegnet.

Autor

Lucy Ashford
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Mary Brendan
Mary Brendan wurde in Norden Londons als drittes Kind von sechs Kindern geboren. Ihr Vater hatte eine Klempnerfirma, und ihre Mutter, die sie zum Lesen und lernen anregte, arbeitete als Schulsekretärin.
Mary Brendan heiratete mit 19 Jahren und arbeitete in einer internationalen Ölfirma als Büroangestellte und später dann als Sekretärin in...
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